George Berkeley (1685 – 1753)
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Irischer
Philosoph und Theologe, der seit 1734 Bischof von Cloyne in Irland war. Berkeley vertrat
einen idealistisch-spiritualistischen Sensualismus, der eine unabhängig von der Wahrnehmung bestehende Außenwelt leugnet. Gegenüber Isaac
Newton hielt er die teleologische Erklärung der Naturerscheinungen
aufrecht und leugnete den Gedanken der Absolutheit von Zeit, Raum und Bewegung.
Er gründete die Ethik auf die Religion und vertrat die Übereinstimmung von Glauben und wissenschaftlicher Erkenntnis. Kurz: Die sinnliche Welt
hat nach seiner Auffassung kein eigenständiges, unabhängiges,
wirkliches Dasein, sondern befindet sich in einem »unendlichen
allgegenwärtigen seelischen Wesen (infinit omnipresent
spirit), das sie enthält und trägt«. Dieser »allweise Geist«, der »alles in allem bewirkt und durch den alles besteht«, erzeugt »in jedem Augenblick all die sinnlichen
Eindrücke«, die der Mensch wahrnimmt. Aus
der »Mannigfaltigkeit, Ordnung und Beschaffenheit« der
sinnlichen Eindrücke schließt er, »dass ihr
Urheber unermesslich weise, mächtig und gut ist«. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
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Inhaltsverzeichnis
Über
Gott, welcher der Urheber der Natur ist und als höchste Intelligenz und
allweiser Geist alles in allem bewirkt.
Ein unendlicher
allgegenwärtiger Geist enthält die sinnliche Welt, der zugleich alle
sinnlichen Eindrücke hervorbringt, die der Mensch wahrnimmt
Über
Gott, welcher der Urheber der Natur ist und als höchste Intelligenz und
allweiser Geist alles in allem bewirkt.
aus: Eine Abhandlung über die Prinzipien
der Philosophie
§ 62. [...]
Es gibt gewisse allgemeine Gesetze, die durch die ganze Kette von Naturerfolgen
hindurchgehen; diese lernt man durch Beobachtung und Studium der Natur kennen
und wendet sie an ebensowohl zur Bildung von Kunstprodukten zum Zweck des Nutzens
und Schmuckes des Lebens wie zur Erklärung der verschiedenen Phänomene;
diese Erklärung besteht nur darin, dass man die Übereinstimmung
nachweist, in welcher irgendeine einzelne Erscheinung mit den allgemeinen Gesetzen
der Natur steht, oder, was dasselbe ist, dass man die
Gleichmäßigkeit entdeckt, mit welcher die natürlichen
Wirkungen erfolgen; dies wird jedem einleuchten, der auf die verschiedenen Fälle
achtet, in denen Philosophen von Naturerscheinungen Rechenschaft zu geben behaupten.
Daß ein großer Nutzen in diesen regelmäßigen, konstanten
Weisen des Handelns liegt, welche der höchste Wirkende
beobachtet, ist in § 31 gezeigt worden. Auch
ist es nicht weniger einleuchtend, dass eine bestimmte Größe,
Figur, Bewegung und Anordnung von Teilen erforderlich ist, obschon nicht absolut
zur Hervorbringung irgendeiner Wirkung, so doch zu ihrer Hervorbringung gemäß
den beständigen mechanischen Gesetzen der Natur. So kann z. B. nicht geleugnet
werden, dass Gott oder die höchste Intelligenz, welche den geordneten Lauf der Dinge aufrechterhält und beherrscht, falls
er ein Wunder tun wollte, alle die Bewegungen, die über dem Zifferblatt
einer Uhr erfolgen, hervorbringen könnte, auch wenn niemand das Getriebe
bearbeitet und eingefügt hätte; will er aber gemäß den
Gesetzen des Mechanismus handeln, die von ihm zu weisen Zwecken bei der Schöpfung
begründet sind und aufrechterhalten werden, so ist es notwendig, dass
jene Handlungen des Uhrmachers, die Anfertigung und angemessene Einrichtung
des Getriebes, der Hervorbringung der erwähnten Bewegungen vorausgehen,
ebenso wie auch, dass irgendwelche Unregelmäßigkeit in diesen
Bewegungen verbunden ist mit der Wahrnehmung irgendwelcher Unordnung im Getriebe,
nach deren Beseitigung alles wieder in Ordnung ist.
