Aurelius Augustinus (354 – 430)
![]() |
In
Numidien (Nordafrika) geborener Philosoph und Theologe, der sich
nach bewegten Jugendjahren zu einem tiefgläubigen systematischen
Denker und zum größten lateinischen Kirchenlehrer des christlichen
Altertums entwickelte. Als Lehrer der Rhetorik in Tagaste,
Karthago, Rom und Mailand tätig,
wandte sich Augustinus zunächst dem Manichäismus (spätantike
gnostisch-synkretische Religion) und später dann dem Neuplatonismus zu. Nach seiner Bekehrung wurde er im Jahre 387 von Ambrosius getauft und war seit 395 Bischof von
Hippo Regius.. Seine Philosophie ist ein christlicher Platonismus (Neuplatonismus). Im Kampf gegen die akademische
Skepsis betont Augustinus als erster die
entscheidende Bedeutung des Bewusstseins als unmittelbaren Ausgangspunkt aller Wahrheitserkenntnis. Die apriorische Einsicht, etwa die der mathematischen
Wahrheiten, erklärt er durch göttliche Erleuchtung.
In ihr habe der menschliche
Geist teil an den göttlichen Ideen und schaue in diesen die unveränderlichen Wahrheiten.
Gott habe Welt und Zeit erschaffen und von Anfang an in die Materie sich später entfaltende Keimkräfte gelegt. Im Gegensatz zur antiken Auffassung war für
ihn die Menschheitsgeschichte nicht ein in sich zurückkehrender und
sich wiederholender Kreislauf, sondern ein einmaliger - mit der Weltschöpfung
beginnender und dem Weltgericht endender – Prozess. In den letzten
Jahren seines Lebens kämpfte er besonders gegen die
Pelagianer. Seine Polemik gegen diese betont die Wirkung von Gnade und Erbsünde so stark, dass sie als Neigung zur Prädestinationslehre verstanden werden kann. |
Inhaltsverzeichnis
Ekstatische
Gotteserkenntnis im unveränderlichen Licht der Ewigkeit (Bekenntnisse:
7. Buch)
Die sinnlichen Hemmungen der Gotteserfahrung
(Bekenntnisse:10. Buch)
Der
Augustinische Gottesbeweis (Über wahre
Religion)
Der gereinigte
Gottesbegriff (Bekenntnisse: 7. Buch)
Schöpfung und Zeitlichkeit
(Vom Gottesstaat:
11. Buch, 4-8)
Die schöpferische Dreifaltigkeit
(Vom Gottesstaat)
Die Schöpfung als Abbild der
dreifaltigen Gottheit (Vom Gottesstaat)
Über die Engel: Morgen-
und Abenderkenntnis, Die Staaten
des Lichtes und der Finsternis (Vom Gottesstaat)
Gegen die Ewigkeit der Schöpfung
und ewige Wiederkehr (Vom
Gottesstaat)
Scheidung von Licht und Finsternis
(Vom Gottesstaat)
Der Ursprung des Bösen
(Bekenntnisse: 7. Buch)
Der Neid macht den Teufel zum
Teufel (Über wahre Religion)
Die Ursünde des Abfalls
(Vom Gottesstaat)
Der ewige Sabbat (Vom Gottesstaat)
Vom Tode (Vom
Gottesstaat, 13. Buch)
Ausgewählte Briefe - Drittes Buch
Brief an Proba
>>>Christus
Christus der fleischgewordene Logos (Bekenntnisse:
7. Buch)
Christus – Gottmensch
und Mittler (Vom Gottesstaat)
Der wahre Mittler (Bekenntnisse:
10. Buch)
Ekstatische
Gotteserkenntnis im unveränderlichen Licht der Ewigkeit
(Bekenntnisse: 7. Buch)
Aufgefordert, zu mir selbst zurückzukehren trat ich, von dir geführt,
in mein Inneres ein; dies gelang mir, weil du dich zu meinem Helfer gemacht
hast. Ich trat also in mich ein, und mit dem Auge meiner Seele, so schwach es
auch war, sah ich oberhalb dieses Seelenauges, oberhalb meines Geistes, das unveränderliche Licht. Nicht dieses irdisch-gewöhnliche,
das allem Fleisch sichtbar ist, auch nicht eines, das von derselben Art, nur
größer war, so als strahle irdisches Licht viel heller und erfülle
alles mit seinem Schein. Nein, so war jenes Licht nicht,
sondern anders war es, ganz anders als irdisches Licht. Und es war nicht in
der Weise oberhalb meines Geistes, wie Öl über Wasser schwimmt oder
der Himmel über der Erde steht. Es war höher, weil es mich gemacht
hat, und ich war tiefer, weil von ihm gemacht.
Wer die Wahrheit kennt, kennt es, und wer es kennt, kennt
die Ewigkeit. Die Liebe kennt es. Ewige Wahrheit und wahre Liebe und
geliebte Ewigkeit! Du bist mein Gott; ich seufze zu dir Tag und Nacht. Kaum
lernte ich dich kennen, da hobst du mich auf, so daß ich sehen konnte,
daß wirklich ist, was da zu sehen war, daß ich aber noch kein Sehender
war. Du strahltest gewaltig über mir und schlugst meinen schwachen Blick
zurück; ich erbebte vor Liebe und Erschrecken. Ich fand, daß ich
weit weg von dir war, in der Region des Andersseins. Es war, als hörte
ich deine Stimme aus der Höhe: »Ich bin die
Speise der Starken. Wachse und iß dann von mir! Aber du wirst mich nicht
wie eine leibliche Speise in dich verwandeln, sondern du wirst in mich verwandelt
werden.« Ich erkannte, daß du den Menschen gezüchtigt
hast wegen der Sünde und daß du meine Seele zerfetzt hast wie ein
Spinnengewebe, und ich sagte: »Gibt es denn überhaupt keine Wahrheit,
da sie sich weder in endlichen noch in unendlichen Räumen findet?« Da riefst du von weitem: Doch! Ich bin, der ich bin. Das hörte ich, wie man im Herzen hört. Ich konnte überhaupt nicht
daran zweifeln. Eher hätte ich gezweifelt, ob ich lebte, als daran, daß
die Wahrheit existiert, die wir geistig erfassen auf dem Weg über das,
was gemacht worden ist.
Dann blickte ich mit meinem geistigen Auge auf
all die Dinge unter dir und sah, daß sie weder im vollen Wortsinn sind,
noch daß sie im vollen Wortsinn nicht sind, sondern daß sie sind,
weil sie von dir stammen, daß sie aber nicht sind, weil sie nicht sind,
was du bist. Denn nur das ist, im wahren Sinne dieses Wortes, was unveränderlich
beharrt. Für mich aber ist es gut, mich an Gott zu halten, denn wenn ich
keinen Halt finde in ihm, finde ich ihn schon gar nicht in mir. Er, der in sich
verharrt, er erneuert alles. Und du bist der Herr, mein Gott, weil du meiner
Güter nicht bedarfst. S.184f. [...]
Für mich blieb erstaunlich, daß ich jetzt dich liebte, nicht ein
Phantasiebild statt deiner. Aber noch hatte ich keinen festen Stand gewonnen
im Genuß [frui] meines Gottes: Bald riß deine Schönheit mich
zu dir hoch, bald riß mich mein Gewicht von dir weg, und stöhnend
stürzte ich herab zu diesen irdischen Dingen, und dieses Gewicht war die
fleischliche Gewohnheit. Was aber bei mir blieb, war die Erinnerung [memoria]
an dich, und ich zweifelte überhaupt nicht mehr, daß das Wesen existiere,
dem ich anhängen sollte, und daß nur ich noch nicht als der existierte,
der ihm anhängen könnte, denn unser Körper, der Zerstörung
unterworfen, beschwert die Seele, und unsere irdische Behausung drückt
den Geist nieder, der vieles bedenkt. Dennoch war ich dessen ganz gewiß,
daß dein Unsichtbares von der Grundlegung der Welt her geistig erfaßt
wird auf dem Weg über das, was gemacht worden ist, ebenso deine ewige Macht
und Gottheit. Denn wenn ich mich fragte, nach welchem Maßstab ich die
Schönheit der Körper am Himmel oder auf der Erde beurteilte und was
es in mir sei, wenn ich ungebrochen Dinge beurteilte, die sich verändern,
und wenn ich sagte: »Dies ist, wie es sein soll, jenes nicht« —
wenn ich mich also fragte, nach welchem Maßstab ich solche Urteile aussprach, dann fand ich über meinem veränderlichen Geist die unveränderliche und wahre Ewigkeit der Wahrheit. Und so stieg ich stufenweise auf, von den Körperdingen
beginnend: zunächst zu der Seele, die wahrnimmt mit Hilfe eines Körpers;
von da zu deren innerer Kraft, der die Sinne die äußeren Eindrücke
vermitteln und die auch die Tiere besitzen; und von da weiter zur Denkkraft,
der zur Beurteilung vorgelegt wird, was die äußeren Sinne aufnehmen;
und indem diese sich in mir als veränderlich erfaßte, reckte sie
sich auf zur Einsicht ihrer selbst, sie befreite das Denken aus der Gewohnheit,
indem sie sich den widersprüchlichen Massen von Phantasiebildern entzog,
um das Licht zu entdecken, das sie überkam,
als sie völlig frei von Zweifeln ausrief, das Unveränderliche sei
dem Veränderlichen vorzuziehen. In diesem Licht kannte sie das Unveränderliche
denn wenn sie es nicht irgendwie kennte, könnte sie es nicht mit aller
Gewißheit dem Veränderlichen vorziehen —, und so erreichte
sie im Blitz eines erzitternden Blicks das Wesen, das wahrhaft ist. Damals
erfaßte ich wirklich geistig dein Unsichtbares auf dem Weg über das,
was du gemacht hast, aber ich konnte den Blick darauf nicht festhalten. Zurückgeworfen
durch meine Schwäche, kehrte ich zum Gewöhnlichen zurück. In
mir blieb nichts zurück als ein liebevolles Erinnern, wie das Verlangen
nach einer Speise, deren Duft ich gerochen hatte, die ich aber noch nicht essen
konnte. S.189f.
Aus: Aurelius Augustinus, Bekenntnisse. Mit einer
Einleitung von Kurt Flasch, übersetzt, mit Anmerkungen versehen und herausgegeben
von Kurt Flasch und Burkhard Mojsisch
Reclams Universalbibliothek Nr. 2792 © 1989 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlags
Die
sinnlichen Hemmungen der Gotteserfahrung
Und meine ganze Hoffnung ist nur in deinem großen Erbarmen. Gib was du
verlangst, dann verlange, was du willst Enthaltsamkeit befiehlst du. »Und
da ich wusste«, sagt uns einer, »daß
niemand könne enthaltsam sein, wenn nicht Gott es ihm gibt, so war es Weisheit
schon, daß ich wusste, wer der Geber sei.« Durch Enthaltsamkeit
wird der Mensch gesammelt und zurückgeführt in die Einheit, von der
entfernt er ins Vielerlei zerflossen war. Denn es liebt dich zu wenig, wer neben
dir ein anderes liebt, das er nicht deinetwegen liebt. O Liebe, die du immer
brennst und nie erlischest, o Liebe, mein Gott, entzünde mich! Enthaltsamkeit
verlangst du: gib, was du verlangst, dann verlange, was du willst.
Gewiß verlangst du, daß ich mich enthalte »von
Fleischeslust, Augenlust und Hoffart dieser Welt«. Du hast den
Beischlaf, der nicht Ehe ist, verboten und hast zu Besserem noch als diesem
Erlaubten der Ehe gemahnt. Und weil du mir‘s gegeben hast, so vollbrachte
ich‘s, noch eh ich Verwalter deines Sakramentes wurde. Aber in meinem
Gedächtnis, von dem ich jetzt so viel gesprochen, da sind lebendig noch
die Bilder von solchen Dingen, die meine Gewohnheit dort befestigt hat. Sie
drängen sich im Wachen, freilich ohne Kraft, heran, im Schlafe aber wird
daraus ein Wohlgefallen, mehr noch, schon ein Ja und Tun so ganz nach ihres-gleichen.
Und soviel vermag der Trug solchen Bildes in meiner Seele, meinem Fleische,
daß mich im Schlafe unwirkliche Gesichte überreden, wozu den Wachen
auch die gesehene Wirklichkeit nicht vermag. Bin ich dann nicht ich, Herr, mein
Gott? Wahrhaftig, solch ein Unterschied ist zwischen mir und mir, schon innerhalb
des Augenblicks, wo ich von hinnen in den Schlaf hinübergehe oder vom Schlafe
zurück herüberkomme. Wo bleibt alsdann die Vernunft, kraft welcher
sich der Wache solcher Traumbetörung widersetzt und selbst von der Wirklichkeit,
wenn etwa diese Dinge vor ihm geschehen, sich nicht erschüttern läßt?
Schließt sie sich zugleich mit den Augen? Schläft sie mit den Sinnen
des Leibes ein? Und wie kommt es, daß wir oft auch im Schlafe widerstehen
und eingedenk unseres Vorsat-zes, keusch in ihm verharrend, solchen Lockreizen
jegliche Zustimmung versagen? Und doch ist jener Unterschied (zwischen mir und
mir) so groß, daß, wenn es eben anders kam, wir beim Erwachen zurückfinden
zur Ruhe des Gewissens und dank gerade jener Ungleichheit erkennen, daß nicht wir es getan, was da immerhin als irgendwie an uns Geschehenes uns traurig
macht.
Ist denn, allmächtiger Gott, deine Hand nicht mächtig, alle die Unkraft
meiner Seele zu heilen und mit reicherer Gnade die lüsternen Regungen auch
meines Schlafes zu ersticken? Ja, Herr, du lässest reich und reicher deine
Gnaden in mir wachsen, daß meine Seele, ledig von diesem Vogelleim des
Gelüstes, mir zu dir hin folge, daß sie nicht mehr rebelliere gegen
sich selbst, daß sie auch im Schlafe nicht unter Bildern von tierischer
Geile jene Schändlichkeiten der Unzucht bis zum Fluß des Fleisches
treibe, nein, daß sie nicht einmal den Willen dazu habe. Denn zu verhüten,
daß nichts dergleichen, einem bloßen der als schon Wille verscheuchen
des könnte, uns noch gelüste, in diesem Leben überhaupt, nicht
nur in diesem Mannesalter, ist doch ein Kleines für dich, den Allmächtigen,
der du »mehr zu tun vermagst, als wir bitten und
verstehen«.
Nun hab ich es meinem Herrn gesagt, wie es in diesem Stücke meines Sündenwesens
um mich steht, »frohlockend mit Zittern« ob dessen, was du mir schon
gegeben, trauernd ob dessen, was an mir noch unvollendet, und hoffend, daß
du dein Erbarmen in mir vollenden wer-dest bis zu jenem vollen Frieden, den
mein Innen und mein Außen haben wird bei dir, wenn »der Tod verschlungen ist im Sieg«.
Noch eine andre »Plage« hat der »Tag«.
O daß »er sich an ihr genüge«! Dem täglichen Verfall des Leibs begegnen wir mit Essen und mit Trinken,
bis du uns »Leib zerstörst und Speise«, was wir bedürftig sind, uns reichst mit wundersamer Sättigung, »was
wir verweslich sind, mit ewger Unverweslichkeit umkleiden«. Jetzt
aber ist der Zwang des Essens mir nur lieb. Und gegen diese Lust nun kämpf
ich an, daß sie mich nicht gefesselt halte, und täglich führ
ich fastend wider sie den Krieg und oftmals »bring
ich meinen Leib in Dienstbarkeit«. Doch immer noch ist es mir Lust,
die Schmerzen zu vertreiben. Denn Schmerzen sind Hunger und Durst; sie brennen
und würden töten wie das Fieber, käme nicht die Arzenei von Speis
und Trank zu Hilfe. Und da die immer vor uns liegt als eine reiche Gabe deines
tröstenden Erbar-mens, der du zum Dienste unsrer Schwachheit mit Nahrung
die Erde füllest, den Himmel und das Meer, so wird uns nun die Mühsal
Lust.
Das hast du mich gelehrt, daß ich nun Speis und Trank wie eine Arzenei
nur zu mir nehme. Aber da ich von der Unruhe des Hungers zur Ruhe der Sättigung
übergehe, lauern mir in diesem Übergang schon Schlingen der Begierde.
Schon dieser Übergang ist Lust, und keinen andern gibt‘s als ihn,
zu dem die blinde Not uns treibt. Der Zweck von Speis und Trank ist die Gesundheit,
doch zu ihr tritt als tückisch böse Weggenossin das Vergnügen,
und oft versucht es, ihr voranzugehen, daß um seinetwillen nun geschehe,
was ich nach meinem Wort und Willen nur der Gesundheit wegen tue. Und beide
haben nicht das gleiche Maß: was der Gesundheit schon genug, ist dem Vergnügen
noch zu wenig. Und oft ist‘s ungewiß, ob die notwendige Sorge für
den Leib um Hilfe bittet oder ob schon lügnerisch Lust und Begierde nur
den Dienst verlangen. Und froh um dieser Ungewißheit willen ist die arme
Seele und heuchelt sich mit Freuden die Entschuldigung, es sei nicht klar, wieviel
die gute Sorge um den Leib verlange, und deckt so mit dem Schilde der Gesundheit
nur den Dienst der Lust. Doch täglich such ich wider die Versuchung anzukämpfen
und rufe deine Rechte an zu meiner Hilfe und trage alle meine bange Not zu dir,
weil ich den rechten Weg in diesen Dingen noch nicht kenne.
Die Stimme meines Gottes höre ich, der mir befiehlt »Seht
zu, daß euer Herz ist nicht beschwert mit Völlerei und Trunksucht«. Die Trunksucht zwar ist weit von mir, und du erbarmst dich meiner, daß
sie mir nicht nahe! Doch Völlerei beschleicht noch manchmal deinen Knecht;
erbarm dich meiner, daß sie fern mir sei! Denn »keiner
kann enthaltsam sein, wenn du es ihm nicht gibst«. Vieles reichst
du uns, wenn wir dich darum bitten, und was wir, eh wir darum baten, Gutes schon
empfingen, das haben wir von dir empfangen. Und dies auch haben wir von dir
empfangen, daß wir es danach erkannten. Ein Trinker war ich nie, doch
kannt ich Trinker, die du zu Nüchternen gemacht hast. So ist durch dich
geschehen, daß es die nicht sind, die nie es waren; durch dich auch ist‘s
geschehen, daß die es nimmer sind, die einst es waren; durch dich auch
ist‘s geschehen, daß es beide wissen, durch wen‘s geschehen
ist.
Und noch ein andres Wort von dir hab ich gehört: »Lauf
du nicht hinter der Begierlichkeit des Fleisches und wende dich von dem, was
dir zur Lust ist«. Auch jenes andre, das ich so viel liebe, hörte
ich durch deine Gnade: »Wenn wir essen, gewinnen
wir nicht und verlieren nicht, wenn wir nicht essen«. Und das will
sagen, daß das eine mich nicht reich, das andere nicht arm und elend macht.
Und noch ein andres habe ich gehört: »Ich habe
gelernt, genug an dem zu haben, was ich habe; Überfluß kann ich haben
und Not leiden. Alles kann ich in dem, der mich stärkt«. Sieh,
so spricht ein Krieger vom Himmelsheer und nicht ein Häuflein Staub wie
wir; du aber, Herr, gedenke, »daß wir Staub
sind«, daß du aus Staub den Menschen schufest, daß
»er verloren ward und wiedergefunden«.
Denn er auch konnt es nicht aus sich; denn er auch war nur Staub. Und dein Geist
war‘s, der ihm die Worte einblies, die ich so sehr liebe: »Alles
kann ich in dem, der mich stärkt«. So stärke du mich,
daß ich es kann! Gib, was du forderst, dann fordre, was du willst! Auch
er bekennt, daß er von dir empfangen, und »rühmt er sich, so
rühmt er sich im Herrn«. Und einen andern hört ich bitten, daß er empfange: »Nimm von mir«, sagte
der, »die Lust des Bauches«! Und so
ist klar, du heilger Gott, daß du es bist, der gibt, wenn das geschieht,
was du befohlen hast, daß es geschehe.
Du hast mich gelehrt, du gütger Vater, daß »dem
Reinen alles rein, doch daß es dem nicht gut ist, der da ißt mit
Anstoß des Gewissens«. Und daß »alle
deine Kreatur gut ist und nichts verwerflich, was genossen wird mit Dank«.
Und daß »Speise uns vor Gott nicht Wert gibt«. Und daß niemand »uns richten soll um der Speise
willen und des Tranks«. Und »daß,
wer da ißt, nicht den verachte, der da nicht ißt, und der da nicht
ißt, den verdamme, der da ißt«. Dies habe ich gelernt,
und dafür sei dir Dank und Lob, mein Gott, mein Lehrer, der du mein Ohr
trafst und mein Herz erleuchtetest! So nimm du von mir alle die Versuchung!
Ich fürchte nicht die Unreinheit der Speisen, doch fürcht ich die
Unreinheit der Begierde. Ich weiß, dem Noe war erlaubt, was ihm zur Nahrung
dienen konnte, jede Art von Fleisch, zu essen, Elias nährte sich mit Fleisch,
und den Johannes, diesen Mann der wunderbarsten Enthaltsamkeit, verunreinigten
die Tiere nicht, die Heuschrecken, die ihm Nahrung waren. Ich weiß auch,
daß Esau durch die Gier nach jenem Linsenmus sich hat betören lassen,
daß David selbst sich tadelte, des Dursts nach Wasser wegen, und daß
unser König einst versucht wurde mit Brot und nicht mit Fleisch. Und in
der Wüste ward das Volk gestraft, nicht weil‘s nach Fleisch verlangte,
sondern weil es um des Verlangens willen wider seinen Herrn gemurrt.
Und so inmitten der Versuchungen gestellt, streit ich so täglich wider
meine Gier nach Speis und Trank. Hier ist‘s ja nicht wie bei der Unzucht:
Hier kann ich nicht mit einer einigen Tat des Willens das Böse von mir
legen und es ferner nicht berühren. So muß ich denn die Zügel
meines Gaumens weislich führen, bald lockern und bald straffer halten.
Und wer ist‘s, Herr, der ein Kleines nicht sich über die erlaubte
Grenze reißen ließe? Und der es ist, der ist gar groß und
hoch, und hoch erhebe er drum deinen Namen! Ich aber bin es nicht, ich bin ein
sündger Mensch. Doch ich auch will dir deinen Namen hoch erheben! Und »für
mich bitte und um meiner Sünden willen« der, »der
die Welt besiegt« und der mich zu »den
schwachen Gliedern seines Leibes« zählt, denn »da
ich unvollkommen war‘ da haben deine Augen mich gesehen und eingetragen
sind wir alle in dein Buch«.
Um den Reiz der Wohlgerüche kümmre ich mich wenig. Sind sie nicht
da, such ich sie nicht; und sind sie da, ver¬schmäh ich sie auch nicht,
bereit, sie immer zu entbehren. So scheint es mir, vielleicht auch täusch
ich mich. Denn wohl gibt‘s Dunkelheit in mir, die ich beklagen muß
und die mir ein Vermögen oft verbirgt, das in mir ist. Und wenn die Seele
dann sich selbst nach ihren eignen Kräften fragt, so glaubt sie sich nicht
gern und leicht, weil das auch, was da in ihr ist, gar oft im Dunkel bleibt,
bis die Erfahrung erst ans Licht es bringt. Und niemand soll sich sicher wähnen
in diesem Leben, das »eine einige Versuchung« heißt, ob, wer aus einem Schlechteren ein Besserer werden konnte, nicht
auch aus einem Besseren ein Schlechtrer werde. Nur eine einige Hoffnung gibt
es, ein Vertrauen, eine einige sichere Verheißung, dein Erbarmen!
Hartnäckiger und zäher hielten mich die Freuden des Gehörs in
Fesseln und im Joch. Doch du hast mich gelöst und frei gemacht. Auch heut
noch, ich gesteh es, ruh ich gern im Wohlgefallen an den Tönen der Musik,
wenn sie in kunstvoll lieblichem Gesange vorgetragen und be-seelt ist durch
dein heilges Wort. Doch häng ich nicht mehr so daran wie früher und
vermag mich wohl davon zu lösen, wenn ich will. Doch da sie nun mitsamt
den Worten, die sie erst beleben, bei mir um Einlaß bitten, fordern sie
auch einen Platz in meinem Herzen, würdig ihres Wertes; und wohl ist‘s
möglich, daß ich ihnen nicht den rechten gebe. Aber manchmal glaub
ich, geb ich ihnen doch mehr Ehre als sich ziemt. Ich fühle wohl, daß
diese heilgen Worte, wenn sie gesungen werden, meine Seele in frömmere
und heißre Andachtsgluten tauchen, als wenn sie nicht gesungen würden,
weil jede Regung unsrer Seele nach ihrer Art auch in Gesang und Stimme ihre
Weise hat, etwas wie tief verborgene Verwandtschaft, die sie reizt und anregt.
Oft aber täuschen mich auch nur die Freuden meiner Sinne, und sie betäuben
und betören meine Seele, die drum sich hüten soll, sich ihnen hinzugeben.
Denn statt geduldig dem Verstand zu folgen, um dessentwillen sie nur Zutritt
in die Seele haben, eilen oft die Sin-ne ihm voraus und suchen ihn zu lenken.
Und darin sündige ich oft und weiß es nicht; erst später merk
ich es.
Dann aber wieder, da ich allzu unbedacht mich nur vor jener Täuschung hüten
will, fehl ich durch allzu große Strenge, und so sehr bisweilen, daß
ich all jene süßen Melodien, in denen Davids Psalmen meist gesungen
werden, von meinem Ohr und von der ganzen Kirche ferngehalten wissen möchte.
Dann scheint mir viel besser, was einst, wie ich schon oft erzählen hörte,
Athanasius, der Bischof Alexandriens, angeordnet, daß man die Psalmen
mit so leisen Schwebungen der Stimme singe, daß es mehr ein getragenes
Lesen als Gesang war. Dann aber wieder, wenn ich meiner Tränen mich erinnere,
die ich in deiner Kirche beim Gesang vergossen habe damals in jenen Erstlingstagen
meines neu gewonnenen Glaubens, und wenn ich dann sehe, wie ich heute noch mich
rühren lasse nicht durch den Gesang bloß, durch die Worte vielmehr,
die mit heller Stimme und mit so angemessen süßem Wohllaut ihrer
Melodien gesungen werden, dann wieder seh ich ein, wie großen Nutzens
diese Bräuche sind. So schwank ich hin und her, jetzt die Gefahr der Sinneslust
bedenkend, jetzt die erprobte Heilsamkeit. Doch mehr und mehr bin ich der Meinung,
wenn ich schon damit kein unwiderruflich festes Urteil geben will, daß
in der Kirche das gewohnte Singen wohl zu billigen sei, daß durch die
Lust der Ohren sich die schwächre Seele zu innigerer Frömmigkeit erhebe.
Wenn aber, wie es manchmal mir geschieht, mich der Gesang mehr rührt als
die gesungnen Worte, dann gesteh ich offen, daß ich sträflich sündige.
Und dann auch wollt ich lieber den Gesang nicht hören. Sieh, so bin ich.
Ihr aber weint mit mir und weint für mich, die ihr im Innern solches sinnt,
woraus die guten Taten kommen. Denn sinnt ihr solches nicht, so kann euch dies
nicht rühren. Du aber, »Herr, mein Gott, schau
auf mich und erhör mich«! Sieh mich, »erbarme dich meiner, heile mich«! In deinen Augen bin ich
selbst zum Rätsel mir geworden. Und dies ist meine Krankheit.
Nun bleibt mir noch die Lust der Augen meines Fleisches. Und was ich hier bekenne,
das sollen auch die Ohren deines Tempels hören, die brüderlichen,
liebevollen Ohren. Dann aber rede ich nicht weiter von den Versuchungen der
fleischlichen Begierde, die noch heut mich peinigen, daß ich »aufseufze
und mich sehne, eingehüllt zu werden mit jener Hülle, die vom Himmel
kommt«.
Meine Augen lieben schöne Form und wechselnde Gestalt und leuchtend angenehme
Farben. Meine Seele hänge nicht daran, die hänge nur an Gott, der
dies geschaffen, der es gar gut geschaffen hat. Denn er ist ja mein Gut, nicht
diese Dinge sinds. Die treffen nun mein Aug‘ den lieben langen Tag, solang
ich wach bin, und keine Ruh ist mir vor ihnen, wie ich doch vor den Klängen
manchmal Ruhe linde, wenn alles ringsum schweigt und stille ist. Die Königin
aller Farben aber, das Licht, das frei auf alles fällt, was wir nur sehen,
das kommt zu mir den ganzen Tag, wo ich auch sei, auf mannigfache Weise und
schmeichelt mir so süß, wenn ich auch andres treibe und es nicht
beachten will. Und so mit mächtiger Gewalt weiß es zu fesseln, daß
man, wenn es mit einemmal uns weggenommen wird, mit Sehnsucht danach ruft, und
daß, ist‘s lange weg, die Seele traurig wird.
O Licht du, das Tobias sah mit blinden Augen, da er seinem Sohn den Weg des
Lebens wies und ihm voranging mit dem Fuß der Liebe, ohne irr zu gehen!
Das Isaak sah, als ihm das Alter schon das Aug des Leibs umdunkelt, da er die
Söhne nicht erkannte, um zu segnen, sondern segnen durfte, um sie zu erkennen!
Das Jakob sah, da er im höchsten Alter blinden Auges aus lichtvoll hellem
Herzen sehende Strahlen warf auf all die künftgen Stämme seines Volkes,
jetzt vorbezeichnet schon in seinen Söhnen; da er auf Josefs Söhne,
seine Enkel, die mystisch wundersam gekreuzten Hände legte, so wie er‘s
tief im Innern sah, nicht wie der Vater, der nur draußen stand, es anders
wollte. Dies ist das Licht. Ein einzges ist‘s, ein anderes ist nicht,
und eins und einzig werden alle, die es sehn und lieben. Doch jenes körperliche
Licht, von dem ich sprach, das würzt den andern, die da blind ihr Leben
lieben, mit lüstern und gefährlich süßer Wonne Welt und
Leben. Die aber wissen, seinetwegen dich zu preisen, Gott, du Schöpfer
alles Seins, die tauchen dieses Licht ein in den ewgen Lobgesang des Herrn,
auf daß es sie nicht tauche in den Schlaf des Todes. So will auch ich
es tun. Ich widerstehe den Versuchungen der Augen, daß meine Füße,
die auf deinem Wege wandeln, sich nicht hemmen lassen. Und meine unsichtbaren
Augen heb ich auf zu dir, »daß du mir meine
Füße aus den Schlingen ziehest«. Denn sie verstricken
sich, du aber lösest sie daraus. Du lässest nicht nach, mich draus
zu lösen, da ich immer wieder mich verstricke in den weit und überall
verstreuten Schlingen, du, »der du nicht schläfst
noch schlummerst, du Hirte Israels«!
Was haben nicht in zahllos mannigfachen Künsten sich die Menschen neuen
Augenreiz geschaffen, mit Kleidern und mit Schuhen, mir Gefäßen und
Hausrat aller Art, auch mit Gemälden und mit Bildwerk wechselnd reicher
Form, mit Gegenständen, die weit über den Bedarf des Tages gehen und
über jeden maßvoll ruhigen Gebrauch und Sinn: draußen laufen
sie den Dingen nach, die sie geschaffen, und drin verlassen den sie, der sie
selbst geschaffen hat, und so zerstören sie das Werk, zu dem der Schöpfer
sie geschaffen! Ich aber, du mein Gott und meine Zierde, ich singe auch um dieser
Dinge willen dir dein Lob und bringe dir ein Opfer reinen Lobes, der du mich
geheiligt hast. Denn was an Schönem aus der Seele in die Hand des Künstlers
fließt, das kommt von jener Schönheit, die da über unsern Seelen
ist, nach der sich meine Seele seufzend sehnt so Tag wie Nacht. Die aber diese
äußre Schönheit schaffen und die nach ihr streben, die nehmen
wohl aus jener ewgen Schönheit Maßstab und Urteil, aber nicht die
Regel des Gebrauchs. Sie ist in ihnen, doch sie sehn sie nicht, sonst liefen
sie nicht weiter, sondern »gäben ihre Kraft
in deine Hut« und gössen sie nicht aus an schwächend
trügerische Süßigkeiten. Auch ich, da ich dies sage, da ich
es wohl unterscheiden kann, ich auch auf meinem Wege stoße auf die schönen
Dinge und verstricke mich in ihnen. Du aber machst mich los, Herr, machst mich
los, denn »dein Erbarmen steht vor meinen Augen«.
Gar jämmerlich umschlingen mich die Fesseln, du aber machst mich los in
deinem gnädigen Erbarmen, und oft geschieht es, ohne daß ich‘s
merke, denn unbedacht fiel ich hinein, oft auch ge-schieht‘s mit Schmerzen,
weil ich schon angefangen‘ dran zu hangen.
Dann gibt‘s noch eine andre Weise
der Versuchung, die gar viel gefährlicher noch ist. Denn außer dieser bösen Lust des Fleisches, die in aller Sinnenlust
und aller Gier nach Freude wohnt und die zugrunde richtet, wer ihr fern von
deinem Angesichte dient, lebt in der Seele eine andere Begierde, die durch die
gleichen Sinne ihres Leibes zwar nicht im Fleische sich ergötzen, wohl
aber durch das Fleisch in eitlem Vorwitz Nichtiges erfahren will, was dann geschminkt
wird mit dem Namen der Erkenntnis und der Wissenschaft. Da sie nun im Erkenntnistrieb
beschlossen liegt und da in der Erkenntnis unter allen Sinnen die Augen Fürsten
sind, nennt sie ein Wort des heiligen Geistes die »Begierlichkeit der Augen«. Nur dem Auge ist das Sehen eigentümlich.
Wir aber gebrauchen das Wort auch bei den andern Sinnen, wenn wir ihrer uns
bedienen, irgend etwas zu erkennen. Wir sagen nie: horch, wie das schimmert,
rieche, wie das glänzt, schmecke, wie das leuchtet, oder fühle, wie
das strahlt. Denn von all dem sagen wir: man sieht es. Wohl aber sagen wir nicht
nur: sieh, wie dies leuchtet, was ja allein das Auge sehen kann; wir sagen auch:
sieh, was da klingt, sieh, was da duftet, sieh, was da schmeckt, und sieh, wie
hart das ist. Deshalb wird jede Erfahrung durch die Sinne, wie ich schon gesagt, »Begierlichkeit der Augen« genannt, weil auch die andern
Sinne, wenn sie etwas erforschend zu erkennen suchen, das Amt des Sehens, das
doch an erster Stelle nur dem Auge zukommt, sich gleichermaßen anzueignen
scheinen.
Daraus wird nun der Unterschied genügend deutlich zwischen dem, was an
der Tätigkeit der Sinne dem Vorwitz dient, und was der Lust. Die Lust sucht
das, was schön und klangvoll, wohlriechend, wohlschmeckend und zart anzufühlen
ist; der Vorwitz aber sucht das Gegenteil auch, nicht um Unlust daran zu empfinden,
sondern in der Gier, ein Neues zu erfahren und sich erkennend anzueignen. Was
wäre es denn für ein Vergnügen, einen Leichnam anzusehen, wund
und zerfetzt, wovor ein jeder schaudert? Und doch, sobald da einer liegt, da
strömen sie zusammen, um ihn mit Schrecken und mit bleicher Angst zu sehen.
Im Traum dergleichen nur zu sehen, fürchteten sie sich; und zwingt sie
denn im Wachen einer, es zu sehen, oder lockt und überredet sie erhoffte
Schönheit? Und so ist‘s auch bei allen andern Sinnen, was viel zu
lang ist, einzeln auszuführen. Und um dieser krankhaften Neugier willen
zeigt man im Theater Wunderdinge aller Art. Um ihretwillen
geht man dran, all das Geheimnisvolle der Natur, das doch für unsre Sinne
nicht geschaffen, auszuforschen, und sucht nach Dingen, die zu wissen uns nichts
nützt, und doch ist‘s nur der eine Wunsch bei allen Menschen: zu
erkennen. Und daher kommt‘s auch, daß man in verkehrter Wissenschaft
mit zauberischen Künsten nach Erkenntnis sucht; und daher auch, daß
man die Religion mißbraucht und Gott versucht und Wunder und Zeichen sich
von ihm erbittet, nicht um irgendeines Heiles willen, sondern aus dem Wunsch
nur, Neues zu erfahren.
In diesem ungeheuerlichen Wald, so voll von Tücken und Gefahren, sieh,
wie hab ich vieles schon von mir geworfen und aus meinem Herzen mir vertrieben,
wie du es mir verliehen hast zu tun, »Gott meines
Heils!« Und dennoch, wann darf ich es zu sagen wagen, da mich doch
Tag für Tag so vieles dieser Art umlärmt, wann darf ich es zu sagen
wagen, daß nun nichts dergleichen mehr mich lockt zu schauen und nichts,
in nichtger Sorge es zu greifen? Wohl zieht‘s mich nicht mehr zum Theater,
wohl kümmre ich mich nicht mehr um den Lauf der Sterne, und nie hat meine
Seele Antwort gefordert von den Schatten; all dieses lästerliche Zauberwerk
verdamme ich. Doch daß ich, Herr, mein Gott, von dir ein Zeichen fordre,
dem ich doch treu und einfach dienen soll, wie hat mich nicht dazu der Feind
verführen wollen mit tausendfachen Listen! Ich aber fleh dich an um unsres
Königs willen und bei dem ewigen Jerusalem, bei unsrer heiligen und reinen
Heimat: wie heute schon mir‘s fern ist, darein einzuwilligen, so rücke
du mir‘s ferner noch und ferner! Ein andres aber, weil das Ziel ein andres,
ist es, wenn ich die Heilung eines Bruders von dir erflehe; doch daß ich
hier auch gern dir folge, was du tuest, das gabst du mir und wirst mir‘s
ferner geben.
Und was sind‘s nicht winzig kleine und verachtenswerte Dinge, die täglich
unsre Neugier in Versuchung bringen! Und wie oft fallen wir, wer zählt‘s?
Wie oft geschieht es, daß wir eine nichtige Erzählung, nur um den
schwachen Bruder nicht zu kränken, mit Geduld anhören, und mählich
läßt sich unsre Seele fangen, nun gespannt zu lauschen! Ich gehe
nicht mehr in den Zirkus, um dort zuzusehen, wie der Hund dem Hasen nachläuft;
doch seh ich im Vorübergehen sie auf freiem Feld, so mich doch vielleicht
von ernstem Denken dieses Jagen ab, und vom Wege komm ich, mit den Füßen
nicht, doch mit dem Herzen. Und blöde starr ich auf das Bild, wenn du mir
nicht die Schwachheit meiner Seele zeigst und einen Wink mir gibst, verachtend
dieses Bild zu lassen oder in Betrachtung von ihm aus zu dir mich zu erheben.
Und dann, geschieht‘s nicht oft, daß ich zu Hause sitzend aufmerksam
nach einer Eidechse sehe, die da Mücken fängt, nach einer Spinne,
die sie sich im Netz verstricken läßt? Oder wär das nicht mehr
Neugier deshalb, weil es kleine Tiere sind? Wohl geh ich davon über, dich
zu preisen, du wunderbarer Schöpfer und Erhalter aller Dinge; doch deshalb
war‘s nicht, daß ich sie zuerst so aufmerksam betrachtet. Und ein
andres ist es, schnell sich wieder zu erheben, ein andres, nicht zu fallen.
Und solcher Dinge ist mein Leben übervoll, und all mein Hoffen ruht allein
auf deinem ewigen Erbarmen. Denn wenn wir unser Herz so zum Gefäß
für solche Dinge machen und wenn sich‘s füllt mit wirren Haufen
solcher Nichtigkeiten, so stören und verwirren sie ja immer wieder unsere
Gebete, und indes wir unsre Stimme zu deinen Ohren richten, dringen in deinem
Angesicht von allen Seiten diese nichtigen Gedanken auf uns ein, und nichtig
wird das heilige Geschäft des Betens. S.182ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe
Band 80, Augustinus, Bekenntnisse und Gottesstaat. Sein Werk ausgewählt
von Joseph Bernhart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred
Kröner Verlages, Stuttgart
Der
Augustinische Gottesbeweis
Die
geistlichen Volkserzieher im Alten und Neuen Bunde
Über die Vernunft und
ihre der Wahrnehmung überlegene Urteilskraft
Über
der vernünftigen aber irrenden Seele steht das unwandelbare Gesetz der
Gleichheit, Einheit u. Wahrheit
Diese
Wahrheit, nach welcher, nicht über welche, der Mensch urteilt, ist göttlich,
Gott selbst, Gott-Sohn
Alle Körper weisen Spuren
der Einheit auf, erreichen sie aber nicht
Sinnliche Wahrnehmung
und geistiges Schauen
Die wahre Einheit und die
Einbildungen
Der Ruf zur Stille
Wesen und Ursprung der
Falschheit
Die geistlichen Volkserzieher
im Alten und Neuen Bunde [XXVIII.51]
140. Einige gab es zu Zeiten des irdischen Volkes, die zur
Erleuchtung des inneren Menschen gelangten. Sie waren der Zeitlage entsprechend
eine Hilfe für das Menschengeschlecht; denn sie reichten ihm, was damals
erforderlich war, und kündigten weissagend an, was einstweilen noch nicht
dargereicht werden durfte. Als solche stehen die Patriarchen und Propheten denen
vor Augen, die das köstliche und große Geheimnis göttlichen
und menschlichen Geschehens nicht kindisch angreifen, sondern fromm und andächtig
betrachten.
141. Und wie ich sehe, hüten sich auch im Zeitalter
des neuen Volkes die großen, geistlichen Männer der katholischen
Kirche sehr vorsichtig davor, ihren Zöglingen öffentlich vorzutragen,
was einstweilen nicht vor die Öffentlichkeit gehört. Milchspeisen
flößen sie reichlich und immerfort der Mehrheit ein, die aus Lernwilligen,
aber noch Schwachen besteht; die kräftigere Kost aber teilen sie mit denjenigen,
die schon weise sind; denn Weisheit reden sie unter den Vollkommenen; den fleischlichen
und sinnlichen, wennschon erneuerten, aber noch kindlichen Menschen verhüllen
sie dagegen manches, ohne jemals zu lügen. Es ist ihnen ja nicht um eigene
eitle Ehre und nichtige Lobeserhebungen zu tun, sondern um das Wohl derer, mit
denen sie derzeitig in Gemeinschaft zu leben berufen sind.
142. Denn so hat es die göttliche Vorsehung angeordnet, daß niemandem
durch Höherstehende zum Verständnis und zur Erlangung der Gnade Gottes
verholfen werden soll, der nicht lauteren Gemütes und willig ist, Niedrigerstehenden
zu ebenderselben zu verhelfen. Ebenso ist infolge der Sünde, die unsere
Natur im sündigen Menschen begangen hat, das Menschengeschlecht zur großen
Zier und zum Schmucke des Erdreichs geworden, und so geschickt wird es durch
das Walten der göttlichen Vorsehung geleitet, daß die unbegreifliche
göttliche Heilkunst selbst scheußliche Laster in eine Art Schönheit
umwandelt.
Über
die Vernunft und ihre der Wahrnehmung überlegene Urteilskraft
[XXIX.52]
143. Nunmehr haben wir über die Wohltätigkeit der Autorität so
viel, wie es einstweilen genügen dürfte, vorgebracht und wollen jetzt
sehen, wieweit die Vernunft beim Aufstieg vom Sichtbaren zum Unsichtbaren und
vom Zeitlichen zum Ewigen vordringen kann. Denn nicht umsonst und fruchtlos
soll es sein, wenn wir die Schönheit des Himmels anschauen sowie den geordneten
Gang der Gestirne, den Glanz des Lichtes, den Wechsel von Tag und Nacht, den
monatlichen Lauf des Mondes, die Vierteilung des Jahres, die den vierfachen
Elementen entspricht, die große Macht des Samens, der Gestalten und Zahlen
hervortreibt, und überhaupt alles, das auf seine Art eigenes Maß und Wesen bewahrt.
144. Bei der Betrachtung dieser Dinge darf aber nicht eitle oder flüchtige
Neugierde vorherrschen, sondern sie muß stufenweise zum Unsterblichen
und immer Gleichbleibenden hinaufführen. Denn als erstes gilt es, darauf achtzugeben, was es für eine lebendige Kraft ist, die all
das wahrnimmt. Da sie es ist, die dem Leibe das Leben gibt, muß sie unweigerlich
vornehmer sein als er. Denn körperliche Massen, sie mögen beschaffen
sein, wie sie wollen, sie mögen noch so sehr in sichtbarem Lichte vorleuchten,
sind doch, wenn ihnen das Leben fehlt, nicht viel wert. Vielmehr ist jedes lebende
Wesen jedem beliebigen Leblosen der Naturordnung gemäß vorzuziehen.
145. Doch da unzweifelhaft auch unvernünftige Geschöpfe leben und
empfinden, ist beim beseelten Menschen am vorzüglichsten nicht das sinnliche
Wahrnehmungsvermögen, sondern sein Vermögen, über das Sinnenfällige
zu urteilen. Denn sehr viele Tiere sehen besser und nehmen auch mit den übrigen
leiblichen Sinnen die Gegenstände schärfer wahr als die Menschen.
Aber über Gegenstände zu urteilen, ist nicht Sache eines nur empfindenden,
sondern eines auch vernünftigen Lebewesens. Diese uns auszeichnende Vernunft
fehlt den Tieren. Nun ist es ganz leicht, einzusehen, daß ein Urteilender
höher steht als der Gegenstand, über welchen geurteilt wird.
146. Aber man muß sich klarmachen, daß die Vernunft nicht nur über
sinnenfällige Objekte, sondern auch über die Sinne selber urteilt.
Denn sie begreift, wie es zugeht, daß das Ruder im Wasser gebrochen. zu
sein scheint, obwohl es gerade ist, und warum es die Augen so wahrnehmen müssen.
Der Blick der Augen kann ja nur wiedergeben, was er sieht, aber keineswegs urteilen.
So ist es offenkundig, daß das empfindende Leben dem bloßen Körper,
das vernünftige Leben aber beiden überlegen ist.
Über der vernünftigen aber irrenden Seele steht
das unwandelbare Gesetz der Gleichheit, Einheit und Wahrheit
[XXX. 54]
147. Wenn das vernünftige Leben seinem vernünftigen Wesen gemäß
urteilt, gibt es nichts, was vorzüglicher wäre als es. Doch liegt
es zutage, daß es wandelbar ist, denn es erweist sich bald als einsichtig,
bald als uneinsichtig. Es urteilt aber um so besser, je einsichtiger es ist,
und es ist um so einsichtiger, je mehr es an irgendeiner Kunst, Wissenschaft
oder Weisheit Anteil hat. So muß denn nach dem Wesen der Kunst geforscht
werden. Ich will jetzt aber nicht die Kunst ins Auge fassen, die man sich durch
Erfahrung erwirbt, sondern um die man sich durch vernünftiges Denken bemüht.
148. Denn was weiß schon Bemerkenswertes, wer in Erfahrung gebracht hat,
daß die Masse, die aus einer Mischung aus Kalk und Sand besteht, die Steine
fester zusammenhält als bloßer Lehm? Oder wer so geschmackvoll baut,
daß, wenn es sich um mehrere Bauteile handelt, sie einander gleichen und
gegenüberliegen müssen, während ein einzelner die Mitte einzunehmen
hat? Immerhin kommt dies Stilgefühl der Vernunft und Wahrheit schon näher.
