Günther Bornkamm (1905 – 1990)

Deutscher evangelischer Theologe, der sich nach seiner Promotion und Assistentenzeit bei Rudolf Bultmann im Jahre 1934 in Königsberg habilitierte. Im so genannten »Dritten Reich« wurde ihm die »venia legendi« entzogen. 1946 war er als ordentlicher Professor für neutestamentliche Theologie in Göttingen und ab 1948 in Heidelberg tätig. Bei kritischer Interpretation des Neuen Testaments hält Bornkamm an der »Vorgegebenbeit des biblischen Wortes« fest.

Siehe auch Wikipedia


Inhaltsverzeichnis

Der Schöpfungsglaube der Christen

Christus
Die soziale Botschaft Jesu

Der Schöpfungsglaube der Christen

Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie — schon in dieser Themaformulierung zeichnet sich eine Wandlung im Verhältnis des christlichen Glaubens zur Naturwissenschaft ab, die gegenüber einer noch nicht weit zurückliegenden Zeit keineswegs selbstverständlich ist. Noch vor 70—80 Jahren hätten die maßgeblichen Vertreter von Theologie und Naturwissenschaft nicht so friedfertig, sondern aggressiv und polemisch formuliert: Schöpfungsglaube oder Entwicklungslehre hätte das Thema gelautet. Dieses Entweder — Oder schied Glauben und Wissenschaft in unversöhnliche Fronten; es bezeichnete die Parolen eines von beiden Seiten her grimmig geführten Kampfes, der zu den notvollsten Erscheinungen der neueren Geistesgeschichte gehört.

Die Gründe dieses schweren Konfliktes sind offenkundig. Sie liegen in der geschichtlich so überaus wirksam gewordenen, von manchem noch heute romantisch wiederersehnten Einheit von Glauben und Welterkenntnis, die dem christlichen Altertum und Mittelalter selbstverständlich war. Die autoritativen Quellen des christlichen Glaubens waren in dieser Zeit auch die autoritativen Normen für die Erkenntnis der Natur und der Geschichte. Wir begreifen von daher das in der Geschichte der Naturwissenschaft nicht von Anfang an, aber zunehmend stärker werdende Pathos einer Gesinnung, die gegen diese Tradition und die aus ihr überkommenen Autoritäten rebellierte und die Fundamente des christlichen Glaubens überhaupt zu erschüttern versuchte. Offenbarung und Weltbild der Bibel waren für sie eine so unauflösliche Einheit, daß mir Notwendigkeit der Durchbruch des freigewordenen menschlichen Geistes zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zugleich den revolutionären Angriff gegen Offenbarung und Glauben bedeutete. Daß der Konflikt nicht sofort und überall zutage trat, dass es vielfache Möglichkeiten und Wege gab, ihn zu verdecken, und mannigfaltige Ausgleiche versucht wurden, braucht uns hier nicht zu beschäftigen.
Das Ergebnis war jedenfalls das heillose Auseinanderbrechen und die tödliche Feindschaft von Wissenschaft und Glauben, von der wir alle noch zur Genüge wissen.


So schieden sich also die Fronten: auf der einen Seite eine Wissenschaft, die heimlich oder offen sich selbst als eine Art Weltanschauung und Religionsersatz verstand oder mindestens von ihren Anbetern als solche verstanden wurde, und auf der anderen Seite die Religion, ein längst überfälliges, verstaubtes Erbe des Mittelalters, ein Produkt des »durch heiligen Wahnsinn verfinsterten Menschengeistes« (Dubois-Reymond).

