Hans Bender (1907 – 1991)

Deutscher Psychologe, der von 1950—76 das von ihm gegründete Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg leitete. Bender beschäftigte sich mit der wissenschaftlichen Erforschung parapsychologischer Phänomene. Parapsychologie ist die Wissenschaft von okkulten – außerhalb der normalen Wahrnehmbarkeit der fünf Sinne - liegenden, übersinnlichen Erscheinungen, wie z. B. Hellsehen, Vorauswissen zukünftiger Ereignisse (Präkognition), Gedankenlesen (Telepathie) und Bewegung durch reine Gedankenkraft (Telekinese). Werke: »Parapsychologie« 1966; »Unser 6. Sinn«, 1971.

Siehe auch Wikipedia


Wunder und Magie als Wege der Heilung

Die Stuttgarter Gemeinschaft »Arzt und Seelsorger« hat im Frühjahr und Herbst letzten Jahres eine Tagung über dasselbe Thema veranstaltet, über das ich in dieser Reihe zu berichten habe. Nicht von biblischen Heilungsberichten oder den Heilmethoden primitiver Medizinmänner war auf dieser Stuttgarter Tagung die Rede, sondern von der Gegenwart, von unserer heutigen Situation, von der Tatsache, daß einerseits alljährlich Tausende von Kranken nach dem Wallfahrtsort Lourdes pilgern und andererseits vielleicht ebenso viele ihr Heil bei therapeutischen Methoden suchen, die man als »magische« zu bezeichnen pflegt.

Viele Gespräche mit Theologen über das Heilungswunder im religiösen Sinne ermutigen mich, mit diesem schwierigsten Aspekt unseres Themas zu beginnen. Ich hatte vor einigen Jahren Gelegenheit, bei einer Konferenz über »Unorthodoxes Heilen« in Saint-Paul-de-Vence den verstorbenen Direktor des ärztlichen Feststellungsbüros in Lourdes, Dr. med. Leuret, kennenzulernen. Er hielt das Eröffnungsreferat und demonstrierte an Hand der Krankengeschichten und klinischen Unterlagen eine Reihe von Heilungen, die von der kanonischen Kommission als »Wunder« anerkannt worden sind. Strenge Kriterien müssen erfüllt sein, damit die Anerkennung erfolgt. So wird die Sofortigkeit, Totalität und Permanenz gefordert und außerdem als wesentliches Merkmal: die Unerklärbarkeit nach den Maßstäben der medizinischen Wissenschaft. Die kanonische Kommission urteilt auf Grund von Gutachten eines ärztlichen Gremiums aus bekannten Medizinern. Bis 1954 sind von vielen Tausenden von Fällen nur 49 als echte Wunderheilungen bestätigt worden. Neben diesen besonderen Fällen stehen, wie Leuret ausführte, zahlreiche Besserungen und Heilungen mit einem normalen Verlauf. Die Wunderheilung einer Patientin Jeanne Fretel am 8. Oktober 1948 sei als Modell eines gut fundierten Falles berichtet: Die Kranke litt seit zehn Jahren an einer tuberkulösen Bauchfellentzündung und war seit drei Jahren ohne Unterbrechung im Hospital von Rennes bettlägerig. Der behandelnde Arzt teilt mit, daß sie von August bis zu ihrer Pilgerfahrt zunehmend verfiel, Blut und Eiter brach, ständig schwankende Temperatur zwischen 36 und 40 Grad zeigte und schließlich noch Symptome einer Hirnhautentzündung auswies. Sie erhielt jeden Tag drei- bis viermal Morphium. In völliger Erschöpfung brachte man sie nach Lourdes. An der Grotte konnte sie zum erstenmal aufsitzen. Sie wurde in das Hospital zurückgebracht, wo sie eine reichhaltige Mahlzeit, wie sie seit Jahren nicht gegessen hatte, einnahm. Am nächsten Tage stellte sie sich dem Medizinischen Büro vor, zeigte, daß sie gehen konnte. Es wurde festgestellt — und tags darauf vom behandelnden Arzt bestätigt — daß keine pathologischen Zeichen mehr vorhanden waren. Sie gewann rasch an Gewicht und konnte nach einiger Zeit ohne Rückfälle einen Beruf ausüben. Die mit der Vorprüfung beauftragte Nationale Ärztekommission in Paris kam 1950 zu dem Schluß, daß eine unerklärliche Heilung vorliege. Von Kritikern sind auch bei diesem Fall gewisse Mängel der Dokumentation beanstandet worden — die bakteriologischen Unterlagen sollen nicht genügend sein —, doch wird von keiner Seite bestritten, daß es sich um eine erstaunliche objektive Veränderung eines schweren organischen Leidens handelt, und nicht etwa ein hysterisches Zustandsbild anzunehmen ist.

