Jôyô Daishi (1200 – 1253)

  Japanischer Priester, der den Sôdhô-Zweig der buddhistischen Zen-shû Sekte gegründet hat.


Inhaltsverzeichnis
Aus dem Fukwan Zazengi
Sôdô-kyôkwai shûshôgi
Einleitung , Sündenbekenntnis und Erlösung , Übernahme der Gebote und Antreten der Buddhawürde ,
Die Erweckung des Wunsches Anderen wohlzutun , Praxis und Dankbarkeit ,

Aus dem Fukwan Zazengi

Der Wahrheit Sein erfüllt, durchwirkt das All:
Wozu sich müh 'n, sie zu erkunden?
Die echte Lehre teilt von selbst sich mit:
Was sorgen sich, sie zu erforschen?
Ist doch ob Staub erhaben alles Sein,
Wer sollte brauchen dann des Wischens Mittel?
Die Stadt (Nirvânâ), die große, ist nicht fern von hie:
Wozu sich wandernd ihr entgegenringen ?

Selbst der von Gion, weise von Geburt,
Pflag für sechs Jahre stiller Sitzung;
Noch ist zu schauen des die Spur.
Und Shôrin, doch Herzstempelübermittler,
Saß neun Jahr' stille, zugekehrt der Wand;
Noch kann man das wohl rühmen hören.
Wo denn der Vorzeit Heil'ge solches Beispiel ließen,
Wie sollten nicht wir Heut'gen Zazen's* Wert versteh'n?
*Sitzen in Versenkung

Wer nun so sitzen will in Selbstversenkung,
Der wählt am besten sich ein still Gemach.
Nur mäßiglich genieß' er Trank und Speise;
Was um ihn her, des allen acht' er nicht!
Jedwedes Ding sei von ihm unterlassen,
Nicht Gut, nicht Böse werd' von ihm gedacht!
Nicht Recht, nicht Unrecht soll er unterscheiden,
Kurz: hemmen jeden Denk- und Willensakt
Und jeglich Messen der Gedanken lassen,
Nach Buddhaschaft selbst steh' .ihm nicht der Sinn,
Und nichts verschlag's ihm, ob er sitzt, ob lieget!
Zum Sitzen in Dhyâna legt gewöhnlichst
Ein dick Gematte man als Sitz sich hin,
Um drauf alsdann ein Kissen auszubreiten.
Mit ganz verschränkten Beinen sitzt man bald,
Bald sitzt man nur mit halbverschränkten Beinen.
Der »Sitz mit ganz verschränkten Beinen« so:
Auf linkem Oberschenkel liegt der rechte Fuß,
Der linke liegt dem rechten Oberschenkel auf. –
Der »Sitz mit halbverschränkten Beinen« so:
Den linken Fuß allein nur läßt man hier
Ob seinem rechten Oberschenkel ruh'n.
Nur leicht soll die Gewandung liegen an,
Und locker nur gebunden sei der Gurt!
Ist wohlgeordnet das Gewand, so leg'
Der Rechten Rücken auf den linken Fuß,
Der Linken Rücken auf der Rechten Teller,
Daß beider Daumen Spitze sich berührt!
So sitzt man aufrecht unverrückter Haltung,
Nach links sich weder neigend noch nach rechts,
Nach vorne nicht gebückt, noch auch nach hinten,
Daß parallel die Ohren zu den Schultern,
Die Nas' auf einer Linie mit dem Nabel steht.
Zum Obergaumen drücke man die Zunge;
Gebiß wie Lippen sollen sich berühren,
Die Augen aber immer offen steh'n.
Den Atem läßt die Nase aus und ein.
Ist nun die Haltung also regulieret,
Gilt's einmal Atem schöpfen stark und tief;
Ein sachtes Schaukeln noch nach rechts, nach links,
Um endlich dazusitzen fester Positur:
Und so dann mag man an Nichtdenken denken!
Wie das zu tun wohl: an Nichtdenken denken?
Nicht denken überhaupt will das besagen.
Beim Sitzen in Dhyâna ist die Hauptkunst dies.
Kein Meditieren ist, was Zazen heißt,
Nur eine Schule der Beruhigung ist's,
Der Bodhi-Forschung Mittel und auch Ziel.
Man sah wohl ehe die hinausgelangt
Ob Irrvolk und Erleuchtungswesen waren,
Wie sitzend sie die Seele, ausgehaucht,
Wie sie im Steh'n aus diesem Leben schieden.
»Erhobener Finger«, »Stange«, »Nadel«, »Hammer«,
Und was dergleichen Lehrmethoden mehr,
»Erweis durch Wedel«, »Faust« und »Stock« und »Aufkreisch«,
Solch alles kann man denkend nicht versteh'n.
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So ist denn hier auch nicht die Rede mehr
Von höher'n Weisen und von niedern Toren,
Kein Scheiden mehr in Menschen scharfen Sinns
Und andere Menschen, die von stumpfem Geiste.
Wo man nur einfach eifrig Zazen übt,
Gerät's auch wohl, die Wahrheit zu erlangen.
So uns're Welt wie and're (Buddha-)Reiche,
Der Osten gleicherweis' wie Indien einst
Sind worden Buddbastempel-Erbempfänger.
So gilt's denn auch, der Sekte Brauch zu pflegen,
Und wo man nur dem Zazen sich begibt,
Empfängt man auch gewißlich sichern Stand.
Mag vierundachtzigtausendfach verschieden
Veranlagt sein die Menschheit, die da übt,
Vor allem übenswert bleibt einzig doch Zazen.
Nun man doch schon einmal, als Mensch geboren,
Das Allergrößeste sich hat erlangt,
Daß man doch nimmermehr die Tage geuden
Und fest zur Buddhawahrheit wollte halten!
Wer mag lustier'n sich auch am Augenblick?
Ist doch ein Dasein wie des Grases Tau nur,
Das Leben zu vergleichen einem Blitz:
So balde werden wieder sie zunichte,
So wie ein Pfeil schnell fliegen sie dahin! –

