Alexander Gottlieb Baumgarten (1714 – 1762)
Deutscher Philosoph, Schüler von Christian Wolff, der durch seine Einteilung der Philosophie und der Entwicklung einer systematischen philosophischen Begriffssprache zu Beachtung und Einfluss gelangte. Baumgarten gilt als der Begründer der Ästhetik als einer eigenständigen Disziplin der Philosophie in Deutschland. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Die
natürliche »Gottesgelahrtheit« Einleitung Von dem Begriffe von Gott Von der Wirklichkeit Gottes Von dem Verstande Gottes. Von dem Willen Gottes. |
Von
den Wirkungen Gottes |
Der vierte
Teil.
Die natürliche »Gottesgelahrheit«.
Einleitung.
§.
599.
Die natürliche »Gottesgelahrtheit« (theolgia
naturalis) ist die Wissenschaft
von Gott, insofen
er ohne Glauben
erkannt werden kann.
§. 600.
Die natürliche »Gottesgelahrheit« enthält die ersten Grundsätze
der praktischen Weltweisheit, der Teleologie
und der geoffenbarten Lehre von Gott.
Folglich wird sie mit Recht zu der Metaphysik
gerechnet. (§§. 1. 2).
§. 1. Die
Metaphysik ist die Wissenschaft der ersten Erkenntnisgründe in
der menschlichen Erkenntnis.
Diese ersten Erkenntnisgründe
enthalten die allgemeinsten
und abstraktesten
Begriffe, und
also keine Begriffe der äußern Sinne. Man kann daher die Begriffe.
welche die Metaphysik enthält, unsinnliche nennen.
Von diesen sind einige unsinnlich, weil sie Begriffe von einfachen Substanzen
sind, andere, weil sie dem Einfachen und Zusammengesetzten zu kommen. Die ersteren
kann man außersinnliche, die letzteren übersinnliche
Begriffe nennen.
§.2 .
Zu der Metaphysik wird die Ontologie,
die Kosmologie,
die Psychologie,
und die natürliche Theologie
gerechnet.
§. 601.
Die natürliche »Gottesgelahrheit« betrachtet 1)
den Begriff von Gott, 2) seine Handlungen.
Das erste Kapitel
Von dem Begriffe von Gott
Der erste Abschnitt
Von der
Wirklichkeit Gottes
§. 602
Das vollkommenste Ding
(ens perfectissimum) ist dasjenige, dem unter allen Dingen schlechterdings
die allergrößte Vollkommenheit
zukommt: das ist, in welchem so viele und so große mannigfaltige Stücke
zu so vielen und großen Bestimmungsgründen so sehr zusammenstimmen,
als alles dieses in irgendeinem Dinge möglich
ist. (§. 73).
§. 73. Wenn
viele Sachen zusammengenommen den hinreichenden Grund von Einem enthalten, so
stimmen sie zu diesem Einem zusammen (consentiunt).
Die Zusammenstimmung selbst ist die Vollkommenheit (perfectio),
und das Eine, zu welchem sie zusammenstimmen, ist der Bestimmungsgrund der Vollkommenheit
(ratio perfectionis determinans, focus perfectionis)
Folglich ist, in dem vollkommensten Dinge, eine Vielheit
auf eine schlechterdings notwendige
Art anzutreffen. (§. 58).
§. 603.
Alle Bestimmungen des vollkommensten Dinges werden Vollkommenheiten desselben
genannt. Folglich
1) hat das vollkommenste Ding so viele Vollkommenheiten, die
im höchsten Grade
zusammenstimmen, so viele beisammen in einem Dinge möglich sind, und
2) eine jede seiner Vollkommenheiten ist so groß, als
sie in irgendeinem Dinge sein kann. (§. 602).
§. 604.
Das vollkommenste Ding ist ein reelles Ding. (§.
602. 108). Folglich ist es das allerreellste, das
Ding, dessen Realität
so groß ist, als sie in einem Dinge sein kann, oder in welchem die meisten
und größten Realitäten sind. Es ist das allerbeste Ding, das
höchste Gut.
§. 605.
Alle Realitäten sind in der Tat bejahende
Bestimmungen,
und keine Verneinung
ist eine Realität. (§.
31). Folglich wenn auch in einem Dinge alle Realitäten ohne Ausnahme
gesetzt werden, so kann doch niemals daher ein Widerspruch
entstehen. (§. 7).
§.7.
Nichts ist A und nicht A, (nihil negatiuum,
irrepraesentabile, impossibile, repugnans, contradictionem inuoluens, contradictorium,
implicans) oder, einander widersprechende Prädikate
sind in keinem Subjekte
beisammen; oder es ist unmöglich, daß etwas zugleich sei nnd nicht
sei. Dieser Satz heißt der Satz des Widerspruchs, und der schlechterdings
erste Grundsatz.
Es sind demnach alle Realitäten in einem Dinge beisammen möglich,
keine Realität kann einer andern Realität widersprechen. Nun hat das
vollkommenste Ding alle Realitäten, die beisammen möglich sind,
(§. 604) folglich hat es alle Realitäten
ohne Ausnahme, und eine jede derselben im allerhöchsten
Grade. (§. 603).
§. 606.
Wenn eine Realität in einem Dinge gesetzt wird, so wird dadurch in demselben
eine Verneinung aufgehoben. (§§. 31, 62).
§.31.Was
durchs Bestimmen in dem Möglichen gesetzt wird ist eine Bestimmung
(determinatio, nota, praedicatum.) Eine jede Bestimmung des Möglichen
ist entweder eine bejahende, oder eine vemeinende. (§. 29. 10). Eine wahrhaftig
bejahende Bestimmung ist eine Realität (realitas),
eine aber nur dem Scheine nach bejahende Bestimmung ist eine Scheinrealität
(vanitas). Eine wahrhaftig verneinende
Bestimmung ist eine Verneinung (negatio);
eine aber nur dem Scheine nach verneinende Bestimmung ist eine Scheinverneinung
(realitas cryptica).
§. 62. Wenn das eine wegfällt so
bald das andere gesetzt wird, oder wenn Sachen nicht können zusammengefasst
werden, so sind sie einander entgegengesetzt (opposita).
Nun sind in dem vollkommensten Dinge alle Realitäten,
(§. 605). folglich hat es gar keine Verneinungen unter allen seinen
innerlichen Bestimmungen.
§. 607
In einem jeden Unmöglichen wird eine Bestimmung zugleich gesetzt und aufgehoben,
(§. 7). und die ist entweder eine Realität
oder eine Verneinung.
(§. 31). Keine Realität wird von dem vollkommensten Dinge verneint,
(§. 605) und keine Verneinung von demselben
bejaht. (§. 606.) Folglich kann nichts in
dem vollkommensten Dinge zugleich gesetzt und aufgehoben werden, und es ist
demnach ein allervollkommenstes Ding möglich. (§.
8).
§. 8.
Was nicht Nichts
ist, was vorgestellt werden kann, was keinen Widerspruch
enthält, was nicht A, und
nicht -A zugleich ist, ist Etwas,
Möglich
und eine Sache (aliquid, possibile,
res)
§. 608.
Die Wirklichkeit
ist eine Realität,
welche mit dem Wesen
und den übrigen Realitäten beisammen möglich
ist. (§. 51. 605.) Folglich hat das vollkommenste
Ding die Wirklichkeit. (§. 605).
§. 609.
Gott (deus)
ist das vollkommenste Ding. Folglich ist Gott wirklich.
§. 608.
§. 610.
Die Prädikate oder Bestimmungen Gottes sind Vollkommenheiten,
(§. 609, 603) und eine
jede derselben ist in ihrer Art die größte Realität. (§.
605). Selbst seine Möglichkeit ist die größte:
1) die innerliche, weil in ihm die allermeisten und größten
Realitäten beisammen möglich sind; (§.
605, 85).
2) die äußerliche, weil in ihm die fruchtbarsten
und wichtigsten Gründe
anzutreffen sind, welche die fruchtbarsten und wichtigsten Folgen
außer Gott, in allen möglichen Verbindungen
aller möglichen Welten,
haben, welche außer Gott möglich sind. (§.16)
§. 16.
Was auch im Zusammenhange mit einigen Sachen, die außer ihm gesetzt werden,
dennoch möglich ist, das ist bedingt und äußerlich möglich,
(possibile respectiue, hypothetice, relatiue, extrinsecus, per aliud, secundum
quid).Was nicht unmöglich ist als nur in einiger Verbindung
mit Sachen, die außer ihm gesetzt werden, ist bedingt und äußerlich
unmöglich, (impossibile hypothetice, respectiue,
relatiue, extrinsecus, per aliud, secundum quid).
§. 611.
In Gott sind gar keine Verneinungen, (§. 609. 606.)
weder schlechterdings notwendige noch zufällige, (§. 105.)
weder das metaphysische Übel noch das zufällige, (§. 112.) weder
das sittliche noch das physische, (§. 587.) folglich sind auch in ihm gar
keine Unvollkommenheiten. (§. 109. 110.)
§. 612.
In dem Begriffe von Gott sind nicht nur gänzlich verneinende Merkmale
unmöglich, (§. 385.) sondern auch solche, die nur zum Teil in der
Tat verneinend sind. (§. 611.) Unterdessen
scheinen uns viele von seinen größten Realitäten Verneinungen
zu sein: teils weil wir viele Verneinungen mit bejahenden Ausdrücken ausdrücken,
teils weil wir nicht immer eingedenk sind, dass die Verneinung einer Verneinung
in der Tat eine Bejahung sei. (§.
31.)
§. 613.
Diejenige innerliche Vollkommenheit Gottes, aus welcher alle übrigen innerlichen
Vollkommenheiten Gottes dergestalt können hergeleitet werden, dass sie
hernach selbst aus keiner anderen hergeleitet werden kann, wenn man die Wiederkehr
im Beweisen verhüten will, ist das Wesen Gottes, und die Vorstellung derselben
ist der erste Begriff den man sich in einer systematischen Theologie von Gott
macht. (§. 34. 35.)
§.34.
Die innerlichen Bestimmungen einer Sache sind entweder diejenigen ersten Gründe
der übrigen innerlichen Bestimmungen, welche in der Sache selbst von ihren
Bestimmungen angetroffen werden; oder nicht, sondern sind Folgen der ersteren.
§. 10. Jene sind die wesentlichen Stücke
(essentialia. deterniinationes primae, prineipes); diese aber die
Affektionen (affectiones).
§.35.Der Inbegriff der wesentlichen Stücke
in einer Sache, oder die innerliche Möglichkeit einer Sache, ist das
Wesen (essentia, esse rei, ratio formalis,
natura, quidditas, forma, formale totius, substantia, conceptus entis prirnus).
Nun ist
1) eine jede innerliche Vollkommenheit Gottes der größte, folglich
der zureichendeste und der schlechterdings erste, Grund aller übrigen innerlichen
Realitäten Gottes; (§. 21. 107. 603.)
2) unter allen innerlichen Vollkommenheiten Gottes ist der allergrößte
allgemeine Zusammenhang, welcher an sich möglich ist. (§.
37. 603.)
§. 37.
Alle innerliche Bestimmungen einer jeden Sache sind unter und mit einander verbunden,
eine jedwede derselben, mit einer jeden andern. Denn eine jede Affektion ist
mit den wesentlichen Stücken. §.
34. und diese mit dem Wesen verknüpft. (§.
35. 14.)
Folglich können aus einer jeden alle übrigen aufs richtigste hergeleitet
werden. Es kann demnach, eine jede innerliche Vollkommenheit Gottes, als sein
größtes Wesen betrachtet werden; und, wenn eine derselben für
das Wesen Gottes angenommen worden, so kann keine der übrigen zugleich
als sein Wesen betrachtet werden, folglich hat Gott demohnerachtet nur Ein Wesen,
und es sind also auch unendlich viele erste Begriffe von Gott in einer systematischen
Theologie möglich. Unterdessen da wir Menschen aus der einen innerlichen
Vollkommenheit Gottes die übrigen leichter herleiten können, als aus
einer andern: so ist zu raten, dass man diejenige für das Wesen Gottes
annehme, aus welcher wir am leichtesten und bequemsten die übrigen herzuleiten
im Stande sind.
§.614.
Gott ist außer seinem Wesen, was für eins man auch annehmen will,
auch in Absicht aller übrigen innerlichen Vollkommenheiten in einem so
großen Grade bestimmt, als irgendein Ding innerlich bestimmt sein
kann; (§. 613. 605.) seine Wirklichkeit,
(§. 609.) ist
die größte, (§.
605.) ein Inbegriff der meisten und größten Affektionen,
die in irgendeinem Dinge zusammen möglich sind, oder sie ist die größte
Ergänzung des größten Wesens. (§. 41.)
§. 615.
Von der Möglichkeit Gottes gilt der Schluss
auf seine Wirklichkeit, oder seine Wirklichkeit wird durch sein Wesen zureichend
bestimmt. (§. 613. 602-609.)
§. 616.
Gott hat die größte Einheit,
(§.
609. 605.
55.) die größte Unzertrennlichkeit der meisten und größten
Realitäten. (§.
605.) Hieraus wird klar:
1) dass er vorzüglich die vollkommene Einheit
genannt werden kann, und dass auch diejenigen seiner Vollkommenheiten, die uns
die unfruchtbarsten zu sein scheinen, dennoch sein Wesen sind;
(§. 613.)
2) dass, wenn in Gott die größte Einheit angenommen
wird, dadurch nicht nur die Vielheit seiner unzertrennlichen Bestimmungen nicht
aufgehoben, sondern vielmehr zugleich in ihm gesetzt werden. (§. 57.)
§. 617.
Gotte kommt die größte unbedingte metaphysische Wahrheit zu,
(§. 609. 605. 69.) die größte Ordnung unter seinen Vollkommenheiten,
(§. 70.) die größte Möglichkeit, (§. 610.) und der
größte Zusammenhang derselben, (§. 613.)
die größte Übereinstimmung mit den stärksten Gesetzen,
(§. 125.) dergleichen ist das Gesetz des Besten überhaupt:
das Beste werde mit dem Besten zusammengenommen; und das Gesetz des Besten unter
den Dingen: das Beste unter allem zugleich Möglichen werde in dem vollkommensten
Dinge mit dem Besten zusammengenommen. (§.
602.) Folglich ist Gott das gewisseste Ding, (§. 72.) weil er die
größte metaphysische Wahrheit hat, welche aus seinem We¬sen,
und allen übrigen möglichen Dingen erwiesen werden kann, so wie seine
Wirklichkeit. (§. 615. 610.)
§. 618.
Ein nicht wirklicher Gott wäre ein Ding, welches alle Realitäten hätte,
und dem doch Eine fehlte, (§.