Die Schwierigkeit des Wunderbegriffs sei an einer Anekdote veranschaulicht, die ich Dr. Leuret verdanke: In einem Falle, der alle für eine Wunderheilung notwendigen Kriterien zu erfüllen schien, genügte allein der Hinweis der ärztlichen Kommission, »der Heilungsvorgang sei nach dem gegenwärtigen Stand der Medizin unerklärlich«, um die Anerkennung als Wunder auszuschließen. Das Beziehungssystem ist hier offenbar unser Wissen von vertrauten körperlichen und psychischen Vorgängen, die sich einem Erklärungszusammenhang fügen. Wie steht es aber, muß man fragen, in diesem Hinblick mit den eigentümlichen Phänomenen, die früher als okkulte Erscheinungen bezeichnet und die von der modernen Parapsychologie zum Teil mit Laboratoriumsmethoden nachgewiesen wurden: mit den Fähigkeiten einer sogenannten außersinnlichen Wahrnehmung (Telepathie, Hellsehen und Prophetie), bei denen die Psyche Raum und Zeit zu transzendieren scheint, und den allerdings noch umstrittenen Vorgängen der sogenannten Psychokinese, der direkten psychischen Wirkungen auf Körperliches?

Die fraglichen Erscheinungen, die die gewohnten natürlichen Abläufe zu durchbrechen scheinen und daher oft als übernatürlich bezeichnet werden, schienen in Jahrhunderten naiven Glaubens ausgespannt zwischen dem Wunder, das Ehrfurcht und Demut erweckte, und dem Teuflisch-Dämonischen, das mit Grauen erfüllte. Die Parapsychologie bezeichnet sie als natürliche Phänomene, die sich aber in die bekannte Naturordnung nicht einfügen lassen. Physiker, die zur Parapsychologie positiv Stellung genommen haben, sind sich darüber einig, daß die behaupteten Phänomene nicht erklärbar sind. So äußerte PASQUAL JORDAN in seiner Abhandlung »Komplementarität und Verdrängung«, die Parapsychologie müsse die Physik als Erklärungsgrundlage aufgeben, und WOLFGANG PAULI, überzeugt von der nicht-kausalen Struktur der paranormalen Vorgänge, weist in einem Aufsatz in »Dialectica«, Zeitschrift für Philosophie der Erkenntnis (1954), darauf hin, daß »erkenntnistheoretische apriori-Gründe nicht ausreichen dürften, um die Existenz der außersinnlichen Wahrnehmung abzu-lehnen«. In diesen Stellungnahmen kommt zum Ausdruck, daß der Erfahrungsbereich der Physik von einigen ihrer führenden Vertreter nicht mehr als der allein mögliche und gültige angesehen wird, eine Auffassung, die in die Diskussion über das Wunder einbezogen werden muß. Die Maßstäbe, die anzulegen sind, um zu bestimmen, wann ein Geschehen »extra ordinem totius naturae« (außerhalb der Naturordnung) erfolgt, werden fraglich. Es drängt sich in diesem Zusammenhang der Gedanke an das Wort des Augustin auf, der in »De Civitate Dei« schrieb: »Ein Wunder geschieht nicht im Widerspruch zur Natur, sondern im Widerspruch zu dem, was wir von der Natur wissen.« Völlig unberührt bleibt von diesen Überlegungen der Zeichencharakter des Wunders, für seinen Sinn entscheidend ist der »religiöse Kontext«, die Kraft und Echtheit des Glaubens, die Situation, in der es geschieht und wirkt.