Sôdô-kyôkwai shûshôgi
I. Kapitel
Einleitung
1. Was ein Buddhist zu erachten hat als seine angelegentlichste Sorge, das ist, daß er zu rechter Klarheit darüber komme, was Geburt und Tod ist. Wo Buddha (oder: unpersönlich, Erleuchtung) ist, sei's gleich inmitten von Geburt und Tod (d. i. Samsâra), da gibt's (den Kreislauf von) Geburt und Tod nicht mehr. Samsâra gleich Nirvâna, - wo einer solches recht erfaßt, für den hat fürderhin kein Schrecken mehr Samsâra, dieweilen andrerseits auch auf Nirvâna nimmer sein Begehren geht, und so erst ist er dann ganz über (den Kreislauf von) Geburt und Tod hinausgerückt. Das ist es, was wir als die eine große Hauptsache anzusehen haben.

2. Schwer ist es, ein Dasein in Menschengestalt zu erlangen, und ein selten Ding, daß es einem zuteil wird, mit der Lehre des Buddha bekannt zu werden. Nun wir denn aber dank unserer Verdienste in vergangenen Existenzen nicht nur ein Dasein in Menschgestalt erlanget, sondern auch der Gelegenheit teilhaftig geworden sind, die Lehre des Buddha kennen zu lernen, so muß denn auch inmitten (des endlosen Kreislaufes) von Geburt und Tod dies Leben uns gelten als ein solches von allerhöchstem Werte. Es geht nicht an, daß wir dies ausgezeichnete Dasein verträumen in Unachtsamkeit und dies unser Leben, das (in Ansehung seiner Unbeständigkeit) dem Tautropfen gleicht, aufsaugen lassen von dem Windeswehen der Vergänglichkeit.

3. Es ist nichts nütze, daß einer auf das Vergängliche sein Vertrauen setzt. Dem Morgentaue gleich, auf welches Wegrands Halmen wird dahin es schwinden, unser Dasein? Selbst unser Leib ist nicht immer unser. Nicht einen Augenblick können wir's in seinem Laufe hemmen, dieses flüchtige Leben, wie es hurtiglich hingleitet mit der Zeit. Der Wangen frisches Rot einmal dahin, kein Mensch ist mehr vermögend, es wiederzugewinnen. Unmöglich ist's, zurückzubringen, was einmal vergangen. Und geschieht es, daß plötzlich Vergänglichkeit uns übermannt, nicht König noch Minister, nicht Vater, Mutter oder Diener, nicht Weib noch Kind, kein Reichtum kann uns helfen. Alleine, ganz alleine müssen wir allesamt von hinnen gehen in die Welt, die dunkle, und einzig unsere Werke, die guten und die bösen, sollen nach uns folgen.

