Barthold Heinrich Brockes (1680 – 1747)

Deutscher Dichter, hamburgischer Senator und Amtmann in Ritzebüttel, der in den Jahren 1721 – 1748 die neunbändige Gedichtsammlung »Irdisches Vergnügen in Gott« verfasst hat.

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Inhaltsverzeichnis

Spuren der Gottheit
Kirsch-Blüte bei der Nacht
Geselligkeit und Nächstenliebe
Der Tag, der gestern vergangen
 

Spuren der Gottheit
Alle Ding in der Natur,
Die wir schmecken, hören, sehen,
Deuten klärlich an, gestehen
Und erinnern uns nicht nur,
Dass ein Gott, ein Schöpfer sei,
Sondern wenn wir redlich hören,
Hören wir die weisen Lehren,
Dass wir seiner Gottheit Schein,
Der so hell als allgemein,
Zu bewundern, zu verehren
Pflichtig und verbunden sein.
Aller Sternen helle Heere,
Die im bodenlosen Meere,
In den Tiefen ohne Grenzen
Allenthalben um uns glänzen,
Zeigen bei entwölkter Nacht
Von der Werke Wunderpracht,
Zeigen von des Schöpfers Macht
In der wirkenden Natur
Uns die allerklärste Spur.
Sah am unbekannten Strande
Dorten Bias in dem Sande
Mathematische Figuren,
Sprach er: Sehet Menschenspuren!
Wieviel mehr kann man in den Sternen
Der saphirnen Himmelshöhn
Spuren einer Gottheit sehn,
Diese große Wahrheit lernen:
Der nur, der der Sonnen Menge
Samt den Scharen aller Welt
In so herrlichem Gepränge,
In so richtger Ordnung hält,
Sie so wunderbar regieret,
Ist, dem ewig Preis gebühret!
S. 23
Barthold Heinrich Brockes: Spuren der Gottheit. Ausgewählte Gedichte. Herausgegeben von Dr. Willy Krogmann. Richard Hermes Verlag Hamburg 1947

Kirsch-Blüte bei der Nacht
Ich sahe mit betrachtendem Gemüte
Jüngst einen Kirsch-Baum, welcher blühte,
In kühler Nacht beim Monden-Schein;
Ich glaubt, es könne nichts von größrer Weiße sein.
Es schien, ob wär ein Schnee gefallen.
Ein jeder, auch der kleinste, Ast
Trug gleichsam eine rechte Last
Von zierlich-weißen runden Ballen.
Es ist kein Schwan so weiß, da nämlich jedes Blatt,
Indem daselbst des Mondes sanftes Licht
Selbst durch die zarten Blätter bricht,
Sogar den Schatten weiß und sonder Schwärze hat.
Unmöglich, dacht ich, kann auf Erden
Was Weißers ausgefunden werden.
Indem ich nun bald hin bald her
Im Schatten dieses Baumes gehe:
Sah ich von ungefähr
Durch alle Blumen in die Höhe
Und ward noch einen weißern Schein,
Der tausendmal so weiß, der tausendmal so klar,
Fast halb darob erstaunt, gewahr.
Der Blüte Schnee schien schwarz zu sein
Bei diesem weißen Glanz. Es fiel mir ins Gesicht
Von einem hellen Stern ein weißes Licht,
Das mir recht in die Seele strahlte.

Wie sehr ich mich an Gott im Irdischen ergötze,
Dacht ich, hat Er dennoch weit größre Schätze.
Die größte Schönheit dieser Erden
Kann mit der himmlischen doch nicht verglichen werden.
S. 31
Barthold Heinrich Brockes: Spuren der Gottheit. Ausgewählte Gedichte. Herausgegeben von Dr. Willy Krogmann. Richard Hermes Verlag Hamburg 1947

Geselligkeit und Nächstenliebe
(Aus: Der Frosch)
Wie, dacht ich, kann es möglich sein,
Dass Menschen jemals auf Erden
Vernügt und glücklich können werden,
Da jeder bloß für sich allein
Gedenket, handelt ist und lebet,
Da jeder für sein einziges Ein
Mit aller Ausschluss sorgt und strebet,
Da jeder Wollust, Ehre, Geld,
Des Glückes Vorwürf in der Welt,
Auf solche Art für sich begehrt,
Dass das, was er erhält,
Ein andrer missen muss. Je mehr dein Gut sich mehrt,
Je mehr beraubst du mich
Desjenigen, so mein geliebtes Ich
Erhalten und besitzen könnte.
Wie wär es denn nach meiner Eigenliebe,
Die mich nur zu lieben triebe,
Doch möglich, dass ich es gönnte,
Wenn nicht die Furcht der Straf allein,
Die auf Entwältigung gesetzet sein,
Mir die natürlichen Begierden und Gedanken
Zwar in die vorgesetzten Schranken,
Jedoch fürwahr gezwungen hielten.
Der Zwang allein ist der Natur so sehr,
Wenn durch Gewohnheit wir ihn nicht was minder fühlten,
Entgegen und zuwider,
Dass sonder Zweifel sich ein jeder,
Müsste er sich nicht befürchten oder schämen,
Das meinige mir wegzunehmen,
Sich ohne Zweifel leicht bequemen
Und schnell entschließen wird. Es zeigt sich dieses klar:

