Aurelius Augustinus (354 – 430)

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Inhaltsverzeichnis
Christus der fleischgewordene Logos (Bekenntnisse: 7. Buch)
Christus – Gottmensch und Mittler (Vom Gottesstaat)
Der wahre Mittler (Bekenntnisse: 10. Buch)


Christus der fleischgewordene Logos
(Bekenntnisse, 7. Buch)
So sucht ich nach dem Weg der Kraft, die mir so nötig war, dein zu genießen. Doch ich fand ihn nicht, bis ich zu dem griff, der da ist der »Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus, der ist über alles, Gott, hochgelobt in Ewigkeit«. Und der ruft zu uns und spricht: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben«. Er hat die Speise, die ich zu schwach zu nehmen war, dem Fleisch gemischt, da das Wort Fleisch geworden, dass unsrer Kindesschwäche Milch werde deine Weisheit, in der du alles schufst. Doch ich begriff ihn nicht, demütig den Demütigen, meinen Herrn, Jesum Christum, und ich verstand nicht, was uns seine Schwachheit lehren sollte. Dein Wort ist ewige Wahrheit. Und hoch über allem, was da höchste Schöpfung ist, erhebt es zu sieh, was sich vor ihm beugt. Inmitten der Niedrigen aber baut er aus dem Lehme unsrer Menschlichkeit sein armes Haus, dass es die niederbeuge, die sich beugen sollen, und hinüber zu sich ziehe, die Hoffart heilend und die Liebe nährend. Sie sollten länger nicht im sündgen Selbstvertrauen leben, sie sollten schwach und willig werden, da sie zu ihren Füßen, »unseres armen Erdenkleids teilhaftig«, die Gottheit schwach und willig sehen, sie sollten müd zu ihr sich niederwerfen, dass sie aufstehe und sie mit sich hebe.

Ich aber dachte anders. Ich sah in Christus, meinem Herrn, nur einen Mann von glänzend übergroßer Weisheit, dem keiner sich vergleichen lasse, deshalb zumal nicht, weil er aus der Jungfrau Schoß auf wunderbare Art geboren ward und weil ihm so um unsretwillen die Gnade Gottes höchstes Ansehn gab, dass er als Lehrer uns zum Beispiel werde, wie wir der verheißenen Unsterblichkeit zulieb das Irdische missachten sollen. Was aber jener Satz »das Wort ist Fleisch geworden« Geheimnisvolles in sich schließe, das konnte ich nicht einmal vermuten. Nur soviel hatte ich gesehn aus dem, was uns die Schriften über ihn berichten, daß er nämlich aß und sank, schlief, wandelte, sich freute, traurig ward, gesprochen hat, nur soviel hatte ich gesehn, daß dieses Fleisch nicht anders konnte mit dem Wort vereint gewesen sein als mit dem Geist und mit der Seele eines Menschen. Das sieht ein jeder, der erkannt hat, daß dein Wort ohne Wandel und ohne Wechsel ist, und das hatte ich schon längst erkannt, so gut ich es vermochte, und nie und nimmer zweifelte ich dran. Denn jetzt mit Willen seines Körpers Glieder zu bewegen, jetzt wieder nicht, jetzt zu empfinden und jetzt wieder nicht, jetzt weise Gedanken durch das Wort zu offenbaren und jetzt zu schweigen wieder, das tun nur Geist und Seele, die sich ändern und sich wandeln. War aber alles das, was man der Art von ihm berichtet, falsch, so konnte doch auch alles andre Lüge sein, und für die Menschheit blieb in jenen Büchern kein Heil des Glaubens mehr zurück. Weil also wahr sein mußte, was geschrieben steht, so sah ich nun in Christus einen ganzen Menschen, nicht nur den Leib des Menschen oder mit dem Körper noch die Seele ohne Geist. Doch sah ich auch in ihm nur einen Menschen, nicht die Wahrheit selber, einen Menschen freilich, der in großer Herrlichkeit der menschlichen Natur, und weil er mehr als andere teilhaftig war der vollen Weisheit, hoch über allen andern Menschen stehe. Alypius aber war der Meinung, die Katholiken glaubten, Gott sei in Christus ganz vom Fleisch umkleidet, so daß in ihm nur Gott und nur das Fleisch und nicht auch eine Menschenseele lebe, und dass nach ihrer Lehre kein Menschengeist in ihm lebendig sei. Und da er nun davon ganz überzeugt war, dass alles, was die Überlieferung von Christus sage, nur denkbar sei bei einem sinnlichen vernünftigen Geschöpf, war er nicht sehr geneigt, den Christenglauben anzunehmen. Doch später, als er hörte, es sei dies nur der Irrtum der apollinaristischen Ketzer, unterwarf er sich mit Freuden dem katholischen Glauben. Ich aber gestehe, dass ich später erst gelernt, wie in dem »das Wort ist Fleisch geworden« die katholische Wahrheit sich von dem Irrtum des Photinus unterscheidet. So wird durch die Verwerfung der Häretiker erst deutlich, was die Kirche glaubt, und was die echte reine Lehre ist. »Denn Irrlehren müssen sein, damit sich die Bewährten offenbaren unter Schwachen«. S.136-138

