Angela von Foligno (um 1249 – 1309)

Italienische Mystikerin, die nach dem Tode ihres Ehemannes und ihrer sämtlichen Kinder in den Büßerorden des heiligen Franz von Assisi eintrat und sich der Pflege der Kranken widmetet. Für die Geschichte der Mystik ist Angela durch die Überlieferung ihrer Offenbarungs-Visionen von einer gewissen Bedeutung. - Selige (Tag: 4.1.)

Siehe auch Wikipedia , Heiligenlexikon und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Die Herabkunft des Geistes
Verschmelzung mit dem Allgut
Gottesschau in der Finsternis

>>>Christus
Am Herzen des Erlösers
Die letzte Gewissheit



Die Herabkunft des Geistes
Zur Zeit meiner Bekehrung pilgerte ich zum heiligen Franz nach Assisi und bat ihn auf dem Weg, er möge mir von Gott erwirken, daß ich seine Regel auch streng beobachte, denn ich hatte sie kürzlich gelobt . . . Und wie ich so betend des Weges schritt und zwischen die Höhle und den engen Weg kam, der sich jenseits der Höhle hinaufzieht, da wurde mir folgendes gesagt:

»Du hast meinen Knecht Franz angerufen. Aber ich will dir einen anderen Boten senden. Ich bin der Heilige Geist, der zu dir kommt, dir einen Trost zu gewähren, wie du ihn niemals verkostet hast«! . . . Und er begann Worte zu reden wie diese, um mich zur Liebe zu spornen: »Du meine Tochter, meine Süße; Du meine Tochter, mein Tempel, Du meine Tochter, meine Lust! Liebe mich, denn ich liebe dich gar sehr, weit mehr als du mich liebst«! Und immer wieder holte Er: »Meine liebe Tochter, meine liebe Braut«! und fügte hinzu: »Ich liebe dich mehr als irgend eine andere im Tal von Spoleto! Siehe ich habe Wohnung in dir genommen und weile in dir. Nimm nun auch du Wohnung in mir und weile in mir«! . . . Und meine Seele verstand klar, daß er nichts anderes sei als Liebe . . . Und wiederum sprach Er zu mir. »Unendlich ist meine Liebe, die ich für eine Seele hege, die mich liebt ohne Trug . . . O meine Geliebte, meine Braut, habe mich lieb! Denn dein ganzes Leben, magst du nun essen oder trinken, schlafen oder wachen und was immer sonst tun, ist mir wohlgefällig, wenn du mich lieb hast. Ich werde vor aller Welt große Dinge in dir wirken. In dir werde ich erkannt, verehrt und verherrlicht werden und mein Name gepriesen vor allen Völkern«. Dies und noch mehr dergleichen redete Er zu mir.

Als ich solche Worte hörte, da dachte ich an meine Fehler und all meine Mängel, in der Überzeugung, so großer Liebe nicht wert zu sein. Und ich begann zu zweifeln, ob die Worte, die ich gehört, wirklich von Gott seien. »Wärest du der Heilige Geist«, so sprach meine Seele zu dem, der mir jenes gesagt, »so würdest du solches nicht zu mir sagen. Denn ich bin ein gebrechlicher Mensch und könnt mich darob überheben«! Er aber sprach: »So sieh’ denn zu und versuche, ob du solcher Dinge wegen in eitle Ehre verfallen kannst, wie du meinst; es ist dir nicht möglich«! Und ich versuchte mich zu überheben, um zu sehen, ob es wahr sei, daß der Heilige Geist zu mir redete. Und ich sah hierhin und dorthin über die Weinberge, um mich zu zerstreuen; aber wohin ich auch sah, in meinem Innern sprach eine Stimme: »Beschau nur alles, denn das alles ist mein!«, und ich empfand eine unaussprechliche Wonne bei diesem Gedanken Und dann rief ich mir all meine Sünden in Erinnerung, und ich sah nichts als Sünden und Fehler in mir, und fühlte mich demütiger als je zuvor.

Wie groß aber die Freude und Wonne war, die ich verspürte, vermag ich nicht auszusprechen, besonders da Er sprach: »Ich bin der Heilige Geist, der in dir einkehrt«; und auch bei allem andern, was Er mir sagte, empfand ich ähnliche Lust. So ging es zum heiligen Franz, und Er blieb bei mir, wie Er mir gesagt hatte . . . Beim Eintritt in die Kirche warf ich mich auf die Knie; und wie ich da den heiligen Franz gemalt sah im Herzen Christi, sprach zu mir Christus: »So werde ich dich umschlungen halten, ja fester noch, als du mit den leiblichen Augen zu sehen vermagst«!

