Matthias Claudius (1740 – 1815)
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Deutscher Journalist und Dichter (Pseudonym: Asmus). Claudius studierte in Jena Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaften. 1771—75 gab er in Wandsbek die von J. J. Bode gegründete Lokalzeitung »Der Wandsbecker Bothe« heraus, in dem u. a. auch Goethe, Herder, Lessing und Klopstock Beiträge veröffentlichten. Seine Erzählungen und religiösen Betrachtungen, vor allem aber seine Lyrik, sind in dem ihm eigenen gemütstiefen und kindlichen Ton geschrieben. (Abendlied »Der Mond ist aufgegangen«). Siehe auch Wikipedia, Heiligenlexikon und Kiirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Was
ist ein Prediger
Die
wahre Furcht Gottes muß Empfindung, muß Wahrheit in uns sein
Verflucht sei
der Acker um deinetwillen etc.
>>>Christus
Hast Du je etwas Ähnliches
gehört?
Was ist ein Prediger?
Alldieweil die Idee, die
sich die Menschen, Philosophen und Nichtphilosophen, Denker und Schafköpfe,
Leinweber und Staatsräte, Waschweiber und Hebammen, Prokuratores und Prediger
selbst usw. von dem Predigerstande machen oder machen lassen, so verschieden
und meistens so ungerecht, wenigstens unrichtig sind; so erscheint hier ein
Prediger, der die Würde seines Berufes kennt, und tut seinen Mund über
seinen Stand auf, nicht zu Komplimenten und Federlesen, sondern zu geflügelten
Sprüchen, mit der edlen Freimütigkeit eines Mannes, der sich seines
Werts und seiner guten Sache bewusst ist und den die Wahrheit kühn macht.
Ein Prediger ist nicht: un des quarante de l’académie
ecclésiastique; ist keiner von den sieben Weisen Griechenlands;
kein Gemeinortkrämer und Lehrer der Weisheit und Tugend; kein Professor
Moralium, der allenfalls im Staat zu tolerieren
ist, weil er durch seine Diskurse Untertanen Gehorsam lehren und die Zollregister
und die Kasse der fermiers généraux verbessern
kann usw., sondern er ist ein Säemann, der nicht für diese, sondern
für eine bessere Welt säet; ein Lehrer der großen, seligmachenden
Lehre Gottes; ein Vater und Tröster seiner Gemeinde; ein schwacher, unwürdiger,
brechlicher Mensch, aber mit dem Blitz Gottes in der Hand, den er nicht von
Menschen, sondern von Gott erhalten hat und den er nicht zu kleiner Eitelkeit
noch zu etwas Geringerem braucht, als Mark und Bein von Untertanen und Fürsten
zur Besserung und zum Empfängnis einer über alles herrlichen Seligkeit
zu treffen und zu durchdringen.
Es wird wohl nicht leicht jemand etwas gegen diese Vorstellung einzuwenden haben;
und wenn es demgemäß von jeher wäre gehalten worden, so wär’s
gut. S. 46f.
Enthalten in: Das teure Predigtamt. Gebete und Weisungen für den Dienst
am Wort aus dem Schatz der Kirche. Im Furche-Verlag Berlin
Die wahre Furcht Gottes muß Empfindung, muß Wahrheit
in uns sein
»Lasset uns die Hauptsumma aller Lehre hören;
fürchte Gott und halte seine Gebote, denn das gehöret allen Menschen
zu.«
Dieser Spruch steht in Salomos Büchlein zu Ende
aller andern Sprüche, wie der Morgenstern der zuletzt aufgeht und schöner
und herrlicher ist als alle Sterne die vor ihm hergehen. Die Hauptsumma pflegt
gewöhnlich am Ende zu stehen, und also ist diese Stellung des Spruchs natürlich.
Vielleicht kann sie aber auch noch eine Nebenabsicht haben. Salomo macht anderswo
die Bemerkung, daß einem ein Narr nicht glaube wenn man ihm nicht auch
sagt was in seinem Herzen ist. Nun gibt es aber Leute die alles lästern
was sie nicht begreifen, die sich zu klug dünken zu glauben, und zu dumm
sind zu wissen; arme Leute, welche die Vorteile beider Parteien entbehren und
für sich keinen andern haben, als daß sie ihr Lebelang diskourieren,
und von Leuten die noch dummer sind als sie für große Geister gehalten
werden. Diese Klasse von Menschen ist von jeher in der Welt gewesen und wird
bis je und je darin bleiben. Vielleicht nahm Salomo Rücksicht auf sie,
wollte auch ihnen gern die große Lehre zu Herzen bringen, daß Gottesfurcht
die Quelle alles Guten sei. Er wußte aber, daß er unvorbereitet
damit bei ihnen wenig Glauben finden würde. Daher schickt er verschiedene
Sprüche mit Lehre die mehr in ihren Kram gehöret voran, und nachdem
er sich als Meister in ihrer eignen Kunst gezeigt und sich solchergestalt ihr
Vertrauen erworben hatte, rückt er mit der Hauptsumma aller Lehre hervor:
Fürchte Gott und halte seine Gebote, denn das gehöret allen Menschen
zu. Es gibt manches Ding, will er sagen, manche Lehre zwischen Himmel und Erde,
die sehr dankenswert ist und ihre Interessenten in mehr als Einer Hinsicht zu
großen Leuten macht; aber das Alles und Eins, das eigentliche Ding, die
Hauptsumma aller Lehre ist Furcht Gottes, und die gehöret allen Menschen zu, ist des Menschen sein Element, sein
Beruf, sein Natur und Wesen.