Jeder von uns weiß, wie sehr mindestens unser durchschnittliches Volksbewusstsein in ungeklärten Tiefen oder auch sehr grell und deutlich auf seiner Oberfläche noch von diesem Konflikte bestimmt ist, welche giftigen Früchte noch heute etwa die Gottlosen-Propaganda im Osten aus ihm zu züchten und zu ernten vermag, aber auch welchen inneren Zwiespalt er in Geist und Herz vieler Christen noch immer erweckt. Sie wollen ihren Glauben nicht preisgeben und können ihn doch mit dem, was wissenschaftliche Erkenntnis ihnen sagt, nicht in Einklang bringen. Kein Kundiger kann bestreiten, dass die Theologie sich den hier aufgebrochenen Fragen weithin redlich gestellt hat. Freilich kann auch das andere nicht geleugnet werden, dass sie oft genug auch mit einer fragwürdigen Apologetik die alte, traditionelle Gleichsetzung von Offenbarung und Weltbild der Bibel zu verteidigen suchte und mit dem fadenscheinigen Hinweis auf die Widersprüche in den Ergebnissen der Wissenschaft und ihren hypothetischen, ungesicherten Charakter vorerst noch einen Aufschub herauszuschlagen sich bemühte. Die fatale Folge war dann freilich nicht selten, daß die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung nur einige Posttage später auch bei ihr angekommen waren und mindestens eine stillschweigende Korrektur ihres Weltbildes nötig machten. Was sich hier in der Auseinandersetzung einer bestimmten fragwürdigen Theologie mit der Naturwissenschaft abspielte, hat übrigens sein genaues Gegenbild auch in ihrer Auseinandersetzung mit der Geschichtswissenschaft. Doch soll darüber hier nicht weiter gesprochen werden.

Wir sind, so sagten wir eingangs, heute über dieses heillose Stadium der Auseinandersetzung hinaus. Das ist, als Erfahrungsurteil genommen, vielleicht zuviel gesagt. So schnell wird ja keiner von uns die Gewichte los, mit denen eine lange Geschichte uns behängt hat. Und doch dürfen wir in dem gegenwärtigen Gespräch zwischen Glauben und Naturwissenschaft eine höchst erfreuliche Auflockerung der Fronten konstatieren, eine Offenheit herüber und hinüber, die noch unsere Väter nicht für möglich hielten.

Wie ist es zu dieser veränderten Lage gekommen? — Offensichtlich durch Wandlungen auf beiden Seiten: Im Verständnis der biblischen Offenbarung und des christlichen Glaubens ebenso wie im Felde naturwissenschaftlichen Denkens. Freier, entschlossener, rückhaltloser haben wir unterscheiden gelernt zwischen dem göttlichen Wort, das unserem Glauben gilt, und dem zeitgebundenen Weltbild, in das die Zeugnisse der Bibel gekleidet sind. Gewiß, Glaube und Theologie werden darüber wachen müssen, daß nicht mit der Preisgabe des einen das andere verraten wird. Darum meine niemand, hier handle es sich sozusagen um einen schnell zu lernenden und leicht zu handhabenden Trick, mit dem man sich ein für allemal dem Gedränge der einst so notvollen Fragen entziehen könnte. Prof. von Rad hat in seinem Beitrag über die Schöpfungsgeschichte sicher mit Recht betont, dass ihr Bild von der Natur, so zeitgebunden und unwiederholbar es ist, nicht einfach ein gleichgültiges, beliebiges Gefäß der Offenbarung ist, sowenig das Weltbild der modernen Naturwissenschaft sich in jeder Weise von den antireligiösen, weltanschaulichen Voraussetzungen ablösen wird, die bei seiner Entstehung im Spiele waren und bei seiner Verfechtung heute weithin noch wirksam sind. Und doch dürfen wir uns den einfachen Grundsatz, dass wir zwischen Weltbild und Offenbarung klar und bestimmt zu unterscheiden haben, nicht verrücken lassen und dürfen das Weltbild etwa mit Emil Brunner dem Alphabet, dem Lautmaterial vergleichen, das für den Sinn des in und mit ihm Gesagten nicht bestimmend ist und uns seine Übersetzung aus jener Sprache in unsere zur Pflicht macht.


Aber auch auf der Seite der Naturwissenschaft haben sich Wandlungen vollzogen. Nicht da-durch, dass sie Anleihen bei der christlichen Dogmatik gemacht hätte. Beileibe nicht, und echter Glaube kann gerade das nicht wünschen. Wohl aber so, daß sie der Grenzen ihres Erkennens und der Kompetenz ihrer Urteile sich in vielen ihrer besten Vertreter neu bewusst und so, auf dem ihr eigenen und gebotenen Weg, jener allem Beweisen unzulänglichen Dimension inne wurde, in der allein es eine Begegnung mit Gott gibt. Bekannt ist, wie der Begründer der Quantenphysik, Max Planck, um nur einen von vielen zu nennen, sich um die Aussöhnung von Naturwissenschaft und Religion bis in seine letzten Lebensjahre bemühte, und seinen Glauben in ehrwürdigen, ergreifenden Zeugnissen aussprach.

Aber es geht hier nicht nur um die Selbstbescheidung des Naturwissenschaftlers, der von neuem mir Goethe das Genüge gelernt hat, »das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren«. Bedeutsam sind hier erst recht die neuen, revolutionierenden Entdeckungen der Naturwissenschaft, vorab der Physik und der Biologie, aus denen für alle ihre Gebiete ein neues Naturbild erstand. Die verschiedensten naturwissenschaftlichen Disziplinen, Physik, Chemie, Geologie, Astronomie, Biologie, und alle jene Wissenschaften, die gleichsam auf der Grenze der einst getrennten Bereiche neu entstanden: Biochemie, physikalische Chemie, Astrophysik, Quantenbiologie, — sie alle sind durch die Erforschung des Aufbaus der Materie und der in ihr wirksamen atomaren Vorgänge wie durch die Erforschung der Lebensvorgänge in den Organismen einander merkwürdig nahe gerückt und zu neuen, gegen-seitig sich befruchtenden Entdeckungen geführt worden. Davon im einzelnen zu reden ist nicht meine Aufgabe und übersteigt mein Vermögen.

Soviel aber scheint mir sicher und gerade auch im Blick auf das Thema dieser Vortragsreihe höchst bedeutsam zu sein:
Weder der Physiker noch der Biologe vermag heute noch an der einst mit allem wissenschaftlichen Pathos behaupteten und weltanschaulich so verhängnisvoll gewordenen Gleichsetzung von Naturgesetzlichkeit und mechanischem Zwang festzuhalten. Das große, schreckliche Symbol, unter dem eine frühere Naturwissenschaft und die ihr verbundene anti-religiöse Weltanschauung die Natur und den Menschen begreifen wollte, das Bild des mechanisch ab-schnurrenden Uhrwerks, die Idee der in allen ihren Arbeitsvorgängen determinierten Maschine ist heute als Irrtum, ja als ein Idol, ein Götzenbild entlarvt. Für seine Erhaltung und Propagierung setzt ja freilich heute der Bolschewismus noch mit hektischem Eifer eine weltanschaulich gesteuerte Wissenschaft ein. Noch sind die philosophischen Konsequenzen der neuem Physik und Biologie nicht ausreichend durchdacht und abgeklärt. Deutlich aber ist, daß, wo diese Frage gestellt wird, zugleich mit der Frage der Welt das Problem des Menschen neu in den Blick kommt: das Problem der Erkenntnis des Menschen, der schon mit jeder Frage, die er an die Natur richtet, mit einbezogen ist in jedes Experiment und jede Erkenntnis, und nicht minder die Frage nach dem Handeln des Menschen, dem zugleich mit den neu erschlossenen wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten eine eminente Verantwortung zugefallen ist für die Welt und die Mitmenschen, an die uns das Leben gebunden hat.

Die christliche Theologie wird sehr darauf bedacht sein müssen, aus dieser neu entstandenen Lage in der Naturwissenschaft nicht voreilig und billig apologetisches Kapital schlagen zu wollen. Nicht nur von der Naturwissenschaft her, nein auch — und gerade — vom christlichen Glauben her kann man die Beflissenheit nicht gut heißen, mit der eine gewisse christliche Apologetik bemüht ist, ihren Weizen zum Blühen zu bringen und vorschnell Glaubenssätze dort anzusiedeln, wo etwa die Naturwissenschaft heute von dem statistischen Charakter der Naturgesetze im Bereiche der Mikrophysik redet und einen Raum der Freiheit offen läßt. Es sollte doch klar sein, daß man hier nichts anderes tut, als Gott zu einem Lückenbüßer zu degradieren.

Die Bedeutung der Tatsache, dass die Naturwissenschaft heute selbst Barrikaden aus dem Wege räumt, die lange genug den Weg zwischen ihr und dem Glauben hoffnungslos verstellt haben, ist damit in keiner ,Weise bestritten. Dort, wo man sie generationenlang aufgerichtet fand, läuft die Grenze jedenfalls nicht. Und so ist es schon eine denkwürdige Sache, daß Naturwissenschaftler, die früher sozusagen professionell, von berufswegen, sich zum Unglauben verpflichtet meinten, heute sich selbst in ihrem Beruf als Menschen verstehen, die an Gott glauben und die Geheimnisse seiner Wunder und Schöpfermacht in Ehrfurcht erkennen und bezeugen.


Und doch würden wir, Naturwissenschaftler und Theologen, uns das entscheidende Wort schuldig bleiben, wenn wir hier innehielten und mit der glücklichen Veränderung der Gesprächslage, von der wir hier sprachen, uns zufrieden gäben. Mit der bloßen Feststellung, daß eine religiöse Überzeugung heute auch dem naturwissenschaftlich Forschenden nicht mehr a priori verwehrt sei und der Christ für seinen Glauben nicht mehr den Preis intellektueller Redlichkeit zahlen müsse, haben wir bestenfalls ein unfruchtbares Gespräch beendet, das nun erst gebotene, fruchtbare Gespräch jedoch noch kaum eröffnet. Wir könnten auch sagen: ein Scheingefecht hat sein Ende gefunden, das eigentliche Schlachtfeld, auf dem in Wahrheit die Entscheidungen fallen müssen, tut sich nun gerade erst vor uns auf. Muss es ein Schlachtfeld sein? Kann der christliche Glaube sich denn nicht mit einem Waffenstillstand oder gar dem ihm angebotenen Frieden abfinden, unter Bedingungen, die etwa folgendermaßen lauten müssten: Wir wollen einander in Frieden lassen. Wir bleiben bei dem, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen und mit Experimenten und mathematischen Formen bewältigen. Ihr mögt, wenn ihrs nicht lassen könnt, dem Unerforschlichen nachsinnen, und wer aus den Reihen der Naturwissenschaft zu diesen religiösen oder metaphysischen Spekulationen sich bemüßigt fühlt, der mag es auf seine Verantwortung tun — ohne Verlästerung, aber uns geht das alles nichts an. Es versteht sich von selbst, daß christlicher Glaube in solche Friedensbedingungen nicht einwilligen kann. Aber auch von Seiten der Naturwissenschaftler wäre sicherlich eine Beteiligung an dieser Vortragsreihe, die ja, wie schon die frühere über die Ergebnisse der Atomkernforschung auf ein naturwissenschaftlich-theologisches Gespräch abzielt, abgelehnt worden. Auf die Frage: was meint der christliche Schöpfungsglaube? muss darum die Antwort nun erst eigentlich versucht werden.

Das erste, was wir hier sagen müssen, ist zunächst noch einmal eine Negation, eigentlich schon ausgesprochen, aber doch wichtig genug, hier noch einmal wiederholt und bedacht zu werden. Es ist dies: Der Satz des christlichen Bekenntnisses »ich glaube an Gott den Vater, Schöpfer Himmels und der Erden« ist alles andere eher als eine kosmogonische Theorie, ein Versuch, den Vorgang der Weltentstehung und der Menschwerdung zu erklären. Wäre er das, er wäre in der Tat eine wunderliche Konkurrenz zu naturwissenschaftlichen Sätzen, die wir gegen die Naturwissenschaft zäh verteidigen oder mühsam in einen leidlichen Ausgleich mit ihr bringen müssten. Wir würden dabei im Grunde ganz in der Gesetzlichkeit naturwissenschaftlichen Erkennens bleiben und wie dieses von Erscheinungen und Beobachtungen in der Welt auf ihre Ursachen zurückfragen und zurückschließen. Gott wäre dann nichts anderes als ein Ausdruck, eine Chiffre für eine letzte zu postulierende Weltursache oder auch eine anonyme, geheimnisvolle Kraft, die im Ganzen der Welt wirksam ist. So oder so, er wäre selbst ein Objekt der Welt. Es gehört zu den elementarsten Kennzeichen des biblischen Gottesglaubens, dass er so gerade nicht von Gott redet. »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde« — hier wird in Wahrheit gar nicht auf der Stufenleiter natürlichen Erkennens mit dem Bemühen eines schlüssigen Beweises zu einer ersten Weltursache emporgestiegen, sondern genau in der umgekehrten Richtung — von Gott her zur Welt — von dem Gott geredet, der, radikal-jenseitig, das Gegenüber der Welt ist. Die Bibel ist darum auch überaus sparsam mit Vorstellungen, nach denen Gott der Schöpfer wie eine Art Weltbaumeister, ein fabricator mundi, erscheinen könnte. Im Grunde wiederholt und variiert die Bibel in dem, was sie über Gott den Schöpfer sagt, nur das Wort, das am Eingang der zehn Gebote steht: »Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst nicht andere Götter haben neben mir!« Allem Scheiden und Unterscheiden von Erde und Himmel, der Gestirne, der Pflanzen, Tiere und Menschen, das nach der Schöpfungsgeschichte das Wort Gottes vollzieht, geht darum die Scheidung und Unterscheidung zwischen Gott und Welt, Schöpfer und Schöpfung voraus. Die Nichtbeachtung und Aufhebung dieses Unterschiedes nennt die Bibel eine Vertauschung von Schöpfer und Geschöpf, die Ursünde des Menschen, die seine Gedanken eitel und leer und sein Herz finster macht, die Quelle aller Verwüstung.

Mit diesem so nachdrücklich in der Bibel ausgesprochenen Satz, dass Gott nicht zur Welt gehört, verbannt sie ihn freilich nicht in eine nebelhafte Ferne, zerreißt sie nicht das Band zwischen ihm und der Welt, sondern knüpft es umso fester, denn sie sagt mit ihrem Bekenntnis umso bestimmter, dass ihm, ihrem Schöpfer und Herrn, die Welt als seine Schöpfung gehört. »Er ruft sie alle mit Namen; sein Vermögen und seine starke Kraft ist so groß, da
ss es nicht an einem fehlen kann« (Jes. 40, 26). »Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie, du nimmst weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder zu Staub« (Ps. 104, 29). Er — Du, so redet hier die Bibel und mit ihr der christliche Glaube. Wir merken sofort, dass hier nicht von einem anonymen, rätselvollen »Es«, einem postulierten oder erahnten Urgrund des Seins die Rede ist, dem man tausend Namen geben könnte. Kennzeichen christlichen Schöppfungsglaubens ist vielmehr, dass er Antwort ist auf den von jenseits her in seinem Wort sich erschließenden, sich offenbarenden Gott. »Ich bin der Herr, Dein Gott.« Da also ist der Grund des Glaubens, nicht in der Welt, die das Erkennen durchdringt.

