Annette (Anna Elisabeth) Freiin von Droste–Hülshoff (1797 – 1848)

  Deutsche Dichterin, die im Münsterland erst auf der Wasserburg Hülshoff, seit 1826 im Rüschhaus bei Nienberge und seit 1846 bei ihrem Schwager, dem Germanisten Joseph von Laßberg, auf der Meersburg am Bodensee lebte. Droste-Hülshoff gilt als bedeutendste Lyrikerin ihrer Zeit. Sie schrieb Balladen, Naturlyrik (Heidebilder) und religiöse Dichtungen. Ihr wichtigstes Prosawerk ist die im Jahre 1842 veröffentlichte Novelle »Judenbuche«. Ihre hohe Sensibilität und realistische Beobachtung des Kleinsten, scheinbar Bedeutungslosen, sowie die Erfahrung der Bedrohung menschlichen Daseins durch Naturgewalten verbinden sie mit anderen Dichtern ihrer Epoche (z. B. Adalbert Stifter, Eduard Mörike). Der Gedichtszyklus »Das geistliche Jahr« aus dem die beiden folgenden Gedichte stammen, wurde erst drei Jahre nach ihrem Tode veröffentlicht.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon


Inhaltsverzeichnis
Bei Gott ist kein Ding unmöglich (Geistliches Jahr)
Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon (Geistliches Jahr)
Für die armen Seelen (Geistliche Lieder)
Glaube (Geistliche Lieder)

>>>Christus
Von Zeichen an der Sonne (Geistliches Jahr)
Liebe (Geistliche Lieder)
Gethsemane

Das geistliche Jahr (Projekt Gutenberg)



Am Feste Mariä Verkündigung
Bei Gott ist kein Ding unmöglich (Geistliches Jahr)
Ja, seine Macht hat keine Grenzen,
Bei Gott unmöglich ist kein Ding!
Das soll mir wie mein Nordlicht glänzen,
Da meine Sonne unterging.
Und wie auf blauen Eisesküsten
Steh‘ ich zu starrer Winterzeit:
Wie soll ich noch das Leben fristen!
Ach, keine Flamme weit und breit!
Und sieh, er winkt‘ dem milden Lenzen,
Daß er die tote Erd‘ umfing?
Ja, seine Macht ist ohne Grenzen,
Bei Gott unmöglich ist kein Ding!

O sehet, wie von warmen Zähren
Der Erde hartes Herz zerquillt,
Wie sie, die Blumen sein zu nähren,
Mit Tau die grauen Wimpern füllt!
Auch in die längst erstorbnen Äste
Gießt sich ein Leben wunderbar,
Und alle harren seiner Gäste,
Der Blätter lebensfroher Schar.
Was soll ich denn der Hoffnung wehren,
Daß meiner Zähren Flehn gestillt,
Da ja sogar von warmen Zähren
Der Erde hartes Herz zerquillt?

Kannst du die Millionen Blätter
Aus diesen toten Ästen ziehn
Und aus dem ausgebrannten Wetter
Der Lavafelsen frisches Grün:
Was soll mein Herz zu hart dir scheinen,
Wo doch der gute Wille brennt,
Das sich dir glühend möchte einen,
Wenn es sich starrend von dir trennt?
Und soll nicht, mein allmächt’ger Retter,
Auch mir ein farblos Kraut entblühn,
Da du die Millionen Blätter
Kannst aus den toten Ästen ziehn!

O, möchte nur die Demut keimen!
Vertrocknet ist die Herrlichkeit.
Wohl durft‘ ich sonst mir Andres träumen;
Doch wie ein Blitz ist jene Zeit
Zwar kann ich mich in Reue sehnen,
Ich kann verwerfen meine Tat,
Doch nicht erfrischen meine Tränen,
Sie fallen sengend auf die Saat;
Und Frost und Hitze muß sich reimen,
Daß keine Blume mir gedeiht.
O, möchte nur die Demut keimen!
Vertrocknet ist die Herrlichkeit.

