Karlheinz Deschner [eigentl Karl Heinrich Leopold Deschner] (1924 - )

Deutscher Schriftsteller, Sohn eines Försters und belesener Vollblutatheist oder Agnostiker (wie er sich selbst gerne nennt), der nach theologischen, historischen, philosophischen und germanistischen Studien 1951 an der Universität Würzburg zum Doktor der Philosophie promovierte. Seitdem lebt er als freier Schriftsteller in Franken. Er ist Mitglied des PEN-Clubs, Träger des Arno-Schmidt-Preises sowie einer der führenden Kirchen-und Christentumskritiker der Gegenwart. Er ist Initiator und Herausgeber der 1956 im List Verlag erschienenen Anthologie »Was halten Sie vom Christentum?«.

Siehe auch Wikipedia

Nichts in meinem Leben fehlt mir weniger als Gott.
Die ewigen Lügen, die es gibt, setzen noch keine ewige Wahrheit voraus.

Zunächst hat jeder den Gottesglauben, den man ihm aufgeschwätzt hat; aber allmählich hat er den, den er verdient.

Ich habe kein Gottesbild. Brauche kein Gottesbild. Und gereizt, ziemlich gereizt, frage ich mich, weshalb ich überhaupt beisteure hier oder, besser, dagegen.

Ach, was nützt schon auf dieser Welt!

Die Skepsis? Redlichkeit? Wahrscheinlichkeit? (Denn wer da von Wahrheit faselt, lügt von vornherein!) Ja, Gott und Teufel nützen. Deshalb haben wir sie! Zelotentum, Zündschnüre, Zähnefletschen, Fanatismus. Peccare fortiter! »Sei ein Sünder und sündige wacker ...« (Luther). Wenn man Geld hortet, nützt‘s, Macht. Wenn man heuchelt, Konkurrenten ruiniert, höflich ins Gesicht ist, hinterrücks gemein. Wenn man weiß Gott wie gütig aus der Glotze feixt, jesuitisch väterlich, opusdeihaft durchtrieben, statt aufzubrausen, aufzustehn, zu gehn, weil man all die tollen, tollen Himmelsdrogen, Paradiesesräuschlein, diesen ganzen transzendenten Gipfel-Schwachsinn, der da über die Gehirne, die Millionen Schrumpfgehirne rinnt, alle Jahre, alle Tage wieder, einfach nicht mehr hören, nicht mehr sehen kann.

Gott, hätt‘ ich fast gerufen, waren‘s die Dümmsten denn, die protestierten, sich mokierten, erbrachen fast vor Ekel, Zorn? Ergrimmte nicht Goethe das Kreuz, »das Widerwärtigste unter der Sonne«, »wie Gift und Galle zuwider« ihm, das »Jammerbild am Holze«, das »Märchen von Christus«, dies »Scheinding«, das ihn »rasend machte«? Schmähte Schiller den »Wahn« nicht, »der die ganze Welt bestach«? Nicht Lessing dies »abscheuliche Gebäude von Unsinn«, das man bloß zusammenkrachen lassen könne? Geißelte Bruno Bauer, der Theologe, nicht den »Selbstmord des Geistes«? Bakunin den »gemeinsamen Wahnsinn«? Hebbel das »Blatterngift der Menschheit«, das er haßte, verabscheute, »und nichts mit größerem Recht«? Diagnostizierte Freud denn hier keine »universelle Zwangsneurose«? Und sah Schopenhauer da nicht »Gauner sich verbergen«? (»Hinterm Kreuze steht der Teufel«!) Arno Holz erschien das »ganz entsetzlich oberflächlich«, der »größte Schwindel dieser Weltgeschichte«, Nietzsche als »einer der korruptesten Gottesbegriffe, die auf Erden erreicht worden sind«, die transzendentale »Höhe des höchsten Blödsinns«, »die Irrenhaus-Welt ganzer Jahrtausende«. Mark Twain verfluchte den »gewissenlosen Gott«, »diesen moralischen Kretin«, nannte den Glauben an ihn »unmöglich«, »verrückt«. Und Heinrich Heine, der den »sterbenden Herrn« schon, den toten beschwor — »Der große Pan ist tot!« —, umstöhnte, verhöhnte »die Phosphordünste der Glaubenspisse«.

Aber — sie glauben.