Es gibt eigentümliche Wege der Heilung, die zwischen dem religiösen Bereich wundertätiger Orte und dem »magischen« außergewöhnlicher menschlicher Fähigkeiten zu stehen scheinen. Der weit über Italien, sein Heimatland, hinaus bekannte Pater Pio, ein seit 35 Jahren stigmatisierter Kapuziner, wird im Kloster San Giovanni Rotondo in Apulien von unzähligen Pilgern aus aller Welt aufgesucht. Er hat ein großes Spital, die »Casa Sollievo di Sofferenza« gegründet. Die Legende schreibt ihm die Kraft der Bilokation zu: er soll gleichzeitig an mehreren Orten Wunder wirkend erscheinen können, wenn er angerufen wird, und den Beichtenden verborgene Geheimnisse auf den Kopf zusagen.

Ich habe einen typischen Fall angeblicher »Fernheilung« durch zwei Mitarbeiter meines Instituts in Viareggio untersuchen lassen. Ein italienischer Handwerker hatte 1940 einen Arbeitsunfall erlitten, als dessen Folge ein Defekt der Lendenwirbelsäule festgestellt wurde. Mit Hilfe eines Gipskorsettes war er beschränkt arbeitsfähig. 1950 brach er beim Heben eines schweren Gegenstandes plötzlich zusammen und wurde infolge einer Lähmung und Empfindungslosigkeit der Beine dauernd bettlägerig. Er wurde von mehreren Fachärzten untersucht, die zwar eine organische Schädigung feststellten, jedoch zu keiner eindeutigen Diagnose kommen konnten. Zur Erneuerung seiner Gehaltsansprüche sollte er, entsprechend der italienischen Gesetzgebung, einmal wenigstens auf seinem Arbeitsplatz erscheinen. Wegen der Lähmung war er jedoch dazu außerstande. Trotz seiner Abneigung gegen religiöse Dinge brachten ihm Freunde am Vorabend des kritischen Termins ein Buch über Pater Pio. Auf das Drängen seiner Frau besah er sich die Photographie des Wundertäters und sagte mehr im Spott als im Ernst: »Wenn du schon so viele Wunder gewirkt hast, dann hilf doch auch mir.« im selben Augenblick sah er einen Kapuziner ins Zimmer treten und hörte die Worte: »Steh auf, dir fehlt nichts mehr.« Die Erscheinung verschwand, im Zimmer blieb ein Liliengeruch. Trotz des Widerspruchs seiner Frau, die nichts wahrgenommen hatte, stand er auf, konnte gehen und leistete am nächsten Tage den Anwesenheitsakt. Seither ist er geheilt. Der behandelnde Arzt äußerte in einer uns gegebenen schriftlichen Erklärung, daß er diese plötzliche Heilung nach langer ergebnisloser Behandlung sich nicht erklären könne. Ein Jahr später fuhr der Patient zu Pater Pio. Bei der Beichte sagte ihm dieser sofort: »Du kommst aus Viareggio« und las — in den Worten des Patienten — gewissermaßen von der Tischplatte vor sich eine Sünde ab, über die der Beichtende noch mit keinem Menschen gesprochen hatte.

Medizinisch kann dieser Fall nicht beurteilt werden, da eine eindeutige Diagnose fehlt. Eine funktionelle Störung, vielleicht auf hysterischer Basis, ist nicht auszuschließen. Als typischer Bericht möge dieser Fall die eigentümliche Mischung religiöser und magischer Komponenten zeigen: trotz der nach außen zur Schau getragenen Ungläubigkeit vollzieht sich der Heilungsvorgang im Rahmen der religiösen Erwartung. Psychologisch reduziert kann die Erscheinung aufgefaßt werden als die halluzinatorische Erfüllung einer affektiven Erwartungsspannung, eingekleidet in magische Vorstellungen der »Bilokation« und der Wahrnehmung eines Wohlgeruchs. Die Kenntnis von der Herkunft des Patienten und der nicht gebeichteten Sünde, die Pater Pio bei der Begegnung im Kloster bewies, könnte telepathisch zustande gekommen sein. Ein solches »Wissen um verborgene Dinge«, das den Nimbus des Wunderbaren erhöht, entspricht durchaus den Beobachtungen, die auch in der nüchternen Atmosphäre des Laboratoriums an Medien gemacht werden können.

