Abul-Ala Ahmad ibn Abdullah ibn Sulaiman Al-Ma’arri (973 – 1058)

Arabischer Dichter, der in Nordsyrien (Ma’arra) geboren wurde und infolge einer Pockenerkrankung im Alter von vier Jahren fast vollständig erblindete. Während seinen Studien in Aleppo, Tripolis und Antiochia fiel er durch sein bemerkenswert gutes Gedächtnis und seine Gelehrsamkeit auf. Danach lebte er in Ma’arra von einer kleinen Rente und den Hörgeldern seiner Schüler. 1010 zog er für eine kurze Zeit nach Bagdad, wo ihm nach eigenen Worten eine Wende widerfuhr, die ihn veranlasste nach Ma’arra zurückzukehren, um dort über vierzig Jahre (bis zu seinem Tode) in einer Höhle asketisch zu leben. In seinem dichterischen Schaffen spiegelt sich der Glanz einer weitsichtigen religiösen, menschlich großartigen Toleranz.

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Inhaltsverzeichnis

Gleichwertigkeit der Religionen
Nichtigkeit des Daseins
Zweierlei Arten von Räubern
So sind die Menschen
  Die Vernunft
Vergänglichkeit des Menschen
Irdische Vergänglichkeit
Weltschmerz
 

Gleichwertigkeit der Religionen
Macht mich nicht zu eurer Feindschaft Ziel.
Denn fürwahr, Christus und Mohammed gelten mir gleich viel.
Nützt der Morgenschein etwa dem Nachtdurchwaller?
Oder ist Finsternis das gemeinsame Los aller?

Nichtigkeit des Daseins
Wir lachten, und das Lachen war töricht, so will mir scheinen;
den Menschen ziemt es besser, daß sie weinen:
Es bricht uns die Zeit, deren Schläge uns zertrümmern und zerstoßen.
Nur werden wir nicht, wie das Glas, neu umgegossen!

Zweierlei Arten von Räubern
In der Wüste hausen die Räuber von Pferden und Kamelen,
in den Moscheen und Straßen aber sind andere Arten von ihnen.
Diese nennt man Notare oder Kaufherrn,
aber jene, die nennt man verächtlich Beduinen!

So sind die Menschen
Wie? Lebend werde ich geschmäht, aber kaum bin ich begraben,
so beginnen mich zu loben, die früher geschmäht mich haben.
So sind die Menschen alle: an Schwächen übervoll;
jeder liebt die Welt mehr als er sie lieben soll.


Die Vernunft
Ihr Beherrscher der Länder, ihr herrschtet lang, und ihr wurdet alt,
und je länger ihr lebt, desto mehr mißbraucht ihr die Gewalt.
Auf einen Gottesmann hat das Volk seine Hoffnung gebaut,
der da leiten soll, wenn die Menge ratlos nach dem Retter schaut.
Eitler Wahn! Die Vernunft allein ist der göttliche Leiter,
der morgens und abends euch führt, als erfahrener Pfadvorschreiter.
Und hörst du was der dir befiehlt, so gewinnst du den göttlichen Segen,
der dich fürder begleitet auf allen deinen Wegen.
Diese verschiedenen Glaubenssekten, die euch zerspalten,
erfunden hat man sie, um den Mächtigen zu sichern die Gewalten!
Meide die Menschen und fliehe die fröhlichen Zecherrunden,
denn, wer die Wahrheit spricht, wird von allen unleidlich befunden.


Vergänglichkeit des Menschen
Gar mancher, der betet in der Moschee, der fürchtet und zittert,
daß man seine nächtlichen Zechgelage an ihm wittert.
Statt in Falschheit zu verrichten das Gebet,
ist es besser, wenn man‘s mit Vorsatz gänzlich umgeht.
Der Töpfer, der die Erde formt, muß endlich werden,
was er gewesen: zur fügsamen, schmiegsamen Erden.
Aus seinem Staube wird vielleicht ein Gefäß einst gedreht,
das jedem, der will, zum beliebigen Gebrauche steht;
Und versandt wird von einem Lande nach einem andern —
ach der Arme: zum Staube geworden, muß er noch wandern!

