Ernst Cassirer (1874 – 1945)
Deutsch-jüdischer Philosoph, der
der Marburger Schule des Neukantianismus angehörte und seit 1919 eine Professur in Hamburg innehatte, bis er 1933 von dort durch die Nazis zur Auswanderung nach Amerika gezwungen wurde; von 1934 an lebte er bis zu seinem Tod in New York. Als Denker mit eigenem systematischen Anspruch vertrat er eine Philosophie, welche
die Bedingungen der Möglichkeit des Verstehens im Zusammenhang mit
der Zeichensymbolik transzendent machen wollte. Unter dem Namen »symbolische
Prägnanz« hat eine Theorie des Transzendalen entwickelt und in
seinem dreibändigen Hauptwerk »Philosophie der symbolischen Formen« niedergelegt. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Der Gedanke
des Schöpfergottes gehört zu den mythischen Urmotiven
Die Einheit der Persönlichkeit kann nicht anders als an ihrem Gegensatz,
kann nur an der Art, wie sie sich in einer konkreten Vielheit und Verschiedenheit
von Wirkensformen äußert und durchsetzt, zur Anschauung kommen. Je
weiter das mythische Gefühl und das mythische Denken auf diesem Wege fortschreitet,
um so deutlicher hebt sich schließlich aus dem Kreis der bloßen
Sondergötter und aus der Menge der polytheistischen Einzelgötter die
Gestalt eines höchsten Schöpfergottes heraus. In ihm erscheint alle
Mannigfaltigkeit des Tuns gleichsam in eine einzige Spitze zusammengefasst:
statt in der! Anschauung einer Gesamtheit unbestimmbar vieler schaffender Einzelkräfte
steht das mythisch-religiöse Bewusstsein jetzt in der Anschauung des
reinen Akts des Schaffens selbst, der wie er selbst als ein er gefasst
wird, so auch immer nachdrücklicher zu der Auffassung eines einheitlichen
Subjekts des Schaffens hindrängt. Der Gedanke des Schöpfers gehört
freilich zu jenen mythischen Urmotiven, die als solche keiner weiteren Ableitung
und»Erklärung« mehr fähig und bedürftig zu sein
scheinen. Er scheint bisweilen in überraschender Klarheit schon in ganz
primitiven Schichten des religiösen Vorstellens zu begegnen. Insbesondere
lässt sich innerhalb des totemistischen Vorstellungskreises häufig
verfolgen, wie hier über der Vorstellung der Urväter, auf die der
Glan seinen Ursprung zurückführt, der Gedanke eines höchsten
Wesens steht, das als solches von den totemistischen Vorfahren deutlich getrennt
bleibt. Auf dieses Wesen wird die Entstehung der Naturdinge, wie andererseits
die Einsetzung der heiligen Riten, der kultischen Zeremonien und Tänze
zurückgeführt. Es selbst aber bildet gewöhnlich keinen Gegenstand
des Kultes mehr, noch tritt der Mensch zu ihm wie zu den einzelnen dämonischen
Kräften, die das Ganze der Welt erfüllen, in ein direktes, in ein
unmittelbar-magisches Verhältnis. Es ist demnach, als trete uns hier mitten
unter den Affekt- und Willensmotiven, die jede »primitive« Religion beherrschen
und die ihr ihr charakteristisches Gepräge gehen, mit einem Male, schon
auf den frühesten Stufen, ein rein gedankliches, ein »theoretisches« Motiv entgegen. Aber bei näherer Betrachtung zeigt sich freilich, dass
die scheinbar abstrakte Vorstellung der »Schöpfung« und des »Schöpfers« hier noch nirgend in wirklicher Allgemeinheit erfasst ist, sondern dass
das Schaffen, wenn überhaupt, so nur in der Art irgendeiner einzelnen konkreten
Form des Bildens und Formens vorgestellt werden kann.
Aus: Ernst Cassirer, Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe.
Hrsg. von Birgit Recki.
Text und Anmerkungen bearb. Von Tobias Berben ... 1998 ff. In Zus.arb. mit dem
Meiner Verlag, Hamburg, der Universität Hamburg, der Aby-Warburg-Stiftung,
der ZEIT-Stiftung und Gerd Bucerius
Band 12: Philosophie der philosophischen Formen. Zweiter Teil : Das Mythische
Denken . Hrsg. von Birgit Recki 2002 (S.246-247)
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