605. 51.) welches in Absicht aller innerlichen Vollkommenheiten in
einem so großen Grade bestimmt wäre, als irgendein Ding innerlich
bestimmt sein kann, (§. 614.) und welches
in Absicht einiger derselben nicht so bestimmt wäre. (§. 41.) Folglich
ist das Gegenteil der Wirklichkeit Gottes an sich unmöglich; (§. 15.)
und sie selbst ist schlechterdings notwendig. (§. 81.) Gott ist demnach
das notwendige Ding, (§. 87.) und hat keine zufälligen Beschaffenheiten,
(§. 88.) und mithin auch keinen innerlichen Zustand. (§.138.)
§. 619.
Wenn Gott nicht wirklich wäre, so wäre der Satz des Widerspruchs falsch,
(§. 618.
7.) der erste Grundsatz, worauf die Richtigkeit
so wohl der Form
als auch der Materie
aller unserer Demonstrationen beruht. Ob wir nun gleich viele Wissenschaften
völlig demonstrieren können, ohne einen theologischen Vordersatz in
ihnen anzunehmen, (z. E. §. 1-598.) so wären doch weder sie selbst
noch ihre Gegenstände nicht einmal möglich, wenn kein Gott wirklich
wäre.
§. 620.
Wenn wir in dem notwendigen Dinge etwas bemerken, welches demjenigen, was wir
uns in den zufälligen Dingen vorstellen, zum Teil ähnlich zum Teil
aber von demselben verschieden ist; wenn wir aber den Unterschied des ersten
von dem letzten nicht deutlich genug erkennen, und auch keinen eigenen Namen
für dasselbe erfinden: so nennen wir es das Ähnliche in Gott mit demjenigen was wir in dem zufälligen Dinge wahrnehmen (analogon
ejus quod in ente contingenti simile notauimus), und wir schreiben
es Gott gleichsam zu (deo tribuitur
per analogiam); und zwar entweder in unendlich ausnehmender
Bedeutung (per eminentiam, excellentiam)
wenn die Realitäten in dem Begriffe von demselben zu herrschen
scheinen, oder in geläuterter Bedeutung (per
reductionem, via negationis) wenn die Verneinungen in demselben
zu herrschen scheinen.
§. 621.
Wenn wir in dem notwendigen Dinge etwas bemerken, von dem es schlechterdings
notwendig ist, dass es bedingt notwendig sei: so ist es gleichsam eine
zufällige Beschaffenheit (modorum
analogon) insofern es um seiner bedingten
Notwendigkeit willen den zufälligen Beschaffenheiten ähnlich ist,
(§. 86. 620.) es ist aber eine Eigenschaft
Gottes, insofern es durch sein Wesen schlechterdings notwendig ist, dass es
als etwas bedingt Notwendiges in ihm wirklich sei. (§. 618.
85.) Folglich können die Eigenschaften Gottes eingeteilt werden in diejenigen,
welche eine größere Ähnlichkeit mit den Eigenschaften der endlichen
Dinge haben, und in diejenigen, welche den zufälligen Beschaffenheiten
derselben ähnlicher sind. Die letzteren sind auch wahre Eigenschaften,
weil in dem Wesen Gottes der hinreichende Grund angetroffen wird:
1) ihrer Wirklichkeit, insofern sie dem Unbestimmten entgegengesetzt
ist; (§. 41.) ein zufälliges Ding kann in Absicht vieler Bestimmungen
unbestimmt sein, (§. 29. 59.) das notwendige Ding aber kann in Absicht keiner Bestimmung unbestimmt sein, und zwar um
seines Wesens willen; (§.
614.)
2) der Dauer der Ewigkeit und der Unveränderlichkeit derjenigen Bestimmungen, die einmal
in Gott wirklich sind. Die wesentliche Einschränkung ist in den zufälligen
Dingen der hinreichende Grund, warum sie, indem sie wirklich sind, beständig
innerlich verändert werden müssen, in dem notwendigen Dinge aber ist
die wesentliche Unendlichkeit der hinreichende Grund des Gegenteils;
3) warum andere statt dieser von Ewigkeit zu Ewigkeit hätten
wirklich sein können, und folglich
4) warum die Wirklichkeit eben dieser und keiner andern eben
so und nicht anders, nur durch eine bedingte Notwendigkeit bestimmt worden.
§. 622.
Die Heiligkeit (sanctitas) ist
die Realität eines Dinges, durch welche viele seiner wahren Unvollkommenheiten
aufgehoben oder von ihm abgesondert werden, folglich ist das allerheiligste dasjenige, durch dessen Realität alle Unvollkommenheiten verhindert werden.
Nun können, um des Inbegriffs aller Realitäten willen, in Gott gar
keine Unvollkommenheiten sein,
(§. 611.) folglich ist er das allerheiligste
Ding.
§. 623.
In Gott ist der hinreichende Grund der Wirklichkeit seiner Vollkommenheiten, (§. 618.) folglich hat er
eine Kraft im engeren Verstande, (§. 131.) und er ist die notwendige
Substanz. (§.
618. 135. 132.) Seine Kraft ist die größte, (§.
605.) folglich ist sie zureichend, die allermeisten und größten
reellen Akzidenzien zu wirken. Nun können die Akzidenzien nicht außer den Substanzen wirklich sein. (§. 129.) Folglich ist die Kraft, welche zureichend ist
die meisten und größten Akzidenzien zu wirken, auch zureichend die
meisten Substanzen, folglich alles Reelle was möglich ist, zu wirken. (§.
127.)
§. 624.
Die Kraft, insofern sie zureicht etwas zu wirken, wird die Macht
(potentia) genannt, und die Allmacht
(omnipotentia) ist eine Kraft,
die zureicht, alles mögliche zu wirken. Gott ist allmächtig. (§. 623.) Folglich kann er Wunderwerke im strengen Verstande tun, (§. 346.) und alle möglichen Welten außer
sich wirken, die beste so wohl als auch die unvollkommenste, in welcher gar
keine Ausnahmen gemacht werden. (§. 316. 322.)
§. 625.
Das schlechterdings Unmögliche ist Nichts, (§. 7.) wer also
jenes wirklich machen könnte, der könnte Nichts. Gott kann alles,
(§. 624.) folglich erstreckt sich seine Allmacht nicht auf schlechterdings
unmögliche Sachen. Jemandem ist etwas unmöglich, wenn seine Kräfte
nicht zureichen, es zu wirken. (§. 341.) Und nach dieser Erklärung
ist bei Gott kein Ding unmöglich. Alle Sachen demnach, die uns und allen
endlichen Dingen unmöglich sind, sind Gott möglich.
(§. 624.)
§. 626.
Gott ist das notwendige Ding, (§.
618.) folglich ist er schlechterdings und innerlich unveränderlich.
(§. 100.) Wenn Gott innerlich und schlechterdings veränderlich wäre;
so könnte wenigstens Eine seiner innerlichen Vollkommenheiten nach der
andern wirklich sein, (§. 96. 97.) folglich könnte diejenige, auf
welche sie folgte, ihre Wirklichkeit verlieren, und sie könnte also von
den übrigen getrennt werden, (§. 55.) welches seiner höchsten
Einheit zuwider ist. (§.
616.) Folglich ist alles Entstehen
und Vergehen in Gott schlechterdings unmöglich. (§. 152.)
§. 627.
Eine jede Substanz ist eine Monade, (§.
156.) Gott ist eine Substanz,
(§. 623.) folglich ist er eine Monade,
und einfach, immateriell und unkörperlich, folglich schlechterdings unverweslich. (§. 551.)
Durch die einfache Beschaffenheit Gottes wird zwar geleugnet,
dass er auf irgendeine Weise aus Teilen zusammengesetzt sei, die außer
einander wirklich sind, (§. 149.) nicht aber die reellste Verschiedenheit (§. 603.) mannigfaltiger
und vieler Realitäten Gottes: denn auch bei endlichen Dingen ist es falsch,
dass alles, was in ihnen auf eine reelle Art von einander unterschieden ist,
auch deswegen allemal außer einander wirklich sei.
§. 628.
Wenn Gott ein zusammengesetztes Ding wäre, so wäre er ausgedehnt,
(§. 162.) und hätte eine Trägheit,
(§. 300. 302.) er wäre eine Materie,
(§. 207.) und teilbar,
(§. 308.) folglich innerlich veränderlich,
(§. 165.) welches unmöglich ist. (§.
626.) Folglich
1) ist in Gott kein Raum,
(§. 160. 162.) und er erfüllt in dem Verstande
keinen Raum, in welchem man dieses von ausgedehnten Dingen sagt;
2) er hat keine ausgedehnte
Größe,
(§. 164.) ob er gleich das größte Ding ist, weil er die meisten
und größten Realitäten hat; §. 123.
3) er hat keine Gestalt. (§. 196.)
Der gröbere Anthropomorphismus ist der Irrtum,
durch welchen Gott eine Gestalt z. E. die menschliche, zugeschrieben wird, und der feinere schreibt Gott Unvollkommenheiten endlicher Dinge,
z. E. der Menschen, zu.
§. 629.
Der Inbegriff aller Realitäten, deren jede die größte ist, ist
der schlechterdings höchste Grad der Realität (§. 123.) Da nun derselbe Gott zukommt, (§.
609. 605.) so
ist er das unendliche Ding; (§. 169.) welches auch daraus erhellet, weil
er das notwendige Ding ist. (§. 178. 618.)
Folglich ist er in Absicht aller seiner innerlichen Vollkommenheiten alles wirklich
auf einmal, was er sein kann. (§. 179.)
§. 630.
Alle Vollkommenheiten Gottes haben den höchsten Grad ihrer Realität,
den sie haben können, (§.
605.) folglich sind sie unendlich. (§. 169.) Zur größten
Realität einer jeden dieser Vollkommenheiten gehört ihre größte
Zusammenstimmung in dem vollkommensten Dinge. (§. 107. 613.) Folglich in
welchem Dinge Eine unendliche Realität ist, in demselben sind sie alle
beisammen; und in welchem alle unendliche Realitäten sind, in demselben
sind auch die größten. Folglich ist ein Ding, in welchem Eine unendliche
Realität ist, Gott. (§.
609.) Es kann demnach außer Gott kein Urheber des Bösen sein,
welcher eben so mächtig wäre als Gott. Der Manichäismus ist die Meinung, nach welcher man einen solchen Urheber des Bösen behauptet,
und sie ist ein Irrtum.
§. 631.
Mehrere Götter sind unmöglich. Denn indem es mehrere wären, so
wären sie zum Teil voneinander unterschieden, (§. 57.) und es wäre
in dein einen, was nicht in dem anderen wäre. (§. 33.) Das wäre
entweder eine Realität, oder eine Verneinung. (§.
31.) Wäre es eine Realität, so wäre derjenige dem sie fehlte
nicht Gott; (§.
605.) wäre es eine Verneinung, so wäre derjenige, der sie hätte.
nicht Gott. (§. 606.) Wollte man annehmen, dass der eine eine Realität
hätte, und der andere eine andere, die ihr gleich käme, so hätte
keiner alle Realitäten, und keiner wäre Gott. (§.
605.) Da nun der Gott, den wir bisher betrachtet haben, dergestalt die größte
Einheit hat, die größte Unzertrennlichkeit aller höchsten Realitäten, (§. 616.) dass
es unmöglich ist, dass irgendein anderes Ding außer ihm dasjenige
sei oder sein könne, was Gott auf eine schlechterdings notwendige Art ist,
so ist dieser Gott der einzige Gott, (§. 59.) und die Vielgötterei (Polytheismus) die
Meinung, nach welcher viele Götter angenommen werden, ist ein Irrtum. Wir
verehren vielmehr in unserm Gotte auch den höchsten Grad dieser seiner
Vollkommenheit, vermöge dessen er, als das allergrößte Ding, (§. 628.) von allen übrigen Dingen, auch
den größten in ihrer Art, z. E. von der ganzen Natur der besten Welt,
und dem größten endlichen Geiste, durch die meisten und größten
Merkmale, (§. 630.) unterschieden ist. Dieser
größte Unterschied erstreckt sich auch auf die Verhältnisse,
dergestalt, dass ein solches und so großes Verhältnis zwischen einem
Dinge, welches nicht Gott ist, und einem Dritten unmöglich angetroffen
werden kann, als zwischen Gott und diesem dritten Dinge. (§.
610.) Dadurch fällt nicht nur alle Gleichheit aller andern Dinge außer
Gott mit Gott weg, nicht nur alle beinahe gänzliche Ähnlichkeit derselben
mit ihm, sondern auch alle diejenige Ähnlichkeit, wodurch die unendliche
Unähnlichkeit zwischen Gott und allen andern Dingen wegfallen würde. (§. 630.) Allein durch diese Vollkommenheit
Gottes wird nicht geleugnet, die unendliche Übereinstimmung und Verschiedenheit
der unendlich vielen und größten reellen Dinge in Gott selbst; sondern
es wird vielmehr behauptet, dass in allen seinen unendlich vielen und mannigfaltigen
Merkmalen etwas sei, wodurch er von allen übrigen Dingen unterschieden
ist.
§. 632.
Hieraus kann von neuem bewiesen werden, dass Gott ein einfaches Ding sei. Denn
wäre er zusammengesetzt, so wären seine Teile Substanzen, die außer
einander wirklich wären. (§. 150. 156.) Unter diesen wäre nur
eine einzige unendlich, (§. 631.) und die übrigen endlich, (§. 169.) folglich wären in Gott notwendig einige
Unvollkommenheiten, (§. 103. 120.) welches unmöglich ist. (§.
622.)
§. 633.
In Gott sind keine aufeinander folgende Bestimmungen, (§.
626. 95.) folglich ist in ihm keine Zeit.
(§. 160.) Er ist nicht dergestalt in der Zeit, dass er entweder auf andere
Dinge folgte, oder dass auf ihn andere folgten. (§.
626.) Und da er schlechterdings nicht entstehen und vergehen kann: so hat
er eine Dauer, (§. 211.) welche schlechterdings die größte, (§. 605.
614.) und
allein unendlich ist, (§.
630.) folglich ist er ewig, und, weil er mit allen Zeiten zugleich wirklich
ist, immerwährend. (§. 213.) Er ist gewesen,
er ist, er wird sein. (§. 209.) Er ist.
§. 634.
Wenn man auch annimmt, dass ein zufälliges Ding ewig ist, so ist seine
Ewigkeit doch von der Ewigkeit Gottes sehr unterschieden. Denn
1) seine Ewigkeit besteht in einer ununterbrochenen Folge seiner
Veränderungen auf einander; (§. 150. 626.)
2) seine Dauer hätte zwar keine Grenzen von vorne und
von hinten her, demohnerachtet aber wäre sie in keinem Augenblicke ihrer
Fortsetzung auf eine reelle Art unendlich; (§. 180. 633.