Sein Abschied war überaus sanft und milde. Denn nicht plötzlich verzog er sich mit seiner maßlosen Süße, sondern allmählich und sanft. Unter anderm sagte Er noch: »Meine Tochter, mein Lieb, mir teurer als ich dir, du Wohnung meines Entzückens, ich verlobe mich mit dir, und gebe dir den Ring meiner Liebe. Du sollst niemals mehr von mir weichen, du hast den Segen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, du und deine Freundin«! Da rief meine Seele gar schnell: »So werde ich also nie mehr ein Todsünde begehen«! Er aber erwiderte: »Das verspreche ich nicht«! . . .

Dann war er verschwunden, und ich blieb allein stehen. Da sank ich zu Boden und begann ohne Scham mit lauter kreischender Stimme zu rufen: »Meine Liebe, noch habe ich dich nicht kennen gelernt, und du verläßt mich schon«! Mehr brachte ich nicht hervor, denn was ich sonst rufen wollte, erstickte in meinem Kreischen, das die Umstehenden nicht mehr verstanden. Dies Aufschreien überkam mich am Eingang der Kirche des heiligen Franz, denn da war ich kraftlos niedergesunken beim Abschied Gottes. Ich schrie im Angesicht des ganzen Volkes derart, daß die mit mir gekommen waren, sich errötend in der Ferne hielten und sich meiner schämten in der Meinung, es sei etwas nicht in Ordnung . . .

Auf dem Heimweg von Assisi sagte Christus zu mir: »Ich will dir ein Zeichen geben, daß ich Christus bin, der mit dir spricht und mit dir gesprochen hat: Ich lege in dein Herz das Kreuz und die Liebe Gottes, und dies Zeichen wird für immer in dir bleiben«! Und sogleich spürte ich dieses Kreuz und die Liebe zu Gott in meiner Seele , und das Gefühl überströmte meinen ganzen Leib, und während ich leiblich das Kreuz in mir fühlte, schmolz meine Seele hin von Liebe zu Gott.
Da ich heimgekommen, hielt ich mich still in meinem Hause und empfand eine stille, friedliche Freude, so groß, daß ich es nicht sagen kann. Und ich verlangte danach, zu sterben, um heimzukehren zu jener Seligkeit, von der ich hier einiges gekostet – zu sterben, um nicht zu verlieren, was ich schon besessen. Das Leben war nie ein größers Leid und eine Qual viel empfindlicher, als der Tod meiner Mutter und meiner Kinder gewesen war und aller Kummer, den ich mir denken konnte. So lag ich minnekrank acht Tage zu Hause und rief beständig: »O Herr, habe Mitleid mit mir, und laß mich nicht länger bleiben in dieser Welt«! Und öfter spürte ich unsagbare Wohlgerüche, und all das war so außerordentlich, daß ich es nicht aussprechen und darüber nur wenig sagen kann.

Verschmelzung mit dem Allgut
Da ich mich einmal in der Kirche befand, hörte ich eine Ansprache so wundersüß, daß alsogleich meine ganze Seele davon ergriffen war. »Meine vielliebe Tochter« - nein, noch viel lieblicher lautete es - »nur ich, kein andres Wesen, kann dich beseligen. Ich will dir meine Macht offenbaren«. Und im Nu wurden die Augen meiner Seele geöffnet, und ich erblickte eine Gottesfülle, in der ich die ganze Welt verströmen sah, dieseits und jenseits des Meeres, Wasser und Gründe und alle Dinge, die in unsagbarer Weise bezeugen die Allmacht Gottes. Voll Staunen rief da die Seele: »Wie ist doch die Welt Gottes voll«! Und ich schaute sie als winziges Ding, und die Macht Gottes alles überragend und alles erfüllend . . . Und Er sprach: »Nun hast du etwas gesehen von meiner Macht – so schau jetzt meine Erniedrigung«! Und ich sah Gott so tief sich herablassend vor den Menschen und allen Dingen, daß meine Seele außer sich war angesichts so unendlicher Macht und so tiefer Herablassung. Und ich mußte mich selbst daneben halten und mich als lauter Hoffahrt erkennen . . . So empfing ich die heilige Kommunion. Und davon verblieb mir eine unsagbare Süßigkeit und ein Entzücken, das ich wohl nie mehr entbehren kann in meinem Leben.