4. Daß wir doch nicht Gemeinschaft haben wollten mit den Häretikern von heute, die das Gesetz von Ursache und Wirkung nicht kennen, an die Lehre von der Vergeltung keinen Glauben haben, von den drei Welten (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) nichts wissen und kaum von gut und bös den Unterschied verstehen! Daß das Gesetz von Ursache und Wirkung universelle Geltung hat, ist gar nicht zu verkennen. Wer Böses tut, der wird unweigerlich zugrunde gehen, und hach wird kommen, wer da Gutes tut: von dieser Regel gibt es keine Ausnahme. Kein Buddha wäre je in dieser Welt erschienen, kein Patriarch von Indien gekommen, wo das Gesetz von Ursache und Wirkung nicht durchaus feststehend gewesen wäre.

5. Was nun aber die Vergeltung von guten und bösen Taten anlangt, so gibt es da drei Termine:

etwelche Taten werden vergolten in diesem gegenwärtigen Dasein,

etwelche erst im nächsten und

etwelche in einem Leben in ferngelegener Zukunft. -

Das nennt man die drei Vergeltungszeiten, und wer sich der buddhistischen Lehre als Lernender begibt, der muß allem anderen voran erst einmal die Wahrheit von der Vergeltung in diesen drei Zeiten erfassen, oder aber er läuft Gefahr, sich selbst in Irrtum zu verlieren und in Unglauben zu fallen. Und nicht nur, daß er in Unglauben fällt, er wird sich dazu auch noch ein Dasein schlimmer Art zuziehen und auf lange hinaus der Pein verhaftet bleiben.

6. Niemand, daß man das doch recht sehr beherzigen wollte, hat in seinem dermaligen Dasein zwei Leben oder drei Leben zu verleben. So wäre es doch jammerschade, wollten wir dies eine Leben durch Unglauben uns verderben. Der Vergeltung begangener Übeltat kann einer sich nicht entziehen, indem er die falsche Meinung hegt, was er tut, sei nicht böse und er werde eine Vergeltung desselben nicht zu gewärtigen haben.

II. Kapitel

Sündenbekenntnis und Erlösung
7. Nun aber haben, Mitleid mit uns fühlend, Buddha's und Patriarchen uns aufgetan die Türe grenzenloser Barmherzigkeit, zugänglich allem, das da lebet. Ob Mensch, ob Deva (Gott), ein jeglicher vermag durch dieselbe einzugehen. Wohl ist ja, wie gesagt, der Vergeltung begangener Böstat in einer der drei Zeiten nimmer auszuweichen; wo einer aber seine Sünden bekennt, so wohnt dem die Kraft inne, ihm die drückende Last derselben zu erleichtern oder ihn zu reinigen von seinen Sünden.

8. Darum denn nun so gilt es, von ganzem Herzen Buße tun vor den Buddha's der Vorzeit. Alsdann werden wir durch die Kraft solcher Buße auch errettet und rein gemacht von unseren Sünden. Ist es ja doch eine Kraft, die reines Glauben und ernstes Wollen in uns wecket und erstarken läßt. Ist es aber erst zu solchem reinen Glauben in jemandem gekommen, so läßt ihn dasselbige fürder nimmer unterscheiden zwischen seinem eigenen Ich und anderen, also daß dieses Glaubens heilsame Wirkung auf alle Wesen sich erstreckt, empfindende und nichtempfindende.

9. Was aber solche Buße anlangt, so wird sie in der Hauptsache dahin zu gehen haben: Wir bitten, daß die Buddha's und die Patriarchen allesamt, sie, die da selber, wandelnd den Buddhapfad, erwacht sind zu der vollkommenen Erleuchtung, unser sich erbarmend von den Leiden, die, durch böse Taten im vorausgegangenen Leben von uns verursacht, nun unserem Heilsstreben als Hindernis im, Wege stehen, uns erlösen und uns in den Stand setzen wollen, daß auch wir teilhaben an dem Heile, das in seiner Unbegrenztheit über alle Welten reicht, soviel derselbigen sind. Sind ja doch Buddha's und Patriarchen voreinst auch gewesen wie wir jetzt, und sollen doch auch wir inskünftig einmal sein wie sie, die Buddha's und die Patriarchen:

10. Was Übles wir uns haben zuschulden kommen lassen in unserem voraufgegangenen Leben, in unserer Habgier, unserem Hasse, unserer Torheit, damit wir je und je behaftet, hat es seinen Grund. Nun aber bekennen wir alle unsere Sünden, die wir begangen haben mit Gedanken oder Worten oder Werken." Wenn wir also Buße tun, so empfangen wir unvermerkt der Buddha's und der Patriarchen Hilfe. Darum so sollen wir denn in Aufrichtigkeit des Herzens nichts verhehlen vor den Buddha's. So können wir dann auch ausrotten all unserer Sünden Wurzeln.