Christus – Gottmensch und Mittler (Vom Gottesstaat)
Da aber dieser geistige Sinn selbst, dem seiner Natur gemäß Vernunft und Erkenntnisvermögen innewohnt, durch verfinsternde und alteingewurzelte Gebrechen geschwächt ist, musste er erst durch den Glauben belehrt und gereinigt werden. Nur so vermag er jenem unwandelbaren Lichte genießend anzuhangen, ja auch seinen Glanz nur zu ertragen, bis er dann, täglich mehr erneuert und geheilt, einer so hocherhabenen Seligkeit fähig wird. Und auf dass er im Glauben mit um so größerer Zuversicht zur Wahrheit hinanwandelte, zog die Wahrheit, Gott und Gottes Sohn, die Menschheit an, ohne die Gottheit abzulegen, und stiftete und begründete diesen nämlichen Glauben: auf dass der Mensch durch den Gottmenschen zu Gott wandelte; denn der Mensch Jesus Christus ist der Mittler Gottes und der Menschen. Dadurch nämlich ist er Mittler, wodurch er Mensch ist; und eben dadurch ist er auch der Weg. Denn ist zwischen dem, der da wandelt, und dem Ziele, wohin er wandelt, ein Weg in der Mitte: dann ist auch die Hoffnung da, ans Ziel zu gelangen; fehlt es aber an diesem Wege, oder ist es nicht kund, wo dieser Weg ist: wozu nützt es dann, das Ziel zu wissen, das erreicht werden soll? Der einzige, gegen alles Abirren völlig sichernde Weg aber ist, dass er selbst Gott und zugleich auch Mensch sei: als Gott das Ziel, wohin wir gehen, als Mensch der Weg, durch den wir gehen.

Und er, der früher durch die Propheten, dann in eigener Person, späterhin aber durch seine Apostel so viel in der Rede offenbarte, als er nötig erachtete, er schuf auch jene Schrift, die kanonisch genannt wird und im Glanze des höchsten Ansehens strahlt, der wir Glauben beimessen in jenen Dingen, die uns nicht ungewusst bleiben dürfen, und die wir doch nicht durch uns selbst zu wissen imstande sind. Denn können wir kraft unseres Bewusstseins Dinge wissen, die von unsern innerlichen oder auch äußerlichen Sinnen nicht entfernt sind (weshalb wir dies auch Gegenwart nennen, als ob sie zugegen wären und auf unsere Aufmerksamkeit warteten), und können wir wahrnehmen, was uns vor Augen liegt: so müssen wir wahrlich für jene Dinge, die fern von unseren Sinnen sind, und die wir aus eigenem Zeugnisse nicht wissen können, andere Zeugen suchen und uns an das halten, was jene uns berichten, von welchen wir glauben, diese Dinge wären nicht fern von ihren Sinnen gewesen. Gleichwie wir also in sichtbaren Dingen, die wir nicht gesehen haben, denen glauben, die sie sahen, und ihnen auch in andern Dingen, die unter andere Sinne fallen, Glauben schenken: ebenso müssen wir auch in Dingen, die nur durch das Gemüt wahrgenommen werden (das höchst richtig innerer Sinn genannt wird, und von dem lateinischen Ausdruck sensus das Wort sententia oder Ausspruch des inneren Sinnes gebar), nämlich in unsichtbaren Dingen, die von unseren äußerlichen Sinnen entfernt sind, denen glauben, die sie in jenem unkörperlichen Lichte inne geworden oder sie darin ruhend schauen.
S.211f.