Lieben Herren Subskribenten! Ich bin nicht was Salomo war, bin nicht König
über Israel, und ich bescheide mich gerne daß mir seine Weisheit
noch mehr als seine Krone fehlet; aber überzeugt bin ich lebendig, daß
die Furcht Gottes die Quelle alles Guten sei, daß es da anfangen und sich
da wieder endigen müsse, und daß alles was sich darauf nicht gründet
und nicht damit besteht, wie groß es auch scheine, doch nichts als Täuschung
und Trug sei und unser Wohl nicht fördern möge.
Aber Furcht Gottes und Furcht Gottes ist zweierlei; und hier liegt der Knoten,
dadurch diese Lehre zweideutig und rätselhaft wird. Wir fürchten alle
Gott, sprechen mit Ehrerbietung von ihm, hören mit Ehrerbietung von ihm
sprechen etc, wollen ihn fürchten und tun uns wohl auch bei der und jener
Gelegenheit mit seiner Furcht einigen Zwang an, und übrigens bleibt‘s
beim Alten. Solch eine Furcht Gottes mag als eine feine äußerliche
Zucht gelten, sonst aber ist sie der leibhafte Bediente hinten auf der Kutsche.
Der steht da auch als ein Schild daß honette Leute im Wagen sind, gibt
ein Zeichen daß die Wachen heraustreten, macht die Kutschentür auf
und zu etc, und übrigens gehen die Bestien vor dem Wagen ihren ehrbaren
Trab oder wilden Galopp wohin sie wollen, und der Herr dahinten muß immer
mit fort und wird nicht gefragt. Wenn die Herrschaft recht gnädig ist,
nimmt sie ihn wohl bei einfallendem Regenwetter zu sich in den Wagen.
Was soll solch eine Furcht Gottes? Was kann die für Wirkungen haben, und
wie wäre sie die Hauptsumma aller Lehre?
Das war aber auch nicht die Furcht Gottes der Altväter, die uns in der
Schrift zum Muster dargestellet werden. Denn bei denen war die Gottesfurcht
nicht Bedienter hinten auf dem Wagen, sondern Herrschaft und Kutscher zugleich.
Ihnen war nichts so innig und heilig als sie; nichts so sauer das sie ihretwegen
nicht getan, nichts so süß das sie ihretwegen nicht gelassen hätten.
Joseph reißt sich aus den Armen eines schönen Weibes los und läßt
einen Mantel im Stich, weil er ein so groß Übel nicht tun kann und
wider Gott sündigen. Abraham schlachtet, als Gott zu ihm sprach, seinen
einzigen Sohn, und bekümmert sich nicht um sein Vaterherz und seine Vernunft;
— und so muß es sein wenn was draus werden soll. Und du, der du
Gottesfurcht schmähen willst, könne das; und denn komm und schmähe,
so wollen wir dir glauben. Sonst aber bist du nur ein Faselhans der nicht weiß
wovon er spricht, du magst lästern oder loben.
Die wahre Furcht Gottes muß Empfindung, muß Wahrheit in uns sein;
denn ist sie wohltätig mir ihren Einflüssen und wunderbar in ihren
Wirkungen, mehr und anders, als wir meinen oder verstehen. Wenn wir den Begriff
von Gott nur bloß mit der Imagination denken, daß er, wie die heilige
Schrift uns lehret, der Schöpfer und Erhalter der sichtbaren und unsichtbaren
Welt sei, der erste und der letzte, sein Stuhl der Himmel und die Erde seiner
Füße Schemel, daß er in allem und durch alles sei, von der
Tiefe des Meeres bis an die Zinne des Himmels allein Wesen gegenwärtig
und nahe, daß seine gewaltige Hand alles hält und seine Augen Tag
und Nacht über alle seine Geschöpfe und sonderlich über alle
seine Menschen, auch hier über und um uns, unsichtbar offen stehen —
wenn wir den Begriff nur bloß mit der Imagination denken, so fährt
er uns kalt durch und macht uns Gott lieben und fürchten; was wird er tun,
wenn er Empfindung und Wahrheit in uns ist? Denn werden wir Gott nicht fürchten
wollen, sondern wir werden ihn wahrhaftig fürchten, von ganzem Herzen,
von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und aus allen Kräften, in allem
unserm Tun und Lassen, wenn wir aufstehen und wenn wir zu Bett gehen, um Mittag
und um Mitternacht, wir schlafen oder wachen; wir werden das Bild des Allerbesten,
des Allerweisesten, des Allergerechtesten, des Allerwahrhaftigsten, des Allerbarmherzigsten beständig wie unser Leben in uns tragen und werden verwandelt werden in
dasselbige Bild von einer Klarheit zu der andern. — Und das Halten der
Gebote Gottes wird unsre Freude sein und unser Glück zugleich; denn was
sind seine Gebote anders als eine Hand am Wege, als schwarze und weiße
Tonnen, die vor Verderben warnen und dich sicherste Fahrt in das Land des Heils
weisen.