Die eigentümliche Erscheinung des Paters Pio verquickt das religiöse Numinosum schon mit besonderen, an die Person eines Heilers geknüpften Fähigkeiten. Eine weitere Akzentverschiebung zeigt sich in der säkularisierten Bewegung der sogenannten »Geistigen Heilung« — einer zur pragmatischen Schulmedizin oppositionellen Laientherapie, deren Vertreter das Attribut »geistig« vor allem deshalb betonen, um ihr Heilverfahren von der »psychischen« Suggestionsheilung abzuheben. Den verschiedenartigen Richtungen ist gemeinsam, daß die bei der »geistigen Heilung« angenommenen bewirkenden Ursachen in eine übersinnliche Sphäre verlegt werden und sich mehr oder weniger deutlich an religiöse oder quasi-religiöse Gehalte anlehnen. In den letzten Jahren bildete sich in Deutschland ein vergänglicher Mythos um die zwielichtige Gestalt von Bruno Gröning, der »im Namen Gottes altes Blut in neues zu verwandeln« glaubte und der sich als begnadeter Vermittler beauftragt fühlte, die geheilten Menschen zu Gott zurückzuführen. Was sich unter diesem Deckmantel des scheinbar Religiösen abspielte, ist der Öffentlichkeit sattsam bekannt. Doch wäre es falsch, in Gröning, der eine Zeitlang eine hysterische Massenbewegung entfachte, den Prototyp eines »geistigen Heilers« zu sehen. Er ist ein abschreckendes Beispiel, dem Persönlichkeiten, wie etwa Francesco Racanelli in Italien und andere gegenübergestellt werden können, die ihre Grenzen kennen und sich nicht gegen die Medizin stellen.

Man darf die sozialhygienische Bedeutung der Tatsache nicht übersehen, daß Laientherapien wie die geistige Heilung eine außerordentliche Resonanz finden und also einem Bedürfnis zu entsprechen scheinen. Die Gründe liegen auf der Hand: die naturwissenschaftliche Medizin mit ihrem ständig wachsenden Apparat, der vor allem in neuzeitlichen Krankenhäusern Diagnose und Therapie in eine Vielzahl von Funktionen zerlegt, ist in Gefahr, im Patienten die lähmende Empfindung des Objektseins zu verstärken, die schon durch die Tatsache der Er-krankung gegeben ist. Der kranke Mensch fühlt sich der Behandlung gegenüber oft nur noch als Gegenstand. In seiner Not weicht er aus und sucht Heilung auf anderen, irrationalen Wegen.