So ist doch von den Blumen allen
Marienblümlein milder Art;
Die Blätter erst, die Flocken fallen,
Doch freudig blüht es fort und zart.
Wenn sich des Winters Stürme brechen,
Gleich blickt es freundlich durch den Schnee,
Und naht der Lenz in Regenbächen,
Da steht es in dem kalten See.
O könnt ich gläubig niederfallen,
Bis mir das Blümlein offenbart!
Es ist ja von den Blumen allen
Marienblümlein milder Art.

Doch wie das Volk einst vor den Schranken
Um Horebs gottgeweihte Höhn,
So fliehen bebend die Gedanken,
Da sie dies reine Bild erspähn.
Was seh‘ ich nur die Feuersäule,
Und nicht die Gnade Gottes drin,
Daß unermeßlich scheint die Steile
Und wie ein Abgrund, wo ich bin?
O Jesu, laß aus diesem Schwanken
Nur nicht das goldne Kalb entstehn,
Wie jenem Volke vor den Schranken
Um Horebs gottgeweihte Höhn!

Und kann ich denn kein Leben bluten,
So blut‘ ich Funken wie ein Stein!
Ich weiß es, wo sie stille ruhten,
Ich scheuchte sie in Schlummer ein,
Da ich gesucht, was Leben kündet.
Doch hast du, Herr, mich ausersehn,
Daß ich soll starr, doch festgegründet
Wie deine Felsenmauern stehn:
So brenne mich in Tatengluten
Wie den Asbest des Felsen rein!
Und kann ich dann kein Leben bluten,
So blut‘ ich Funken wie ein Stein
. S.49ff.
Aus: Annette Freiin von Droste-Hülshoff, Gesammelte Werke, Sonderausgabe in einem Band, Emil Vollmer Verlag, München

Am sechzehnten Sonntage nach Pfingsten
Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon (Geistliches Jahr)
Wer nur vertraut auf Gottes Macht
In allen seinen Nöten,
Den hat kein Feind zum Fall gebracht,
Den kann kein Gegner töten;
Und wo die Angst ihn überfällt,
Da wird der allerstärkste Held
An seine Seite treten.

Der wird mit seinem scharfen Speer
Die Gegner ihm zerstäuben,
Und von dem allergrößten Heer
Kein Huf wird übrig bleiben;
Sei‘s äußrer oder innrer Feind,
Wenn nur der rechte Held erscheint,
Der kann ihm Grenzen schreiben.

Er ist der allerbeste Herr,
Den Einer mag erlangen;
Glückselig ist der Fröhner, der
In seinem Dienst gefangen.
So süß ist seine Sklaverei,
Daß Jeder, sei er noch so frei,
Mag tragen drum Verlangen.

Des Hungers Qual, der Blöße Schmach,
Die weiß er zu vergelten;
Es durft‘ ihn noch bis diesen Tag
Nicht Einer treulos schelten.
Er zahlt mit wucherndem Gewinst
An Alle, die in seinen Dienst
Ihr Gut und Leben stellten.

Und aller Stärke Talisman
Den hält er in der Rechten;
Selbst aus den schärfsten Dornen kann
Er Rosenkränze flechten.
Er zeigt im wilden Kampfrevier
Die echte Aaronsschlange dir,
Mußt du mit Vipern fechten.

Und rüttelt sich der grimmste Feind,
Da lehrt Er dich ein Zeichen,
Vor dem, so schlimm er es auch meint,
Muß schnell der Drache weichen;
Nur sei es von bereiter Hand
Mit rechtem Glauben angewandt,
Sonst mag es nimmer reichen.

Wem schwach der Glaube und Vertraun,
Ob ihn die Sehnsucht treibe,
Der darf doch noch von ferne schaun,
Daß er im Nachtrab bleibe,
Auf den erquickend in der Glut
Des Helden milder Schatten ruht
Wie mächt‘gen Schildes Scheibe.

Doch wem der Glaube echt und klar,
Den kann kein Leid bezwingen,
Der mag wohl aller Güter bar
Noch wie ein Vogel singen.
Schaut doch die Lilien in dem Feld,
Wie sind sie frisch und wohlbestellt,
Wie grün und guter Dingen!