Weil eben auf den Raub der Ehre,
Wie es jedoch wohl nötig wäre,
Kein Art von Straf absonderlich gesetzt
Und dass man ohn Gefahr
Des Nächsten Leumut raubt und ihn dadurch verletzt,
So seh man doch, wie wir zum Tadlen, Afterreden,
Zum Lästern, Spotten, zum Verdrehn
Die Menschen unter sich so fertig sehn.
Es wird sich keiner leicht entblöden,
Um sich insgeheim sein Ich hinaufzurücken,
Des Nächsten Ruhm zu unterdrücken
Und bloß, dass man ihn möge klüger heißen,
Des Nächsten Ehrenbau herumzureißen.
Pfui, dass man wider alle Pflichten
Sich nicht entsieht, für sich, was man dem Nächsten stahl,
Zu nehmen und sein Ehrenmal
Auf jenes Schandmal aufzurichten!

Wie nötig hier in dieser Welt
Die Nächstenlieb und die Geselligkeit,
Hat Moses im Gesetz uns nicht nur vorgestellt,
Selbst Christus hat der Christenheit,
Nicht unsre Freunde nur, sogar den Feind zu lieben,
Als wie ein solch Gebot zur Regel vorgeschrieben,
Das fast dem größesten Gebot nicht weicht
Und sich an Wichtigkeit dem Gottesdienst vergleicht.

Je mehr wir diese Lehr erwägen,
Je mehr strahlt eine Göttlichkeit,
Erkenntnis, Wahrheit, Heil und Segen
Aus ihr als wie ein Licht.
Kein Laster scheint fast übrig mehr zu bleiben,
Könnt einer nur
Von unsrer menschlichen Natur
Der Eigenliebe Gift vertreiben.

Es ist daher gewiss und bleibt dabei,
Dass die Geselligkeit und Nächstenliebe
Nicht nur Feind der lasterhaften Triebe,
Nicht nur der Inbegriff von aller Tugend sei,
Nein, dass vermutlich gar in jener selgen Höhe
Hierin ein großer Teil der Seligkeit bestehe,
Durch andrer Freud und Lust die seine zu vermehren,
Da sich auf eine solche Weis ohn alle Maß und Zahl
Vergnügungen und Anmut auf einmal
Statt einer einzigen auf dieser Welt,
Ja die man noch fast nie erhält,
In steter Fülle zu uns kehren.

Ach wenn doch dieser Satz nächst unsrer Glaubenslehre
Die Richtschnur unsers Lebens wäre!
Wir würden nicht nur glücklich hier allein –
Indem es wahr, was jener schriebe:
Wilt du geliebet sein, so liebe –,
Sogar, von vielen Sünden rein,
Auch dort vergnüget sein.
S. 69ff.
Barthold Heinrich Brockes: Spuren der Gottheit. Ausgewählte Gedichte. Herausgegeben von Dr. Willy Krogmann. Richard Hermes Verlag Hamburg 1947

Der Tag, der gestern vergangen
Gestern ist heute nicht mehr; es ist weg, es ist dahin.
Es verspürt, empfindet, fühlet, sieht und höret unser Sinn
Nichts von seiner Gegenwart. Gestern ist wie ein Geschrei,
Das im Augenblick verschwindet, auch verschwunden und vorbei.
Alles gestrige Vergnügen, Lachen, Fröhlichkeit und Scherz
Ist nunmehr ein leeres Nichts. Auch ein bittrer Schmerz,
Der uns gestern drückt und fraß, der uns Mark und Bein durchwühlet,
Hat mit gestern aufgehört und wird heute nicht gefühlet.
Eines Reichen fröhliches Gestern ist mit allen seinen Prangen
Und des Armen elend Gestern auch mit aller Not vergangen.
Beides bringt besondern Trost. Denn die kurze Daur der Freuden
Tröstet alle, die nicht glücklich, und die Pein und Schmerzen leiden,
Werden ungemein gestärkt, wenn sie dieses überlegen
Und die unleugbare Wahrheit dieser Lehre wohl erwägen:

Indem du gestern keine Plagen
Mehr fühlen kannst, noch darfst ertragen,
So mindre Kummer und Verdruss
Und kränke dich nicht mehr so sehr auf Erden.
Es wird mit ungehemmtem Fluss
Ein jedes Heute gestern werden.
S. 95
Barthold Heinrich Brockes: Spuren der Gottheit. Ausgewählte Gedichte. Herausgegeben von Dr. Willy Krogmann. Richard Hermes Verlag Hamburg 1947