169.)
3) seine Ewigkeit wäre eine Zeit ohne Anfang und Ende,
und sie hätte zwar eine mathematische Unendlichkeit, aber keine reelle,
(§. 169.) weil ein nach und nach seiendes Ding niemals innerlich alles
auf einmal ist, was es sein kann. (§. 179. 201.)
§. 635.
Gott ist das notwendige (§. 618.) und unendliche Ding, (§. 629.) folglich ist er unabhängig, (§. 220.) und er ist dergestalt wirklich,
dass er gar keine Ursache außer sich hat, (§. 217.) sondern er ist
die schlechterdings erste wirkende Ursache aller seiner Wirkungen. (§.
25.) Alle innerliche Vollkommenheiten Got¬tes sind unendlich, (§.
630.) folglich kann keine derselben in einer Ursache außer Gott gegründet sein. Ein Leiden Gottes wäre eine Realität
in Gott, die von einer Ursache außer ihm verursacht würde. (§.
140.) Folglich kann Gott von keinem Dinge außer sich leiden, weder auf
eine idealische noch auf eine reelle Art; (§. 142.) nichts kann in ihm
wirken, und er wirkt auch niemals wieder zurück, (§. 141.) sondern
alle seine Handlungen, wodurch er in die Welt wirkt, sind ohne Zurückwirkung,
sie mag entweder eine idealische oder reelle Zurückwirkung sein.
§. 636.
Ein Bild (imago) ist
1) ein Zeichen der Gestalt eines anderen Dinges, und ein dergleichen
Bild Gottes ist nicht möglich, weil er keine Gestalt hat; (§.
628.)
2) was einem anderen in einem höheren Grade ähnlich
ist, und alsdann wird es ein Ebenbild desselben genannt. Da
nun alle Dinge Gott ähnlich sind, (§. 184.) so ist ein jedes Ding
ein Ebenbild Gottes, welches in einem höhern Grade vollkommen ist, (§.
609.) und je vollkommener ein Ding ist, desto ähnlicher ist es Gotte,
(§. 54.) und ein desto größeres Ebenbild desselben ist es.
Folglich ist, unter allen endlichen Dingen, die beste Welt das größte
Ebenbild Gottes, (§. 317.) in der Welt die Substanzen, (§. 262.
623.) unter den Substanzen die Geister, (§. 290.) unter den Geistern
diejenigen die den größten Verstand haben, und unter diesen die glückseligsten,
(§. 595.) welche von allein Übel, sonderlich von dem sittlichen, am
weitesten entfernt sind, und folglich die heiligsten. (§.
622.)
§. 637.
Die Welt ist ein Ganzes, welches aus endlichen Teilen besteht, (§. 255.)
Gott ist kein solches Ganzes, (§.
630.) folglich ist Gott nicht die Welt, und
weder diese noch irgendeine andere Welt ist Gott. Eben dieses erhellet, aus
(§. 259. 618.)
aus (§. 259. 626.),
aus (§. 263. 626.), aus (§. 265. 629.)
Folglich ist Gott das Wesen außer der Welt, (§. 279.) und die Welt
ist weder ein wesentlich Stück, noch das Wesen, noch eine Eigenschaft,
noch eine zufällige Beschaffenheit, noch eine Abänderung, noch ein
Akzidenz Gottes. Gott ist nicht die einzige Substanz. (§. 280.) Der
theologische Spinozismus ist die Meinung, welche leugnet dass Gott
das Wesen außer der Welt sei, und sie ist also ein Irrtum.
§. 638.
Diese Welt hat eine wirkende Ursache außer sich, (§. 268.) und diese
ist die notwendige Substanz. (§. 274.) Folglich ist die notwendige Substanz
möglich. (§. 236.) Wenn die notwendige Substanz möglich ist,
so ist sie auch wirklich. (§. 87.) Folglich ist die notwendige Substanz
wirklich. Gott ist die notwendige Substanz. (§.
623.) Folglich ist Gott wirklich.
§. 639.
Gleichwie die Wirklichkeit Gottes (§.
609.) a priori erwiesen
worden, also ist sie (§. 638.) a posteriori
erwiesen. Keiner von beiden Beweisen setzt Wahrheiten voraus, welche von den Egoisten, (§. 281.) Idealisten,
(§. 290.) und Materialisten, (§. 283.) geleugnet werden; folglich
können auch diese, ohne ihr Lehrgebäude zu verlassen, durch dieselben
von der Wirklichkeit Gottes überzeugt werden.
§. 640.
Die Natur Gottes (natura
naturans) ist der Inbegriff derjenigen seiner innerlichen Vollkommenheiten,
durch welche er die schlechterdings erste und unabhängige wirkende Ursache
aller seiner Wirkungen ist. (§. 311. 635.)
Folglich was an sich möglich ist, das ist auch Gott natürlich möglich,
und Nichts ist ihm natürlich unmöglich, was nicht an sich unmöglich
ist. Daher ist Gott nichts natürlich notwendig, was nicht zugleich schlechterdings
notwendig ist. Was an sich zufällig ist, ist auch Gotte natürlich
zufällig, (§.
624. 341.) folglich auch alle unnatürliche und übernatürliche Begebenheiten der Welt. (§. 345. 346.) Und weil nun dieselben auch im Zusammenhange
mit Gott, der außer ihnen ist, möglich sind, so haben sie auch eine
bedingte Möglichkeit. (§. 16.) Ein Naturalist irrt demnach, wenn er
die übernatürlichen Begebenheiten der Welt deswegen leugnet, weil
sie seinem Bedenken nach gar keine bedingte Möglichkeit haben.
§. 641.
Weil Gott und eine jede seiner Vollkommenheiten im höchsten Grade die einzigen
in ihrer Art sind, (§.
631.) so ist es unmöglich, daß es einen Grad der Realität
geben sollte, welcher mit dem Grade der Realität Gottes und einer jeden
seiner Vollkommenheiten von einerlei Art wäre. (§.
629. 630.) Es ist demnach unmöglich, dass man eine Größe von einerlei Art
als Eins annehmen, und daraus deutlich erkennen könne, wie groß der
Grad der Realität Gottes und einer jeden seiner Vollkommenheiten sei. Folglich
können wir weder Gott noch irgendeine seiner Vollkommenheiten messen. (§.
166.) Was wir nicht messen können ist unermesslich
(immensum). Folglich ist Gott und eine jede seiner Vollkommenheiten
unermesslich. Diese Unermesslichkeit kann auch daher erwiesen werden, weil derjenige,
welcher etwas ausgemessen hat, so viele klare Vorstellungen haben muss, als
in demselben Teile Grade oder mannigfaltige Stücke angetroffen werden.
Wer also Gott oder irgendeine seiner innerlichen Vollkommenheiten ausgemessen
hätte, der müsste eine auf eine reelle Art unendliche klare Vorstellung
haben, deren aber kein endlicher Verstand fähig ist.
§.
642.
Gott ist an sich begreiflich, (§. 463.) und wenn man nicht die ganze natürliche »Gotteslahrheit« für ein durchaus
leeres Gewäsche ausgeben will, so muss man zugeben, dass er auch uns Menschen
begreiflich sei, ja, daß er auf vielfältige Art richtig, sogar durch
Sacherklärungen, könne erklärt werden.
(§. 613.) Erforschlich oder ergründlich
(comprehensibile) wird genannt, wovon eine völlige
Erkenntnis (plena cognitio) möglich
ist, das ist eine solche, die alle Unwissenheit ausschließt, und die also
eine ausführliche historische philosophische und mathematische Erkenntnis
ist. Jemanden ist etwas unerforschlich (incomprehensibile),
wenn seine Kräfte nicht zureichen eine völlige Erkenntnis von demselben
zu erlangen, und es ist jemanden etwas um so viel unerforschlicher, je weiter,
seine möglichste Erkenntnis von demselben, von der völligen Erkenntnis
entfernt bleiben muss. Je größer etwas ist, desto schwerer unmöglicher
ist die Erforschung desselben einem endlichen Dinge, folglich ist das Allergrößte
allen endlichen Dingen am unerforschlichsten. Der
Deismus ist die Meinung nach welcher man annimmt, dass man von
Gott beinahe nichts begreifen könne, als nur vielleicht, dass er wirklich
sei; und es ist ein Irrtum, obgleich wir zugeben müssen, dass Gott und
alles in ihm, uns und allen endlichen Dingen, im höchsten Grade unerforschlich
sind. (§. 641.
628.)
Der andere Abschnitt.
Von dem
Verstande Gottes.
§. 643.
Deutliche Erkenntnis ist eine Realität. (§. 379.) In Gott sind alle Realitäten, (§.
605.) und zwar im höchsten Grade. Folglich hat Gott die allerdeutlichste
Erkenntnis. Je mehr Sachen deutlich erkannt werden, und je deutlicher
eine jede, desto deutlicher ist die Erkenntnis. Nun ist eine deutliche Erkenntnis
aller Dinge möglich. (§. 463.) Folglich hat Gott die allerdeutlichste
Erkenntnis von allem Möglichen. Er hat also Verstand, und ist ein Geist.
(§. 290. 623.)
§. 644.
Der Verstand Gottes ist der größte, (§.
643. 605.) und unveränderlich. (§. 626.) Folglich
sind in ihm keine vorhergehenden und nachfolgenden Gedanken.
(§. 96.) Und er ist der größte, indem er von den meisten und
größten Dingen die meisten und klarsten Merkmale, mitten unter den
meisten stärksten und verschiedensten vergesellschafteten Gedanken, erkennt.
Folglich ist der Verstand Gottes der ausgebreiteste, tiefsinnigste und reinste.
(§. 465.)
§. 645.
In Gott ist keine sinnliche Erkenntnis, (§. 643.)
folglich hat er keine untere Erkenntnisvermögen. (§. 383.) Nichts ist ihm dunkel und verworren, (§. 611.) und
er gibt nicht Acht, er abstrahiert
nicht, er denkt
nicht nach, und er überdenkt nicht, wie wir. (§. 386. 387.)
§. 646.
Weil Gott alle bezeichnete Sachen aufs deutlichste erkennt, so hat er von allem
eine anschauende Erkenntnis. (§. 643. 460.)
Er erkennt auch alle Zeichen, und alle symbolische Erkenntnis der Seelen in
der Welt, (§. 643.) und hat von allen Zeichen
und bezeichneten Sachen die größte Erkenntnis, dergestalt, dass weder
durch die Erkenntnis der Zeichen die Erkenntnis der bezeichneten Sachen in seinem
Verstande jemals verdunkelt werden sollte, noch umgekehrt.
(§. 645.)
§. 647.
Gott stellt sich allen Zusammenhang aufs deutlichste vor. (§.
643.) Also hat er die größte Vernunft. (§. 468.) Die göttliche Vernunft
ist die größte, indem sie der größte Verstand ist, welcher ohne Veränderung,
folglich ohne einer Folge der Vernunftschlüsse aufeinander, den größten Zusammenhang der meisten Dinge einsieht.
(§. 644.)
§. 648.
Die Erkenntnis Gottes ist die allerweitläufigste, wichtigste, genaueste,
(§. 379.) und ordentlichste, (§.
617.) sie enthält keine Unwissenheit, keinen Irrtum, keine Armseligkeit,
keine Geringschätzigkeit, nichts Tumultuarisches (§. 379.) sie ist
die klarste und deutlichste aller Wahrheit, folglich die gewisseste, in welcher
nichts Dunkles, Verworrenes, Unvollständiges, Unausführliches, Unreines,
Seichtes, Wahrscheinliches, Zweifelhaftes, Unwahrscheinliches, nichts Totes
und Spekulativisches. (§. 393. 493. 495.) Gott erkennt aufs deutlichste
alle gewisse Vordersätze, alle Folgerungen derselben, und alle Verbindungen
derselben miteinander; (§. 647.) folglich
ist seine Erkenntnis die höchste und vollkommenste Wissenschaft. Gott erkennt
aufs deutlichste alle Unwissenheit aller Seelen, alle ihre Irrtümer, alle
Armseligkeit und Geringschätzigkeit ihrer Erkenntnis, alles grobe, tumultuarische,
dunkele, verworrene, unvollständige, unausführliche, unreine in derselben,
alle ihre moralische Gewissheit, Wahrscheinlichkeit, Unwahrscheinlichkeit, Skrupel, Zweifel, Meinungen, Vorurteile,
Argumente, und alle ihre unwirksamen und toten Spekulationen. (§.
643.)
§. 649.
Gott erkennt sich selbst aufs vollkommenste. (§.
643.) Die Erkenntnis, die eine Substanz von Gott hat, wird im weiteren Verstande
die Theologie genannt. Die Theologie, wodurch Gott sich selbst erkennt, heißt die Originaltheologie (theologia
exemplaris, archetypa), in so ferne die endlichen Dinge ihre Theologie
derselben ähnlich machen müssen. (§. 247.)
§. 650.
Gott erkennt die Wesen aller endlichen Dinge aufs deutlichste. (§.
643.) Insofern demnach die Wesen der Dinge in dem Verstande Gottes vorgestellt
werden, hängen sie von ihm ab, (§. 14.) und sind in demselben ewig. (§. 633.)
§. 651.
Gott stellt sich alle möglichen Welten aufs deutlichste vor (§. 643.)
Diese Vorstellung ist eine innerliche Vollkommenheit Gottes, (§. 32.) und
also sein Wesen. (§. 613.) Folglich stellt sich Gott auch die beste, und
die unvollkommenste. und diese Welt vor. Die Welt, insofern sie sinnlich vorgestellt
wird, ist die sichtbare Welt, oder die Welt als ein Schauspiel
der Sinnlichkeit betrachtet (mundus sensibilis, adspectabilis);
insofern sie aber deutlich vorgestellt wird, ist sie die Welt als ein
Gegenstand des Verstandes betrachtet (mundus
intelligibilis). In dem Verstande Gottes ist die Welt eine Welt
in der letztem Absicht betrachtet. (§. 645.) Folglich erkennt er aufs deutlichste
alle Monaden, und alle Seelen in dieser Welt. Wer die menschliche Seele aufs
deutlichste erkennt ist ein Herzenskundiger (scrutator
cordium), folglich ist Gott ein Herzenskundiger; und er kennt die
Vorstellung der sichtbaren Welt, welche in einer jeden Monade und in einer jeden
Seele angetroffen wird. (§. 228. 556.) und zwar viel besser, als eine jede
Monade, eine jede Seele, sich selbst und ihre Vorstellung der Welt kennt.
§. 652.
Gott weiß
1) alle Bestimmungen aller Dinge, insofern diese bloß
als möglich betrachtet werden. (§.
