Christopher Jacob Boström (1797 – 1866)

  Schwedischer Philosoph und Systematiker mit Hang zur Soziologie und Anthropologie. Boström war Sohn einer Arbeiterfamilie, der 1828 als Privatdozent für praktische Philosophie, 1833-37 Prinzenerzieher in Stockholm und seit 1838 Professor in Upsala war . Der sogenannte »schwedische Plato« war Schöpfer eines - vor allem in Schweden – wirksam gewordenen Idealismus der Persönlichkeit (»Persönlichkeitsidealismus«), in dem sich wissenschaftlich kritische Grundeinstellung mit einem einem theistischen Gottesbegriff verband, der als »Boströmianismus« bekannt wurde. Boström fasste das Absolute als eine Art ideelles geistiges Substrat auf, das als »wahrhaft Seiendes« selbst eine überzeitliche Existenz hat, die Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges einschließt. Vor der Zeitlichkeit (ursprünglich) ist nichts als Gott und die ewigen (platonischen) Ideen. In Boströms Philosophie verschmelzen christliche und platonische Elemente, indem Platos Ideen in das Bewusstsein eines persönlichen Gottes projiziert werden. Die unbeschränkte, immerwährende Intelligenz Gottes ist nach seiner Auffassung - ohne irgendwelche zeitlichen Nebenursachen - der allein aus- und hinreichende Vernunftgrund (ratio sufficiens) der geistigen Welt. Das, was Gott denkt, besitzt aus sich selbst heraus (eo ipso) alle vollständige und wahre Wirklichkeit, die überhaupt einem Wesen zugedacht werden kann, das nicht unmittelbar Gott selbst oder Gott als Wirklichkeit (ens realissimum) ist. Damit hat Boström den vermeintlichen Gegensatz zwischen Wesen (essentia) und Vorhandensein (existencia) überwunden. Was Gott will, das ist auch im selben Augenblick wirklich.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon


Inhaltsverzeichnis
Die Gottheit der höchste Gesetzgeber
Das absolut Vernünftige
Die Möglichkeit der Freiheit


Sätze aus der rationellen Theologie
Die Gottheit der höchste Gesetzgeber
Soweit der Mensch moralische Freiheit hat, kann die Vernunft nicht wirklich sein Gesetz werden, ohne dass er selbst sie dazu macht, mit anderen Worten, ohne dass er selbst sich dieses Gesetz gibt und dadurch wirklich vernünftig und rechtschaffen wird. Von niemand anderem kann er dazu gezwungen werden; denn zuerst ist aller und jeder Zwang nur sinnlich und bestimmt nichts anderes als seine Sinnlichkeit; und sodann besteht seine höhere Freiheit eben darin, daß er sich durch nichts Sinnliches bestimmen zu lassen braucht, sondern sich von allem solchen unabhängig halten kann. Einen Menschen durch äußere Zwangsmittel
moralisch bessern zu wollen — ihn gleichsam durch Gewalt zum vernünftigen umschalten zu wollen, das bedeutet das Unmögliche zum Möglichen machen zu wollen und beweist eine außerordentliche Unkenntnis der Natur der Sittlichkeit. Die Allmacht selbst wäre unvermögend, ein freies Geschöpf zur Vernünftigkeit zu determinieren, das sich selbst dazu nicht determinieren wollte. — In dem Sinne kann freilich die Gottheit der höchste Gesetzgeber des Menschen genannt werden, dass seine Vernunft oder sein eigentliches Wesen sich bei ihr von Ewigkeit findet und ohne ihr Sein absolut nichts wäre; als solches aber ist es nur sein mögliches, noch nicht aber sein wirkliches Gesetz. Die letztere Bestimmung erhält es nur dadurch, daß der Mensch selbst dessen Inhalt zu seinem Bewußtsein bringt, für sich selbst und, wenn es nötig ist, für andere es aussagt und endlich in seinem Handeln es mit freiem Willen befolgt. Dies will nun mit anderen Worten sagen, dass er selbst es sich als sein Gesetz geben oder es für sich als solches feststellen muss, denn ein Gesetz geben heißt: es zu einem wirklichen aus einem nur möglichen machen; und wie dies nur freien Wesen zukommt, so gilt es auch nur für diejenigen, denen es zukommt; denn unter anderer Bedingung wären sie nicht frei.