Sie haben nicht des Webens Acht
Und sind so reich gezieret,
Daß Salomo in seiner Pracht
Viel minder Lob gebühret.
Schaut doch die jungen Raben an,
Wie sind sie satt und wohlgetan,
Wie blank und glatt geschnüret!

Er, der die jungen Raben nährt,
Er wird auch meiner walten,
Und müßt‘ er aus der Schlack‘ am Herd
Die Brote mir gestalten.
O Heil, daß ich den Herrn erwarb,
Bei dem kein Diener noch verdarb!
An ihn will ich mich halten.
S.132ff.
Aus: Annette Freiin von Droste-Hülshoff, Gesammelte Werke, Sonderausgabe in einem Band, Emil Vollmer Verlag, München

Für die armen Seelen (Geistliche Lieder)
Was Leben hat, das kennt die Zeit der Gnade;
Der Liebe Pforten sind ihm aufgetan.
Zum Himmel führen tausend lichte Pfade;
Ein jeder Stand hat seine eigne Bahn.

Denn wenn mit Trauer Leib und Seel‘ sich trennen,
Dann. Mensch, ergreif den letzten Augenblick.
Bald kannst du nicht mehr dein die Stunde nennen;
Aus deiner Hand entflohn ist dein Geschick.

Wohl dem, der reiches Gut voraus gesendet;
Was er gewirkt, das trägt er sich nach Haus.
Doch in dem Sturme, der dein Leben endet,
Löscht auch der Prüfung Gnadenfackel aus.

Wie Mancher schied und kennt die Zeit der Reue,
Und die Erlösung ist ihm noch so fern!
Wohlan mein Herz, zeig deine Christentreue:
Ein gläubig Flehn dringt vor den Thron des Herrn!

O du, der sprach aus seines Dieners Munde:
»Es ist ein heiliger und frommer Brauch!«
Das Geisterreich kennt weder Zeit noch Stunde,
Doch e i n e Stunde kennt und hofft es auch.

Mein Vater, sieh auf deine ärmsten Kinder
und denk an sie in ihrer großen Not;
Sie waren, was wir sind, sie waren Sünder,
Und ihre Gnadenpforte schloß der Tod!

Und haben sie auch deinen Weg verlassen
Und haben nicht auf deine Hand geschaut:
Ach, ihre Sehnsucht kann kein Leben fassen,
Und ihre Reue nennt kein Menschenlaut.

Jesu, denk an deine bittern Schmerzen
Und an den harten Tod am Kreuzesstamm!
Ach alle trugst du sie an deinem Herzen,
Für Alle starb das unbefleckte Lamm!

Eröffne deine heiligen fünf Wunden,
Und auf fünf Strömen, glänzend, blutig rot,
Send‘ her dein Kreuz, des mögen sie gesunden,
Ein sichres Schiff in ihrer großen Not!

Maria, bitt für sie bei deinem Sohne,
Als Himmelsleiter aus dem finstern Reich;
Beut ihnen seine blut‘ge Dornenkrone,
Und nimm sie auf in deinen Mantel weich!

Ihr Heil‘gen Gottes alle, helft uns flehen;
Sie sind ja eure armen Brüder auch!
Herr, laß sie bald dein göttlich Antlitz sehen,
Kühl ihre Glut mit deiner Milde Hauch!

Und wenn von denen, die mir teuer waren,
Als noch um sie die Erdenhülle lag,
Vielleicht noch mancher nicht dein Heil erfahren
Noch fruchtlos harrt auf der Erlösung Tag:

O Gott, ich ruf‘ aus meiner tiefsten Seele,
Steh ihnen bei, mein Gott, verlaß sie nicht!
Auf ihren Schmerz sieh, nicht auf ihre Fehle;
Sieh auf mein einsam trauernd Angesicht!

Und ist es möglich, kann man Seelen retten
Durch Erdenleid, dem man sich willig beut,
Kann ich mein Schicksal an das ihre ketten:
Gib deinen Kelch, o Herr, ich bin bereit!