§ 63. Es kann in der Tat bei gewissen
Anlässen erforderlich sein, dass der Urheber
der Natur seine oberherrliche Macht bekunde durch Hervorbringung einer
Erscheinung außerhalb der geordneten Reihe der Dinge. Solche Ausnahmen
von den allgemeinen Gesetzen der Natur sind geeignet zu überraschen und
die Menschen zur ehrerbietigen Anerkennung des Daseins
Gottes zu bringen; aber dann darf von diesem
Mittel nur selten Gebrauch gemacht werden, weil andernfalls zu erwarten steht,
dass es seine Wirkung verfehlt. Zudem will Gott,
so scheint es, lieber unsere Vernunft von seinen Eigenschaften durch die Werke
der Natur überzeugen, die so viele Harmonie
und Kunst in ihrem Bau bekunden und so deutlich die Weisheit
und Güte ihres Urhebers bezeugen, als uns durch Erregung von Erstaunen
mittels außerordentlicher und überraschender Ereignisse zum Glauben
an sein Dasein bringen. ( S.59-61)
§ 75. Es ist
ein sehr auffälliger Beweis der Stärke des Vorurteils und etwas sehr
Beklagenswertes, dass der Geist der Menschen trotz aller Vernunftevidenz
eine so große Vorliebe für ein stupides gedankenloses Etwas behält, durch dessen Einschiebung er sich, wenn ich so
sagen darf, gegen die göttliche Vorsehung decken und Gott weiter von den
Angelegenheiten der Welt entfernen möchte. Aber mögen wir auch das
Äußerste tun, was wir können, um den Glauben an eine Materie zu sichern, mögen wir auch versuchen, wenn Vernunftgründe uns im Stich
lassen, unsere Meinung auf die bloße Möglichkeit des Dinges zu gründen,
und mögen wir dabei auch, um diese bloße Möglichkeit herauszubringen,
unserer Phantasie den vollen Spielraum gestatten, den sie findet, wenn sie nicht
durch die Vernunft geleitet wird, so ist doch das Endresultat nur, dass es gewisse unbekannte Ideen im
Geiste Gottes gibt; denn dies, wenn überhaupt irgend etwas, ist alles,
was ich als den Sinn von Veranlassung in bezug auf Gott zu verstehen
vermag. Und dies heißt im Grunde nicht länger für die Sache,
sondern für den Namen kämpfen.
§ 76. Ob es nun solche Ideen
im Geiste Gottes gebe, und ob sie durch den Namen Materie
zu bezeichnen seien, darüber werde ich nicht streiten. Aber
wenn ihr festhaltet an dem Begriff einer undenkenden Substanz oder eines Trägers
von Ausdehnung, Bewegung und anderen sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften, dann
finde ich es offenbar unmöglich, dass ein solches Ding existiert,
denn es ist ein voller Widerspruch, dass jene Eigenschaften in einer nicht perzipierenden Substanz existieren oder durch eine solche getragen werden. (
S.67-68)
§ 146. Aber obwohl es einige Dinge gibt, die uns davon überzeugen, dass die Wirksamkeit menschlicher Wesen an ihrer Hervorbringung beteiligt sei, so ist es doch einem Jeden klar, dass die Dinge, welche wir Naturprodukte nennen, d.h. der weitaus größere Teil der von uns perzipierten Ideen oder Sinneswahrnehmungen, nicht durch menschliche Willensakte hervorgebracht oder von ihnen abhängig ist. Es existiert also ein anderer Geist, der sie verursacht, da die Annahme, dass sie durch sich selbst bestehen, einen Widerspruch in sich schließen würde. (Siehe § 29.) Wenn wir aber aufmerksam jene beständige Regelmäßigkeit, Ordnung und Verkettung der Naturobjekte betrachten, die erstaunliche Pracht, Schönheit und Vollkommenheit der größeren und die höchste Kunst in der Bildung der kleineren Teile der Schöpfung, zugleich mit der genauen Übereinstimmung und dem Zusammenhang aller Teile des Ganzen, und vor Allem die niemals genug bewunderten Gesetze des Schmerzes und der Lust und die Instinkte oder Naturtriebe, Bestrebungen und Affekte der Tiere: wenn wir, sage ich, dieses alles in Betracht ziehen und gleichzeitig den Sinn und die Bedeutung der Attribute »Eins, ewig, unendlich weise, gut und vollkommen« beachten, so werden wir klar erkennen, dass sie dem vorhin erwähnten Geiste angehören, der alles in allem wirkt und durch den alles besteht.