Man kann das Bekenntnis dieses Glaubens darum nicht ärger missverstehen, als wenn man es zu einer Aussage über die Welt der Objekte und ihrer Zusammenhänge verkehrt, denn Gott ist in diesem Sinne niemals »Objekt«. »Gott ist der Schöpfer der Welt«, ist so verstanden überhaupt kein allgemeiner Satz. Luther hat das mit instinktiver Sicherheit zum Ausdruck gebracht, wenn er ihn in seinem kleinen Katechismus umschrieb: »Ich glaube, da
ss mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen«. Höchst merkwürdig und für unser auf die Welt der Objekte gerichtetes wissenschaftliches Denken vielleicht befremdlich ist der Vorrang, den hier das Ich vor aller Kreatur erhält. Und zwar das Ich im existenziellen Sinn, — wohlgemerkt nicht einmal »der Mensch« als Gattungsbegriff (in einer vagen Allgemeinheit). Gerade so aber wird mit unvergleichlicher Klarheit deutlich, was der Satz vom Schöpfer als Glaubensbekenntnis meint, das unvertretbar nur ich selbst sprechen kann als die Antwort des Glaubens auf das mir geltende Wort Gottes. Gebe ich diese Antwort, so nehme ich damit mein Dasein und so auch die Welt, die mich umgibt, als Geschenk und anvertrautes Gut aus Gottes Händen. So wenig also ist das Bekenntnis zum Schöpfer eine Aussage über eine Welt, in die ich mich auf Grund einer so oder so gearteten religiösen Welt-Konzeption gleichsam nachträglich einordne. Der Glaube an den Schöpfer anerkennt damit aber nicht nur die Scheidung zwischen Gott und Welt, Schöpfer und Schöpfung, sondern er löst auch mich selbst aus der mich umschließenden Welt als dem Grund meines Daseins. Denn immer ruft das Wort zum Glauben mich aus der Welt heraus, der ich doch tausendfach verhaftet bin und gründet mein Dasein neu. Damit ist Ungeheures gesagt, denn dies ist ja die faktische Wirklichkeit meines natürlichen Lebens, daß ich mich selbst aus der Welt nicht lösen kann, auch nicht durch den Rückzug auf Geist und Vernunft, die den Menschen vor aller Kreatur auszeichnen. Wirklich an Gott den Schöpfer glauben, das heißt darum: von ihm, dem Schöpfer, auch gegenüber der Welt die Freiheit empfangen, die wie der Friede Gottes alles Denken übersteigt.

Wer dies begreift, der versteht, warum die Bibel Schöpfung und Erlösung so fest verbindet und Gott den Schöpfer den Vater Jesu Christi nennt. Es verlernt die uns vielfach so geläufige Meinung, als sei der Schöpfungsartikel gleichsam das leichteste Stück des Glaubens, über das man sieh unter einigermaßen gutwilligen, für die Wunder der Schöpfung aufgeschlossenen und womöglich mit einem poetischen Sinn begabten Menschen rasch verständigen könnte. Wir lernen aber umso mehr das tiefe Wort
Luthers verstehen, der von diesem Artikel des Glaubens einmal gesagt hat: »Das ist ohne Zweifel der höchste Artikel des Glaubens, darinne wir sprechen: ich glaube an Gott Vater Allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden. Und welcher das recht glaubt, dem ist schon geholfen und ist wieder zurechtgebracht, da Adam von gefallen ist. Aber wenig sind ihrer, die soweit kommen, daß sie völliglich glauben, daß er der Gott sei, der all Ding macht und schafft. Denn ein solch Mensch mu
ss allen Dingen gestorben sein, dem Guten und Bösen, dem Tod und Leben, der Höll und dem Himmel und von Herzen bekennen, dass er aus eigenen Kräften nichts vermag«. Der Glaube, der in diesem Sinn also die Freiheit von der mich umklammernden Welt bedeutet, empfängt nun aber gerade die Welt in Freiheit zurück, und Zwar als wirkliche, geschöpfliche Welt. Das heißt, dass ich ihr nun nicht erst durch Mythen, weltanschauliche Theorien und metaphysische Spekulationen einen Sinn geben muss. Ich könnte auch sagen: der Glaubende empfängt sie im echten Sinne als profane Welt, der ich nicht mehr Heiligkeit abzwingen oder zusprechen muss. Anders gesagt: als die Welt, die meiner Vernunft, meinem Forschen und Erkennen anheimgegeben ist — ohne Vorbehalt. Christlicher Glaube, hat, um es deutlich zu sagen, darum kein Interesse daran, dass sozusagen die Naturwissenschaft »fromm« werde, so wenig es ihm gleichgültig ist, ob die, die sie treiben, in ihrer Arbeit sich vor Gott verantwortlich wissen. Er selbst lebt von der Freiheit, von der Paulus sagt: »Alles ist euer« und kann sich darum nicht als angstvollen Zensor und wissenschaftlichen Sittenrichter verstehen. Wer geschichtlich zu denken gelernt hat, weiß ja auch, dass die von vielen romantisch beklagte, ernüchternde Welt-Werdung der Welt, das Freiwerden der Vernunft, das Aufkommen der modernen Wissenschaften mitbegründet ist in der Überwindung des Mythos, die die christliche Botschaft vollzog, auch wenn dieser Prozess sich weithin als ein Kampf zwischen Wissenschaft und kirchlichem Dogma abgespielt hat.