149. Aber nun muß man fragen, warum es uns beleidigt, wenn von zwei Fenstern,
die nicht über-, sondern nebeneinander angebracht sind, das eine größer
oder kleiner als das andere ist, obwohl sie gleich sein könnten, während
uns die Ungleichheit nicht ebenso beleidigt, wenn sie übereinander liegen
und das eine etwa nur halb so groß ist wie das andere. Warum kümmern
wir uns nicht viel darum, um wieviel in diesem Falle das eine größer
oder kleiner ist, wenn es zwei sind? Bei dreien aber fordert, wie es scheint,
der Geschmack, daß sie entweder nicht ungleich sein dürfen, oder
daß das mittlere um soviel kleiner als das größte sein muß,
wie es selbst größer als das kleinste ist. Also wird zunächst
gewissermaßen die Natur befragt, was sie dazu sagt,
150. und es ergibt sich vor allem, daß, was nicht eben mißfällt,
wenn man es allein betrachtet, abgelehnt wird, wenn man es mit Besserem vergleicht.
So erweist es sich, daß die gewöhnliche Kunst nichts anderes ist
als die Erinnerung an gesehene Gegenstände, die einem gefallen haben, verbunden
mit einer gewissen körperlichen Übung und Handfertigkeit. Wenn dir
die aber fehlt und du dennoch über die Werke urteilen kannst, so ist das
bei weitem vortrefflicher, auch wenn du selbst keine Kunstwerke hervorbringen
kannst.
151. Nun ist es in allen Künsten die Symmetrie, die gefällt, und nur
durch sie ist alles wohlbefindlich und schön. Die Symmetrie ihrerseits
aber strebt nach Gleichheit und Einheit, sei es durch Ähnlichkeit gleicher
Teile, sei es durch Abstufung der ungleichen. Aber wen gibt es, der die höchste
Gleichheit und Ähnlichkeit in der Körperwelt zu finden dächte
und bei sorgfältiger Betrachtung zu sagen wagte, daß irgendein Körper
wahrhaft und einfach eins sei? Denn alles wandelt sich und geht bald von einer
Gestalt zur anderen, bald von einem Ort zum anderen über und besteht aus
Teilen, die ihren Platz einnehmen, wodurch sie sich räumlich voneinander
sondern.
152. Folglich kann die wahre Gleichheit und Ähnlichkeit, vollends die wahre
und ursprüngliche Einheit, nicht mit fleischlichen Augen noch mit irgendeinem
anderen Sinne, sondern allein mit dem Geist erkannt und geschaut werden. Denn
wie könnte man irgendwelche Gleichheit bei Körpern anstreben oder
wie davon überzeugt sein, daß sie weit hinter der vollendeten Gleichheit
zurückbleibt, wenn nicht diese im Geiste erblickt würde — falls
man das Ungeschaffene überhaupt vollendet nennen darf?
153. Während nun alles sinnlich Schöne im Bereich der Natur und Kunst,
seien es Körper, sei es körperliche Bewegung, räumlich und zeitlich
schön ist, gilt von jener Gleichheit und Einheit, die nur geistig erkannt
und nach welcher unter Vermittlung der Sinne über die körperliche
Schönheit geurteilt wird, daß sie weder räumlich aufgebläht
noch zeitlich unbeständig ist. Denn man kann doch nicht sagen, daß
man nach ihr wohl die Rundung eines Rades, aber nicht die eines Gefäßes,
oder zwar nach ihr die Rundung eines Gefäßes, aber nicht die einer
Münze beurteilen könne.
154. Ebenso müßte es lächerlich heißen, wollte man, wenn
es sich um Zeiten und körperliche Bewegungen handelt, nach ihr zwar gleiche
Jahre, aber nicht auch gleiche Monate, oder wohl gleiche Monate, aber nicht
auch gleiche Tage beurteilen. Vielmehr, mag sich etwas in diesen Zeiträumen
oder auch in Stunden oder noch kürzeren Fristen bewegen, es wird doch von
einer und derselben unwandelbaren Gleichheit beurteilt.
155. Wenn man also kleinere oder größere Abmessungen von Figuren
und Bewegungen nach demselben Gesetz der Gleichheit oder Ähnlichkeit oder
Übereinstimmung beurteilt, so ist das Gesetz selber größer als
all das, nämlich größer an Macht. Denn was räumliche oder
zeitliche Größe anlangt, ist es weder größer noch kleiner.
Denn wäre es größer, könnte man es nicht als Maßstab
zur Beurteilung des Kleineren gebrauchen, wäre es aber kleiner, könnte
man nach ihm Größeres nicht beurteilen.
156. Da nun aber nach demselben und ganzen Gesetz der Quadratur das quadratische
Forum so gut wie der quadratische Stein oder die quadratische Tafel oder Gemme
beurteilt wird, da ferner nach dem ganzen Gesetz der Gleichheit die Fußbewegungen
der laufenden Ameise und des schreitenden Elefanten als gleichmäßig
beurteilt werden, wer kann dann daran zweifeln, daß es an räumlicher
und zeitlicher Abmessung weder größer noch kleiner ist und doch alles
an Macht übertrifft?
157. Weil nun dies Gesetz aller Künste ganz und gar unwandelbar ist, während
der menschliche Geist, dem es vergönnt ist, solches Gesetz zu schauen,
die Wandelbarkeit des Irrens erleiden kann, erhellt klar genug, daß das
Gesetz, das die Wahrheit heißt, über unsern Geist erhaben ist.
Diese
Wahrheit, nach welcher, nicht über welche, der Mensch urteilt, ist göttlich,
Gott selbst, Gott-Sohn [XXXI.57]
158. Nun besteht kein Zweifel daran, daß das unwandelbare, die vernünftige
Seele überragende Wesen Gott ist, und daß ebenda höchstes Leben
und höchstes Sein zu finden sein muß, wo die höchste Weisheit
ist. Denn das ist jene unwandelbare Wahrheit, die mit Recht das Gesetz aller
Künste und Kunst des allmächtigen Künstlers genannt wird. Wenn
also die Seele fühlt, daß sie Gestalt und Bewegung der Körper
wohl beurteilen kann, aber nicht nach sich selber, muß sie zugleich zugeben,
daß zwar ihr Wesen dem Wesen, das sie beurteilt, überlegen ist, daß
jedoch jenes Wesen, nach welchem sie urteilt und über welches sie schlechterdings
nicht urteilen kann, ihr selber überlegen ist.
159. Denn ich kann wohl sagen, warum die einander ähnlichen Gliedmaßen
jedes Körpers sich beiderseits entsprechen müssen, weil mir die höchste
Gleichheit gefällt, die ich nicht mit leiblichen, sondern geistigen Augen
schaue, und daß ich deswegen alles mit leiblichen Augen Erblickte für
um so edler halte, je mehr es sich seiner Natur nach dem nähert, was ich
geistig erkenne. Aber warum auch dieses so ist, wie es ist, kann niemand sagen,
und niemand sollte so unklug sein, zu behaupten, es müsse so sein, als
wenn es auch anders sein könnte.
160. Weshalb es uns aber gefällt und warum wir es, je verständiger
wir sind, um so inbrünstiger lieben, nicht einmal das wird einer zu sagen
wagen, wenn er es recht erkennt. Denn wie wir und alle vernünftigen Seelen
nach Maßgabe der Wahrheit über die niederen Dinge richtig urteilen,
so urteilt über uns, wenn wir ihr anhangen, allein die Wahrheit selbst.
Über sie aber urteilt nicht einmal der Vater, denn sie ist nicht geringer
als er selbst, vielmehr, was der Vater beurteilt, beurteilt er durch sie.
161. Denn alles, was nach Einheit strebt, hat die Wahrheit zur Regel oder zur
Form oder zum Vorbild, oder wie man es sonst wahrheitsgemäß ausdrücken
mag. Denn sie allein besitzt die vollkommene Gleichheit mit dem, von dem sie
ihr Sein empfing — falls man >empfing< sagen darf, um zum Ausdruck
zu bringen, was das Wort >Sohn< besagt, der ja nicht von sich selber ist,
sondern von dem ersten und höchsten Ursprung, welcher der >Vater<
heißt. Denn »alles was väterlich ist
im Himmel und auf Erden, wird nach ihm benannt« [Epheser
3,17]. »Der Vater aber richtet niemand, sondern
alles Gericht hat er dem Sohn gegeben« [Joh.
5,22]. Auch »der geistliche Mensch richtet
alles, er selbst aber wird von niemand gerichtet« [1.
Kor. 2,15], das ist, von keinem Menschen, sondern allein von dem Gesetze,
nach welchem er alles richtet.
162. Denn mit vollster Wahrheit ist auch das gesagt: »Wir
müssen alle erscheinen vor dem Richterstuhl Christi« [2. Kor. 5,10]. Der geistliche
Mensch richtet demnach alles, weil er über allem ist, wenn er mit Gott
ist. Mit ihm aber ist er, wenn er ganz rein erkennt und von ganzem Herzen das
Erkannte liebt. Denn dann wird er, soweit das möglich ist, selbst zum Gesetz,
nach welchem er über alles urteilt und über welches niemand urteilen
kann. So ist es ja auch mit den zeitlichen Gesetzen, Denn obwohl die Menschen,
wenn sie sie aufstellen, über sie urteilen, darf der Richter doch, wenn
sie einmal aufgestellt und gültig geworden sind, nicht mehr über sie,
sondern nur nach ihnen urteilen.
163. Jedoch befragt der Verfasser zeitlicher Gesetze, wenn er ein guter und
weiser Mann ist, jenes ewige Gesetz, über welches keine Menschenseele urteilen
darf, um sodann nach dessen unwandelbaren Regeln zu bestimmen, was für
die zeitlichen Verhältnisse zu gebieten und zu verbieten ist. Das ewige
Gesetz zu erkennen, steht demnach den reinen Gemütern zu, nicht, es zu
beurteilen.
164. Der Unterschied aber ist der: Wollen wir etwas erkennen, genügt es,
daß wir sehen, es sei so oder nicht so; wollen wir es aber auch beurteilen,
geben wir außerdem zu verstehen, es könne auch anders sein, wie wenn
wir sagen: >Es muß so sein<, oder >mußte so sein<, oder
>wird so sein müssen<. So machen es die Künstler bei ihren Werken.
Alle
Körper weisen Spuren der Einheit auf, erreichen sie aber nicht [XXXII.59]
165. Aber viele Menschen kennen als Ziel nur das Vergnügen und wollen nicht
nach Höherem trachten, um ein Urteil darüber zu gewinnen, warum das
Sichtbare uns gefällt. Wenn ich also einen Baumeister, der einen Rundbogen
errichtet hat, frage, warum er auf der gegenüberliegenden Seite einen ebensolchen
erstellen will, wird er vermutlich antworten: Damit sich gleiche Glieder des
Gebäudes entsprechen. Wenn ich aber weiter in ihn dringe, warum er gerade
das beabsichtige, sagt er, so sei es schicklich, so sei es schön und erfreue
die Beschauer. Aber mehr zu sagen, kommt ihm nicht in den Sinn. Denn er ist
lediglich Augenmensch und begreift nicht, wovon das Schönheitsurteil abhängig
ist.
166. Ich aber werde nicht ablassen, einen Mann, der auch inwendige Augen hat
und Unsichtbares sehen kann, mit der Frage zu bedrängen, warum das gefällt,
bis er es wagt, ein Urteil über den Grund des ästhetischen Wohlgefallens
abzugeben. So erhebt er sich darüber und wird nicht von ihm festgehalten.
Denn nun urteilt er nicht nach seinem Geschmack, sondern beurteilt ihn selbst.
Zuerst werde ich ihn also fragen, ob Gegenstände darum schön sind,
weil sie uns erfreuen, oder ob sie uns erfreuen, weil sie schön sind.
167. Darauf wird er mir ohne Zweifel antworten: Sie erfreuen, weil sie schön
sind. So fahre ich fort und frage, warum sie schön sind. Wenn er dann mit
der Antwort zögert, werde ich ihn darauf aufmerksam machen, ob nicht dies
der Grund ist, daß die Teile einander ähneln und durch eine Art Einheitsband
zur Symmetrie gebracht werden.
168. Hat er dies eingesehen, werde ich ihn weiter fragen, ob Gegenstände
die Einheit, die sie zugestandenermaßen anstreben, auch ganz erreichen,
oder ob sie nicht weit dahinter zurückbleiben und sie gewissermaßen
nur vorlügen. In der Tat, so ist es. Denn wer sieht nicht, wenn man ihn
aufmerksam macht, daß es zwar keine Gestalt, überhaupt keinen Körper
gibt, der nicht irgendeine Spur der Einheit an sich trägt, daß aber
nicht einmal der denkbar schönste Körper die erstrebte Einheit wirklich
erreicht, schon darum nicht, weil er mit seinen Teilen unweigerlich räumlich
ausgedehnt ist? Gibt er das zu, werde ich ihn ferner nötigen, die Frage
zu beantworten, wo er denn diese Einheit sieht und wie das zugeht.
169. Denn sähe er sie nicht, wie könnte er dann erkennen, was die
Gestalt der Körper nachzubilden sucht und doch nie erreicht? Aber nun sagt
er zu den Körpern: >Wenn euch nicht eine Einheit zusammenhielte, wäret
ihr nichts, und wiederum: Wäret ihr selbst diese Einheit, so wäret
ihr keine Körper mehr.< Nun, so sagt man zu ihm mit Recht: >Woher
kennst du jene Einheit, nach welcher du die Körper beurteilst? Wenn du
sie nicht sähest, könntest du nicht urteilen, daß die Körper
sie nicht erreichen. Sähest du sie aber mit leiblichen Augen, so hättest
du kein Recht, zu behaupten, daß die Körper zwar Spuren von ihr aufweisen,
aber gleichwohl ihr weit nachstehen. Mit körperlichen Augen siehst du ja
nur Körper. Also erblicken wir sie mit dem Geiste.<
170. Aber nun sag mir: Wo? Wenn sie an demselben Orte wäre, wo unser Leib
sich befindet, würde einer sie nicht sehen, wenn er etwa im Orient über
Körper urteilte. Also kann kein Raum sie einschließen, und wenn sie
dem Urteilenden, wo er auch sein mag, gegenwärtig ist, so ist sie nirgendwo
räumlich ausgedehnt, aber machtvoll überall.
Sinnliche
Wahrnehmung und geistiges Schauen [XXXIII.61]
171. Wenn Körper sie vorlügen, darf man den Lügnern nicht glauben,
um nicht der Eitelkeit der Eitlen zu verfallen. Da sie uns nun dadurch belügen,
daß sie die Einheit anscheinend dem fleischlichen Auge zeigen, obwohl
sie doch nur mit reinem Geiste geschaut werden kann, muß man fragen, ob
die Körper insofern lügen, als sie ihr ähnlich sind, oder insofern,
als sie sie nicht erreichen.
172. Denn wenn sie sie erreichten, käme die Nachahmung ja zur Erfüllung.
Wenn aber zur Erfüllung, wären sie ihr vollkommen ähnlich, und
wenn vollkommen ähnlich, wäre zwischen der körperlichen Natur
und jener geistigen Einheit kein Unterschied mehr. Wäre das der Fall, würden
sie die Einheit nicht vorlügen, wären sie doch dasselbe wie diese.
Doch dem aufmerksamen Betrachter lügen sie überhaupt nichts vor. Denn
wer lügt, will anders scheinen, als er ist. Wer aber gegen seinen Willen
für etwas anderes gehalten wird, als er ist, lügt nicht, sondern täuscht
nur.
173. Denn der Unterschied zwischen lügen und täuschen ist der: Jeder
Lügner will täuschen, auch wenn man ihm nicht glaubt, ein Täuscher
aber kann keiner sein, der nicht wirklich täuscht. Also lügt eine
körperliche Erscheinung nicht, weil ihr der Wille dazu fehlt, und wenn
man nicht glaubt, sie sei etwas, was sie nicht ist, täuscht sie auch nicht.
174. Aber nicht einmal die Augen selber täuschen, denn sie können
der Seele nichts anderes als nur ihren Eindruck übermitteln. Und wenn nicht
nur sie, sondern auch alle anderen leiblichen Sinne nur ihre Eindrücke
übermitteln, wüßte ich nicht, was man mehr von ihnen verlangen
darf. So nimm die Eitlen weg, und es wird keine Eitelkeit mehr geben. Wenn jemand
meint, das Ruder werde im Wasser gebrochen und wieder heil, wenn man es herausnimmt,
hat er keinen schlechten Berichterstatter, sondern ist ein schlechter Beurteiler.
175. Denn das Auge konnte seiner Natur nach nichts anderes im Wasser wahrnehmen,
durfte es auch nicht. Da nämlich die Luft anders ist als das Wasser, gehört
es sich auch, daß man in Luft und Wasser verschieden wahrnimmt. Demnach
ist das Auge in Ordnung, denn es ist nur zum Sehen geschaffen, die Seele dagegen
verkehrt, denn die höchste Schönheit zu betrachten, dazu ist ihr nicht
das Auge, sondern der Geist verliehen. Sie aber richtet ihren Geist auf die
Körper, ihre Augen auf Gott. Denn sie möchte verstehen, was fleischlich,
und sehen, was geistig ist. Das aber ist nicht möglich.
Die
wahre Einheit und die Einbildungen
[XXXIV.63]
176. Diese Verkehrtheit muß beseitigt werden, was oben ist, muß
nach unten, und was unten, nach oben kommen. Nur dann ist man zum Himmelreich
geschickt. So laßt uns nicht das Höchste im Niedersten suchen und
nicht am Niedersten hängen! Nein, wir wollen es richten, um nicht mit ihm
gerichtet zu werden, das heißt, ihm nur soviel einräumen, wie seiner
äußerlichen Gestalt zukommt, und nicht beim Letzten das Erste suchen.
Sonst möchten wir vom Ersten dem Letzten zugewiesen werden, was dem Letzten
nichts, aber uns sehr viel schaden würde.
177. Das Walten der göttlichen Vorsehung wird ja nicht dadurch entstellt,
daß die Ungerechten gerecht, die Häßlichen schön eingeordnet
werden. Und wenn uns die Schönheit der sichtbaren Dinge dadurch täuscht,
daß sie wohl durch Einheit begründet wird, aber nicht zur vollen
Einheit gelangt, so wollen wir uns bemühen, zu begreifen, daß der
Irrtum nicht aus dem stammt, was ist, sondern aus dem, was nicht ist.
178. Denn jeder Körper ist wohl ein wahrer Körper, aber eine falsche
Einheit. Denn er ist nicht zuhöchst eins, bildet die Einheit auch nicht
in dem Maße ab, daß er sie erreicht. Dennoch wäre auch der
Körper nicht er selbst, wäre er nicht irgendwie eins. Irgendwie eins
aber könnte er nicht sein, hätte er es nicht von dem, das zuhöchst
Eins ist.
179. O ihr halsstarrigen Seelen, zeigt mir doch jemanden, der ohne Vorstellung
fleischlicher Gesichte sieht. Zeigt mir jemanden, der sieht, daß der Ursprung
alles dessen, was eins ist, einzig und allein jenes Eine ist, von dem alles
Eine stammt, mag es jenes Eine erfüllen oder nicht. Zeigt mir jemanden,
der wirklich sieht, nicht bloß zankt und so tut, als sähe er, was
er doch nicht sieht. Jemanden, der den Sinnen des Fleisches widersteht und den
Nöten, die sie der Seele bereiten, der der menschlichen Gewohnheit widersteht
und den menschlichen Lobsprüchen, der auf seinem Lager sich kasteit und
seinen Geist umbildet, nicht die Eitelkeit draußen liebt und Lügen
nachgeht. Der müßte sich doch sagen:
180. >Wenn es nur ein Rom gibt, das ein gewisser Romulus am Tiber erbaut
haben soll, so ist dasjenige ein falsches, das ich mir in Gedanken vorstelle.
Denn es ist nicht dasselbe, und ich bin jetzt nicht da, sonst müßte
ich ja wissen, was jetzt da vorgeht. Wenn es nur eine Sonne gibt, dann ist die,
welche ich mir in Gedanken vorstelle, falsch. Denn jene vollendet ihre Umläufe
in gewissen Räumen und Zeiten, während ich diese hinstelle, wo und
wann ich will. Wenn ich einen bestimmten Freund habe, dann ist der, welchen
ich mir in Gedanken vorstelle, falsch. Denn wo jener sich aufhält, weiß
ich nicht, diesen stelle ich mir vor, wo ich will. Ich selbst bin sicherlich
der eine und fühle, daß mein Leib hier an dieser Stelle steht, dennoch
begebe ich mich in meiner gedanklichen Vorstellung, wohin es mir beliebt, und
unterhalte mich, mit wem es mir beliebt.
181. Aber das ist eben falsch, und niemand erkennt Falsches. Wenn ich dies also
betrachte und ihm Glauben schenke, erkenne ich nicht wirklich, denn was ich
erkennend betrachte, muß wahr sein. Sind das nicht vielmehr Phantasiebilder,
wie man es nennt? Wie kommt es denn, daß meine Seele von solchen Einbildungen
erfüllt ist? Wo ist das Wahre, welches der Geist erblickt?< Dem, der
hierüber nachdenkt, kann man antworten: >Wodurch
du erkennst, daß das vorhin Erwähnte nicht wahr ist, das ist das
wahre Licht. In diesem Lichte siehst du das Eine, das dich zum Urteil befähigt,
das andere, das du siehst, sei zwar auch eines, aber nicht jenes Eine, weil
es wandelbar ist.<
Der
Ruf zur Stille [XXXV.
65]
182. Wenn aber das Auge des Geistes vor diesem Anblick zurückschrickt,
dann beruhigt euch und streitet nicht, es sei denn wider eure Befangenheit im
Körperlichen. Besieget sie, und alles wird besiegt sein. Suchen wir doch
das Eine und Einfachste, was es gibt. So laßt es uns in Einfalt des Herzens
suchen! »Seid stille«, sagt die Schrift,
»und erkennt, daß ich Gott bin.«[Ps.
46,1] Nicht die Stille der Trägheit ist gemeint, sondern die Stille
des Nachdenkens, die der Räume und Zeiten ledig ist. Denn die sich aufblähenden
und vorüberhuschenden Phantasiegebilde lassen es nicht zum Schauen der
standhaften Einheit kommen.
183. Die Räume reichen uns dar, was wir lieben sollen, die Zeiten reißen
uns weg, was wir liebgewonnen haben, lassen in der Seele Haufen von Phantasiebildern
zurück und jagen damit unsere Begierde von einem zum anderen. So wird unser
Herz ruhelos und sorgenvoll und trachtet vergeblich danach, das zu besitzen,
von dem es besessen ist. Darum wird es zur Stille gerufen, das heißt nicht
länger zu lieben, was man ohne Mühsal lieben kann. Denn dann wird
es darüber herrschen und nicht von ihm besessen werden, sondern es besitzen.
184. »Mein Joch ist sanft« [Matth.
11,30], spricht der Herr. Wer dies Joch auf sich nimmt, hat alles übrige
unter sich. Es kann ihm keine Mühe mehr machen, denn was unterworfen ist,
leistet keinen Widerstand. Aber die armseligen Freunde dieser Welt, deren Herren
sie sein könnten, wenn sie Söhne Gottes sein wollten — denn »er hat ihnen Macht gegeben, Gottes Söhne zu
sein« [Joh. 1, 12] —, die
Freunde dieser Welt, sage ich, fürchten so sehr, aus ihren Armen gerissen
zu werden, daß ihnen nichts mühseliger erscheint, als ohne Mühsal
zu leben.
Wesen
und Ursprung von Wahrheit und Falschheit [XXXVI.66]
185. Wer jedoch klar begriffen hat, daß es Falschheit ist, wenn man das,
was nicht ist, für seiend hält, der erkennt auch, daß es die
Wahrheit ist, die uns zeigt, was ist. Die Körper täuschen insoweit,
als sie jenes Eine nicht erreichen, das sie doch, wie feststeht, nachahmen,
das Eine, das der Ursprung jeglicher anderen Einheit ist, nach dessen Ähnlichkeit
zu streben unsere natürliche Billigung findet, während, was von der
Einheit abweicht und zur Unähnlichkeit mit ihr hinführt, auf unsere
natürliche Mißbilligung stößt. Wenn man das begreift,
kann man auch einsehen, daß es etwas geben muß, das jenem einzig
Einen, dem Ursprung alles dessen, was sonst noch irgendwie eins ist, so ähnlich
ist, daß es dasselbe gänzlich erfüllt, ja es selber ist.
186. Das aber ist die Wahrheit, das Wort, das im Uranfang war, das Wort, das
Gott war bei Gott. [Joh. 1,1] Denn wenn Falschheit
da zu finden ist, wo man das Eine nachahmt, und zwar nicht, insofern man es
nachahmt, sondern insofern man es nicht erfüllen kann, so ist das die Wahrheit,
die es erfüllen und eben dasselbe sein konnte. Sie ist es, die uns das
Eine zeigt, wie es ist, weshalb sie auch mit höchstem Recht sein Wort heißt
und sein Licht.
187. Die übrigen Dinge kann man jenem Einen ähnlich nennen, insofern
sie sind, denn insofern sind sie auch wahr. Sie aber ist die Ähnlichkeit
selber und darum auch die Wahrheit. Denn wie alles Wahre wahr ist durch die
Wahrheit, so alles Ähnliche durch die Ähnlichkeit. Und wie die Wahrheit
die Form des Wahren ist, so auch die Ähnlichkeit die Form alles Ähnlichen.
Da also das Wahre insoweit wahr ist, als es ist, und insoweit ist, als es jenem
ursprünglichen Einen ähnlich ist, so ist das die Form aller Dinge,
die mit dem Ursprung die höchste Ähnlichkeit besitzt. Das aber ist
die Wahrheit, in der es keinerlei Unähnlichkeit gibt.
188. Falschheit entsteht also nicht auf die Weise, daß die Dinge selbst
trügen, da sie ja dem Wahrnehmenden nichts anderes zeigen als ihre Gestalt,
die sie nach dem Range ihrer Schönheit empfangen haben. Sie entsteht auch
nicht durch Trug der Sinne, da diese je nach der Beschaffenheit ihres Leibes
nichts anderes als die Eindrücke, die sie empfangen, ihrem Vorgesetzten,
dem Geiste, übermitteln. Sondern die Sünden sind es, die die Seelen
täuschen, wenn diese das Wahre suchen und dabei die Wahrheit verlassen
und vernachlässigen.
189. Denn da sie die Werke mehr liebten als den Künstler und die Kunst
selbst, werden sie durch den Irrtum gestraft, daß sie den Künstler
und die Kunst in den Werken wohl suchen, aber nicht finden können —
denn Gott unterliegt nicht den leiblichen Sinnen, sondern überragt sogar
den Geist — und darum die Werke selber für den Künstler und
die Kunst halten.
Aus: Aurelius Augustinus, De vera religione/ Über
die wahre Religion, Lateinisch/Deutsch. Übersetzung und Anmerkungen von
Wilhelm Thimme
Reclams Universalbibliothek Nr. 7971 (S. 85f.) © 1983 Philipp Reclam jun.,
Stuttgart . Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis
des Reclam Verlags
Der gereinigte
Gottesbegriff (Bekenntnisse: Siebtes Buch)
Wem ein Teil deiner Schöpfung mißfällt, ist geistig nicht gesund,
so wie auch ich es nicht war, als mir viele Dinge mißfielen, die du gemacht
hast. Da meine Seele es jedoch nicht wagte, meinen Gott zu kritisieren, weigerte
sie sich zu glauben, das, was ihr mißfiel, sei dein Werk. Deswegen war
sie zu der Ansicht gekommen, es gebe zwei Urwesen,
aber sie fand dabei keine Ruhe und redete fremdes Zeug. Als sie davon wieder
abkam, schuf sie sich einen Gott, der verteilt war über den gesamten unendlichen
Raum. Sie glaubte, dieses Wesen seist du, und gab ihm Raum in ihrem Herzen.
Wiederum war sie zum Tempel eines Götzenbildes geworden, für dich
ein Greuel. Aber dann streichelte deine Hand, ohne daß ich dich erkannte,
errettend mein Haupt. Du hast mir die Augen geschlossen, damit sie nicht das
eitle Zeug sähen. Ich ruhte ein wenig, und eingeschläfert war mein
Wahn. Aber ich erwachte in dir und sah dich, den Unendlichen, mit anderen Augen.
Und dieses Anschauen stammte nicht vom Fleisch.
Und von dir blickte ich zurück auf die anderen Dinge, und ich sah, daß
sie es dir verdanken, daß sie sind, und daß sie in dir ihre Grenzen
finden, aber anders, nicht wie in einem Ort, son-dern weil du mit der Wahrheit
die Grenzen aller wie mit deiner Hand zusammenhältst. Und alle Dinge sind
wahr, soweit sie sind, und es gibt keine Falschheit, außer man hält
etwas, das nicht ist, für wirklich. Und ich sah, daß alle Dinge nicht
nur jeweils zu ihrem Ort passen, sondern auch zu ihrer Zeit, und daß du,
der du allein ewig bist, nicht erst nach unzähligen
Zeiträumen zu handeln begonnen hast, weil alle Zeiträume, vergangene
wie zukünftige, nicht vergehen und nicht kommen könnten, ohne daß du handelst und daß du bleibst.
Die Erfahrung zeigt, daß man sich nicht zu verwundern braucht, wenn Brot,
das einem gesunden Gaumen angenehm schmeckt, dem kranken Gaumen unangenehm wird
und daß Licht kranken Augen verhaßt ist, während gesunde Augen
es lieben. So mißfällt auch deine Gerechtigkeit den Bösen, ganz
zu schweigen von den Nattern und Würmern, die du gut erschaffen hast, so,
daß sie zum niederen Teil deiner Schöpfung passen. Zu ihnen passen
auch die Bösen, und zwar um so mehr, je unähnlicher sie dir sind,
während sie zu den oberen Teilen um so besser passen, je ähnlicher
sie dir werden. Ich suchte, was die Sünde sei. Was
ich fand, war — nicht ein Wesen [substantia], sondern die Abkehr eines
Willens von dir, Gott, dem höchsten Wesen, eines Willens, der sich zum
Niederen herabkrümmt, der sein Innerstes nach außen wirft und dort
sich aufbläht. S.187ff. Fortsetzung
Aus: Aurelius Augustinus, Bekenntnisse. Mit einer
Einleitung von Kurt Flasch, übersetzt, mit Anmerkungen versehen und herausgegeben
von Kurt Flasch und Burkhard Mojsisch
Reclams Universalbibliothek Nr. 2792 © 1989 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlags
Schöpfung
und Zeitlichkeit (Vom Gottesstaat: 11. Buch,
4-8)
Von allem Sichtbaren nun ist die Welt das größte; von allem Unsichtbaren
aber ist Gott das größte. Daß die Welt sei, sehen wir; daß
Gott sei, glauben wir. Daß aber Gott die Welt er-schaffen habe, glauben
wir keinem so sicher als Gott selbst. Wo aber hören wir ihn? — Nirgend
hören wir einstweilen ihn deutlicher als in den heiligen Schriften, wo
sein Seher spricht: »Im Anfang schuf Gott Himmel
und Erde!« War aber jener Seher etwa zugegen, als Gott Himmel und
Erde schuf? Nein! Doch »war die Weisheit Gottes
zugegen«, durch die alle Dinge erschaffen wurden, und die »auch
in heilige Seelen einkehrt,
Freunde Gottes und Propheten bildet« und ihnen ihre Werke ohne
Wortgeräusch im Innern offenbart. Auch sprechen zu ihnen die Engel Gottes,
die »das Angesicht des Vaters immerdar anschauen« und seinen Willen allen denen verkündigen, die ihn wissen sollen. Zu diesen
aber gehörte auch der Prophet, der da sprach und schrieb: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde!« Und umso würdiger
ist dieser Zeuge, daß wir durch ihn an Gott glauben, durch dessen Geist
er diese Offenbarung erkannte, als er sogar lange Zeit vorhersagte, daß
wir ihm glauben würden.
Warum aber gefiel es dem ewigen Gott, den Himmel und die Erde dazumal zu erschaffen,
die er vorher nicht erschaffen hatte? — Wenn es denen, die also sprechen,
bedünken will, die Welt sei ewig ohne allen Anfang, und deshalb auch nicht
von Gott erschaffen worden, so sind sie der Wahrheit überaus feind und
sprechen in der tödlichsten Krankheit gottlosen Wahnsinnes. Denn abgesehen
von diesen prophetischen Zeugnissen ruft, ob auch stumm, dennoch durch ihre
höchst geordnete Wandelbarkeit und Bewegung und durch die höchst schöne
Gestaltung aller sichtbaren Dinge die Welt selbst laut aus, sie sei erschaffen
worden; und zwar habe sie nur von dem einzigen, unaussprechlich und unermeßlich
großen, unaussprechlich und unermeßlich schönen Gott erschaffen
werden können.
Jene dagegen, die zwar bekennen, sie sei von Gott erschaffen worden, aber dennoch
nicht wollen, daß sie der Zeit nach, sondern bloß ihrer Schöpfung
nach einen Anfang habe, so daß sie auf eine Weise, die sich kaum begreifen
läßt, immer erschaffen gewesen sei: diese scheinen Gott freilich
gegen die Vorstellung einer zufälligen Planlosigkeit verteidigen zu wollen,
so, als wäre ihm plötzlich in den Sinn gekommen, woran er früher
niemals gedacht hätte, nämlich eine Welt zu erschaffen, und daß
mithin ein neu zufälliger Wille in ihm entstanden wäre, in ihm, der
doch so ganz unwandelbar ist. Allein ich sehe dabei nicht ab, wie dieser Grund
auch bei den übrigen erschaffenen Wesen Bestand haben kann, zumal bei der
Seele. Denn behaupten sie, die Seele sei gleich ewig mit Gott, so können
sie nimmermehr erklären, wie ihr ein neues Elend zukam, das sie in der
ganzen Ewigkeit nicht gehabt hatte. Sagen sie nämlich, die Seele sei in
beständigem Wechsel von Elend und Glückseligkeit gewesen, so müssen
wir notwendig auch sagen, sie werde in Zukunft diesem nämlichen Wechsel
beständig unterliegen; woraus die Ungereimtheit folgen würde, daß
sie selbst dann, wenn sie selig genannt wird, nicht selig wäre, falls sie
ihr künftiges Elend und ihre abermal folgende Erniedrigung voraussieht.
Sieht sie aber diese nicht voraus, noch auch, daß sie neuerdings erniedrigt
und elend werden soll, sondern hält sie sich immerdar für glückselig,
so wäre sie nur durch falschen Wahn glückselig; eine Albernheit, die
nicht größer sein kann.
Sagen sie dagegen, das Elend der Seele habe zwar durch unendliche verflossene
Zeiträume ohne Unterlaß mit Glückseligkeit abgewechselt, doch
werde sie, einmal befreit, in Zukunft nie wieder in Elend zurückkehren:
so gestehen sie dadurch selbst offenbar ein, sie sei eigentlich nie selig gewesen,
sondern sie beginne es hernach durch eine gewisse neue Seligkeit zu werden,
die keine Täuschung sei. Dadurch aber bekennen sie, es widerfahre ihr Neues,
und zwar Großes und Herrliches, was ihr durch die ganze zurückgelegte Ewigkeit nicht widerfahren
war. Leugnen sie nun, der Grund dieser Neuheit habe ewig in Gottes Ratschlusse
bestanden, so leugnen sie dadurch zugleich, daß er der Urheber ihrer Glückseligkeit
sei, was höchst gottlos ist; — sagen sie hingegen, Gott habe durch
einen neuen Ratschluß beschlossen, daß forthin die Seele ewiglich selig sei: wie werden sie dann zeigen, daß alle Wandelbarkeit
fern von Gott sei, wovon er doch, selbst nach ihrem Ausspruche, frei ist? Bekennen
sie aber, sie sei zwar in der Zeit erschaffen, doch werde sie durch alle künftigen
Zeiten fortdauern — so wie eine Zahl einen Anfang, aber kein Ende hat — und werde, wenn sie einmal vom Elend
befreit ist, künftighin nie mehr elend werden: dann werden sie allerdings
auch bekennen, daß dies ohne die geringste Veränderung in Gottes
Ratschlusse geschehe. So sollen sie denn glauben, auch die Welt
habe in der Zeit erschaffen werden können, ohne daß Gott, der
sie schuf, den Ratschluß seines ewigen Willens gewandelt habe.
Dann mögen auch jene, die zwar zugeben, daß Gott der Schöpfer
der Welt sei, uns aber um die Zeit dieser Schöpfung befragen, selbst zusehen, was sie uns antworten, wenn wir sie um den Raum befragen,
worin sie erschaffen ward. So fragen wir, warum sie gerade da erschaffen ward,
wo sie jetzt ist, und nicht an einem andern Orte. Denn erdenken sie sich vor
der Schöpfung der Welt unendliche Zeiträume, worin, ihres Erachtens, Gott nimmermehr aufhören konnte
zu wirken: so mögen sie sich auch außerhalb der Welt unendliche örtliche
Räume ersinnen, wo, wer da sagt, der Allmächtige habe in denselben
des Wirkens sich nicht enthalten können, auch wohl ganz folgerecht unzählige
Welten mit Epikur erträumen müßte,
mit dem einzigen Unterschiede, daß Epikur sie durch die zufälligen Bewegungen der Atome entstehen und vergehen läßt,
jene aber (die da behaupteten, Gott habe in der unbegrenzten
Unermeßlichkeit des überall außer der Schöpfung freien
Raumes nicht aufgehört zu wirken) sagen werden, diese Welten seien
Werke Gottes und könnten so wenig als diese Welt aufgelöst werden.
Denn mit solchen sprechen wir, die mit uns einen unkörperlichen Gott und
Schöpfer aller Naturen annehmen, die nimmermehr sind was er; denn die anderen,
die dafür halten, daß man vielen Göttern Opfer darbringen soll,
sind es nicht wert, daß man sie zu diesem Streite zulasse; aber auch jene
übertreffen die übrigen Philosophen nur darum an Adel und Ansehen,
weil sie, ob auch noch sehr weit von der Wahrheit entfernt, ihr dennoch bedeutend
näher denn die übrigen stehen. Werden sie also sagen, Gottes Substanz (die sie weder in den Raum einschließen, noch umgrenzen
und bestimmen, sondern, wie es würdig ist, von Gott zu denken, durch ihre
unkörperliche Gegenwart überall ganz gegenwärtig bekennen) sei
aus den ungeheuren Räumen, die außerhalb der Welt sind, entfernt
und erfülle bloß den einen, im Vergleich mit seiner Unendlichkeit
so unbedeutenden Raum, worin die Welt ist? Es bedünkt mich nicht, daß sie bis zu solchen Eitelreden sich verirren.
Da sie also sagen, diese eine, ob auch aus ungeheuren Körpermassen bestehende,
aber dennoch endliche und in ihrem Raume abgeschlossene Welt sei von Gott erschaffen:
so mögen sie jenes, was sie hinsichtlich der endlosen Räume außerhalb
des Weltalls andern antworten — warum Gott in denselben nicht wirke —,
sich selbst hinsichtlich der unendlichen Zeiten, die der
Welt vorangingen, antworten: aus welchem Grunde Gott in ihnen des Wirkens
sich enthielt. Und gleichwie Falsches redete, wer da sagte, Gott habe die Welt mehr aus Zufall als aus einem göttlichen Grunde in keinen andern als gerade
in diesen Raum gestellt, worin sie steht — da bei gleich unendlichen
und überall freien Räumen gewiß kein trefflicherer Raum als
dieser erwählt werden konnte, wiewohl keine menschliche Vernunft diesen
göttlichen Grund erfassen kann —: also ist es auch unrichtig zu denken,
es sei zufällig geschehen, daß Gott die Welt vielmehr in dieser als
in irgendeiner andern, auf gleiche Weise vorhergegangenen und von Ewigkeit verflossenen
Zeit erschaffen habe; und es sei kein Grund, warum eine
Zeit den Vorzug vor der andern verdient habe. Sagen sie aber, die Gedanken
des Menschen wären eitel, wenn sie sich unendliche Räume dächten,
da es außerhalb der Welt keinen Raum gebe, so antworten wir ihnen, die
Menschen dächten auf gleiche Weise eitel, wenn sie verflossene Zeiten dächten,
worin nichts gewirkt habe, da vor der Welt keine
Zeit war.
Mit gutem Recht unterscheidet man Zeit von Ewigkeit;
denn Zeit besteht nicht ohne Wechsel und Wandel, in der
Ewigkeit aber gibt es keine Veränderung. Also ist es klar, daß
es Zeiten überhaupt nicht gegeben hätte ohne das Werden der Kreatur,
die als Bewegungsvorgang irgendwelcher Art auch Zustandsänderung in sich
begreift. Erst aus diesem bewegten Gestaltenwandel, aus dem Nacheinander
von Dem und Jenem, was nicht zugleich bestehen kann, erst aus den kürzern
oder längern Zwischenstrecken, die durch das Weichen des Einen und das
Nachrücken des Andern sich ergeben, kommt die Zeit zustande. Weil nun Gott,
dessen Ewigkeit allen Wandel und Wechsel ausschließt, auch der Zeiten
Schöpfer ist und Ordner, so läßt sich, wie mich dünkt,
nicht sagen, er habe nach gewissen Zeiträumen erst die Welt erschaffen;
sonst bliebe nur die Rückfolgerung, es habe vor der Welt schon Kreatur
gegeben, mit deren Bewegtheit zugleich auch die Zeit in
Fluß gekommen. Nun sagt doch die heilige Schrift, und sie spricht
die reine volle Wahrheit: im Anfang habe Gott Himmel und Erde erschaffen. Das
ist nur so zu verstehen, daß er vorher nicht schon etwas andres erschaffen;
denn wenn er vor der Gesamtheit seiner Schöpfung etwas erschaffen hätte,
so gälte eben hievon, daß er’s »im
Anfang« erschaffen. Ohne Zweifel also ist
die Welt nicht in der Zeit, sondern mit der Zeit erschaffen.
Denn was in der Zeit geschieht, das geschieht vor und nach einer Zeit — nach einer, die vergangen ist, vor einer, die erst kommen wird. Vor der
Welt aber konnte Zeit nicht sein, weil ja keine Kreatur war, mit deren bewegtem
Zustandwandel sie hätte werden können. Vielmehr
ist in Einem mit der Zeit auch die Welt erschaffen, wofern mit ihr zugleich
die Bewegung, nämlich Zustandwandel begann. Und hierauf deutet auch
jene Folge der sechs oder sieben Tage, jenes »Morgen«
und »Abend« im göttlichen Schöpfungswerk,
dem am sechsten die Vollendung ward und am siebenten, wie das große Geheimnis
sagt, Gottes Ruhe folgte.
Was dies übrigens für Tage sind, dies ist sehr schwer, wo nicht ganz
unmöglich zu denken, geschweige denn zu erklären.
Denn wir sehen, daß diese unsere Tage ihren Abend nur von Sonnenuntergang
und ihren Morgen nur von Sonnenaufgang an zählen; jene Tage aber verflossen
ohne die Sonne, die, wie die Schrift erzählt, erst am vierten Tage erschaffen
ward. Zwar erzählt sie, daß vor allem durch Gottes Wort das Licht
erschaffen wurde, und daß Gott das Licht von den Finsternissen sonderte
und es Tag, die Finsternisse aber Nacht nannte. Doch was dies für ein Licht
war, und durch welche wechselnde Bewegung es einen Abend und Morgen, und welchen
Abend und Morgen es bewirkte, dies ist fernab von unserer Kenntnis, und wir
vermögen es auch nicht in seinem Wesen zu ergründen, wir haben es
einfach zu glauben. Denn entweder ist es irgendein körperhaftes Licht in
den höhern Schichten des Weltalls weit vom Reichkreis unseres Blickes,
und es ward vielleicht die Sonne davon angeflammt; — oder es wird unter
dem Namen Licht die heilige Stadt der Engel und seligen Geister bedeutet, von
welcher der Apostel spricht: »Jerusalem, das in
den ewigen Höhen ist, ist unsere Mutter!« Denn er spricht
auch an einer andern Stelle: »Ihr alle seid Kinder
des Lichtes und Kinder des Tages; wir sind nicht Kinder der Nacht noch der Finsternisse«, wenn anders wir es vermögen, den Abend und den Morgen jenes »Tages« irgend auf fügliche Weise zu verstehen. Denn das Wissen um die Kreatur
dunkelt gleichsam abendlich, wenn es dem Wissen um den Schöpfer verglichen
wird; hinwieder leuchtet es und wird zu einem Morgen, wenn es zu Lob und Liebe
des Schöpfers sich wendet; auch neigt es sich nimmer zur Nacht, wo der
Schöpfer nicht aus Liebe zum Geschöpf verlassen wird.
Endlich setzt auch die Schrift, wo sie diese Tage der Ordnung nach erzählt,
nie den Ausdruck »Nacht« zwischen dieselben.
Denn nirgend spricht sie: und es ward Nacht, sondern: »Es
ward Abend und Morgen, ein Tag!« So auch vom zweiten und den übrigen.
Die Erkenntnis des Geschöpfes in sich selbst ist, wenn ich mich so ausdrücken
darf, glanz¬loser als wenn es erkannt wird in der Weisheit Gottes als der
Gestaltungskraft, durch die es erschaffen ward. Füglicher kann daher diese
Erkenntnis Abend genannt werden denn Nacht; doch wird sie, wie gesagt, gleichsam
zu einem Morgen, wenn sie zum Lobe und zur Liebe des Schöpfers sich wendet.
Und wenn es dies tut in der Erkenntnis seiner selbst, so ist es ein Tag; —
wenn in der Erkenntnis des Firmamentes das, zwischen den niedrigern und höhern
Gewässern, Himmel genannt wird, so ist es der zweite Tag; — wenn
in der Erkenntnis der Erde und des Meeres und aller Pflanzen, die in der Erde
wurzeln, so ist es der dritte Tag; — wenn in der Erkenntnis der großen
und kleinem Himmelsleuchten und aller Gestirne, so ist es der vierte Tag; —
wenn in der Erkenntnis aller schwimmenden sowohl als fliegenden Tiere, die aus
dem Wasser erzeugt wurden, so ist es der fünfte Tag; — wenn endlich
in der Erkenntnis alter Landtiere und des Menschen selbst, so ist es der sechste
Tag.
Wenn aber am siebenten Tage »Gott von allen seinen
Werken ruht« und diesen Tag heiligt, so ist dies keineswegs auf
kindische Weise zu nehmen, als ob Gott mühsam gearbeitet härte, der »da sprach: Es werde! und es ward!« durch sein geistig-innerliches, nicht durch irgendein schallendes zeitliches
Wort. Die Ruhe Gottes also bedeutet die Ruhe derer, die in Gott ruhen; gleichwie
die Freude eines Hauses die Freude derer bedeutet, die im Hause sich erfreuen,
ob auch nicht das Haus selbst, sondern etwas anderes ihnen Freude gewähre.
Wie weit richtiger also wird das Haus freudig genannt, wenn es selbst durch
seine Schöne seine Inwohner erfreut, so daß es nicht bloß mit einer Redefigur ein freudiges Haus genannt wird (wie
wir durch etwas, das einen Gegenstand enthält, oft den Gegenstand selbst
auszudrücken pflegen, der darin enthalten ist, z. B. das Theater klatscht
Beifall, die Fluren brüllen, wenn im Theater die Menschen Beifall klatschen,
auf den Fluren die Rinder brüllen), sondern auch in jener Bedeutung
genommen werden kann, die die Ursache statt der Wirkung setzt, wie man von einer
freudigen Nachricht spricht und damit die Freude derer bezeichnet, die sie froh
macht. Höchst füglich wird demnach, wenn des Sehers Zeugnis erzählt,
Gott habe geruht, die Ruhe derjenigen bedeutet, die in ihm ruhen und deren Ruhe
er selbst ist. Dies gilt auf gleiche Weise auch den Menschen, zu welchen dies
Zeugnis spricht und um derentwillen es überhaupt aufgezeichnet ist; denn
ihnen wird verheißen, daß auch sie nach den guten Werken, die Gott
in ihnen und durch sie wirkt, — wofern anders sie sich ihm hienieden durch
den Glauben gleichsam genähert haben, — ewiglich in ihm ruhen werden.