Aus: Matthias Claudius: Ausgewählte Werke - Über
einige Sprüche des Prediger Salomo
Herausgegeben von Walter Münz
Reclams Universalbibliothek Nr. 1691 (S.158-162), © 1990 Philipp Reclam
jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlages
Verflucht
sei der Acker um deinetwillen etc.
Moses I. c. 3, v. 17. 18. 19.
Man mag das Paradies und seine vier Ströme und seinen Baum des Lebens und
des Erkennt-nisses etc. so oder so auslegen, und die wahre Erklärung mag
sein welche sie will; so ist und bleibt der Inhalt klar und außer allem
Zweifel:
Der Mensch war glücklich!
Und er machte sich elend!... In dem »Verflucht
sei der Acker um deinetwillen etc.« wird ihm sein Urteil gesprochen.
Es ist sehr hart; und wie ungern muß Gott es ausgesprochen haben!
Als Absalom sich empörte, verhüllte David sein Antlitz und ging barfuß,
und der ungeratene Sohn war ihm immer noch lieb und am Herzen gewachsen. Man
kann es nicht ohne Rührung lesen, als seine Truppen gegen Absaloms Partei
aus Mahanaim ausrückten, wie er da am Tor sitzt und sie ausmarschieren
sieht, und sein letztes Wort an die Hauptleute ist: »Fahret mir säuberlich
mit dem Knaben Absalom«; und als Joab nicht säuberlich mit dem Knaben
fuhr, wie David da traurig wird und auf dem Saal im Tor hin und her geht und
jammert: »Mein Sohn Absalom, mein Sohn, mein Sohn
Absalom, wollte Gott ich müßte für dich sterben! O Absalom mein
Sohn, mein Sohn!«
Und das war nur ein Vater unter den Menschen, die doch arg sind; was denn der
Allbarmherzige Vater, der den Menschen vor allen andern Geschöpfen so hoch
geehret und so herrlich ausgestattet hatte! und nun zu ihm sprechen muß: »Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer
sollst du dich drauf nähren dein lebelang, Dorn und Disteln soll er dir
tragen, und sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiß deines Angesichts
sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zur Erde werdest, davon du
genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zur Erden werden.«
Die Worte sind schrecklich, und ein jedes ist 'n Schwert das einem durch die
Seele dringet. Und sonderlich wenn man ansieht, wie sie an uns in Erfüllung
gegangen sind und noch täglich in und um uns in Erfüllung gehen.
Wir waren unsterblich, waren ewig glücklich und selig; lebten in einem
schönen Garten, zwischen Strömen die den Garten wässerten, unter
Bäumen die lustig anzusehen waren und die immer voll Früchte für
uns hingen... und unser lieber Vater und Schöpfer ging selbst in dem Garten
und wir konnten seine Stimme hören. - Und hier: Auf dem verfluchten Acker,
zwischen Dorn und Disteln, uns nähren mit Kummer und im Schweiß des
Angesichts! Wie bitter sau'r muß sichs mancher nicht werden lassen und
früh und spat schaffen, daß er für sich und die Seinen das bißchen
Brot habe! Und wenn ers hat, was hat er denn? - Wir kommen mit Angst und Geschrei
in die Welt, und fahren mit Herzeleid wieder in die Grube... und unsern lieben
Schöpfer und Vater hören und sehen wir nicht! gehen trostlos und verlassen,
in Frost und Hitze, in Regen und Schnee, in Schmerz und Krankheit, sind wahnsinnig
und unsinnig, können nicht schlafen, müssen gehen und husten Tag und
Nacht und Eiter und Blut speien.
Mahomet gibt in seinem Koran, wenn zwei sich über Religionslehren zanken,
den klugen Rat, daß sie beide ihr Weib und ihre Kinder rufen und zusammen
ein Gebet zu Gott tun sollen. So wärs auch bei diesen Worten wohl das Natürlichste,
daß nicht allein die strittigen Ausleger, sondern alle Menschen und Nachkommen
Adams ihre Weiber und ihre Kinder riefen und hinträten und sich zusammen
satt weinten. S.125f.
Aus: Matthias Claudius, Asmus omnia sua Secum
portans oder Sämtliche Werke des Wandsbecker Boten, Vierter Teil
Enthalten in: Matthias Claudius, Ernst und Kurzweil. Eine Auswahl aus sämtlichen
Werken, Siebernstern Taschenbuchverlag