§ 147. Hieraus leuchtet ein, dass Gott eben so gewiss und unmittelbar erkannt wird, wie irgend ein anderes psychisches Wesen oder ein Geist, welcher es auch sei, der von uns selbst verschieden ist. Wir dürfen sogar behaupten, dass die Existenz Gottes weit einleuchtender perzipiert (perceived) werde, als die Existenz von Menschen, weil die Naturwirkungen unendlich zahlreicher und beträchtlicher sind, als die, welche Menschen zugeschrieben werden. Es gibt durchaus kein Merkmal, das einen Menschen oder eine von ihm hervorgebrachte Wirkung bekundet, und das nicht noch strenger das Sein jenes Geistes erwiese, welcher der Urheber der Natur ist. Denn es leuchtet ein, dass bei der Affizierung anderer Personen der Wille eines Menschen kein anderes Objekt hat, als nur die Bewegung der Glieder seines Leibes; daß aber eine solche Bewegung von irgend einer Idee im Geiste eines Andern begleitet sei oder dieselbe hervorruft, hängt gänzlich von dem Willen des Schöpfers ab. Er allein ist der, welcher, da er alle Dinge trägt durch das Wort seiner Macht, jene Beziehung zwischen Geistern aufrecht erhält, wodurch sie fähig sind, ihre Existenz gegenseitig zu erkennen. Dieses reine und helle Licht aber, welches Jeglichen erleuchtet, ist selbst unsichtbar.
§ 148. Die
Menge gedankenloser Personen scheint ganz allgemein vorzuschützen, dass
man Gott nicht sehen könne. Könnten wir ihn nur sehen, sagen diese
Leute, wie wir einen Menschen sehen, so würden wir glauben, dass er
sei, und auf Grund dieses Glaubens seinen Geboten gehorchen. Aber ach! wir brauchen
ja nur unsere Augen zu öffnen, um den Oberherrn aller
Dinge in vollerem Maße und mit höherer Klarheit zu schauen,
als irgend eines unserer Mitgeschöpfe. Ich stelle mir nicht vor, dass
wir (wie Einige wollen) Gott durch einen direkten und unmittelbaren Anblick
sehen, oder daß wir körperliche Dinge nicht durch sich selbst sehen,
sondern durch das, was sie im Wesen Gottes repräsentiert, welche Lehre,
wie ich bekennen muß, mir unverständlich ist. Doch ich will meine
Meinung erläutern. Ein menschlicher Geist, eine menschliche Person, wird
nicht sinnlich perzipiert, da er nicht eine Idee ist; sehen wir also die Farbe,
Größe, Gestalt und die Bewegungen eines Menschen, so perzipieren
wir nur gewisse Sinneswahrnehmungen oder Ideen in unseren eigenen Geistern,
und da sich diese unserem Blick in mehreren besonderen Gruppen darstellen, so
dienen sie dazu, uns die Existenz von endlichen und geschaffenen Geistern, die
uns selbst ähnlich sind, anzuzeigen. Hieraus ist klar, daß wir nicht
einen Menschen sehen, wenn unter Mensch etwas uns Ähnliches, das
lebt, sich bewegt, wahrnimmt und denkt, verstanden wird, sondern nur einen solchen
Ideenkomplex, der uns anleitet zu denken, daß ein besonderes Denk- und
Bewegungsprinzip, welches uns selbst gleicht, damit zugleich vorhanden und dadurch
repräsentiert ist. In derselben Weise sehen wir Gott; der ganze Unterschied
liegt darin, daß, während irgend eine endliche und begrenzte Gruppe
von Ideen einen einzelnen menschlichen Geist anzeigt, wir jederzeit und überall,
wohin wir auch unsere Blicke richten mögen, deutliche Spuren der Gottheit
erblicken, da jedes Ding, das wir sehen, hören, fühlen oder irgendwie
sinnlich wahrnehmen, ein Zeichen oder eine Wirkung der göttlichen Macht
ist, in eben der Weise, wie unsere Perzeptionen der von Menschen hervorgebrachten
Bewegungen uns als Zeichen dienen.
