Alexander I. Pawlowitsch (1777 – 1825)

  Russischer Kaiser seit 1801. Der Sohn Pauls I., der im Geist der Aufklärung erzogen wurde, versuchte die Übernahme neuzeitlicher Staats- und Verfassungsgrundsätze mit Hilfe von Universitätsgründungen und durch Verwaltungsreformen. — Nach der russisch-österreichischen Niederlage von 1805 und der preußischen von 1806/07 schloss Alexander mit Napoleon I. das Bündnis von Tilsit, das Russland den Gewinn Finnlands durch den Schwedenkrieg (1808/09) einbrachte und die Fortsetzung des Türkenkrieges (1805—12) sowie den Erwerb Bessarabiens ermöglichte. Nach dem französischen Feldzug gegen Moskau (1812) verbündete sich Alexander mit Österreich und Preußen. 1815 stiftete er die Heilige Allianz und machte Russland zur Vormacht in Osteuropa.

Siehe auch Wikipedia

BRIEFUMSCHLAG MIT AUFSCHRIFT VON DER HAND KAISER ALEXANDERS I.
»Ihrer Kaiserlichen Hoheit Großfürstin Katharina Pavlovna zu eigenen Händen«

Über die mystische Literatur.

Der Anfang der sogenannten mystischen Gesellschaften ist im allertiefsten Altertum verborgen.

Die Mysterien von Ägypten, Theben, Eleusis, des Orpheus, Pythagoras, Mithias (bei den Persern), Indiens und andere beweisen diese Wahrheit.

Was war das Ziel dieser Mysterien?

Die Erkenntnis Gottes, des Menschen und der Natur. Weswegen waren diese Erkenntnisse geheim?

Aus folgenden Gründen:
1. Die Erkenntnis Gottes setzt eine reine und erhabene Seele voraus. Folglich können nicht alle Menschen dazu fähig sein. Böse und Blinde können das
Licht nicht schauen.

2. Das wahre Verhältnis des Menschen zu Gott ist das Verhältnis des Sohnes zum Vater, das Verhältnis reiner Liebe. Aber böse und unaufgeklärte Menschen können nicht lieben.

3. Die Natur ist die unaufhörliche Ausgießung und Offenbarung der Gottheit. Wie kann man eine Tätigkeit erklären, wenn man ihre Ursachen nicht erkannt hat?

So waren und müssen immer geheime Gesellschaften sein.

Die Verbindung zwischen den alten und den heutigen Gesellschaften begründete die Christliche Religion.

An ihrem Anfang war sie nichts anderes als eine geheime Gesellschaft. In die Kirche von Jerusalem wurde niemand ohne Prüfung und Reinigung zugelassen.

Die Politik der Herrscher verwandelte diese geheime Lehre in eine allgemeine Volksreligion. Aber, nachdem sie die Zeremonien geöffnet hatte, konnte die Politik die Mysterien nicht enthüllen.

Infolgedessen gibt es auch heute, wie immer, eine äußere Kirche und eine innere Kirche.

Die Grundlage der Lehre ist in beiden Kirchen ein und dieselbe: die Bibel. Aber in der ersten ist allein der Buchstabe bekannt, in der zweiten wird ihre Erkenntnis gelehrt. Es gibt eine unzählige Menge von Schriften, die für die äußere Kirche herausgegeben wurden. Ihre systematische Auslegung heißt Theologie.

Es gibt auch eine nicht sehr große, aber genügend ansehnliche Zahl von Schriften, die für die innere Kirche herausgegeben wurden. Ihr Bestand heißt Geheime oder Mystische Theologie. Unter diesem Namen darf man nicht irgendein System verstehen — denn es gibt keine genaue systematische Auslegung dieser Art von Theologie (in deutscher und lateinischer Sprache gibt es das Werk von Arnold mit dem Titel »Geheime Theologie«, aber es ist überaus ungenügend) —, sondern man muß allgemein alle Werke darunter verstehen, die zu dieser Art gehören. Sie sind unter verschiedenen Bezeichnungen bekannt, wie etwa: Oeuvres Spirituelles, Théosophiques, Ascétiques etc.
Man kann alle diese Werke in drei Klassen teilen:

Zur ersten Klasse muß man die von ihnen rechnen, deren Hauptgegenstand die Theorie dieser Lehre oder ihre abstrakten und ersten Grundlagen sind
(Register Nr. 1).

Für die Lektüre dieser Klasse von Schriftstellern muß man folgende wichtige und wesentliche Bemerkung machen.

Die menschliche Sprache ist für die Darstellung der reinen und subtilen Ideen Gottes und der Natur überaus unzulänglich. Überdies nehmen die von Gott selbst offenbarten Wahrheiten, indem sie die Vorstellung passieren, unweigerlich mehr oder minder Eindrücke auf, die dieser eigen sind. Wir sehen, daß sogar die Propheten und Apostel über diese Gegenstände, nach den unterschiedlichen Fähigkeiten ihres Geistes und ihrer Vorstellungskraft, in verschiedener Weise schrieben.
Folglich:

1. In den mystischen Theorien muß man nicht Einheitlichkeit suchen. Ihre Hauptgrundlagen sind die gleichen, aber die Art des Ausdrucks ist überaus verschieden.