Der wahre Mittler (Bekenntnisse, 10. Buch)
Wen fände ich, der mich mit dir versöhnte? Und sollt ich deshalb zu den Engeln gehen? Wie sollte ich sie bitten? wie beschwören? Von vielen habe ich gehört, die es versuchten, zu dir zurückzukehren, und die es nicht vermochten. Die nun versuchten solches und fielen in die Gier, seltsame Dinge zu erschauen, und Trug und Schein verdienten sie sich billig. Denn statt demütig ihre Brust zu schlagen, blähten sie sich auf im Stola und Prunk der Wissenschaften und lockten in der Gleichheit ihres Herzens sich den Mitverschwornen und Gesellen ihres Stolzes an die Seite, »den Mächtgen dieser Luft«, und der verführte sie mit zauberischem Trug, da sie den Mittler suchten, der sie reinigen sollte, und er war es nicht. Denn »Satan hatte sich verstellt zum Engel des Lichts«. Und ihrem stolzen Fleische schmeichelte gar sehr, dass er nicht körperlichen Fleisches war. Denn sie waren Sterbliche und Sünder; du aber, Herr, dem sie in ihrem Stolze sich versöhnen wollten, du bist ohne Tod und ohne Sünde. Der »Mittler aber zwischen Gott und Menschen«, der muss haben, was ihn Gott, und haben, was ihn auch den Menschen ähnlich macht; denn wär er nur den Menschen ähnlich, wär er weit von Gott, und wär er Gott nur ähnlich, wär er von den Menschen weit und könnte so nicht Mittler sein. Jener falsche trügerische Mittler aber, durch den nach deinem rätselvoll verborgnen Urteil den Stolz gerechte Strafe trifft, der hat das eine mit dem Menschen gleich, die Sünde, und das andere will er mit Gott gemeinsam haben, daß er, weil ihn kein sterblich Fleisch umhüllt, sich als unsterblich rühmt. Doch da »der Sünde Sold der Tod ist«, hat er nur das gemeinsam mit den Menschen, um dessentwillen ihn Verdammnis trifft und Tod.

Der wahre Mittler aber, den du nach deiner still verborgenen Barmherzigkeit den Niedrigen gezeigt hast und gesandt, dass sie an seinem Beispiel Demut lernten, jener
»Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus«, der stand zwischen dem sterblichen Sünder und dem unsterblichen Gerechten, ein Sterblicher den Menschen gleich, gerecht wie Gott, damit er, weil der Gerechtigkeit Lohn das Leben und der Friede ist, durch seine gottverbundene Gerechtigkeit den Tod vernichten könne den gerechtgewordenen Sündern, den Tod, den er gemein mit ihnen haben wollte. Und dieser Mittler ward den alten Heiligen gezeigt, dass sie gerettet würden durch den Glauben an sein künftiges, wie wir gerettet werden sollen durch den an sein vergangnes Leiden. Denn wie er Mensch ist, ist er unser Mittler; doch wie er Wort ist, ist er nicht Mittler, sondern Gott gleich, Gott bei Gott, ein einiger Gott zusamt dem heilgen Geist.

Wie hast du uns geliebt, du gütger Vater,
»der du des einzgen Sohnes nicht geschont hast, sondern um unsretwillen ihn den Sünden übergabst«! Wie hast du uns geliebt, da er um unsretwillen, »der es nicht für Raub hielt, dir zu gleichen, gehorsam wurde bis zum Tod des Kreuzes«! Und er allein, »frei unter Toten«, hat »die Macht, sein Leben hinzugeben, und hat die Macht, es wiederum zu nehmen«. Für uns ist er vor deinen Augen Sieger geworden und Opfer, und darum Sieger, weil er Opfer wurde; für uns ist er vor deinen Augen Priester geworden und Geopferter, und darum Priester, weil Geopferter. Aus dir geboren und dir dennoch dienend hat er uns aus Dienenden gemacht zu deinen Kindern. So tu ich gut, mein starkes Hoffen ganz auf ihn zu setzen, denn durch ihn nur wirst du alle meine Schwachheit heilen, durch ihn, der »sitzt zu deiner Rechten und der für uns bittet«. Sonst müsste ich verzweifeln ohne Hoffnung. Denn viel und groß ist diese meine Schwachheit, gar viel und groß, doch größer noch sind deine Mittel, sie zu heilen. Wir hatten glauben können, weit von den Menschen sei dein Wort, und hätten so an uns verzweifeln können, wenn es nicht Fleisch geworden wäre und wohnte unter uns.

Geschreckt von meinen Sünden und erdrückt von der Last des Elends, hab ich‘s bei mir im Herzen umgetrieben und bedacht, in Einsamkeit zu fliehen. Doch du hieltest mich zurück und stärktest mich und sagtest:
»Darum ist Christus gestorben für alle, damit, die leben, nicht sich leben, sondern ihm, der für sie starb und auferstand«. Sieh, Herr, so werf ich auf dich all meine Sorge, dass ich lebe, und »will betrachten das Wunderbare deines Gesetzes«. Du weißt, wie unerfahren und wie schwach ich bin: so lehre mich und heile mich! Er, dein Eingeborener, »in dem alle Schätze verborgen sind der Weisheit und Erkenntnis«, er hat mich freigekauft mit seinem Blut. Es sollen mich die Stolzen nicht beschimpfen, dass ich des Preises denke, der mich losgekauft, dass ich ihn esse und ihn trinke und ihn spende, dass ich in meiner Armut wünsche, an ihm satt zu werden, zugleich mit denen, die da essen und gesättigt werden; und ihn preisen werden, die da nach ihm suchen! S.199ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 80, Augustinus, Bekenntnisse und Gottesstaat
Sein Werk ausgewählt von Joseph Bernhart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlages, Stuttgart