Denn dies ward durch die Ruhe des Sabbats im Gesetze jenes Gottesvolks im Alten
Bunde vorgebildet. S.212ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe
Band 80, Augustinus, Bekenntnisse und Gottesstaat. Sein Werk ausgewählt
von Joseph Bernhart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred
Kröner Verlages, Stuttgart
Die
schöpferische Dreifaltigkeit
Es gibt Ein Gut, das allein einfach und darum allein unwandelbar ist, und das
ist Gott. Was von diesem Gut geschaffen ist, ist alles gut, doch nicht einfach
und eben darum wandelbar. Erschaffen ist es, das heißt gemacht, nicht
erzeugt. Denn was von dem einfachen Gute erzeugt ist, ist gleichfalls einfach,
und ist dasselbe, was der Erzeugende ist.
Diese beiden nennen wir den Vater und den Sohn, die beide
mit dem heiligen Geiste Ein Gott sind; dieser Geist des Vaters und des
Sohnes aber wird durch diesen ganz eigenen Namen in der heiligen Schrift also
genannt. Er ist ein anderer als der Vater und der Sohn, weil er weder der Vater
noch der Sohn ist. Ein anderer, sage ich, nicht etwas anderes, weil auch er
selbst jenes gleicherweise einfache, gleicherweise unwandelbare und mitewige
Gut ist. Und diese Dreieinigkeit ist Ein
Gott. Auch ist er darum nicht minder einfach, weil er ein dreieiniger
Gott ist. Denn nicht darum nennen wir diese Natur des [höchsten] Gutes
einfach, weil darin der Vater allein, oder der Sohn allein, oder der heilige
Geist allein wäre; auch sagen wir nicht, es sei dies eine bloße Dreieinigkeit
dem Namen nach, ohne Wesensgrundlage in den Personen, wie die Sabellianischen
Häretiker wähnten; sondern einfach wird sie genannt, weil sie selbst
das ist, was sie hat, ausgenommen jenes, was jede Person hinsichtlich der andern
ist. Denn der Vater hat allerdings einen Sohn; dennoch ist er selbst nicht der
Sohn; und der Sohn hat einen Vater, und dennoch ist er selbst nicht der Vater.
Jenes also, worin er in Beziehung auf sich selbst und nicht auf einen andern
genannt wird, ist das, was er hat. Wie er also lebendig genannt wird, da er
allerdings Leben hat, so ist er auch selbst das Leben, das er hat.
Deshalb also bezeichnet man als einfach die Natur, die nicht von dem verschieden
ist, was sie hat; oder die nichts von sich verlieren kann, da das, was sie hat,
nichts anderes ist, als was sie ist. Ein Gefäß kann irgendeine Flüssigkeit,
ein Körper irgendeine Farbe, die Luft kann die Wärme oder das Licht
und die Seele die Weisheit verlieren; denn keines dieser Dinge ist was es hat;
denn das Gefäß ist nicht die Flüssigkeit, der Körper nicht
die Farbe, noch die Luft das Licht oder die Wärme, noch auch die Seele
die Weisheit. Daher können sie auch der Dinge beraubt werden, die sie haben,
und andere Eigenschaften erhalten oder verändert und verkehrt werden; denn
das Gefäß kann ausgeleert, der Körper der Farbe beraubt, die
Luft verfinstert und kalt und die Seele unweise werden. Und hat auch ein unverweslicher
Körper, wie er den Heiligen bei der Auferstehung verheißen wird,
die unverlierbare Eigenschaft der Unverweslichkeit, so ist dennoch der Leib,
ob er auch unverweslich bleibt, nicht die Unverweslichkeit selbst. Denn diese
Unverweslichkeit ist ganz in jedem einzelnen Teile des Leibes, da kein Teil
unverweslicher als der andere ist; der Leib selbst aber ist in seinem Ganzen
größer als in seinen Teilen; und ob auch einer seiner Teile größer,
der andere geringer ist doch der größere nicht unverweslicher als
der geringere. Ein anderes also ist der Leib selbst, der nicht überall
sein eigenes Ganzes ist, ein anderes die Unverweslichkeit, die überall
ganz ist, da jeder Teil eines unverweslichen Körpers, ob er auch gegen
die übrigen ungleich ist, dennoch gleich unverweslich ist. So ist, ob auch
z. B. der Finger kleiner denn die ganze Hand ist, die Hand darum nicht unverweslicher
als der Finger. Sind also auch die Hand und der Finger ungleich, so ist die
Unverweslichkeit der Hand und des Fingers dennoch gleich; folglich ist, ob auch
die Unverweslichkeit von einem unverweslichen Leibe unzertrennlich ist, dennoch
die Substanz, welche Leib ge¬nannt wird, etwas anderes als die Eigenschaft,
wegen welcher er unverweslich genannt wird; und so ist er also nicht das was
er hat.
Ja, es wird selbst die Seele, ob sie auch immerdar weise wäre (wie sie
es auch wirklich sein wird, wenn sie einmal auf ewig befreit ist), dennoch nur
durch die Teilnahme an jener unwandelbaren Weisheit weise,
die nicht das ist was sie. Denn wenn auch das Licht, das die Luft durchflutet,
sie niemals verließe: so wäre darum dennoch die Luft nicht minder
etwas anderes als das Licht, wodurch sie erleuchtet würde. Doch will ich
dies nicht also gesagt haben, als ob die Seele eine feine Luft wäre, wie
einige wähnten, die sich keine unkörperliche Natur denken konnten.
Indessen haben diese Naturen, trotz ihrer so großen Verschiedenheit, dennoch
eine gewisse Ähnlichkeit miteinander, so daß man recht wohl sagen
kann, die unkörperliche Seele werde von dem unkörperlichen
Lichte der einfachen Weisheit Gottes erleuchtet, wie der Luftkörper
von dem körperlichen Lichte; und gleich wie die Luft, von diesem körperlichen
Lichte verlassen, alsbald verfinstert werde (denn die Finsternisse körperlicher
Räume sind nichts anderes als die Luft, der es an Licht gebricht), also
verfinstern sich auch die Seelen, wenn sie des Lichtes der Weisheit beraubt
werden. Deshalb also werden jene ursprünglichen und wahrhaft göttlichen
Personen einfach genannt, weil in ihnen nicht ein andere Eigenschaft, ein andere
Substanz ist, und weil sie selbst ihre Gottheit, ihre Weisheit und ihre Seligkeit
sind. Übrigens wird zwar in den heiligen Schriften der Geist der Weisheit
vielfältig genannt, weil er vieles in sich hat; doch was er hat, das ist
er selbst; und dies alles ist Einer. Denn es sind nicht viele Weisheiten, sondern Eine Weisheit, darin unermeßliche und unendliche
Schätze geistiger Dinge sind, die alle unsichtbaren
und unwandelbaren Urgründe selbst der sichtbaren und wandelbaren
Dinge in sich fassen, die durch sie erschaffen sind. Denn Gott hat nichts gemacht,
das er nicht wußte; was man nicht einmal füglich von irgendeinem
Handwerker sagen kann. Hat er also alle Dinge mit Erkenntnis gemacht, so hat
er allerdings gemacht, was er erkannte. Woraus dem Gemüte eine wunderbare
aber sichere Wahrheit entgegen kommt, nämlich, daß diese Welt uns
nicht bewußt sein könnte, wenn sie nicht wäre; daß sie
aber nicht sein könnte, wenn Gott sie nicht wüßte. S.219ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe
Band 80, Augustinus, Bekenntnisse und Gottesstaat. Sein Werk ausgewählt
von Joseph Bernhart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred
Kröner Verlages, Stuttgart
Die
Schöpfung als Abbild der dreifaltigen Gottheit (Vom
Gottesstaat)
Da man nun also bei aller Kreatur stets nach den drei Dingen fragt, von wem,
wodurch und aus welchem Grunde sie erschaffen, worauf die Antwort lauten muß: »Gott, durch das Wort, weil sie gut ist«,
so steht weiterhin die Frage auf, ob uns dadurch in mystischem Tiefsinn die
Dreifaltigkeit selbst, das ist der Vater, der Sohn
und der heilige Geist, angekündigt werde,
oder ob etwas dieser Auffassung der bezüglichen Schriftstellen widerspreche
— eine Frage, über die sich in kurzem nicht handeln läßt.
Wir glauben fest und bekennen getreu, daß der Vater
das Wort erzeugte, nämlich die Weisheit,
durch die alle Dinge erschaffen wurden: seinen eingeborenen
Sohn, der Eine den Einen, der Ewige den Mit-Ewigen, der höchst Gute den
gleich Guten; und daß der heilige Geist zugleich
der Geist des Vaters und des Sohnes und selbst
beiden gleich wesentlich und gleich ewig ist; und daß dies Ganze eine
Dreieinigkeit ist wegen des Selbstands der Personen, Ein Gott aber wegen der
unzertrennlichen Gottheit und Ein Allmächtiger wegen der unzertrennlichen
Allmacht, so jedoch, daß, wenn die Frage von jedem insbesondere
ist, geantwortet werde: jeder Einzelne aus ihnen ist Gott und allmächtig;
wenn aber von allen zugleich: es sind nicht drei
Götter oder drei Allmächtige, sondern Ein allmächtiger
Gott. So groß ist in diesen drei Personen die unzertrennliche
Einheit, die also sich wollte zu erkennen geben.
Ob aber der heilige Geist des guten Vaters und des guten Sohnes, weil er beiden
gemein ist, mit Recht die Güte beider genannt werden könne, darüber
will ich nicht wagen ein vermessenes Urteil auszusprechen. Leichter würde
ich’s wagen, ihn die Heiligkeit beider zu nennen; nicht als ob ich diese
Heiligkeit gleichsam als eine Eigenschaft beider, sondern vielmehr als selbst
auch Wesenheit und als eine dritte Person in der Dreieinigkeit betrachtete.
Dahin führt mich nämlich dies, daß, ob auch der Vater ein Geist
und heilig ist, dennoch der heilige Geist, als die wesentliche und mitwesentliche
Heiligkeit beider ganz eigentlich mit diesem Namen benannt wird. Ist aber die göttliche Güte nichts anderes als die göttliche Heiligkeit: so führt uns fürwahr aufmerksame
Forschung der Vernunft, nicht aber kecke Vermessenheit dahin, daß wir
in den Werken Gottes unter geheimnisvoller Ausdrucksweise, durch die unsere
Aufmerksamkeit erregt werden soll, das Geheimnis der
Dreieinigkeit angedeutet finden: wo wir erkennen, wer jegliches Geschöpf
erschuf, wodurch er es schuf, und weshalb er es schuf. Denn es wird der Vater
des Wortes erkannt, der da sprach: »Es werde«!
Was aber erschaffen ward, als er sprach, ward sonder Zweifel durch das Wort
erschaffen. In dem Ausspruch endlich: »Gott sah,
daß es gut ist«, wird zur Genüge erkannt, daß
Gott nicht aus Notwendigkeit, noch irgend seines Nutzens wegen, sondern wegen
seiner alleinigen Güte schuf was erschaffen ward, das heißt: »weil
es gut war«. Dies aber ward hernach gesprochen, damit dadurch angezeigt
würde, daß die Sache, die erschaffen war, mit der Güte übereinstimme,
wegen welcher sie war erschaffen worden. Und wird unter dieser Güte
der heilige Geist auf richtige Weise verstanden, so wird in ihren Werken
uns die ganze Dreieinigkeit angedeutet.
Daher der Ursprung, die Weisheit und die Glückseligkeit der heiligen Stadt,
die da droben in den heiligen Engeln ist. Denn fragt man, woher sie weise sei:
sie wird von Gott erleuchtet; und fragt man, woher sie glückselig sei:
durch den Genuß Gottes. Durch ihn wird sie in ihrem Sein geordnet; in
seiner Anschauung wird sie von ewigem Lichte bestrahlt;
und durch die Vereinigung mit ihm ist sie glückselig: sie ist, sie schaut,
sie liebt; sie blüht in der Ewigkeit Gottes,
sie leuchtet in der Wahrheit Gottes und erfreut
sich in der Güte Gottes.
Soviel uns zu erkennen gegeben wird, teilten aus diesem Grunde die Philosophen
das Studium der Weisheit in drei Teile ein; oder vielmehr sie erkannten, es
müsse also eingeteilt werden (denn nicht sie ordneten es so, sondern sie
fanden es vielmehr also angeordnet): nämlich in die Physik, in die Logik und die Ethik. Diese Namen finden sich lateinisch auch bereits in den Schriften
vieler, die sie Naturlehre, Vernunftlehre und Sittenlehre nennen [Philosophia
naturalis, rationalis, moralis]. Doch folgt hieraus nicht, daß
bei dieser dreifachen Einteilung irgendein Gedanke an Gottes Dreieinigkeit gewirkt
hätte, wiewohl Plato, von dem gesagt wird,
er sei der erste gewesen, der diese Einteilung erfunden und empfohlen habe,
Gott allein als den Urheber aller Naturen, als den Spender
aller Erkenntnis und als den Einflößer aller Liebe erkannte,
durch die das Leben gut und glücklich wird. Und ob auch manche über
die Natur der Dinge, über die Weise der Wahrheitforschung und das Ziel
des Guten, auf das wir all unser Handeln hinführen sollen, verschieden
denken, so ist doch ihre ganze Aufmerksamkeit auf diese drei großen und
allgemeinen Fragen gerichtet. Ist also auch ein großer Unterschied und
mancherlei Widerspruch unter ihnen, und nimmt der eine dies, der andere jenes
an, so zweifelt doch keiner daran, daß es einen Grund der Natur, eine
Methode in den Wissenschaften und ein Gesetz des Lebens gebe.
Ebenso gibt es auch drei Dinge, die bei jedem Künstler zusammentreffen
müssen, damit er etwas schaffe: Naturanlage, Theorie und praktische Übung.
Die Naturanlage ist an der geistigen Schaffenskraft, die Theorie am Wissen um
die Kunst, die Fertigkeit an der Frucht zu er-messen. Nur weiß ich freilich
wohl, daß, im eigentlichen Sinne gesprochen, die Frucht Gegenstand des
Genusses, die Übung Sache des Gebrauches ist; doch scheint hierbei der
Unterschied zu walten, daß wir eine Sache genießen, wenn sie uns
nicht wegen anderer Bezüge, sondern durch sich selbst erfreut, während
wir den Nutzbrauch eines Dinges wegen anderer Zwecke suchen. Deshalb sollen
wir die zeitlichen Dinge mehr benützen als genießen, auf daß
wir die ewigen zu genießen verdienen; und nimmer sollen wir es den verkehrten
Menschen nachtun, die das Geld genießen, Gott aber benützen wollen,
denn nicht Gottes wegen geben sie Geld aus, sondern des Geldes wegen verehren
sie Gott. Doch in jenem Sinne zu sprechen, der durch die Gewohnheit allgemein
ward, gebrauchen wir die Früchte und genießen den Nutzen; denn Früchte
werden eigentlich die Erträgnisse der Äcker genannt, die wir doch
nur in der Zeitlichkeit gebrauchen.
In diesem Sinne also wende ich dies Wort bei jenen drei Dingen an, die, wie
erwähnt, beim Menschen zu betrachten sind: Naturanlage, Theorie und Übung.
Und dieserwegen ward, das ewige Leben zu erlangen, von den Philosophen das Studium
in drei Teile geteilt: in die Physik, wegen der Natur; in die Logik, wegen der
Lehre; und in die Ethik, wegen der Ausübung. Denn hätten wir unsere
Natur von uns selbst empfangen, so hätten wir fürwahr auch unsere
Wissenschaft selbst erzeugt und müßten dann nicht dafür sorgen,
die Lehre anderswoher durch Lernen zu empfangen; so wie auch unsere Liebe, wenn
sie von uns ausginge und zu uns zurückkehrte, uns genügen würde,
selig zu leben. So aber, da unsere Natur Gott zum Urheber ihres Daseins hat,
müssen wir ohne allen Zweifel auch ihn zum Lehrer haben, wenn wir wahrhaft
weise sein wollen; und damit wir wahrhaft selig werden, muß er uns Spender
innerster Süße sein.
Wir selbst finden sogar in unserm Innern ein Abbild Gottes, das heißt
jener höchsten Dreifaltigkeit, freilich nicht ein ebenbürtiges, ja
nur ein von der wirklichen Ähnlichkeit weit entferntes, auch nicht ein
gleich-ewiges und, um alles kurz zu sagen, nicht ein Abbild, das von gleicher
Wesenheit wäre wie Gott, dennoch eines, das wie in keinem andern gotterschaffenen
Wesen der Natur ihm ähnlich ist, das indessen noch durch Erneuerung muß
vervollkommnet werden, um zur möglichsten Ähnlichkeit zu gelangen.
Denn: wir sind; und wir erkennen, daß wir sind; und wir lieben dies Sein und dies Erkennen. In diesen drei Dingen aber macht
uns keine Täuschung irre, die dem Wahren ähnlich wäre. Denn wir
erfassen sie nicht wie die Dinge außer uns mit irgendeinem körperlichen
Sinne (wie z. B. die Farben durch das Gesicht, die Töne durch das Gehör,
die Düfte durch den Geruch, den Geschmack durch den Gaumen, Hartes und
Weiches durch die Befühlung, von welchen sinnlichen Dingen wir auch höchst
ähnliche, wiewohl nicht mehr körperliche, Bilder in den Gedanken schauen
und im Gedächtnisse bewahren, durch die wir auch angeregt werden, nach
ihnen zu verlangen); sondern ohne alles Spiel und Blendwerk der Einbildung weiß
ich höchst gewiß, daß ich bin und daß ich mein Dasein
erkenne und liebe. Und ich fürchte in diesen wahren Dingen keineswegs die
Spitzfindigkeiten der Akademiker, die mir etwa sagen: du könntest doch
irren? Denn kann ich irren, so bin ich; da, wer nicht ist, auch nicht irren
kann. Dadurch selbst also bin ich, wenn ich irre. Da ich also immer Ich wäre,
auch wenn ich irrte: so ist es außer allem Zweifel, daß ich nicht
darin irre, daß ich mich erkenne. Daraus erfolgt aber, daß ich auch
darin nicht irre, wenn ich erkenne, daß ich mich erkenne; denn gleichwie
ich erkenne, daß ich bin, also erkenne ich auch dies, daß ich mich
erkenne. Und wenn ich diese beiden Dinge liebe, so füge ich ihnen, die
ich erkenne, ein Drittes, und zwar nichts Geringeres bei, nämlich meine
Liebe, die ich nicht minder erkenne. Denn auch darin irre ich nicht, daß
ich mich liebe; da ich in jenen Dingen, die ich liebe, nicht irre, wiewohl selbst
wenn, was ich liebe, falsch wäre, es dennoch wahr wäre, daß
ich Falsches liebe. Denn aus welchem Grunde könnte ich wohl zu Recht getadelt
und von der Liebe falscher Dinge zurückgehalten werden, wenn es ein Trug
wäre, daß ich sie liebte? Da aber jene Dinge wahr und gewiß
sind: wer könnte da zweifeln, daß die Liebe zu ihnen eine wahre und
gewisse Liebe ist? Übrigens gibt es so wenig einen Menschen, der nicht
sein wollte, als es einen gibt, der nicht selig sein wollte. Denn wie könnte
selig sein wollen, wer nicht ist?
Schon das bloße Dasein ist mit einer Art natürlicher Wucht so sehr
ein Gut, daß aus keinem andern Grunde sogar jene, die elend sind, nicht
umkommen mögen, und wenn sie fühlen, daß sie elend sind, nicht
sich von dem Elende, sondern das Elend von sich entfernen wollen. Ja, selbst
solche, die sich im höchsten Grade elend bedünken und es auch wirklich
sind und nicht bloß von Toren, die sich weise nennen, sondern auch von
Menschen, die sich für selig halten, als Elende beurteilt werden, weil
sie in äußerster Dürftigkeit schmachten, selbst sie würden,
wofern jemand ihnen die Unsterblichkeit dergestalt antrüge, daß entweder
auch ihr Elend dabei fortbestünde, oder daß sie, falls sie nicht
immer in dem nämlichen Elend verbleiben wollten, nie und nimmer leben,
sondern gänzlich vernichtet werden sollten: — fürwahr, sie würden
vor Freude aufjauchzen und lieber erwählen, immerdar elend als gar nicht
zu sein. Hierfür rufe ich ihr eigenes Bewußtsein zum Zeugen auf.
Warum aber fürchten sie wohl zu sterben und wollen lieber im Elend leben
denn ihr Übel mit dem Tode endigen, warum anders, als weil — was
hieraus zur Genüge hervorgeht — die Natur so sehr vor dem Nichtsein
zurückschreckt? Wenn sie daher erkennen, daß sie sterben sollen,
verlangen sie als eine große Wohltat die Barmherzigkeit, noch einige Zeit
länger im gleichen Elend fortzuleben und später erst zu sterben. Dadurch
zeigen sie also offenbar, mir welcher Freude sie sogar eine Unsterblichkeit
annehmen würden, die nichts weiter als die Fortdauer ihrer Armseligkeit
wäre.
Und zeigen nicht sogar alle vernunftlosen Lebewesen, die solcherart Gedanken
nicht hegen können, von dem ungeheuersten Drachen an bis auf den geringsten
Wurm, durch alle Bewegungen, deren sie fähig sind, wie gern sie leben und
wie sehr sie ihren Untergang fliehen? Ja, fassen nicht sogar die Bäume
und alle Sträucher, denen kein Sinn innewohnt, um ihrem Untergang durch
offenbare Bewegung auszuweichen, in der Erde, woher sie ihre Nahrung ziehen,
um so tiefere Wurzeln, je höher sie ihre Wipfel in die Lüfte erheben:
damit sie auf solche Weise das Dasein erhalten, das sie auf ihre Weise haben?
Selbst jene Körper endlich, denen nicht nur kein Sinn, sondern auch nicht
einmal ein organisches Leben innewohnt, wodurch sie ihre Art fortpflanzen, streben
dennoch, je nach ihrem Gewichte, entweder in die Höhe oder in die Tiefe;
oder sie schweben in der Mitte, um sich nicht von der Stelle zu entfernen, die
die Natur ihnen angewiesen hat, ihre Wesenheit zu erhalten.
Wie sehr man nun erst das Wissen liebt und wie ungern die menschliche Natur
sich betrügen läßt, wird schon daraus kund, daß jeder
Mensch lieber bei gesundem Verstande trauern als im Wahnsinn sich freuen möchte.
Diese große und wunderbare Kraft hat aber außer dem Menschen kein
anderes sterbliches Lebewesen; denn haben auch einige weit stärkere Sehkraft
als wir, das körperliche Licht zu schauen, so vermögen sie es doch
nimmermehr, jenes unsterbliche Licht zu erreichen, von
welchem unsere Seele gleichsam bestrahlt wird, so daß wir über
all das richtig urteilen können. Denn das vermögen wir,
insofern wir von diesem Lichte erleuchtet werden. Wohnt aber auch den
Sinnen der vernunftlosen Tiere auf keine Weise Wissen inne, so haben sie gleichwohl
etwas dem Wissen Ähnliches. Die übrigen körperhaften Wesen aber
werden Sinneswesen genannt, nicht weil ihnen Sinn innewohnt, sondern weil wir
sie durch die Sinne wahrnehmen; wiewohl wir selbst auch in den Pflanzen eine
Art Ähnlichkeit mit den Sinnen insofern wahrnehmen, als sie sich nähren
und fortpflanzen. Übrigens ha-ben sie wie alle körperlichen Dinge
ihre in der Natur verborgenen Ursachen; ihre Gestalten jedoch, wodurch die Zierde
dieser sichtbaren Welt erhöht wird, entfalten sie unseren Sinnen, gleich
als ob sie, die selbst unvermögend sind zu erkennen, dadurch gleichsam
anzeigten, daß sie erkannt werden wollen. Wir aber fassen sie wohl mit
unsern Sinnen auf, doch beurteilen wir sie nicht mit dem Sinn des Körpers;
denn wir haben einen andern Sinn des innerlichen Menschen, der weit erhabener
ist und kraft dessen wir wahrnehmen, was recht und unrecht ist: das eine durch
seine innerliche Schönheit, das andere durch den Mangel daran. Dieser Sinn
aber braucht weder die Schärfe der Sehkraft noch die Öffnung der Ohren,
nicht Geruch und Geschmack noch auch das körperliche Tastgefühl. In
ihm bin ich gewiß, daß ich bin und daß ich dies erkenne und
daß ich mein Dasein liebe; und ebenso gewiß weiß ich auch
dort, daß ich mich liebe.
Doch von diesen beiden Gegenständen haben wir, sofern der Plan unseres
Werkes es erforderte, bereits hinreichend gesprochen, nämlich vom Sein
und vom Bewußtsein, und wie sehr wir beide in uns lieben, sowie davon,
daß auch in andern, tiefer stehenden Wesen etwas bei aller Verschiedenheit
doch Ähnliches lebt. Dagegen sprachen wir nichts darüber, ob wir auch
die Liebe selbst lieben, kraft welcher beide geliebt werden. Allerdings aber
lieben wir sie, und ein Beweis dessen ist, daß wir sie in Menschen, die
wir auf die rechte Weise lieben, mehr denn diese Menschen selbst lieben. Denn
nicht füglich wird ein Mann gut genannt, der das Gute kennt, wohl aber,
der dasselbe liebt. Warum also sollten wir nicht in uns selbst die Liebe lieben,
wodurch wir alles Gute lieben, das wir lieben? Denn es gibt auch eine Liebe,
kraft welcher wir lieben, was nicht zu lieben ist; und diese Liebe haßt
derjenige in sich, der jene Liebe liebt, kraft welcher er liebt, was zu lieben
ist. Denn beide können in einem Menschen sein; und gut ist es dem Menschen,
daß, indes jene zunimmt, wodurch wir gut leben, die andere abnehme, wodurch
wir böse leben, bis unser ganzes Leben vollkommen geheilt und in ein gutes
Leben verwandelt wird. Denn wären wir Tiere, so würden wir das fleischliche
Leben und was nach den Sinnen des Fleisches ist lieben, und dies Gut wäre
dann für uns hinreichend; und weil wir uns wohl dabei befänden, würden
wir auch kein anderes suchen. Desgleichen könnten wir, wofern wir Bäume
wären, zwar nichts durch eine fühlbare Regung lieben; doch hätte
es dann den Anschein, als hegten wir Verlangen, üppigere und reichlichere
Frucht zu tragen. Wären wir Steine oder Fluten oder Wind oder Feuer oder
anderes dieser Art, so wären wir zwar ohne alle Empfindung und ohne alles
Leben: dennoch würde es uns nicht an einem gewissen Begehrungstriebe nach
unserer natürlichen Stätte und Ordnung fehlen. Denn das Gewicht der
Körper ist gleichsam ihre Liebe, kraft welcher die schweren hinab, die
leichten empor streben. Denn wie die Seele durch die Liebe, also wird der Körper
durch sein Gewicht überall hingezogen, wo immer er hingezogen wird. Da
wir also Menschen sind, die nach dem Bilde unseres Schöpfers erschaffen
wurden, dessen Ewigkeit wahrhaft, dessen Wahrheit ewig
und dessen Liebe wahrhaft und ewig ist, und der selbst die ewige und wahrhafte
geliebte Dreieinigkeit ohne Verwirrung und Trennung ist; und weil jene
Dinge, die unter uns sind, selbst auf keine Weise Dasein noch irgend Schöne
hätten, noch auch nach irgendei-ner Ordnung verlangten, wenn sie nicht
von ihm wären, der das vollkommenste Dasein und allerhöchst weise
und allerhöchst gut ist: so sollen wir durch alle seine Werke, die er in
wunderbarer Ständigkeit schuf, hindurchgehen und die Spuren, die er ihnen
einprägte, hier mehr, dort minder aufsammeln, in uns selbst aber sein Bild
schauen und gleich jenem verlorenen Sohne im Evangelium aufstehen und zu uns
selbst kommen, damit wir dann zu ihm zurückkehren, von dem wir durch die Sünde uns entfernt hatten. Dort wird unser Dasein
keinen Tod haben; dort wird unsere Erkenntnis ohne Irrtum sein und unsere Liebe
nicht sündigen.
Gegenwärtig aber, wo wir — ob uns auch jene drei Dinge in uns unfehlbar
bewußt sind und wir darüber keinem andern Zeugen glauben,
sondern sie selbst durch unser Bewußtsein empfinden und mit höchst
wahrhaftigem innerlichen Blicke schauen — dennoch durch uns selbst nicht
wissen können, wie lange sie dauern und ob sie niemals aufhören werden,
wohin sie kommen, wenn wir gut, und wohin, wenn wir böse damit wirken:
gegenwärtig suchen wir oder haben wir vielmehr darüber andere Zeugen.
Warum wir aber an der Wahrheit dieser Zeugnisse nicht zweifeln dürfen,
das werden wir späterhin mit aller Sorgfalt erörtern. In diesem Buche
aber müssen wir mit Gottes Hilfe zu Ende führen, was wir begonnen
hatten: von jenem Teil des Gottesstaats sprechen, der nicht in der Sterblichkeit
dieses Lebens pilgert, sondern immerdar unsterblich im Himmel ist, nämlich
von den heiligen, mit Gott vereinigten Engeln, die nimmermehr von ihm abfielen
noch auch je von ihm abfallen werden, und die er, wie wir im Anbeginn sagten,
von jenen sonderte, die, das ewige Licht verlassend, Finsternisse wurden. S.231ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe
Band 80, Augustinus, Bekenntnisse und Gottesstaat. Sein Werk ausgewählt
von Joseph Bernhart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred
Kröner Verlages, Stuttgart
Von den Engeln
Morgen-
und Abenderkenntnis
Denn diese heiligen Engel lernen Gott nicht durch vernehmbare Worte, sondern
durch die Gegenwart der unwandelbaren Wahrheit selbst, nämlich durch sein
eingeborenes Wort erkennen; und zwar erkennen sie das Wort und den Vater und
den heiligen Geist beider und sehen so klar, wie diese göttlichen Personen
die unteilbare Dreieinigkeit sind, und wie jede einzelne Person dieser Dreieinigkeit
eine und dieselbe Wesenheit ist, und wie dennoch nicht drei Götter, sondern
nur ein Gott ist: daß ihnen dies deutlicher als wir selbst uns kund sind.
Ja, sogar die Kreatur erkennen sie dort, das heißt in der Weisheit Gottes
als der Gestaltungskraft, durch die sie erschaffen ward, vollkommener als in
ihr selbst; und eben darum erkennen sie auch sich selbst dort besser als in
sich selbst, wiewohl sie auch in sich selbst sich erkennen. Denn sie sind erschaffen
und sind etwas anderes als er, der sie schuf. Dort also erkennen sie sich wie
in dem Lichte des Tages, in sich selbst aber wie im abendlichen Lichte, wie
wir anfangs erinnert haben.
Denn etwas ganz anderes ist es, eine Sache in dem Urgrunde selbst, wonach sie
gemacht ward, als sie in ihr selbst zu kennen; so wie wir die Linien und mathematischen
Figuren weit anders sehen, wenn wir sie im Geiste, als wenn wir sie im Sande
geschrieben sehen. Und anders ist auch die Gerechtigkeit in der unwandelbaren
Wahrheit, und anders in der Seele des Gerechten. Ebenso verhält es sich
mit den übrigen Dingen: mit dem Firmamente zwischen den höhern und
niedrigem Gewässern, das Himmel genannt wird; mit den gesammelten Gewässern
in der Tiefe und der Nacktheit der Erde, der Hervorbringung des Grases und der
Bäume; mit der Schöpfung der Sonne, des Mondes und der Sterne; mit
den aus dem Wasser erzeugten Tieren, der Vögel, Fische und schwimmenden
Seeungeheuer; mit allen Tieren der Erde, ob sie gehen oder kriechen; und mit
dem Menschen selbst, der den Vorzug über alle Dinge dieser Erde erhielt.
Alle diese Dinge erkennen die Engel in dem Worte Gottes, wo die Ursachen und
Ideen, aus welchen sie geschaffen wurden, unwandelbar bleiben, auf weit andere
Weise als in den Dingen selbst. Denn dort erkennen sie auf die deutlichste Weise,
wie in der Gestaltungskraft selbst; hier aber durch eine dunklere Erkenntnis
wie in den gestalteten Werken. Indem dann diese Werke auf das Lob und die Verehrung
dessen zurückgeführt werden, der sie schuf, geht gleichsam ein Morgen
auf im Geiste dessen, der sie betrachtet. — S.240f.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 80, Augustinus, Bekenntnisse
und Gottesstaat. Sein Werk ausgewählt von Joseph Bernhart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred
Kröner Verlages, Stuttgart
Die Staaten des
Lichtes und der Finsternis
Daß aber Engel gesündigt haben und in die untersten Teile der Welt
gestürzt wurden, die bis zu ihrer letzten Verdammnis am Tage des Gerichtes
gleichsam ihr Kerker sind, dies zeigt der Apostel
Petrus auf die deutlichste Weise, wo er sagt, daß Gott der Engel nicht schonte, die da sündigten, sondern daß er sie in die finsteren Kerker
der Hölle stürzte und sie daselbst bis zum Gerichtstage zur Strafe
aufbewahre. Wer kann daher bezweifeln, daß Gott jene Engel durch seine
Vorherwissenschaft oder durch die Tat selbst von den andern gesondert habe?
Und wer kann widersprechen, daß diese mit vollem Rechte Licht genannt
werden? Nennt doch der Apostel uns selbst, die wir noch im Glauben leben und
nur die Hoffnung haben, ihnen einst gleich zu werden, was wir bis jetzt noch
nicht sind, bereits ein Licht, da er sagt: »Denn
ihr waret einst Finsternis, nun aber seid ihr Licht im Herrn«! Daß aber jene abtrünnigen Engel offenbar Finsternisse genannt werden,
das erkennen oder glauben alle die sehr wohl, die wahrnehmen, daß jene
abgefallenen Engel ärger denn ungläubige Menschen sind. — Ist
demnach auch durch die Stelle: »Gott sprach: es
werde Licht, und es ward Licht«, ein anderes Licht, durch jene
Stelle aber: »Gott sonderte das Licht von den Finsternissen«,
eine andere Finsternis zu verstehen, so trifft uns dennoch kein Tadel, daß
wir diese beiden Gesellschaften der Engel also erklärten: die eine, die
ihres Gottes genießt, die andere, die von Hoffart aufgedunsen ist; die
eine, zu welcher gesprochen wird: »Betet Ihn an,
alle seine Engel«, die andere, deren Fürst sprach: »Dies
alles will ich dir geben, wenn du vor mir niederfällst und mich anbetest«; die eine, die von Gottes heiliger Liebe glüht, die andere, die von der
un-reinen Liebe zu ihrer eigenen Hoheit schwillt; und weil, wie geschrieben
steht, »Gott den Hoffärtigen widersteht, den
Demütigen aber seine Gnade gibt«: die eine, die im Himmel der Himmel wohnt, die andere, die von dort herabgestürzt in diesem niedrigen
Lufthimmel sich umhertreibt; die eine, die, durch glückselige Frömmigkeit
erleuchtet, der höchsten Ruhe genießt, die andere, die durch finstere
Begierlichkeiten in beständiger Unruhe ist; die eine, die auf Gottes Wink
huldreich zu Hilfe kommt oder auch auf gerechte Weise Rache übt, die andere,
die beständig in Hoffart und wütiger Bosheit giert, die Gemüter
zu unterjochen und ihnen zu schaden; die eine, die als Dienerin Gottes so viel
Gutes tut als er will; die andere, die durch Gottes Macht gebändigt nicht
soviel Böses tun darf als sie will; die eine, die dieser ruchlosen Geister
spottet, daß sie auch gegen ihren Willen durch ihre Verfolgungen nützen;
die andere, welche die guten Engel beneidet, wenn sie ihre Erdenpilger aufsammeln.
Wir glauben also, daß wir durch die Erklärung dieser dunkeln Schriftstellen
nicht fruchtlos gearbeitet haben, wenn wir darunter jene beiden so ungleichen
und einander entgegengesetzten Gesellschaften der Engel verstehen, von welchen
die eine ihrer Natur nach gut und ihrem Willen nach recht, die andere hingegen
ihrer Natur nach gut, ihrem Willen nach aber verkehrt ist; zumal da die heilige
Schrift auch durch andere Stellen deutlich erklärt, was wir im Buche der
Schöpfung unter den Ausdrücken Licht und Finsternis angedeutet glaubten.
Nicht vergeb-lich wäre daher unsere Arbeit, selbst wenn dies vielleicht
nicht der Sinn des heiligen Verfassers sein sollte. Sollten wir auch seinen
Willen nicht zu finden vermocht haben, so irrten wir dennoch nicht von der Richtschnur
des Glaubens ab, die durch andere Stellen der göttlichen Bücher den
Gläubigen kund ist. Denn wurde hier auch nur der körperhaften Werke
Gottes gedacht, so haben doch diese selbst eine Ähnlichkeit mit den geistigen
Werken; wie denn der Apostel sagt: »ihr alle seid
Kinder des Lichtes und Kinder des Tages; wir sind nicht Kinder der Nacht noch
der Finsternisse.« Ist dies aber der Sinn, den der heilige Verfasser
des Buches der Schöpfung beabsichtigte, so gelangte unsere Erörterung
zu einem um so vollkommeneren Ergebnis, da uns nicht zu glauben erlaubt ist,
der Mann Gottes, dem so erhabene und göttliche Weisheit innewohnte, oder
vielmehr der heilige Geist habe in der Aufzählung der Werke Gottes, die
nach seinem Ausspruche alle am sechsten Tage vollendet waren, der Engel irgend
vergessen, — sei es nun, daß Gott sie im Anbeginn, das ist: zuerst,
schuf, oder sei es, wie füglicher verstanden wird, daß er sie im
Anbeginn, nämlich durch sein eingebornes Wort schuf. Die Schrift also spricht: »Im Anbeginn schuf Gott Himmel und Erde«, unter welchen Namen die ganze Schöpfung verstanden wird, und zwar, was
das Glaublichere ist, sowohl die geistige als die körperhafte, die beiden
Teile des Weltalls, worin alles Erschaffene enthalten ist, und die Moses zuerst
überhaupt nennt, um sie dann nach der geheimnisvollen Tageszahl einzeln
zu beschreiben. S.241ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 80, Augustinus, Bekenntnisse
und Gottesstaat. Sein Werk ausgewählt von Joseph Bernhart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred
Kröner Verlages, Stuttgart
Gegen
die Ewigkeit der Schöpfung und die ewige Wiederkehr
Wie von der Welt, glauben einige auch von den Menschen, sie wären immer
gewesen. So sagt denn auch Apulejus, wo er über diese Gattung des Lebendigen
schreibt: »Einzeln wohl sind sie sterblich, zusammen
aber und als gesamtes Geschlecht ewig«. Und sagt man diesen Leuten:
wenn es immer Menschen gegeben hat, wie stimmt dann damit die Geschichte, die
davon erzählt, was und welcher Dinge Erfinder es gegeben, wer zuerst die
freien Wissenschaften und die anderen Künste eingeführt oder von wem
der oder jener Erdteil, die oder jene Insel besiedelt worden? so kommen sie
mit Überschwemmungen und mit Bränden, die von Zeit zu Zeiten immer
wieder zwar nicht die ganze Erde, wohl aber deren meiste Länder so verwüsteten,
daß die Menschheit zusammenschmölze zu einem kleinen armen Häuflein,
aus dem dann erst die alte Menge wieder wachse; so werde dann, was in diesen
Verwüstungen abgerissen und zugrunde gegangen, wiederhergestellt, als werde
es neu erfunden und zum ersten Male eingeführt. Und es könne ja doch
auch kein Mensch entstehen, es sei denn aus dem Men-schen. Da aber reden sie,
was sie meinen, nicht was sie wissen. —
Und andere gibt es, die nicht an die ewige Dauer dieser Welt glauben. Die aber,
ob sie nun an unzählige Welten glauben oder an eine einzige, die im Wechsel
der Ewigkeiten unzähligemale erstehe und zugrunde gehe, müssen doch
zugestehen, daß das Menschengeschlecht geworden sei ohne Menschen, die
es gezeugt. Jene anderen, die von Überschwemmungen und Bränden reden,
die nicht den ganzen Erdkreis betroffen, die können wohl behaupten, es
seien einige wenige Menschen übrig geblieben, aus denen dann erst die alte
Menge wieder erwachsen sei. Die aber glauben, daß die ganze Welt zugrunde
gehe, die können nicht an¬nehmen, daß auf der Welt etwas von
den Menschen übrig bleibe. Die nun sind der Meinung, wie
die Welt aus ihrem Urstoff wieder erstehe, so auch in ihr die Menschen aus ihren
Elementen, und daß dann erst wie bei allem anderen Lebendigen aus
Zeugenden und Gebärenden das Geschlecht der Sterblichen weiter wachse.
— So also rechnen diese Philosophen [Heraklit, Pythagoreer,
Stoiker] mit Zeitumläufen, in denen sich in der Natur
der Dinge das Gleiche immer wieder erneuert und wiederholt habe, und so auch
fürderhin und ohne Unterlaß der Ring der Welten, wie sie kommen
und vergehen, sich schließen müssen; sei es daß an der bleibenden
Welt sich der Wechsel vollziehe; sei es daß von Zeit zu Zeiten entstehend
und vergehend die Welt selber das Gleiche immer wieder, was vergangen ist und
wieder werden soll, als wäre es neu, zu Tage bringe. Und von diesem Spiel
vermögen sie nicht einmal die unsterbliche Seele auszunehmen, selbst wenn
sie schon die Weisheit gekostet: als laufe sie ohn Unterlaß zur falschen
Seligkeit und laufe von ihr wieder ohn Unterlaß
zurück ins echte Elend. Denn wäre es eine wahre Seligkeit,
auf deren ewige Dauer nicht zu bauen ist und worin die Seele entweder ahnungslos
und unerfahren mit der Wirklichkeit dem Elend, das ihr droht, entgegenreifen
oder, wenn sie es kennt, unselig in der Seligkeit in Ängsten seiner warten
muß? Wenn aber doch einmal die Seele ohne neue Rückkehr ins Elend
zur dauernden Seligkeit gelangt, so tritt doch einmal etwas Neues in die Zeit,
was in der Zeit kein Ende nehmen wird. Warum mehr also auch die Welt? warum
nicht auch der Mensch, geschaffen in der Welt? So ließen sich dann doch
die Zeitumläufe, so seltsam falsch, von falschen, trügerischen Weisen
ausgedacht, vermeiden, auf gradem Weg und in gesunder Lehre.
Nun heißt es freilich in Salomons
Ecclesiastes: »Was ist das, was gewesen ist?
Das Gleiche, was wieder sein wird. Und was ist das, was geschehen ist? Das Gleiche,
was wiederum geschehen wird. Nichts Neues gibts unter der Sonne. Und wenn einer
sagen wollte und spräche: Sieh, dies ist neu: es ist doch schon dagewesen
zu Zeiten, die vor uns waren«. Und das soll nun von jenen Zeitumläufen
verstanden werden, die zum Gleichen wiederkehren und alles auf
das Gleiche wieder bringen. Aber Salomon meint damit die von denen er zuvor
geredet, die kommenden und gehenden Geschlechter, den Gang der Sonne und den
Lauf der Wasser; oder er spricht doch nur von lauter solchen Dingen die entstehen
und vergehen. Denn Menschen gab es vor uns, gibt es mit uns und wird es nach
uns geben; und so ists auch bei Tieren und bei Pflanzen. — Andere wiederum
haben die Worte des Weisen so verstanden, als habe er sagen wollen, in der Vorherbestimmung
Gottes sei alles schon geschehen und also gebe es nichts
Neues unter der Sonne. Fern aber sei es vom rechten Glauben, anzunehmen,
daß mit diesen Worten Salomons die Zeitumläufe gemeint seien, worin
nach jener Philosophen Ansicht das ewig Gleiche an Zeit
und zeitlichen Dingen sich im Kreise dreht, so etwa daß, wie in jenem
Jahrhundert einst Plato der Philosoph in der Stadt Athen und in der Schule,
die Akademie genannt wird, seine Schüler lehrte, so nach unzähligen
Jahrhunderten und in unendlichem doch wohl bestimmtem Abstand der gleiche Plato
und die gleiche Stadt und auch die gleiche Schule und die gleichen Schüler
sich wiederholten und wiederum nach ungezählten Jahrhunderten sich wiederholen
werden. Fern sei, so sag ich, daß wir solches glauben! Denn einmal
nur ist Christus gestorben um unserer Sünden willen; auferstanden aber
von den Toten stirbt er nicht wieder und der Tod wird nicht mehr herrschen über
ihn. Und wir nach der Auferstehung werden immer mit dem Herrn sein, dem wir
jetzt sagen, wie der heilige Psalm uns lehrt: »Du
Herr wirst uns bewahren und wirst uns behüten vor diesem Geschlecht in
Ewigkeit«. Auf jene aber trifft gar wohl, was darnach folgt: »Im Kreis herum wandeln die Gottlosen«. Und nicht, weil wie
sie glauben, in jenen Zeitumläufen sich ihr Leben wiederhole, sondern weil
im Kreis ihr Weg des Irrtums führt, die falsche Lehre.
Und ist es ein Wunder, daß nicht Eingang noch Ausgang finden, die so im
Kreise irren? daß sie nicht wissen, wie das menschliche Geschlecht und
diese unsere Sterblichkeit begonnen, nicht wissen, was für ein Ende es
nehmen wird? Denn sie vermögen nicht einzudringen
in die Tiefe Gottes, der selber ewig und ohne Anfang
doch mit einem Anfang die Zeiten begonnen und in der Zeit den Menschen geschaffen
hat, den er zuvor doch nicht geschaffen hatte, und das in seinem Ratschluß,
der nicht neu und unverhofft, der wandellos und ewig war. Wer auch vermöchte
zu ergründen die unergründliche Tiefe, zu erforschen die unerforschliche,
nach der Gott den zeitgebundenen Menschen, vor dem kein anderer der Menschen
war, in wandellosem Willen in der Zeit geschaffen und aus dem einen alle Menschheit
sich hat vermehren lassen? An jener Stelle sagt der Psalmist: »Du Herr wirst uns bewahren und wirst uns behüten vor diesem Geschlecht
in Ewigkeit«, weist darnach die zurück, nach deren törichter
und böser Lehre es für die Seele keine ewige Freiheit und keine ewige
Seligkeit soll geben, und sagt zu ihnen also: »Im
Kreise herum wandeln die Gottlosen«; dann aber, gleichsam als frage
man ihn: »Was also glaubst du, weißt du, denkst
du? Ist doch nicht anzunehmen, daß es Gott mit einemmal gefallen habe
den Menschen zu schaffen, den er doch zuvor in aller unbegrenzten Ewigkeit nicht
schuf, Gott, dem nichts Neues irgendwie begegnen und in dem nichts sein kann,
was ein Wandel ist«? gibt er nun unvermittelt die Antwort, da er
zu Gott selber spricht: »Nach deiner Tiefe hast
du der Menschen Kinder vermehrt«. Es mögen, sagt er, die Menschen
für wahr halten, was sie meinen, und mögen glauben und vertreten,
was ihnen gefällt: »Nach deiner Tiefe«, die kein Mensch ergründen kann, »hast du der
Menschen Kinder vermehrt«. Und wahrhaftig, eine Tiefe ist es, immer
gewesen zu sein und doch den Menschen, den er nie zuvor geschaffen, zu irgendeiner
Zeit erstmals zu schaffen und doch im Willen und im Plan sich nicht zu ändern!