III. Kapitel
Übernahme der Gebote und Antreten der Buddhawürde
11. Was uns demnächst obliegt, das ist, daß wir den drei Kleinodien, d. i. dem Buddha, dem Gesetze und der Priesterschaft, Verehrung zu erweisen uns befleißen. Durch welche Wandlungen hindurch auch unser Leib und Leben mag zu gehen haben, immer sollten wir darauf aus sein, die drei Klein¬odien zu verehren und ihnen unsere Opfer darzubringen. Dem Buddha, dem Gesetze und der Priesterschaft Verehrung zu erweisen, das ist ein Gebot, das die Buddha's von Indien den Weisen von China überliefert haben.

12. Ist wer unselig und aller Tugend bar, der kommt gar nicht dazu, die drei Kleinodien jemals auch nur nennen zu hören; und wie dann sollte er da an sie glauben können ? (Nicht also aber ihr.) Daß ihr euch davor hüten wolltet, an Berggenien oder Geister, indem ihr euch vor ihren Tücken fürchtet, zu glauben, oder zu irgend einem Tempel, der falscher Lehre huldigt, als Gläubige euch zu halten! Könnt ihr ja doch nimmer von Leiden erlöst worden, auch wo ihr an sie glaubtet. Ihr aber, trachtet, indem ihr an die drei Kleinodien, Buddha, Gesetz, Priesterschaft; Glauben habt, nicht danach nur, euch euren Leiden zu entwinden, sondern ehestens auch zu gelangen zu vollkommener Erleuchtung (bodhi)!

13. Was nun die Anbetung der drei Kleinodien betrifft, so soll man vollkommen reinen Glauben an den Tathâgata haben, und das beides, sowohl an den Tathâgata während seines irdischen Lebens wie auch an den Tathvâgata, der zu seiner Ruhe eingegangen, und soll unter tiefer Verneigung des Hauptes mit gefalteten Händen vor demselbigen beten:

»Namu kie butsu; namu kie hô; namu kie sô (Ich nehme meine Zuflucht zu dem Buddha; ich nehme meine Zuflucht zu dem Gesetze; ich nehme meine Zuflucht zu der Priesterschaft).«


Der Buddha ist unser großer Meister: darum glauben wir an ihn; das Gesetz ist unsere gute Arznei; darum glauben wir an dasselbige; die Priesterschaft ist unser weiser Freund: darum glauben wir an sie. Ein Buddhajünger kann man gar nicht anders werden als durch diesen dreifachen Glauben (d. h. durch das gläubige Aussprechen dieser dreifachen Zufluchtsformel). Welche Vorschriften immer einer auf sich nehmen mag, er muß zuvörderst erst einmal diesen dreifachen Glauben geloben, sintemal erst er es ist, dadurch wir überhaupt in den Stand gesetzt werden, irgendwelches Sittengebot auf uns zu nehmen.

14. Zu ihrer vollen Wirkung aber kommt die Segenskraft solches Glaubens an den Buddha, das Gesetz und die Priesterschaft, wenn wir Gemeinschaft mit ihnen halten. Alsdann nimmt des Glaubens Segenskraft ständiglich zu von Leben zu Leben, von Welt zu Welt, von einem Daseinsstadium zu dem andern, also daß er uns am Ende die absolute wahre universelle Erleuchtung schafft. Daß die Wirkung der dreifachen Glaubenszuflucht eine ausgezeichnete und eine über alles Begreifen tiefe und große ist, ward von dem Tathâgata selbst bestätigt, daher dem auch kein lebendes Wesen daran zweifeln sollte.