Irdische Vergänglichkeit
Der Raum, der ist ewig und läßt sich nicht biegen noch zusammenfalten,
aber die Zeit, die eilt flüchtig dahin und will nicht halten.
Es spricht der Tor: Den Gegner habe ich endlich besiegt!
Und wie hätte er jenen besiegt? Fürwahr, er lügt!
Der Mensch gleicht der Flamme, die da flackert und lustig lodert,
und erlischt: drum glücklich, wer von dem Leben das mindeste fordert.
Die Wechselfälle der Zeiten sind wie das Gras, es wird gemäht,
aber der Allmächtige befiehlt, daß es wieder ersteht.
Ist es des Menschen Los, daß er ins Grab sich legt,
warum hat dann die sorgsame Mutter ihn liebevoll gepflegt?
Wenn die Rabbiner den Sabbath in weihvoller Stimmung begehn,
so wird von dem Weisen als Sabbath jeder Tag angesehn.


Weltschmerz
Die Männer, welche Tugend und Edelsinn ehrt, sind Fremdlinge unter den Ihren,
von den Verwandten verstoßen, von den Nächsten gemieden, müssen den Mut sie verlieren.
Sie leerten nicht des feurigen Weines Becher in frohem Genuß,
sie kosten nicht mit holden Mädchen bei Scherz und Kurzweil und Kuß.
Ach genug der Schmach des Lebens ist es für jeden, der selber sich ehrt,
daß er mit niedrigster Kost sich muß bescheiden, die man ihm als Almosen gewährt!
Als die Flamme der Jugend begann zu verlöschen, ward mir der Frohsinn vergällt,
und hätte man auch mein Zelt hoch oben zwischen die Sterne gestellt.
Um der Liebe, die du mir weihtest, hielte ich schmeichelnd, o Jugend, dich auf,
und täte dir alles zu willen, wenn’s nur verzögerte deinen Lauf!
Nach den ersten fünfzehn Lebensjahren ist die glückliche Kindheit verflossen,
und nach vierzig ist der Minne Trost auch schon den Großen für immer verschlossen.
Wohlan! Ertrag es mit Stolz und laß in keinen Bauernrock dich stecken.
Denn erführe man, was im Stillen du wobst, man würde dich als Toren necken.
Die Erde zeugt der Gewächse Fülle, die beständig sich mehrt,
den Alandabaum, der strahlend brennt, den Kibastrauch, der in stiller Glut sich verzehrt.
Der Zeugung Kette verbindet auch mich mit Adam, ihrem ersten Glied,
doch mein Er verband ich mit keinem Sie, da die Ehe ich lebenslang mied.
Wohl gähnte dieser und gähnte jener, unbewußt, wie der Erste getan,
mich beirrte nicht, was sie taten und machten, mich kam kein Gähnen an.
Ich lernte die Menschen meiden, seit ich an ihre Tugend nicht glaube,
und weil ich wußte, daß dieses All besteht aus Atomenstaube.
Wie sollte das wieder zum Leben erstehen,
was einmal sein Ende fand,
nachdem das dürre Schilf entfachte
den letzten Vernichtungsbrand?
Radwa, der Berg, ward vom Feindesheer berannt,
was kümmert‘s ihn — er steht!
Kuba, vom Propheten geheiligt, ward dennoch
von den Bannern der Krieger umweht!
Der Erzeuger trägt die Schuld dafür,
daß ins Leben traten die Kinder,
und wären sie Gewalthaber auch in den Städten,
die Schuld, sie trifft ihn nicht minder!
Nur erhöhen kann‘s dir die Entfremdung
von deinen Leibessprossen,
und erhöhen ihren Groll gegen dich,
wenn sie von den Edlen und Geistesgroßen.
Denn sie sehn den Vater,
der sie schuldlos hinausgejagt
in das Wirrsal des Lebens,
das kein Weiser zu lösen gewagt.
Hat doch aller Orten die Menschen
um die Wahrheit betrogen
die Sippe jener gelehrten Heuchler,
die sich und andere belogen.
Auf allen Wegen und Stegen des Lebens
verfolgen uns vom Abend bis zum Morgen
Todesgefahren, wofür jene
die Schergendienste besorgen.
Ach! Wenn grimmige Löwen selbst
von den Schwertern beben,
wie sollen da schüchterne Gazellen
gegen ihr Gebot sich erheben!
S. 168-172
Enthalten in: Islamische Geisteswelt, Von Mohammed bis zur Gegenwart Herausgegeben von Rudolf Jockel . Holle Verlag , Darmstadt