— Welche Ewigkeiten vergangen sind, ehe das Menschengeschlecht erschaffen
worden, ich bekenne, ich weiß es nicht. Doch das weiß ich, daß
nichts Geschaffenes gleich ewig sein kann dem Schöpfer. Auch der Apostel
spricht von ewigen Zeiten, nicht von den künftigen freilich, sondern, was
seltsam genug ist, von den vergangenen. So nämlich sagt er: »Zur
Hoffnung des ewigen Lebens, das vor ewigen Zeiten verheißen hat Gott,
der nicht lügt; geoffenbart aber hat er es zu seiner Zeit, sein Wort«. Siehe, da spricht er davon, daß es nach rückwärts ewige Zeiten
gegeben habe, die doch Gott gleich ewig nicht waren, da ja vor ewigen Zeiten
Gott nicht nur war, sondern auch das ewige Leben verheißen hat, das er
zu seiner Zeit, heißt das zur rechten Zeit, geoffenbart. Und was wäre
das, wenn nicht sein Wort? Denn dies ist das ewige Leben. Wie aber konnte er
vor ewigen Zeiten verheißen, da er doch nur den Menschen verheißen
hat, die vor ewigen Zeiten noch nicht waren, als daß es in seiner Ewigkeit
und in seinem ihm gleichewigen Wort in ewiger Bestimmung feststand, was zu seiner
Zeit geschehen sollte?
Auch das weiß ich gewiß, daß es nie einen Menschen gegeben,
ehe der erste Mensch geschaffen worden, weder einen, der im Kreislauf der Zeiten
immer wiederkehrte, noch einen anderen im Grund dem ähnlichen. Und von
diesem Glauben bringen mich auch nicht der Philosophen Argumente ab, als deren
scharfsinnigstes gilt, kein Unbegrenztes vermöge im Wissen aufgefaßt
zu werden. Und darum habe Gott, so sagen sie, von den Dingen, die er geschaffen
und die alle begrenzter Art gewesen, auch nur begrenzte Gedankenbilder in sich
tragen können. Nun könne aber sein gütig wirkendes Wesen nie
müßig gewesen sein, denn sonst erscheine doch sein Wirken als einmal
in der Zeit begrenzt und vor ihm läge ein ewiges Feiern; so gleichsam,
als habe Gott die anfangslose ewige Ruhe gereut und also sei er zum Anfang des
Wirkens geschritten. Und darum, sagen sie, sei es notwendig,
daß das Gleiche im ewigen Ablauf sich immer wiederhole.
— Denn wenn wir uns Gott vorstellen wollten, wie er zwar immer
Zeitliches gewirkt, aber immer nur jedesmal ein Neues, und so auf einmal dazu
ge-kommen sei, den Menschen zu schaffen, den er zuvor nie geschaffen hatte,
so würde er ja, was er geschaffen, nicht aus seinem ewigen Wissen geschaffen
haben, das ja, wie sie glauben, Unbegrenztes nicht zu fassen vermag, sondern
nur so aus dem Augenblick und wie es ihm in den Sinn kam, unbeständig und
dem Zufall sich überlassend. Ganz anders sei es, sagen sie, wenn man jenen ewigen Kreislauf der Dinge annehme, worin alles
Zeitliche sich immer wiederhole, indes die Welt bestehen bleibe oder
selbst in ewiger Wiederkehr von Untergang und neuem Werden den Kreislauf teile:
so halte man von Gott die Annahme sowohl der trägen Ruhe, zumal einer so
langen, anfangslosen, als eines blinden
Wechsels seiner Werke fern. — Solcher Beweise, womit Gottlose unsere
fromme Einfalt vom rechten Wege abzubringen und in den Kreislauf ihres Wahns
zu ziehen suchen, müßte der Glaube spotten, auch wenn Vernunft sie
nicht zuschanden machen könnte. Doch helle Vernunftgründe auch zerbrechen
mit des Herrn unseres Gottes Hilfe diese wirbelnden Kreise, die ein Wahn sich
erdichtet. Darin am meisten irren diese Leute, die lieber im falschen Kreis
statt auf dem wahren und geraden Wege wandeln wollen, daß sie den göttlichen
Geist, den wandellosen, der alle Unendlichkeit zu fassen und ohne den Gedanken
auch nur zu rücken alles Zahllose zu umspannen fähig ist, daß sie den messen am engen, wandelbaren Menschengeist. Und so gehts ihnen, wie
der Apostel sagt: »Da sie mit sich selbst sich vergleichen,
begreifen sie nicht«. Denn sie, die wandelbaren Geistes sind, sie
fassen neue Entschlüsse, sooft ihnen Neues zu tun in den Sinn kommt. Und
so denken sie nicht Gott, den sie nicht denken können, sondern sich selbst
an seiner Statt, und nicht ihn, sondern sich selbst vergleichen sie, mit ihm
nicht, sondern mit sich selbst.
Wir tun aber nicht recht daran, zu glauben, daß Gott sich anders verhalte
in der Ruhe als im Wirken. Ja, in ihm ist ein Wechsel
des Verhaltens, als ginge in seinem Wesen jemals etwas vor, was vordem nicht
in ihm gewesen, überhaupt nicht anzunehmen. Denn wer einen Wechsel
seines inneren Zustands erfahren kann, befindet sich im Zustand des Erleidens,
und alles, was erleiden kann, ist auch veränderlich. So ist denn seine
Ruhe unvereinbar mit jeglicher Vorstellung von Laßheit, Trägheit,
Müßigsein, wie auch bei seinem Wirken der Gedanke an Arbeit, Mühsal
und Betriebsamkeit ausgeschlossen ist. Er weiß im Ruhen zu schaffen und
im Schaffen zu ruhen. Er vermag ein neues Werk ohne neuen Entschluß, denn
alles vollbringt er aus dem einen ewigen; und nicht aus Reue etwa, daß
er zuvor gefeiert, begann er zu wirken, was er noch nicht gewirkt hatte. Doch
angenommen auch, er habe zuvor gefeiert und danach gewirkt und ich wüßte
nicht, wie ein Mensch das fassen sollte — so war dies »vorher« und »nachher« zweifelsohne in den Dingen, die freilich zuerst nicht waren, dann aber waren.
In ihm aber ist nicht ein vorausgegangener Wille von einem anderen, späteren
abgeändert oder verdrängt worden, sondern mit einem und demselben
ewigen und unwandelbaren Willen hat er bewirkt, daß alles von ihm Geschaffene
nicht sein Dasein hatte, solange es nicht ins Dasein getreten war, und daß
es alsdann sein Dasein hatte, sobald es da zu sein begann. Vielleicht wollte
er hiemit denen, die das Auge dafür haben, auf geheimnisvolle Weise zu
verstehen geben, wie ganz und gar nicht er der Dinge bedarf, und daß er
vielmehr sie aus freier Güte schuf, da er doch auch ohne sie von anfangloser
Ewigkeit in gleicher, ungeschwächter Seligkeit beharrte.
Wir können nicht ausmachen, ob Gottes Ratschluß wirklich die »Weltzeiten
der Weltzeiten«, wie wir es nennen, eben als Weltzeiten sich aneinanderreihen
läßt in ununterbrochener Verbindung, jedoch sich abspielend immer
wieder in verschieden geordnetem Verlauf wobei nur die aus der Unseligkeit Erlösten
in ihrer seligen Unsterblichkeit Bestand haben ohne Ende, oder ob mir diesem
Ausdruck die in Gottes Weisheit in unerschütterlicher Beständigkeit
ruhenden Weltzeiten als Wirkursache der in der Zeit dahinfließenden bezeichnet
werden sollen. Vielleicht ist nämlich mit Weltzeiten nichts anderes gemeint,
als was die Einzahl: Weltzeit besagt, wie auch der Ausdruck: Die Himmel der
Himmel nichts anderes besagt als: Der Himmel des Himmels. Denn als den einzigen
Himmel hat Gott die Feste bezeichnet, über der die Wasser sind, und doch
heißt es im Psalm: »Und die Gewässer,
die über den Himmeln sind, sollen rühmen den Namen des Herrn«. Welche der beiden Deutungen zutrifft, oh man außerdem noch etwas anderes
unter den Weltzeiten der Weltzeiten verstehen kann, das ist eine abgründige
Frage . . . Jetzt aber reden wir gegen die Meinung, als gäbe es Kreisläufe,
in denen sich immerfort notwendig dasselbe von Zeit zu Zeit wiederholen soll;
und mit diesen hat es nichts zu schaffen, welche von den Ansichten über
die Weltzeiten der Weltzeiten die richtige ist. Mögen die Weltzeiten der
Weltzeiten nicht immer sich wiederholende, sondern eines nach dem andern in
streng geregeltem Zusammenhang verlaufende Zeitalter sein, wobei die Seligkeit
der Erlösten ohne irgendwelche Wiederkehr von Leiden in ganz sicherer Dauer
bestehen bleibt, oder mögen die Weltzeiten etwas Ewiges sein, die davon
abhängigen vorübergehenden Zeiten gleichsam beherrschend, in keinem
Fall haben die immer dasselbe wiederbringenden Kreisläufe Platz, die vor
allem unvereinbar sind mit dem ewigen Leben der Heiligen.
Vermag es eines Frommen Ohr auch nur zu hören? Nach einem langen Leben
voll der schwersten Mühsal — wenn man es Leben
nennen kann, was mehr ein Tod ist, so schwer, daß wir uns vor dem
anderen Tod, der uns von dem befreit, aus Liebe zum lebendigen Tode fürchten
— nach so vielem und großem und schrecklichem Elend befreit endlich
durch die wahre Religion und Weisheit wird die Seele fähig, zum Antlitz
Gottes zu gelangen und so selig zu werden in der Schau
des körperlosen Lichts und teilnehmend an seiner wandellosen Unsterblichkeit,
die zu erreichen wir in Liebessehnsucht brennen; aber so nur selig zu werden,
daß sie die Seligkeit einmal wieder lassen muß, und daß die,
die sie lassen müssen, herabgeworfen werden aus jener Ewigkeit, Wahrheit,
Glückseligkeit zu neuem höllischern Tod, zu
schmachvoller Torheit, zu fluchwürdigem Elend, wo Gott verloren
und die Wahrheit gehaßt und wo das Glück in Schmutz und Nichtigkeit
gesucht wird! Und dies alles immer und immer wieder, ohne Ende das eine und
das andere, geschehen und wiedergeschehend im sicheren
Zeitmaß einer ewigen Wiederkehr! Und dies alles darum nur, weil
Gott vom Werk nicht ruhen noch auch das Unbegrenzte wissend fassen kann, und
also seine Werke ihm nur dann bekannt sein können, wenn in wohlbestimmten
Zeitumläufen kommend und gehend alles wiederkehrt, wechselweis hindurch
durch unsere falsche Seligkeit und unser echtes Elend und doch ewig
im unablässigen Umschwung der Dinge! Wer kann das hören? wer
das glauben? wer das tragen? Und wenn das alles wirklich so wäre, dann
wäre es doch klüger, davon zu schweigen, und man wäre —
um es gerade heraus zu sagen wie ich es meine — gelehrter, wüßte
man es nicht. Denn wenn wir drüben nichts davon behalten und also selig
sind, warum dann wird uns Her durch solches Wissen unser Elend noch vermehrt?
Wenn wir es aber drüben wissen müssen, so sollten wir es wenigstens
doch Her nicht wissen, auf daß uns Her die Erwartung des höchsten
Gutes glücklicher mache als drüben die Erfüllung, denn hier könnten
wir doch hoffen, ewiges Leben zu erlangen, drüben aber müßten
wir erkennen, daß das erlangte zwar selig, aber nicht von Dauer und einmal
wieder vergänglich sei.
Wenn sie aber nun sagen, niemand könne zu dieser Seligkeit gelangen, als
wer in diesem Leben durch Lehre Kenntnis von jenen Zeitumläufen gewonnen,
in denen Seligkeit und Elend wechseln: wie wollen sie dann behaupten, je mehr
einer Gott liebe, desto leichter gelange er zur Seligkeit, sie, die Dinge lehren,
die alle Liebe töten? Denn wer wird den nicht lässiger und lauer lieben,
von dem er weiß, daß er ihn bald verlassen und dann gegen seine
Weisheit und gegen seine Wahrheit werde denken müssen, und das gerade dann,
wenn er im vollendeten Glück zu seiner vollsten ihm möglichen Erkenntnis
gedrungen ist? Kann doch kein Mensch den Freund von Herzen lieben, von dem er
weiß, daß er ihm Feind wird. Aber es ist ja gar nicht wahr, was
sie uns drohen, daß unser echtes Elend niemals enden und immer nur durch
Zwischenzeiten falscher Seligkeit oft und ohn Ende unterbrochen werde! Denn
gäb es Falscheres und Trügerischeres als eine solche Seligkeit, da
wir inmitten hellsten Lichts der Wahrheit nichts von dem künftigen Elend
ahnten, oder aber in der Hochburg der Glückseligkeit uns vor ihm fürchten
müßten? Denn wenn wir in der Seligkeit vom kommenden Elend nichts
wüßten, so wäre ja dies unser jetziges Elend wissender, da wir
das kommende Glück doch kennen; wenn uns aber drüben einmal der drohende
Wechsel zum Bösen nicht verborgen bleibt, so lebten wir ja jetzt im Elend
glücklicher, da wir danach zur Seligkeit zu steigen hoffen dürfen,
als dann im seligen Leben, da wir danach ins alte Elend fallen werden. Seligkeit
aber wäre dann das Warten auf Unseligkeit, Unseligkeit die Hoffnung unserer
Seligkeit! Dann aber wäre es so, daß, da wir Her das gegenwärtige
Elend dulden und dort uns vor dem drohenden fürchten, wir doch in Wahrheit
immer nur unselig und nie selig wären! —
Wenn wir aber diesen ewigen Kreislauf der Zeiten ablehnen, gibt es nichts mehr,
das uns zwänge, einen Anfang des Menschen in der Zeit zu leugnen, weil
nämlich um dieses ewigen Kreislaufs willen es nichts Neues an den Dingen
gäbe, was nicht unzählige Male zuvor schon war und danach wieder sein
wird. Denn wenn einmal doch die Seele frei wird, um nimmer ins Elend
heimzukehren, wie sie zuvor nie frei gewesen, so geschieht an ihr doch etwas,
was früher nie geschehen war, und das ein gar gewaltig Großes, die
ewige Glückseligkeit, die nie ein Ende nehmen wird. Wenn nun aber an der
unsterblichen Natur etwas so völlig Neues sich ereignet, was nie sich wiederholt
hat und nie sich wiederholen wird: warum dann sollte das nicht an Sterblichem
geschehen können? Und wenn sie sagen, mit der Glückseligkeit geschehe
der Seele nichts Neues, weil sie nur zu der zurückkehrt, in der sie immer
war, so ist doch dies ein Neues, daß sie von einem Elend frei wird, worin
sie niemals war, und ist dies Elend selbst, das niemals war, an ihr als Neues
doch geschehen! Und kam dies Neue nicht nach der Ordnung der Dinge, die geleitet
sind von der göttlichen Vorsehung, sondern kam es mehr durch Zufall, wo
bleiben dann die Zeitumläufe, so klar bestimmt und abgemessen, in denen
gar nichts Neues geschieht und alles nur sich wiederholt, was schon gewesen
ist? Liegt aber auch dies Neue im Plan der ordnenden Vorsehung, so also kann
doch Neues geschehen, was vorher nie gewesen, und doch nicht fremd der letzten
Ordnung aller Dinge ist. Und wenn die Seele in ihrem Unverstand sich neues Elend
schaffen konnte, das doch der göttlichen Vorsehung nicht unvorhergesehen
kam, da sie auch die in ihm ewige Ordnung einschloß und davon auch nicht
ohne ewige Voraussicht die Seelen wieder freigemacht wie wäre es dann so
menschlich unbedacht und eitel, zu leugnen, daß die Gottheit Dinge schaffen
könne, die ihr nicht, doch der Welt ein Neues sind, die sie zuvor noch
nie geschaffen, und die sie dennoch stets vorausgesehen? Wenn sie nun aber sagen,
daß zwar die erlösten Seelen nicht mehr ins Elend zurückkehren,
daß aber eben damit nichts Neues geschehe, weil immer schon Seelen erlöst
worden seien und immer wieder, jetzt und in Zukunft, erlöst würden,
so müssen sie doch zugestehen, daß, wenn es so ist, eben neue Seelen
selber werden müssen, für die das Elend und die Erlösung neu
ist. Denn wenn sie sagen, diese Seelen seien alt und nach rückwärts
ewig, und aus ihnen würden täglich neue Menschen, die dann, wenn sie
weise lebten, so aus ihrem Leben erlöst würden, daß sie nimmer
ins Elend wiederkehren müssen, dann müßten sie auch folgerichtig
von einer unbegrenzten Zahl von Seelen sprechen. Denn so groß auch
eine begrenzte Zahl von Seelen angenommen würde, sie würde nicht hinreichen,
daß in den rückwärts unbegrenzten Zeiten immer wieder Menschen
aus ihnen würden, deren Seelen immer wieder aus der Sterblichkeit erlöst
nicht mehr zu ihr zurückzukehren brauchten. Und sie wissen es nicht zu
erklären, wie eine unbegrenzte Zahl von Seelen in der Welt sein kann, die
doch begrenzt sein müßte, wenn Gott sie kennen sollte.
Und da nun jener ewige Kreislauf der Dinge abgetan ist, worin die Seele immer
ins gleiche Elend zurückkehren müßte: was bleibt den Frommen
dann gemäßer, als zu glauben, für Gott sei es nicht unmöglich,
neu zu schaffen, was er noch nie geschaffen, und doch kraft seiner unbegreiflichen
Voraussicht den ewigen Willen nie zu ändern? Ob aber die Zahl der erlösten
Seelen, die nicht wieder ins Elend zurückkehren, immerfort sich mehre,
darum mögen die sich kümmern, die mit soviel Scharfsinn daran sind,
die Unendlichkeit der Dinge einzudämmen. Wir schließen unsere Beweisführung
nach jeder Seite hin. Kann die Zahl sich immerfort vermehren, warum dann sollten
wir bestreiten, daß geschaffen werden könnte, was nie zuvor geschaffen
war?
Denn der erlösten Seelen Zahl, die nie zuvor gewesen ist, einmal doch geschaffen
und wird nie zu sein aufhören. Müssen wir an eine bestimmte Zahl erlöster
Seelen denken, die nie ins alte Elend fallen, eine Zahl, die sich ferner nicht
vermehren kann, so war doch auch sie, sie mag sein wie sie will, zuvor einmal
nicht; denn ohne Anfang konnte sie nicht wachsen und so zu der bestimmten Grenze
kommen. Was aber Anfang ist, ist vorher nicht gewesen.
Damit es also sei, darum ist der erste Mensch geschaffen worden, vor dem kein
anderer war. S.248ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe
Band 80, Augustinus, Bekenntnisse und Gottesstaat. Sein Werk ausgewählt
von Joseph Bernhart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred
Kröner Verlages, Stuttgart
Scheidung
von Licht und Finsternis
Unter den Wesen, die irgendwie Dasein haben und nicht das sind, was Gott ist,
von dem sie erschaffen wurden, stehen die lebendigen über den leblosen;
so wie hinwider jene, die mit Zeugungskraft oder auch nur mit einem Begehrungstriebe
begabt sind, denjenigen vorgezogen werden, die diese Kraft nicht haben. Unter
den lebendigen Geschöpfen aber sind jene, die da fühlen, besser als
die fühllosen, besser zum Beispiel Tiere als Pflanzen; und unter denen,
welche fühlen, sind die vernünftigen den unvernünftigen vorzuziehen,
wie Menschen den Tieren; unter den vernünftigen endlich haben die unsterblichen
den Vorzug über die sterblichen, wie die Engel über die Menschen;
und diese Rangstufung ist auf die Ordnung der Natur gegründet.
Es gibt aber noch eine andere Weise, die Dinge zu schätzen, nämlich
je nach dem Nutzen, den sie jedem Einzelnen gewähren, so daß wir
manche fühllose Wesen den fühlenden vorziehen, und zwar so sehr, daß
wir, wenn es von uns abhinge, diese letztem gänzlich aus der Natur vertilgen
möchten, weil wir entweder nicht wissen, welchen Rang sie in derselben
haben, oder aber, wenn wir dies auch wüßten, sie dennoch unserm Nutzen
nachsetzen würden. Denn wer möchte in seinem Hause nicht lieber Brot
als Mäuse, nicht lieber Gold als Flöhe haben? Und dies ist auch kein
Wunder, da selbst nach der Meinung der Menschen, deren Würde doch in so
hohem Ansehen steht, meist ein Pferd teurer als ein Sklave und ein Edelstein
teurer als eine Magd bezahlt wird.
So ist also das freie Urteil der Vernunft von dem Urteil der Not oder der Lust
gar sehr verschieden, da die Vernunft die Dinge nach dem Werte ihrer Natur erwägt,
die Not hingegen bedenkt, was und weswegen sie‘s verlange. Die Vernunft
also sucht, was dem Lichte der Natur als wahr erscheint, die Lust hingegen,
was den Sinnen des Leibes auf ergötzende Weise schmeichelt. Doch so viele
Gewalt hat in den vernünftigen Naturen das Gewicht ihres Willens und ihrer
Liebe, daß, ob auch ihrer Natur nach die Engel den Menschen, dennoch dem
Gesetze der Gerechtigkeit nach die guten Menschen den bösen Engeln vorgezogen
werden.
Also von der Natur des Teufels, nicht von seiner Bosheit müssen wir das
Wort verstehen: »Das ist der Anfang des Werkes Gottes«,
da offenbar eine Natur nicht fehlerhaft werden kann, wenn sie nicht früher
ohne Fehler war. Das Verderben aber geht so sehr wider die Natur, daß es ihr nur schaden kann.
Es käme also nicht einem Verderben gleich, sich von Gott zu trennen, wenn
es nicht in der Ordnung dieser, also dem Verderben sich aussetzenden Natur läge,
mit Gott verbunden zu sein. Deshalb auch ist der böse Wille ein mächtiges
Zeugnis für die Güte der Natur. Wie nun Gott der in sich gute Schöpfer
guter Naturen ist, so weiß er es als gerechter Ordner der schlechten Willen
wohl zu fügen, daß auch die bösen Willen und ihr Mißbrauch
der guten Naturen in seiner Hand dem Zweck des Guten dienen. Er macht auch,
daß der Teufel, gut als Werk des Schöpfers, durch seinen eignen Willen
böse, hinabversetzt in seine Unterwelt, das Gespött der Engel ist,
will sagen, daß seine Angriffe zum Frommen sind der Heiligen, indes er
doch so sehnlich wünscht, sie eben hiedurch zu verderben. Und weil nun
Gott, da er ihn erschuf, seine künftige Bosheit wahrlich kannte und im
voraus wußte, was Gutes er mit dieser Bosheit schaffen werde, darum sagt
der Psalm: »Dieser
Drache, den du zum Gespött gebildet hast.« Was sagen will:
daß Gott als Bildner des Teufels schon, den
er als Guter freilich gut gebildet, kraft seines Vorherwissens mit sich einig
war, wie er ihn gebrauchen werde, wenn er zum Bösen geworden.
Denn Gott hätte wahrlich nicht nur keinen Engel, sondern auch keinen Menschen
erschaffen, von dem er vorausgesehen hatte, daß er böse werden würde,
wenn er nicht zugleich auch vorausgesehen hätte, wie er sie zum Nutzen
der Guten verwenden und also die geordnete Reihe aller Jahrhunderte wie einen
hochherrlichen Gesang gleichsam durch Antithesen schmücken würde.
Denn die Sätze, welche Antithesen genannt werden, sind überaus zierlich
zum Schmuck der Rede; und man könnte sie lateinisch ,,opposita“
(Gegensätze) oder besser ,,contraposita“
(Gegenüberstellungen) nennen. Doch ist dieser Ausdruck bei uns nicht
gebräuchlich, wiewohl die lateinische Rede und wohl auch die Sprachen aller
Völker dieses Schmuckes sich bedienen. Der Apostel Paulus selbst erklärt
jene schöne Stelle in seinem zweiten Sendschreiben an die Korinther auf
sehr anmutige Weise durch derlei Gegensätze, wo er spricht: »Durch
Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken; durch Ehre und Unehre;
durch Schmach und durch guten Ruf; als Verführer und als solche, die Wahrheit
sprechen; als Unbekannte, und wir sind bekannt; als Sterbende, und sieh da,
wir leben; als Gezüchtigte, und wir wurden nicht ertötet; als Traurige,
die sich aber immer erfreuen; als Dürftige, die wir aber viele bereichern;
als solche, die nichts haben und alles besitzen.« Wie also durch
Entgegenstellung solcher Gegensätze die Schönheit einer Rede erhöht
wird: also wird auf gleiche Weise, nicht durch Beredsamkeit in Worten, sondern
in Werken, mittels Entgegenstellung widerstreitender Dinge die Schönheit
der Welt erhöht. Ausdrücklich steht dies auch im Buche
Ecclesiasticus auf folgende Weise: »Gegen
das Böse steht das Gute und gegen den Tod das Leben: also gegen den Frommen
der Sünder. Und so betrachte alle Werke des Allerhöchsten; und finden
wirst du, daß paarweise immer eines dem andern entgegensteht.«
Wiewohl also die Dunkelheit der göttlichen Schrift auch dazu nützt,
daß sie mehrere Aussprüche der Wahrheit gebiert und an das
Licht der Erkenntnis fördert, da der eine sie so, der andere so
versteht (also jedoch, daß was in irgendeiner dunkeln Stelle erkannt wird,
durch das Zeugnis offenbarer Tatsachen oder durch andere deutlichere Stellen
außer allen Zweifel gestellt wird, wenn sie entweder, vielfach abgehandelt,
endlich zu dem Sinne dessen führen, der die Schrift verfaßte; oder
auch wenn bei Gelegenheit solcher Abhandlungen dunkler Stellen andere Wahrheiten
zum Vorschein kommen): so bedünkt es mich dennoch, es sei, wo von den Werken
Gottes die Rede ist, der Ausspruch nicht von der Wahrheit entfernt, wenn wir
unter jenem Lichte, das zuerst erschaffen ward, die Schöpfung der Engel
verstehen und annehmen, daß die heiligen Engel von den unreinen Geistern
gesondert wurden, wo gesprochen wird: »Und Gott
sonderte das Licht von den Finsternissen, und Gott nannte das Licht Tag, und
die Finsternisse nannte er Nacht!« Denn er allein vermochte es,
hier zu sondern, der auch, bevor sie noch fielen, jene erkannte, die da fallen
und, des Lichtes der Wahrheit beraubt, in finsterer Hoffart verbleiben würden.
Denn er auch befahl, daß dieser uns sehr bekannte zeitliche Tag von der
unsern Sinnen nicht minder bekannten Nacht und Finsternis durch Lichter des
Himmels gesondert würde, und sprach: »Es werden
Lichter am Firmamente des Himmels, daß sie leuchten auf Erden und den
Tag sondern von der Nacht.« Und kurz darauf: »Und
Gott schuf zwei große Leuchten; eine größere Leuchte, dem Tage
vorzustehen, und eine kleinere Leuchte, der Nacht vorzustehen, und Sterne; und
Gott stellte sie in das Firmament des Himmels, daß sie leuchteten auf
Erden und dem Tage vorständen und der Nacht und das Licht sonderten von
der Finsternis.« Jenes Licht aber, worin die heilige Gesellschaft
der Engel durch die Erleuchtung der geistig-innerlichen Wahrheit strahlt, vermochte
von den ihnen entgegengesetzten Finsternissen, das heißt von den höchst
abscheulichen Gemütern der vom Lichte der Gerechtigkeit abgewendeten bösen
Engel nur der zu sondern, der über das künftige Übel nicht der
Natur, sondern des Willens nimmermehr in Unkunde sein konnte. S.222ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe
Band 80, Augustinus, Bekenntnisse und Gottesstaat: Sein Werk ausgewählt
von Joseph Bernhart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred
Kröner Verlages, Stuttgart
Der Ursprung
des Bösen
Aber auch ich, obwohl ich unseren Gott rein, unwandelbar
und auf keine Weise veränderlich dachte und nannte, dich, den wahren Gott,
der du nicht nur unsere Seelen, sondern auch unsere Körper gemacht hast,
und nicht nur unsere Seelen und Körper, sondern alle und alles —
auch ich hatte den Ursprung des Bösen noch nicht entwirrt und geklärt.
Doch welcher auch immer es sein mochte, so sah ich doch, daß man ihn so
suchen mußte, daß er mich nicht zwänge, den unveränderlichen
Gott für veränderlich zu halten, damit ich nicht selbst würde,
was ich suchte, das Böse. Deshalb suchte ich ihn mit der Sicherheit und
Gewißheit, daß nicht wahr ist, was die Manichäer sagten. Mein
ganzer Geist wandte sich von ihnen ab, denn ich sah, daß sie bei der Frage
nach dem Ursprung des Bösen von der Bosheit erfüllt waren, lieber
anzunehmen, dein Wesen erleide das Böse, als ihr eigenes Wesen bewirke
es.
Ich bemühte mich, klar einzusehen, was man mir wiederholt sagte: Der freie
Entscheid des Willens sei der Ursprung dessen, daß wir böse handeln,
und dein rechtes Urteil sei der Ursprung dessen, daß wir leiden, aber
ich war nicht imstande, diesen klaren Ursprung einzusehen. Wenn ich daher versuchte,
die Spitze meines Geistes aus meiner Tiefe heraufzuheben, so tauchte ich wieder
unter; oft versuchte ich es erneut, tauchte aber immer wieder unter. Was mich
hinaufhob in dein Licht, war, daß ich mir so gewiß war, einen Willen
zu haben, wie ich wußte, daß ich lebe. Daher war ich mir dessen
ganz gewiß, wenn ich etwas wollte oder nicht wollte, daß ich es
dann war, der wollte oder nicht wollte. Und immer mehr erfaßte ich, daß
hier der Ursprung meiner Sünde lag. Ich sah auch, wenn ich etwas widerwillig
tat, daß dies eher ein Erleiden als ein Tun ist. Ich beurteilte das dann
nicht als Schuld, sondern als Strafe, von der ich bald bereitwillig eingestand,
sie treffe mich nicht zu Unrecht, dachte ich dich doch als gerecht. Aber dann
fragte ich mich wiederum:
»Wer hat mich gemacht? Nicht etwa mein Gott, der
nicht nur gut ist, sondern das Gute selbst? Woher kommt es also, daß ich
das Böse will und das Gute nicht will? Damit es etwas gebe, wofür
ich gerechterweise Strafe erleiden könnte? Wer hat diesen Samen der Bitternis
in mich hineingelegt und -gepflanzt, wo ich doch ganz das Werk meines gütigen
Gottes bin? War der Teufel der Urheber, woher dann der Teufel? Wenn er selbst
durch seinen verkehrten Willen aus einem guten Engel zum Teufel geworden ist,
woher kam dann in ihn er böse Wille, durch den er der Teufel geworden ist,
wenn der ganze Engel von einem sehr guten Schöpfer gemacht wurde?«
Durch solche Überlegungen wurde ich dann wieder herabgedrückt und
erstickt, aber sie stürzten mich nicht zurück in jenen Abgrund des
Irrtums, in dem niemand dir seine Sünden bekennt, weil er eher glaubt,
du erlitten das Böse, als der Mensch tue das Böse.
So bemühte ich mich denn, die übrigen Wahrheiten auf demselben Wege
zu finden, auf dem ich gefunden hatte, daß das Unzerstörbare besser
ist als das Zerstörbare. Daher bekannte ich dir zu deinem Lob, du seist
unzerstörbar, was auch immer du sonst seist. Denn keine Seele konnte etwas
denken oder wird je etwas denken können, das besser wäre als du, der
du das höchste und beste Gute bist. Da wir aber mit höchstem Recht
und größrer Gewißheit das Unzerstörbare über das
Zerstörbare stellen, wie ich es jetzt bereits tat, so konnte ich schon
— solltest du nicht unzerstörbar sein — etwas in Gedanken berühren,
das besser wäre als mein Gott. Dort also, wo ich sah, das Unzerstörbare
sei dem Zerstörbaren vorzuziehen, dort sollte ich dich suchen und von dort
aus erforschen, wo das Böse sei, woher also die Zerstörung stamme,
die dein Wesen auf gar keine Weise angreifen kann. Denn auf gar keine Weise
greift Zerstörung unsern Gott an, nicht aufgrund einer Willensentscheidung,
nicht aufgrund von Notwendigkeit, nicht durch blinden Zufall, denn er ist Gott,
und was er für sich will, ist das Gute, und er selbst ist eben dieses Gute:
Zerstörtwerden aber ist nichts Gutes. Du wirst auch nicht gegen deinen
Willen in etwas gezwungen, denn dein Wille ist nicht größer als deine
Macht. Er wäre aber größer als sie, wenn du größer
warest als du selbst, denn Gottes Wille und Gottes Macht sind Gott selbst. Und
was sollte dir Unvorhergesehenes zustoßen, der du alles kennst? Und es
gibt jedes andere Wesen nur deshalb, weil du es kennst. Aber wozu bedarf es
vieler Worte, um zu erklären, warum das Wesen Gottes nicht zerstörbar
ist, wo er doch, wäre er zerstörbar, nicht Gott wäre?
Aus: Aurelius Augustinus, Bekenntnisse
Mit einer Einleitung von Kurt Flasch, übersetzt, mit Anmerkungen versehen
und herausgegeben von Kurt Flasch und Burkhard Mojsisch
Reclams Universalbibliothek Nr. 2792 (S. 172-174) . © 1989 Philipp Reclam
jun., Stuttgart . Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher
Erlaubnis des Reclam Verlags
Der
Neid macht den Teufel zum Teufel
Nun kann auch der böse Engel, wegen seiner Bosheit Teufel genannt, den
Geheiligten nichts schaden. Denn auch er, soweit er Engel ist, ist nicht böse,
sondern nur soweit er aus eigenem Willen verkehrt worden ist. Man muß
ja zugeben, daß auch die Engel von Natur wandelbar sind, weil nur Gott
unwandelbar ist. Aber in Kraft des Willens, mit dem sie Gott mehr als sich selber
lieben, bleiben sie in ihm fest und unerschüttert, sind einzig und allein
ihm freudigst untertan und genießen seine Herrlichkeit. Jener andere Engel
aber, der sich selbst mehr als Gott liebte, wollte ihm nicht untertan sein,
blähte sich hochmütig auf, sagte sich vom höchsten Sein los und
fiel herab. Denn obwohl auch er einst kein höchstes Sein besaß, war
er doch mehr, solange er das höchste Sein genoß, da Gott allein zuhöchst
ist. Was aber weniger ist als vorher, das ist nicht, sofern es ist, sondern
sofern es weniger ist, böse. Denn eben dadurch, daß es weniger wird,
als es war, gleitet es zum Tode ab. Kein Wunder, daß aus solchem Absinken
Mangel und aus dem Mangel der Neid entsteht, der den Teufel zum Teufel macht.
Aus: Aurelius Augustinus, De vera religione/ Über
die wahre Religion, Lateinisch/Deutsch. Übersetzung und Anmerkungen von
Wilhelm Thimme .
Reclams Universalbibliothek Nr. 7971 (S. 45-47) .© 1983 Philipp Reclam
jun., Stuttgart . Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher
Erlaubnis des Reclam Verlags
Die Ursünde
des Abfalls (Vom Gottesstaat)
Aber da Gott alles voraus gewußt hat und also auch wissen
mußte, daß der Mensch sündigen werde, so müssen
wir denn so, wie er sie voraus gewußt und voraus bestimmt hat, die heilige
Stadt annehmen, nicht so, wie sie zu unsrer Erkenntnis gar nicht kommen konnte,
da sie nicht in Gottes Ratschluß lag. Denn es konnte der Mensch durch
seine Sünde den göttlichen Rat nicht umstoßen, so als hätte
er Gott zwingen können, was er beschlossen zu ändern, weil ja Gott
beides vorher gesehen und beidem vorher gesorgt, daß nämlich der
Mensch, den er gut geschaffen, böse werden würde und was er selber
dennoch Gutes werde mir ihm schaffen können. Denn wenn es von Gott heißt,
er ändere Beschlossenes — wie man denn auch in der heiligen Schrift
in übertragenem Sinn gesagt findet, es habe Gott etwas gereut — so
ist das so gemeint, daß der Mensch anderes erwartet und daß der
natürliche Gang der Dinge es anders mit sich gebracht hätte, nicht
so, daß der Allmächtige die vorausgewußte Tat geändert.
Es hat also Gott, wie geschrieben steht, den Menschen recht geschaffen und also
guten Willens. Denn recht wäre er nicht, hätte er keinen guten Willen.
Der gute Wille also ist Gottes Werk; denn mit ihm ist
der Mensch von Gott geschaffen. Der erste böse Wille aber, der ja
allem bösen Werk im Menschen voranging, ist mehr ein Abfall vom Werk Gottes
zu den eignen Werken hin als selbst ein Werk; und schlecht sind diese eignen
Werke, weil sie nach dem Menschen und nicht nach Gott getan sind. So also sind
gleich schlechten Früchten die Werke und gleich dem schlechten Baum der
Wille selber, der sie tut, und der Mensch, sofern er schlechten Willens ist.
Ferner ist dieser schlechte Wille, wenn schon er nicht nach der Natur ist, sondern
wider die Natur, da er ein Fehler ist, dennoch an der Natur, deren Fehler er
ist und so nicht sein könnte als an der Natur; doch an der Natur, die aus
dem Nichts der Schöpfer geschaffen, nicht an der, die er aus sich selbst
gezeugt, wie er das Wort gezeugt hat, durch das alles geschaffen ist. Denn wenn
auch Gott den Menschen aus Erdenstaub gebildet hat, so ward doch diese Erde
wie alle irdischen Dinge aus dem Nichts geschaffen, und auch die Seele, aus
dem Nichts geschaffen, gab er dem Körper, da er den Menschen schuf.
Aber so sehr ist das Gute stärker als das Böse, daß dies zwar
zugelassen ist, damit an ihm und seinem Gebrauch zum Guten die göttliche
Vorsehung in ihrer höchsten Gerechtigkeit sich zeige, daß aber, wenn
auch das Gute sein kann ohne Böses, wie Gott selbst der Wahre und Höchste
und alle himmlische Kreatur über diesem trüben Erdenhimmel, sichtbar
und unsichtbar, doch das Böse nicht sein kann ohne das Gute, weil ja die
Natur, an der das Böse ist, als Natur selber gut sein muß. Und
ferner wird das Böse nicht dadurch fortgeschafft, daß eine neue Natur
hinzuträte oder etwas von der Natur hinweggenommen würde, sondern
dadurch, daß eine schlecht gemachte und verdorbene Natur geheilt und gebessert
wird. So also ist die Wahl des Willens dann wahrhaft frei,
wenn er der Sünde nicht dient und dem Bösen. Und ein solcher ist dem
Menschen von Gott gegeben worden. Da er ihn aber durch eigenen Fehl verloren,
kann er ihm nur von dem zurückgegeben werden, der ihn allein ihm hat geben
können. So also spricht die Wahrheit: »Wenn
euch der Sohn frei macht, dann werdet ihr in Wahrheit frei sein«.
Das aber ist das Gleiche, wie wenn sie sagte: »Wenn
euch der Sohn heil macht, dann werdet ihr in Wahrheit heil sein«.
Denn wie Befreier, ist er Heiland.
Es lebte also der Mensch nach Gott, im Paradies, das leiblich war und geistig.
Nachdem aber jener hoffärtige und eben darum mißgünstige Engel,
der aus eben dieser Hoffart sich von Gott weg zu sich selbst gewandt und nun
in einer Art Wollust des Herrschens seine Freude lieber darin suchte, Untertanen
zu haben, als selber untertan zu sein, aus seinem geistigen Paradies gefallen
war, da mühte er sich, verschlagen und verführerisch, in des Menschen
Sinn einzuschleichen, weil er es ihm mißgönnte, daß er noch
stand, da er gefallen war. Und im leiblichen Paradies, wo mit den beiden Menschen,
mit Mann und Weib, auch alle andern Tiere der Erde zahm und ungefährlich
weilten, wählte er sich die Schlange, das schlüpfrig schleichende
Tier, geeignet zu seinem Werke, daß er aus ihr spreche. Und sie mißbrauchend
redete er denn zum Weibe, den Anfang machend beim niedrigeren Teil des Menschenpaars,
um von da Schritt um Schritt zum Ganzen zu gelangen und wissend, der Mann werde
weniger leichtgläubig sein und sich durch Nachgiebigkeit gegen der andern
Irrtum leichter betrügen lassen als durch eignen. Und so hat auch wohl
der Mann dem Weibe, der Eine der Einen, der Mensch dem Menschen, der Gatte der
Gattin, Gottes Gebot zu übertreten nachgegeben, nicht weil er ihr Wort
für wahr gehalten und also sich hat verführen lassen, sondern einzig
im Zwang geselliger Gemeinschaft. Denn nicht umsonst sagt der Apostel: »Und
Adam ist nicht verführt worden, das Weib aber ist verführt worden«.
— Und so also ward Adam nicht verführt, wie das Weib ist verführt
worden, aber darin hat er sich getrogen, wie das Urteil lauten werde, wenn er
sage: »Das Weib, das du mir gegeben, die gab mir
davon, und ich aß«. Wenn auch nicht beide glaubten und so
betrogen wurden, so haben doch beide gesündigt und so in des Teufels Fallstrick
sich verfangen.
Wenn es nun einem seltsam erscheint, daß durch andere Sünden die
menschliche Natur nicht so verändert wird, wie sie durch die Übertretung
der beiden ersten Menschen ist verändert worden, zu solcher Verderbnis
nämlich, wie wir sie selber sehn und fühlen, daß sie darum dem
Tod ist unterworfen und so vielen und so schweren wirren und störenden
Leidenschaften, wie es doch im Paradies vor der Sünde nicht gewesen, obwohl
auch da der Mensch im natürlich seelischen Körper war — wenn
einem das, so sagt ich, seltsam scheint, so darf er jenes Vergehen eben nicht
so leicht und läßlich glauben, weil es an einer Speise nur geschehen,
die doch nicht schlecht noch schädlich, nur verboten war. Aber Gottes Vorschrift
verlangte Gehorsam, und diese Tugend ist in aller vernünftigen Kreatur
Mutter und Hüterin aller Tugenden. Denn so ist alle Kreatur geschaffen,
daß es ihr nützlich ist zu gehorchen, verderblich aber, den eigenen
Willen zu tun und nicht dessen, von dem sie geschaffen ist. Dies Gebot also,
von einer einzigen Art von Speise nicht zu essen, da doch der andern soviele
zur Verfügung standen, dies Gebot, so leicht zu halten, so kurz zu merken,
damals vor allem, da die Lust noch nicht dem Willen widerstrebte, wie es später
erst geschah, der Übertretung zur Strafe, dies Gebot zu verletzen war ein
um so größres Unrecht, als es leicht hätte beachtet und gehalten
werden können. - Im Geheimen begann die Bosheit, um sodann in offenem Ungehorsam
auszubrechen. Denn nimmermehr geschähe ein böses Werk, wenn nicht
ein böser Wille voranginge. Was anders aber als Stolz kann der Anbeginn
eines bösen Werkes sein? Denn »der Anbeginn
aller Sünde ist die Hoffart«. Was ist aber die Hoffart, wenn
nicht ein Verlangen nach falscher Erhabenheit? Falsch
aber ist die Erhabenheit der Seele, wenn sie jenen
Urgrund verläßt, dem sie anhangen soll, und gewisserart ihr
eigener Urgrund werden und sein will. Das geschieht, wenn sie ein zu
großes Wohlgefallen an sich selbst hegt, und das zu große Wohlgefallen
steht in ihr auf, wenn sie von dem unwandelbaren Gute abfällt, das ihr
mehr gefallen soll als sie sich selbst. Dieser Abfall aber ist
freiwillig; denn wäre der Wille standhaft in der Liebe des unwandelbaren
höhern Gutes, von dem er erleuchtet wurde, auf daß er sähe,
und entzündet, auf daß er liebe: nimmer würde er dann sich davon
abkehren, um sich selbst zu gefallen, und darob finster werden und kalt. Und
nimmer hätte dann das Weib der Schlange geglaubt, noch der Mann den Willen
des Weibes dem Gebot Gottes vorangestellt oder bei sich gemeint, er fehle auf
verzeihliche Weise, wenn er die Gefährtin seines Lebens selbst in der Gemeinschaft
der Sünde nicht verließe.
Das böse Werk also, jene Übertretung im Genuß der verbotenen
Speise, wurde erst dann vollbracht, als sie bereits böse waren. Denn nur
einem bösen Baume konnten böse Früchte entsprossen. Daß
aber der Baum böse ward, geschah gegen die Natur, da es nur durch die Verderbnis
des Willens geschehen konnte, die eben gegen die Natur ist. Wäre der Mensch
aber nicht eine Natur gewesen, die aus nichts erschaffen wurde, so konnte er
durch kein Übel in Verderbnis geraten. Daß die Natur ist, hat sie
daher, daß sie von Gott erschaffen ist; daß sie aber absinkt von
dem, was sie ist, hat sie daher, daß sie aus nichts erschaffen ist. Gleichwohl
ward der Mensch dadurch, daß er von dem allerhöchsten
Sein abfiel, nicht zu nichts aufgelöst, sondern zu
sich selbst geneigt, wodurch sein Dasein geringer ward, als es war, da
er ihm anhing, der auf allerhöchste Weise ist. Wer also Gott verläßt
und in sich selbst ist, das heißt an sich selbst Gefallen hat, der ist
deshalb nicht nichts, wohl aber nähert er sich dem Nichts. Deshalb auch
werden in den heiligen Schriften die Hoffärtigen auch wohl die Selbstgefälligen
genannt. Denn gut ist es, sein Herz zu erheben, jedoch nicht zu sich selbst,
was bare Hoffart ist, sondern zum Herrn, was durch den Gehorsam geschieht, dessen
nur die Demütigen fähig sind.
Es gibt also eine Verdemütigung, die das Herz auf wunderbare Weise erhebt,
und eine Erhebung, die das Herz niederbeugt. Wohl scheint es, als läge
darin ein Widerspruch, daß die Erhebung in die Tiefe, die Demut hingegen
in die Höhe führt. Doch unterwirft sich ja die fromme Demut dem Höchsten,
nichts ist höher als Gott, und darum erhebt uns die Demut, die uns Gott
unterwirft. Die falsche Erhebung hingegen fällt gerade dadurch, daß
sie diese Unterwürfigkeit verschmäht, von dem ab, der nichts Höheres
über sich hat; und dies eben ist der Grund der tiefen Niedrigkeit, in die
sie versinkt, und wobei in Erfüllung geht, was geschrieben steht: »Du
hast sie niedergeworfen, als sie sich erhoben«. Denn was wohl zu
bemerken ist, die Schrift sagt nicht, daß sie sich früher erhoben
hätten und dann nach dieser Erhebung erst wären niedergeworfen worden,
sondern daß sie niedergeworfen wurden, als sie sich erhoben; denn dies
Erheben selbst ist das Niedergeworfenwerden. Deshalb auch wird im Gottesstaat,
und gerade in dem noch in dieser Welt pilgernden Gottesstaat die Demut aufs
höchste empfohlen und auch in Christo, ihrem König, aufs höchste
gepriesen; und umgekehrt lehren die heiligen Schriften, daß das ihr entgegengesetzte
Laster der Hoffart ganz vorzüglich in ihrem Widersacher, dem Teufel, herrscht.