15. Das nächste muß dann sein, daß man das dreifache Reinheitsgebot (san-ju-jô-kai, Sanskr. trividhasila) auf sich nimmt, nämlich:

1. das Gebot, alle Sünde zu meiden,

2. das Gebot, einen Schatz von guten Werken zu sammeln,

3. das Gebot, sich gütig gegen alle Wesen zu erzeigen;

und hiernach gilt es dann, die zehn Hauptverbote auf sich zu nehmen, das Verbot:

1. ein lebendes Wesen zu töten,

2. zu stehlen,

3. Unzucht zu treiben,

4. Lügen zu reden,

5. Wein zu verkaufen,

6. über die Fehler anderer zu reden,

7. sich selbst zu rühmen und andere herabzusetzen,

8. sich geizig zu erweisen,

9. Ärger zu hegen,

10. die drei Kleinodien zu verachten.

Der Glaube an die drei Kleinodien, das dreifache Reinheitsgebot und die zehn Hauptverbote, das sind die Gebote, die je und je die Buddha's auf sich genommen und befolgt haben.

16.
Und wo nun wir uns diesen Geboten unterstellen, werden auch wir gelangen können zu der absoluten wahren universellen Erleuchtung, der Buddhaschaft, unzerstörbar wie ein Diamant, zu der alle die Buddha's der drei Zeiten es gebracht haben (oder inskünftig bringen werden). Wird wer da irgend weise ist nicht den Wunsch haben, auch seinerseits zu diesem Ziele zu gelangen? Für alle Wesen hat der Tathâgata es gelehrt, daß, wo sie die Buddhagebote auf sich nehmen, sie auch die Buddhaschaft gewinnen können. So aber werden sie, im Range gleich geworden dem großen Erleuchteten, wahrhaftiglich zu Buddhasöhnen.

17. Alsdann wird es sein, daß Erdreich, Gras, Baum, Wall und Stein, kurz alles und jedes in den Welten aller zehn Richtungen Das ist die Segenskraft des mu-i (Nichttuns), das ist es, das Erwachen des Weisheitsherzens (Sanskr. Bodhicitta).

IV. Kapitel

Die Erweckung des Wunsches, Anderen wohlzutun
18. Erwachen des Weisheitsherzens (Bodhicitta), das will besagen, daß man den ernsten Vorsatz faßt, allen lebenden Wesen behilflich zu sein zu ihrer Rettung, noch eh' man selber hinübergelangt ist zu dem anderen Gestade der Erlösung. Ob einer Laie oder Priester, ob er ein Deva oder Mensch, in Freuden lebend oder peingefoltert, er sollte des beflissen sein.

19. In welchem solcher Sinn erwachet, der wird, und mag er äußerlich noch so gering erscheinen, ein geistiger Führer aller Lebewesen. Und wär's ein kleines Mädchen gleich, nicht mehr als nur sieben Jahre zählend, es ist (von solchem Rettersinn beseelt) eine Lehrmeisterin aller vier Klassen und aller lebenden Wesen Mutter. Es macht da keinen Unterschied, ob jemand männlichen oder weiblichen Geschlechtes ist. Das ist das wunderbarste Gesetz im Buddhismus.

20. Wenn wir, nachdem es zum Erwachen dieses Weisheitsherzens in uns allbereits gekommen, doch den Kreislauf des Lebens in den sechs möglichen Existenzformen (Sanskr. gâti) und in den vier verschiedenen Geburtsweisen weiterwandern, so wird diese Transmigration uns eben die rechte Gelegenheit sein, dieses Weisheitsherz sich praktisch auswirken zu lassen. Daß wir denn, nachdem wir unsere vergangenen Tage in Sorglosigkeit vergeudet haben, daß wir denn, solange uns noch zu leben gegeben ist, eilends dazu täten, diesen ernsten Vorsatz in uns zu erwecken! Selbst wo wir etwa verdienstliche Werke angesammelt hätten, genugsam, durch sie die Buddhaschaft uns zu gewinnen, müssen wir das Verdienst, das in ihnen liegt, allen lebenden Wesen zuwenden, um so erst sie zur Buddhaschaft zu fördern. Und so gibt es auch in der Tat solche, die zahllose Kalpa's hindurch einer Menge anderer dazu geholfen haben, daß sie gelangten zur Erlösung, und die doch, einzig darauf bedacht, den anderen wohlzutun, für ihre eigene Person zur Buddhaschaft annoch nicht eingegangen.

