Matthias Claudius (1740 – 1815)

>>>Gott

Hast Du je etwas Ähnliches gehört?

Du möchtest gern mehr von unserm Herrn Christus wissen. — Andres wer möchte das nicht?

Aber bei mir kommst Du unrecht. Ich bin kein Freund von neuen Meinungen und halte fest am Wort. So gar hasse ich das Kopfbrechen an Religionsgeheimnissen; denn ich denke, sie sind eben darum Geheimnisse, daß wir sie nicht wissen sollen, bis es Zeit ist.

Wenn wir ihn nicht selbst sehen können, Andres, so müssen wir denen glauben, die ihn gesehen haben. Mir bleibt anders nichts übrig.
Was in der Bibel von ihm steht, alle die herrlichen Geschichten sind freilich nicht er, sondern nur Zeugnisse von ihm, nur Glöcklein am Leibrock; aber doch das Beste, was wir auf Erden haben und so etwas, das einen wahrhaftig freuet und tröstet, wenn man da hört und sieht, daß der Mensch noch was anders und bessers werden kann, als er sich selbst gelassen ist.

Und was in der Bibel von ihm steht, das hab‘ ich gelesen mehr als einmal und nehme es, sowie es da steht, ohne zu noch ab zu tun Willst Du also davon mit mir schreiben und sprechen, so gut ich‘s kann und salvo meliori judicio; von Herzen gern!

Besinnst Du Dich noch unserer ersten Schiffahrt, als wir den neuen Kahn probierten und ich mitten auf dem Wasser herausfiel? — Ich hatte schon alles aufgegeben und dachte nur daran, wie mir der Tod schmecken und was meine arme Mutter sagen würde; da sah ich Deinen ausgestreckten Arm herkommen und hakte an! und ich seh‘ ihn noch immer, Andres, wenn ich nur von ungefähr Deinen Namen lese oder oft nur auf ein großes A stoße. Im Grunde war Deine Hilfe nur ein Palliativ; denn was damals ohne Dich das Wasser würde getan haben, das werden nun die andern Elemente noch tun, und Du wirst mich nicht retten. Aber ich kann doch den Arm nicht wieder vergessen! und ich glaube, daß er bei unsrer innigen Freundschaft die Hand viel mit im Spiel habe. Das ist hier einmal mit uns nicht anders: Not lehrt beten, und Hilfe und Errettung erfreut!

Und nun ein Erretter aus aller Not, von allem Übel! Ein Erlöser vom Bösen! Und nun ein Helfer, wie die Bibel den Herrn Christus darstellt, der umher ging und wohl tat und selbst nicht hatte, wo er sein Haupt hinlege; um den die Lahmen gehen, die Aussätzigen rein werden, die Tauben hören, die Toten aufstehen und den Armen das Evangelium gepredigt wird; dem Wind und Meer gehorsam sind, und der die Kindlein zu sich kommen ließ und sie hetzte und segnete; der bei Gott und Gott war und wohl hätte mögen Freude haben, der aber an die Elenden im Gefängnis gedachte und verkleidet in die Uniform des Elends zu ihnen kam, um sie mit seinem Blut frei zu machen; der keine Mühe und keine Schmach achtete und geduldig war bis zum Tode am Kreuz, daß er sein Werk vollende; — der in die Welt kam, die Welt selig zu machen, und der darin geschlagen und gemartert ward und mit einer Dornenkrone wieder hinausging! — Andres, hast Du je was Ähnliches gehört, und fallen Dir nicht die Hände am Leibe nieder? Es ist freilich ein Geheimnis, und wir begreifen es nicht; aber die Sache kömmt von Gott und aus dem Himmel, denn sie trägt das Siegel des Himmels und trieft von Barmherzigkeit Gottes . . .

Man könnte sich für die bloße Idee wohl brandmarken und rädern lassen, und wem es einfallen kann zu spotten und zu lachen, der muß verrückt sein. Wer das Herz auf der rechten Stelle hat, der liegt im Staube und jubelt und betet an.

Sprich und schreibe also davon mit mir, Du mein herzlieber Andres, wie und was Du willst, und will Dir keine Antwort schuldig bleiben. Dein
Postskript Es gibt einige Leute, Andres, die alles bekehren wollen und mit der Bibel in der Hand hinter jedem hochfahrenden Geist und Taugenichts herlaufen. Das soll aber nicht sein und ist ärgerlich anzusehen, wo auch der Fehler stecke. Die Lehre Christi, die nicht einer wert ist zu hören, mag allerdings allen Menschen gepredigt werden; aber sie soll nicht weggeworfen werden.

Unser Herr Christus spricht auch gar anders über die Jüngerschaft. »Wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und sitzet nicht zuvor und überschlägt die Kosten, ob er‘s habe hinauszuführen? auf daß nicht, wo er nur den Grund gelegt hat und kann‘s nicht hinausführen, all die es sehen, fangen an, seiner zu spotten und sagen: dieser Mensch hub an zu bauen und kann‘s nicht hinausführen. — Also auch ein jeglicher unter euch, der nicht absaget allem, das er hat, kann nicht mein Jünger sein.« Und in seiner Instruktion an seine ausgehenden Apostel: »Wo ihr aber in eine Stadt oder einen Markt gehet: da erkundiget euch, ob jemand drinnen sei, der es wert ist; und bei demselben bleibet, bis ihr von dannen ziehet — und wo euch jemand nicht annehmen wird, noch eure Rede hören: so gehet heraus von demselbigen Hause oder Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen.«

Aus: Matthias Claudius, Wie sollt ich Gott nicht loben
Einfältiger Hausvaterbericht über die christliche Religion an seine Kinder und andere Beiträge des Wandsbecker Boten
Bockhaus-Taschenbuch Band 293 (S.16-18)
© R. Brockhaus Verlag, Wuppertal 2002
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Brockhaus Verlages