Ein andermal fragte ich Gott im Gebete, ohne daß mich ein Zweifel drückte, nur um Ihn mehr zu erkennen: »Herr, warum hast du die Menschen geschaffen und läßt sie nachher in Sünde geraten? Warum duldest du soviel Leiden, wie dein Sohn für unsere Sünden getragen hat? Du hättest doch einen Ratschluß vollführen können, daß wir ohne dergleichen dein Wohlgefallen und deine Ehre wirken könnten«! Mir war es klar, daß all das richtig sei, daß Gott auch ohne solches uns zum Guten und zum Heile hätte führen können . . . Und doch drängte es mich – drängte mich Gott, wie ich glaube – viele Tage hindurch jene Frage zu stellen, ohne den ge-ringsten Zweifel jedoch . . . Da auf einmal fühlte ich mich erhoben und ward erleuchtet und schaute die unaussprechliche Macht Gottes, seinen Willen, seine Gerechtigkeit, seine Güte – und nun verstand ich alles sonnenklar, was ich vorher gefragt hatte. Und meine Seele ward herausgezogen aus allem vorigen Dunkel. War ich vorher am Boden gelegen, so stand jetzt auf den Füßen, auf den Fußspitzen förmlich, in einer Frische und verjüngten Kraft, wie ich es nie bisher erlebt hatte.

Ich sah vollkommen ein, daß Gott uns auf andere Weise hätte selig machen können, wenn er gewollt hätte, aber ich verstand nun auch, daß er uns seine Macht und Güte nicht besser offenbaren und begreiflich machen können.

Seitdem lebe ich so zufrieden und zuversichtlich, daß nichts mich betrüben oder in meinem Eifer und Fleiß zum Gebet und Verherrlichung Gottes stören könnte, selbst nicht, wenn ich meiner Verdammung gewiß wäre. So deutlich erkannte ich Gottes Gerechtigkeit und die Billigkeit seines Ratschlusses . . . Ich schaute das wandellose göttliche Wesen. Es ist so schwer zu beschreiben, daß ich Ihm keinen anderen Namen geben kann als das Allgut. Und meine Seele schwebte in unsäglicher Freude. Was ich da sah, es war nicht Liebe – es war ein unbeschreibliches Wesen.

Zufolge der Entrückung vom früheren Zustand in diesen neuen bin ich außerstande zu sagen, ob ich leiblich zugegen oder dem Körper entflogen war. Frühere Zustände kamen mir jeden-falls nicht so erhaben vor wie dieser. Er hinterließ in mir die Zerknirschung über die Sünden und den festen Entschluß zur Tugend, bei einer Stimmung, in der ich alles liebend betrachte, das Böse sowohl wie das Gute, die Untat wie die Wohltat, weil mich nichts mehr verdrießt, so groß ist mein innerer Friede, so groß die Verehrung des göttlichen Ratschlusses.

Kehre ich aus diesem Zustand der Liebe zum Alltag zurück, so bin ich in meinem Frieden ganz engelhaft. Ich habe mein Wohlgefallen an Würmern, an Kröten, an Teufeln sogar. Und sehe ich etwas bei andern, und wäre es auch Sünde, es könnte mir nicht mißfallen. Denn ich weiß daß es Gott geschehen läßt nach gerechtem Plan. In solchem Zustand wäre es mir einerlei, ob ein Hund mich zerfräße, und ich glaube nicht, daß irgend ein Leiden mir weh tun könnte. Selbst eine peinvolle Erinnerung an Christi Leiden kann in diesem Zustand nicht bestehen und niemals eine Träne fließen. Es ist dies ein erhabenerer Zustand, als da der heilige Franz in steter Versunkenheit am Fuß des Kreuzes war.

Das ist die eine Weise, wie Gott sich der Seele offenbart. Da fühle ich Ihn anwesend im Innern meiner Seele, und ich verstehe, wie Er in der ganzen Natur, in allen Dingen, die da sind, zugegen ist, im gefallenen Engel und der Hölle wie im Paradiese, in Ehebruch und Totschlag wie in guten Werken und in allem, dessen Grund Er ist, Schönem sowohl als Häßlichem. In dieser Erkenntnis freue ich mich nicht weniger am Anblick Gottes oder eines guten Engels oder eines guten Werkes wie am Anblick eines schlechten.