Das absolut Vernünftige
Der Menschengeist ist vernünftig und wird auch Vernunft genannt, soweit er das eigentliche Wesen zu seinem Inhalte hat, wobei seine Wirksamkeit entweder theoretisch oder praktisch oder ästhetisch sein kann. — Das Wesen ist das Absolute, das in und für sich selbst Seiende, das absolut wahre Sein, das als solches mit dem absolut wahren Wissen oder Vernehmen identisch ist. Soweit daher der Menschengeist das Wesen vernimmt oder dieses actu zu seinem Inhalte hat, ist er auch selbst Wesen und vernimmt sich selbst in seiner Eigentlichkeit und Wahrheit. Als solches aber ist er eine lebende Idee in und von der absoluten Vernunft, der Gottheit; folglich, soweit er sich selbst in seiner Wahrheit vernimmt oder, mit anderen Worten, vernünftig ist, vernimmt er Gott und sich selbst, wie er in ihm und für ihn ist. Ohne Bewußtsein von Gott keine Vernunft; und ohne Vernunft kein Bewußtsein von Gott. Vernünftig wird dasjenige genannt, worin das Vernünftige (oder das Göttliche) sich offenbart oder in dem dieses wirklich ist oder vernommen wird; und das Vernünftige ist in gleichem Maße vernünftiger, wie die Vernunft darin vollkommener ist oder vernommen wird. Das absolut Vernünftige ist die Vernunft selbst als nur solche oder Gott.

Soweit daher der Mensch vernünftig wird oder die Vernunft sich in ihm verwirkliche, offenbart sich das Göttliche in ihm und für ihn; und soweit er in seinen oder durch seine Handlungen die Vernunft ausdrückt oder diese in ihm praktisch wirksam ist, offenbart sie sich auch durch ihn. Der Mensch als endliches Wesen ist Einheit von Vernehmen und Verändern, oder sein Leben ist Wirksamkeit; folglich muss auch sein vernünftiges Leben den Charakter vernünftiger Wirksamkeit haben, die wiederum die Wirksamkeit der Vernunft ist, soweit sie sich in ihm offenbart. Die vernünftige Wirksamkeit kann keinen anderen Zweck haben als die Aktualität der Vernunft, das heißt die Verwirklichung des (absolut) vernünftigen (göttlichen) Lebens zu einem menschlichen und die Verwirklichung oder die Entwicklung des menschlichen Lebens zu einem vernünftigen (göttlichen). Die Vernunft ist als absolut selbst ihr eigener Zweck, wozu die Sinnlichkeit sich nur als Mittel verhält.

Die Aktualität der Vernunft im Menschen ist seine Religion, und diese ist seine absolute Glückseligkeit, seine Seligkeit, die zugleich sein eigenes wahres Leben in Gott und Gottes Leben in ihm ist sowie sein eigenes wahres Leben in sich selbst. Unter diesen drei Gesichtspunkten wird sie gleich richtig betrachtet. Diese Seligkeit, als der höchste Zweck seines Lebens und seiner Wirksamkeit betrachtet, wird das höchste oder absolute Gut genannt; und als der höchste Zielbegriff, der höchste praktische Grundsatz selbiger Wirksamkeit, wird sie auch sein höchstes Gesetz genannt. — Die ursprüngliche Tendenz selbst zu diesem Zweck nennt man (nicht Begierde, sondern) Liebe (zu Gott und dem Göttlichen), deren Elemente sich hieraus erklären lassen. Sie ist natürlich ursprünglich Gefühl und Trieb. — Das höchste Gut, in specie als der Zweck der theoretischen Wirksamkeit des Menschengeistes betrachtet ist das absolut Wahre; und die Aktualität der Vernunft, als durch die Liebe und Wirksamkeit für diesen Zweck erreicht, ist Wissenschaft, Weisheit, die Selbstbewußtheit und Wirksamkeit des vernünftigen Geistes als solche. Das höchste Gut, in specie als der Zweck der praktischen Wirksamkeit des Menschengeistes betrachtet, ist das absolut praktische Gut; und die Aktualität der Vernunft, als durch die Liebe und Wirksamkeit für dieses erreicht, ist Sittlichkeit, Tugend, die Selbständigkeit und Wirksamkeit des Geistes als solche. Dasselbe Gut endlich, als der Zweck der ästhetischen Wirksamkeit des Menschen betrachtet, ist das Schöne in absoluter Bedeutung; und die Aktualität der Vernunft, als durch Liebe und Wirksamkeit für diesen Zweck erreicht, ist Kunst (Geschmack und Genie), das Spiel oder die Belustigung und die Wirksamkeit des Geistes als vernünftig.