Hinnahme der Welt als Schöpfung in Freiheit, das bedeutet angewandt auf die Probleme dieser Vortragsreihe zum Beispiel die rückhaltlose Freigabe der Forschung, die den Problemen der biologischen Abstammung und den Fragen der Evolution sich zuwendet. Es ist dem glaubenden Menschen gewiss nicht einerlei, was dabei herauskommt, und doch ist er von daher in seinem Glauben nicht angefochten. Denn die Frage, um die es dem Christen geht, kann ernstlich nicht die sein, ob Weltbildvorstellungen der Bibel naturwissenschaftlich bestätigt werden, oder die Frage, in welcher biologischen Abfolge die Arten bis auf den Menschen sich entwickelt haben. Die Frage nach der Welt im ganzen sub specie dei, die Frage nach dem, was den Menschen zum Menschen macht, also die echte Differenzierung zwischen animalitas und humanitas, und die Frage nach dem Sein des Menschen vor Gott, sind damit ja in keinem Falle schon beantwortet, sondern nur von Neuem dringlich geworden.

Sind wir nun doch in unseren Überlegungen auf eine schiedlich-friedliche Unterscheidung der Bereiche von Wissenschaft und Glauben herausgekommen? Das mag, soweit es sich um die Methode des Erkennens und den Charakter von naturwissenschaftlichen Sätzen und Glaubensaussagen handelt, allerdings gelten. In Frieden werden wir uns gleichwohl nicht lassen dürfen. Oder sagen wir es besser so, wie hier der Glaube reden muss: Gott lässt uns in dem, was wir natürlicherweise inmitten dieser Welt sind, nicht in Frieden, nämlich in jenem
Schein-Frieden, der ihn ins Jenseits verbannt und die Welt zur Domäne des Menschen macht. Hier gibt es nun keinen Unterschied mehr zwischen religiösen und unreligiösen Menschen. Wir alle sind Gott gegenüber in dem, was wir von uns aus sind, ganz in der gleichen Lage. Vielleicht als die, die Gott lossein möchten, wie Hiob: »Wann endlich blickst Du weg von mir und lässest mir Ruhe einen Augenblick nur« (Hiob 7, 19). Vielleicht als die, die es als eine Zumutung empfinden, daß immer und immer wieder dieser letzte Horizont aufgerissen wird, der, seit es eine christliche Botschaft gibt, das Denken und Philosophieren auch der Nichtglaubenden so tief beunruhigt und so erregend bestimmt bis hinein in das Daseinsverständnis der Existenz-Philosophie.