643.) Diese ist die Wissenschaft des Möglichen (scientia
simplicis intelligentiae).
§. 653.
Gott weiß
2) alle Bestimmungen der wirklichen Dinge
a) dieser Welt, und das ist
die freie Wissenschaft Gottes (scientia dei
libera) (§.
651.) folglich weiß er
a’) alle vergangenen Dinge, das göttliche
Angedenken (recordatio divina);
a’’) die gegenwärtigen, das göttliche Sehen (scientia visionis),
dieses ist der geläuterte Sinn Gottes, indem er nicht empfindet wie wir (§. 620.) und
da er sich also beständig des jedesmaligen gegenwärtigen Zustandes
der Welt bewusst ist, so schläft er niemals; (§. 413.)
a’’’) die zukünftigen, das
göttliche Vorhersehen (praescientia
divina). Da es nun schlechterdings notwendig ist, dass die ganze
freie Wissenschaft Gottes wahr sei, (§.
648.) so stellt sie ihm diese Welt als ein zufälligerweise wirkliches
Ding vor, (§. 259.) folglich ist es schlechterdings notwendig, dass diese
Wissenschaft nur eine bedingte Notwendigkeit habe, (§. 81.) und sie ist
also eine gleichsam zufällige Beschaffenheit. (§.
621.) Der philosophische Sozinianismus ist die Meinung,
nach welcher behauptet wird, dass Gott das zufällig Zukünftige in
dieser Welt nicht vorher wisse, (§. 523.) und sie ist ein Irrtum.
§. 654.
Gott weiß alle Bestimmungen aller wirklichen Dinge
b) der übrigen möglichen
Welten, §. 643. und das ist die mittlere Wissenschaft Gottes (scientia
dei media). Anstatt einer jeden Begebenheit dieser Welt könnte
eine andere wirklich sein. (§. 259.) Diese hätte unaufhörlich
durch alle folgende Zustände der Welt ihre Folgen, welche von den Folgen
der Begebenheiten in dieser Welt zum Teil verschieden wären, (§. 21.
144.) wenn also auch nur statt einer Begebenheit dieser Welt eine andere erfolgte,
so wäre diese Welt durch alle nachfolgende auch vorhergehende Zustände
zum Teil anders, als sie wirklich ist. Folglich weiß Gott, durch seine
mittlere Wissenschaft alles, was statt einer jeden Begebenheit in dieser Welt
hätte geschehen können, samt allen Folgen und Gründen desselben.
§. 655.
Von Ewigkeit her hat sich Gott, die zukünftigen Dinge, aufs möglichste
vorgestellt. (§.
629. 653.) Wenn also das Zukünftige gegenwärtig wird, so
wird es zwar aus einem Gegenstande des göttlichen Vorhersehens verwandelt
in einen Gegenstand des göttlichen Sehens, allein die Erkenntnis Gottes
selbst wird dadurch nicht vermehrt. In alle Ewigkeit wird sich Gott, alle vergangenen
Dinge, aufs möglichste vorstellen. (§. 629.
653.) Wenn also das gegenwärtige vergeht, so wird es zwar aus einem
Gegenstande des göttlichen Sehens verwandelt in einen Gegenstand des göttlichen
Angedenkens, allein die Erkenntnis Gottes wird dadurch nicht vermindert. Gott
erkennt ewig anschauend (§.
646.) alle auf einander folgenden Zustände dieser Welt, und man kann
daher erkennen, wie die Erkenntnis Gottes innerlich unveränderlich ist. (§. 626.)
§. 656.
Die Unmöglichkeit zu irren ist die Unbetrüglichkeit, oder Unfehlbarkeit (infallibilitas). Gott
kann nicht irren, (§.
648.) folglich ist er unbetrüglich. indem wir Gott die höchste
Unbetrüglichkeit zuschreiben, (§.
605.) verehren wir ihn als einen Geist,
in welchem es schlechterdings unmöglich ist, dass er, indem er alle möglichen
auch die größten Wahrheiten beständig und unveränderlich
aufs vollkommenste erkennt, auch nur eine einzige mit irgend etwas falschen
jemals sollte verwechseln können.
§. 657.
Die Weisheit in der weiteren Bedeutung (sapientia
significatu latiori) ist die Einsicht in den Zusammenhang der Zwecke
und Mittel; die Einsicht in den Zusammenhang der Zwecke ist die Weisheit
in der engeren Bedeutung (sapientia significatu
strictiori), und die Einsicht in den Zusammenhang der Mittel ist die Klugheit (prudentia). Gott hat die größte Weisheit, (§. 647.) folglich
erkennt er
1) alle Zwecke,
2) alle Mittel, 3) alle mögliche
Verbindungen derselben, 4) alle Beschaffenheiten und 5) Größen derselben, 6) in ihrer größten möglichen Verbindung, 7) aufs vollkommensten,
folglich aufs Gewisseste und Lebendigste. (§.
648.)
§. 658.
Gott weiß alle Zwecke,
folglich auch die besten und schlimmsten, welcher Zweck ein Mittel zu einem
andern Zwecke sein kann, folglich wie auf alle mögliche Art alle Zwecke
einander untergeordnet und zugeordnet werden können; alle Zwecke, welche
schlechterdings oder nur beziehungsweise die letzten sind; er weiß alle
ihre Güte und allen Grad derselben, alle ihre möglichen Verbindungen
mit den Mitteln, dergestalt, daß ihm selbst zwar keiner anders scheinen
kann als er ist, (§. 656.) dass er aber zugleich
weiß, wie ein jeder Zweck allen und jeden Seelen, die ihn erkennen, zu
sein scheint. (§.
651.) Folglich weiß Gott von den besten Zwecken aufs beste, daß sie die besten sind. (§. 657.)
§. 659.
Gott weiß alle Mittel, (§. 657.) folglich
auch die besten, durch welche. wenn sie gesetzt werden, die größte
Vollkommenheit gesetzt wird. (§. 79.) Nun wird durch die Mittel der Zweck
gesetzt. (§. 242. 230.) Folglich sind, die besten Mittel, die Mittel zu
dem besten Zwecke. Gott kennt dieselben, insofern wie und in welchem Grade,
sie den besten Zwecken untergeordnet sind. (§. 657.)
§. 660.
Ein gewisses Mittel (remedium certum) ist dasjenige, welches in der Tat so beschaffen und so groß ist, als es
erkannt wird. Folglich wird es entgegengesetzt
1) dem Scheinmittel, welches bloß für ein Mittel
gehalten wird, und entweder gar kein Mittel ist, oder kein so großes,
als es zu sein scheint,
2) dem ungewissen Mittel, dessen wahre Güte und Größe
nicht gewiss ist.
Die besten Mittel sind auch die gewissesten Mittel, teils weil sie keine Scheinmittel
sind, (§. 659.) teils weil Gott mit der größten
Gewissheit ihre Güte und den Grad ihrer Güte erkennt,
(§. 657.) nichts desto weniger erkennt er auch alle mögliche
Ungewissheit derselben in der Erkenntnis der Seelen. (§.
648.)
§. 661.
Je fruchtbarer und wichtiger ein Mittel ist, desto mannigfaltiger und größer
ist die Vollkommenheit, welche durch dasselbe gesetzt wird. (§. 122. 242.)
Folglich sind die fruchtbarsten und edelsten Mittel auch zugleich die besten,
und umgekehrt. (§. 659.) Gott weiß die
fruchtbarsten und edelsten Mittel, wie groß die Fruchtbarkeit und Wichtigkeit
eines jeden derselben sei, und wie viel Fruchtbarkeit und Wichtigkeit demselben
von den Seelen zugeschrieben werde. (§.
648.)
§. 662.
Die besten Mittel sind vollständig oder zureichend zum besten Zweck. (§.
659. 661.) Wenn sie was Überflüssiges enthielten, so enthielten
sie etwas, welches zum Zwecke nichts beiträgt, welches also nichts Gutes
verursachen würde, (§. 242.) sondern etwas Böses, weil es doch
nicht ohne Folge sein könnte. (§. 21. 112.) Folglich sind die besten
Mittel dergestalt dem besten Zwecke angemessen, daß sie weder mehr noch
weniger enthalten, als zu der Erreichung desselben nötig ist. Gott kennt
die Mittel, welche dem besten Zwecke angemessen sind. (§. 659.) Mittel,
die gewiss und dem Zwecke angemessen sind, erhalten ihn völlig (remedia sinem ex asse consequentia).
Folglich weiß Gott die Mittel, durch welche der beste Zweck völlig
erreicht wird. (§. 660.)
§. 663.
Der kürzeste Weg ist die Erreichung eines Zwecks durch
die wenigsten derjenigen Mittel, die ihn völlig erreichen. Der Gebrauch
der besten Mittel ist allemal der kürzeste Weg zu einem Zwecke. Denn alsdann
wird der Zweck gewirkt durch solche Mittel, die ihn völlig erreichen,
(§. 662.) deren ein jedes das fruchtbarste ist, (§.
661.) und keins überflüssig (§.
662.) folglich sind ihrer so wenig als möglich. Gott kennt die kürzesten
Wege zu allen Zwecken. (§. 662.)
§. 664.
Die Allwissenheit
(omniscientia) ist die vollkommenste
Erkenntnis aller Dinge. Gott ist allwissend, so wie seine unendliche Erkenntnis §. 643. bis §. 663. vorgestellt worden ist.
Der dritte Abschnitt.
Von dem
Willen Gottes.
§. 665.
Gott hat die deutlichste anschauende Erkenntnis aller Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten
aller Dinge, (§. 664. 646.)
und, weil alles in Gott der größte Grund ist, (§. 21. 605.)
auch die lebendigste. (§. 648. 493. 495.) Folglich hat Gott Gefallen und Missfallen, (§. 482.) welche
die größten sind, (§. 605.) die
richtigsten, (§.
656.) die deutlichsten (§.
645.) und die verknüpftesten. (§.
617.) Er ist niemals ganz gleichgültig, (§. 479.) noch jemals
gegen irgendeine Sache zum Teil; (§. 480.) er hat keine
sinnliche Vergnügen, Missvergnügen, Begierden, Verabscheuungen,
blinde Triebe und blinden Abscheu, keine Leidenschaften,
und weder Scheinvergnügen noch Scheinverdruss. (§.
645.)
§. 666.
Gott erkennt sich selbst bloß als gut, als das beste und heiligste Ding, anschauend und aufs deutlichste. (§. 622.
649.) Folglich
schöpft er aus sich selbst das reinste Vergnügen. (§. 487.) Darin
besteht seine vollkommenste und höchste Beruhigung in sich selbst, (§.
505.) und die Originaltheologie ist die angenehmste Erkenntnis. Kein Ding missfällt
Gotte bloß. (§.
665. 487.) Alles sein Gefallen und Missfallen ist unveränderlich, (§.
626.) folglich ist in ihm kein vergängliches Vergnügen und Missvergnügen,
(§. 488.) und nichts kann ihm beschwerlich sein. (§. 484.) Sein höchstes
Missfallen an allen Unvollkommenheiten verdunkelt, auf keinerlei Weise, sein
höchstes Wohlgefallen an allen Vollkommenheiten. (§.
645.) und nichts außer ihm kann ein Vergnügen oder Missvergnügen
in ihm wirken. (§.
635.)
§. 667.
In Gott ist die freie Wissenschaft von dieser Welt wirklich, da es doch möglich
ist, dass in Gott entweder gar keine freie Wissenschaft oder eine freie Wissenschaft
von einer anderen Welt wirklich gewesen wäre, (§.
653.) und sie ist, durch die Kraft Gottes selbst, in ihm wirklich, (§.
635.) samt ihrem Gegenstande außer ihm. (§.
638.) Folglich hat Gott seine Kraft bestimmt, die freie Wissenschaft nicht
von gar keiner oder von einer anderen sondern von dieser Welt in sich, und eben
diese und keine andere Welt außer sich zu wirken. Folglich begehrt und
verabscheut er, ja, seine ganze Allwissenheit ist in ihm ewig wirklich, indem
er sie ewig begehrt. (§. 489.) Nun begehrt und verabscheut er nicht sinnlich, (§. 665.) seine Begierden und Verabscheuungen
aber werden doch durch seine allerdeutlichste Erkenntnis bestimmt, (§.
617.) folglich begehrt und verabscheut er vernünftig, (§. 510.)
er hat das größte und vollkommenste vernünftige Begehrungs-
und Verabscheuungsvermögen, (§.
605.) das ist, welches durch die Allwissenheit aufs vollkommenste bestimmt
wird. (§. 664. 492.)
§. 668.
Das vernünftige Begehrungs- und Verabscheuungsvermögen ist
dem Verstande proportioniert, wenn es der mathematischen Erkenntnis
des Verstandes folgt, oder wenn es den Gegenstand begehrt nach Maßgabe
des deutlich erkannten Grades seiner Güte, und wenn es ihn verabscheut
nach Maßgabe des deutlich erkannten Grades seiner Unvollkommenheit; und
wenn der Verstand zugleich diesen Grad der Güte und Unvollkommenheit völlig
erkennt, so ist es zugleich den Gegenständen selbst proportioniert (voluntas noluntasue et intellectui
et objectis proportionalis). Dem göttlichen Willen kommt diese
doppelte Proportion zu im höchsten Grade, indem sein Verstand, welcher
die Grade aller Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten aller Dinge aufs deutlichste
und untrüglichste erkennt, (§. 664.) seinen
Willen beständig aufs vollkommenste bestimmt. (§.
667.)
§. 669.
Die Begierden und Verabscheuungen Gottes sind Handlungen. (§.
635.) Alle Handlungen Gottes können nicht nur von einem zureichenden
Grunde abhängen, der in Gott selbst angetroffen wird, (§.
624.) sondern sie hängen von demselben auch wirklich ab. (§.
635.) Folglich hat Gott selbst, und eine jede seiner Handlungen, die
größte Selbsttätigkeit, (§. 521.) welche zu den meisten
und größten Handlungen zureicht. (§.
623.) Die höchst selbsttätigen Handlungen Gottes sind entweder
diejenigen, durch welche er in sich selbst seine unendlichen Akzidenzien wirkt,
oder diejenigen, durch welche er außer sich in die Welt wirkt. (§.
141.)
§. 670.
Alle reelle Handlungen stehen in der Gewalt Gottes. (§.
640.) Wenn also eine reelle Handlung an sich zufällig ist, folglich
wenn sie nicht nur selbst möglich ist, sondern wenn auch die ihr entgegengesetzte
reelle Handlung möglich ist, (§. 82. 104. 50) stehen beide in der
Gewalt Gottes. Folglich stehen alle an sich zufällige Handlungen, insofern
sie reell sind, Gotte frei was ihre Verrichtung betrifft; und weil sie und ihr
Gegenteil im höchsten Grade in seiner Gewalt stehen, (§.