Es lag nahe, einmal eine Untersuchung durchzuführen, um diese soziologischen Hintergründe genauer zu erfassen und darüber hinaus einen Einblick in die Methode und die Erfolge von Laienbehandlern zu gewinnen, die sich als »geistige Heiler« bezeichnen. Eine Gelegenheit bot sich, als sich Dr. rer. POl. KURT TRAMPLER, der seit einigen Jahren in mehreren Städten Deutschlands eine stark frequentierte Praxis als geistiger Heiler ausübt, sich zu einer Untersuchung zur Verfügung stellte. Gemeinsam mit der Medizinischen Poliklinik der Universität Freiburg hat das von mir geleitete Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene 650 Patienten medizinisch und psychologisch erfaßt und in einer nachgehenden Kontrolle bis zu 14 Monaten die Wirkungen der Behandlung untersucht. Meine Mitarbeiterin, Dr. INGE STRAUCH, hat einen vorläufigen Bericht über die Auswertung in der Zeitschrift für Parapsychologie im September 1958 veröffentlicht. Das soziologische Bild der Patientengruppe zeigte nur wenige hervortretende Auffälligkeiten: es kamen weit mehr Frauen als Männer, vier Fünftel der Patienten waren älter als 40 Jahre, die Verteilung der Konfession entsprach dem Freiburger Raum: drei Viertel waren katholisch, 60 % gaben an, daß sie regelmäßig den Gottesdienst besuchen. Innerhalb der Berufskreise zeigten sich gegenüber den normalen Prozentsätzen keine Besonderheiten. Weitaus der größte Teil der Patienten waren chronisch Kranke, die von der schulmedizinischen Behandlung keine entscheidende Besserung mehr erwarten konnten. Diese Tatsache spiegelt sich in den Motiven, die für das Aufsuchen des geistigen Heilers angegeben wurden: die Hälfte entschied sich für die Sparte »alles probieren« des Fragebogens, 26 % für »Die Medizin kann nicht helfen«, 13 % erklärten sich als von den Ärzten enttäuscht, und der Rest lehnte entweder aus weltanschaulichen Gründen die Schulmedizin ab oder kam aus Sensation und Wunderglauben. Unter den Krankheiten standen die Herz-, Kreislauf- und Gefäßerkrankungen an der Spitze, dann folgten Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. Mehr als zwei Drittel der Leiden waren organischer Natur, die überwiegend funktionell bedingten traten mit nur 11 % stark zurück. Die nachgehende Kontrolle ergab, daß 60 % eine subjektive Besserung ihrer Beschwerden fest-stellten, die von einer Hebung des Allgemeinbefindens bis zu einer deutlichen Steigerung der Leistungsfähigkeit reichte. So konnten etwa durch einen Gelenkrheumatismus bewegungsbehinderte Patienten nach einiger Übung wieder besser laufen und hantieren. In einem besonders markanten Fall beobachteten wir, daß eine Patientin, die an einer Arthrose des Kniegelenks litt und an Krücken nur wenige Schritte gehen konnte, nach zwei Behandlungen schmerzfrei wurde und seither ohne Schwierigkeiten lange Wege unternimmt. Der organische Befund ist derselbe geblieben. Neben den subjektiven, für die Kranken oft wesentlichen Besserungen steht eine weit geringere Zahl von objektiven Veränderungen.

Um das vielschichtige Phänomen solcher »Glaubensheilungen« zu verstehen, muß sowohl der Glaube des Heilers als der Glaube des Kranken untersucht werden. Dr. TRAMPLER beginnt seine Behandlung mit einem Vortrag vor den versammelten Patienten, in dem er Krankheit als eine Störung der Verbindung zu den göttlichen Schöpfungskräften bezeichnet, von denen das Gleichgewicht der Lebenskräfte abhängt. Diesem Vortrag, aus dem jeder das ihn Ansprechendste heraushören kann, folgt ein persönliches Gespräch mit jedem einzelnen Patienten, dessen Beschwerden Dr. TRAMPLER nachempfinden will, wie Pater Pio die Sünden seiner Beichtkinder. Die Kranken erhalten Stanniolfolien, die zuvor in Dr. TRAMPLERS Hand »durchströmt« werden. Ihre Wirkung bleibt, wie die Nachbefragung ergab, bei den meisten Patienten nicht aus, auch erklären drei Viertel der Patienten, die sich jeden Abend auf die zu einer bestimmten Zeit erfolgende viertelstündliche »Fernbehandlung« einstellen, besondere Sensationen, wie Wärme, Strömen, Kribbeln, Beruhigung oder ein Nachlassen der Beschwerden zu empfinden.

Die Analyse des Glaubens der Patienten zeigte, daß Übertragungsvorgänge und Glaubensbereitschaften wirksam sind, die sich — wie Dr. STRAUCH es formulierte — weit weniger auf den Menschen Trampler als auf die von ihm verkündete Mission richten, die weiträumig genug ist, um verschiedenste Vorstellungen und Erwartungen aufzunehmen.