Warum immer wieder, so erklingt nun die Klage, dieses Sich-nicht-genügen-lassen an der Gegebenheit der Welt und des Lebens als Erstem und Letztem und jenes Fragen bis hinein in die Tiefen des Nichts, das nie einem Griechen in den Sinn gekommen wäre. Ist das nicht alles nur eine späte, wenn auch von ihrem Ursprung gelöste Frucht des christlichen Schöpfungsglaubens, der die Physis nicht mehr wie die Griechen als das aus sich selbst gewordene und den Kosmos nicht mehr als das in sich selbst bestehende versteht? Der Glaube hat darauf nur eine wehrlose und doch sehr bestimmte Antwort: warum das so ist und nicht anders sein kann? Er antwortet: Darum, weil Gott der erste und letzte ist und als der Schöpfer und Herr die Welt und uns Menschen nicht aus seinen Händen läßt.

Darum steht all unser Fragen und Forschen und Erkennen im Zeichen einer letzten Vorläufigkeit und Fragwürdigkeit. Darum rühren wir, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, mit dem, was wir über das Seiende sagen, mit Notwendigkeit an das Geheimnis des Nichts; mit dem, was wir über die Zeit sagen, an das Geheimnis der Ewigkeit; mit dem, was wir über das Lehen in all seinen Wandlungen sagen, an das Geheimnis der Schöpfung; mit dem, was wir über Gesetze und Kräfte sagen, an das Geheimnis der Allmacht Gottes, die schafft und erhält. Es ist dafür gesorgt, daß dies geschieht und geschehen muß, auch und gerade da, wo der Naturwissenschaftler ganz in seinen Grenzen bleibt und der Glaubende nicht den törichten Versuch macht, sein Bekenntnis mit naturwissenschaftlichen Sätzen konkurrieren zu lassen. Es kann nicht anders sein, darum, weil die Welt, der unser Forschen gilt, dieselbe ist, von der der Glaube an Gott den Schöpfer redet. Darum können und dürfen auch Naturwissenschaft und Glaube nicht voneinander lassen.


Der Weg zum christlichen Schöpfungsglauben ist vergleichbar dem, was eine herrliche, alttestamentliche Geschichte von der Begegnung Gottes mit Mose erzählt. Mose will Gottes Herrlichkeit sehen, Gott selbst aber wehrt diese Bitte ab: »Mein Angesicht kannst Du nicht sehen, denn kein Mensch wird leben, der mich sieht«. Dann aber redet Gott weiter: »Siehe, da ist Raum bei mir, da sollst du auf dem Felsen stehen.., da will ich meine Hand über dich halten, bis ich vorüber bin, und wenn ich meine Hand von dir tue, darfst du mir nachschauen. Aber mein Angesicht kann niemand sehen« (2. Mos. 33, 18—23). All unser Forschen und Erkennen steht im Zeichen des Wortes: »Mein Angesicht kannst du nicht sehen«. Wer aber von Gott selbst sich auf den Felsengrund rufen lässt, von dem es heißt: »Da ist Raum bei mir«, der weiß, warum es ein unmittelbares Erkennen Gottes mit unseren Sinnen nicht geben kann. Wir staubgeborenen, unheiligen Menschen müssten vergehen. Aber er weiß erst recht, dass derselbe Gott, der in der Welt für unsere Augen verborgen ist, uns gerade so bei ihm selbst die Geborgenheit gibt, die uns die Rätsel der Welt und des Daseins bestehen lässt. So aber werden dem Glauben die Augen von Neuem aufgetan, auch für die Welt. Er lernt Gott nachschauen in seinen Werken und vernimmt nun erst recht auch die Stimme der Schöpfung, von der der Psalm sagt: »Die Himmel erzählen die Ehre Gottes und die Feste verkündet seiner Hände Werk« (Ps. 19, 2).
Kröner, Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 230, Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie, Eine Vortragsreihe, Das Heidelberger Studio, eine Sendereihe des Süddeutschen Rundfunks S.125ff.
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