§ 149. Es ist also klar,
dass nichts offenbarer für jeden, der des geringsten Nachdenkens fähig
ist, sein kann, als die Existenz Gottes oder eines Geistes, der unseren Geistern
innerlich gegenwärtig ist, indem er in ihnen alle jene Mannigfaltigkeit
von Ideen oder Sinneswahrnehmungen hervorbringt, die uns beständig affizieren,
eines Geistes, von dem wir absolut und gänzlich abhängig sind, kurz, »in dem wir leben, weben und sind«. Dass zur Entdeckung dieser großen Wahrheit, die dem Geiste so nahe
liegt und so zugänglich ist, nur die Vernunft so weniger gelangt, ist ein
betrübender Beweis der Stumpfheit und Unaufmerksamkeit der Menschen, die,
obschon sie rings umgeben sind von so klaren Selbstbezeugungen der Gottheit,
doch so wenig davon ergriffen werden, daß es scheint, als seien sie gleichsam
geblendet durch ein Übermaß von Licht.
§ 150. Aber, werdet ihr sagen,
hat denn die Natur keinen Anteil an der Hervorbringung von Naturobjekten und
müssen sie alle der unmittelbaren und alleinigen Wirksamkeit Gottes zugeschrieben
werden? Ich antworte: wird unter Natur nur verstanden die sichtbare
Reihe von Wirkungen oder von Sinneswahrnehmungen, welche nach gewissen
feststehenden und allgemeinen Gesetzen unserem Geist eingeprägt sind: dann
ist klar, daß die Natur in diesem Sinne des Wortes überhaupt nichts
hervorbringen kann. Wird aber unter Natur ein sowohl von Gott als auch
von den Naturgesetzen und sinnlich perzipierten Dingen verschiedenes Wesen verstanden,
so muß ich gestehen, daß mir dann dieses Wort ein leerer Schall
ohne irgendeine verständliche Bedeutung ist. Natur in diesem Sinne ist
ein eitles Wahngebilde, welches die Heiden aufgebracht haben, die keinen richtigen
Begriff von der Allgegenwart und unendlichen Vollkommenheit Gottes besaßen.
Unerklärlicher aber ist, daß es Eingang finden konnte unter Christen,
welche an die heilige Schrift zu glauben bekannten, die doch beständig
der unmittelbaren Hand Gottes jene Wirkungen zuschreibt, welche die heidnischen
Philosophen als Wirkungen der Natur zu erklären pflegen. »Der
Herr zieht die Nebel auf vom Ende der Erde; er macht die Blitze im Regen und
läßt den Wind kommen aus verborgenen Orten« (Jerem.
X, 13). »Er macht aus der Finsternis den
Morgen und aus dem Tage die finstere Nacht«(Amos
V, 8). »Du suchst das Land heim und wässerst
es und machst es sehr reich. Du segnest sein Gewächs, und krönst das
Jahr mit deiner Güte. Die Anger sind voll Schafe, und die Auen stehen dick
mit Korn« (Psalm LXV, 10—14). Obschon dies aber die beständige Sprache der Schrift ist, so haben wir
doch, ich weiß nicht was für eine Abneigung zu glauben, daß
Gott sich so direkt mit unseren Angelegenheiten befasse. Gern möchten wir
ihn in einem großen Abstand von uns denken und eine blinde, nichtdenkende
Vertretung an seine Stelle setzen, obschon (wenn wir dem
hl. Paulus glauben dürfen) »er
nicht fern ist von einem jeglichen unter uns«.
§ 151 Es wird ohne Zweifel
entgegnet werden, die langsame und allmähliche Weise, die sich bei der
Entstehung von Naturobjekten beobachten lasse, scheine zu ihrer Ursache nicht
die unmittelbare Hand eines allmächtigen
wirkenden Wesens zu haben. Zudem sind Monstra, unzeitige
Geburten, nicht zur Entwicklung gelangte Früchte, Regen in Wüsteneien,
Unglücksfälle, die das menschliche Leben treffen, ebenso viele Argumente
dafür, daß der gesamte Bau der Natur nicht unmittelbar durch einen
Geist von unendlicher Weisheit und Güte
bewirkt und beaufsichtigt werde. Die Antwort aber auf diesen Einwurf liegt
großenteils schon in § 62 vor: es ist
offenbar, daß die vorerwähnten Wirkungsweisen der Natur durchaus
erforderlich sind zu dem Zweck, nach den einfachsten und allgemeinsten Gesetzen
und auf eine gleichförmige und beständige Weise zu wirken, was für
Gottes Weisheit und Güte zeugt. Solcher Art ist die
kunstvolle Einrichtung des großen Mechanismus der Natur, dass, während
ihre Bewegungen und mannigfachen Erscheinungen unsere Sinnen treffen, die Hand
selbst, welche das Ganze bewirkt, den Menschen aus Fleisch und Blut nicht wahrnehmbar
ist. »Fürwahr« (sagt
der Prophet) »Du
bist ein verborgener Gott« (Jesaias
XLV, 15). Aber wiewohl Gott sich den Sinnlichen und Trägen verbirgt,
die sich nicht im Geringsten mit Denken bemühen wollen, so kann doch dem
vorurteilslosen und aufmerksamen Geiste nichts deutlicher erkennbar sein, als
die Gegenwart eines allweisen Geistes im Innersten
der Dinge, der das System alles Seienden gestaltet, ordnet und aufrecht
erhält. Es ist nach dem, was wir an anderen Stellen bemerkt haben, offenbar,
dass das Wirken nach allgemeinen und feststehenden Gesetzen so notwendig
zu unserer Leitung in den Geschäften des Lebens und Einweihung in das Geheimnis
der Natur ist, dass ohne dies auch der umfassendste Verstand, aller menschliche
Scharfsinn und alle Überlegung zu gar keinem Zwecke dienen könnten;
es wäre sogar unmöglich, dass es solche Vermögen oder Kräfte
im Geiste gäbe. Diese eine Rücksicht wiegt reichlich alle einzelnen
Unzuträglichkeiten auf, die aus der Gesetzmäßigkeit hervorgehen
mögen. (S.109-113)
Aus: George Berkeley: Eine Abhandlung über die
Prinzipien der menschlichen Erkenntnis (S.59-61, 67-68, 109-110-113)
Felix Meiner Verlag, Philosophische Bibliothek, Band 20
Ein
unendlicher allgegenwärtiger Geist enthält die sinnliche Welt, der
zugleich alle sinnlichen Eindrücke hervorbringt, die der Mensch wahrnimmt
Aus dem zweiten Dialog zwischen Hylas und Philonous
Philonous: Ich bestreite, dir in den Ansichten, die zum Skeptizismus
führen, zugestimmt zu haben. Du allerdings behauptetest, dass die Wirklichkeit sinnlicher Dinge in einem absoluten
Dasein außerhalb des Geistes von Seelenwesen existierte
oder in etwas anderem, als wie sie wahrgenommen werden. Und nach dieser Auffassung
der Wirklichkeit bist du gezwungen, sinnlichen Dingen jedes wirkliche Dasein
abzusprechen, d. h. nach deiner eigenen Erklärung bekennst du, ein Skeptiker
zu sein. Aber weder sagte noch meinte ich, dass die Wirklichkeit sinnlicher
Dinge in dieser Art erklärt werden müsse. Mir ist es aus den Gründen,
mit denen du einverstanden bist, klar, dass sinnliche Dinge nicht anders
als in einem Geist oder Seelenwesen existieren können. Hieraus schließe
ich nicht, daß sie kein wirkliches Dasein haben, sondern in Anbetracht,
daß sie nicht von meinen Gedanken abhängen und ein von meinem Wahrnehmen
verschiedenes Dasein führen, dass es irgendeinen
anderen Geist geben muß, in dem sie existieren. So sicher also die sinnliche
Welt wirklich existiert, so sicher gibt es ein unendliches allgegenwärtiges
seelisches Wesen (infinite omnipresent spirit), das sie enthält und trägt.
Hylas: Wie denn? Dies ist weiter nichts, als was ich und alle Christen
behaupten; ja sogar alle anderen, die glauben, es gebe einen Gott und er kenne
und begreife alle Dinge.
Philonous: Ja, aber der Unterschied liegt darin: die Menschen glauben gewöhnlich,
daß Gott alle Dinge bekannt sind oder von ihm wahrgenommen werden, weil
sie an das Dasein eines Gottes glauben; während ich umgekehrt auf das Dasein
eines Gottes unmittelbar und notwendig schließe, weil alle sinnlichen
Dinge von ihm wahrgenommen werden müssen.
Hylas: Aber solange wir alle dasselbe glauben, was liegt daran, wie wir
zu diesem Glauben kommen?
Philonous: Wir teilen aber auch nicht die gleiche Meinung. Denn obwohl die
Philosophen anerkennen, dass alle körperlichen Wesen von Gott wahrgenommen
werden, schreiben sie ihnen dennoch ein absolutes Sein zu, das davon unterschieden
sein soll, daß sie von irgendeinem Geist wahrgenommen werden; und das
tue ich nicht. Gibt es denn außerdem keinen Unterschied zwischen dem Satz: Es gibt einen Gott, deshalb nimmt er alle
Dinge wahr, und dem Satz: Sinnliche Dinge existieren wirklich; und wenn sie
wirklich existieren, werden sie notwendig von einem unendlichen Geist wahrgenommen;
also gibt es einen unendlichen Geist oder Gott? Dies liefert dir einen direkten und unmittelbaren Beweis aus einem
höchst einleuchtenden Grundsatz für das Dasein
eines Gottes. Theologen
und Philosophen haben aus der Schönheit und Zweckmäßigkeit der
verschiedenen Teile der Schöpfung unbestreitbar bewiesen, dass sie
Gottes Werk ist. Dass aber — alle Hilfe der Astronomie und Naturphilosophie,
alle Betrachtung der Planmäßigkeit, Anordnung und Einrichtung der
Dinge beiseite gelassen — ein unendlicher Geist aus dem bloßen
Dasein der sinnlichen Welt notwendig
zu erschließen wäre, das ist freilich nur für diejenigen von
Vorteil, die folgende leichte Überlegung angestellt haben: die sinnliche
Welt ist die, welche wir durch unsere einzelnen Sinne wahrnehmen; durch die
Sinne wird nichts wahrgenommen außer Vorstellungen; und keine Vorstellung
noch das Urbild einer Vorstellung kann anders als in einem Geist existieren.
Du kannst nun dem eifrigsten Verfechter des Atheismus ohne alles mühsame
Forschen in den Wissenschaften, ohne alle Spitzfindigkeit der Vernunft oder
ermüdend lange Untersuchungen entgegentreten und ihn vernichten. Jene jämmerlichen
Behelfe, wo man entweder eine ewige Aufeinanderfolge ungeistiger Ursachen und
Wirkungen oder ein zufälliges Zusammentreffen von Atomen annimmt, jene
Ausgeburten der Phantasie eines Vanini, Hobbes, Spinoza — mit einem Wort
das ganze Gebäude des Atheismus —, wird es nicht völlig über
den Haufen geworfen durch die einzige Erwägung, welch ein Widersinn in
der Annahme liege, daß das Ganze oder ein Teil, selbst der roheste und
formloseste der sichtbaren Welt, unabhängig von einem Geist existieren
könne? Laß nur einen dieser Anstifter zur Gottlosigkeit in seine
eigenen Gedanken blicken und dann versuchen, ob er begreifen kann, wie auch
nur ein Fels, eine Wüste, ein Chaos oder Durcheinander von Atomen, wie
überhaupt irgend etwas, Sinnliches oder Erdenkbares, unabhängig von
einem Geist existieren kann, und dies wird genügen, ihn von seiner Narrheit
zu überzeugen. Kann man anständiger handeln, als einen Streit so entscheiden
und jemandem die Probe selbst überlassen, ob er auch nur in Gedanken begreifen
kann, was er tatsächlich für wahr hält, und dem in der Vorstellung
Vorhandenen ein wirkliches Dasein zugestehen?
Hylas: Es lässt sich nicht leugnen, was du aufstellst, nützt
der Religion in hohem Maße. Aber meinst du nicht, dass es der Auffassung
einiger hervorragender neuerer Denker sehr ähnlich ist: dass wir alle Dinge in Gott sehen?
Philonous: Gern würde ich diese Ansicht kennenlernen; bitte, erkläre
sie mir.
Hylas: Sie stellen sich vor, dass die Seele als etwas Immaterielles
nicht imstande ist, eine Verbindung mit materiellen Dingen einzugehen, sodass
sie dieselben an sich wahrnähme, aber sie nähme sie durch ihre Verbindung
mit der göttlichen Substanz wahr, die als seelisch deshalb rein verstandesgemäß
erkennbar oder fähig ist, der unmittelbare Gegenstand der Gedanken eines
Seelenwesens zu werden. Überdies enthält das göttliche Wesen
Vollkommenheiten in sich, die jedem erschaffenen Wesen entsprechen, und diese
sind deshalb geeignet, solche Wesen dem Geiste zu zeigen und darzustellen.
Philonous: Ich verstehe nicht, wie unsere Vorstellungen, die durchaus leidende
und untätige (inert) Dinge sind, die Wesen oder einen Teil oder etwas von
einem Teil Ähnliches von dem Wesen oder der Substanz Gottes ausmachen können,
der ein nichtleidendes, nichtteilbares, bloß tätiges Wesen ist. Diese
Hypothese setzt sich auf den ersten Blick noch viel mehr Schwierigkeiten und
Einwürfen aus, aber ich will nur hinzufügen, dass sie denselben
Sinnlosigkeiten wie die gewöhnliche unterworfen ist: nämlich eine
geschaffene Welt anders als in dem Geist eines Seelenwesens existieren zu lassen.
Abgesehen von alledem hat sie noch diese Besonderheit an sich, daß nach
ihr die materielle Welt keinem Zwecke dient. Und wenn es als ein guter Beweisgrund
gegen andere wissenschaftliche Hypothesen gilt, dass sie die Natur oder
göttliche Weisheit irgendwie zwecklos machen oder dies durch ein Verfahren
ermüdender Umwege erreichen lassen, was auf weit leichterem und kürzerem
Wege hätte ausgeführt werden können, was sollen wir von solcher
Hypothese denken, die die ganze Welt umsonst geschaffen sein lässt?
Hylas: Doch sage, bist du nicht auch der Meinung, dass wir alle Dinge
in Gott sehen? Wenn ich mich nicht irre, kommt deine Auffassung dem nahe.
Philonous: Wenige Leute denken, aber alle haben eine Meinung. Daher sind
die Meinungen der Menschen oberflächlich und verworren. Es ist gar nicht
seltsam, dass an sich noch so verschiedene Sätze nichtsdestoweniger
verwechselt werden von denen, die sie nicht aufmerksam erwägen. Es wird
mich also nicht überraschen, wenn manche sich einbilden, ich würde
in die Schwärmerei des Malebranche hineingeraten; in Wirklichkeit jedoch
bin ich weit davon entfernt. Er stützt sich auf die abstraktesten allgemeinen
Vorstellungen, die ich völlig verwerfe. Er bejaht eine absolute Außenwelt,
die ich verneine. Er behauptet, daß wir von unseren Sinnen getäuscht
werden und nicht die wirkliche Natur oder die wahren Formen und Gestalten ausgedehnter
Wesen kennen; von alledem halte ich gerade das Gegenteil aufrecht. Im ganzen
gibt es keine so grundsätzlich entgegengesetzten Lehren wie seine und meine.
Es ist wahr, dass ich völlig mit dem, was die Heilige Schrift sagt,
übereinstimme: »dass wir in Gott leben, weben
und sind«; aber dass wir Dinge in Gott sehen nach der beschriebenen
Art und Weise, das zu glauben liegt mir fern. Hier in Kürze meine Meinung.