605. 50) ist Tun und Lassen bei diesen Handlungen ihm gleich leicht. (§.
523.) Die Handlung demnach, wodurch Gott teils in sich eben diese und keine
andere freie Wissenschaft wirkt, teils außer sich diese Welt, und keine
andere oder gar keine Welt, ist was ihre Verrichtung betrifft frei; in Absicht
des Tuns und Lassens ist es Gott gleichviel, ob er die beste Welt wirkt, oder
die unvollkommenste, oder gar keine, es ist ihm gleichviel gewesen, und ist’s
ihm noch, und wird’s ihm ewig sein. (§.
633.)
§. 671.
Gott ist in allen seinen Handlungen, deren Verrichtung ihm frei steht, auch
frei von aller innerlichen wesentlichen und natürlichen Nötigung,
(§. 524.) und von aller äußerlichen so wohl idealischen als
auch reellen, (§. 522. 635.)
folglich tut er keine seiner Handlungen ungern um eines äußerlichen
gewissermaßen so genannten Zwanges willen, (§. 527.) folglich kann
er weder durch Reizungen noch durch Drohungen, weder durch Anraten noch durch
Abraten, noch durch eine Erpressung wozu bestimmt werden. (§. 535.) Da
nun Gott sich überdies in allen diesen Handlungen selbst, nach seinem eigenen
allerdeutlichsten Belieben, bestimmt; (§.
667. 525.) so hat er eine Freiheit,
(§. 529.) im höchsten Grade. (§.
605.) das ist: eine solche, welche die meisten und größten Handlungen
nach dem allerdeutlichsten Belieben wirkt. Der theologische Fatalismus ist die Meinung, nach welcher die Freiheit des göttlichen Willens geleugnet
wird, und sie ist ein Irrtum.
§. 672.
Gott begehrt aufs freieste, (§. 671.) folglich
das Gute; (§. 491. 529.) er verabscheut aufs freieste, (§.
671.) folglich das Böse. (§. 491. 529.) Das Begehren des Guten oder die Liebe des Guten, und das
Verabscheuen des Bösen oder der Hass des Bösen sind in Gott unendlich: (§. 630.)
1) der Dauer nach, weil sie ewig sind, (§.
633.)
2) ihrer Stärke wegen, weil sie im höchsten Grade
proportioniert sind, (§.
668.)
3) wegen ihrer Ausdehnung, indem er alles Gute liebt und alles
Böse hasst, weil in seiner ganzen Allwissenheit keine tote Erkenntnis sein
kann, und weil er gegen nichts gleichgültig ist. (§.
648. 665.) Folglich begehrt und verabscheut Gott:
1) die Gegenstände der Wissenschaft
des Möglichen, (§.
652.) die allgemeinen Dinge, deren Vorstellung in unserer Erkenntnis die
Gattungen und Arten der Dinge sind, und was in derselben Gutes und Böses
ist;
2) die Gegenstände der mittleren
Wissenschaft. (§.
654.) Insofern der Wille Gottes die allgemeinen Dinge, und die Teile aller
Welten außer der wirklichen, begehrt und verabscheut, wird er der vorhergehende
genannt in geläuterter Bedeutung, (§.
620.) und er ist nicht nur ein unverstellter ernstlicher Wille, sondern
er enthält auch einen Teil der Bewegungsgründe; (§. 495.)
3) des nachfolgende Willens Gottes
oder der göttlichen Ratschlüsse durch welche Gott die Gegenstände
der freien Wissenschaft begehrt. (§.
653. 514.)
§. 673.
Ein unausforschlicher Wille (voluntas
imperscrutabilis) ist ein Wille, dessen Triebfedern unerforschlich
sind. Nun ist der ganze Bewegungsgrund des göttlichen Willens seine Allwissenheit, (§. 667.) und
sein allervollkommenstes Belieben, (§.
671.) innerliche Vollkommenheiten Gottes, die uns unerforschlich sind. (§.
642.) Folglich ist der Wille Gottes uns im höchsten Grade unausforschlich, (§. 605.) weil
1) die allermeisten seiner Bewegungsgründe von uns gar
nicht.
2) nicht völlig erkannt werden können, und
3) weil unsere Einsicht in diejenigen, die wir erkennen, sehr
weit von ihrer Erforschung entfernt ist. Wer einige Bewegungsgründe Gottes
in einigem Grade der Deutlichkeit erkennt, der forscht deswegen den göttlichen
Willen nicht aus.
Wer also die Absicht hat einige Bewegungsgründe Gottes zu entdecken, der
kann nicht beschuldigt werden, dass er den Willen Gottes für ausforschlich
halte.
§. 674.
Die Übereinstimmung einer freien Handlung mit ihrem Grunde,
folglich mit dem sittlichen Gesetzt, (§. 64. 532.) ist die Rechtmäßigkeit derselben (rectitudo actionis libelrae). Insofern also, alle im höchsten Grade freie Handlungen Gottes, (§.
671.) im höchsten Grade übereinstimmen mit dem sittlichen Gesetze
des Besten: das Beste werde frei mit dem Besten zusammengenommen,
(§. 617.) insofern
sind sie im höchsten Grade rechtmäßig. Dem Willen Gottes kommt
also die größte Rechtmäßigkeit zu, und darin besteht die
sittliche Heiligkeit Gottes. (§.
622.)
§. 675.
Die freiesten Handlungen Gottes sind nicht schlechterdings notwendig, weil ihr
Gegenteil möglich ist. (§. 670.
671.) Alle
Handlungen, durch welche Gott in diese Welt wirkt, haben ein mögliches
Gegenteil. (§. 259.) folglich ist keine derselben schlechterdings notwendig.
Und da er durch seine Allmacht das Gegenteil aller seiner freien Handlungen
wirken kann, (§.
670.) so ist ihm keine derselben, folglich auch keine wodurch er in dieser
Welt wirkt, natürlich notwendig (§.
640.) folglich auch nicht sittlich notwendig in dem Verstande, als wenn überhaupt durch seine Freiheit das Gegenteil irgendeiner derselben ihm
natürlich unmöglich gemacht würde. (§. 532.) Weil aber die
Freiheit Gottes sich allemal aufs rechtmäßigste bestimmt, (§.
674.) so sind alle seine freie Handlungen im höchsten Grade sittlich
heilig, folglich auch sittlich notwendig. (§. 532. 533.)
§. 676.
Die Gütigkeit oder Guttätigkeit (benignitas) ist
die Bestimmung oder Neigung des Willens einen andern in einem höhern Grade
vollkommener zu machen, und eine Wohltat (beneficium)
ist eine Handlung, die aus Gütigkeit herrührt, und die
dem andern in einem höheren Grade nützlich ist. Gott will Anderen
Wohltaten erweisen.
(§. 672.) Folglich ist er gütig im höchsten Grade, (§.
605.) weil er unendlich ewig und unveränderlich geneigt ist, die meisten
und größten Wohltaten den meisten und würdigsten Dingen zu erweisen.
Folglich ist in Gott eine allgemeine und größte Menschenliebe
(philanthropia) oder Gütigkeit gegen
die Menschen; eifrige Liebe (zelotypiae) oder eine Liebe, welche eine proportionierte Gegenliebe der geliebten Personen
begehrt; Barmherzigkeit, Gunst, Gewogenheit und Gnade.
(§. 506.) Die Treue
(fidelitas) ist eine dauerhafte starke Liebe, folglich
ist Gott treu im höchsten Grade, weil er ewig unendlich liebt.
(§. 672.)
§. 677.
Die Gerechtigkeit (justitia) ist die proportionierte Gütigkeit gegen Geister. Gott ist gerecht (§.
676.) im höchsten Grade. (§.
605.) Indem wir Gott den gerechtesten nennen, so verehren wir seine höchste
Gütigkeit, insofern sie die allerproportionierteste ist, (§.
668.) folglich insofern sie die meisten und größten Wohltaten
den meisten zu erweisen geneigt ist, nach Maßgabe des Grades der Vollkommenheit
und Unvollkommenheit eines jeden Geistes, welchen Grad Gott aufs deutlichste
untrüglichste und lebendigste erkennt.
§. 678.
Eine Belohnung (praemium, remuneratio)
ist ein zufälliges Gut, welches einer Person um eines sittlichen
Guten willen gegeben wird; und ein zufälliges Übel, welches einer Person um eines sittlichen Übels willen zugefügt wird,
ist eine Strafe (poena). Beide
sind entweder natürliche, wenn sie zureichend aus den
Wesen des sittlich Guten und Bösen und aus der Natur desjenigen, der es
durch seine Freiheit tut, können begriffen werden; oder willkürliche, wenn sie nicht zureichend können begriffen werden, als aus der Willkür
desjenigen, welcher belohnt und straft. Jene sind auch in Absicht desjenigen
willkürlich, von dessen Willkür die Natur desjenigen abhängt,
welcher das sittlich Gute und Böse tut. Die Belohnungsgerechtigkeit
(justitia remuneratoria) ist die Gerechtigkeit,
welche die Belohnung erteilt, und sie kommt Gotte im höchsten Grade zu: (§. 676.) indem er aufs vollkommenste und
im höchsten Grade geneigt ist, alles auch das kleinste sittlich Gute aller
Geister aufs proportionierteste zu belohnen.
§. 679.
Ein Sünder (peccator) ist derjenige, in welchem sittliche Übel sind, in welchem einige sittliche
Übel nicht sind, der ist in Absicht derselben ein Unschuldiger
in der weiteren Bedeutung (innocens
latius dictus, insons). Der Sünder
ist, wenn übrigens alles von beiden Seiten gleich ist, nicht so gut als
der Unschuldige. Folglich wird er auch von der proportioniertesten Gütigkeit
nicht so sehr geliebt als dieser, (§. 676.) und Gott will also dem Unschuldigen einige Wohltaten erweisen, die er dem Sünder
nicht erweisen will. Gegen diese einem Sünder nicht zu erweisende Wohltaten
ist Gott nicht gleichgültig, (§.
665.) folglich verabscheut er nach seinem vollkommensten Belieben, sie einem
Sünder zu erteilen, (§. 671.) und er will also das Gegenteil dieser
Wohltaten. (§. 489. 510.) Das Gegenteil der Wohltaten sind zufällige
Übel. (§. 62. 676.) Folglich will Gott
einige zufällige Übel dem Sünder zufügen um des sittlichen
Übels in demselben willen, oder er will den Sünder strafen. (§.
678.)
§. 680.
Die Strafgerechtigkeit (justitia punitiua,
vindicatiua, ultrix, vindicatoria) ist die Gerechtigkeit insofern
sie straft. Sie kommt Gott zu (§. 679.) im
höchsten Grade: (§.
605.) indem er aufs vollkommenste geneigt ist, alle Sünden aller Sünder
aufs proportionierteste zu strafen. Der philosophische Dippelianismus ist die
Meinung, welche Strafgerechtigkeit Gottes leugnet; und sie ist ein Irrtum.
§. 681.
Der Inbegriff der Ursachen, welche außer einem Geiste wirklich sind, und
welche zusammenkommen seine Wohlfahrt oder sein Elend zu verursachen, ist das
Gute oder böse Glück, das Unglück
(fortuna bona vel mala), und die Glücks- und Unglücksfälle (fortuita, infortunia) sind dasjenige,
was durchs Glück verursacht wird, und sie sind zufällig. (§.
586. 587.) Wenn sie einem Geiste begegnen um seiner sittlich guten und bösen
Handlungen willen, so sind sie Belohnungen und Strafen, aber willkürliche,
weil ihre Verbindung mit den freien Handlungen nicht zureichend erkannt werden
kann, als nur aus dem freien Willen Gottes. (§. 678.
638.)
§. 682.
Belohnungen und Strafen, die übernatürlich sind und durch ein Wunder hervorgebracht werden, sind an sich möglich, (§. 346.) und auch bedingter
Weise in Absicht der Allmacht Gottes, (§.
640.) sie sind willkürliche Strafen und Belohnungen Gottes, (§.
678.) aber nicht die einzigen die willkürlich sind. (§.
681. 678.)
§. 683.
Das entfernte Materiale einer Begebenheit (materiale
remotum) ist alles das, was in derselben reell ist, und das
nächste (materiale proximum) ist
die durchgängige Bestimmung derselben. Das Formelle (formale)
eine Begebenheit ist der Inbegriff ihrer Verneinungen. Folglich
werden, alle Übel und Strafen, entweder materialiter und formaliter zugleich
betrachtet, und sie sind, wie alles Endliche, (§. 183.) teils gut teils
böse, und sie werden insofern sie gut sind von Gott geliebt, und insofern
sie böse sind von ihm gehasst unendlich; oder sie werden bloß betrachtet
in Absicht des entfernten Materiale, und sie sind reell und werden bloß
von Gott geliebt; oder sie werden bloß formaliter betrachtet, und sind
in dieser Absicht bloß ein Gegenstand des göttlichen Hasses. §.
672. Folglich will Gott durch seine Strafgerechtigkeit, nicht
das Formale der Strafen, sondern das entfernte Materiale derselben, und was in dem nächsten reell ist. Nun ist es eine Realität
der Strafen, dass sie eben dem Sünder und keinem anderen, sondern demjenigen
zugefügt werden, dem sie im höchsten Grade proportioniert sind. (§.
679. 31.) Folglich begehrt Gott, wenn er straft, diese Realität. (§. 672.)
§. 684.
Die Langmut (longanirnitas, patientia
judicis) ist die Gerechtigkeit, insofern sie nur bei einer Gelegenheit,
die ihr die beste zu sein scheint, straft. Gott weiß untrüglich die
besten Gelegenheiten aller Strafen, (§.
664.) und da nun dieselben zu dem nächsten Materiale der Strafen gehören,
und Realitäten sind, (§. 31. 683.) so
begehrt sie Gott aufs proportionierteste, (§. 683.) und er ist also im höchsten Grade langmütig.
§. 685.
Die Unparteilichkeit (impartialitas)
ist der Abscheu vor Entscheidungen aus sinnlichen Scheingründen.
In Gott sind weder sinnliche noch Scheingründe. (§.
645. 656.) und da sein heiligster Wille so wohl solche Gründe, als auch die aus ihnen
fließenden Entscheidungen und Entschlüsse, unendlich verabscheut, (§. 674.
672.) so
ist er im höchsten Grade unparteiisch. Die unparteiische Gerechtigkeit
ist die Billigkeit (aequitas), folglich hat Gott die höchste Billigkeit. §.
677.
§. 686.
Die Aufrichtigkeit (sinceritas) ist
die Gütigkeit in der Bezeichnung seines Sinnes, und die Aufrichtigkeit
im Reden ist die Wahrhaftigkeit
(veracitas). Gott ist aufrichtig (§.
676.) im höchsten Grade: (§.
605.) indem er aufs vollkommenste geneigt ist allen Dingen, für welche
es seine Weisheit für gut befindet, so viel von seinem Sinne, als es seiner
Weisheit gefällt, durch die besten Zeichen zu bezeichnen. (§.
657.) Und wenn es seine Weisheit für das beste hält, seinen Sinn
auch durch Worte zu bezeichnen, so ist er im höchsten Grade wahrhaftig.
§. 687.
Gott hat das größte Leben, (§.
640. 614. 311.) und da nun dasselbe schlechterdings notwendig ist, man mag es entweder
als sein Wesen oder als seine Wirklichkeit betrachten,
(§. 613. 618.) so ist er nicht nur unsterblich, sondern er ist auch das einzige
Ding, welches schlechterdings unsterblich ist. (§. 580.)
§. 688.
In Gott ist die größte metaphysische Vollkommenheit, die größte
Vollkommenheit die nicht sittlich ist, und auch, um seiner sittlichen Heiligkeit
willen, die größte sittliche Vollkommenheit. (§.
674. 605.) Da er nun aller dieser seiner Vollkommenheiten sich beständig im höchsten
Grade und aufs vollkommenste bewusst ist, (§.
649.) so genießt er darüber das höchste Vergnügen, (§. 666.) und
er ist also im höchsten Grade selig. (§. 586.)
§. 689.
Gott ist glückselig
(§. 688. 586.) im höchsten Grade, (§.
605.) indem
1) in ihm kein sittliches Verderben
und kein Elend nicht nur angetroffen wird, sondern auch weder natürlicher
noch sittlicher Weise angetroffen werden kann. (§.
611. 640.
674.) Und
zwar
2) unabhängig (§.
635.)
3) ohne alle Veränderung sowohl der Vollkommenheiten selbst,
als auch des anschauenden Bewusstseins derselben. (§.
626.)
§. 690.
Ein Ding, welches vollkommener ist als ein anderes, ist ein höheres
Ding als dasselbe (superius).
Gott ist der höchste Geist, (§.
609. 595.) das Wesen welches höher ist als die Welt (ens
supramundanum) insofern er eine unendlich vielmals größere
Vollkommenheit hat, als eine ganze Welt, und wenn es auch die beste sein sollte. (§. 631.) Und
da mehrere allervollkommenste Dinge außer einander schlechterdings unmöglich
sind, (§. 631.) so ist Gott schlechterdings
das höchste Wesen, oder das höchste Ding.
Das andere Kapitel.
Von den Wirkungen Gottes.
Der erste Abschnitt.
Von der
Schöpfung der Welt.
§. 691
Eine jede wirkende Ursache wirkt, oder bringt handelnd zur Wirklichkeit, ihre Wirkung. (§. 225.) Gott
ist die wirkende Ursache dieser Welt, (§.
638.) folglich hat Gott diese Welt gewirkt entweder von Ewigkeit her, das ist dergestalt, dass diese Welt keinen Anfang
gehabt hätte, oder in der Zeit,
das ist nicht von Ewigkeit her. (§. 10.) In beiden Fällen ist diese
Welt aus Nichts gewirkt worden, und zwar von Gott. (§. 264.) Etwas aus Nichts wirken heißt
dasselbe erschaffen (creare), folglich
ist Gott der Schöpfer dieser Welt.
§. 692.
Wenn die Welt aus dem Wesen Gottes wäre gewirkt worden, so wäre sie durch einen Ausfluss
aus Gott erschaffen worden (creatio per emanationem).
Allein
1) durch eine solche Schöpfung wäre die Welt nicht aus Nichts gewirkt worden,
und das ist falsch; (§. 691.)
2) entweder das ganze Wesen Gottes oder ein Teil desselben
könnte in eine Welt verwandelt werden, und das ist unmöglich; (§. 626.)
3) ein Teil Gottes wäre außer ihn versetzt, (§.
279.) und Gott wäre ein zusammengesetztes Ding, (§. 150.) welches
unmöglich ist. (§.
627.) Folglich ist es unmöglich, dass
diese Welt bei ihrer Schöpfung von Gott aus ihm sollte herausgeflossen sein.
§. 693.
Alle Monaden dieser Welt sind endliche, (§. 284.) und abhängige Dinge,
(§. 218.) und können nur aus Nichts gewirkt werden. (§. 157.)
Folglich sind alle von Gott erschaffen worden, (§.
691.) dergestalt, dass die Schöpfung einer jeden eine zugleich seiende
und augenblickliche Handlung gewesen. (§. 159. 211.) Ein Ding, welches
nicht anders wirklich sein kann als durch die Schöpfung, ist ein
Geschöpf (creatura). Folglich
sind alle Monaden dieser Welt, alles Substantielle in dieser Welt, alle Geister
dieser Welt, alle Seelen und alle menschliche Seelen, Geschöpfe Gottes.
Nun sind die Körper dieser Welt Inbegriffe der Elemente. (§. 304.)
Was also in ihnen substantiell ist, ein jeder ihrer vor sich bestehenden Teile,
ist ein Geschöpf Gottes.
§. 694.
Was nicht anders wirklich sein kann, als nur wie ein Ding, welches von anderen
außer sich verursacht wird, das kann auch nicht anders fortdauern, als
nur wenn es beständig von Dingen außer sich verursacht wird, (§.
211.) Folglich können die Welt, und alle ihre substantiellen Teile, nicht
anders fortdauern als nur wie abhängige Dinge. (§.
693. 268.) Folglich ist eine solche Schöpfung der Welt unmöglich,
durch welche den Geschöpfen eine unabhängige Fortdauer verliehen worden
wäre, und sie kann kein Gegenstand der Allmacht Gottes sein. (§.
625.) Nun ist die Schöpfung dieser Welt möglich. (§.
691. 42.) Folglich hat diese Welt durch ihre Schöpfung von Gott
keine unabhängige Dauer bekommen.
§. 695.
Was nicht zu der Wirklichkeit der Welt und ihrer substantiellen Teile gehört,
ist von Gott nicht erschaffen worden. (§. 691.) Nun
gehören die Wesen der Geschöpfe, und das metaphysische Übel,
nicht zu ihrer Wirklichkeit, (§. 100. 102. 112.) folglich sind sie nicht
erschaffen worden; man müsste denn, alle Bestimmungen eines wirklichen
Geschöpfs, erschaffene oder anerschaffene Bestimmungen nennen wollen, welches
aber dem Begriffe zuwider ist, den man sich von der Schöpfung machen muss.
(§. 691.)
§. 696.
An und für sich ist es möglich, dass diese Welt nicht wirklich sei,
dass gar keine Welt wirklich sei, dass eine andere als diese Welt wirklich sei.
(§. 259. 263.) Folglich hat Gott, in Absicht seiner Allmacht gar keine
Welt schaffen können, er hätte auch eine andere schaffen können,
und alsdann wäre diese Welt niemals wirklich geworden. (§.
624. 272.) Unterdessen hat er eben diese Welt und keine andere erschaffen
durch seine höchste Selbsttätigkeit, (§.
669. 691.) ohne
sich auf irgendeine Art dabei leidend zu verhalten, (§.
635.) dergestalt, dass die Schöpfung dieser Welt nicht nur der Verrichtung
nach ihm frei gestanden, (§.
670.) sondern auch durch die höchste Freiheit seines Willens gewirkt
worden. (§.
671. 675.) Folglich
hat Gott die Wirklichkeit dieser Welt gewollt durch eine wirkende Begierde,
(§. 495.) die zugleich beschließend gewesen, weil er untrüglich
ist, (§. 496. 656.)
und mithin aus vollständigen Bewegungsgründen, (§. 495.) durch
seinen nachfolgenden Willen, und er hat also die Schöpfung dieser Welt,
und die Wirklichkeit dieser Welt beschlossen. (§.
672.)
§. 697.
Gott hat diese Welt, durch seinen proportioniertesten Willen, zu schaffen beschlossen.
(§. 696. 668.)
Folglich hat er die Wirklichkeit derselben beschlossen nach Maßgabe
des Grades der Güte, den er sich in derselben vorgestellt hat. Die Wirklichkeit
einer anderen möglichen Welt hat Gott nicht durch seinen proportioniertesten
Willen beschlossen. (§. 272.) Folglich hat er sich einen so großen
Grad der Güte, in der Wirklichkeit aller übrigen möglichen Welten,
nicht vorgestellt, als in der Wirklichkeit dieser Welt. Nun ist diese Erkenntnis
Gottes im höchsten Grade deutlich und untrüglich. (§.
648. 656.) Folglich ist die Wirklichkeit dieser Welt, weil sie Gott allen übrigen
vorgezogen, und unter allen übrigen erwählt hat, (§. 517.) die
allerbeste die eine Welt haben kann, und folglich ist in dieser Welt die größte
Vollkommenheit, die eine Welt haben kann. Sie ist also die beste und vollkommenste
Welt, und es gilt von ihr, was von der besten Welt erwiesen worden. (§.
316-327.)
§. 698.
Man setze eine Welt, welche an Vollkommenheit dieser Welt gänzlich gleich
wäre: so müsste sie außer dieser Welt wirklich sein können,
weil sie sonst nur ein Teil derselben wäre. (§. 255.) Die Vollkommenheit
dieser Welt kann nicht außer ihr sein, und auch nicht die Vollkommenheit
einer ebenso guten Welt außer dieser ebenso guten Welt. (§. 129.)
Wenn also eine solche Welt möglich wäre, so wären zwei gänzlich
gleiche Vollkommenheiten außer einander möglich, welches unmöglich
ist. (§. 190.) Folglich ist nur eine einzige beste Welt. (§. 59.)
§. 699.
Davon, dass diese Welt die beste ist, können wir völlig gewiss sein, (§. 697.) folglich ist diese Lehre keine philosophische
Meinung. Diejenigen, welche einen Beweis
a posteriori von dieser
Wahrheit verlangen, verstehen durch denselben entweder einen solchen, unter
dessen Vordersätzen ein anschauendes Urteil befindlich ist, und unser Beweis
ist ein solcher, weil dieses anschauende Urteil, diese Welt ist wirklich, ein Vordersatz desselben ist; oder sie verlangen den Unterschied dieser und
der schlechteren Welt zu empfinden, folglich wollen sie aus dieser Welt in eine
andere versetzt werden, (§. 396.) eine seltsame Entzückung! (§.
411.)
§. 700.
Was Gott geschaffen hat, das hat er auch gewollt. (§.
696.) Nun will er das Formelle der zufälligen Übel, und insbesondere
der sittlichen gar nicht. (§.
683.) Folglich hat er es auch nicht schaffen wollen, er ist nicht der Schöpfer
irgendeines zufälligen und sittlichen Übels, insofern es formaliter
betrachtet wird.
§. 701.
Die wirkende Ursache einer freien Handlung und durch dieselbe ist ein
Urheber (auctor), und so wohl
die freie Handlung als auch die Wirkungen derselben sind die Taten desselben (facta). Folglich ist Gott der Urheber
dieser Welt und ihrer Schöpfung. (§.
696.) Gott kann nur der Urheber desjenigen sein, was er will, (§. 529.)
folglich ist Gott nicht der Urheber irgendeines zufälligen und sittlichen
Übels, insofern es formaliter betrachtet wird. (§.
700.) Die sittliche Ursache in der engeren Bedeutung
(causa moralis stricte dicta) ist der
Urheber einer Tat vermittelst der freien Bestimmung eines andern, dergleichen
derjenige ist, welcher durch Reizungen Drohungen Anraten Abraten und Erpressung
den freien Willen eines andern wozu bestimmt, (§. 535.) Folglich ist Gott
keine solche sittliche Ursache irgendeines zufälligen und sittlichen Übels,
insofern es formaliter betrachtet wird. Folglich kann er auch kein Versucher
zum Bösen (tentator ad malum) sein, das ist eine sittliche Ursache in der engeren Bedeutung, welche Triebfedern
zu dem sittlichen Übel, insofern es formaliter betrachtet wird, wirklich
macht.
Der andere Abschnitt.
Von dem
Zwecke der Schöpfung.
§. 702.
Die Erkenntnis einer größeren Vollkommenheit in einem Dinge ist die
Ehre desselben (honor), und eine
größere Ehre ist Ruhm oder Preis (gloria). Folglich besteht der Ruhm Gottes in der größeren Erkenntnis seiner
höchsten Vollkommenheiten; und der größte Ruhm Gottes besteht
in der klarsten, richtigsten, gewissesten und lebendigsten Erkenntnis seiner
meisten höchsten Vollkommenheiten, welche in so vielen Dingen wirklich
ist als möglich. Der Ruhm Gottes ist was Gutes. (§.
649.)
§. 703.
Aus dieser Welt und durch dieselbe können, die höchsten Vollkommenheiten
Gottes, sehr klar richtig gewiss und lebendig erkannt werden, (§.
697. 636. 236.)
folglich ist sie allen denjenigen Geschöpfen, welche dieser Erkenntnis
fähig sind, nützlich zum Ruhme Gottes. (§. 238.) Dieser Nutzen
ist von Gott, durch die Schöpfung sowohl der ganzen Welt als auch der endlichen
Geister, in derselben wirklich gemacht worden. Folglich braucht Gott diese Welt
zu seinem Ruhme, dessen er sich aufs deutlichste als eines Gutes bewusst ist,
(§. 702. 664. 239.) und er hat demnach bei der Schöpfung der Welt einen Zweck gehabt.
(§. 242.) Folglich ist diese Welt, als die beste, zugleich das Werk der
höchsten Weisheit und Klugheit Gottes, in welchem er den größten
und vollkommensten Zusammenhang der Zwecke und Mittel wirklich gemacht hat,
der in einer Welt möglich ist. (§. 657-663.)
§. 704.
Der Zweck Gottes bei der Schöpfung der Welt ist keine seiner innerlichen
Vollkommenheiten, denn es ist an sich unmöglich, dass eine derselben durch
die Welt gewirkt oder vermehrt werden sollte, (§.
635.) und Gott kann keine an sich unmöglichen Dinge wollen. (§.
625.) Nun ist außer Gott nichts wirklich, als diese Welt und ihre
Teile. (§. 631. 272.) Folglich ist der göttliche Zweck dieser Welt die Vollkommenheit der
Kreaturen, und zwar eine so große, als in der besten Welt möglich
ist. (§. 703.) Folglich sind alle zufälligen
Vollkommenheiten der Teile der Welt, die nach ihrem ersten Ursprunge nach und nach in ihnen entstehen, alle ihre Nutzen, aller ihr Gebrauch, göttliche
Zwecke. (§. 238. 239.) Die Wissenschaft der göttlichen
Zwecke, warum er die Kreaturen erschaffen hat, ist die Teleologie,
und sie untersucht entweder die göttlichen Zwecke der Körper
(teleologia physica), oder der Geister
(teleologia pneumatica).
§. 705.
Wenn ein Geist durch Bewegungsgründe aus dem Ruhme Gottes seinen freien
Willen gut bestimmt, so verherrlicht er den Ruhm Gottes (illustratio
gloriae divinae, cultus dei), und der Ruhm Gottes samt der Verherrlichung
desselben ist die Religion.
Nun ist der Ruhm Gottes nützlich zu der Verherrlichung dieses Ruhmes, und
beide sind nützlich zu der Religion. (§. 238.) Folglich sind die Verherrlichung
des göttlichen Ruhmes und die Religion Zwecke, um welcher willen Gott diese
Welt erschaffen hat. (§. 704.)
§. 706.
Die Wohlfahrt der Seligkeit und die Glückseligkeit der Geister in dieser
Welt sind nützlich zum Ruhme Gottes, (§. 586. 703.)
zur Verherrlichung desselben, und zu der Religion. (§.
705. 238.) Folglich ist eine so große Wohlfahrt Seligkeit und Glückseligkeit
der Geister in dieser Welt. als in der besten Welt möglich ist, ein Zweck,
warum Gott diese Welt erschaffen hat. (§. 704.)
§. 707.
Alle Kreaturen man mag sie entweder als Mittel oder als Zwecke betrachten, sind
nützlich zum Ruhme Gottes, und dieser zur Verherrlichung desselben. (§.
703. 705.) Folglich sind, alle Mitzwecke der Religion bei der Schöpfung,
ihr untergeordnet. (§. 25.) Und die Religion ist demnach der letzte göttliche
Zweck, um dessentwillen er die Welt geschaffen hat. (§. 244.)
Der dritte Abschnitt
Von
der Vorsehung Gottes.
§. 708.
Diese Welt dauert fort, (§. 211.) aber in keinem Augenblicke auf eine unabhängige
Art. (§. 694.) Folglich kann sie keinen Augenblick fortdauern, ohne dass
ihre Fortdauer von einem Dinge außer ihr verursacht werden sollte. (§.
217.) Folglich wirkt, das Wesen außer der Welt, durch seine Kraft die
Fortdauer der Welt in einem jeden Augenblicke derselben. (§. 268.) Dieses
Wesen ist Gott. (§. 637.) Folglich wirkt Gott die Fortdauer der Welt in einem jeden Augenblicke dieser
Fortdauer. Die Handlung, durch welche die Dauer eines Dinges gewirkt wird, ist die Erhaltung desselben (conseruatio).
Folglich ist Gott der Erhalter dieser Welt.
§. 709.
Die Erhaltung dieser Welt ist ein ununterbrochener Einfluss Gottes in diese
Welt, (§. 708. 141.) und zwar ein reeller
(§. 142.) weil kein endliches Ding seine eigene Wirklichkeit durch seine
eigene Kraft wirken kann. (§. 218.) Eben ein solcher Einfluss ist die Schöpfung.
(§. 691.) Folglich kann, nach einer guten Erklärung, die Erhaltung
der Welt eine fortgesetzte Schöpfung genannt
werden.
§. 710.
Was nicht erschaffen ist, das wird auch nicht von Gott erhalten. (§.
708. 691.)
Folglich werden von Gott nicht erhalten: die Wesen der Dinge, das metaphysische Übel, und das Formelle der zufälligen und sittlichen Übel.
(§. 695. 700.) Was aber nicht anders wirklich sein kann, als durch die Schöpfung, das
kann auch nicht anders fortdauern, als durch die Erhaltung.
(§. 708.) Da nun alle Monaden, alle Substanzen dieser Welt Geschöpfe
sind, (§. 693.) so werden sie in einem jedweden Augenblicke ihrer Dauer von Gott erhalten.
§. 711.
Weil alle wirkende Ursachen außer Gott Substanzen dieser Welt sind, (§.
225. 272. 631.)
so sind sie ihm untergeordnet; (§. 25. 693. 710.) er ist die schlechterdings
erste wirkende Ursache, und die übrigen sind Zwischenursachen. (§.
25.) Nun sind alle natürliche Veränderungen der endlichen Substanzen
teils ihre eigenen Handlungen, teils Leiden in Absicht derjenigen übrigen
endlichen Substanzen, die in sie einfließen. (§. 337.) Folglich wirkt
Gott. als eine wirkende Ursache, bei allen natürlichen Veränderungen
der Geschöpfe mit: (§. 223)
1) mittelbarer Weise, insofern sie Leiden sind; §. 24.
2) unmittelbarer Weise, insofern sie Handlungen sind, indem er in dem Augenblicke, da ein Geschöpf handelt, seine tätige
Kraft erhält, (§. 709. 710.) denn die
tätige Kraft gehört allemal zu der gegenwärtigen Wirklichkeit
der endlichen Substanz.
Folglich wirkt Gott unmittelbar mit, nicht nur alsdann wenn die Geschöpfe
als handelnd vorgestellt werden, sondern auch alsdann, wenn sie vornehmlich
als natürlicher Weise leidend vorgestellt werden.
§. 712.
In der unmittelbaren Mitwirkung Gottes besteht seine Gegenwart, (§. 148.)
und er ist demnach allen Substanzen dieser Welt aufs nächste gegenwärtig. (§. 711.) Was allen und jeden substantiellen
Teilen eines Dinges zunächst gegenwärtig ist, das ist demselben Dinge
aufs innigste oder genaueste gegenwärtig (intime
praesens). Da nun Gott allen substantiellen Teilen der Körper
in dieser Welt (§. 303.) zunächst gegenwärtig ist: so ist er
nicht nur der ganzen Welt, sondern auch allen Körpern in derselben aufs innigste gegenwärtig.
§. 713.
Gott ist einer jeden Monade dieser Welt zunächst, und einem jeden Körper
aufs innigste gegenwärtig, (§. 712.) und zwar in einem jeglichen Augenblicke und bei allen ihren Veränderungen. (§. 711.) Folglich ist er im höchsten
Grade gegenwärtig, das ist, allgegenwärtig
(omnipraesens). Wo Gott ist, da ist er
ganz und unzerteilt, (§.
628.) folglich seinem Wesen und seiner Substanz nach (§.
613. 623.) und er ist demnach auf eine unzerteilte
Art allgegenwärtig.
§. 714.
Die Erhaltung aller und jeder Kräfte in dieser Welt mitten in ihrer Tätigkeit
ist die natürliche Mitwirkung Gottes (concursus dei physicus), und sie wird die allgemeine (generalis,
universalis) genannt, weil und insofern sie sich über alle
Veränderungen aller und jeder Substanzen in dieser Welt erstreckt. (§.
711.) Und weil nun alle Mitwirkung Gottes eine freie Handlung ist, (§.
675.) so würde er der Urheber des Formellen einer bösen Handlung
werden, wenn er bei demselben mitwirkte; und er wirkt demnach, bei allen natürlich
und sittlich bösen Handlungen der Geschöpfe mit was ihr Materiales,
nicht aber was ihr Formales betrifft. (§.
701.)
§. 715.
Die sittliche Mitwirkung (concursus
moralis) ist die Mitwirkung der sittlichen Ursache in der engeren
Bedeutung. (§.
701.) Gott macht die Bewegungsgründe zu der Religion wirklich, (§.
705.) folglich wirkt er bei einigen Handlungen in dieser Welt auf eine sittliche
Art mit. Die sittliche Mitwirkung Gottes, wenn sie zu der allgemeinen
hinzukommt, wird die besondere (concursus
dei specialis) genannt. Folglich wirkt er bei einigen Handlungen
in dieser Welt auf eine besondere Art mit. Und da er kein Versucher zum Bösen
ist, (§. 701.) so wirkt er bei dem Formalen
keiner sittlich bösen Handlung mit, weder auf eine sittliche noch auf eine
besondere Art.
§. 716.
Wenn Gott übernatürliche Begebenheiten in dieser Welt hervorbringt,
so kommt diese Handlung Gottes zu seiner besonderen Mitwirkung hinzu, und sie
wird insofern die besonderste Mitwirkung Gottes genannt (concursus
dei specialissimus). Sie ist an sich möglich, (§. 346.)
und auch bedingter Weise in Absicht der Allmacht Gottes, (§.
640.) und so oft in dieser Welt wirklich, so oft in derselben eine Handlung
der Geschöpfe durch die besondere Mitwirkung Gottes nicht in dem Grade
der Güte gewirkt werden kann, als es die Gesetze der besten Welt erfordern. (§.
697. 364.)
§. 717.
Die Regierung oder Führung (gubematio) ist die Handlung,
wodurch nach und nach die Mittel zu einem entfernteren Zwecke wirklich gemacht
werden. Die Zwecke, die Gott bei der Schöpfung der Welt zu seiner Absicht
gehabt hat, hat er auch bei der Erhaltung der Welt und bei seiner Mitwirkung,
und macht sie dadurch nach und nach wirklich. (§.
703. 709. 711.)
Indem wir ihn also als den höchsten Regierer der Welt, und als den
höchsten Führer aller Sachen in der Welt, verehren, so verehren wir
ihn als das Wesen, welches in einem jeden Augenblicke die besten und meisten
durch den kürzesten Weg führenden Mittel zu den besten Zwecken, und
durch dieselben endlich zu dem letzten Zwecke der ganzen Welt, wirklich macht.
Indem Gott durch diese Regierung
1) den Kräften, folglich auch den Handlungen, der Geschöpfe
die gehörigen Schranken setzt, so sagt man daß er Maß und Ziel setze (determinare strictius);
und
2) indem er die Handlungen der Geschöpfe seinen eigenen
Zwecken, um derentwillen sie von den Geschöpfen nicht getan werden, unterordnet,
so sagt man dass er etwas lenke (dirigere
strictius).
§. 718.
Die erste Sünde ist ein Fall, oder ein Sündenfall
(lapsus), und das Vermögen zu fallen (labilitas) ist entweder ein
unbedingtes oder bedingtes. (§. 145.) Das Gegenteil der letzteren ist die
Bestätigung im Guten (confirmatio in
bono). Das unbedingte Vermögen zu fallen gehört zu dem
Wesen eines endlichen Geistes, (§. 35. 597.) und zu dem metaphysischen
Übel desselben, (§. 112.) folglich hat es weder selbst noch sein Gegenteil
einem Geschöpfe anerschaffen werden können.
(§. 695. 625.)
Der Sündenfall ist eine freie Handlung, (§. 587.) folglich
wirkt Gott bei dem Materialen der Sünde mit, nicht aber bei dem Formalen weder auf eine natürliche noch sittliche Art. (§.
714. 715.) Er ist also weder der Urheber noch die sittliche Ursache in
der engeren Bedeutung von dem Sündenfalle. (§.
701.)
§. 719.
Eine jede Sünde und ein jeder Sündenfall ist eine freie Handlung
(§. 718.) folglich an sich zufällig, (§. 529. 518.) folglich
ist das Gegenteil derselben, und also ihre Verhinderung (§. 147.) an sich
möglich. (§. 82.) Folglich hätte Gott allen Sündenfall,
und folglich auch alle Sünden in dieser Welt verhindern können.
(§. 624.)
§. 720.
Die sittliche Verhinderung (impeditio
moralis) ist die Handlung. wodurch die Bewegungsgründe zum
Gegenteile einer freien Handlung gewirkt werden. Gott hat den Geistern die meisten
Bewegungsgründe zu ihrer Glückseligkeit gegeben. (§.
706.) Die Glückseligkeit ist das Gegenteil von der Sünde und dem
Sündenfalle. (§. 586. 587.) Folglich hat Gott alle Sünde und
allen Sündenfall sittlich verhindert.
§. 721.
Eine Verhinderung. die nicht sittlich ist, ist eine natürliche
(impeditio physica). Die Sünde und
der Sündenfall ist eine freie Handlung, (§. 587.) folglich ihrer Verrichtung
nach frei, und natürlicher Weise zufällig. (§. 529. 523.) Folglich
ist, außer der Freiheit des Sünders und seinen Bewegungsgründen,
vieles möglich, dergestalt dass, wenn dasselbe wirklich geworden wäre,
die Sünde und der Sündenfall nicht erfolgt sein würde, (§.
271.) und das sind lauter natürliche Hindernisse derselben. Folglich hätte
Gott durch seine Allmacht alle Sünden, welche
in der Welt wirklich geschehen, natürlich hindern können. (§.
624.)
§. 722.
Wenn man unterlässt etwas zu verhindern, so lässt man es geschehen
(permissio). Die Unterlassung der sittlichen Verhinderung ist die
Erlaubnis (permissio moralis),
und der natürlichen die Zulassung (permissio
physica). Gott hat keine Sünde
in dieser Welt erlaubt, (§. 720.) er lässt
aber einige zu. Nun setze man, daß Gott auch diese Sünden natürlich
verhinderte: so wäre es nicht diese beste Welt, sondern eine andere schlechtere.
(§. 697. 271.)
Folglich lässt Gott alle Sünden in dieser Welt, welche wirklich geschehen,
zu, weil die Welt, in welcher sie zugelassen werden, besser ist, als alle übrige,
und weil sie das beste Mittel der Religion ist. (§.
707. 703.)
§. 723.
Ein sittliches Vermögen ist ein Recht in weiterer Bedeutung
(jus significatu latiori pro qualitate personae sumtum);
und wer ein Recht hat über eine Sache zu beschließen was ihm
gefällig ist, der ist der völlige Eigentümer derselben (plenus dominus). Das völlige Eigentumsrecht über Personen ist die völlige Oberherrschaft (potestas
plena). Gott hat ein Recht zu allen seinen freien Handlungen, weil
sie im höchsten Grade rechtmäßig sind. (§.
674.) Zu denselben gehört der Ratschluss Gottes über die Welt
und alle Teile derselben, samt den Handlungen wodurch er sie wirkt, (§.
696. 708.
711. 717.) Folglich ist Gott der völlige Eigentümer der ganzen Welt und aller
Geschöpfe, und er hat über alle Geister in derselben die völlige
Oberherrschaft.
§. 724.
Wer der völlige Oberherr eines Geistes ist, der hat auch das Recht denselben
zu verpflichten, wie es ihm gefällig ist; folglich hat er auch das Recht
ihm Gesetze zu geben: denn der Urheber der Verbindlichkeit, welche das sittliche
Gesetz enthält, gibt das Gesetz (legem
ferre). Wer das Recht hat Gesetze zu geben ist der Gesetzgeber
(legislator). Folglich ist Gott der Gesetzgeber aller Geister in
dieser Welt. (§. 723.)