Und dies fürwahr ist der eigentliche und große Unterschied, der die
beiden Staaten, welchen unsere Rede gilt, voneinander scheidet: die Gemeine
frommer Menschen von der andern, der Gemeine der Gottlosen, jede mit den ihr
zugehörigen Engeln, in denen dort die Liebe Gottes, hier die Eigenliebe
zum erstenmal hervortrat.
Nimmer also hätte der Teufel den Menschen durch die offenbare Sünde
gefangen, in der Tat wider Gottes Verbot, wenn nicht der Mensch früher
angefangen hätte, sich selbst zu gefallen. Daher kam‘s denn auch,
daß es ihm schmeichelte, als er hörte: »Ihr
werdet sein wie die Götter«. Dies aber hätten sie weit
besser sein können, wenn sie dem allerhöchsten und wahren Ursprung
alles Seins anhingen und nicht durch ihre Hoffart sich selbst ein Urgrund eigenen
Seins hätten werden wollen. Denn die erschaffenen
Götter (das heißt die Engel) sind nicht Götter aus eigener Kraft,
sondern durch ihre Vereinigung mit dem wahren Gott. Wer aber mehr verlangt
als er soll, der wird weniger als er war, da, wer sich selbst zu genügen
liebt, von dem sich trennt, der ihm wahrhaft genügen würde. Jenes
Übel also, das den Menschen, indem er sich, als wäre er
eigenes Licht, selbst gefällt, von jenem Licht
abkehrt, durch das er, wenn es ihm gefiele, selbst
zu Lichte würde, — hegte er zuerst im Verborgenen, ehe er
zu dem Übel überging, das er durch offenbare Tat vollbrachte. Denn
wahr ist jener Ausspruch der Schrift: »Vor dem Falle
wird das Herz erhoben und vor der Ehre gedemütigt«. Jener
Fall nämlich, der im Verborgenen des Herzens geschieht, geht dem Falle
voran, der sichtbar geschieht, da man den Fall im geheimen nicht für einen
Fall erachtet. Denn wer würde die Erhebung für einen Fall halten?
Und doch liegt schon in der Erhebung der Abfall, durch den man vom Allerhöchsten
abgelassen hat. Dagegen erscheint es auch dem blöden Auge als ein Fall,
wenn das Gebot augenscheinlich und unbezweifelt übertreten wird. Deswegen
verbot Gott etwas, das, wenn es begangen wurde, auch nicht durch den geringsten
Anschein des Rechttuns konnte verteidigt werden. Ich wage aber zu behaupten,
daß es den Hoffärtigen nützlich ist, in irgendeine augenscheinliche
und offenbare Sünde zu fallen, damit sie so sich selbst mißfällig
werden, die schon gefallen waren in ihrem Selbstbehagen. Denn
heilsamer waren dem Petrus seine Tränen, in denen er sich selbst
mißfiel, als seine Vermessenheit, worin er sich gefallen hatte. Eben dies
spricht auch der heilige Psalm: »Erfülle ihr
Antlitz mit Schmach, und sie werden, Herr, deinen Namen suchen«, das
will sagen: damit die, die sieh selbst gefielen, ihren eigenen Namen suchend,
nunmehr an dir Gefallen finden und deinen Namen suchen mögen.
Schlimmer noch und verdammlicher ist die Hoffart, womit man selbst in offenbaren
Sünden den Schutzmantel der Entschuldigung sucht, wie es die ersten Menschen
getan haben, von denen der eine sprach: »Die Schlange
verführte mich, und ich aß«, der andere aber: »Das
Weib, das du mir ge¬geben hast, gab mir die Frucht vom Baume, und ich aß«.
Nirgend ertönt hier die Bitte um Verzeihung, nirgend die Anrufung der Arznei.
Denn ob sie auch, was sie begangen hatten, nicht leugneten, wie Kain späterhin
tat, so suchte dennoch ihre Hoffart auf einen andern zu schieben, was sie selbst
verbrochen hatte. Doch vergeblich beschuldigt der Stolz des Weibes die Schlange,
vergeblich der Stolz des Mannes das Weib; denn wo die Übertretung des göttlichen
Gebotes offenbar ist, klagt, wer sich darüber entschuldigen will, sich
vielmehr dadurch selbst an. Denn sie hatten darum nicht minder gesündigt,
weil das Weib auf die Überredung der Schlange, der Mann aber auf das Dringen
des Weibes die Tat beging, so als ob man irgend etwas anderem eher glauben oder
folgen solle als Gott. S.270ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 80, Augustinus, Bekenntnisse
und Gottesstaat. Sein Werk ausgewählt von Joseph Bernhart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred
Kröner Verlages, Stuttgart
Der
ewige Sabbat (Vom Gottesstaat)
Wie groß wird jene Seligkeit sein, da kein Übel mehr sein kann, da
kein Gut verborgen bleibt, da alles aufgeht im Lob Gottes, der da allen alles
sein wird! Denn was anderes dort getan werde, da man nicht feiert in Trägheit
und nicht schafft aus Not, ich weiß es nicht. Ich denke nur des heiligen
Liedes, wo ich gehe und höre: »Selig, die in
deinem Hause wohnen! In der Ewigkeiten Ewigkeiten werden sie dich rühmen«.
Alle Glieder und Eingeweide des unvergänglich gewordenen Leibes, die wir
hienieden zu mannigfachem Dienst der Not gewiesen sehen, die werden dort dem
Preise Gottes dienen. Denn dort wird keine Not mehr sein, nur volles, reines,
sichres, ewiges Glück. Und alles Maß leiblichen Einklangs, das hienieden
noch verborgen ist, wird dort nicht mehr verborgen bleiben, drinnen und draußen
ganz im Leib geordnet. Und mit all dem Andern, dem Großen, Wunderbaren,
das dort geschaut wird, wird der vernunftbegabte Geist entflammen zum Lobpreis
eines solchen Künstlers, entzückt von einer Schönheit, aus Vernunft
geboren. Wie der verklärte Leib sich dort bewegen wird, so kühn bin
ich nicht, das zu sagen, was ich zu denken nicht vermag. Doch wie er sein wird,
Bewegung wird er haben und Haltung und Gestalt, ihm angemessen, da nichts sein
wird als nur das Angemessene. Wo der Geist will, da wird der Leib mit einem
sein; aber es wird der Geist nicht wollen, was dem Geist nicht ziemt noch auch
dem Leib. Und reines Lob wird dort sein, wo lobt, der nicht irren und nicht
schmeicheln kann; und reine Ehre, die keinem Würdigen versagt und keinem
Minderwürdigen gegeben wird; denn auch kein Minderwürdiger wird danach
greifen, wo nur der Würdige ist und sein darf; und reiner Friede, wo keiner,
nicht von sich und nicht von andern, Feindliches erfährt. Der Lohn der
Tugend wird er selbst sein, der die Tugend gab und ihr zum Lohn sich selbst
versprochen hat, den reinsten, den es geben kann, und größten Lohn.
Denn da er durch den Mund des Propheten sagt: »Ich
werde ihr Gott sein und sie mein Volk«, ist es nicht, als ob er
sagte: Ich bin es, was sie sättigt, ich bin es, was in Ehren die Menschen
sich verlangen, Leben und Wohlergehen und Nahrung und Reichtum und Ruhm und
Ehre und Friede und alles Gut? Und so auch nur ist zu verstehn, was der Apostel
sagt: »Auf daß Gott alles sei in allem«.
Und er wird unsrer Sehnsucht Ende sein, der ohne Ende dort geschaut wird, ohne
Ekel dort geliebt wird, ohne Müdigkeit gepriesen wird. Und diese Gabe,
diese Glut und diese Tat, die werden wie das ewige Leben selbst gemeinsam allen
sein.
Wie sich dort droben je nach Verdienst und Lohn der Seligen Ehre und Herrlichkeit
abstufen wird, wer ist so stark, sich das zu denken, um wieviel mehr, zu sagen?
Doch daß es also sein wird, daran ist nicht zu zweifeln. Und das auch
wird die selige Stadt dort in sich selber sehen, gar groß und gut, daß
kein Niedriger den Höheren beneidet, wie jetzt auch kein Engel einen Erzengel
beneidet. Keiner wird sein wollen, was ihm nicht gegeben ist, und wird mit dem
doch, dem‘s gegeben ist, verbunden sein in engster friedevollster Eintracht,
so wie am Leib das Auge nicht sein will was der Finger, weil beide Glieder ja
im Leib und seiner friedevollen Einheit leben. So also, hat er eine Gabe, kleiner
als der andre, hat er die Gabe doch, nicht mehr zu wollen.
Und wenn auch die Sünde die Seligen
nicht mehr ergötzen kann, so haben sie deshalb doch einen freien Willen.
Um so mehr wird der Wille frei sein, da er von der Lust der Sünde befreit
ist bis zur unbeirrbaren Lust, nicht zu sündigen. Der erste freie Wille,
der dem Menschen gegeben ward, als er zuerst und recht geschaffen wurde, vermochte,
nicht zu sündigen, doch vermochte er auch zu sündigen; dieser letzte
freie Wille wird um so stärker sein, als er nicht mehr vermag zu sündigen.
Das aber ist Gottes Gnadengabe und nicht die Kraft der eigenen Natur.
Denn ein andres ist es, Gott zu sein, und ein andres,
teilzuhaben an Gott. Gott kann von Natur nicht sündigen; der an
ihm teil hat, hat‘s von ihm empfangen, daß er nicht sündigen
kann. So also gab es Stufen in dieser Gnadengabe Gottes: zuerst sollte ein
freier Wille verliehen werden, durch den der Mensch vermochte, nicht zu sündigen,
zuletzt ein freier Wille, durch den er nicht vermochte zu sündigen;
der eine zur Erwerbung des Verdienstes, der andre zum Empfang des Lohns. Aber
da des Menschen Natur gesündigt hat, als sie sündigen konnte, so war
die Gnade der Erlösung um so reicher, die ihn zur Freiheit führte,
da er nicht mehr sündigen kann. Denn wie es die erste Unsterblichkeit,
die Adam sündigend verlor, gewesen ist, daß er hätte nicht sterben
können, und die letzte sein wird, daß er sterben nicht mehr kann,
so war es der erste freie Wille, daß er nicht sündigen konnte, der
letzte, daß er sündigen nicht kann.
Denn so wird der Wille zur Gottesfurcht und zur Gerechtigkeit unverlierbar
sein, wie der Wille zum Glück es ist. Denn da wir sündigten, konnten
wir die Gottseligkeit nicht bewahren noch das Glück; den Willen zum Glück
aber haben wir nicht verloren, da wir das Glück verloren. Gott
vermag nicht zu sündigen; ist aber deshalb sein freier Wille zu leugnen?
Es wird also in jenem Staat der freie Wille allen gemeinsam
und dem einzelnen unzertrennlich verbunden sein, von allem
Bösen frei und alles Guten voll, ohn
Unterlaß die Labsal der Freuden genießend, aller Schuld vergessend
und aller Strafe vergessend und doch nicht vergessend seiner Erlösung,
auf daß er dem Erlöser nicht undankbar sei; soweit es die vernunftgemäße
Erkenntnis berührt, auch eingedenk seiner vergangenen Übel, soweit
es aber die Erfahrung der Sinne berührt, auch deren völlig vergessend.
Ihm wird es sein wie dem erfahrenen Arzt, der alle Krankheiten des Leibes kennt,
wie der Beruf sie kennen kann, die meisten aber, wie der Leib sie fühlt,
nicht kennt, da er an ihnen nicht gelitten hat. Wie es also zweierlei Kenntnis
des Übels gibt, eine, die der reinen Kraft des Geistes gegeben ist, die
andre, die in der Erfahrung der Sinne ruht — anders ist ja die Kenntnis
des Lasters in der Wissenschaft des Weisen, anders im eignen schlechten Leben
des Unweisen —, so gibt es auch zweierlei Vergessen des Übels. Anders
vergißt es, der es wissenschaftlich und verstandesmäßig kennengelernt,
anders, der es selbst erfahren und erlitten hat; jener, wenn er sein Wissen
vergißt, dieser, wenn er am eignen Leib das Elend nicht mehr fühlt.
Nach diesem letzteren Vergessen werden auch die Heiligen das Elend vergessen
haben; sie fühlen es nicht mehr, und es wird ganz aus ihren Sinnen getilgt
sein. In der Kraft des Wissens aber, die groß in ihnen sein wird, werden
sie nicht nur das eigene vergangene, sondern auch das ewige Elend der Verdammten
kennen. Denn wüßten sie nicht mehr, wie sie elend gewesen, wie sollten
sie dann, wie der Psalm sagt, »die Erbarmungen des
Herrn in Ewigkeit besingen«? Ja es wird dieser Lobpreis der Gnade
Christi, in dessen Blut sie erlöst sind, die größte Wonne jenes
Staates sein. Und so erfüllt sich, was geschrieben steht:
»Feiert und sehet, daß ich Gott bin «!
Und das wird dann in Wahrheit der große Sabbat sein, der keinen Abend
hat, den Gott verheißen, da er an der Welt die ersten Werke tat, da geschrieben
ist: »Und es ruhete Gott am siebenten Tag von allen
seinen Werken, die er tat, und es segnete Gott den siebenten Tag und heiligte
ihn, weil er an ihm geruht hat von allen seinen Werken, die Gott getan«.
Denn der siebente Tag, der werden auch wir sein, wenn wir voll sein werden und
heil von seinem Segen und von seiner Heiligung. Dort werden wir feiern und sehen,
daß er der Gott ist, der wir uns selbst sein wollten, da wir von ihm fielen
und auf die Worte des Verführers hörten:
»Ihr werdet sein wie Götter«,
und vom wahren Gott weggingen, durch dessen Werk wir Götter
sein sollten, teilnehmend an ihm, nicht ihn verlassend. Denn was haben
wir ohne ihn getan, als daß wir zugrunde gingen in seinem Zorn? Aber aufgerichtet
von ihm und in größerer Gnade vollendet werden wir nun feiern in
Ewigkeit und sehen, daß er selber Gott ist, dessen voll wir sein werden,
da er selber alles sein wird in allem. Und wir werden begreifen, daß auch
unsre guten Werke mehr seine Werke sind als unsre, die uns nun angerechnet werden,
den ewigen Sabbat zu gewinnen. Knechtisch wären diese Werke, würden
wir sie uns selber zurechnen, und heißt es doch von diesem Sabbat: »Kein
knechtisches Werk sollt ihr verrichten«. Und so auch spricht der
Herr durch seinen Propheten Ezechiel: »Und meinen
Sabbat hab ich ihnen gegeben zu einem Zeichen zwischen mir und ihnen, damit
sie wissen, daß ich der Herr bin, der ich sie heilige«. Das
werden wir dann in Vollkommenheit erkennen, wenn wir in Vollkommenheit feiern
werden und in Vollkommenheit sehen werden, daß er Gott ist.
Auch die Zahl der Weltalter, gleichsam der Welttage, wenn man nämlich nach
jenen Zeitabschnitten rechnet, die in der heiligen Schrift gegeben sind, verkündet
deutlich jene Sabbatruhe. Denn der siebente Tag wird jene Zeit sein. Das erste
Weltalter, der erste Welttag gleichsam, reicht von Adam bis zur Sintflut, der
zweite bis Abraham, beide ungleich an Dauer, doch gleich nach der Zahl der Geschlechter,
deren zehn in jedem gezählt werden. Darauf nun bis zu Christi Ankunft folgen
die von Matthäus dem Evangelisten gezählten drei Weltalter, jedes
vierzehn Geschlechter fassend: eins von Abraham bis David, das andre bis zur
babylonischen Gefangenschaft, das dritte bis zu Christi Geburt im Fleische.
Dies sind zusammen fünf Weltalter. Im sechsten nun leben wir jetzt, das
durch eine Geschlechterzahl nicht zu messen ist, wie denn geschrieben steht:
»Es ist nicht eure Sache, die Zeit zu wissen, die der Vater gesetzt hat
in seiner Macht«. Danach aber wird Gott gleichsam als am siebenten
Tage ruhen, da er eben diesen siebenten Tag, worin wir sein werden, in sich
selbst wird ruhen lassen. Von diesen einzelnen Weltaltern jetzt genau zu handeln
führte uns zu weit. Dieser siebente Tag aber wird unser Sabbat sein, und
sein Ende wird kein Abend sein, sondern der Tag des Herrn, der ewige achte Tag
gleichsam, der durch Christi Auferstehung geheiligt ist und der die ewige Ruhe
vorbildet nicht nur des Geistes, sondern auch des Leibes.
Dort werden wir feiern und werden sehen, werden sehen und werden lieben, werden
lieben und werden preisen. Siehe und das wird sein am Ende ohne Ende. Denn was
wird unser Ende sein als zum Reich zu kommen, das kein Ende nimmt?
Ich glaube, ich habe mit dem Beistand des Herrn der Aufgabe, die dieses ungeheure
Werk mir gestellt hat, genug getan. Wem zu wenig oder wem zu viel gesagt ist:
sie mögen Nachsicht mit mir haben. Wem aber genug damit geschehen ist,
der freue sich mit mir und danke, nicht mir, sondern Gott mit mir. Amen. Amen
S.145ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 80, Augustinus, Bekenntnisse
und Gottesstaat. Sein Werk ausgewählt von Joseph Bernhart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred
Kröner Verlages, Stuttgart
Vom
Tode
Vom Gottesstaat: Dreizehntes
Buch
Der Sündenfall des ersten Menschen zog als Strafe
für ihn und das aus ihm hervorgehende Menschengeschlecht den Tod des Leibes,
der Seele und den sogenannten zweiten Tod nach sich. Man kann den leiblichen
Tod nicht mit den Platonikern als Befreier der Seele feiern und ihm die Bedeutung
eines Übels absprechen. Die Verbindung von Leib und Seele ist vielmehr
naturgemäß und nur infolge der über den Leib verhängten
Sündenstrafen ein Hindernis der Glückseligkeit der Seele. Der Leib
der Stammeltern war ein seelischer, der Nahrung bedürftig, durch den Lebensbaum
vor dem Verfall geschützt; er war nicht ein geistiger Leib, wie der der
Heiligen nach der Auferstehung sein wird.
1. Von dem Fall der ersten Menschen und dessen
Folge, dem Tod.
Nachdem nun die äußerst verwickelten Fragen über die Entstehung
unserer Welt und den Anfang
des Menschengeschlechtes erledigt sind, verlangt es die natürliche Reihenfolge,
dass wir die Erörterung über den Fall des ersten Menschen oder richtiger
der ersten Menschen und über den Ursprung
und die Fortpflanzung des Todes
unter den Menschen wieder aufnehmen, Nicht wie die Engel ja, unsterblich auch
für den Fall des Sündigens, hatte Gott
die Menschen erschaffen; vielmehr sollte ihnen, wenn sie der Pflicht des
Gehorsams nachkämen, ohne Dazwischentreten des Todes die Unsterblichkeit und glückselige Ewigkeit
der Engel zuteil werden, bei Ungehorsam dagegen der Tod sie treffen durch
gerechte Verurteilung, wie schon im vorigen Buche erwähnt worden ist.
2. Von dem Tod, der die Seele trotz ihrem ewigen Leben treffen kann, und
dem Tode, dem der Leib verfallen ist.
Jedoch über die Arten des Todes muss ich etwas eingehender handeln. Es
gibt nämlich auch einen Seelentod, obwohl
man die menschliche Seele mit Recht als unsterblich bezeichnet. Denn unsterblich heißt sie deshalb,
weil sie nicht aufhört zu leben und zu empfinden, wenn auch in noch so
geringem Grade; der Leib dagegen heißt sterblich deshalb, weil er alles
Lebens verlustig gehen kann und durch sich selbst überhaupt nicht lebt.
Der Tod der Seele nun also tritt ein, wenn Gott sie verlässt, wie der des
Leibes, wenn ihn die Seele verlässt. Also tritt der Tod beider und somit
des ganzen Menschen ein, wenn eine von Gott verlassene Seele den Leib verlässt.
In diesem Falle hat weder die Seele ihr Leben aus Gott noch der Leib das seine
aus der Seele. Diesem Tod des ganzen Menschen folgt alsdann der, den göttliche
Aussprüche als den zweiten Tod bekräftigen (Off. 2 11; 21, 8 ). Ihn hat der Erlöser gemeint
bei dem Worte (Matth. 10, 28): »Fürchtet
den, der Macht hat, Leib und Seele ins Verderben der Hölle zu stürzen«. Da dies erst nach der unzertrennlichen Vereinigung des Leibes mit der Seele
geschehen kann, so mag es sonderbar erscheinen, dass man von einem Tode des
Leibes spricht, wo doch der Leib nicht von der Seele verlassen, sondern als
beseelt und mit Empfindung begabt gepeinigt wird. Denn bei jener letzten und
ewigen Strafe, von welcher in anderem Zusammenhang eingehender zu handeln ist,
kann man wohl von einem Tod der Seele sprechen, weil sie nicht aus Gott lebt,
aber von einem Tod des Leibes, das ist merkwürdig, da der Leib doch durch
die Seele belebt wird. Sonst könnte er ja die leiblichen Peinen nicht fühlen,
die nach der Auferstehung eintreten werden. Vielleicht darf man dem Leibe, wenn
sich in ihm die Seele nicht des Lebens halber, sondern der Pein halber befindet,
das Leben deshalb absprechen, weil das Leben immerhin noch ein Gut,
die Pein ein Übel
ist.
Die Seele lebt also aus Gott, wenn sie gut lebt; sie vermag ja nur gut zu leben,
wenn Gott in ihr das Gute wirkt; der Leib dagegen lebt durch die Kraft der Seele,
wenn die Seele im Leibe lebt, gleichviel ob sie selbst aus Gott lebt oder nicht.
Das Leben der Gottlosen in ihren Leibern ist eben nicht ein Leben ihrer Seelen,
sondern ihrer Leiber; und ein solches können auch die toten, d. i. gottverlassenen
Seelen mitteilen, da deren Eigenleben, auf dem auch ihre Unsterblichkeit beruht,
nicht aufhört, mag es auch noch so schwach sein. Jedoch im Zustand der
schließlichen Verdammnis wird dieses Leben nicht mit Unrecht als Tod und
nicht mehr als Leben bezeichnet, obwohl der Mensch da immer noch Empfindung
hat; denn diese Empfindung ist nicht durch Lustgefühl angenehm noch durch
Ruhe heilwirksam, sondern durch Schmerz peinvoll. Und als
zweiter Tod wird dieses Leben bezeichnet, weil es eintritt nach dem ersten
Tod, durch den die Trennung der zusammenhängenden Naturen, sei es
Gottes und der Seele oder der Seele und des Leibes, herbeigeführt wird.
Von dem ersten Tode des Leibes kann man daher sagen, dass er für die Guten
gut sei, für die Bösen schlimm; der zweite dagegen ohne Zweifel ist
für niemand gut, trifft aber auch keinen Guten.
3. Ist der durch die Sünde der ersten Menschen auf alle Menschen übergegangene
Tod auch bei den Heiligen – Sündenstrafe?
Ist aber wirklich der Tod, durch den Seele und Leib sich trennen, für die
Guten etwas Gutes? Die Frage heischt eine Lösung; denn wie kann bei dieser
Annahme bestehen, dass auch der Guten Tod eine Sündenstrafe ist? Die ersten
Menschen hätten sich ja den Tod nicht zugezogen, wenn sie nicht gesündigt
hätten. Wie kann also der Tod, der nur
Böse treffen konnte, für die Guten etwas Gutes sein?
Er sollte vielmehr, wenn er nur Böse treffen konnte, für die Guten
nicht gut, sondern überhaupt nicht vorhanden sein. Warum
eine Strafe, wo nichts Strafbares! Man muss also annehmen und zugeben,
es seien zwar die ersten Menschen als solche so erschaffen worden, dass sie
keine Art von Tod erfahren hätten, wenn sie nicht gesündigt hätten;
als erste Sünder aber seien sie mit dem Tod in der Weise bestraft worden,
dass auch all das, was aus ihrem Stamm hervorsprossen würde, derselben
Strafe verfallen sein sollte. Denn nur Wesensgleiches sollte aus ihnen hervorgehen.
Ihre Natur eben ward gemäß der Größe der Schuld durch
das Strafurteil verschlechtert, und so sollte bei ihrer gesamten Nachkommenschaft
schon von Natur aus erfolgen, was bei ihnen zuerst eingetreten war als Strafe.
Denn Mensch aus Mensch ist nicht Mensch aus Staub. Der Staub war der Stoff für
den zu erschaffenden Menschen; für den zu erzeugenden ist der Mensch Erzeuger.
Demnach ist der Leib etwas anderes als die Erde, obwohl er aus Erde gebildet
ist; dagegen ist der menschliche Spross dasselbe wie sein menschlicher Erzeuger.
Das ganze Menschengeschlecht, das durch das Weib hervorgebracht werden sollte,
war im ersten Menschen vorhanden, als jenes Ehepaar von dem Strafurteil Gottes
getroffen wurde; und was der Mensch geworden ist, nicht bei der Schöpfung,
sondern infolge von Sünde und Strafe, das ist auch seine Nachkommenschaft,
wenigstens soweit Ursprung von Sünde und Tod in Betracht kommt. Denn in
den Zustand kindlicher Unbehilflichkeit und Unentwickeltheit des Geistes und
Leibes wie bei kleinen Kindern wurde er durch Sünde und Strafe nicht versetzt
(so sollten sich nach Gottes Willen die Anfänge von
Jungen gestalten, deren Eltern er herabgestürzt hatte zu einem tierischen
Leben und Tode, wie es denn heißt (Ps. 48, 13):
»Der Mensch, da er in Ehren war, erkannte es nicht;
er ward gleichgestellt den unverständigen Tieren und ist ihnen ähnlich
geworden«, nur
dass die kleinen Kinder offensichtlich noch unbehilflicher sind in Gebrauch
und Bewegung ihrer Glieder und in ihrem Strebe- und Meidevermögen als selbst
die zartesten Jungen anderer Lebewesen, gleich als sollte des Menschen Kraft
um so gewaltiger über die andern Lebewesen emporschnellen, je mehr sie
ihre Wucht zurückhält wie ein beim Spannen des Bogens zurückgezogener
Pfeil) ; - also nicht zu so kindlichen Ansätzen sank der erste Mensch
oder ward er herabgestoßen durch seine unerlaubte Überhebung und
das gerechte Strafurteil, sondern dahin wurde in ihm die menschliche Natur verschlechtert
und verändert, dass er in seinen Gliedern einen widerspenstigen Ungehorsam
des Begehrens zu erdulden hatte und dem Zwang des Todes anheim fiel; und so
sollte er das auch zeugen, was er durch Fehl und Strafe geworden war, nämlich
Wesen, die der Sünde und dem Tod unterworfen sind.
Werden Kinder von dieser Sündenfessel durch Christi des Mittlers Gnade
befreit, so können sie nur den einen Tod erdulden, der die Seele vom Leibe
trennt; in den zweiten Tod mit seiner endlosen Pein verfallen sie nicht. da
sie befreit sind von der Schuld der Sünde.
4. Warum bleibt der Tod, die Strafe der Sünde, denen nicht erspart,
die von der Sünde befreit worden sind durch die Gnade der Wiedergeburt?
Wenn nun der leibliche Tod ebenfalls Strafe der Sünde ist, so mag man sich
wundern, warum auch nur ihn zu erdulden haben die, deren Schuld durch die Gnade
getilgt ist. Ich habe die Frage behandelt und gelöst in einem andern Werk,
in dem Werk über die Kindertaufe (De peccatorum
meritis ac remissione et de baptismo parvulorum, L. II c. 30-34).
Dort wurde ausgeführt, dass der Seele das Erleiden der Trennung vom Leibe
trotz Hinwegnahme der Schuld deshalb noch vorbehalten bleibe, weil sonst, wenn
die Unsterblichkeit des Leibes die unmittelbare Folge des Sakramentes der Wiedergeburt
wäre, der Glaube entkräftet würde, der eben nur dann Glaube ist,
wenn man in Hoffnung erwartet, was man in Wirklichkeit noch nicht schaut. Durch
des Glaubens Kraft und Kampf aber sollte, wenigstens in den vorgerückteren
Jahren, auch die Todesfurcht überwunden werden, was sich am glänzendsten
bei den heiligen Märtyrern zeigte. Aller Sieg, aller Ruhm dieses Kampfes
wäre dahin (da es ja selbst einen Kampf überhaupt
nicht gäbe), wenn nach dem Bad der Wiedergeburt
die nun Geheiligten dem leiblichen Tod entrückt wären.
Und gar den kleinen Täuflingen würde man in erster Linie deshalb die
Gnade Christi zu sichern eilen, damit sie sich dem Leibe verbinde. Und so könnte
sich der Glaube nicht an einer unsichtbaren Gabe erweisen, ja er wäre gar
kein Glaube mehr, da er sofort Lohn für sein Werk suchte und hinnähme.
Allein wie die Sache steht, ist die Strafe der Sünde umgekehrt in den Dienst
der Gerechtigkeit gestellt worden durch eine noch größere und wunderbarere
Gnade des Erlösers. Damals vernahm der Mensch: »Dem
Tode bist du verfallen, wenn du sündigst«; der Märtyrer
vernimmt; »Geh in den Tod, damit du nicht sündigst«.
Damals hieß es: »Wenn ihr das Gebot übertretet,
werdet ihr des Todes sterben«; jetzt heißt es: »Wenn
ihr euch dem Tod entzieht, übertretet. ihr das Gebot«. Was
man damals so stark hätte fürchten sollen, dass man sich der Sünde
enthielt, muss man jetzt auf sich nehmen, um der Sünde zu entgehen.
So wandelt sich durch Gottes unaussprechliches Erbarmen
selbst die Strafe der Sünden in Waffen der Tugend, und Verdienst
des Gerechten wird, was über den Sünder als Strafe verhängt ward.
Damals zog man sich das Sterben zu durch die Sünde, jetzt erfüllt
man das Maß der Gerechtigkeit durch Sterben. In der Tat trifft das zu
bei den heiligen Märtyrern, denen vom Verfolger nur die Wahl gelassen wird,
vom Glauben abzufallen oder den Tod zu erleiden. Und die Gerechten ziehen es
vor, um des Glaubens willen das zu erdulden, was die ersten Ungerechten um ihres
Unglaubens willen erduldet haben. Hätten diese nicht gesündigt, so
wären sie nicht gestorben, dagegen würden jene sündigen, wenn
sie nicht stürben, Die einen sind also gestorben, weil sie gesündigt
haben, die andern sündigen nicht, weil sie sterben. Durch die Schuld der
einen geschah es, dass es zur Pein kam, durch die Pein der andern geschieht
es, dass es nicht zur Schuld kommt; nicht als wäre der Tod, vorher ein
Übel, in ein Gut verwandelt worden, sondern. Gott
hat dem Glauben die große Gnade verliehen, dass der Tod, der offenkundige
Gegensatz des Lebens, zum Mittel wurde, ins Leben einzugehen.
5. Wie das Gesetz, obwohl es gut ist, den Ungerechten zum Übel, so
gereicht der Tod, obwohl ein Übel, den, Gerechten zum Guten.
Um zu zeigen, welche Wucht zu schaden der Sünde innewohnt, wenn nicht die
Gnade zu Hilfe kommt, trug der Apostel kein Bedenken, selbst das Gesetz, das
doch der Sünde wehrt, als die Kraft der Sünde zu bezeichnen.
»Der Stachel des Todes«, sagt er (1
Kor. 15, 56), »ist die Sünde, die Kraft
der Sünde aber das Gesetz«. So wahr wie nur etwas! Das Verbot
steigert das Verlangen nach dem unerlaubten Werk, wofern man nicht die Gerechtigkeit
so sehr liebt, dass das Wohlgefallen an ihr das sündhafte Begehren überwindet.
Aber nur mit Hilfe der göttlichen Gnade vermag man die wahre Gerechtigkeit
mit Liebe und Wohlgefallen zu umfassen. Damit indes das Gesetz nicht für
ein Übel gehalten werde, da es als die Kraft der Sünde bezeichnet
ward, sagt der Apostel selbst an anderer Stelle (Röm.
7, 12f.), wo er über diese Frage handelt: »Daher
ist das Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gut. Ist also das
Gute mir zum Tode geworden? Gewiß nicht. Sondern die Sünde, damit
sie als Sünde offenbar würde, hat durch das Gute mir den Tod bewirkt,
damit ein Sünder oder eine Sünde über die Maßen erwachse
durch das Gebot«. »Über die Maßen«, sagt
er, weil nun auch noch die Übertretung hinzukommt, indem aus verstärktem
sündhaften Begehren auch noch das Gesetz verachtet wird. Warum ich das
hereinziehe? Der Vergleichung halber; denn so wenig das Gesetz ein Übel
ist deshalb, weil es die Begehrlichkeit der Sünder steigert, so wenig ist
der Tod deshalb ein Gut, weil er die Herrlichkeit der Dulder steigert. Jenes
wird beiseite gesetzt der Ungerechtigkeit zuliebe und erzeugt so Übertreter;
dieser wird übernommen der Wahrheit zuliebe und erzeugt so Märtyrer.
Und demnach ist das Gesetz gut, weil es Wehr ist wider die Sünde, und
der Tod schlimm, weil er Sold ist der Sünde; aber wie die Ungerechten
nicht nur die Übel, sondern auch die Güter übel anwenden, so
machen die Gerechten nicht bloß von den Gütern, sondern auch von
den Übeln einen guten Gebrauch. Daher kommt es, dass den
Bösen das Gesetz zum Bösen dient, obwohl es, ein Gut ist, und die
Guten gut zu sterben wissen, obwohl der Tod ein Übel ist.
6. Von dem Übel des Todes im allgemeinen, sofern dadurch die Gemeinschaft
von Seele und Leib aufgehoben wird.
Was also den leiblichen Tod betrifft, die Trennung der Seele vom Leibe, so ist
er für niemand gut, weshalb man auch von den Sterbenden sagt, dass sie
ihn erdulden. Er trägt Bitternis in sich, und wider die Natur geht gerade
die Gewaltsamkeit, womit beides auseinandergerissen wird, was im Lebenden innig
verbunden war; und das währt so lange, bis alle Empfindung dahingeschwunden
ist, die vorhanden war eben infolge der Verbindung von Seele und Leib. Zuweilen
überhebt ein einziger körperlicher Schlag oder plötzliches Entfliehen
der Seele dieser ganzen Beschwernis und lässt sie nicht in die Empfindung
treten, weil es so schnell geht. Was immer es aber sei, was bei den Sterbenden
unter bitterer Empfindung die Empfindungskraft dahin nimmt, fromm und getreu
ertragen, vermehrt es das Verdienst der Geduld, ohne freilich deshalb den Charakter
der Strafe zu verlieren. So wird der Tod, obwohl ohne Zweifel eine Strafe für
den Erdgeborenen, herrührend von der ununterbrochen sich fortpflanzenden
Abstammung vom ersten Menschen, für den Wiedergeborenen ein Herrlichkeitsgrund,
wenn man die Schuld bezahlt in Hingebung und um der Gerechtigkeit willen; und
zuweilen bewirkt der Tod, obwohl er die Vergeltung der Sünde ist, dass
die Sünde ohne Vergeltung bleibt.
7. Von dem Tode, den Ungetaufte um des Bekenntnisses Christi willen auf
sich nehmen.
Denn für alle die, die selbst ohne das Bad der Wiedergeburt
um des Bekenntnisses Christi willen sterben, hat
der Tod eine solche Kraft der Sündenvergebung, als wenn sie im heiligen
Taufbrunnen abgewaschen worden wären. Der da gesagt hat
(Joh. 3, 5). »Wenn einer nicht wiedergeboren
wird aus dem Wasser und dem Geiste,
wird er nicht eingehen ins Himmelreich«, hat mit jenen eine Ausnahme
gemacht in einem andern Ausspruch. worin es ebenfalls ohne Einschränkung
heißt (Matth. 10, 32): »Wer
mich bekennt vor den Menschen, den werde auch ich bekennen vor meinem Vater,
der im Himmel ist«; und an einer andern Stelle sagt er (Matth.
16, 25): »Wer seine Seele verliert um meinetwillen,
der wird sie finden«.
In diesem Sinne steht auch geschrieben (Ps. 115, 15):
»Kostbar in den Augen des Herrn ist der Tod
seiner Heiligen«. Was wäre auch kostbarer als ein Tod, durch
den Nachlass aller Sünden und reichliche Mehrung der Verdienste bewirkt
wird? Entschieden größer ja als das Verdienst derer, die im Angesicht
des unvermeidlichen Todes sich taufen ließen und so nach Tilgung aller
Sünden aus diesem Leben schieden, ist das Verdienst derer, die den Tod,
obwohl sie es in ihrer Gewalt gehabt, nicht vermieden, weil sie lieber im Bekenntnis
Christi ihr Leben beschließen, als unter Leugnung Christi zur Taufe auf
ihn gelangen wollten. Hätten sie es so gemacht, so wäre ihnen natürlich
auch ihre aus Todesfurcht entsprungene Leugnung Christi nachgelassen worden
durch das Bad, das selbst einen so ungeheuren Frevel wie die Tötung Christi
zu tilgen vermochte.
Jedoch wie hätten sie ohne überreiche Gnade jenes Geistes,
der da weht, wo er will (Joh.
3, 8), Christum so sehr lieben können, dass sie es trotz unmittelbarer
Lebensgefahr, trotz großer Hoffnung auf Verzeihung nicht übers Herz
brachten, ihn zu verleugnen? Der kostbare Tod der Heiligen, für die der
Tod Christi mit solcher Gnadenfülle vorausgeschickt und vorausgeleistet
ward, dass sie unbedenklich ihren eigenen Tod daran wendeten, um Christum zu
erwerben, zeigte also das, was ursprünglich zur Strafe für die Sünde
bestimmt war, in einer Weise zur Verwendung gebracht, daß daraus reichlichere
Frucht der Gerechtigkeit entsprang. Der Tod ist also deshalb noch nicht als
ein Gut zu betrachten, weil er unter Gottes Beistand, nicht aus sich selbst,
zu so gedeihlichem Nutzen gewendet ward; er, der seinerzeit als Schreckmittel
vor Augen gestellt worden, damit die Sünde nicht begangen würde, steht
jetzt vor Augen als etwas, was man auf sich nimmt mit dem Erfolg, dass keine
Sünde begangen, begangene Sünde getilgt und herrlichem Siege die gebührende
Palme der Gerechtigkeit verliehen wird.
8. Bei den Heiligen ist die Übernahme des
ersten Todes für die Wahrheit die Vernichtung des zweiten Todes
Sehen wir nämlich genauer zu, so zeigt sich, dass der Tod sogar vermieden
wird, wenn man für die Wahrheit treu und rühmlich stirbt. Man nimmt
da etwas vom Tode auf sich, damit nicht der völlige Tod eintrete und, der
zweite, der endlose, überdies hinzukomme. Man nimmt auf sich die Trennung
der Seele vom Leib, damit nicht nach Trennung Gottes von der Seele doch auch
noch die Seele vom Leibe getrennt werde und so der erste Tod den ganzen Menschen
erfasse und nach die¬sem der zweite, ewige eintrete. Darum ist der Tod allerdings,
wie gesagt, für niemand gilt in dem Augenblick. da man ihn sterbend erduldet
und er in den Sterbenden das Sterben bewirkt, sondern er wird etwa rühmlich
ertragen zur Festhaltung oder Erreichung eines Gutes; wohl aber bezeichnet man
ihn nicht unpassend als schlecht für die Schlechten und als gut für
die Guten, wenn man die bereits Verstorbenen ins Auge fasst, die im Zustand
des Todes weilen. Denn die Seelen der Frommen befinden sich nach der Trennung
vom Leibe in Ruhe, die der Gottlosen dagegen erleiden Strafe, bis die Leiber
wieder aufleben, die der einen zum ewigen Leben, die der
andern zu dem ewigen Tode, der der zweite heißt.
9. Bezieht sich der Ausdruck Todeszeit als
einer Zeit, in der das Empfindungsleben dahinschwindet, auf Sterbende oder Verstorbene?
Indes, wie soll man die Zeit, da die vom Leibe getrennten Seelen sich wohl oder
übel befinden, eigentlich bezeichnen? als nach dem Tode oder als im Tode?
Wenn nach dem Tode, so ist nicht der Tod, der ja dann vorüber ist und der
Vergangenheit angehört, sondern das nach ihm eintretende dermalige Leben
für die Seele gut oder schlimm. Der Tod dagegen war für sie schlimm,
als er da war, d. i. als sie ihn erduldeten, beim Sterben, weil sich da seine
Bitterkeit und Beschwernis fühlbar machte; ein Übel, das die Guten
zum Guten wenden. Aber der vorübergegangene Tod kann doch nicht gut oder
schlimm sein; er ist ja überhaupt nicht mehr da. Ja, wenn wir noch genauer
zusehen, stellt sich heraus, daß es der Tod gar nicht ist, der sich durch
Bitterkeit und Beschwernis, wie gesagt, fühlbar macht in den Sterbenden.
Denn solang sie Gefühl und Empfindung haben, leben sie ja noch, und wenn
sie noch leben, so wird man sagen müssen, dass sie sich nicht im Tode,
sondern vor dem Tode befinden; denn wenn der Tod kommt, so hebt er jede leibliche
Empfindung auf, die bei seinem Herannahen beschwerlich ist. Es ist darum schwer
zu sagen, warum wir Sterbende nennen die, die noch nicht gestorben sind, sondern
bei herannahendem Tode nur erst von der letzten und tödlichen Angst hin
und her getrieben werden. Und doch nennt man sie mit Recht so, weil sie, wenn
der schon bevorstehende Tod einmal gekommen ist, nicht Sterbende, sondern Verstorbene
heißen.
Nur ein Lebender also kann ein Sterbender sein; denn
wir sagen, wenn einer bereits mit dem Tode ringt, dass er im Begriffe sei, seine
Seele aufzugeben, und wer noch seine Seele hat, lebt noch. Also ist ein und
derselbe zugleich sterbend und lebend, jedoch dem Tode nahe, vom Leben scheidend,
immerhin aber noch am Leben, weil die Seele noch im Leibe ist, noch nicht im
Tode, weil sie vom Leib noch nicht geschieden ist. Wenn er sich nun nach deren
Scheiden auch nicht im Tode, sondern vielmehr nach dem Tode befindet, wann kann
man ihn dann im Tode befindlich nennen? Es ist ja eigentlich auch niemand ein
Sterbender, wenn niemand ein Sterbender und Lebender zugleich sein kann. Solang
die Seele in seinem Leibe ist, lebt er doch unleugbar, Oder wenn man einen,
in dessen Leibe sich schon der Tod vorbereitet, einen Sterbenden nennen muss,
und niemand zugleich ein Lebender und ein Sterbender sein kann, so weiß
ich nicht, wann er ein Lebender ist.
10. Das Leben der Sterblichen ist mehr ein Sterben als ein Leben.
Vom ersten Augenblick an, da man sich im sterblichen Leibe befindet, geht nämlich
im Menschen stetig etwas vor, was zum Tode führt. Die Wandelbarkeit arbeitet
die ganze Zeit des irdischen Lebens daran, (wenn man denn
dieses überhaupt Leben nennen soll), dass man zu Tode kommt. Ihm
ist jeder nach einem Jahre näher, als er vor einem Jahre war, näher
morgen als heute und heute als gestern, näher kurz nachher als jetzt und
jetzt als kurz vorher. Jede Spanne Lebenszeit verkürzt die Lebensdauer,
und der Rest wird kleiner und kleiner mit jedem Tag, und die ganze Lebenszeit
ist so weiter nichts als ein Todeslauf, bei dem
niemand auch nur ein wenig innehalten oder etwas langsamer gehen darf; vielmehr
werden alle in gleichem Schritt gedrängt und alle zu gleicher Eile angetrieben.
Denn der mit kürzerem Leben hat den Tag nicht rascher verlebt als der mit
längerem; gleichmäßig vielmehr und gleich lang eilten beiden
die Augenblicke dahin, nur dass das Ziel, dem beide mit gleicher Schnelligkeit
zueilten, für den einen näher lag als für den andern. Einen längeren
Marsch zurücklegen heißt aber nicht langsamer marschieren. Wer also
bis zu seinem Tode einen längeren Zeitraum durchmisst, geht nicht langsamer,
sondern legt nur einen weiteren Weg zurück, Wenn man nun zu sterben, d,
h, im Tode befindlich zu sein beginnt von dem Augenblick an, da in einem der
Tod einsetzt, d. i. die Abnahme des Lebens (denn wenn
das Leben durch fortwährende Abnahme sein Ende erreicht hat, befindet man
sich nicht mehr im Tode, sondern schon nach dem Tode), so befindet man
sich fürwahr im Tode vom ersten Augenblick an, da man sich im Leibe befindet.
Dies und nichts anderes geht vor sich Tag für Tag, Stunde für Stunde
und jeden einzelnen Augenblick, so lang, bis der Tod, der da vor sich ging,
aufgezehrt ist und dadurch zum Abschluss kommt und die Zeit, die während
der Lebensabnahme eine Zeit im Tode war, nunmehr in die Zeit nach dem Tode übergeht.
Nie also ist der Mensch am Leben, sobald er sich in diesem mehr sterbenden als
lebenden Leibe befindet, er müsste nur zugleich am Leben und im Tode sein
können. Oder ist er vielmehr zugleich am Leben und im Tode? am Leben, worin
er lebt, bis es gänzlich abgenommen hat, und im Tode, weil er bereits stirbt,
indem das Leben abnimmt? Denn wenn er nicht am Leben ist, was ist dann das,
was abnimmt bis zum völligen Verbrauch? Und wenn er nicht im Tode ist,
was ist dann jene Abnahme an Leben? Man sagt doch nicht umsonst
»nach dem Tode« von dem Zustand nach völligem Dahinschwinden
des Lebens; also war der Zustand des Hinschwindens ein Sterben. Denn wenn sich
der Mensch nach dem Hinschwinden nicht im Tode, sondern nach dem Tode befindet,
so muss er sich doch wohl im Tode befinden, während das Leben dahinschwindet.
11. Kann man gleichzeitig lebendig und tot sein?
Wenn es aber ungereimt ist, vom Menschen, bevor er zum Tode gelangt, zu sagen,
er sei bereits im Tode (er würde sich ja dem Tode
nicht erst nähern im Verlauf seiner Lebenszeit, wenn er schon im Tode wäre),
zumal es doch recht ungewöhnlich ist, ihn als gleichzeitig lebend
und sterbend, zu bezeichnen, da man doch nicht gleichzeitig wachend und schlafend
sein kann, so erhebt sich von selbst die Frage, wann denn eigentlich der Mensch
sterbend ist. Denn bevor der Tod kommt, ist er nicht sterbend, sondern lebend;
wenn aber der Tod gekommen ist, ist er tot, nicht sterbend. Das eine ist er
vor dem Tode, das andere nach dem Tode. Wann ist er dann
im Tode? [Das ist die Frage, um die es sich handelt.]
Denn wenn er im Tode ist, ist er sterbend; es entsprechen sich die drei
Begriffe: »vor dem Tode, im Tode, nach dem Tode«
einerseits und »lebend, sterbend, tot«
andrerseits. Es ist nun sehr schwer festzustellen, wann
der Mensch sterbend, d. i. im Tode ist, wo er weder lebend ist, was er vor dem
Tode ist, noch tot, was er nach dem Tode ist, sondern eben sterbend, d. i. im
Tode.