Sie, die Zwangsgetauften, Indoktrinierten, die Gegängelten von klein auf. Die Käufer von Eigentumswohnungen über den Wolken, von imaginären Rosengärten, infantilen Klausen des Glücks. Sie, in deren Gehirn sich doch kaum noch viel mehr regt als der Gehirnschlag. ,»Credo quia absurdus sum ...« Und stinkt die eigene Ecclesia sie auch fast an inzwischen, ihre »Amtskirche«, Hierarchie: sobald deren Büttel, wohldotiert in Pfründen, Pensionen gebettet, in lebenslange Schmier- und Schweigegelder (denn soviel fand Lichtenberg schon »ausgemacht, die christliche Religion wird mehr von solchen Leuten verfochten, die ihr Brot von ihr haben, als solchen, die von ihrer Wahrheit überzeugt sind«), sobald also ihr theologischer Knecht seine Hanswurstiaden in die Mattscheibe salbadert, seine Komödianten-Camouflage, scheinheilig, »progressiv«, sobald dieser geistliche Galimathias mit großspuriger Gestik, wohlgeübt, selbstgefällig in die Welt hinausstrahlt, etwa: Ach, seien wir doch nicht so fixiert auf den Einen. Lassen wir den Papst doch, die Bischöfe, sammeln wir uns, geht es mal gar nicht anders, auch ohne sie. Leisten wir, muß es wirklich sein, in Gottes Namen halt Widerstand. Aber bekennen wir uns als Christen, als Katholiken, stehen wir treu zu Jesus, zur Sache Jesu! Machen wir seine Sache zu der unsren! — Ach, ja, da gehen die Gemüter, die Schrumpfgehirne auf — und ein, die Phosphordünste steigen ... Doch »nur ein Narr beugt heut noch seinen Nacken vor Göttern, die — aus Weizenmehl gebacken!« (Holz)
Ich habe kein Gottesbild, brauche kein Gottesbild, keine »Gottes Mummerei« (Luther). [...]

Ja, ihr glaubt fest daran, fest — an euren Gott, eure Fortexistenz. Euer Gott ist eure Fortexistenz, eure Fortexistenz euer Gott.
So habt ihr Trost, gar süßen, habt Stimulantien, Balsam, Narkosen, nützliche Blindheit, euer großes nebuloses Glück, ihr trillilierenden Kirchgeigen, ihr Gebetsmühlen, Letzte-Stündlein-Propheten, ihr langnasigen Mysterienschnüffler, habt eure Blauendunstkompensationen, -mystifikationen, euer ichversessenes Sehnen, eure chimärische Glückseligkeit — Gott! Ihr kennt ihn besser, als hätte er euch wochenlang Porträt gesessen. Er ist realer für euch als jeder Baum, als euer hohler Zahn und euer hohler Kopf, so hohl, daß da ganze Himmel und elysische Gefilde hineingehen und einst eingehen, transmundane Terrains voller Engelchöre und Platzkonzerte, paradiesische Kuren und Küren, auch Spirituellstes, natürlich ( — natürlich?), Geistiges, Geistliches, in subtilster Weise, Ätherisches, Feinstes, Entmaterialisiertes edelster, innigster Art, die prästabilierten Harmonien der Tölpel aller Zeiten.

Und die Hölle?! Ah, ja, jaaah, wohl ist‘s euch da ums Herz, warm. Erst jetzt leuchtet ihr wie der aufgehende Vollmond, jetzt erst kommt der volle Glanz in euer Jenseitsauge. (Ja, gegen euren Haß, Herrschaften, unsre Häme; gegen eure Lügen- und Verleumder- unsre Lästerzunge!) Jetzt erst triumphiert ihr ganz und gar, jauchzt eure Seele, eure schöne, im Herrn, in eurem göttlichen Marquis (de Sade verzeihe mir). Denn euch erwischt es nicht, o nein, ihr seid gerettet, gerettetet, seid bei den Happy few, den »wenigen«, denen euer »Wort Gottes« das Paradies verheißt. Nur Kerle wie meinesgleichen, den antichristlichen Abschaum, die Frivolen, Negativisten, Advocati diaboli, die ereilt, die trifft sie, eure »Vollkommenheit aller Vollkommenheiten«; aber auch Christen freilich, haufenweise, Gläubige jeder Facon, die halbe Menschheit, mehr als das, die »massa perditionis«, ewig durch den Allerbarmenden in der Hölle gezwickt, gezwackt, gepiesackt, ewig geröstet, gebraten, gesotten, ewig lechzend, ewig hechelnd nach eurem postmortalen Spießer- und Sadistenglück. Ach, ich schrieb es schon einmal: Was ist die Hölle von Auschwitz neben der ewigen Hölle! Neben dieser eeewigen Qual, diesem eeewigen Entzücken dazu für euch Edelmenschen, euch glitzernde, tönende Lichtgestalten, die ihr euch weidet, aalt und eeewig labsalt an dem Unglück eures Sohnes, eurer Mutter, Oma, dem eeewigen Elend eurer Nächsten, eures guten Nachbarn auch, an eurer Feinde Jammer, ad infinitum frohlockt darüber zur Vertiefung eures Kitzels, all der Wonnen eures Nächstenliebe-, Feindesliebe-Glücks, jubelt von Tertullian schon über den hl. Papst Leo 1., »den Großen», den hl. Petrus Lombardus, hl. Bonaventura, hl. Thomas von Aquin bis zu Fräulein Müller, Hermann Mayer und Frau von Perfid. Ja, »Beweise deine wunderliche Güte« (Ps. 17,7).

