Leonhard Euler (1707 – 1783)

  Schweizerischer Mathematiker, der zunächst Theologie studierte, sich dann aber ganz der Mathematik zuwandte. Seine wissenschaftliche Tätigkeit umfasst alle Zweige der reinen und angewandten Mathematik, Physik und Astronomie. Er ersetzte die geometrisch-synthetische Methode durch die allgemeinere analytische, stellte die nach ihm benannten Gleichungen für die Flüssigkeitsströmung und für die Kreiselbewegung auf, führte den Begriff des Trägheitsmomentes und der freien Drehachse ein und bediente sich bereits der Vektorrechnung. Er kennzeichnete (1736) die geodätischen Linien als Bahnkurven von Punkten, die sich beschleunigungsfrei auf der gegebenen Fläche bewegen, vertrat (1746) eine Wellentheorie des Lichtes. Zu den Anwendungen der Mathematik gehören seine »Musiktheorie« (1739), die »Theorie der Planetenbewegung« (1744), die »Grundsätze der Artillerie« (Ballistik, 1745), die »Theorie des Schiffbaues« (1749) und die »Dioptrica« (1769—71). Euler entwickelte die Variationsrechnung (Nebenprodukt: Eulersche Knickformel) und gab 1744 dem von Pierre Louis Moreau de Maupertuis aufgestellten »Prinzip der kleinsten Aktion« eine schärfere mathematische Form (Euler-Maupertuis-Prinzip). Er schuf die moderne Zahlentheorie und die kombinatorische Topologie. Zahlreich sind seine Beiträge zur Geometrie, zur Reihenlehre, zur Theorie der Differentialgleichung und Differentialgeometrie.

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Über Seelen, Geister und Gott (Briefe an eine Prinzessin)
Denken, Urteilen, Schließen, Empfinden, Reflektieren und Wollen sind Eigenschaften, die sich mit Natur der Körper nicht vereinbaren lassen, und Wesen, die damit begabt sind, müssen von einer gänzlich verschiedenen Natur sein. Man nennt sie Seelen und Geister, und derjenige, welcher diese Eigenschaften in dem höchsten Grade besitzt, ist Gott. [. . .]

Andere Weltweise, die nicht wissen, auf welche Seite sie treten sollen, glauben nichts Unmögliches darin zu finden, dass Gott der Materie ein Vermögen zu denken gebe. Dies sind eben diejenigen, welche behaupten, daß die Körper sich untereinander anziehen. So wie nun aber dieses ebensoviel sein würde, als wenn Gott selbst die Körper gegeneinander trieb, so würde es auch bei der Fähigkeit des Denkens, die er dem Körper mitteilen soll, nicht der Körper, sondern Gott selbst sein, der dächte Aber ich für meinen Teil bin so sehr überzeugt, dass ich selbst denke, als ich es von der gewissesten Wahrheit sein kann; und also ist es nicht mein Körper, der durch eine ihm mitgeteilte Fähigkeit denkt, sondern ein unendlich verschiedenes Wesen, nämlich meine Seele, die ein Geist ist. (S.86 aus dem 80. Brief)

Diese Gewalt aber, die jede Seele über ihren Körper ausübt, muss als ein Geschenk Gottes betrachtet werden, der diese wunderbare Verbindung zwischen den Seelen und Körpern gestiftet hat, und da sich meine Seele in einer solchen Verbindung mit einem gewissen Teilchen meines Körpers befindet, daß der Sitz meiner Seele an dem nämlichen Ort sei, obgleich, eigentlich zu reden, meine Seele nirgends ist, und keine andere Beziehung auf diesen Ort hat als die Beziehung des Einflusses. In eben diesem Einflusse der Seele besteht auch das Leben des Körpers, das so lange fortdauert, als diese Verbindung währt, oder so lange, als die Organisation des Körpers in ihrem Stande bleibt. Der Tod ist also nichts anderes als die Auflösung dieser Verbindung, und wenn solche erfolgt, so hat meine Seele nicht nötig, anderswohin gebracht zu werden, denn da sie nirgends ist, so verhält sie sich gegen jeden Ort auf einerlei Art, und wenn es also Gott gefiele, nach meinem Tode eine neue Verbindung zwischen meiner Seele und einem organischen Körper im Monde zu errichten, so würde ich von diesem Augenblick an im Monde sein, ohne eine Reise dahin nötig zu haben. Ja, wenn auch Gott jetzt gleich meiner Seele die Herrschaft über einen organischen Körper im Monde mit der Herrschaft über diesen irdischen Körper zusammen erteilt,. so würde ich beides hier und im Monde sein, ohne dass ein Widerspruch dadurch entstünde. Es gilt bloß von den Körpern, dass sie nicht an zwei Orten zugleich sein können; die Geister aber, die vermöge ihrer Natur in keiner räumlichen Beziehung auf irgendeinen Ort stehn, können ohne Hindernis auf mehrere Körper zu verschiedenen entlegenen Orten zugleich wirken, und in dieser Absicht könnte man wohl sagen, dass sie sich allenthalben befänden.