Es werden Glaubenskräfte aktiviert, die alle Abstufungen von der Belebung eines echten religiösen Vertrauens über eine verschwommene magische Wundererwartung bis zu der schlichten Überzeugung annehmen können, daß von hier eben Hilfe kommen wird. Es ließ sich statistisch beweisen, daß ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der je spezifischen Form der Glaubenseinstellung des Patienten vor dem Kontakt mit dem »Geistigen Heiler« und dem Enderfolg nachzuweisen ist. Wir fragten die Patienten vor der Begegnung mit Dr. TRAMPLER, wie sie sich den Vorgang einer »Geistigen Heilung« erklären. Bei den Patienten, die dafür »Strahlen« verantwortlich machten, war die ebenfalls erfragte Heilungserwartung am größten, ebenso die während der Behandlung auftretenden positiven Reaktionen und schließlich die in der Nachbeobachtung ermittelten subjektiven oder vereinzelten objektiven Besserungen. Am geringsten waren die Prozentwerte bei den Kranken, die Suggestion als Wirkungsweg annahmen. Die Vorstellung, daß »Strahlen« Heilung oder Besserung bewirken, ist offenbar Ausdruck einer naiveren Einstellung als die rationalisierende Zurückführung der geistigen Heilung auf Suggestion. Sie umfaßt zugleich irrationale biologische Wirkungen und mystische Einflüsse, die ja auf Heiligenbildern vielfach durch Strahlen dargestellt werden.

Die Analyse der Glaubensbereitschaft des Patienten kann nun bei diesen Feststellungen nicht haltmachen. Man muß weiter untersuchen, mit welchen Persönlichkeitsmerkmalen positive Reaktionen auf die psychische Einwirkung, bzw. das Fehlen von Reaktionen verbunden sind. Die Feststellung von Strukturtypen, die in je ähnlicher Weise reagieren, ist das Hauptanliegen der psychologischen Seite unserer Untersuchung. Ergebnisse, die noch nicht spruchreif für ein abschließendes Urteil sind, zeichnen sich ab. In mancher Hinsicht scheinen sie zu bestätigen, was neuerdings über die Haltung des Patienten gegenüber dem Medikament ermittelt wurde. Ich meine die sogenannten Placebo-Untersuchungen, die unter dem Stichwort »Magie in der modernen Medizin« lebhaft und mit einem gewissen Unbehagen der rein naturwissenschaftlich eingestellten Ärzte diskutiert werden. Als »Placebo« (d. h. sinngemäß: wie es gefällt) bezeichnet man unwirksame, neutrale Mittel — etwa die bloße Trägermasse einer Arznei ohne deren Wirksubstanz —, die echten Medikamenten in Form, Farbe und Geschmack völlig gleichen. In »doppeltem Blindversuch« (weder Patient noch Arzt wissen von der getarnten Arznei) erhält der Kranke ein solches Placebo. Die Untersuchungen haben ergeben, daß bei bestimmten Leiden (Magengeschwüre, Asthma, Migräne, Muskelrheumatismus, Beschwerden nach Operationen u.a.m.) viele Patienten auf das Placebo genauso positiv reagieren, wie auf das echte Medikament. Selbst Morphium konnte durch destilliertes Wasser ersetzt werden. Durch psychologische Tests hat man gefunden, daß die positiven Placeboreaktoren in ihrer Gefühlsveranlagung labiler als die negativen sind, weiter, daß sie einen besseren sozialen Kontakt haben, sich mehr mit dem Zustand ihres Körpers beschäftigen und — daß sie häufiger in die Kirche gehen. Ähnlich wie die Placebos können bei naiven Patienten geheimnisvolle Außenseitermethoden und selbst der instrumentale Apparat, Röntgenaufnahmen etc. wirken. Das »Magische ist mitten unter uns«, schließt der Hamburger Internist ARTHUR JORES aus diesen Tatsachen, die sich kaum von der Haltung der Menschen primitiver Kulturen unterscheiden. Bezeichnet man solche Wirkungen als »magische«, wird allerdings der Begriff Magie gleichgesetzt mit dem »subjektiv Eindrucksvollen«, und das »Numinose« wird ausgeklammert. Angesichts der Schwierigkeiten einer Begriffsbestimmung des Magischen erklärte sich JORES in seiner Auseinandersetzung mit KIBLER in der Zeitschrift »Hippokrates« bereit, das Wort »magische Heilung« durch »Heilung aus dem Glauben« zu ersetzen.

Ich möchte abschließend einen mir wichtig erscheinenden Akzent des Begriffes »magisch« an einem Experiment erläutern, das der Hamburger Arzt Dr. REHDER gegen die Rede von Wunderheilungen und den Anspruch einer »Fernbehandlung« richtete. Er vereinbarte mit Dr. TRAMPLER eine »Fernbehandlung« von drei schwerkranken, bisher erfolglos therapierten Patienten seiner Klinik. Die Kranken wußten nichts davon, die Termine verstrichen, ohne daß eine Wirkung zu beobachten war. Dann gab Dr. REHDER den Patienten das Buch Dr. TRAMPLERS »Lebenserneuerung durch den Geist« zu lesen, machte sie mit den Alumini-umfolien bekannt, erzählte von den Wunderheilungen in Lourdes und kündigte eine fiktive »Fernbehandlung« zu einer bestimmten Stunde an. Die Erfolge waren überraschend: Eine gallenkranke Patientin wurde sofort schmerzfrei und konnte bald entlassen werden. Sie mußte aber nach einem Jahr an Gallensteinen operiert werden. Eine zweite Patientin in einem post-operativen Erschöpfungszustand mit extremer Abmagerung und totaler Obstipation erreichte in kürzester Zeit eine volle und dauerhafte Heilung, eine dritte Kranke verlor in wenigen Tagen ihre Krebsödeme und fühlte sich wohl, starb aber einige Zeit später an dem Karzinom. Dr. REHDER zog aus diesen Beobachtungen die Folgerung: der durch eine beliebige Einrede hervorgerufene Glaube des Patienten sei ausreichend, um die von ihm selbst zugegebenen außergewöhnlichen Wirkungen befriedigend zu erklären. Ich halte das Phänomen für komplizierter. Abgesehen davon, daß immerhin das in seiner Wirksamkeit bewährte Gedankengut von Dr. TRAMPLER und außerdem die Wunderheilungen von Lourdes als »Einrede« verwendet wurde, scheint mir Dr. REHDER einen entscheidenden Faktor zu übersehen: nämlich die Bedeutung des affektiven, gefühlsgeladenen Feldes, in dem Glaube induziert wird. In der Situation des aufklärenden Gegenexperimentes war in dem Operator eine besondere affektive Spannung entstanden, eine numinose, sozusagen »manageladene Emotion«, durch die die Glaubensbereitschaft der Patienten hervorgerufen wurde. Entscheidend ist das Wechselseitige (Reziproke) der affektiven Beziehung. Ich meine, daß seelische Bewirkungen besonderen Ausmaßes, die man geneigt wäre als »magische« zu bezeichnen, von einem besonderen affektiven Zustand abhängig sind und sich dadurch von der routinemäßig ausgeübten Suggestion unterscheiden. Aus der parapsychologischen Forschung wissen wir, daß sich auch die unerklärbaren, paranormalen Fähigkeiten der Psyche nur in einem solchen affektiven Feld entfalten. Ob allerdings die von allen geistigen Heilern behaupteten okkulten Wirkungen in der Beziehung zum Patienten und bei dem Erfolg der Heilbemühungen wirklich hin und wieder eine Rolle spielen, ist nicht bewiesen worden.
S.135ff.
Kröner, Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 255, Wege der Heilung, Eine Vortragsreihe. Das Heidelberger Studio, eine Sendereihe des Süddeutschen Rundfunks
Copyright 1959 by Alfred Kröner Verlag Stuttgart. Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlages, Stuttgart