Oh, ihr Zwitscherknilche alle in spe, schon deshalb, allein deshalb schon ist mir euer Summum bonum, euer so lieber, so vollkommener Vampir, euer allgütiger todspeiender Dämon, Endlösungsteufel, euer Superauschwitzgötze verhaßt, was sage ich, ganz unaussprechlich zuwider. Seine Unterwelt allein reicht schon, reicht mehr als alles, was auf dieser Erde bereits durch Äonen an Unrecht, trillionenfacher Not geschieht, an Myriaden von Menschen, von Tieren (»Die Fischzüge und Vogelmorde eines einzigen Jahres bringen so viele Leiden über die Erde, daß das ganze Blutbad des europäischen Weltkrieges von 1914 bis 1918 wie ein harmloses Kinderspiel dagegen erscheint«; Theodor Lessing). Doch das stört euch am allerwenigsten, falls es euch denn überhaupt berührt, ihr Fleischverschlinger, Fischvertilger, Leichenfresser, ihr Machet-sie-euch-untertan-Hyänen. Und da kommt ihr noch und wollt — Argumente?!

O nein, die Argumente sind schon längst erbracht (auch von mir, in einem Aufsatz, sechsmal länger als diesen. Das Metaphysische plagt und treibt mich seit Jahrzehnten nicht mehr, keinen Moment. Wer weiß, ob es das Metaphysische gibt. Selbst Nietzsche zwar konzedierte seine Möglichkeit. Ich zweifle daran. Auf jeden Fall weiß ich, daß wir darüber nichts wissen. Absolut nichts. Glauben, zugegeben, kann man jeden Unsinn — gewöhnlich nichts als eine Frage der Geographie und des Datums. Und der Autosuggestion, gewiß. Glauben, das heißt unsichtbare Handschellen haben ums Gehirn, ein lebenslanges Pausenzeichen im Kopf. Glaube, das ist der Triumph der Angst über die Redlichkeit, des Wunsches über den Verstand, ist der teuerste Trost, den sich zumal die Armen leisten, der häufigste Fall somit partieller Unzurechnungsfähigkeit und die einzige Haltung, die noch dem ärgsten Trottel auf Dauer das Gefühl einer gewissen Größe verleiht.

Nein, euer Glaube drangsaliert mich nicht mehr, soviel mir auch zusetzt mit den Jahren, nicht wenig — wie auch euch, ihr Gläubigen, vieles bedrängt, manchmal weniger, manchmal mehr. Und da tröstet ihr euch eben, ihr »Denn-durch-Trübsal-hier-geht-der-Weg-zu-dir«-Pilger. Und je mehr ihr zu kurz gekommen seid, nicht materiell nur, nein, an Erwartungen, Liebe, Lust auch, desto mehr tröstet ihr euch mit »drüben« und werdet damit getröstet. Ja, erfand man nicht all dies speziell für euch, die Zukurzgekommenen?! Die Auszubeutenden? Die Einzulullenden? Die Stillzuhaltenden? Erfand man sie nicht für euch, die metaphysischen Märlein, die transzendenten Seligkeiten, um selber schon hier den Himmel zu haben, schon jetzt?!

Ich weiß, ihr findet dies alles widerlich. Ihr werdet versuchen, mich so oder so zum Schweigen zu bringen. Bedenkt aber: Hättet ihr zuvor geschwiegen, oh, wie gern auch ich. Und hieltet ihr wenigstens künftig eure gottvollen Mäuler, hielte auch ich vielleicht mein gottloses Maul. Goethe lehrte, das Unerforschliche ruhig zu verehren. Und Darwin fühlte zutiefst, daß das Ganze zu geheimnisvoll sei für den menschlichen Verstand. »Genausogut könnte ein Hund über den Verstand Newtons spekulieren ...«
Nichts in meinem Leben fehlt mir weniger als Gott.

Aus: Jan Brauers (Hrsg.), Mein Gottesbild, Fünfzig Beiträge namhafter Autoren (S.43-45, 55-58)
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