Solang nämlich die Seele im Leibe ist, besonders wenn auch Empfindung vorhanden
ist, lebt ohne Zweifel der aus Leib und Seele bestehende Mensch und befindet
sich demnach noch vor dem Tode, nicht im Tode; ist aber die Seele abgeschieden
und hat sie alle leibliche Empfindung dahingenommen, so befindet er sich offenbar
schon nach dem Tode und ist tot, Das sterbend oder im Tode sein verschwindet
also zwischen den beiden Zuständen [es ist dafür kein Raum]; denn
wenn der Mensch noch lebt, befindet er sich vor dem Tode, und wenn er zu leben
aufgehört hat, bereits nach dem Tode. Es zeigt sich also, daß er
nie sterbend, d. i. im Tode ist. So sucht man ja auch im Zeitenablauf die Gegenwart
vergebens, weil der Übergang vom Künftigen zum Vergangenen ohne jede
Dauer stattfindet. Auf diese Weise könnte man fast dazu kommen, dem leiblichen
Tod die Wirklichkeit abzusprechen. Denn gibt - es einen, wann ist er dann da,
wenn er sich bei niemand findet und niemand sich in ihm befinden kann? Denn
wenn man lebt, ist er noch nicht da, weil das vor dem Tode ist, nicht im Tode;
wenn man aber zu leben bereits aufgehört hat, ist er nicht mehr da, weil
das hinwieder nach dem Tode ist, nicht im Tode. Weiterhin aber, wenn kein Tod
da ist vor oder nach einem bestimmten Zeitpunkt, wie kann
man dann sprechen von vor dem Tode oder nach dem Tode?
Auch das ist eine leere Redensart, wenn kein Tod da ist. Und hätten wir
es nur im Paradiese durch guten Wandel dahin gebracht, dass es in Wirklichkeit
keinen Tod gäbe! So aber gibt es nicht nur einen, sondern er ist überdies
so beschwerlich, daß man ihn mit aller Redegewandtheit nicht fassen und
doch ihm auf keine Weise entgehen kann.
Reden wir also nach dem Sprachgebrauch (wir brauchen ja
nicht anders zu reden) und bezeichnen wir als vor dem Tode die Zeit,
ehe der Tod eintritt; wie es gemeint ist in dem Schriftwort
(Ekkli. 11, 30): »Vor dem Tode sollst. du
keinen Menschen loben«. Sagen wir, wenn er eingetreten ist: Nach
dem Tode dieses oder jenes hat sich das und das zugetragen. Gebrauchen wir auch
das. Präsens, so gut es geht, etwa indem wir sagen: Sterbend hat er verfügt,
oder: Dem und dem hat er sterbend: das und das hinterlassen, obwohl er es gewiss
nur lebend tun konnte und es nicht im Tode, sondern vor dem Tode getan hat.
Drücken wir uns aus, wie auch die Heilige Schrift sich ausdrückt,
die unbedenklich auch von Verstorbenen sagt, sie befänden sich im Tode,
nicht nach dem Tode. So in der Stelle (Ps. 6, 6) :
»Denn im Tode ist niemand, der deiner gedächte«.
Mit Recht nennt man sie im Tode befindlich, bis sie wieder aufleben, wie man
von jemand sagt, er sei im Schlafe, bis er aufwacht; allerdings mit dem Unterschied,
daß wir die im Schlafe Befindlichen Schlafende nennen; während wir
die bereits Verstorbenen nicht ebenso Sterbende nennen können. Denn die
sind nicht mehr im Sterben begriffen, die, was den leiblichen Tod betrifft,
den wir hier im Auge haben, bereits von ihren Leibern getrennt sind. Aber da
stoßen wir wieder auf den Punkt, dem man, wie gesagt, mit aller Redegewandtheit
nicht beikommen kann, wie man nämlich von Sterbenden sagen kann, sie lebten,
oder von Verstorbenen, dass sie auch nach dem Tode noch im Tode seien. Denn
wie »nach dem Tode«, wenn noch »im
Tode«? zumal wir sie auch nicht Sterbende nennen, wie die im Schlafe
Befindlichen Schlafende und die in Siechtum Befindlichen Siechende und die in
Leiden Befindlichen Leidende und die im Leben Befindlichen Lebende; die Verstorbenen
vielmehr, ehe sie auferstehen, nennt man im Tode befindlich, aber sie kann man
nicht als Sterbende bezeichnen.
Daher wird es sich kaum zufällig oder unfüglich treffen, wenn auch
nicht menschliche Absicht im Spiele ist, aber vielleicht nach göttlicher
Fügung, daß auch die Grammatiker das Wort moritur im Lateinischen
nicht nach der Regel der übrigen entsprechenden Zeitwörter zu beugen
vermochten. Von oritur z. B. lautet die
Form der vergangenen Zeit ortus est, und
ebenso werden auch die andern ähnlichen Zeitwörter gebeugt mit Hilfe
des Partizips Perfekt. Von moritur dagegen lautet
die vergangene Form: mortuus est, mit
Doppel-u. Also eine Bildung wie fatuus, arduus, conspicuus
und ähnliche Wörter, die keine Vergangenheit ausdrücken,
sondern als Nomina ohne Zeitformen gebeugt werden.
Dagegen das Nomen mortuus setzt man für
das Partizip Perfekt, als wollte man beugen, was
sich nicht beugen lässt. Es trifft sich also gut, dass man in der Sprache
nicht beugen kann das Wort für eine Sache, der man im Leben durch keine
Fürsorge vorbeugen kann. Dafür jedoch kann man sorgen mit der Gnadenhilfe
unseres Erlösers, dass wir wenigstens dem zweiten
Tode vorbeugen. Und bitterer und von allen Übeln das schlimmste
ist immer noch dieser, der sich nicht durch Trennung von Seele und Leib vollzieht,
sondern vielmehr durch die Verbindung beider zum Zwecke
ewiger Pein. Dabei werden sich die Menschen im Gegensatz zum ersten
Tode nicht vor und nach dem Tode befinden, sondern stets im Tode; und so werden
sie niemals lebendig und niemals verstorben, sondern endlos sterbend
sein. Niemals wird es für den Menschen so schlimm sein im Sterben als da,
wo der Tod selbst nie im Sterben sein wird.
12. Welche Art von Tod hat Gott den ersten Menschen angedroht, wenn sie
sein Gebot übertreten würden?
Da es also verschiedene Arten von Tod gibt, so erhebt sich die Frage, welcher
Tod den ersten Menschen von Gott angedroht werden ist, wenn sie sein Gebot überträten,
ob der Tod der Seele oder der des Leibes oder der des ganzen Menschen oder der,
welcher der zweite Tod heißt. Und darauf ist zu antworten: Alle Arten
miteinander. Der erste Tod besteht aus zweien, aus allen der ganze. Wie die
gesamte Erde aus vielen Erdteilen besteht und die gesamte Kirche aus vielen
Kirchen, so der gesamte Tod aus allen. Der erste Tod
nämlich besteht [wie gesagt] aus
zweien, aus dem Tod der Seele und dem Tod
des Leibes, so dass also der erste Tod des ganzen Menschen vorhanden
ist, wenn die Seele ohne Gott und ohne Leib auf eine Zeit Strafen erduldet;
der zweite dagegen besteht darin, dass die Seele ohne Gott in Verbindung und
Gemeinschaft mit dem Leibe ewige Strafen erduldet. Als Gott zum ersten Menschen
im Paradiese von der verbotenen Frucht sagte: »An
welchem Tage immer ihr davon esset, werdet ihr des Todes sterben«,
da meinte er nicht nur den ersten Teil des ersten Todes,
wobei die Seele der Gottheit verlustig geht, noch auch bloß des
ersten Todes zweiten Teil, wobei der Leib der Seele
verlustig geht, noch auch allein den ersten Tod in seiner Gesamtheit,
wobei die Seele, von Gott und vom Leibe getrennt, Strafen
erleidet, sondern jene Drohung schloss alles ein, was Tod heißt,
bis zurück zum letzten, der der zweite heißt
und auf den keiner mehr folgt.
13. Welche Strafe hat die ersten Menschen zuerst getroffen für ihre Ausschreitung?
Als die Übertretung des Gebotes geschehen war, schämten sich die ersten
Menschen, von der Gnade Gottes verlassen, sofort der Nacktheit ihrer Leiber.
Daher bedeckten sie mit Feigenblättern, vielleicht weil sie solche in ihrer
Verwirrung zuerst wahrnahmen, ihre Schamteile; diese waren vorher die nämlichen
Gliedmaßen, aber keine Schamteile. Sie fühlten also eine bisher nicht
gekannte Regung ihres unbotmäßigen Fleisches, gleichsam die zurückprallende
Strafe ihrer eigenen Unbotmäßigkeit. Schon entglitt nämlich
der Seele, die sich an ihrer auf das Verkehrte gerichteten Sonderfreiheit ergötzte
und Gott zu dienen verschmähte, der Zügel der Herrschaft über
den Leib, und weil sie den Herrn über sich aus eigenem Gutdünken verlassen
hatte, vermochte sie den Diener unter sich nicht mehr unter das eigene Gutdünken
zu beugen und hatte das Fleisch nicht mehr in allweg zum Untertanen, wie sie
es immerfort hätte haben können, wenn sie selbst Gott untertan geblieben
wäre. Damals also begann das Fleisch zu begehren wider den Geist
(Vgl. Gal. 5, 17), und wir werden mit diesem Widerspruch
behaftet schon geboren, und von jener ersten Sünde überkommen wir
den Anfang des Todes und tragen wir in unsern Gliedern und unserer verderbten
Natur den Kampf mit dem Tode oder den Sieg des Todes.
14. Der Mensch, wie er aus Gottes Hand hervorgegangen, und das Schicksal, dem
er durch seinen freien Willensentschluss verfallen ist.
Gott hat ja den Menschen gut erschaffen, er, der Urheber der Naturen, keineswegs
der Gebrechen-, aber durch eigene Schuld verderbt und gerechter Weise verdammt,
hat der Mensch Verderbte und Verdammte erzeugt. Denn wir alle haben uns in jenem
einen befunden, da wir alle nur in jenem einen bestanden haben, der in die Sünde
fiel durch das Weib, das aus ihm geschaffen worden ist vor der Sünde. Noch
war uns im Einzelnen zwar die Form nicht erschaffen und zugeteilt, in der wir
als Einzelwesen leben sollten; aber das Stammwesen war
da, aus dem wir durch Fortpflanzung hervorgehen sollten. Und weil jenes
wegen der Sünde dem Verderben anheim gefallen und mit Todesbanden umstrickt
und gerechter Weise verdammt war, so sollte auf dem Weg der Zeugung
von Mensch zu Mensch das gleiche Los den Nachkommen zuteil werden. Im
Missbrauch des freien Willens hat demnach ihren
Ursprung die ganze Folge des Elends, die das Menschengeschlecht in einer Kette
von Unheil bis zum endgültigen Untergang im zweiten Tode geleitet, nachdem
einmal sein Anfang verderbt und damit gleichsam seine Wurzel krank geworden
war, und ausgenommen sind davon nur die, die durch Gottes Gnade erlöst
werden.
15. Adam hat durch seine Sünde Gott verlassen,
ehe Gott ihn verließ, und der erste Tod der Seele bestand in der Abkehr
von Gott.
»Des Todes werdet ihr sterben«, sprach
Gott; es heißt nicht: mehrerer Tode werdet
ihr sterben; und so mögen wir dabei lediglich an den Tod denken, der bewirkt
wird, wenn die Seele von ihrem Leben verlassen wird, das für sie Gott ist
(sie ist indes nicht verlassen worden und hat nachher
verlassen, sondern sie hat verlassen mit der Wirkung, dass sie verlassen worden
ist; denn wo es sich um ihr Unheil handelt, ist ihr eigener Wille der vorgängige;
dagegen wo es sich um ihr Wohl handelt, ist der Wille ihres Schöpfers der
vorgängige, sei es um sie zu schaffen, da sie nicht vorhanden war, sei
es um sie wiederherzustellen, weil sie durch ihren Fall zugrunde gegangen war).
Wir mögen also immerhin nur dieses Todes Ankündigung erblicken in
der Drohung: »An welchem Tage ihr davon esset, werdet
ihr des Todes sterben«, etwa als wenn es hieße: An welchem
Tage ihr mich verlasset aus Unbotmäßigkeit, werde ich euch verlassen
aus Gerechtigkeit. Gleichwohl sind auch die übrigen Tode, die ohne Zweifel
folgen sollten, in jenem einen angekündigt. Darin nämlich, dass unbotmäßige
Regung im Fleische der unbotmäßigen Seele entstand, wie sich in der
Bedeckung der Schamteile äußerte, machte sich der eine
Tod bemerkbar, der, bei dem Gott die Seele verlässt.
Er ist angedeutet in den Worten, die Gott an den in sinnverwirrter Angst sich
verbergenden Menschen richtete (Gen. 3, 9): »Adam,
wo bist du?« Er fragte natürlich nicht aus Unkenntnis, sondern
tadelnd und mahnend, damit sich Adam besinne, wo er wäre, da Gott nicht
mehr in ihm war.
Als die Seele sodann den durch die Zeit geschwächten und vom Alter gebrochenen
Leib verließ, machte der Mensch Bekanntschaft mit dem andern
Tod, den Gott im Auge hatte, als er, ebenfalls zur Strafe
für die Sünde, zu dem Menschen sprach (Gen.3,
19) : »Staub bist du und zu Staub sollst
du werden«.
So wurde also durch diese beiden Tode der erste
Tod vollständig, der den ganzen Menschen umfasst und dem dann von
selbst zuletzt der zweite Tod folgt, wenn der Mensch
nicht durch die Gnade erlöst wird. Denn der
Leib, der von der Erde genommen ist, kann zur Erde nur zurückkehren durch
seinen eigenen Tod, der bei ihm erfolgt, wenn sein Leben, d. i. die Seele von
ihm scheidet. Daher gilt es bei den Christen, die den wahrhaft katholischen
Glauben festhalten, für ausgemacht, dass auch der leibliche Tod aus Schuld
der Sünde verhängt worden ist, nicht nach Naturgesetz, da Gott nicht
durch ein solches dem Menschen den Tod bestimmt hat. Vielmehr sprach er im Zusammenhang
mit der Strafe für die Sünde zu dem Menschen, in welchem wir alle
uns damals befanden: »Staub bist du und zu Staub
sollst du werden«.
16. Von den Philosophen, welche der Trennung
der Seele vom Leib keinen Strafcharakter zuerkennen, obwohl Plato den höchsten
Gott den geringeren Göttern das Versprechen geben lässt, dass sie
niemals ihre Leiber ablegen müssten.
Jedoch die Philosophen, wider deren Anwürfe wir die Gottesstadt, d. i,
die Kirche Gottes, in Schutz zu nehmen haben, glauben überlegen lächeln
zu dürfen über unsere Behauptung, dass man die Trennung der Seele
vom Leib zu den Strafen der Seele rechnen müsse. Nach ihnen gelangt ja
die Seele gerade dann zu ihrer vollkommenen Seligkeit, wenn sie, des Leibes
gänzlich entledigt, einfach und allein und sozusagen nackt zu Gott zurückkehrt.
Da müsste ich nun freilich, fänden sich nicht in ihrem Schrifttum
selbst Anhaltspunkte zur Widerlegung dieser Ansicht, mühsame Erörterungen
anstellen, um darzutun, dass nicht der Leib als solcher, sondern der vergängliche
Leib eine Last sei für die Seele. In diesem Sinne sagt die im vorigen Buch
an¬geführte Schriftstelle (Weish. 9, 15):
»Der vergängliche Leib beschwert die Seele«.
Durch Hinzufügung des Wörtchens »vergänglich«
ist hier ausgesprochen, dass nicht der Leib an sich, sondern wie er geworden
ist infolge der Sünde, der die Strafe folgte, die Seele beschwere. Aber
auch ohne diesen Beisatz dürften wir die Sache nicht anders auffassen.
Indes wir können uns an Plato halten. Mit aller
Klarheit sagt er von den vom höchsten Gott erschaffenen
Göttern aus, dass sie unsterbliche Leiber hätten, und lässt
er ihnen durch Gott selbst, der sie erschaffen, als eine große Wohltat
verheißen, dass sie auf ewig im Besitze ihrer Körper bleiben und
von ihnen durch keinen Tod getrennt würden.
Also nur um dem christlichen Glauben eins zu versetzen, stellen sich jene Philosophen,
als wüssten sie nicht, was ihnen doch bekannt ist, setzen sich sogar lieber
in Widerspruch mit sich selbst, wenn sie nur in ihrem Widerspruch gegen uns
beharren können. Ja Platos Worte sind es,
wie Cicero sie ins Latein übersetzt hat, und
also lässt er den höchsten Gott sich an die Götter, die er geschaffen,
wenden und ihn sprechen: »Ihr, die ihr aus Göttersaat
entsprossen seid, vernehmet: Die Werke, deren Urheber und Bewirker ich bin,
die sind unauflöslich, wenn ich's so will, mag schon alles Zusammengesetzte
trennbar sein; aber gut ist es mit nichten, voneinander tren¬nen zu wollen,
was vernunftgemäß verbunden ist. Jedoch, weil ihr entstanden seid,
so könnt ihr nun freilich nicht unsterblich und unauflöslich sein;
damit ihr aber gleichwohl nicht der Auflösung verfallet, so soll euch kein
Todesgeschick dahinraffen, keines mächtiger sein als mein Ratschluss, der
ein stärkeres Band ist zu eurer Verbeständigung, als die Bande, mit
denen ihr «bei eurer Zeugung» verbunden worden seid«.
Sieh' da, Plato nennt die Götter sterblich
zufolge der Verbindung von Leib und Seele, doch unsterblich nach dem Willen
und Ratschluss Gottes, von dem sie erschaffen worden sind. Wäre es also
eine Strafe für die Seele, nur überhaupt mit einem Leibe verbunden
zu sein, wie würde dann Gott sie in einer eigenen Anrede ihrer Unsterblichkeit
versichern, was doch voraussetzt, dass sie besorgt sind, sie möchten sterben,
d; i. vom Leibe sich trennen müssen? Sie versichern nicht auf Grund ihrer
Natur, die nun einmal zusammengesetzt und nicht einfach ist, sondern auf Grund
seines allsieghaften Willens, durch den er Macht hat zu bewirken, dass auch
Entstandenes nicht vergeht und Verbundenes sich nicht löse, sondern unvergänglich
fortdauere?
Eine andere Frage ist es freilich, ob das wirklich so ist, was hier Plato
von den Gestirnen sagt. Man braucht ihm nicht ohne weiteres zuzugeben,
dass die Lichtkugeln oder Lichtscheiben, die mit körperhaftem Licht über
die Erde hin leuchten bei Tag oder Nacht, aus einer Art eigener Seelen, noch
dazu vernünftiger und glückseliger, ihr Leben haben, was Plato
in gleicher Weise von der gesamten Welt als einem großen Lebewesen,
das alle übrigen Lebewesen in sich schließe, mit aller Bestimmtheit
versichert.
Doch, wie gesagt, das ist eine andere Frage und sie steht jetzt nicht zur Erörterung.
Ich habe die Ansicht Platos nur herangezogen zur
Abwehr gegen die, die ihren Ruhm darin suchen, Platoniker
zu heißen oder zu sein und, stolz auf diesen Namen, Christen zu
sein sich schämen aus Besorgnis, es möchte diese Bezeichnung, wenn
sie sie mit dem gemeinen Volke teilen, den Philosophenmantel verächtlich
machen, den diese Handvoll Leute mit einem Hochmut trägt, der zu ihrer
Zahl in umgekehrtem Verhältnis steht. Immer auf der Suche, was sie an der
christlichen. Lehre aussetzen könnten, stöbern sie die ewige Dauer
des Leibes auf und formen einen künstlichen Gegensatz
daraus, dass wir für die Seele einerseits Glückseligkeit anstreben
und sie andrerseits stets im Leibe wissen wollen, der für sie eine
lästige Fessel bedeute, während doch ihr Stifter und Meister
Plato es als ein Gnadengeschenk des höchsten
Gottes an die von ihm erschaffenen Götter hinstellt, dass sie nie sterben,
d. h. von den Leibern, mit denen er sie verband, nie getrennt werden sollen.
17. Wider die Lehre, daß irdische Leiber
nicht unvergänglich und ewig sein könnten
Sie behaupten weiterhin, irdische Leiber könnten nicht ewig sein, während
sie doch daran festhalten, dass nichts Geringeres als die ganze Erde ein in
der Mitte gelegenes und ewig dauerndes Glied ihres Gottes sei, zwar nicht des
höchsten, aber doch eines großen, des Gottes dieser gesamten Welt.
Jener höchste Gott hätte nämlich nach ihnen einen zweiten vermeintlichen
Gott erschaffen, d. i. diese Welt, erhaben über die anderen Götter,
die vielmehr unter ihm stehen, und diesen zweiten Gott betrachten sie als ein
beseeltes Wesen, dessen vernünftige oder erkenntnisfähige Seele in
der ungeheuren Masse seines Leibes eingeschlossen sei; er habe als Glieder dieses
seines Leibes, an ihrem Orte liegend und verteilt, die vier Elemente gebildet,
deren Verbindung ihnen, da sonst dieser ihr großer Gott sterben müsste,
als unauflöslich und ewig dauernd gilt.
Wenn also am Leibe dieses größeren Lebewesens die Erde selbst als
das mittlere Glied ewig ist, warum sollen dann die Lei¬ber anderer Lebewesen
auf Erden nicht auch ewig sein können, wofern Gott es will, wie er jenes
will? Sie wenden ein, der Erde müsse die Erde zurückgegeben werden,
aus der die irdischen Leiber der Lebewesen genommen sind; und darum müssten
sich diese Leiber auflösen und absterben und auf solche Weise der sich
gleich bleibenden und ewigen Erde, aus der sie genommen sind, zurückerstattet
werden.
Man darf nur diese Forderung auch auf das Feuer ausdehnen und sagen, alle Körper,
die aus dem Feuer entnommen sind, um Lebewesen am Himmel zu bilden, müssten
dem Gesamtfeuer zurückgegeben werden, so würde
sofort die Unsterblichkeit, die
Plato solchen Göttern (d. i. den Gestirnen,
den Lebewesen am Himmel) durch den Mund des höchsten Gottes verheißen
lässt, an der unerbittlichen Logik in Stücke gehen. Oder tritt das
bei den himmlischen Lebewesen deshalb nicht ein, weil Gott es nicht will, dessen
Wille jeder Macht überlegen ist, wie Plato sagt?
Warum sollte dann Gott dasselbe nicht auch bei irdischen Körpern bewirken
können? Plato räumt ja Gott die Macht
ein zu bewirken, dass Entstehendes nicht mehr vergehe und Gebundenes sich nicht
löse und den Elementen Entnommenes nicht mehr zurückkehre und Seelen,
die sich in Leibern befinden, diese nie mehr verlassen, sondern mit ihnen Unsterblichkeit
und ewige Glückseligkeit genießen; warum sollte Gott nicht auch Irdisches
dem Tod überheben können? Reicht seine Macht nur so weit, als die
Platoniker wollen, nicht so weit, als die Christen
glauben? Natürlich, die Philosophen vermochten Gottes Ratschluss und Macht
zu erkennen, die Propheten vermochten das nicht! Und doch hat vielmehr im Gegenteil
die Propheten Gottes der Geist Gottes angeleitet
zur Offenbarung
des göttlichen Willens, soviel er dessen zu offenbaren sich herabließ,
während die Philosophen in der Erkenntnis des göttlichen Willens auf
ihre eigenen Mutmaßungen angewiesen waren und damit in die Irre gingen.
Allerdings brauchten sie nicht so weit in die Irre zu gehen - denn hier handelt
es sich nicht mehr bloß um Unwissenheit, sondern es spielt auch Starrsinn
mit herein -, dass sie mit sich selbst in handgreiflichsten Widerspruch gerieten.
Mit großem Aufwand von gelehrten Worten versichern sie, die Seele müsse,
um glückselig sein zu können, nicht nur ihren irdischen Leib, sondern
Leibliches jeder Art meiden, und auf der andern Seite sagen sie, die Götter
hätten vollkommen glückselige Seelen und gleichwohl mit ewigen Leibern
verbundene, die himmlischen Götter mit Feuerleibern, während die Seele
Jupiters, den sie als die Welt betrachten, eingeschlossen sei in gar allen körperhaften
Elementen der ganzen Weltmasse, von der Erde bis hinauf zum Himmel, Denn nach
Platos Meinung ergießt und erstreckt sich
die Jupiter-Seele von der innersten Mitte der Erde, vom Zentrum, wie es die
Geometrik nennt, über alle ihre Teile bis zu den höchsten Höhen
und äußersten Grenzen des Himmels nach harmonischen Verhältnissen,
so dass das Weltall das größte und glückseligste Lebewesen von
ewiger Dauer ist, dessen Seele einerseits das vollkommene Glück der Weisheit
festhalte, andrerseits ihren eigenen Leib nie verlasse, während der Leib
dieses Weltalls einerseits auf ewig aus ihr Leben gewinne, andrerseits, obwohl
nicht einfach, sondern zusammengefügt aus so vielen und großen Körpern,
doch die Seele nicht zu beschweren und zu hemmen vermöge.
Wenn ihnen also derlei Meinungen zulässig erscheinen, warum wollen sie
nicht glauben, dass durch Gottes Willen und Macht irdische Leiber unsterblich
werden können, so dass die Seelen in ihnen ewig und glückselig wohnen,
durch keinen Tod von ihnen getrennt, mit keiner Last von ihnen beschwert, da
sie solches doch für möglich erklären bei ihren Göttern
in Feuerleibern und bei Jupiter selbst, dem Götterkönig, in der Gesamtheit
der körperlichen Elemente?
Denn wenn die Seele, um glückselig zu sein, jeglichen Leib fliehen muss,
so sollten diese Götter nur schleunigst ihre Gestirnkugeln verlassen und
Jupiter aus Himmel und Erde weichen; können sie das nicht, so sollten sie
für unselig erachtet werden. Aber weder das eine noch das andere passt
den Platonikern, sie wagen es nicht, ihren Göttern die Trennung vom Leibe
zuzuschreiben, damit sie in ihnen nicht Sterbliche zu verehren den Anschein
erwecken, und sie wagen ebensowenig von Aufhebung der Glückseligkeit bei
ihnen zu sprechen, um nicht deren Unseligkeit eingestehen zu müssen. Es
ist also durchaus nicht nötig, zur Erlangung der Glückseligkeit jegliche
Art von Leib zu meiden, sondern mir einen vergänglichen, lästigen,
beschwerlichen, dem Tode verfallenen; nicht den Leib, wie ihn die Güte
Gottes den ersten Menschen anerschaffen hat, sondern den, wie ihn die Sündenstrafe
heruntergebracht hat.
18. Widerlegung des Einwurfs der Philosophen,
irdische Leiber könnten nicht im Himmel sein, weil das Irdische durch sein
natürliches Gewicht zur Erde gezogen werde.
Aber, so hält man uns entgegen, schon das natürliche Gewicht bannt
notwendig die irdischen Leiber auf die Erde oder zwingt sie zur Erde nieder,
und deshalb können sie unmöglich im Himmel sein. Jene ersten Menschen
zwar befanden sich auf Erden in einem fruchtbaren Haine, der den Namen Paradies
erhielt*; weil doch im Hinblick auf den Leib, mit dem
Christus gen Himmel fuhr, und auf die Leiber der Heiligen, wie sie bei
der Auferstehung gestaltet sein werden, auch auf diesen Einwurf erwidert werden
muss, so möchte ich die Gegner auffordern, das irdische Schwergewicht selbst
einmal etwas genauer ins Auge zu fassen.
* Man wird den Gedanken ergänzen
müssen: und waren da glückselig, weshalb eigentlich die Erörterung
des Einwurfs an dieser Stelle, wo es sich um die Frage der Möglichkeit
glückseligen Leibes im Leibe handelt, unterbleiben könnte.
Wenn es menschliche Kunst fertig bringt, aus Metallen, die im Wasser sofort
untergehen, durch geeignete Bearbeitung Behältnisse entstehen zu lassen,
die schwimmen können, wieviel annehmbarer und wirksamer vermag dann eine
verborgene Behandlungsweise von seiten Gottes, dessen allmächtiger Wille
nach Plato das Entstandene vor dem Untergang und
das Verbundene vor der Auflösung bewahren kann, obwohl die Verbindung von
Unkörperlichem mit Körperlichem weit wunderbarer ist als die von Körperlichem
jeder Art untereinander, irdischen Massen die Eigenschaft zu verleihen, dass
sie durch keine Schwere nach unten gezogen werden, und ebenso hinwieder vollkommen
glückseligen Seelen die Eigenschaft, dass sie ihren wenn auch irdischen,
doch bereits unvergänglichen Leibern eine Stelle anweisen, wo sie wollen,
und sie beliebig bewegen, ohne dass Stellung und Bewegung die geringste Schwierigkeit
machten! Wenn Engel das gelegentlich tun und irdische Wesen aller Art beliebig
aufgreifen und an beliebige Orte versetzen, dürfte man annehmen, sie könnten
das nicht* oder trügen schwer an der Last?
* Nach dem Zusammenhang ist hier entgegen
der handschriftlichen Überlieferung doch wohl die Leseart der Benediktiner-Ausgabe
vorzuziehen: »sie könnten das nur mit Mühe«.
Warum sollten wir also nicht auch glauben, dass die durch Gottes Gnade vollkommenen
und glückseligen Geister der Heiligen ohne jede Schwierigkeit ihre Leiber
versetzen können. wohin sie wollen, und ihnen eine Stelle anweisen können,
wo sie wollen. Unterschiede der Lastempfindung gibt es ja selbst im irdischen
Bereich; während im allgemeinen Lasten je größer desto schwerer
sind und demnach die mehrgewichtigen ihre Träger stärker drücken
als die mindergewichtigen, so trägt doch die Seele die Glieder ihres Leibes
mit größerer Leichtigkeit, wenn sie in gesundem Zustande stark sind,
als wenn sie in krankem Zustande mager sind. Und obwohl für Träger
ein gesunder und kräftiger Mensch schwerer zu tragen ist als ein schwächlicher
und kranker, so ist doch der Mensch selbst gewandter im Bewegen und Tragen seines
Körpers, wenn dieser bei guter Gesundheit mehr Masse hat, als wenn er von
Pest oder Hunger zu völliger Kraftlosigkeit heruntergebracht ist.
So sehr kommt es auch bei irdischen Leibern, und zwar noch im Zustand der Vergänglichkeit
und Sterblichkeit, gegenüber dem Gewicht der Masse auf die jeweilige Beschaffenheit
an. Und nun denke man an den gewaltigen und mit Worten gar nicht darlegbaren
Unterschied zwischen dem, was wir hienieden Gesundheit nennen, und der künftigen
Unsterblichkeit! Mit dem Hinweis auf die Schwere des Leibes kommen also die
Philosophen unserm Glauben nicht bei. Ich will kein Gewicht legen auf den Widerspruch,
dass sie an einen irdischen Leib im Himmel nicht glauben, während doch
die ganze Erde im Nichts
in der Schwebe gehalten wird. Vielleicht ließe sich hierfür auch
in der Tat eine wahrscheinliche Begründung geben, hergenommen von der Lage
der Erde im Mittelpunkt der Welt, da alles Schwere nach dem Mittelpunkt strebt.
Ich sage nur:
Die geringeren Götter, denen Plato mit der
Erschaffung der übrigen irdischen Lebewesen auch die des Menschen zuteilt,
waren nach Plato imstande, dem Feuer die Eigenschaft
des Brennens zu benehmen, die des Leuchtens, wie sie durch die Augen hervorbricht,
zu belassen*, und dem höchsten Gott, der durch die Macht seines Willens
nach demselben Plato bewirken kann, dass Entstandenes
nicht stirbt und so Verschiedenes und Unähnliches wie Körperliches
und Unkörperliches durch keine Trennung auseinander gerissen werden kann,
diesem höchsten Gott wollen wir nicht unbedenklich die Macht zuschreiben,
dem Menschenleib, dem er Unsterblichkeit schenkt, die Vergänglichkeit zu
benehmen und das Wesen zu belassen, an ihm die Übereinstimmung der Gestalt
und der Glieder beizubehalten und die schwerfällige Gewichtslast aufzuheben?
*Plato spricht im Timäus, da
wo von der Erschaffung des menschlichen Leibes die Rede ist, davon, dass die
Augen teil hätten an jenem Feuer, das nicht Brand verursacht, sondern das
freundliche Licht des Tages über die Welt ausgießt.
Indes über den Glauben an die Auferstehung der Toten und über deren
unsterbliche Leiber wird, so Gott will, zu Ende dieses Werkes (XXII, 11ff.)
ausführlicher zu handeln sein.
19. Auseinandersetzung mit den Lehrmeinungen
derer, die die ersten Menschen, falls sie nicht gesündigt hätten,
nicht für unsterblich halten und den Seelen im Ewigkeitszustande die Verbindung
mit Leibern absprechen.
Nun wollen wir die Erörterung über den Leib der ersten Menschen wieder
aufnehmen und weiterführen; ihn hätte jener Tod, der sich für
die Guten gut erweist und nicht etwa nur wenigen Einsichtsvollen oder nur den
Gläubigen, sondern allen gar wohl bekannt ist, jener Tod, durch den die
Trennung der Seele vom Leibe herbeigeführt wird, und so jedenfalls der
Leib des Lebewesens, der augenscheinlich lebte, augenscheinlich abstirbt, er
hätte den Leib der ersten Menschen nicht getroffen, wenn er nicht als Strafe
der Sünde erfolgt wäre. Mögen immerhin die Seelen der Gerechten
und Frommen, woran man nicht zweifeln darf, ihr Leben in der Ruhe hinbringen,
so wäre es doch besser für sie, in der Verbindung mit ihren wohlbehaltenen
Leibern zu leben; werden ja selbst die, welche in allweg ohne Leib zu sein für
das Glückseligste erachten, durch einen Widerspruch in ihrer Meinung Lügen
gestraft. Keiner von ihnen würde sich getrauen, die weisen Menschen, gleichviel
ob dem Tod eine Zukunftsbeute oder schon gestorben, d, h. ob des Leibes ledig
oder dereinst erst vom Leibe scheidend, über die unsterblichen Götter
zu stellen, denen nach Plato der
höchste Gott ein ungemein großes Gnadengeschenk verheißt, unauflösliches
Leben nämlich, d. i. ewig dauernde Gemeinschaft mit ihren Leibern. Und
vortrefflich stehe es, meint Plato, um die Menschen,
vorausgesetzt, dass sie das irdische Leben fromm und gerecht hingebracht haben:
indem sie nach der Trennung von ihrem eigenen Leibe in den Schoß der Götter
aufgenommen würden, die ihren Leib niemals verlassen,
»Und erinnerungslos aufs neu das Gewölbe des
Himmels
Schauen und wieder zurück in Leiber zu wandern verlangen«,
wie sich Vergil im Anschluss an die platonische
Lehre ausdrückt (nach Platos
Ansicht können nämlich die Seelen der Sterblichen nicht immerfort
in ihren eigenen Leibern verharren, sondern werden durch den unvermeidbaren
Tod von ihnen getrennt, können aber auch nicht ewig ohne Leiber bleiben,
sondern abwechslungsweise werden unablässig die Toten zu Lebenden und die
Lebenden zu Toten). Von den übrigen Menschen würden sich also
die Weisen darin unterscheiden, dass sie nach dem Tode in Gestirne versetzt
werden. Dort würde jeder eine Zeitlang in dem ihm entsprechenden Sterne
ruhen und dann abermals, der Erinnerung an das frühere Elend bar und von
dem Verlangen nach dem Besitz eines Leibes überwältigt, zu den Mühen
und Beschwernissen der Sterblichen zurückkehren. Dagegen würden die
Toren sofort nach dem Tode in Leiber zurückversetzt, wie sie ihren Missverdiensten
entsprächen, seien es Menschen- oder Tierleiber.
Plato hat demnach sogar den guten und weisen Seelen,
da ihre Leiber nicht derart sind, um immerfort und ewig; in Verbindung damit
leben zu können, das harte Los zugewiesen, weder in ihren Leibern verharren
noch ohne sie in ewiger Reinheit bleiben zu können. Von dieser Lehre Platos
war schon früher die Rede und es wurde da ausgeführt, wie
Porphyrius sich ihrer schämte angesichts der christlichen Zeitströmung
und nicht nur mit den Tierleibern für Menschenseelen aufräumte, sondern
auch die Seelen der Weisen von der Verbindung mit dem Körperhaften so gänzlich
befreit wissen wollte, dass sie, jeglichen Leib meidend, glückselig beim
Vater ohne Ende behalten würden. Er hat also, um nicht von
Christus besiegt zu erscheinen, der den Heiligen ewiges Leben verheißt,
auch seinerseits den gereinigten Seelen ihren Platz angewiesen in ewiger Seligkeit
ohne Rückkehr zu dem früheren Elend; und hat zugleich, um sich in
Gegensatz zu Christus zu setzen, die Auferstehung unverweslicher Leiber in Abrede
gestellt und behauptet, die Seelen würden ewig leben ohne irdischen, ja
überhaupt ohne jeglichen Leib. Dabei hat er aber andrerseits nicht verboten,
dass sich die Seelen den mit Leibern behafteten Göttern in religiöser
Verehrung unterwerfen.
Offenbar nur deshalb, weil er sie, obwohl mit keinem Körper verbunden,
doch nicht für besser hielt als die Götter. Wenn sie sich also die
menschlichen Seelen nicht über die glückseligen und gleichwohl in
ewigen Leibern befindlichen Götter zu stellen getrauen - und sie getrauen
sich, denke ich, nicht -, warum dünkt sie dann die Lehre des christlichen
Glaubens ungereimt, wonach einerseits die ersten Menschen so erschaffen wurden,
dass sie im Fall der Sündelosigkeit durch keinen Tod von ihrem Leibe getrennt
worden wären, sondern, zum Lohn für die Wahrung des Gehorsams mit
Unsterblichkeit begabt, in Verbindung mit ihrem Leibe ewig gelebt hätten,
und andrerseits die Heiligen in der Auferstehung ihren eigenen Leib, worin sie
sich hienieden abgemüht haben, in einem Zustand erhalten werden, dass ihrer
Leiblichkeit keinerlei Verfall oder Hinderlichkeit begegnen kann und ebensowenig
ihrer Glückseligkeit ein Schmerz oder Unheil?
20. Die Leiblichkeit der Heiligen, dermalen
ruhend in Hoffnung, soll einst zu besserer Beschaffenheit erneuert werden, als
sie bei den ersten Menschen vor der Sünde war.
Und so fühlen dermalen die Seelen der verstorbenen Heiligen den Tod, durch
den sie von ihrem Leibe getrennt worden sind, deshalb nicht als Beschwerde,
weil ihre »Leiblichkeit in Hoffnung ruht«
(Ps. 15, 9), mag ihr auch nach Entfliehen aller
Empfindung Schmach aller Art angetan worden sein. Denn diese Seelen verlangen
nicht, wie Plato meinte, der Erinnerung bar, nach Leibern, sondern eingedenk
der Verheißung dessen, der niemand irreführt, der ihnen über
die volle Erhaltung selbst ihrer Haare Sicherheit
gegeben hat (Luk. 21, 18), erwarten sie in Sehnsucht
und Geduld die Auferstehung des Leibes, in welchem sie viel Hartes erduldet
haben, während sie fürder in ihm nichts solches mehr empfinden sollen.
Denn wenn sie ihre Leiblichkeit schon damals nicht hassten (Vgl.
Eph. 5, 29), als sie sie, wenn sie aus Schwachheit dem, Geiste widerstand,
nach dem Rechte des Geistes in Schranken wiesen, wieviel mehr lieben sie sie
nun, da auch sie eine geistige werden soll! Wie man nämlich einen Geist,
der dem Fleische untertan ist, sehr bezeichnend einen fleischlichen nennt, so
darf man eine dem Geiste botmäßige Leiblichkeit mit Recht eine geistige
nennen, nicht weil sie sich in einen Geist verwandelt, wie manche glauben auf
Grund des Schriftwortes (1 Kor. 15,44): »Gesäet
wird ein seelischer Leib, auferstehen wird ein geistiger Leib«,
sondern weil sie dem Geiste mit höchster und wunderbarer Leichtigkeit des
Gehorchens ergeben sein und den ganz bestimmten Willen einer unlöslichen
Unsterblichkeit aufs genaueste erfüllen wird, ohne jedes Gefühl einer
Last, ohne die drohende Aussicht auf Verfall, ohne alle Schwerfälligkeit.
Denn der geistige Leib wird nicht sein, wie der jetzige auch bei allerbester
Gesundheit ist, noch auch von der Art, wie der Leib vor der Sünde bei den
ersten Menschen war, die freilich nicht sterben sollten, wenn sie nicht sündigten,
aber doch wie die Menschen Nahrung zu sich nahmen, da sie noch nicht einen geistigen,
sondern noch erst einen seelischen Leib trugen, Und wenn dieser Leib auch nicht
alterte und somit nicht von selbst dem Tode verfiel (ein
Zustand, der ihm aus dem Lebensbaum, der zugleich mit dem verbotenen Baum inmitten
des Paradieses stand, durch außerordentliche Gnade Gottes zuteil ward),
so nahm er doch noch andere Speisen zu sich, ausgenommen von dem einen Baum,
der verboten war, nicht als ob er an sich etwas Böses gewesen wäre,
sondern um das Gut des reinen und einfachen Gehorsams, einzuschärfen, der
eine herrliche Tugend des vernunftbegabten, Gott dem Schöpfer unterstehenden
Geschöpfes ist. Denn wo nichts Böses zu berühren war, bestand
die Sünde klärlich nur im Ungehorsam, wenn Verbotenes berührt
würde. Andere Nahrung also bewirkte, dass, der tierische Leib keine Beschwerde
durch Hunger und Durst empfand; vom Lebensbaum dagegen kostete man, damit er
nicht vom Tod irgendwoher beschlichen werde oder, von Alter aufgerieben, im
Lauf der Zeit zugrunde gehe, gleichsam als sollte das übrige zur Nahrung
dienen, der Lebensbaum aber zum Heilszeichen. Der Lebensbaum im irdischen Paradies
hätte also ungefähr die Bedeutung wie im geistigen, d. i. übersinnlichen
Paradies die Weisheit Gottes, von der geschrieben steht
(Spr. 3, 18). - »Ein
Baum des Lebens ist sie denen, die sie erfassen«.
21. Unter dem Paradies, worin sich die ersten
Menschen befanden, kann man recht wohl etwas Geistiges verstehen, ohne dass
die Geschichtserzählung über das Paradies als einen wirklichen Ort
angetastet würde.
Darum rechnen manche das ganze Paradies selbst auch zu den übersinnlichen
Dingen, den Aufenthaltsort der Stammeltern des Menschengeschlechtes nach dem
Berichte der in allweg wahrhaftigen Heiligen Schrift, und beziehen jene Bäume
und fruchttragenden Sträucher auf Lebenstugenden und sittliche Beschaffenheiten,
und zwar in dem Sinne, als handle es sich da nicht um sichtbare und körperliche
Dinge, sondern sei das so gesagt oder niedergeschrieben zur Bezeichnung von
übersinnlichen Dingen.*
* Die allegorische Schriftauflassung
der Alexandriner ist gemeint.
Als ob das Paradies, weil man es auch geistig auffassen kann, nicht ein wirklicher
Ort hätte sein können; gleich als wenn es nicht zwei Frauen, Agar
und Sara, gegeben hätte und zwei Söhne Abrahams von ihnen, einen von
der Magd und einen von der Freien, weil der Apostel (Gal. 4, 22ff.) in ihnen
die beiden Testamente gesinnbildet sein lässt; oder es keinen Fels gegeben
hätte, aus dem der Stab des Moses Wasser schlug
(Exod. 17, 6; Num. 20, 11), weil man darunter auch in übertragener
Bedeutung Christus verstehen kann gemäß dem Worte des Apostels
(1 Kor. 10, 4): »Der Fels aber war Christus«.
Niemand also verwehrt, unter dem Paradies das Leben der Seligen zu verstehen,
unter seinen vier Strömen die vier Tugenden: Klugheit, Starkmut, Mäßigung
und Gerechtigkeit, unter seinen Bäumen alle nützlichen Wissenschaften
und Künste und unter deren Früchten die Sitten der Frommen, unter
dem Lebensbaum die Weisheit als die Mutter aller Güter und unter dem Baum
der Erkenntnis des Guten und Bösen die Erfahrnis infolge der Übertretung
des Gebotes.
Denn gut ist es, dass Gott Strafe festgesetzt hat für die Sünde, weil
es so gerecht ist, aber nicht zu seinem Besten erfährt sie der Mensch.
Man mag dies alles auch auf die Kirche deuten und es demgemäß richtiger
als prophetische Vorzeichen auffassen: das Paradies als die Kirche selbst, wie
von ihr im Hohen Liede zu lesen ist (Hoheslied 4, 12f.),
die vier Paradiesesströme als die vier Evangelien, die fruchttragenden
Bäume als die Heiligen, und ihre Früchte als deren Werke, den Lebensbaum
als den Heiligen der Heiligen, als Christus, den Baum der Erkenntnis des Guten
und Bösen als den eigenen freien Willen. Denn auch von sich selbst kann
der Mensch, wenn er den göttlichen Willen verachtet, nur zu seinem Verderben
Gebrauch machen, und so lernt er den Unterschied kennen zwischen dem Anschluss
an das allen gemeinsame Gut und dem Ergötzen am eigenen Sondergut. Liebt
er sich selbst, so wird er sich selbst überlassen, damit er dann, vorausgesetzt,
dass er sein Elend fühlt, voll Furcht und Trauer mit dem Psalmisten ausrufe
(Ps. 41, 7): »In mir
selbst ist verwirrt meine Seele«, und sich aufraffe und bessere
und dann spreche (Ps. 58, 10) : »Meine
Kraft bewahre ich in Dir«. All das und vielleicht sonst noch Entsprechendes
mag man über die geistige Bedeutung des Paradieses sagen, niemand wehrt
es, wenn man nur auch an die geschichtliche Wahrheit glaubt, wie sie durch die
getreue Schilderung der Geschehnisse nahe gelegt wird.
22. Der Leib der Heiligen wird nach der Auferstehung
geistig sein, ohne dass jedoch Fleisch in Geist verwandelt würde.
Der Leib der Gerechten nun, wie er in der Auferstehung sein wird, bedarf keines
Lebensbaumes, der ihn vor todbringender Krankheit oder Greisenhaftigkeit bewahre,
noch sonstiger leiblicher Nahrungsmittel, um etwaiger Hunger- und Durstbeschwer
vorzubeugen; denn er wird mit dem unverlierbaren und gänzlich unverkümmerbaren
Gnadengeschenk der Unsterblichkeit begabt sein, so dass er nur, wenn er will,
Speise genießt, also fähig ist dazu, nicht aber das Bedürfnis
danach hat. So hielten es auch die Engel, wo sie in sichtbarer und greifbarer
Gestalt erschienen: sie aßen, nicht weil sie mussten, sondern weil sie
konnten und wollten, um sich den Menschen anzupassen durch menschliche Art bei
ihrer Dienstleistung (denn dass sie nur dem Scheine nach
gegessen hätten, wenn sie von Menschen als Gäste aufgenommen wurden
(Gen 18; Tob. 11, 20), ist nicht anzunehmen),
obwohl es denen, die um ihre Engeleigenschaft nicht wussten, vorkam, als nähmen
sie wie wir aus Bedürfnis Speise zu sich. Darum sagt der Engel im Buche
Tobias (Tob. 12, 19): »Ihr
sahet mich essen, aber ihr sahet es nach eurer Art« d. i. ihr glaubtet,
ich nähme Speise, wie ihr tut, aus Bedürfnis, den Leib zu erquicken.
Kann aber auch vielleicht bei den Engeln eine andere Auffassung Platz greifen,
so steht doch beim Erlöser selbst für den christlichen Glauben unzweifelhaft
fest, dass er auch nach der Auferstehung, bereits im geistigen, aber doch eben
wirklichen Fleische, Speise und Trank mit den Jüngern nahm
(Luk. 24). Denn nicht die Fähigkeit, sondern nur das Bedürfnis
zu essen und zu trinken ist aufgehoben bei solchen Leibern. Sie werden daher
auch nicht deshalb, weil sie aufhörten, Leiber zu sein, geistig sein, sondern
weil ihr Sein auf dem belebenden Geiste beruhen wird.
23. Über die Begriffe: »seelischer Leib und geistiger Leib«
(1 Kor. 15, 44) und »sterben in Adam« und »belebt
werden in Christo« (1 Kor. 15, 22)
Wie nämlich unser jetziger Leib, der eine lebendige Seele hat, aber noch
nicht den belebenden Geist, als seelisch gilt und doch nicht eine Seele ist,
sondern ein Leib, so heißt der Auferstehungsleib ein geistiger, ohne dass
wir ihn deshalb für einen Geist halten dürften. Vielmehr wird er ein
Leib sein, der Wesenheit nach Fleisch, aber durch den belebenden Geist aller
Schwerfälligkeit und Vergänglichkeit des Fleisches überhoben.
Da wird der Mensch nicht mehr erdhaft, sondern himmlisch sein; nicht als wäre
der von der Erde genommene Leib nicht er selbst, sondern weil er durch des Himmels
Gabe nunmehr von einer Art sein wird, dass er sich zum Bewohnen des Himmels
eignet, und zwar ohne seine Natur zu verlieren, lediglich durch Änderung
seiner Beschaffenheit. Jedoch der erste Mensch, erdhaft aus der Erde (1
Kor. 15, 47), ward zur lebenden Seele erschaffen, nicht zum belebenden
Geist; das war ihm als Lohn des Gehorsams vorbehalten.
Sein Leib also, der zur Abwehr von Hunger und Durst Speise und Trank brauchte
und nicht durch jene vollkommene und unauflösliche Unsterblichkeit vor
dem Tode bewahrt und in Jugendblüte erhalten wurde, sondern durch den Lebensbaum,
war ohne Zweifel nicht ein geistiger, sondern ein seelischer Leib, jedoch hätte
er nicht sterben sollen, wenn der Mensch nicht durch die Sünde der von
Gott vorhergesagten und angedrohten Strafe verfallen wäre. So aber wurde
der Mensch, ohne dass ihm außerhalb des Paradieses die Nahrungsmittel
vorenthalten worden wären, jedoch unter Entziehung des Lebensbaumes, der
Zeit und dem Alter als Beute überlassen zur Auflösung wenigstens jenes
Lebens, das er im Paradies, hätte er nicht gesündigt, ewig hätte
haben können, wenn auch zunächst m einem seelischen Leibe, bis dieser
ein geistiger geworden wäre zum Lohn für geleisteten Gehorsam. Obwohl
wir daher auch den allbekannten Tod, die Trennung von
Leib und Seele, einbegriffen erachten in die Drohung
(Gen. 2, 17) »An welchem Tage ihr davon esset,
werdet ihr sterben«, so braucht es doch nicht widersinnig zu erscheinen,
wenn sie nicht am selben Tage, da sie die verbotene und todbringende Speise
genossen, die gänzliche Trennung vom Leibe erfuhren.
An jenem Tage trat bei ihnen vielmehr durch Verschlechterung und Verderbung
der Natur und die wohlverdiente Entziehung des Lebensbaumes die Unvermeidbarkeit
des Todes, auch des leiblichen, ein, die uns hinwieder schon angeboren ist.
Daher heißt es beim Apostel (Röm. 8, 10)
nicht: Der Leib zwar wird dem Tode anheimfallen um der Sünde willen, sondern:
»Der Leib zwar ist gestorben um der Sünde willen,
der Geist jedoch ist Leben um der Gerechtigkeit willen«. Und er
schließt daran die Worte (Röm. 8, 11): »Wenn
aber der Geist dessen, der Christum von den Toten erweckt hat, in euch wohnt,
so wird der, welcher Christum von den Toten erweckt hat, auch eure sterblichen
Leiber beleben durch seinen in euch wohnenden Geist«.
Zum belebenden Geist also wird alsdann der Leib werden, der jetzt lebendige
Seele ist und gleichwohl vom Apostel als tot bezeichnet wird, weil er bereits
in die Unvermeidbarkeit des Todes verwickelt ist. Im Paradies dagegen war, er
zwar nicht belebender Geist, aber doch [in einer Weise] lebendige Seele, dass
man ihn nicht als tot hätte bezeichnen können, da er sich die Unvermeidbarkeit
des Todes erst durch Begehung der Sünde zuziehen sollte. Während
nun Gott einerseits den Tod der Seele, der eintrat
durch sein Verlassen der Seele, andeutete durch die Frage:
»Adam wo bist du?« (Gen. 3,9)
und andrerseits den Tod des Leibes, der eintritt durch
Scheiden der Seele, andeutete in den Worten (Gen.
3, 19): »Staub bist du und zu Staub sollst
du werden«, hat er vom zweiten Tod wohl deshalb nichts gesagt,
weil er ihn mit Rücksicht auf das Neue Testament, wo der zweite Tod in
aller Deutlichkeit geoffenbart wird, noch verborgen wissen wollte. Zunächst
sollte nur der erste Tod, der allen gemeinsame, als Folge der in dem Einen allen
gemeinsam gewordenen Sünde hervortreten; der zweite Tod dagegen ist ja
nicht allen gemeinsam im Hinblick auf die, »die
nach dem Ratschluss berufen sind, die er« schon voraus »vorhergewusst
und vorherbestimmt hat«, wie der Apostel sagt (Röm.
8, 28f.), »gleichförmig zu werden dem
Bilde seines Sohnes, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern«,
die Gottes Gnade durch den Mittler von dem
zweiten Tode erlöst hat.
Dass nun der erste Mensch in einem seelischen Leibe erschaffen worden, darüber
spricht sich der Apostel ebenfalls aus; um nämlich das, was jetzt seelisch
ist, zu unterscheiden von dem Geistigen, das in der Auferstehung eintreten wird,
sagt er (1 Kor. 15, 42ff.): »Gesäet
wird [der Leib] in Verweslichkeit, auferstehen
wird er in Unverweslichkeit; gesäet wird er in Schmach, auferstehen wird
er in Herrlichkeit, gesäet wird er in Schwachheit, auferstehen wird er
in Kraft; gesäet wird ein seelischer Leib, auferstehen wird ein geistiger
Leib«. Sodann fügt er zum Beweise dessen bei:
»Gibt es einen seelischen Leib, so gibt es auch einen geistigen Leib«.
Und um klar zu machen, was ein seelischer Leib sei, sagt er: »So
steht auch geschrieben (Gen.2, 7): Es ward der
erste Mensch zu einer lebendigen Seele«. Damit wollte er also klar
machen, was ein seelischer Leib sei, obschon die Schrift vom ersten Menschen,
Adam genannt, da ihm durch Gottes Hauch die Seele erschaffen ward, nicht sagt:
Es ward der Mensch in einem seelischen Leibe, sondern: »Es
ward der Mensch zu einer lebendigen Seele«. Des seelischen Leib
des Menschen also will der Apostel verstanden wissen in dem Schriftwort:
»Es ward der erste Mensch zu einer lebendigen Seele«.
Wie aber der geistige Leib zu verstehen sei, erklärt er in den anschließenden
Worten: »Der letzte Adam ward zu einem belebenden
Geist«, ohne Zweifel auf Christus anspielend, der nunmehr von den
Toten so auferstanden ist, dass er fürder überhaupt nicht mehr sterben
kann. Und endlich folgen die Worte: »Doch nicht
zuerst das Geistige, sondern das Seelische, dann das Geistige«.
Und damit gibt er noch viel deutlicher zu erkennen, daß er an den seeli¬schen
Leib gedacht hat bei dem Schriftwort, der erste Mensch sei zur lebendigen Seele
geworden, und an den geistigen Leib bei seinen eigenen Worten: »Der letzte
Adam ward zum belebenden Geist«. Denn voran geht der seelische Leib, wie
der erste Adam einen hatte, wenn auch nicht einen dem Tode verfallenen ohne
vorangegangene Sünde, und wie wir jetzt einen haben, mit insofern veränderter
und verschlechterter Natur, als für ihn nach der Sünde nunmehr die
Unvermeidbarkeit des Todes als Folge eingetreten ist (einen
solchen zunächst zu haben ließ sich auch Christus herab zu unserem
Besten, nicht aus Notwendigkeit, sondern aus Machtvollkommenheit); dann
erst kommt der geistige Leib, wie er bereits vorangegangen ist in Christus als
unserm Haupte, in seinen Gliedern aber folgen wird durch die schließliche
Auferstehung der Toten.
Im Anschluss daran gibt der Apostel sodann den in die Augen springenden Unterschied
zwischen diesen beiden »Menschen« an:
»Der erste Mensch aus Erde ist irdisch, der zweite
Mensch ist vom Himmel. Wie der irdische, so auch die irdischen; wie der himmlische,
so auch die himmlischen. Und wie wir das Ebenbild des irdischen angezogen haben,
so wollen wir auch das Ebenbild dessen anziehen, der im Himmel ist«.
Der Apostel meint das in dem Sinne, dass es jetzt in uns vor sich gehen möge
durch die Wirkung des Sakramentes der Wiedergeburt, wie
er an einer andern Stelle sagt (Gal. 3, 27):
»Ihr alle, die ihr in Christo getauft seid, habt Christum angezogen«;
in Wirklichkeit aber wird es sich erst vollenden, wenn auch in uns das, was
seelisch ist durch die Geburt, durch die Auferstehung, geistig geworden ist.
Denn »der Hoffnung nach sind wir gerettet worden«,
um mich wieder seiner Worte (Röm. 8, 24) zu
bedienen. Das Ebenbild des irdischen Menschen haben wir angezogen durch die
Vererbung der Übertretung und des Todes auf dem Wege der Zeugung; das Ebenbild
des himmlischen Menschen werden wir anziehen durch die Gnade der Verzeihung
und des ewigen Lebens, die Wirkung der Wiederzeugung, und zwar allein auf dem
Wege über den »Mittler zwischen Gott und den
Menschen, den Menschen Christus Jesus« (1
Tim. 2, 5). Ihn versteht er unter dem himmlischen
Menschen, weil er vom Himmel kam, um sich mit dem Leibe
irdischer Sterblichkeit zu bekleiden und so diesen Leib mit
himmlischer Unsterblichkeit auszustatten.
Und himmlisch nennt er auch andere, weil sie durch Gnade Glieder Christi werden,
so dass Christus mit ihnen eins ist wie Haupt und Leib. Das spricht er im nämlichen
Briefe (1 Kor. 15, 21f.) deutlicher also aus:
»Durch einen Menschen der Tod, und durch einen Menschen die Auferstehung
von den Toten. Wie nämlich in Adam alle sterben, so werden hinwieder in
Christo alle lebendig gemacht werden«; nunmehr im geistigen Leibe
natürlich, der zum belebenden Geiste wird; »alle«
übrigens, nicht weil alle, die in Adam sterben,
Glieder Christi sein werden (der weitaus größere
Teil davon wird vielmehr mit dem zweiten, ewig währenden Tode bestraft),
sondern deshalb ist in beiden Satzgliedern »alle«
gesetzt, weil man nur in Christo durch einen geistigen
Leib belebt wird, wie man nur in Adam dem
seelischen Leibe nach stirbt. Demnach ist durchaus nicht anzunehmen, dass wir
bei der Auferstehung einen Leib erhalten werden, wie ihn der erste Mensch vor
der Sünde hatte, und die Worte: »Wie der irdische
(Mensch), so die irdischen« dürfen auch nicht bezogen
werden auf etwas, was durch Begehung der Sünde herbeigeführt worden
ist. Denn irrig wäre die Ansicht, der Mensch hätte vor der Sünde
einen geistigen Leib gehabt, der erst infolge der Sündenschuld in einen
seelischen verwandelt worden wäre. Wer das meinte, würde die Worte
des großen Lehrers zu wenig beachten: »Gibt
es einen seelischen Leib, so gibt es auch einen geistigen; so steht auch geschrieben:
Es ward der erste Mensch zu einer lebendigen Seele«. Das ist doch
nicht erst nach der Sünde so geworden, da es sich hier um die ursprüngliche
Beschaffenheit des Menschen handelt, für die der heilige Apostel dieses
Zeugnis des Gesetzes aufruft, um das Vorhandensein eines seelischen Leibes darzutun.
24. Über die Bedeutung des Anhauchens
Gottes, durch das der erste Mensch zur lebendigen Seele ward, und die Bedeutung
jenes Anhauchens, mit dem der Herr seine Worte an die Jünger begleitete:
»Empfanget den Heiligen Geist«.
Daher ist auch die von manchen vertretene Auffassung nicht recht wohlerwogen*,
die in dem Schriftwort (Gen. 2, 7):
»Gott hauchte in sein Angesicht den
Geist des Lebens, und es ward der Mensch zur lebendigen Seele« nicht
die Erschaffung der Seele des ersten Menschen sehen will, sondern die Belebung
der schon einerschaffenen durch den Heiligen Geist.
*Vertreten von Origenes,
Tertullian, Cyprian, Cyrillus
von Alexandrien, Basilius, Ambrosius
u. A. (nach Anmerkung der Maurianer)
Sie lassen sich davon bestimmen, dass der Herr Jesus nach seiner Auferstehung
von den Toten seine Jünger anhauchte mit den Worten (Joh.
20, 22): »Empfanget den Heiligen Geist«.
Deshalb denken sie bei jenen Worten des Schöpfungsberichtes an ein Vorkommnis
ähnlich diesem, als ob auch bei diesem der Evangelist die Worte folgen
ließe: Und sie wurden zu einer lebendigen Seele. Hieße es wirklich
so, dann würden wir den Schöpfungsbericht dahin auffassen, dass der
Geist Gottes für die Seelen eine Art Leben sei und dass die vernünftigen
Seelen ohne ihn als tot zu erachten seien, mögen immerhin ihre dermaligen
Leiber offensichtlich leben.
Aber dass sich nicht eine Geistergießung bei der Erschaffung des Menschen
zutrug, bezeugt der Wortlaut des Berichtes: »Und
Gott gestaltete den Menschen als Staub von der Erde«. Das hat man
dann, um es klarer zu machen, in die Worte umgesetzt: »Und
Gott bildete den Menschen aus Erdenschlamm« (Gen.
2, 7), weil vorhergeht: »Ein Quell stieg
auf aus der Erde und befeuchtete die ganze Oberfläche der Erde«;
es legt sich also der Gedanke an den aus Erde und Feuchtigkeit sich bildenden
Schlamm nahe. Denn auf die eben angeführten Worte folgt unmittelbar: »Und
Gott gestaltete den Menschen als Staub von der Erde«, wie die griechischen
Handschriften haben, aus denen der Schrifttext selbst ins Lateinische übersetzt
ist. Dabei tut es nichts zur Sache, ob man das griechische Originalwort mit
»formavit« (»gestaltete«)
oder mit »finxit« (»bildete«)
wiedergibt; wortgetreuer ist »finxit«.
Durch die Wahl des Ausdrucks »formavit«
vermied man jedoch eine Zweideutigkeit, weil im Lateinischen
fingere, wie sich der Sprachgebrauch herausgebildet hat, mehr von
solchen gesagt wird, die etwas mit Hilfe von Verstellung und Lüge frei
erfinden. Also dieser aus Erdenstaub oder Erdenschlamm
(es war feuchter Staub) gestaltete Mensch, dieser »Staub von der
Erde«, um mich wörtlich an die Schrift zu halten, ist, wie der Apostel
lehrt, ein beseelter Leib geworden, als er eine Seele erhielt:
»Und es ward« dieser »Mensch
zur lebendigen Seele«, d, h. dieser gestaltete Staub ward zur lebendigen
Seele.
Aber, wendet man ein, er muss doch schon eine Seele gehabt haben, sonst würde
er nicht Mensch genannt, da doch der Mensch nicht Leib allein und nicht Seele
allein ist, sondern ein Wesen, das aus Leib und Seele zusammen besteht. Das
ist ja richtig, dass die Seele nicht der ganze Mensch, sondern sein besserer
Teil ist, und dass der Leib nicht der ganze Mensch, sondern sein niedrigerer
Teil ist; und erst wenn beides miteinander verbunden ist, spricht man von einem
Menschen; allein diese Bezeichnung wird doch auch von den einzelnen Teilen gebraucht.
Der alltägliche Sprachgebrauch gestattet zu sagen: Dieser Mensch ist verschieden
und befindet sich jetzt in der Ruhe oder in Pein, obwohl man das nur von der
Seele sagen kann; oder: Da und da ist dieser Mensch begraben, obwohl das nur
vom Leibe verstanden werden kann.
Oder will man sich darauf berufen, dass die Heilige Schrift solchen Sprachgebrauch
nicht kennt? Aber sie gibt vielmehr uns darin Recht und gebraucht sogar da,
wo beides verbunden ist und es sich um einen lebenden Menschen handelt, den
Ausdruck Mensch für jeden einzelnen Teil, indem sie die Seele den inneren
Menschen und den Leib den äußeren Menschen nennt, als wären
es zwei Menschen, da doch beides zusammen nur den einen Menschen ausmacht. Man
darf in der Tat nur darauf achten, in welcher Hinsicht der Mensch Gottes Ebenbild
und auf der andern Seite Staub und Staubesbeute heißt: das eine im Hinblick
auf die vernünftige Seele, wie sie Gott durch Einblasen, oder vielleicht
besser gesagt, durch Einhauchen dem Menschen gegeben, d. i, dem Leibe des Menschen;
das andere im Hinblick auf den Leib, wie Gott ihn gebildet hat aus Staub als
Mensch, dem eine Seele verliehen ward, auf dass er ein beseelter Leib werde,
d, i. dass der Mensch werde zur lebendigen Seele.
Also wollte der Herr in dem Vorgang des Einhauchens, womit er die Worte begleitete:
»Empfanget den Heiligen Geist«, doch wohl darauf hinweisen,
dass der Heilige Geist nicht allein des Vaters, sondern auch sein, des Eingeborenen,
Geist ist. Ein und derselbe Geist ist ja der des Vaters und der des Sohnes,
mit dem zusammen eine Dreieinigkeit bilden der Vater, der Sohn und der Heilige
Geist, und er ist Schöpfer, nicht ein Geschöpf. Denn jener körperliche
Hauch aus irdischem Munde war nicht das Wesen und die Natur des Heiligen Geistes,
sondern, wie gesagt, nur ein sinnfälliger Hinweis darauf, dass der Heilige
Geist dem Vater und dem Sohne gemeinsam ist, weil nicht jeder der beiden einen
eigenen, sondern beide den einen haben. Allein dieser Geist wird in der Heiligen
Schrift stets mit dem griechischen Worte … bezeichnet, wie ihn auch Jesus
an dieser Stelle genannt hat, da er ihn seinen Jüngern mitteilte, durch
den Hauch seines leiblichen Mundes ihn sinnbildend; an keiner Stelle der Heiligen
Schrift finde ich diesen je anders genannt. Dagegen in der Stelle: »Und
Gott bildete den Menschen als Staub von der Erde und blies oder hauchte in sein
Antlitz den Geist des Lebens«, hier hat der griechische Text nicht
… wie der Heilige Geist in der Regel genannt wird, sondern …, ein
Wort, das häufiger im Zusammenhang mit einem geschöpflichen Wesen
als mit dem Schöpfer gebraucht wird.
Manche lateinische Übersetzer haben daher, um den Unterschied anzudeuten,
das Wort flatus (Hauch)
an dieser Stelle dem Wort spiritus (Geist)
vorgezogen. Denn dasselbe Wort … findet sich in der griechischen
Übersetzung auch in der Isaiasstelle, wo Gott sagt (Is.
57, 16 nach der Septuaginta). »Jeglichen
Hauch (flatus) habe ich geschaffen«, wobei
ohne Zweifel jegliche Seele gemeint ist. Also das griechische … haben
unsere Übersetzer bald mit flatus,
bald mit spiritus wiedergegeben, oder
auch mit inspiratio (Einhauchung)
oder aspiratio
(Anhauchung), selbst auch wenn sie
von Gott ausgeht; … dagegen stets mit spiritus,
mag es sich nun handeln um den Geist des Menschen (den
der Apostel meint in der Stelle (1 Kor. 2, 11):
»Denn welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, als nur der Geist
des Menschen, der in ihm ist?«) oder des Tieres (wie
es im Buche Salomons heißt (Ekkle. 3, 21);
»Wer weiß, ob der Geist des Menschen emporsteigt zum Himmel und
der Geist des Tieres herniedersteigt zur Erde?«) oder um das geistartige
Luftgebilde, das sonst Wind heißt (dies ist z. B,
gemeint in der Psalmstelle (Ps. 148 ,8): »Feuer,
Hagel, Schnee, Eis, Sturmgeist«) oder überhaupt nicht
um einen geschaffenen Geist, sondern um den Schöpfer, wie der Geist ist,
von dem der Herr im Evangelium sagt: »Empfanget den Heiligen Geist«,
indem er ihn zugleich sinnbildet durch Hauch seines leiblichen Mundes, oder
in der Stelle (Matth. 28, 19): »Gehet
hin, taufet «alle» Völker im Namen des Vaters und des Sohnes
und des Heiligen Geistes«, wo eben die Dreieinigkeit auf das glänzendste
und deutlichste bezeugt ist, oder in der Stelle (Joh.
4, 24): »Gott ist ein Geist«
und an sehr vielen anderen Stellen der Heiligen Schrift. In all diesen Schriftzeugnissen
lesen wir im Griechischen nirgends xxx, immer yyy, und bei den Lateinern nicht
flatus, sondern spiritus. Böte daher der griechische Text in der Stelle:
»Er hauchte« oder vielleicht wörtlicher
»er blies in sein Angesicht den Geist des Lebens«,
statt !!!, wie es dort heißt, das Wort ???, so müssten wir darunter
noch immer nicht notwendig den Schöpfer-Geist verstehen, der in der Dreieinigkeit
den nur ihm eigenen Namen Heiliger Geist führt, Denn es ist kein Zweifel,
dass man, wie gesagt, ??? auch vom Geschöpf, nicht bloß vom Schöpfer
gebraucht.
Allein man hat noch einen weiteren Einwand: Der heilige Autor hätte dem
Worte »Geist« nicht die nähere
Bestimmung »des Lebens« beigefügt,
wenn er nicht den Heiligen Geist hätte verstanden wissen wollen; noch auch
hätte er den Worten: »es ward der Mensch zur
Seele« das Eigenschaftswort »zur lebendigen« beigefügt,
wenn er nicht das Leben der Seele gemeint hätte, das ihr von Gott verliehen
wird durch das Geschenk des Geistes Gottes. Da nämlich die Seele ohnehin
schon als solche ihr eigenes Leben habe, so lasse sich die Beifügung von
»lebendig« nur dahin verstehen, daß man an das Leben
zu denken habe, das ihr durch den Heiligen Geist verliehen wird. Aber so kann
man nur folgern, wenn man geistreiche Mutmaßung alles und die Heilige
Schrift nichts gelten lässt. Man hätte gar nicht weit zu gehen brauchen;
im nämlichen Buch, kurz vorher, heißt es (Gen.
1, 24): »Die Erde bringe hervor die lebendige
Seele«, und zwar da, wo von der Erschaffung aller irdischen Lebewesen
berichtet wird. Und es hätte nicht viel Aufmerksamkeit erfordert zu entdecken,
dass es dann in der Folge, aber immer noch im nämlichen Buche, heißt
(Gen. 7, 22): »Und
alles, was den Geist des Lebens hat, und jeglicher, der sich auf dem Erdboden
befand, starb«; so in der Erzählung, dass alles, was auf der
Erde lebte, durch die Sündflut zugrunde ging.
Wenn wir also, dem Sprachgebrauch der Heiligen Schrift nachgehend, die lebendige
Seele und den Geist des Lebens auch bei den Tieren finden, wobei übrigens
der griechische Text in der Stelle: »Alles, was
den Geist des Lebens hat« wieder das Wort xxx, nicht das Wort yyy
bietet, so könnten wir hier gerade so gut fragen: Wozu die Beifügung
von »lebendig«, da doch die Seele ohne
Leben nicht sein kann? und wozu die Beifügung von »des
Lebens« zu dem Worte »Geist«?
Aber man sieht wohl ein, dass die Schrift in der ihr eigentümlichen Ausdrucksweise
von »lebendiger Seele« und von »Geist
des Lebens« spricht, wenn sie Lebewesen, d, i. beseelte Körper
meint, denen durch ihre Seele auch klare leibliche Empfindung innewohnt. Bei
dem Bericht über die Erschaffung des Menschen jedoch vergisst man den Sprachgebrauch
der Schrift, obwohl sie sich da genau ihrer Ausdrucksweise bedient, um bekannt
zu geben, daß der Mensch, obschon mit vernünftiger Seele ausgestattet,
die sie durch Gottes Hauch erschaffen sein lässt, nicht gleich den Seelen
der anderen irdischen Lebewesen durch Zeugungstätigkeit von Wasser und
Erde, dennoch nach dem Schöpfungsplane in einem beseelten Leibe, der zustande
kommt durch die in ihm lebende Seele, Leben gewinnen sollte, so gut wie jene
anderen Lebewesen, von denen sie sagt: »Die Erde
bringe hervor die lebendige Seele« und denen sie in gleicher Weise
den Geist des Lebens zuspricht, wobei es im Griechischen auch nicht xxx, sondern
yyy heißt, da eben nicht der Heilige Geist, sondern deren Seele mit diesem
Worte bezeichnet werden will.
Aber Gottes Hauch muss doch aus Gottes Mund hervorgegangen sein, und wenn man
also unter Gottes Hauch die Seele versteht, so müsste man folgerichtig
die Seele als gleichwesentlich mit Gott und als identisch mit jener
Weisheit erklären, die gesprochen hat (Ekkli.
24, 3): »Ich bin aus dem Munde des Allerhöchsten
hervorgegangen«. Doch die Weisheit sagt nicht, dass sie aus dem
Munde Gottes ausgehaucht worden, sondern dass sie daraus hervorgegangen sei.
So wie wir beim Atmen den Hauch erzeugen aus der uns umgebenden
Luft, die wir durch Ein- und Ausatmen an uns ziehen und von uns stoßen,
und nicht aus unserer Natur, aus unserm Wesen als Menschen, so brauchte Gott
den Hauch weder aus seiner Natur noch aus einer geschöpflichen Unterlage
hervorzubringen, vielmehr konnte er vermöge seiner
Allmacht aus nichts den Hauch hervorbringen; den er,
wie es völlig zutreffend heißt, dem Menschenleib durch Zuführung
eingehaucht oder eingeblasen hat, einen unkörperlichen Hauch, weil er vom
Unkörperlichen ausging, jedoch einen wandelbaren, trotzdem er vom Unwandelbaren
ausging, weil es sich um einen erschaffenen Hauch des Unerschaffenen handelt.
Übrigens mögen sich die, die über die Heilige Schrift reden,
ohne ihre Redeweise zu beachten, das Gotteswort vor Augen halten
(Off. 3, 16): »Weil du lau bist und weder
warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde«. Daraus
sollten sie erkennen, dass es nicht ausschließlich von solchem, was gleichen
Wesens ist mit Gott, heißt, es gehe aus dem Munde Gottes hervor.
Damit fällt jeder Grund dahin, warum wir dem so deutlich redenden Apostel
widersprechen sollten, wo er den seelischen Leib vom geistigen, d. i. den, worin
wir gegenwärtig sind, von dem, worin wir künftig sein werden, unterscheidet
mit den Worten (1 Kor. 15, 44ff.):
»Gesäet wird ein seelischer Leib, auferstehen
wird ein geistiger Leib; gibt es einen seelischen Leib, so auch einen geistigen;
so steht auch geschrieben: Es ward der erste Mensch Adam zu einer lebendigen
Seele, der letzte Adam zu einem belebenden Geist. Doch nicht zuerst das Geistige,
sondern das Seelische, dann das Geistige. Der erste Mensch aus Erde ist irdisch,
der zweite Mensch ist vom Himmel. Wie der irdische, so auch die irdischen, und
wie der himmlische, so auch die himmlischen. Und wie wir das Ebenbild des irdischen
angezogen haben, so wollen wir auch das Ebenbild dessen anziehen, der im Himmel
ist«.
Über diese ganze Stelle aus dem Apostel haben wir bereits oben gesprochen.
Der seelische Leib also, in welchem nach ihm der erste
Mensch Adam erschaffen worden ist, ward so erschaffen, dass er nicht sterben
sollte, wenn der Mensch nicht sündigte, nicht aber so, dass er überhaupt
nicht sollte sterben können. Denn überhaupt nicht sterben können
wird erst der Leib, der durch den belebenden Geist geistig sein wird und unsterblich,
wie die erschaffene Seele unsterblich ist, die freilich durch die Sünde
erstirbt, wie man sagt, und einer bestimmten Art ihres Lebens verlustig geht,
nämlich des ihr weises und glückliches Leben bedingenden Gottesgeistes,
dabei aber nicht aufhört ihr Eigenleben, wenn auch ein unseliges, zu führen,
weil sie als unsterblich erschaffen ist; wie auch die abtrünnigen Engel,
obgleich sie in einer gewissen Hinsicht durch ihr Sündigen erstorben sind,
weil sie Gott, den Quell des Lebens, verlassen haben, von dessen Labung ihr
weises und glückseliges Leben abhing, gleichwohl nicht in dem Sinne sterben
konnten, als ob sie gänzlich aufhörten zu leben und zu empfinden,
weil sie eben als unsterblich erschaffen sind.
Und so werden sie selbst im zweiten Tod, in den
sie nach dem letzten Gericht gestürzt werden,
des Lebens nicht bar sein, da sie ja der Pein unterworfen
und also nicht ohne Empfindung sein werden. Dagegen werden die zu Gottes
Gnade gehörigen Menschen, die Mitbürger der heiligen und im glückseligen
Leben beharrenden Engel, mit geistigen Leibern in der Weise ausgestattet werden,
dass sie nicht mehr sündigen noch auch sterben, mit einer solchen Unsterblichkeit
jedoch bekleidet, die gleich der der Engel auch nicht durch Sünde aufgehoben
werden kann, wobei das Wesen des Fleisches erhalten bleibt, ohne dass aber irgendwelche
fleischliche Vergänglichkeit oder Schwerfälligkeit zurückbleibt.
Es erhebt sich nun aber eine Frage, die wir nicht umgehen können und mit
Hilfe des Herrn, des Gottes der Wahrheit, zu lösen hoffen: Wenn sich das
Begehren der unbotmäßigen Glieder infolge der Sünde
der Unbotmäßigkeit in den ersten Menschen erst erhob, als
die göttliche Gnade von ihnen gewichen war,
weshalb sie jetzt erst die Augen auf ihre Nacktheit richteten, d, h. mit Neugier
auf sie aufmerksam wurden, und über dem Widerstreit ihres freien Willens
wider die unschamhafte Regung ihre Scham bedeckten, wie hätten sie dann
Kinder zeugen können, wenn sie ohne Sünde geblieben wären, wie
sie erschaffen waren? Doch es ist Zeit dieses Buch zu beenden, und eine so wichtige
Frage lässt sich nicht in ein paar Worten erledigen; es wird sich also
empfehlen, ihre Beantwortung dem folgenden Buche zuzuweisen. S.
250-297
Aus: Des heiligen Kirchenvaters Aaurelius Augustinus Zweiundzwanzig Bücher
über den Gottesststaat. Aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. Alfred
Schröder. II. Band (Buch IX-XVI) Bibliothek der Kirchenväter. Verlag
Josef Kösel&Friedrich Pustet.KG Kenpten und München. 1914 (unter
Beachtung der neuen Rechtschreibung übertragen)
Ausgewählte Briefe - Drittes Buch
Brief an Proba
II. (Nr. 130.)
Geschrieben im Jahre 412.
Der Bischof Augustinus, Diener Christi und der Knechte Christi, grüßt Proba, die fromme Dienerin Gottes, in dem Herrn der Herren.
Anicia Faltonia Proba, Witwe des Sextus Petronius Probus, entstammte einer römischen Familie von großem Reichtum und edler Abstammung. Drei ihrer Söhne erlangten das Konsulat, zwei zusammen 395, der dritte 406. Als Rom 410 von Alarich genommen wurde, waren Proba und ihre Familie in der Stadt und entgingen nur mit Mühe Gewalttaten während der sechs Tage, während deren die Goten die Stadt plünderten. Um diese Zeit starb einer ihrer Söhne, und bald nach diesem traurigen Ereignisse entschloss sie sich, Rom zu verlassen. Sie veräußerte ihre umfangreichen Besitztümer und schiffte nach Afrika, begleitet von ihrer Schwiegertochter Juliana, der Witwe von Anicius Rermogonianus Olybrius, und Demetrias, Julianas Tochter, die 413 den Schleier nahmen und dadurch einen gewaltigen Eindruck in der kirchlichen Welt erregten. Ein beträchtliches Gefolge von Witwen und jüngeren Frauen suchte Schutz in ihrem Schutzgebiete und begleitete die vornehmen Flüchtlinge nach Karthago. Um sich den Schutz des Heraclianus, das Statthalters von Afrika, zu sichern, bezahlte sie eine beträchtliche Summe und erhielt die Erlaubnis, sich mit ihrem Gefolge frommer Frauen in Karthago niederzulassen. Ihre Frömmigkeit führte sie dazu, die Freundschaft und den Rat des hl. Augustinus zu suchen.
Augustinus wünscht der Adressatin Glück, dass sie, von der Fülle äußerer Gnaden überhäuft, doch Verlangen nach einer Unterweisung über das Gebet empfinde. Beim Gebete komme es vor allem auf die Person des Betenden, d. h auf seinen Seelenzustand an: er müsse sich als hilfsbedürftig und verlassen erkennen. Sodann komme es an auf den Gegenstand des Gebetes; dieser sei Gott und seine Gnade. Von irdischen Dingen solle man nur um das Notwendige bitten, besonders um Gesundheit und ausreichendes Auskommen. Man solle allzeit beten durch das beständige Verlangen nach Gott und seinen Gütern und durch die sogenannten Pfeilgebete. Augustinus gibt sodann eine kurze Erklärung des »Vaterunser« und der Tatsache, dass so manches Gebet unerhört zu bleiben scheine.
I. 1. Da ich mich an deine Bitte und mein Versprechen, dir etwas über das Gebet zu Gott zu schreiben, erinnere und derjenige zu dem wir beten, Zeit und Kraft verliehen hat, so muss ich endlich meine Schuld abtragen und deinem frommen Verlangen in der Liebe Christi zu Dienste zu sein. Wie sehr mich aber deine Bitte erfreut hat, da ich aus ihr erkannte, wieviel dir aus dieser so wichtigen Sache gelegen ist, kann ich mit Worten nicht erklären. denn was für ein wichtigeres Geschäft kann es für dich als Witwe geben, als nach der Mahnung des Apostels Tag und Nacht im Gebete zu verharren? Er sagt nämlich: Die aber wahrhaft Witwe ist und trostlos, hat auf Gott gehofft und verharrt Tag und Nacht im Gebete«* Da du vor den Augen dieser Welt vornehm, reich und Mutter einer so angeseheren Familie bist, also Witwe, aber keineswegs trostlos, so könnte es erstaunlich erscheinen, dass der Gebetseifer dein Herz ergriffen und in besonderer Weise eingenommen hat. Allein du hast mit Klugheit eingesehen, dass in dieser Welt und in diesem Leben keine Seele in Sicherheit zu sein vermag.
* 1. Tim. 5, 5.
So lautet die Stelle bei Augustinus; in unseren Ausgaben lautet sie bekanntlich etwas anders. Insbesondere muss »desolata« mit »trostlos« statt mit »verlassen« übersetzt werden, weil in der ganzen folgenden Erklärung diese Deutung vorausgesetzt wird.
2. Derjenige, der dir diesen Gedanken eingegeben hat, tut deshalb gewiss an dir, was er seinen Jüngern in wunderbar mildreicher Weise verheißen hat, als sie nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen des Menschengeschlechtes betrübt waren und daran verzweifelten, dass jemand selig werden könne; hatten sie doch von ihm hören müssen, »leichter gehe ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher ein in das Himmelreich« (Matth. 19, 23—26; Luk. 18, 25 und 27).
Er erwiderte ihnen nämlich, bei Gott sei leicht, was bei den Menschen unmöglich sei. Derjenige also, bei dem es leicht ist, dass auch ein Reicher in das Himmelreich eingehe, hat dir eine fromme Sorge wegen der Art deines Gebetes eingeflösst, und du hast geglaubt, mich hierüber befragen zu müssen. Er hat ja auch, als er noch auf Erden weilte, den reichen Zachäus ins Himmelreich aufgenommen (2. Luk. 19, 2—10.), und nach seiner Verherrlichung durch die Auferstehung und Himmelfahrt hat er viele Reiche durch Erteilung des Heiligen Geistes zu Verächtern dieser Welt gemacht und sie noch mehr bereichert, indem ihre Begierde nach Reichtum ein Ende nahm. Und wie könntest auch du dich so bestreben, zu Gott zu beten, wenn du nicht auf ihn hofftest? Du könntest aber nicht auf ihn hoffen, wenn du auf unsicheren Reichtum hofftest und das so heilsame Gebot verachtetest, das der Apostel ausspricht: »Den Reichen dieser Welt gebiete, nicht hochmütig zu sein und nicht zu vertrauen auf hinfälligen Reichtum, sondern auf den lebendigen Gott, der uns alles reichlich darbietet zum Genusse; sie sollen reich sein an guten Werken, gerne geben und mitteilen und sich einen Schatz sammeln als gute Grundlage für die Zukunft, auf dass sie erfassen mögen das wahre Leben« (1 Tim. 6, 17—19.)
II. 3. Aus Liebe zu diesem wahren Leben musst du dich also in dieser Welt als trostlos betrachten, so groß auch der Wohlstand sein mag, in dem du dich befindest. Denn wie nur jenes Leben das wahre ist, in Vergleich mit dem das so vielfach geliebte, so angenehm und lang es auch sein mag, nicht einmal den Namen des Lebens verdient, so ist auch jener Trost der wahre, den der Herr durch den Propheten mit den Worten verheißt:
»ich werde ihnen wahren Trost geben, Frieden über Frieden« (Is. 57, 18 und 19 nach der Septuaginta). Ohne diesen Trost wird in allen irdischen Tröstungen mehr Trostlosigkeit als Stärkung gefunden. Denn welchen Trost bringen Reichtum, hohe Ehrenstellen und andere derartige Dinge, durch die die Sterblichen des wahren Glückes entbehren, sich für glücklich halten, da es doch besser ist, ihrer nicht zu bedürfen. als einen Vorrang zu besitzen? Und hat man sie erlangt, quält dann nicht die Furcht, sie zu verlieren, noch mehr als die Begierde, sie zu erlangen, quälte, so lange man sie noch nicht besaß? Durch solche Güter werden die Menschen nicht gut; nur wenn sie auf eine andere Weise gut geworden sind, so bewirken sie durch rechten Gebrauch dieser Dinge, dass auch sie gut werden. In diesen Dingen liegt also kein wahrer Trost, sondern vielmehr da, wo das wahre Leben ist. Denn der Mensch muss eben, dadurch glückselig werden, wodurch er gut wird.
4. Gute Menschen aber sieht man schon in diesem Leben großen Trost spenden. Wenn die Armut bedrängt, wenn Trauer darniederdrückt, wenn körperliche Schmerzen die Ruhe rauben, wenn Verbannung Trübsal bringt, wenn irgendein anderes Missgeschick Qual verursacht, so mögen gute Menschen kommen, die nicht bloß »mit den Fröhlichen sich zu freuen, sondern auch mit den Weinenden zu weinen« (Römer 12, 15) verstehen, die in tröstlicher Weise anzusprechen und eine Unterredung zu führen wissen: in den meisten Fällen wird dann das Harte gemildert, das Schwere erleichtert, das Widerwärtige überwunden werden. Dies bewirkt aber in ihnen und durch sie derjenige, der sie mit seinem Geiste zu guten Menschen gemacht hat. Nun nimm das Gegenteil an! Wenn auch Reichtum im Überflusse vorhanden ist, kein Mangel sich fühlbar macht, der Leib sich gesund befindet, wenn man im ungefährdeten Vaterlande wohnt, aber von bösen Menschen umgeben ist, unter denen niemand ist, auf den man vertrauen könnte, niemand, dessen List, Betrug, Zorn, Hader und Nachstellung nicht zu fürchten oder nicht zu erdulden wäre — wird da nicht all dieses bitter und hart, so dass nichts Angenehmes und Erfreuliches mehr dabei bleibt? So ist in allen menschlichen Dingen dem Menschen nichts freundlich ohne einen Freund. Aber wie selten wird ein Freund gefunden, über dessen Gesinnung und Charakter in diesem Leben volle Gewissheit besteht! Denn niemand kennt einen anderen so, wie er sich selbst kennt, und auch sich selbst kennt niemand so, dass er hinsichtlich seiner morgigen Handlungsweise sicher sein dürfte. Obwohl man also viele an ihren Früchten erkennt und die einen durch ihr gutes Leben den Nächsten erfreuen, die anderen ihn durch ihren schlechten Wandel betrüben, so ermahnt uns doch der Apostel wegen der Verborgenheit und Unzuverlässigkeit der menschlichen Gesinnung mit vollstem Rechte, »nicht vor der Zeit über irgend etwas zu richten, bis der Herr kommt und das im Finstern Verborgene erleuchtet und die Gedanken des Herzens offenbar macht; dann wird jeder sein Lob von Gott empfangen«(1 Kor. 4, 5).
5. So lange wir also in der Finsternis dieses Lebens, »ferne gerückt vom Herrn, im Glauben und nicht im Schauen wandeln« (2. Kor.5, 6 und 7)‚ muss sich die christliche Seele als trostlos betrachten, damit sie nicht zu beten ablasse. Auch lerne sie, das Auge des Glaubens hinzuwenden auf das Wort der göttlichen und heiligen Schriften »wie auf eine an finsterem Orte befindliche Leuchte, bis der Tag heranbricht und der Morgenstern sich in unserem Herzen erhebt« (2. Petr.1, 19). Diese Leuchte hat gleichsam ihre unergründliche Quelle in jenem Licht, das so in der Finsternis leuchtet, dass es von der Finsternis nicht begriffen wird, weil die Herzen, um es zu sehen, durch den Glauben gereinigt werden müssen. Denn »selig, die eines reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen« (Matth. 5, 8.). Und: »Wir wissen, dass, wenn es offenbar sein wird, wir ihm ähnlich sein werden, weil wir ihn sehen werden, wie er ist« (1. Joh 3, 2 Zum Verständnis der Stelle muss an den Anfang dieses Verses erinnert werden: »Vielgeliebte! Jetzt sind wir Kindsr Gottes. aber es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden.«). Dann wird nach dem Tode das wahre Leben und nach der Trostlosigkeit der wahre Trost sein. Jenes Leben wird unsere »Seele vom Tode« (Ps. 114, 8. Die Stelle lautet vollständig: »Er errette meine Seele vom Tode, meine Augen von den Tränen und meine Füße vom Falle.« retten und jener Trost unsere »Augen von den Tränen« befreien. Und weil dort keine Versuchung mehr sein wird, so folgt in demselben Psalm das Wort: »Und meine Füße vom Falle«. Wo es aber keine Versuchung mehr gibt, da gibt es auch kein Gebet mehr (Offenbar meint der hl. Augustinus hier zunächst das Bittgebet für eigene Angelegenheiten.); denn dort ist keine Erwartung eines verheißenen Gutes mehr, sondern die Anschauung eines empfangenen. Darum heißt es: »Ich will dem Herrn gefallen im Lande der Lebendigen« (Ps. 114, 9), wo wir dann sein werden, nicht in der Wüste der Toten, in der wir uns jetzt befinden. »Denn ihr seid abgestorben«, schreibt der Apostel, »und euer Leben ist mit Christus in Gott verborgen. Wenn aber Christus, euer Leben, erschienen ist, dann werdet auch ihr selbst vor ihm in Herrlichkeit erscheinen« (Kol 3. 3 und 4.). Dies ist nämlich das wahre Leben, das die Reichen nach dem Befehle des Apostels durch gute Werke erfasssen sollen und dort ist der wahre Trost, dessen die trostlose Witwe jetzt entbehrt. Wenn sie darum auch »Söhne und Enkel hat« (1 Tim. 5, 4 und 5.), ihr Haus mit Frömmigkeit verwaltet und bei all den Ihrigen dahin wirkt, dass sie ihr Vertrauen auf Gott setzen, so spricht sie doch in ihrem Gebete: »Nach Dir dürstet meine Seele, wie sehr schmachtet nach Dir mein Fleisch im wüsten, weg- und wasserlosen Lande!« (Ps. 62, 2 und 3.), das heißt in diesem Sterbensleben. Denn wie viel menschlicher Trost ihr auch zu Gebote stehe, wie viele Reisegefährten sie auch begleiten mögen, wie große Schätze sich auch vor ihr aufhäufen — du weißt ja, wie unsicher all dieses ist! Und was wäre dieses alles im Vergleich mit der verheißenen Glückseligkeit, auch wenn es nicht so unsicher wäre!
6. Dies sage ich, damit du, die du als reiche und vornehme Witwe und Mutter einer so großen Familie von mir eine Abhandlung über das Gebet verlangt hast, dich verlassen fühlest, auch wenn in diesem Leben die Deinigen bei dir bleiben und dir gehorchen. Noch ist ja jenes Leben nicht erfasst, wo der wahre und sichere Trost sich findet, wo erfüllt werden wird, was in der Weissagung gesagt ist: »Früh am Morgen sind wir gesättigt worden von Deiner Barmherzigkeit, wir haben frohlockt und uns gefreut an allen unseren Tagen. Wir haben uns gefreut wegen der Tage, an denen Du uns gedemütigt hast, wegen der Jahre, in denen wir Unglück gesehen haben« (Ps. 89, 14 und 15.).