21. Anderen zu helfen, gibt es nun aber vier Arten höherer Weisheit (prajnâ):

1. Mildtätigkeit, 2. Freundlichkeit, 3. Wohltun; 4. Sympathie.


Und diese vier sind es, darauf der Sattva's Streben geht.

Was »Mildtätigkeit« anlangt, so ist damit gemeint, daß man frei von Habgier ist. Mildtätigkeit läßt sich üben, auch wo man selber nichts besitzt, einfach dadurch schon, daß man nach fremdem Gute nicht begehrt. Eine Gabe aber, die wir spenden, mag so gering wie immer sein, der Verdienstlichkeit des Gebens kann ihre Kleinheit keinen Abtrag tun. Und so können wir Mildtätigkeit üben, also daß Gutes daraus ersprießt in diesem Leben und im nächsten Leben, indem wir auch nur einen Spruch oder ein einzig Wort der Belehrung reichen, und wir können Mildtätigkeit üben, die ein Same des Guten wird in dieser Welt und in der nächsten Welt, indem wir auch nur einen Pfennig (Sen) oder ein Hälmchen Gras verschenken. Das Gesetz wird unser Schatz sein, und unser Schatz wird das Gesetz sein, wenn es uns, indem wir spenden, nur einfach darum zu tun ist, anderen zu helfen, ohne jeden Lohngedanken. Es kann als ein Akt der Mildtätigkeit gelten, wenn einer eine Brücke baut oder eine Fähre herstellt, ja überhaupt jede, menschliche Anstrengung, die dem Gemeinwohl dient, ist als solcher anzusehen.

22.
»Freundlichkeit« heißt soviel wie alle lebenden Wesen erbarmungsvoll anblicken und mit freundlichen Worten zu ihnen reden. Freundlichkeit ist es, wenn man zu anderen spricht, dabei ein Wort sich gegenwärtig haltend wie etwa dieses: »Ich liebe alle lebenden Wesen als meine Kinder.« Wo sich einer tüchtig zeigt, ihm gegenüber nicht rnit dem Lobe zurückhalten, wo einer der Tugend bar ist, Worte des Erbarmens für ihn haben! Freundlichen Worten wohnt Macht inne: durch sie kann man seine Feinde überwinden und durch sie mit den Guten in noch innigeres Einvernehmen gelangen. Freundliche Worte, vor des anderen Ohr gesprochen, machen ihm das Antlitz in Freude erglänzen und erheitern ihm das Herz, und selbst wenn sie in seiner Abwesenheit über ihn gesprochen werden, verfehlen sie nicht, Dankbarkeit in seine Seele einzuprägen. Freundlichkeit, müßt ihr wohl wissen, ist mächtig, sogar den Himmel zu drehen.

23. Unter »Wohltun« versteht man jede Betätigung, mit der es darauf abgesehen ist, irgend einem Wesen, es sei vornehm oder gering, wohlzutun. So etwa, wenn jemand, ohne dabei auf Vergeltung zu hoffen, sondern nur eben um wohlzutun, einer bedrängten Schildkröte oder einem kranken Sperlinge Hilfe leistet. Ein Tor mag meinen, er schädige den eigenen Vorteil, indem er anderen Wohltat erweist. Nicht im geringsten! Wohltun ist das eine, das All umschließende Gesetz und schlägt uns selbst so gut wie auch den anderen aus zum Nutzen.

24. »Sympathie« (oder »Solidarität«, jap. dôji) bedeutet soviel wie sich mit den anderen identifizieren. Zwischen mir und anderen ist kein Unterschied. So hat z. B. der Tathâgata, der in der Menschenwelt erschien, menschlich Gestalt und Wesen angenommen. Eine Art von Sympathie ist es, wenn das Meer alle Gewässer in sich aufnimmt, infolgedes dann auch alle Wasser dazu beitragen, die große See zu bilden.

25. Wer immer ein Verlangen nach der Bod'hi hat, der sollte dem Gesagten recht in Ruhe nachdenken und es nicht leicht damit nehmen. Zu allerhöchst gilt es, die Segenskraft zu verehren, die allen Lebewesen wohltut, und dadurch sie alle zur Erlösung kommen können.