Hierzu kommt, als eine vierte Species des absoluten Gutes, die im Äußeren verwirklichte Vernunft: der Mensch und das menschliche Gemeinwesen, die zugleich Mittel und Zweck für die vernünftige Wirksamkeit sind, während die Natur dagegen nur Mittel ist.

Zum absoluten Gut verhält sich das sinnliche Gute wie das Relative zum Absoluten und wie das Mittel zum Zwecke. Das Sinnliche kann sowohl gut als böse sein; je nachdem es ein Mittel zu und ein Bestandteil in dem absoluten Gut des Menschen ausmacht (oder nicht); denn unbedingt ist jenes daraus nicht ausgeschlossen. Dasselbe Verhältnis hat auch die sinnliche (formelle) Freiheit zu der vernünftigen oder moralischen. Jene ist nur relativ und conditio sine qua non, sowie Mittel für diese, die das Vermögen des Geistes ist, sich als vernünftig oder sinnlich zu determinieren, mit anderen Worten, zwischen dem absoluten Gut und dem sinnlichen Guten zu wählen, als sinnlich vernünftig oder als nur sinnlich zu leben. Diese letztere Freiheit gehört nicht der Vernunft allein, sondern sie gehört dem Menschen an als Einheit von Vernunft und Sinnlichkeit; sie ist eine Äußerung seines ewigen Wesens und kann aus nichts anderem als ihm selbst hergeleitet werden. Daher die Unerklärlichkeit dieser Freiheit, gleich der des Lebens.

Doch muss man genau merken, dass der Mensch dadurch erst aktuell frei und selbständig als Mensch wird, dass er diese Freiheit zu moralischer Selbstbestimmung geäußert hat. Er muss durch seine Freiheit sich freimachen, wie er durch sein Denken sich denkend machen muss.

Die Möglichkeit der Freiheit
Wie kann der Mensch eine Wahl, eine Freiheit haben, wenn Gott ewiglich nicht nur alle seine verschiedenen Lebensformen weiß, sondern auch alle seine Bestimmungen und Handlungen in jeder von diesen? Um sich diese Frage beantworten zu können, muss man folgendes wissen und bedenken:

1. dass kein wahres Wissen — keine wahren Gedanken oder Begriffe für uns oder für andere endliche Wesen möglich sind, die nicht auf ewige, das heißt zeitlose Weise im göttlichen Selbstbewusstsein enthalten und umfaßt sind, weil in diesem und für dieses alles mögliche Wissen auch wirklich ist und unter anderer Bedingung sich überhaupt in keinem einzigen Wesen als Wissen finden könnte;

2. dass gleichwohl Gott selbst keine sinnlichen, zeitlichen und veränderlichen Vernehmungen wie wir Menschen hat, sondern nur ewige Gedanken oder Begriffe, die selbst, wie zum Beispiel die mathematischen Begriffe für uns, mit Zeit und Veränderung gar nichts zu schaffen haben, auch wenn sie Gedanken von etwas Zeitlichem und Veränderlichem sind;