— Offensichtlich sind die Dinge, die ich wahrnehme, meine eigenen Vorstellungen,
und keine Vorstellung kann anders als in einem Geist existieren. Nicht weniger
klar ist, dass diese Vorstellungen oder von mir wahrgenommenen Dinge, entweder
sie selbst oder ihre Urbilder, unabhängig von meinem Geist existieren;
weiß ich doch, dass ich selbst nicht ihr Urheber bin, da es nicht
in meiner Macht steht, nach Belieben zu bestimmen, welche besonderen Vorstellungen
in mir beim Öffnen meiner Augen und Ohren hervorgerufen werden sollen.
Sie müssen also in einem anderen Geist existieren, dessen Wille es ist,
dass sie mir gezeigt würden. Die unmittelbar wahrgenommenen Dinge,
sage ich, sind Vorstellungen oder Empfindungen, nenne sie wie du magst. Aber
wie kann eine Vorstellung oder Empfindung in etwas anderem als einem Geist oder
Seelenwesen existieren oder von demselben hervorgebracht werden? Dies ist allerdings
unbegreiflich; und etwas Unbegreifliches behaupten heißt sinnlos reden.
Nicht?
Hylas: Zweifellos.
Philonous: Aber andererseits ist es sehr begreiflich, dass sie in einem
Seelenwesen existieren und von ihm hervorgebracht werden sollten; denn dies
ist nichts weiter, als was ich täglich in mir selbst erfahre, indem ich
zahllose Vorstellungen wahrnehme, durch einen Akt meines Willens eine große
Mannigfaltigkeit von ihnen bilden und sie in meine Einbildung (imagination)
erheben kann; freilich sind — das muss man zugeben — diese
Gebilde der Einbildungskraft (fancy) nicht ganz so deutlich, stark, lebhaft
und beständig wie die mit meinen Sinnen wahrgenommenen — welche letzteren
wirkliche Dinge heißen. Aus alledem schließe ich, es
gibt einen Geist, der in mir in jedem Augenblick all die sinnlichen Eindrücke,
die ich wahrnehme, hervorbringt. Und aus ihrer Mannigfaltigkeit, Ordnung
und Beschaffenheit schließe ich, dass ihr Urheber unermesslich
weise, mächtig und gut ist. Merke wohl, ich behaupte nicht: ich sehe die Dinge durch die
Wahrnehmung dessen, was sie in der geistigen Substanz Gottes vorstellen. Dies
verstehe ich nicht; aber ich behaupte, die von mir wahrgenommenen Dinge werden
von dem Verstand eines unendlichen Seelenwesens gewusst und durch dessen
Willen hervorgebracht. Und ist dies alles nicht völlig klar und einleuchtend?
Enthält es doch nur das, was wir durch bloße Beobachtung unseres
eigenen Geistes und dem, was in ihm vor sich geht, uns nicht nur vorstellen
können, sondern zwangsläufig anerkennen müssen.
Hylas: : Ich glaube, ich begreife dich jetzt völlig und gestehe,
dass der Beweis einer Gottheit, wie du ihn gibst, ebenso einleuchtet wie
überrascht. Aber zugestanden, dass Gott die oberste und allgemeine
Ursache aller Dinge ist — könnte es nicht doch noch eine dritte Art
der Natur außer Seelenwesen und Vorstellungen geben? Können wir nicht
eine untergeordnete und beschränkte Ursache unserer Vorstellungen zulassen?
Mit einem Wort, kann nicht trotz alledem Materie
existieren?
Philonous: Wie oft muss ich dasselbe einschärfen? Du gibst zu,
dass die durch die Sinne unmittelbar wahrgenommenen Dinge nirgends unabhängig
vom Geist existieren; aber nichts wird durch die Sinne anders als unmittelbar
wahrgenommen; deshalb gibt es nichts Sinnliches, das unabhängig vom Geist
existiert. Die Materie also, auf der du noch bestehst, ist vermutlich ein Gedankending (something intelligible), etwas durch die Vernunft und nicht durch die Sinne
Erkanntes.
Hyl.: Da hast du recht.
Aus: George Berkeley: Drei Dialoge zwischen Hylas
und Philnonous (S.70-76)
Felix Meiner Verlag, Philosophische Bibliothek, Band 102