Was will doch alles Erdenleiden sagen,
Bedenk ich Leid und Freud der Ewigkeit!
Was ich vermag, ich will es gerne tragen;
Ich bin bereit, o Herr, ich bin bereit!
S.200ff.
Aus: Annette Freiin von Droste-Hülshoff, Gesammelte Werke, Sonderausgabe in einem Band, Emil Vollmer Verlag, München

Glaube (Geistliche Lieder)
O Welt, wie soll ich dich ergründen
In aller deiner argen List?
Wo soll ich Treu und Glauben finden,
Da du so falsch und treulos bist?
Wo ich mich wende, hier und dort,
Da kömmt die Täuschung mir entgegen;
Die Lüge steht an allen Wegen
Und spricht ein trügerisches Wort.

Drum will ich nicht an Menschen glauben,
Und nur an dich, mein Gott, allein;
Daß nichts mir deine Treu kann rauben,
Dess mag mein Herz sich wohl erfreun.
Was auch die Welt dagegen spricht
Mit hunderttausend Menschenzungen:
Wer von des Glaubens Kraft durchdrungen,
Der wanket nicht und weichet nicht.

Wohl weiß ich, daß ein sinnlos Heer
Dich, o mein Gott, will ganz verkennen,
Vielmehr ein nichtig Ungefähr
Als seinen Herrn und Schöpfer nennen;
Allein ich glaube, daß sie blind
Und ganz verwirrt das Heil verfehlen,
Und daß die arm verirrten Seelen
Aus deinem Wink entsprungen sind

Ich weiß, daß Jesu heil‘ge Wunden,
O du mein allbarmherz’ger Gott,
Schon manches Herz zu hart gefunden,
Schon oft geduldet Hohn und Spott;
Allein ich glaub‘, o Jesu gut,
Daß du getragen ihre Sünden;
Und können sie noch Gnade finden,
So ist es durch dein kostbar Blut.

Ich weiß, daß meinen trüben Augen
Die heiligste Dreifaltigkeit
In ihrem Glanz nicht möge taugen,
Dieweil wir wandeln in der Zeit
Allein ich glaube, daß alsdann,
Wenn wir des Fleisches sind entbunden
Und uns vor Gottes Thron gefunden,
Mein Blick sie klar erkennen kann.

Ich weiß, daß deine Bahn auf Erden,
Maria, o du reine Magd,
Ein Anstoß mußte Manchem werden,
In dem die Gnade nicht getagt;
Allein ich glaub‘, o Gottesbraut,
Daß dich ihr Irrtum tief betrübe,
Und daß dein Auge noch mit Liebe
Und mit Erbarmen auf sie schaut.

Ich weiß, daß Gottes heil‘ge Scharen
Und ihr gerechter Lebenslauf
Ein Spott schon manchem Frevler waren,
Ein Ärgernis dem schwachen Hauf
Doch glaube ich, daß sie ihr Teil
Als Gottes Kämpfer treu gestritten,
Und daß sie unaufhörlich bitten
Für ihrer sünd‘gen Brüder Heil.

Ich weiß, daß Viel‘ zur Erde sehen
Und hängen fest an diese Zeit,
Die ihre eigne Seele schmähen
Und leugnen die Unsterblichkeit;
Allein ich glaube, daß sie nicht
Vor deinem Zorne schützt ihr Beben,
Wenn sie nun zitternd Zeugnis geben
Vor deinem ewigen Gericht.

Ich weiß, o Herr, daß hier auf Erden
Mir Manches hart und bitter ist,
Und daß mein Herz in den Beschwerden
Oft deine Güte ganz vermißt;
Allein ich glaube, daß die Nacht
Dereinst vor deinem Strahl wird tagen,
Und meine Lippen preisend sagen:
Der Herr hat Alles wohl gemacht.

Ja, er hat Alles wohl beschlossen,
Und treu und wahrhaft ist sein Wort;
Darum, mein Herz, sei unverdrossen
Und trau auf deinen sichern Hort.
Ja nur an dich, mein Gott, allein,
Nicht an die Menschen will ich glauben;
Daß nichts mir deine Treu kann rauben,
Des mag mein Herz sich wohl erfreun!
S.206ff.
Aus: Annette Freiin von Droste-Hülshoff, Gesammelte Werke, Sonderausgabe in einem Band, Emil Vollmer Verlag, München