2. Diese Theorien muß man mit dem Jahrhundert in Beziehung setzen, in dem sie geschrieben wurden. Die Art des Verständnisses, die damals herrschte, besaß notgedrungen Einfluß auf die Darstellung der Wahrheit.

3. Man darf sich nicht vorstellen, daß allen diesen Schriftstellern Leidenschaften und Verirrungen fremd waren. Sie waren aufgeklärte Menschen, aber nicht Engel, und folglich kommt zwischen ihren Wahrheiten fast überall eine Menge von verschiedenen Systemen und von mehr oder minder gewagten, manchmal aber auch völlig absonderlichen Meinungen vor. Irrung ist Menschenwerk, die Wahrheit aber Gottes.

4. Einige von diesen Theorien begründeten, wegen der Schönheit der Wahrheiten oder wegen des Glanzes sogar ihrer Verirrungen, Sekten oder gaben ihnen den Namen: so stammen die Martinisten von den Schriften Saint-Martins ab. Die Lehre Jung (Stillings) brachte auch einige Nachfolger hervor. Ebendasselbe geschah früher mit Böhme und Svedenborg.

Die
zweite Klasse dieser Art von Schriftstellern ist sozusagen die mittlere; in ihnen ist nicht so sehr Theorie, als praktische moralische Lehre (Register Nr. 2).

Die Schriftsteller dieser Art nähren weniger den Geist, aber sie gehen mehr zu Herzen. Ihr Weg ist gefahrloser, ruhiger und richtiger.

Die dritte Klasse von Schriften dieser Art schließlich wird von denen gebildet, die sich allein mit der moralischen Bildung beschäftigen. Sie weisen den durch Erfahrung gerechtfertigten, praktischen Weg und geben sich keinerlei Theorien hin (Register Nr. 3).

Diese Art ist die zuverlässigste und richtigste.

Glücklich derjenige, der, nachdem er einige Zeit der Forschbegier des Verstandes geopfert hat, der Schriften der ersten Klasse überdrüssig ist, zur zweiten kommt und sich dann in die dritte hinabläßt. Vollkommenheit und Wahrheit liegen hier auf dem Grund, denn die Vollkommenheit ist in allen Dingen die Einfachheit.

Nr. 1.
I. Die Werke Böhmes, genannt der Teutonische Theosoph. Er war allerniedrigster Herkunft und schrieb, ohne etwas studiert zu haben, nach einer gewissen übernatürlichen Erleuchtung. Seine Werke sind von Saint-Martin übersetzt.

1. Aurore naissante.
2. Les trois principes.
3. Le chemin pour aller au Christ (Übersetzungen eines Unbekannten).
4. La voie de la Science (Auszug eines Unbekannten).

II. Die Werke Svedenborgs.
1. De la nouvelle Jérusalem. Auszug.
2. Dialogues. Auszug.

III. Die Schriften von Saint-Martin.
1. Des Erreurs et de la Vérité.
2. Tableau naturel.
3. L‘homme de Désir.
4. Le nouvel homme.
5. Le ministère de l‘homme-Esprit.
6. De l‘esprit des choses.

IV. Die Werke Stillings.
Alle in deutsch. Russisch gibt es unbedeutende Bruchstücke.
NB. Alle diese Werke erfordern zu ihrem vollen Verständnis eine kurze einleitende Erklärung der verschiedenen mystischen Worte, die jedoch keine große Bedeutung besitzt.

Hier muß man noch wiederholen, daß in allen diesen Werken ein großes Durcheinander von Wahrheit und Irrtum ist.

Nr. 2.
Confessions de St.-Augustin. Malebranche. Recherches de la vérité.
Philosophie Divine.
Philosophie Chrétienne.
Oeuvres choisies de madame de la Mothe Guyon.
Die Werke Eckartshausens. Verschiedene Bruchstücke.
Zum Schluß von allen:
Oeuvres spirituelles de Fénelon. Unvergleichlich vortrefflicher als alle.

Nr.3.
La pratique de la vraie Théologie mystique.
Esprit de Six-Francois de Sales.
Solide piété, par le même.
Esprit de Ste-Thérése.
Dc l‘Imitation de J. Christ de Thomas-a-Kempis.
De la vraie sagesse, par le même.
Thaulère, Institutions Divines.

NB. Alle diese Bücher sind reines Gold, ohne Zusatz.
Aber die Grundlage ihrer aller ist die Heilige Schrift. Zum bequemen Lesen der Heiligen Schrift gibt es französisch:
Morale de J. Christ et des Apôtres.
Russisch: die vier Evangelien
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Aus: Slavische Geisteswelt 1 - Russland, herausgegeben von Martin Winkler (S.160-164)
Holle Verlag