§. 725.
Wer unter mehreren Geistern allein über alle übrigen die höchste Macht und Oberherrschaft
hat ist ihr Monarch, und wer zugleich eine völlige Oberherrschaft
hat ist ein unumschränkter Monarch (despotes). Nun hat Gott allein über alle erschaffenen Geister die größte
Macht, (§. 624.) und völlige Oberherrschaft. (§. 723.) Folglich ist seine Monarchie die größte und unumschränkteste,
und alle erschaffene Geister sind seine Untertanen. (§.
630.)
§. 726.
Die Vorsehung
Gottes (prouidentia dei) ist
die Handlung, durch welche er einem jeden erschaffenen Dinge so viel Gutes erweist,
als er vermöge seiner vollkommensten Gütigkeit tun kann. Folglich
übt Gott durch die Erhaltung aller Substanzen dieser Welt, (§.
708. 710.) durch die Mitwirkung, (§. 711.
716.) durch
die sittliche Verhinderung des Bösen, (§.
720.) durch die Zulassung nur desjenigen Bösen dessen natürliche
Verhinderung seinen besten Zwecken nachteilig sein würde,
(§. 722.) und dadurch dass er seinen Untertanen die besten Gesetze
gibt, (§. 724.) eine allgemeine Vorsehung über diese ganze Welt aus. Diese Vorsehung, indem sie insbesondere sich
beschäftigt
1) mit den Triebfedern der endlichen Geister zu ihrer Glückseligkeit,
hat eine Herzenslenkende Kraft (prouidentia
verticordia),
2) mit den Glücks- und Unglücksfällen, ist das
göttliche in dem, was man Glück nennt (fortuna
sancta), und
3) mit dem Guten, was in die Natur eines jeden Geschöpfs
gelegt worden, wird das Göttliche in der Natur genannt
(alma natura).
Der Epikureismus ist die Meinung, nach welcher die Vorsehung Gottes
geleugnet wird, und sie ist ein Irrtum.
Der vierte Abschnitt.
Von den
göttlichen Ratschlüssen.
§. 727.
Der Ratschluss Gottes über die Wirklichkeit dieser Welt ist im höchsten
Grade frei, (§.
696.) folglich wird er durch die deutlichste genaueste und vollkommenste
Erkenntnis aller Teile dieser Welt, und alles Guten und Bösen in derselben
bestimmt, (§. 667.) er ist unveränderlich: (§.
626.) ewig, (§.
633.) und nichts kann ihm widerstehen. (§. 635. 147.) Und wenn man ihn sich auf eine menschliche Art vorstellen will, so kann
man ihn als einen Vernunftschluss betrachten, dessen
1) Obersatz der Vorsatz Gottes
(propositum) ist: der Inbegriff der besten Dinge, die außer Gott zusammen möglich sind,
sei wirklich: (§. 617.
674.)
2) der Untersatz, die göttliche Vorhersehung (praeuisio):
die Welt ist der Inbegriff der besten Dinge, die außer Gott
zusammen möglich sind; (§.
697.)
3) der Schlusssatz, der Ratschluss selbst: es sei also diese
Welt wirklich.
§. 728.
Mehrere Welten als diese, und mehrere endliche Dinge, als welche Teile dieser
Welt sind, sind nicht wirklich, (§. 272.) und Gott hat auch nicht mehr
über die zufälligen Dinge beschlossen, als in dem Ratschlusse über
die Wirklichkeit dieser Welt enthalten ist. (§. 727.)
Dieser Ratschluss Gottes ist also teils ein allgemeiner, insofern er
sich über die Wirklichkeit aller Teile dieser Welt erstreckt, teils ein
einziger insofern außer ihm kein anderer Ratschluss in Gott angetroffen
wird. (§. 59.)
§. 729.
Besondere Ratschlüsse Gottes
(particularia dei decreta) sind entweder die Teile des einzigen
allgemeinen Ratschlusses Gottes, (§. 728.) oder man versteht darunter die ursprünglichen (decreta
dei primitiua), welche entweder dem allgemeinen Ratschlusse entgegengesetzt,
oder wenigstens nicht in ihm begriffen sind. Und dergleichen gibt’s nicht
in Gott. (§. 727.)
§. 730.
Alle Ratschlüsse Gottes sind Handlungen des Willens, welcher den Gegenständen
im höchsten Grad proportioniert ist, (§.
668.) und aufs vollkommenste durch die Wissenschaft des Grades der Vollkommenheit
und Unvollkommenheit in dem Gegenstande bestimmt wird. (§.
667.) Eben dieses kann auch folgendermaßen erwiesen werden. Man setze,
dass die vorhergesehene Vollkommenheit und Unvollkommenheit eines Gegenstandes
gar nicht der Bewegungsgrund gewesen, warum ihn Gott beschlossen: so hat Gott
dieselbe entweder gar nicht erkannt, welches wider §.
653. oder er hat von derselben abstrahiert, welches wider §.
645. oder diese Erkenntnis ist zwar die deutlichste aber tot, welches wider §. 665.
§. 731.
Wenn man durch einen unbedingten Ratschluss Gottes
(decretum dei absolutum) einen solchen versteht, dessen Bewegungsgrund
die vorhergesehene Vollkommenheit oder Unvollkommenheit des Gegenstandes nicht
gewesen, und durch einen bedingten (hypotheticum) welcher durch die erkannte
Vollkommenheit oder Unvollkommenheit des Gegenstandes bestimmt wird: so sind
alle Ratschlüsse Gottes über zufällige Dinge bedingt, und keiner
derselben ist unbedingt. (§. 730.) Die
Vorherbestimmung
(praedestinatio latius dicta)
ist ein jeder Ratschluss Gottes, so lange sein Gegenstand noch zukünftig
ist, die Gnadenwahl (praedestinatio
strictius dicta) ist der Ratschluss Gottes über die ewige Glückseligkeit
eines Geistes, und die Verwerfung
(reprobatio) ist der Ratschluss Gottes über die ewige Unglückseligkeit
eines Geistes. Alle diese Ratschlüsse sind bedingt; und es ist so wohl
die Meinung, welche überhaupt unbedingte Ratschlüsse Gottes über
zufällige Dinge behauptet (absolutismus theologicus),
als auch die Meinung, welche eine unbedingte Gnadenwahl und Verwerfung annimmt (praedestinatianismus), ein Irrtum.
Der fünfte Abschnitt.
Von der Offenbarung Gottes.
§. 732.
Die Offenbarung in der weiteren Bedeutung (reuelatio
latius dicta) ist die Bezeichnung des göttlichen Sinnes, welche
von Gott den Geschöpfen geschehen ist. Folglich werden durch die göttliche Offenbarung die
Geschöpfe von der göttlichen Erkenntnis und dem göttlichen Wollen
unterrichtet, niemals aber können sie dieselben dadurch völlig erkennen, (§. 642.) sondern
nur jederzeit so viel von beiden, als es der Vorsehung gefällt. (§.
726.)
§. 733.
Gott ist der Urheber der ganzen Natur. (§. 701. 338.) Was also ein Geschöpf durch seine Natur aus der ganzen Natur von
dem göttlichen Sinne erkennt, das erkennt es durch die göttliche Offenbarung,
(§. 732.) welche die natürliche ist, (§. 340.) z. E. die
natürliche Theologie. (§. 594.) Alle endliche Dinge sind Mittel der
Erkenntnis des göttlichen Sinnes, (§. 636.
617.) alle
Vorstellungskräfte dieser Welt bezeichnen ihren vollkommensten und weisesten
Schöpfer, (§. 693.) und selbst die Seele ist eine Vorstellungskraft
ihres Gottes. (§. 546. 548.) Folglich wird der menschlichen Seele durch
sich selbst, durch alle Monaden denen sie gegenwärtig ist, durch alle Körper
und durch alle ihre Sinne, der göttliche Sinn natürlich offenbart;
durch die Nutzen aller und jeder Dinge die Zwecke Gottes; (§.
704.) und
durch die Erkenntnis des Besten sein Wille. (§.
668. 727.)
§. 734.
Die Offenbarung in der engeren Bedeutung (reuelatio
strictus dicta) ist die den Menschen geschehene übernatürliche
Offenbarung Gottes durch eine Rede. Sie gehört zu der besondersten Mitwirkung
Gottes, und ist nicht nur an sich und durch die Allmacht Gottes bedingter Weise
möglich, sondern auch in dieser Welt wirklich, so oft die Religion durch
die bloß natürliche Offenbarung nicht eben so gut gewirkt werden
kann. (§. 707.
716.)
§. 735.
Man setze, dass in dieser Welt
1) eine bloß natürliche Offenbarung gewissen Geschöpfen,
z. E. den Menschen, geschehen könne, und daß unter eben denselben
Umständen diese Offenbarung eben diesen Geschöpfen übernatürlich
geschehen könne, und dass die letzte weitläufiger, wichtiger, klarer,
richtiger, gewisser und lebendiger sei, als die erste;
2) eine gewisse Bezeichnung des göttlichen Sinnes zu der
Religion unentbehrlich sei und dass sie zwar übernatürlich aber nicht natürlich geschehen könne:
so wird in beiden Fällen eine übernatürliche Offenbarung in dieser
Welt geschehen. (§. 697. 365.)
§. 736.
Die Offenbarung in der engeren Bedeutung, welche den Geschöpfen solche
Sachen bekannt macht, die sie natürlicher Weise gar nicht erkennen können,
ist die Offenbarung in der engsten Bedeutung
(reuelatio strictissime dicta). Eine jede Erkenntnis des göttlichen
Sinnes demnach, welche in dieser Welt zu der Religion unentbehrlich ist, und
von gewissen Geschöpfen in natürlicher Weise nicht erlangt werden
kann, wird in derselben durch die Offenbarung in der engsten Bedeutung gewirkt. (§. 735.)
§. 737.
Wenn etwas für eine göttliche Offenbarung in der engeren Bedeutung
gehalten wird, und demohnerachtet die Religion nicht in einem höheren Grade
befördert, auch weder eine weitläufigere, noch wichtigere, noch klarere,
noch richtigere, noch gewissere, noch lebendigere Erkenntnis des göttlichen
Sinnes verschafft, als die natürliche: so ist es keine göttliche Offenbarung
in der engeren Bedeutung. (§. 735. 363.)
§. 738.
In dem göttlichen Sinne ist kein Widerspruch.
(§. 617.) Was
also der natürlichen Offenbarung in der Tat widerspricht ist keine
göttliche Offenbarung, weder in der
engen noch in der engsten Bedeutung. (§. 733. 734.
736.) Da also beide letztere der natürlichen nicht widersprechen
können: so können sie auch der Vernunft, wenn sie für ihren Gegenstand
genommen wird, und insofern sie von der gesunden Vernunft der Menschen erkannt
wird, nicht widersprechen. (§. 473.)
§. 739.
Der Inhalt des heiligen Glaubens (fides
sacra objectiue sumta) ist der Inbegriff alles desjenigen, was um
der Offenbarung im engeren Verstande willen für wahr gehalten werden muss,
und der heilige Glaube (fides sacra
subjectiue sumta) ist der Beifall, den man dieser Offenbarung gibt.
Folglich gehören zu diesem Glauben nicht bloß solche Sachen und Wahrheiten,
die von den Geschöpfen natürlicher Weise nicht erkannt werden können, (§. 735.) und
der Inhalt des heiligen
Glaubens, insofern
er von den Menschen durch diesen Glauben für wahr gehalten wird, widerspricht
nicht dem Gegenstande der Vernunft, insofern er von der gesunden menschlichen
Vernunft erkannt wird. (§. 738.)
§. 740.
Die Offenbarung im engeren Verstande bezeichnet Sachen, die im höchsten
Grade möglich sind, und wahr. (§.
734. 617.) Nun ist alles was wider die Vernunft ist, unmöglich; (§. 471.) folglich
ist weder die Offenbarung in der engeren noch in der engsten Bedeutung noch
der Inhalt des heiligen Glaubens wider die Vernunft. Was wider die Vernunft
ist, das ist weder die Offenbarung in der engeren noch in der engsten Bedeutung,
noch ein Inhalt des heiligen Glaubens.
§. 741.
Heilige Geheimnisse (mysteria sacra)
sind dasjenige in dem Inhalte des heiligen
Glaubens, was über die Vernunft der Geschöpfe erhöht ist. In
aller Offenbarung in der engsten Bedeutung sind Geheimnisse, (§. 736.
472.) folglich sind sie der Offenbarung im engeren Verstande nicht zuwider,
und auch nicht wider die Vernunft.
§. 742.
Gott ist in aller seiner Offenbarung im höchsten Grade aufrichtig,
(§. 686.) und wenn also seine Weisheit die Rede für das bequemste
Zeichen seinen Sinn den Menschen zu entdecken hält, so macht er dieselbe
übernatürlich wirklich, er offenbart sich im engeren Verstande, und
ist in dieser Offenbarung im höchsten Grade wahrhaftig. (§.
686.) Bei aller Offenbarung im engeren und engsten Verstande ist Gott ein
Zeuge, der nicht nur im höchsten Grade aufrichtig, sondern auch tüchtig, (§. 664.) folglich
im höchsten Grade glaubwürdig ist, dessen Offenbarung im engeren Verstande
die höchste Gewissheit des Glaubens gibt
§. 743.
Ein Gottesleugner (atheus theoreticus)
leugnet die Wirklichkeit Gottes, und er irrt. (§.
609. 638.)
Ein Naturalist im engeren Verstande leugnet die Wirklichkeit der göttlichen
Offenbarung im engeren Verstande in dieser Welt. Weder der Naturalismus in dieser noch in der weiteren Bedeutung setzt notwendig die Gottesleugnung.
(§. 365.) Und wenn ein Naturalist im engeren Verstande die übernatürliche
Offenbarung leugnet:
1) weil sie eine übernatürliche Begebenheit ist, und sie ihm deshalb
unmöglich zu sein scheint, so irrt er; (§.
734.)
2) weil er glaubt, dass der Inhalt des heiligen Glaubens unvernünftig und
also schlechterdings unmöglich sei, so irrt er: (§.
740.)
3) weil er die göttliche Vorsehung über das menschliche Geschlecht
leugnet, so irrt er ebenfalls, (§.
736.) aus eigener Schuld (§. 733.
734.) und
ist nicht genugsam der unendlichen Gütigkeit Gottes eingedenk. (§.
676.) S. 201-247
Aus: Alexander Gottlieb Baumgarten, Metaphysik. Ins Deutsche
übersetzt von Georg Friedrich Meier. Grundlage: Dietrich Schlegl Reprints
2004. Der in Philos-Website enthaltene Text wurde vom Herausgeber behutsam an
die heutige Schreibweise angeglichen.