3. dass die Gedanken oder Begriffe Gottes keine abstrakten oder unwirklichen Vorstellungen oder Begriffe von etwas von ihnen unterschiedenem Wirklichen und Individuellen sind, sondern vollkommen bestimmt oder individuell und das wahrhaftig Wirkliche, das rein und vollkommen Lebende oder Selbstbewusste selbst sind;

4. dass Gott deshalb alles wahre und vernehmbare Seiende
sub specie aeternitatis vernimmt, auf welche Weise auch der Denker seinen Erkenntnisgegenstand fassen muss, wenn er ihn absolut wahr und spekulativ fassen soll;

5. dass auch nicht der Denker, wenn er auf diese Weise die Dinge fasst, mit ihrer zeitlichen, veränderlichen und vergänglichen Existenz etwas zu tun hat, sondern nur mit ihren ewigen (zeitlosen), unveränderlichen und unvergänglichen Begriffen;

6. dass, wenn ein Wesen für sich selbst und für gewisse andere Wesen sinnlich verändert wird oder sich sukzessiv entwickelt, es auch gewiss als solches von Gott gedacht ist, daraus aber nicht folgt, dass dieser sein Gedanke deshalb auch selbst auf irgendeine Weise veränderlich oder sich sukzessiv entwickelnd sei;

7. dass, wenn ein Wesen wählend und frei ist oder die Beschaffenheit seiner Entwicklung selbständig bestimmt, es zwar als solches von Gott gedacht ist, daraus aber nicht folgt, dass dieser sein Gedanke selbst ein wählender und freier oder sich selbständig entwickelnder Gedanke sei;

8. dass, wenn Gott zum Beispiel einen Menschen in seiner ganzen Bestimmtheit in der Zeit und mithin auch seine ganze Phänomenwelt denkt, dieser sein Gedanke weder vor noch nach oder auch nur gleichzeitig mit jenen Menschen ist, weil dies alles nur äußere Zeitbestimmungen bezeichnet, die in Hinsicht auf ihn und seine Gedanken keine Bedeutung und Anwendbarkeit haben;

9. dass endlich die
Möglichkeit der Freiheit des Menschen nicht auf die geringste Weise von der Zeit abhängig ist, obgleich ihre Äußerungen für ihn in dieser hervortreten; denn wenn diese für ihn langsamer oder schneller oder auch in einem einzigen Augenblick hervortreten, so sind sie jedoch weder im mindesten freier durch das erstere noch im mindesten unfreier durch das letztere.

Die Freiheit des Menschen ist nämlich nicht von der Zeit abhängig, sondern von seinem ewigen (zeitlosen) Wesen oder seiner Idee, in welcher es eingeschlossen ist, dass er sich nicht nur für sich selbst sukzessiv (in der Zeit) entwickelt, sondern in dieser seiner Entwicklung auch (mehr oder minder) sich selbst bestimmend und frei ist. Ob und inwieweit übrigens der Mensch überhaupt oder dieser und jener Mensch im besonderen (zum Beispiel ich selbst) frei sei oder nicht, das können wir nicht unmittelbar durch Betrachtung seiner Idee erfahren, sondern nur durch Betrachtung seiner selbst, wie er für uns in unserer Erfahrung und in unserer Vernunft hervortritt und sich zeigt. Habe ich aber durch diese Betrachtung gefunden, dass die Freiheit für ihn möglich und wirklich ist und dass sie zu einer wahren, wesentlichen und notwendigen Bestimmt heit gehört, so bin ich dadurch vergewissert, dass sie auch von Gott in seiner ewigen Idee gedacht ist; denn das wahre Vernehmen ist nichts anderes als das Vernehmen Gottes und seiner Ideen.

Aus: Christoffer Jacob Boström, Grundlinien eines philosophischen Systems
In deutscher Übersetzung mit einer Einleitung und Anhang hrsg. von Reinhold Geijer und Hans Gerloff, Leipzig 1923
Text auch enthalten in: Geist des Abendlandes herausgegeben von Helmut Noack
Skandinavische Geisteswelt von Swedenborg bis Niels Bohr . Herausgegeben von Walter Schmiele (S.156-162)
Holle Verlag . Darmstadt und Genf