Auf diese Weise offenbart sich Gott in meiner Seele ohne Unterlaß, und es die Art Vergegenwärtigung eine Erleuchtung in großer Wahrheit und göttlicher Gnade. Im Gefühle dieser Erleuchtung empfängt die Seele viele Gnaden. Sie ist nicht fähig, sich gegen etwas zu versündigen. Denn ganz durchdrungen von dieser göttlichen Gegenwart erniedrigt sie sich ganz und gar und ist in Schrecken ob ihrer Sünden. Zugleich empfängt sie tiefe Weisheit, mächtige Freude, starken göttlichen Trost.

Ein anderes Mal zeigt sich ihr Gott auf eine besondere Weise, ganz verschieden von dem Gesagten. Und eine ganz andere Freude noch schenkt Er ihr und zieht sie völlig in sich hinein, . . . daß diese zweite Art von Gegenwart Gottes mit anderem zusammen jenes Gut ausmacht, das die Heiligen genießen im ewigen Leben . . . Doch darüber kann man nicht das Geringste sagen. Da versagt alles Denken und alles Begreifen. Es ist ganz unmöglich, Sinn und Wortlaut dieser Dinge wiederzugeben. Sie ragen weit über alles hinaus.

Gottesschau in der Finsternis
Einmal, da meine Seele erhoben wurde, erblickte ich Gott in einer Klarheit und Fülle, wie ich Ihn nie zuvor geschaut hatte. Ich sah hier nicht nur nicht Liebe, sondern verlor zugleich jene Liebe, die ich früher gehegt hatte, und ward versetzt in einen Zustand des Nichtliebens. Danach erblickte ich Ihn in einer Finsternis – Finsternis sage ich, weil Er ein Gut ist über alles Denken und Fassen, u
nd möchte man fassen und begreifen was immer, es reicht nicht an Ihn hinan. Und die Seele empfand einen unverrückbaren Glauben und eine sichere, starke Hoffnung und eine Zuversicht in Gott, so unbedingt, daß alle Furcht zu Ende ist . . . Bei solcher Schauung ist die Seele nicht einmal des Gedankens fähig, daß sie jemals jenes höchste Gut verlassen oder von ihm verlassen wer-den könnte. Sie wird in diesem Allgut unsagbar entzückt, sie sieht kein Mittel, es mit dem Munde zusagen oder auch nur mit dem Herzen zu fassen – sie sieht nichts und sieht doch alles in allem.

Wenn die Seele die göttliche Macht und Weisheit schaut, wenn sie den göttlichen Willen sieht oder was ich sonst schauen durfte an Wunderbarem und Unaussprechlichem – es kommt dem wandellosen Gut nicht gleich. Es sind Teile. Jenes aber, das ich sehe, ist das Allgut. Wenn man die Teile schaut, erregen sie, so unaussprechlich sie auch sind, eine mächtige, den Leib durchströmende Freude. Wenn man aber in jener Finsternis sieht, regt kein süßes Lachen um den Mund und keine Glut und keine fromme Rührung im Herzen zu einer feurigen Liebe – der Leib bleibt regungslos, er zuckt nicht auf und erleidet nicht jene Veränderungen, wie es bei den anderen Erlebnissen der Fall war. Es ist ein schauen der Seele, nicht des Leibes. Der Leib ruht und schlummert, die Zunge ist gelähmt, die Rede verstummt. Alle Liebeserweise, deren Gott mir so viele und unsagbare erwiesen hat, und alle zärtlichen Worte, die Er an mich gerichtet, sind ein Geringes gegen jenes hohe Gut, das ich in der Finsternis erschaue . . . Und wenn sie alle nur Trug wären, so würde ich um nichts geschwächt meine Zuversicht und mein Verlaß auf jenes unantastbar Gewisse, was ich in jener großen Finsternis gewahrte . . . Bis dahin ward meine Seele bloß dreimal so erhoben.
Ich schaue in der Finsternis die Heiligste Dreifaltigkeit, und mir ist, als stehe und weile ich mitten in Ihr. Sie zieht mich stärker als irgend etwas, was sonst ich empfand, stärker als irgend ein anderes Gut, das ich schauen durfte. Kein Vergleich zwischen diesem und jenem. Was immer ich davon sage, es kommt mir vor, als hätte ich nichts gesagt. Das wenige scheint mir schon eine Gotteslästerung, so hoch steht jenes Allgut über meinen Worten. S.50ff.
Aus: Die große Glut. Textgeschichte der Mystik im Mittelalter. Von Otto Karrer, Verlag „Ars sacra“ Josef Müller, München

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