V. Kapitel
Praxis und Dankbarkeit
26. Dieses Verlangen nach der Bodhi (Bodhicitta) sollten die Menschen von Nan-em-bu (Indien, China u. Japan zusmmen), sie, die doch dafür so viel Veranlagung haben, in sich wach zu halten steht sehr beflissen sein. Uns war's beschieden, in dieser Shaba (= Sanskr. Saha)-Welt geboren zu werden. Wer sollte sich nun des nicht freuen, daß er den Buddha Sâkyamuni sehen kann?

27. Bedenken wir es doch in Ruhe: Wäre das wahre Gesetz (Dharma) nicht über die Welt verbreitet worden, wir würden niemals dazu gekommen sein, es kennen zu lernen, ob wir gleich gewillt gewesen wären, unser Leben darum aufzuopfern. O, wohl uns, daß es uns gegeben ward, es kennen zulernen, dieses wahre Gesetz! Nun aber siehe da, was Buddha spricht! »Wo du einen Lehrer triffst, der da vermögend ist, vollkommene Weisheit dich zu lehren, nicht sollst du dir Gedanken darob machen, zu welcher Kaste er gehören mag, nicht darauf Obacht geben, wie sein Äußeres ist, nicht stoßen dich an seinen Unvollkommenheiten noch auch sein Tun und Lassen prüfen; nein, einzig auf seine Prajnâ (religiöse Weisheit) richte sich dein Sinn verehrend, und täglich dreimal sollst du in Ehrfurcht dich vor ihm verneigen.«

28. Daß wir aber jetzt den Buddha sehen können und hören sein Gesetz, den Buddha's und Patriarchen der Vergangenheit, den erbarmungsvollen, haben wir's zu danken. Denn hätten sie nicht sich zu dieses Gesetzes Überlieferern gemacht, wie hätt' es auf uns kommen sollen ? Müssen wir erkenntlich sein schon für die Freundlichkeit dessen, der uns etwa auch nur einen Spruch gelehrt hätte oder ein einziges Gebot, wie könnten wir's da fehlen lassen an rechter Dankbarkeit für die große Barmherzigkeit, die uns das (ganze) Gesetz geschenkt, dem sich ein anderes nicht vergleichen läßt an Größe? Vergaß doch selbst der kranke Sperling nicht der ihm erwiesenen Freundlichkeit, sondern hat dieselbe vergolten mit dem Ringe der drei großen Minister; vergaß doch die arme Schildkröte nicht der Liebe, die sie erfahren, sondern hat ihre Dankbarkeit bezeigt durch das Yofu-Siegel. Wo denn schon Tiere dankbar sind, wie sollte es dem Menschen ansteh'n, der Dankbarkeit sich bar zu zeigen?

29. Solche Dankbarkeit zu zeigen aber braucht man nicht etwa Gebote sonderlicher Art auf sich zu nehmen; nein, der rechte Weg zu danken ist, daß man einfach sein gewöhnlich Tagewerk verrichtet. Worauf es einzig ankommt, das ist, daß einer seine alltäglichen Pflichten nicht versäumt und nicht sein Leben geudet.

30. Schneller als ein Pfeil dahinfliegt, entfleucht die Zeit, und vergänglicher noch als der Morgentau ist unser Leben. Ein Tag, einmal dahingegangen, - mit welcher Kunst oder Erfindung sollten wir's vermögen, ihn zurückzuholen? Wär' es uns gleich gegeben, hundert Jahre zu leben: wo wir nichts Gutes täten, so würden wir doch all die Zeit hindurch nur Tage haben und Monate des Leids, um endlich eines schlimmen Todes zu sterben. Aber ob wir auch einhundert Jahre in Sinnessklaverei gelebt hätten: befleißen wir uns auch einen einzigen Tag nur, dem Gesetz gemäß zu leben, so wird uns solches zugut gerechnet nicht nur für alle hundert Jahre dieses Lebens, sondern auch für die gleiche Periode in anderen Lebensläuften. Für die Dauer dieses einen Tages haben wir ein kostbares Leben und einen kostbaren Körper, ein Leben und einen Körper, die wir lieben und schätzen müssen, sintemal was wir darinnen tun, geeignet ist das Tun der Buddhas offenbar zu machen und kund zu tun den großen Pfad, den alle Buddhas zeigten..... S.67-75
Aus: Textbuch zur Religionsgeschichte. Herausgegeben von D. Edv. Lehmann und D. Hans Haas, A. Deichertsche Verlagsbuchhandlung