III. 7. Bevor also dieser Trost kommt, sei, um »Tag und Nacht im Gebet« zu verharren, eingedenk, dass du eine Trostlose bist, mag der Wohlstand an zeitlichen Gütern, der dich umgibt, noch so groß sein. Denn nicht jeder beliebigen Witwe schreibt der Apostel diese Beschäftigung zu, sondern er sagt: »Die wahrhaft Witwe und trostlos ist, hat auf den Herrn gehofft und verharrt Tag und Nacht im Gebete« (1 Tim. 5, 5.). Hüte dich aber mit aller Sorgfalt vor dem, was es weiter heißt: »Denn die sich mit Vergnügungen zu schaffen macht, ist lebendig tot« (1 Tim. 5, 6.). Denn der Mensch macht sich mit dem zu schaffen, was er liebt, wonach er als etwas Großem trachtet, worin er seine Glückseligkeit zu finden glaubt. Was deshalb die Heilige Schrift vom Reichtum sagt: »Wenn Reichtum zufließt, so wendet ihm euer Herz nicht zu« (Ps 61, 11.), das sage ich dir hinsichtlich der Vergnügungen: Wenn Vergnügungen zuströmen, so wende dein Herz ihnen nicht zu! Halte dich nicht für groß, weil sie dir nicht fehlen, weil sie sich im Überflusse darbieten, weil sie gleichsam der überreichen Quelle irdischen Wohlstandes entströmen! Überhaupt verachte all dieses an dir und schätze es gering und verlange von ihm nichts als vollständige körperliche Gesundheit! Denn diese darf man nicht gering schätzen, weil man sie notwendig zum Leben braucht, so lange dieses Sterbliche nicht das Unsterbliche, das heißt die wahre, vollkommene und ewige Gesundheit angezogen hat, die nicht durch eine irdische Krankheit zugrunde geht, auch nicht durch vergängliche Erholung wieder hergestellt wird, sondern in himmlischer Festigkeit verbleibt und in ewiger Unverwes!ichkeit erblüht. Selbst der Apostel sagt ja: »Traget nicht Sorge für das Fleisch wegen der Begierlichkeit« (Röm. 13, 14.). Nun tragen wir allerdings ja Sorge für das Fleisch, aber wegen der notwendigen Gesundheit. »Niemand hat je sein eigenes Fleisch gehasst« (Eph. 5,29.), sagt ja derselbe Apostel. Darum ermahnt er ja auch den Timotheus, der offenbar seinen Leib zu sehr züchtigte, »er solle wegen seines Magens und seiner zahlreichen Krankheiten etwas Wein genießen« (1. Tim. 5, 23).
8. Wenn also eine Witwe sich mit diesen Vergnügungen zu schaffen macht, das heißt wenn sie mit Freude des Herzens daran hängt und darin verweilt, so ist sie lebendig tot. Darum haben viele Heilige beiderlei Geschlechtes sich ganz und gar ihrer enthalten, sich gewissermaßen ihres Reichtums, der Mutter dieser Vergnügungen, durch Verteilung an die Armen entledigt und ihn lieber auf andere Weise in der himmlischen Schatzkammer hinterlegt. Wenn du auch dies, durch irgendeine Liebespflicht gebunden, nicht tust, so weißt du doch, welche Rechenschaft du von deinem Reichtume Gott ablegen musst. »Denn niemand weiß, was im Menschen geschieht, als der Geist des Menschen, der in ihm ist« (1 Kor. 2, 11.) Wir dürfen nicht »vor der Zeit über etwas urteilen, bis. der Herr kommt, der das im Finstern Verborgene erleuchten und die Gedanken des Herzens offenbar machen wird; dann wird jeder sein Lob von Gott empfangen« (1 Kor 4, 5.). Jedoch gehört es zu deinen Witwensorgen, wenn Vergnügungen zuströmen, ihnen das Herz nicht zuzuwenden, damit nicht durch sie verwese und sterbe, was in der Höhe sein muss, wenn es leben soll. Halte dafür, dass du dich in der Zahl derer befindest, von denen geschrieben steht: »Ihre Herzen werden leben von Ewigkeit zu Ewigkeit« (Ps. 21. -27.)
IV. 9. Du hast also gehört, wie du selbst bei deinem Gebete beschaffen sein sollst; nun höre, worum du beten sollst, denn darüber glaubtest du ja vorzüglich mich befragen zu müssen, weil dich das Wort des Apostels beunruhigt: »Worum wir beten sollen, wie es sein muss, das wissen wir nicht« (Röm. 8, 26.). Du hast sogar gefürchtet, es möge dir mehr zum Schaden gereichen, nicht so zu beten, wie es sein muss, als überhaupt gar nicht zu beten. Hierauf lässt sich in Kürze antworten: Bete um ein glückseliges Leben! Denn alle Menschen wollen ein solches haben. Sogar jene, die ein ganz schlechtes und verworfenes Leben führen, würden keineswegs dies tun, wenn sie nicht glaubten, auf diese Weise glückselig sein oder werden zu können. Um was anderes also solltest du beten als um das, was sowohl Gute als Böse begehren, wozu aber nur die Guten gelangen?
V. 10. Hier möchtest du vielleicht schon die Frage stellen, was denn eigentlich das glückselige Leben sei. An dieser Frage haben viele Philosophen ihren Scharfsinn und ihre Zeit vergeudet und doch ihre richtige Lösung um so weniger gefunden, je weniger sie der Quelle des glückseligen Lebens Ehre erwiesen und ihr Dank gesagt haben. Bedenke also zuerst, ob man jenen zustimmen dürfe, die da sagen, glückselig sei der, der nach seinem Willen lebe. Aber ferne sei es von uns, dies für wahr zu halten. Denn wie, wenn er etwa gottlos leben wollte? Ist er nicht erweislich umso unglücklicher, je leichter sein böser Wille sich erfüllt? Mit Recht haben diese Ansicht sogar diejenigen verworfen, die ohne Anbetung Gottes philosophische Studien getrieben haben. So spricht der Beredsamste aus ihnen das allerdings schöne Wort: »Sieh aber, andere, die zwar keine Philosophen, aber zum Disputieren bereit sind, behaupten, alle seien glückselig, die so leben, wie sie wollen. Das ist nun allerdings unrichtig; denn wollen, was sich nicht geziemt, ist selbst schon das größte Unglück. Auch ist es kein so großes Unglück, nicht zu erlangen, was man will, als erlangen zu wollen, was man nicht soll« (Cicero Hortensius; vgl. Augustinus de beata vita c. 10.). Was hast du für eine Ansicht? Sind diese Worte nicht von der Wahrheit selbst durch irgendeinen Menschen gesprochen? Wir können also hier sagen, was der Apostel von einem Propheten aus Kreta (Epimenides) sagte dessen Ausspruch ihm gefiel: »Dieses Zeugnis ist wahrhaft« (Titus 1,12-13.)
11. Derjenige ist also glücklich, der alles hat, was er will, aber nichts will, was sich nicht geziemt (Damit führt Augustinus eine weitere Definition des glückseligen Lebens an, nicht seine eigene Ansicht.). Wenn dem so ist, so beachte, was die Menschen alles wollen können, ohne dass es unziemlich ist. Der eine will verheiratet sein, der andere will, nachdem er Witwer geworden, von nun an enthaltsam leben, wieder ein anderer will auch in der Ehe von keinem Geschlechtsverkehr wissen. Und wenn auch hierbei das eine sich besser erweist denn das andere, so kann man doch von keinem aus diesen sagen, dass er etwas Unziemliches wolle. So verhält es sich auch mit dem Wunsche, Kinder zu bekommen, als Frucht der Ehe nämlich, und mit dem Wunsche, dass diejenigen, die man bekommen hat, Leben und Gesundheit besitzen möchten. Diesen letzteren Wunsch hegen ja gewöhnlich auch Personen, die als Verwitwete enthaltsam sind. Denn wenn sie auch keine Ehe mehr wollen und deshalb nicht mehr wünschen, Kinder zu bekommen, so wünschen sie doch, dass ihre bereits geborenen Kinder sich wohl befinden. Die jungfräuliche Reinheit hingegen ist auch von dieser Sorge gänzlich frei. Alle besitzen jedoch teure Angehörige, denen sie ohne jede Ungebühr auch zeitliches Wohlergehen wünschen. Wenn aber die Menschen dieses Wohlergehen für sich und für jene, die sie lieben, erlangt haben, können wir sie dann etwa schon glückselig preisen? Sie besitzen dann etwas, was zu wollen nicht unziemlich ist; wenn sie aber andere, größere, bessere, an Nutzen und Ehre reichere Güter nicht besitzen, so sind sie noch weit entfernt vom glückseligen Leben.
VI. 12. Ist man also der Ansicht, dass man außer diesem zeitlichen Wohlergehen sich und den Seinigen auch noch Ehre und Macht wünschen soll? Gewiss, wenn, sie hierdurch für jene Sorge tragen wollen, die unter ihnen leben, wenn sie nicht diese Dinge selbst, sondern ein anderes daraus entstehendes Gut im Auge haben, so geziemt es sich, solches zu wünschen; wenn es aber aus eitler Prahlerei und wegen überflüssigen, nichtigen, ja sogar schädlichen Prunkes geschieht, so geziemt es sich nicht. Ebenso verhält es sich auch, wenn sie sich und den Ihrigen ausreichendes Auskommen hinsichtlich der notwendigen Dinge wünschen; darüber sagt ja der Apostel folgendes: »Gottseligkeit mit Genügsamkeit ist ein großer Erwerb. Denn wir haben nichts in die Welt gebracht, aber wir können auch nichts von hier fortnehmen. Haben wir Kleidung und Nahrung, so lasst uns damit zufrieden sein. Denn die reich werden wollen, fallen in Versuchung und Fallstricke des Teufels und in viele unnütze und schädliche Begierden, die die Menschen in Verderben und Untergang versenken. Denn die Wurzel alles Bösen ist Habsucht; in ihrem Banne sind einige vom Glauben abgeirrt und haben sich mit mancherlei Qual behaftet« (1 Tim. 6, 6—10.). Wer immer nur dieses ausreichende Auskommen und nicht mehr will, der will nichts Ungeziemendes; denn wenn er mehr will, dann begehrt er über sein Auskommen, und dann will er nichts Geziemendes. Dieses wünschte, darum bat derjenige, der sprach: »Reichtum und Armut gib mir nicht; verleihe mir aber das Notwendige in hinreichendem Maße, damit ich nicht etwa gesättigt Lügen rede und spreche: Wer sieht mich? Oder aus Armut stehle und falsch schwöre bei dem Namen meines Gottes ?« (Sprichw. 30, 8 und 9) Du siehst ohne Zweifel, dass dieses ausreichende Auskommen nicht um seiner selbst willen, sondern wegen des leiblichen Wohlbefindens und des den persönlichen Verhältnissen entsprechenden Haushaltes anzustreben sei; denn dieser Haushalt soll jenen nicht ungeeignet erscheinen, mit denen man in ehrbarer und standesgemäßer Weise zu verkehren hat.
13. Bei all dem also wird das persönliche Wohlbefinden und die Freundschaft um ihrer selbst willen angestrebt, das ausreichende Auskommen sucht man nicht um seiner selbst willen, sondern wegen der beiden ebengenannten Zwecke, so lange man nämlich in geziemender Weise danach verlangt. Das Wohlbefinden aber schließt in sich sowohl das Leben selbst als auch die Gesundheit und Unversehrtheit des Leibes und der Seele. Auch sind der Freundschaft nicht enge Grenzen zu ziehen; sie umfasst vielmehr alle, denen man Liebe und Zuneigung schuldet, wenn man auch zu dem einen mehr, zu dem anderen weniger sich hingezogen fühlt; sie reicht sogar bis zu den Feinden, da uns befohlen ist, auch für sie zu beten, So gibt es niemanden im Menschengeschlechte, dem man nicht Liebe, wenn auch nicht als wechselseitige Zuneigung, so doch wegen der Gemeinsamkeit der Natur schuldig wäre. Aber an jenen haben wir mit Recht große Freude, die uns in heiliger und keuscher Weise entgegenlieben. Besitzt man solche Freunde, so soll man beten, dass man sie behalte; besitzt man sie nicht, dass man sie erhalte.
VII. 14. Ist dies nun das Ganze, ist dies alles, woraus sich der Begriff des glückseligen Lebens zusammensetzt, oder lehrt die Wahrheit noch etwas anderes, was all diesem vorzuziehen ist? Man muss ja dieses ausreichende Auskommen, sogar dieses Wohlbefinden, sowohl das eigene als das der Freunde, so lange es nur zeitlich ist, preisgeben, um das ewige Leben zu erlangen. Doch — mag auch der Körper vielleicht gesund sein, auf keine Weise aber ist die Seele, die das Ewige dem Zeitlichen nicht vorzieht, für gesund zu halten. Denn man lebt nur dann nutzbringend in dieser Zeit, wenn man das Leben dazu verwendet, sich Verdienste zu erwerben, die ewiges Leben verleihen. Auf dieses eine Leben also, in dem man mit Gott und aus Gott lebt, ist ohne Zweifel alles Übrige zu beziehen, was man in nützlicher und geziemender Weise sich wünscht. Dann lieben wir ja uns selbst, wenn wir Gott lieben, und ebenso lieben wir unseren Nächsten gemäß dem anderen Gebote wahrhaft wie uns selbst, wenn wir ihn, soweit es an uns ist, zu einer Gott ähnlichen Liebe führen. Gott also lieben wir um seiner selbst willen, uns und den Nächsten aber um seinetwillen, Aber auch wenn wir so leben, sollen wir nicht glauben, dass wir uns schon im glückseligen Leben befinden, gleich als gäbe es nichts mehr, um was wir zu beten hätten. Denn wie könnten wir jetzt schon glückselig leben, da uns noch fehlt, wodurch allein wir gut zu leben vermögen? (Nämlich Gott selbst.)
VIII. 15. Warum also zerstreuen wir uns durch die Rücksicht auf viele Dinge, fragen, worum wir beten sollen, und fürchten, wir könnten vielleicht nicht so beten, wie es sein soll? Warum sprechen wir nicht lieber mit dem Psalm: »Eins habe ich vom Herrn erbeten, wiederum verlange ich's: dass ich weile im Hause des Herrn alle Tage meines Lebens, dass ich die Lieblichkeit Gottes betrachte und seinen Tempel besuche«? (Ps. 26. 4.) Dort entsteht die Gesamtheit »aller Tage des Lebens« nicht dadurch, dass sie kommen, auch ist dort nicht der Anfang des einen Tages das Ende des anderen, sondern alle Tage sind dort zugleich und ohne Ende; hat ja doch auch das Leben selbst, dessen Tage sie sind, kein Ende. Um dieses glückselige Leben zu erlangen, lehrt uns derjenige, der das wahre glückselige Leben ist, zu beten nicht mit vielen Worten, gleich als ob wir um so eher erhört würden, je zungenfertiger wir sind, während wir doch zu dem beten, der, wie der Herr selbst sagt, weiß, was wir bedürfen, noch ehe wir ihn darum bitten. Es könnte deshalb auffallend erscheinen, dass der Herr, der doch weiß, was wir bedürfen, noch ehe wir ihn darum bitten, trotz dieses Verbotes vieler Worte uns zum Gebete mit den Worten ermahnt:»Man muss allezeit beten und darf nicht davon ablassen« (Luk. 18, 1). Auch stellt er uns das Beispiel einer Witwe vor Augen, die gegen ihren Widersacher Recht bekommen wollte und durch öfteres Drängen einen ungerechten Richter dazu bewog, ihr Gehör zu schenken, wobei dieser sich nicht von Gerechtigkeit oder Barmherzigkeit bestimmen ließ, sondern vom Überdruss. Daraus sollten wir die Lehre schöpfen, um wie viel gewisser der barmherzige und gerechte Gott und Herr uns erhört, wenn wir ohne Unterlass beten, da diese Witwe von einem ungerechten und gottlosen Richter bei ihrem beständigen Drängen nicht zurückgewiesen werden konnte. Wie gern und freudig muss außerdem wohl Gott die guten Wünsche derer erfüllen, die, wie er weiß, anderen ihre Beleidigungen vergeben, da selbst jene ihr Ziel erreichte, die Rache an ihrem Gegner verlangte. Auch jener, der plötzlich den Besuch eines reisenden Freundes erhielt, aber nichts ihm vorzusetzen hatte, wollte von einem anderen Freunde drei Brote entlehnen (wodurch vielleicht die Dreifaltigkeit des einen göttlichen Wesens angedeutet ist); so weckte er als höchst dringlicher und lästiger Bittsteller ihn, obwohl er schon mit seinen Knechten schlief, so dass dieser ihm so viel er wollte, wobei auch er mehr sich der Störung entledigen als ihm einen Gefallen erweisen wollte (Luk. 11, 5-3). Erkennen wir also daraus, wie viel wohlwollender derjenige gibt, der den Schlaf nicht kennt, der vielmehr uns zum Gebete erweckt, wenn wir schlafen; wird doch selbst zum Geben gezwungen, wer gegen seinen Willen von einem Bittsteller aus dem Schlafe geweckt wird.
16. An derselben Stelle heißt es auch: »Bittet, und ihr werdet empfangen; suchet, und ihr werdet finden; klopfet an, und es wird euch aufgetan werden. Denn ein jeder, der bittet, empfängt, und wer sucht, der findet, ünd wer klopft, dem wird aufgetan. Denn wer von euch reicht seinem Sohn, der ihn um Brot bittet, einen Stein? Oder wenn er um einen Fisch bittet, gibt er ihm etwa eine Schlange? Oder wenn er um ein Ei bittet, gibt er ihm etwa einen Skorpion? Wenn nun ihr, die ihr doch böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisset, wie viel mehr wird euer himmlischer Vater denen Gutes geben, die ihn darum bitten?« (Luk. 11, 9—13. Doch hat unsere Vulgata im letzten Vers »guten Geist« statt »Gutes«.) An dieser Stelle ist, entsprechend jenen drei vom Apostel empfohlenen Tugenden, durch den Fisch der Glaube versinnbildet, sowohl wegen des Taufwassers als auch, weil er in den Fluten dieser Zeit sich unversehrt erhält. Ihm entgegengesetzt ist die Schlange, die es mit ihrer giftigen List dahin brachte, dass Gott der Glaube verweigert wurde. Die Hoffnung ist durch das Ei versinnbildet, weil das Küchlein im Ei noch kein Leben besitzt, sondern es erst erhalten soll, auch noch nicht gesehen, sondern erst gehofft wird; »denn hoffen, was man sieht, ist keine Hoffnung« (Röm. 8. 24). Ihr wiederum ist der Skorpion entgegengesetzt; denn wer auf das ewige Leben hofft, vergisst, was hinter ihm liegt, und streckt sich nach dem aus, was vor ihm ist, und es ist für ihn schädlich, nach rückwärts zu schauen. Bei dem Skorpion aber ist das Hinterteil zu fürchten, an dem er sein Gift und seinen Stachel hat. Die Liebe aber wird durch das Brot versinnbildet, »denn die Liebe ist das Größte von diesen« (1. Kor. 1-18). Auch unter den Speisen übertrifft das Brot alles übrige durch seinen Nutzen. Der Liebe ist der Stein entgegengesetzt; denn harte Herzen sind für die Liebe unempfänglich. Diese Ausdrücke könnten passender auch auf anderes gedeutet werden; doch der, der seinen Kindern gute Gaben zu geben weiß, treibt uns durch sie an, zu bitten, zu suchen und zu klopfen.
17. Warum er uns hierzu antreibt, obwohl er, noch ehe wir ihn darum bitten, weiß, was wir bedürfen, dies könnte uns auffallen, wenn wir es nicht so verständen, dass unser Herr und Gott nicht unseren Willen kennen lernen will, da er ihm nicht unbekannt sein kann, sondern dass durch unser Gebet unser Verlangen gestärkt werden soll damit wir imstande seien zu erfassen, was Gott zu geben beabsichtigt. Denn dieses ist sehr groß, wir aber sind klein und schwach zum Erfassen. Darum wird uns gesagt: »Erweitert euch, damit ihr nicht an demselben Joche wie die Ungläubigen ziehet« (Kor. 6, 18 und 14.). Denn um so fähiger werden wir sein zum Genusse jenes erhabenen Gutes, »das kein Auge gesehen hat — da es keine Farbe hat —, kein Ohr gehört — da es kein Schall ist —, das in keines Menschen Herz gedrungen ist« (1 Kor. 2. 9.) — da des Menschen Herz sich zu ihm emporschwingen muss, um so fähiger also, je treuer wir daran glauben, je zuversichtlicher wir darauf hoffen, je glühender wir nach ihm Verlangen tragen.
IX. 18. Wenn also unser Verlangen fortdauert, so beten wir immer in diesem Glauben, in dieser Hoffnung und in dieser Liebe. Darum aber bitten wir Gott nach Ablauf bestimmter Stunden und Zeiten auch mit Worten, damit wir durch die Bezeichnung der Dinge uns selbst ermahnen, damit wir uns vergewissern, wie weit wir in dem erwähnten Verlangen vorwärts gekommen sind, und damit wir um so lebhafter angeregt werden, es in uns zu vermehren. Denn um so schöner wird der Erfolg sein, je glühender der Eifer ist, der ihm vorausgegangen. Und was will darum auch das Wort des Apostels: »Betet ohne Unterlass« (1 Thess. 5, 17.) anderes besagen, als dass man das glückselige Leben, das kein anderes als das ewige ist, ohne Unterlass von dem, der es allein zu geben vermag, mit Sehnsucht erwarten müsse? Immer also wollen wir dieses von Gott erwarten, immer darum bitten. Aber eben deshalb sollen wir auch das Gemüt von anderen Sorgen und Geschäften, durch die jene Sehnsucht sich gewissermaßen abkühlt, zu gewissen Stunden zum Geschäfte des Betens wieder zurücklenken, indem wir uns durch die Worte des Gebetes selbst ermahnen, auf das zu achten, was wir ersehnen; sonst könnte ganz erkalten, was schon lau zu werden begonnen hatte, und vollends erlöschen, was öfter hätte angefacht werden sollen. Darum ist auch das Wort desselben Apostels: »Eure Bitten mögen kund werden vor Gott« (Phil. 4, 6.). nicht so zu fassen, als ob sie Gott kund werden sollten — denn er kannte sie ja, noch ehe sie vorhanden waren —‚ sondern sie sollen uns kund werden durch unsere Geduld vor Gott, nicht durch unsere Prahlerei vor den Menschen. Vielleicht aber sollen sie auch den Engeln kund werden, die bei Gott sind, damit sie gewisser Weise sie Gott aufopfern, in betreff ihrer anfragen und erfahren, was nach Gottes Befehl zu vollbringen sei, und damit sie schließlich uns heimlich oder offenbar überbringen, was, wie sie bei Gott erfahren haben, geschehen soll. Denn es sprach ein Engel zu einem Menschen: »Und jetzt, als du mit Sara betetest, habe ich euer Gebet vor das Angesicht der Herrlichkeit Gottes gebracht« (Tob. 12. 12 (nach der Septuaginta).
X. 19. Unter diesen Umständen ist es nun keineswegs tadelnswert oder nutzlos, wenn man auch viele Zeit auf das Gebet verwendet, das heißt wenn nicht andere pflichtgemäße Handlungen dadurch verhindert werden, obwohl man auch bei diesen durch jenes Verlangen, von dem ich gesprochen habe, allzeit beten muss. Denn es heißt nicht, wie einige meinen, mit vielen Worten beten, wenn man etwas länger betet. Etwas anderes ist Vielrednerei, etwas anderes andauernde Andacht. Denn vom Herrn selbst steht geschrieben, dass er die Nacht im Gebete zugebracht und mit größerer Dringlichkeit gebetet hat. Hat er uns hierdurch nicht ein Beispiel gegeben, da er in der Zeit auf die rechte Weise betete, während er beim Vater in alle Ewigkeit die Gebete erhört?
20. Wie man sagt, verrichten die Brüder in Ägypten zwar häufig Gebete, aber sie sollen ganz kurz, gleichsam Pfeilgebete sein, damit nicht die sorgfältig erweckte Herzensandacht, die dem Beter vorzüglich notwendig ist, durch zu lange Dauer dahinschwinde und ihre Kraft verliere. Auch zeigen sie uns dadurch, dass man diese Herzensandacht eben sowenig abstumpfen lassen darf, wenn sie nicht auszudauern vermag, als man sie plötzlich abbrechen soll, wenn sie noch andauert. Ferne sei vom Gebete vieles Reden, aber es fehle nicht an vielen Bitten, wenn der Eifer der Andacht fortwirkt. Denn viel redet man, wenn man beim Gebet das, was uns notwendig ist, mit überflüssigen Worten erörtert. Man bittet aber viel, wenn man mit andauernder und frommer Herzensregung sich an jenen wendet, zu dem wir beten. Denn dieses Geschäft wird meistens besser mit Seufzern als mit Worten, besser mit Weinen als mit Reden betrieben. Der alles durch sein Wort erschaffen hat und kein Verlangen trägt nach Menschenworten, »er setzt unsere Tränen vor sein Angesicht« (Ps. 55, 9.), und unser Seufzen ist vor ihm nicht verborgen.
XI. 21. U n s also sind Worte notwendig, damit wir durch sie uns selbst ermahnen und auf den Gegenstand des Gebetes achten, nicht aber als ob wir glaubten, wir müssten den Herrn durch sie belehren oder erweichen. Wenn wir also sprechen: »Geheiligt werde Dein Name« (Matth. 6, 9—11 und Luk. 11, 2 und 3.), so ermahnen wir uns zur Sehnsucht, dass Gottes allezeit heiliger Name auch von den Menschen heilig gehalten werden, das heißt nicht verunehrt werden möchte. Dies aber gereicht nicht Gott, sondern uns zum Nutzen. Wenn wir sprechen: »Zukomme uns Dein Reich!«, so wird dieses Reich zwar kommen, ob wir es wünschen oder nicht, aber wir regen durch dieses Wort unsere Sehnsucht nach diesem Reiche an, damit es für uns komme und wir in ihm zu herrschen verdienen. Wenn wir sprechen: »Dein Wille geschehe wie im Himmel so auch auf Erden«, so erbitten wir uns von Gott eigentlich den Gehorsam, damit sein Wille so von uns geschehe, wie er im Himmel von seinen Engeln geschieht. Wenn wir sprechen: »Gib uns heute unser tägliches Brot«, so wird unter ‚heute‘ verstanden ‚in dieser Zeit‘, in der wir um das ausreichende Auskommen bitten, das wir mit dem Ausdruck ‚Brot‘ bezeichnen, da das Brot sein vorzüglichster Bestandteil ist. Oder wir können darunter auch das Sakrament der Gläubigen verstehen, das in dieser Zeit uns notwendig ist, aber nicht um zeitliche, sondern um ewige Glückseligkeit zu erlangen. Wenn wir sprechen: »Vergib uns unsre Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern«, so ermahnen wir uns, sowohl worum wir bitten sollen, als auch was wir zu tun haben, damit wir das Erbetene zu erlangen verdienen. Wenn wir sprechen: »Führe uns nicht in Versuchung«, so ermahnen wir uns, darum zu bitten, dass wir nicht, des göttlichen Beistandes beraubt, uns von irgendeiner Versuchung zur Einwilligung verleiten lassen oder verzagten Sinnes ihr nachgeben. Wenn wir sprechen: »Erlöse uns von dem Übel«, so legen wir uns den Gedanken nahe, dass wir noch nicht in jenem glücklichen Zustande uns befinden, wo wir kein Übel mehr erdulden werden. Und dieser Schluss des Gebetes des Herrn ist so inhaltsreich, dass der Christ, in welcher Not er sich auch befinden mag, bei diesem Gedanken seine Seufzer emporsendet, seine Tränen vergießt, mit diesem Gedanken beginnt, bei ihm verweilt und sein Gebet mit ihm beschließt. So sollten durch diese Worte die betreffenden Wahrheiten selbst unserem Gedächtnisse eingeprägt werden.
XII. 22. Und wenn wir auch irgendwelche andere Worte sprechen, wie sie die Andacht. dem Beter zuvorkommend, einflößt, um sich noch höher zu schwingen, oder wie man sie gebraucht, um dadurch eine nachfolgende Andachtsvermehrung zu erfahren, so sprechen wir doch — vorausgesetzt, dass wir in der rechten und geziemenden Weise beten — nichts anderes, als was auch im Gebete des Herrn enthalten ist. Jeder aber, der Worte gebraucht, die mit dieser evangelischen Gebetsvorschrift unvereinbar sind, der betet, wenn auch nicht in unerlaubter, so doch in fleischlicher Weise. Vielleicht aber ist auch dieses unerlaubt zu nennen, da es sich geziemt, dass die aus dem Geiste Wiedergeborenen in geistiger Weise. beten. Wer z. B. spricht: »Verherrliche Dich bei allen Völkern, wie Du bei uns verherrlicht bist, und mögen Deine Propheten als wahrhaft erfunden werden« (Sir, 36, 4 und 18.), sagt nichts anderes als: »Geheiligt werde Dein Name.« Wer spricht: »Gott der Heerscharen, bekehre uns, zeige uns Dein Angesicht, und wir werden gerettet werden« (Ps. 79. 4.), sagt nichts anderes als: »Zukomme uns Dein Reich.« Wer spricht: »Lenke meine Pfade nach Deinem Worte, und keine Bosheit herrsche über mich« (Ps. 79, 118, 133), sagt nichts anderes aIs: »Dein Wille geschehe wie im Himmel so auch auf Erden« Wer spricht »Armut und Reichtum gib mir nicht« (Sprichw. 30, 8.), sagt nichts anderes als: »Gib uns heute unser tägliches Brot.« Wer spricht: »Gedenke, o Herr, des David und all seiner Sanftmut« (Ps. 181, 1.), oder: »Herr, wenn ich dies getan, wenn Unrecht ist an meinen Händen, wenn ich denen vergolten habe, die mir Böses getan« (Ps. 181, 7 , 4. Der Nachsatz, den der hl. Augustinus nicht anführt. lautet: »So möge ich nach Verdienst vor meinen Feinden zuschanden werden.«), sagt nichts anderes als: »Vergib uns unsre Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.« Wer spricht: »Nimm von mir die Völlerei, lass mich nicht von Fleischeslust ergriffen werden!« (Sir.23, 6), sagt nichts anderes als: »Führe uns nicht in Versuchung.« Wer spricht: »Rette mich von meinen Feinden, o Gott, befreie mich von denen, die sich über mich erheben« (Ps. 58, 2.), sagt nichts anderes als: »Erlöse uns von dem Übel.« Und wenn du alle Ausdrücke heiliger Gebetsformeln durchgehst, so wirst du, wie ich glaube, nichts finden, was nicht im Gebete des Herrn enthalten und eingeschlossen wäre. Darum steht es frei, die einen oder die anderen Worte zu gebrauchen, während man das gleiche Gebet verrichtet, aber es kann nicht freistehen, ein anderes Gebet zu verrichten.
23. Für uns und die Unsrigen wie für fremde Leute und sogar für unsere Feinde soll ohne Zweifel und Bedenken dieses Gebet verrichtet werden, obwohl in dem Herzen des Beters bald ein Antrieb zum Gebet für diesen, bald ein Antrieb zum Gebet für jenen entstehen und sich erheben mag, je nachdem er ihm näher oder ferner steht. Wenn aber jemand z. B. im Gebete spricht: »Herr, vermehre mir meinen Reichtum«, oder: »Gib mir so großen Reichtum, wie du ihn diesem oder jenem gegeben hast«, oder: »Verleihe mir mehr Ehre, mache mich in diesem Leben mächtig und berühmt« oder etwas Ähnliches, und wenn er solches spricht aus Begierde danach, nicht in der Absicht, dadurch nach Gottes Willen den Menschen nützlich zu sein, so glaube ich, dass er im Gebete des Herrn nichts findet, was für solche Wünsche passen würde. Deshalb schäme er sich, um solches zu bitten, wenn er sich schon nicht schämt, danach Verlangen zu tragen. Wenn er sich aber auch seiner Begierde schämt und sich doch von ihr überwältigen lässt, so ist es umso angebrachter, auch um Befreiung von dem Übel dieser Begierlichkeit denjenigen anzuflehen, zu dem wir sprechen: »Erlöse uns von dem Übel.«
XIII. 24. Du hast nun vernommen, wie ich glaube, nicht nur, wie du selbst beim Gebete beschaffen sein musst, sondern auch, worum du beten sollst. Und zwar habe nicht ich dich dieses gelehrt, sondern derjenige, der sich gewürdigt hat, uns alle zu lehren. Nach dem glückseligen Leben muss man Verlangen tragen, um dieses Gott den Herrn anflehen. Was es heißt, glückselig zu sein, darüber ist vieles von vielen erörtert worden, aber warum sollten wir uns wegen dieser vielen Meinungen an viele wenden? Kurz und wahr heißt es in der Heiligen Schrift: »Glückselig das Volk, dessen Herr sein Gott ist« (Ps. 143, 15.). Damit wir zu seinem Volke gehören und zum Genuss seiner Anschauung und zum endlosen Leben mit ihm gelangen können, deshalb ist »der Endzweck des Gebotes die Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben« (1 Tim. 1. 5). Bei jenen drei Stücken (Das heißt den drei vom Apostel Paulus erwähnten Tugenden: Glaube. Hoffnung und Liebe (1 Kor. 13, 13).) ist statt des guten Gewissens die Hoffnung gesetzt. Der Glaube, die Hoffnung und die Liebe also führen den Beter zu Gott, das heißt jenen, der glaubt, hofft, Verlangen trägt und das erwägt, worum er den Herrn im Gebete des Herrn anfleht. Das Fasten und die Enthaltung von anderen sonst erlaubten sinnlichen Genüssen, vorzüglich aber das Almosengeben kommen dem Gebete sehr zu Hilfe, so dass wir sprechen können: »Am Tage meiner Trübsal habe ich Gott mit meinen Händen gesucht, des Nachts stand ich vor ihm, und ich bin nicht getäuscht worden« ( Ps. 76. 3.). Denn wie könnte man den unkörperlichen und ungreifbaren Gott mit Händen suchen, wenn die Werke hiermit gemeint wären?
XIV. 25. Vielleicht möchtest du aber noch die Frage stellen, warum der Apostel gesagt hat: »Worum wir beten müssen, wie es sein soll, wissen wir nicht« (Röm. 8, 26.). Denn man kann doch keineswegs glauben, dass ihm oder denen, zu denen er sprach, das Gebet des Herrn unbekannt gewesen ist. Was können wir also als Grund dieses Wortes des heiligen Apostels angeben, da er es doch weder unbedacht noch lügenhaft hat aussprechen können? Gewiss hat er damit sagen wollen, dass zeitliche Trübsale und Leiden meistens nützlich sind, entweder um allzu stolzes Selbstgefühl zu heilen oder um in der Geduld zu prüfen und zu üben, indem ihr dann ein schönerer und reicherer Lohn aufbewahrt ist, oder um irgendwelche Sünden zu strafen und auszurotten, während wir, ihren Nutzen nicht kennend, von allen Leiden befreit sein möchten. Von dieser Unwissenheit hat sich der Apostel selbst nicht frei gezeigt. Oder wusste er etwa, worum er, wie es erforderlich ist, beten müsse, als ihm, damit er sich nicht wegen der Größe der Offenbarungen überhebe, jener Stachel des Fleisches gegeben wurde, ein Engel des Satans, der ihm Faustschläge gab? Dreimal hat er den Herrn gebeten, ihn von ihm hinwegzunehmen. Er wusste also nicht, worum man beten müsse, wie es erforderlich ist. Endlich vernahm er als Antwort Gottes, warum nicht geschehe, worum ein so großer Mann bete, und warum die Erhörung nicht dienlich sei: »Es genügt dir meine Gnade. Denn die Kraft wird in der Schwachheit vervollkommnet« (2 Kor. 12, 9.)
26. Bei diesen Trübsalen also, die sowohl nützen als schaden können, »wissen wir nicht, worum wir beten sollen, wie es erforderlich ist«. Und doch, da diese Dinge hart und beschwerlich sind, beten wir gemäß der allgemeinen menschlichen Willensrichtung, dass sie von uns hinweggenommen werden möchten. Soviel Ergebenheit aber schulden wir dem Herrn, unserem Gott, dass wir nicht glauben, von ihm vernachlässigt zu werden, wenn er sie nicht hinwegnimmt, sondern vielmehr in frommer Ertragung des Leidens auf größere Güter hoffen. Denn so »wird die Kraft in der Schwachheit vervollkommnet«. Bisweilen hat Gott der Herr Ungeduldigen im Zorne gewährt, worum sie baten, wie er es hingegen dem Apostel huldvoll verweigert hat. So lesen wir auch von den Israeliten, worum und wie sie gebeten und wie sie es empfangen haben; als aber ihre Begierlichkeit gestillt war, wurde ihre Ungeduld schwer gezüchtigt. - Er gab ihnen auch, als sie darum baten, einen König, aber, wie geschrieben steht (1 Kön. 8, 5—7), nach ihrem, nicht nach seinem Herzen. Er gab auch zu, was der Teufel verlangte, dass sein Diener versucht werden durfte, um sich zu bewahren (Job. 1, 12 und 2, 6.). Er erhörte auch die Bitte der unreinen Geister, dass eine Legion böser Geister in eine Schweineherde fahren dürfe (Matth. 8, 30—82; Luk. 8. 32.). Diese Beispiele stehen geschrieben, damit sich niemand für groß halte, wenn sein ungestümes Gebet in einer Sache Erhörung gefunden hat, während es nützlicher gewesen wäre, darum nicht zu beten; sie stehen aber auch geschrieben, damit niemand den Mut verliere oder an der Barmherzigkeit Gottes gegenüber seiner Person verzweifle, da er vielleicht um etwas bitten könnte, dessen Gewährung ihn noch tiefer ins Unglück bringen oder gar wegen des verführerischen Einflusses des Glückes ihm gänzlich zum Untergang. gereichen würde. Bei solchen Dingen wissen wir also nicht, worum wir beten sollen, wie es notwendig ist. Wenn sich also etwas ereignet, was unserer Gebetsmeinung widerspricht, so müssen wir es geduldig tragen, für alles Dank sagen und nicht zweifeln, dass das notwendig gewesen sei, was in Gottes, nicht in unserem Willen gelegen war. Auch hiervon hat uns der göttliche Mittler ein Beispiel gegeben. Denn nachdem er gesagt hatte: »Vater, wenn es möglich ist, so lass diesen Kelch an mir vorübergehen« (Matth. 26, 39.), wandelte er den menschlichen Willen, den er infolge seiner Menschwerdung besaß, um und fügte sogleich bei: »Aber nicht, was ich will, sondern was Du, o Vater, willst« (Matth. 26, 39.). Mit Recht werden daher »um des Gehorsams dieses Einzigen willen viele gerecht gemacht« (Röm. 5, 19.).
27. Wer aber immer jenes »eine vom Herrn erbittet und verlangt« (Ps. 26, 4.), der bittet mit Sicherheit und Gewissheit und fürchtet nicht, es möchte ihm etwa die empfangene Gabe zum Schaden gereichen, da ohne sie nichts nützt, was immer man auch durch ein Gebet, wie es sein soll, erlangt haben möchte. Denn dies ist das eine, wahre und allein glückselige Leben, dass wir die Freude des Herrn in Ewigkeit betrachten, unsterblich und unverweslich an Körper und Geist. Wegen dieses Einen verlangt man das übrige, und zwar keineswegs in ungeziemender Weise. Wer dieses hat, wird alles haben, was er nur will, und wird nicht imstande sein, etwas haben zu wollen, was sich nicht geziemt. Da findet sich ja die Lebensquelle, nach der wir jetzt im Gebete dürsten müssen, so lange wir in der Hoffnung leben und noch nicht sehen, was wir hoffen, so lange wir weilen wir unter dem Schutze der Flügel dessen, vor dem unsere ganze Sehnsucht offen liegt; trunken sollen wir werden von der Fülle seines Hauses und getränkt von dem Strome seiner Wonne. Denn bei ihm ist die Quelle des Lebens, und in seinem Lichte werden wir das Licht schauen. Da wird unsere Sehnsucht mit Gütern gesättigt werden, und wir werden nichts mehr mit Seufzen zu suchen, sondern nur mit Freuden zu erfassen haben. Indessen, da es »jener Frieden ist, der jeden Begriff übersteigt« (Phil. 4, 7.), so wissen wir, wenn wir im Gebete ihn begehren, nicht, worum wir beten sollen, wie es erforderlich ist. Denn was wir nicht so denken können, wie es ist, das kennen wir offenbar nicht; wir verwerfen vielmehr, auf was immer unsere Gedanken kommen, weisen es zurück, missbilligen es, weil wir wissen, dass es nicht das ist, was wir suchen, obgleich wir noch nicht wissen, wie es beschaffen ist.
XV. 28. Es findet sich also in uns, ich möchte sagen, eine gewisse belehrte Unwissenheit, belehrt jedoch vom Geiste Gottes, der unserer Schwachheit zu Hilfe kommt. Denn nachdem der Apostel gesagt hat: »Wenn wir hoffen, was wir nicht sehen, so erwarten wir in der Geduld«, fügt er bei: »So kommt auch der Geist unserer Schwachheit zu Hilfe. Denn worum wir bitten sollen, wie es notwendig ist, wissen wir nicht; der Geist selbst aber bittet für uns mit unaussprechlichen Seufzern. Der aber die Herzen durchforscht, weiß, was der Geist beabsichtigt; denn er ist nach gottgefälliger Weise Fürsprecher für die Geheiligten« (Röm. 8, 25—27.). Das darf man nicht so verstehen, als ob wir glauben würden, der göttliche Heilige Geist, der in der Dreifaltigkeit unwandelbarer Gott ist, e i n Gott mit dem Vater und mit dem Sohne, bitte für die Heiligen wie jemand, der nicht ebenso hoch steht wie Gott selbst. Es heißt vielmehr: »Er bittet für die Heiligen«, weil er die Heiligen zum Gebete antreibt, wie es auch heißt: »Es versucht euch der Herr, euer Gott, damit er wisse, ob ihr ihn liebet« (5. Moses18, 3), das heißt damit er es euch wissen lasse. Er bewirkt also, dass die Heiligen mit unaussprechlichen Seufzern beten, indem er ihnen Sehnsucht einflößt nach jenem herrlichen, noch unbekannten Gute, das wir in Geduld erwarten. Denn wie könnte dies ausgesprochen werden, da man ersehnt, was man nicht kennt? Wenn es aber ganz unbekannt wäre, so würde man sich nicht danach sehnen, und umgekehrt, wenn man es sähe, so würde man sich nicht danach sehnen und es mit Seufzen suchen.
XVI. 29. Erwäge dies alles und auch was dich sonst noch der Herr in dieser Beziehung erkennen lässt und was mir entweder nicht einfiel oder mir zu weitführend schien, um mich darüber zu verbreiten: kämpfe im Gebete um die Welt zu besiegen, bete in der Hoffnung, bete mit Treue und Liebe, bete inständig und geduldig, bete als eine Witwe Christi. Denn obwohl es allen seinen Gliedern, das heißt allen, die an ihn glauben und mit seinem Leibe vereinigt sind, zukommt, so zu beten, wie er es gelehrt hat, so ist doch in der Heiligen Schrift den Witfrauen ganz besonders eingeschärft, große Sorgfalt auf das Gebet zu verwenden. Zwei Frauen mit dem Namen Anna werden in ihr ehrenvoll erwähnt, die eine war eine Verheiratete, die den heiligen Samuel gebar, die andere Witfrau, die den Heiligen der Heiligen erkannte, als er noch Kind war. Auch die Verheiratete hat im Schmerz ihrer Seele und in der Trübsal ihres Herzens gebetet, weil sie keine Kinder hatte; hierauf erlangte sie den Samuel und weihte ihn Gott, wie sie es Zeit ihres Gebetes gelobt hatte (1. Kön. 1, 28). Aber man findet nicht leicht in ihrem Gebete eine Beziehung auf das Gebet des Herrn außer auf die Bitte: »Erlöse uns von dem Übel«; denn es erschien als kein geringes Übel, verheiratet zu sein, aber keine Frucht der Ehe zu besitzen, da doch die Ehe nur um der Kindererzeugung willen zu rechtfertigen ist. Beachte aber, was von jener Witfrau Anna geschrieben steht: »Sie kam nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht« (Luk. 2, 87.). Aus demselben Grunde sagt auch der Apostel, was ich bereits angeführt habe: »Die aber wahrhaft Witwe ist und verlassen, hat auf den Herrn gehofft und verharrt im Gebete Tag und Nacht« (1 Tim. 5, 5.). Und da der Herr uns ermahnte, allzeit zu beten und nicht davon abzulassen, führte er eine Witwe an, die einen Richter, obwohl er ungerecht und gottlos war und Gott und Menschen verachtete, dennoch durch ihr beständiges Drängen vermochte, sich ihrer Sache anzunehmen. Dass also die Witwen mehr als andere sich dem Gebete hingeben sollen, geht hinreichend daraus hervor, dass allen Menschen das Beispiel einer Witwe vor Augen gestellt ist, um sie zum Eifer im Gebete zu ermahnen.
30. Was hat aber eine Witwe bei diesem Werke voraus als Hilflosigkeit und Verlassenheit? Wenn sich darum jede Seele in diesem Leben, so lange sie ferne vom Herrn pilgert, als hilflos und verlassen erkennt (2 Kor. 5, 6.), so empfiehlt sie ohne Zweifel mit beständigem, innigstem Gebete gleichsam ihre Witwenschaft Gott, ihrem Verteidiger. Bete daher als eine Witwe Christi, da du noch .nicht die Anschauung dessen besitzest, um dessen Hilfe du flehest. Und wenn du auch noch so reich bist, so bete doch als eine Arme! Denn du besitzest noch nicht die wahren Schätze des zukünftigen Lebens, wo kein Verlust mehr zu befürchten ist. Wenn du auch Söhne und Enkel hast und eine höchst zahlreiche Verwandtschaft, so bete doch, wie oben bemerkt, als eine Verlassene; unsicher ist ja alles Zeitliche, auch wenn es bis zum Ende dieses Lebens uns zum Troste bliebe. Wenn du aber suchest und empfindest, was droben ist, so sehnst du dich nach Ewigem und Sicherem, und so lange du dieses noch nicht besitzest, musst du dich für verlassen erachten, auch wenn alles in gutem Zustande sich befindet und deine Angehörigen gesund sind. Und mit je größerer Liebe du, dann deine Schwiegertochter, die ohne Zweifel durch dein Beispiel ganz gottesfürchtig geworden ist, und die anderen heiligen Witfrauen und Jungfrauen, die durch eure Sorgfalt sich in so guter Hut befinden, mit je größerer Liebe also ihr eure Angehörigen behandelt, um so eifriger müsst ihr dem Gebete obliegen und euch mit zeitlichen Angelegenheiten nur soweit beschäftigen, als es die Mildtätigkeit erfordert.
31. Möchtet ihr doch eingedenk sein, auch für uns fleißig zu beten! Denn wir möchten nicht, dass ihr uns die gefahrvolle Ehre, mit der wir belastet sind, in solcher Weise zuteil werden lasset, dass ihr uns die Unterstützung versaget, der wir doch, wie wir uns nur zu sehr bewusst sind, dringend bedürfen. Von der Familie Christi wurde gebetet für Petrus und für Paulus: wir freuen uns, dass ihr auch zu dieser Familie gehöret, aber wir bedürfen ohne Vergleich mehr als Petrus und Paulus der Gebetshilfe von seiten unserer Geschwister. Betet in heiligem, einträchtigem Wettkampfe; ihr kämpfet hierbei nicht gegeneinander, sondern gegen den Teufel, den Feind aller Heiligen. Durch Fasten und Wachen und jegliche leibliche Abtötung wird das Gebet außerordentlich gefördert. Möge jede von euch tun, was sie kann; was die eine nicht zustande bringt, das vollbringt sie in jener, die es zustande bringt, wenn sie in der anderen das liebt, was sie selbst aus Unvermögen nicht vollbringt. Deshalb sei diejenige, die weniger vermag, nicht jener im Wege, die mehr vermag, und jene, die mehr vermag, sei nicht aufdringlich gegen die, die weniger Kraft besitzt. Denn euer Gewissen seid ihr Gott schuldig; von euch aber »sollt ihr niemandem etwas schulden außer der gegenseitigen Liebe« (Röm. 18, 8). »Es erhöre dich der Herr, der die Macht besitzt, mehr zu tun, als wir bitten und begreifen« (Eph. 3, 20.).
Bibliothek der Kirchenväter, Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus ausgewählte Schriften, Aus dem Lateinischen übersetzt X. Band, Ausgewählte Briefe, II.Band (Buch III-V), Brief an Proba, S.10-38, 1917 Kempten&Kösel, Verlag der Jos. Köselschen Buchhhandlung