Dies gibt uns zugleich eine gute Erläuterung über die Art, wie Gott allenthalben ist; er ist es nämlich dadurch, daß sich seine Gewalt über die ganze Welt und über alle darin befindlichen Körper erstreckt. Es scheint mir aus diesem Grunde kein richtiger Ausdruck zu sein, wenn man sagt, daß Gott sich allenthalben befinde, denn das Dasein der Geister hat nichts mit einem Ort zu tun; vielmehr sollte man sagen, daß Gott allenthalben gegenwärtig sei, und so spricht auch die Offenbarung von ihm.

Man vergleiche jetzt diesen Begriff mit dem Wolffischen Begriff, wodurch Gott in der Tat an einen gewissen Ort gebunden wird, weil man sich ihn unter der Ähnlichkeit eines Punktes vorstellt, der unmöglich an mehreren Orten zugleich sein kann. Man versuche es, ob man mit dieser Idee die göttliche Allgegenwart, oder noch mehr, die göttliche Allmacht vereinigen könne.

Da der Tod die Auflösung des Bandes ist, das den Körper im Leben mit seiner Seele zusammenhält, so kann man sich hieraus von dem Zustande der Seele nach dem Tode eine Vorstellung machen. Gleichwie die Seele während des Lebens alle ihre Kenntnisse vermittels der Sinne erhielt, so erfährt sie nun, wenn der Tod ihr diese Gemeinschaft mit ihren Sinnen geraubt hat, nichts mehr von dem, was in der Körperwelt vorgeht; sie gerät beinahe in eben den Zustand, worin sich ein Mensch befinden würde, der auf einmal blind, taub und stumm geworden wäre. Kurz, der alle seine Sinne auf einmal verloren hätte. Dieser Mensch würde ohne Zweifel die Kenntnisse, die er durch Hilfe seiner Sinne erlangt hätte, behalten; er würde also auch fortfahren können, darüber nachzudenken, vornehmlich würden die von ihm selbst begangenen Handlungen ihm einen reichlichen Stoff dazu geben; mit einem Wort, seine Vernunftfähigkeiten würden unverändert bleiben, weil sie die Beihilfe des Körpers auf keine Weise nötig haben.

Der Schlaf gibt uns ein schickliches Bild und zugleich eine Probe von diesem Zustande, weil durch ihn die Vereinigung zwischen Seele und Körper großen Teils unterbrochen wird und die Seele gleichwohl nicht aufhört, tätig zu sein und sich mit Einbildungen zu beschäftigen, woraus die Träume entstehen. Gewöhnlich aber werden die Träume durch den übrigbleibenden Einfluß, den die Sinne noch auf die Seele behalten, sehr verwirrt und in Unordnung gebracht, und man weiß durch Erfahrung, daß je mehr dieser Einfluß geschwächt wird, welches in einem sehr tiefen Schlaf geschieht, desto ordentlicher und zusammenhängender die Träume werden. Nach dem Tode also werden wir uns in einem Zustand der vollkommensten Träume befinden, die nichts mehr fähig sein wird zu verwirren; es werden Vorstellungen und Schlüsse in dem vollkommensten Zusammenhange sein. Und dies ist meines Erachtens beinahe alles, was wir auf eine bestimmte Art davon sagen können. (S.118-120 aus dem 93. Brief)
Aus : Leonhard Euler: Briefe an eine deutsche Prinzessin über verschiedene Gegenstände der Physik und Philosophie (S. 86, 118-120)
Philosophische Auswahl, Herausgegeben von Günter Kröber
Reclam Universal Bibliothek Band 239
Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlags