Ludwig Andreas Feuerbach (1804 – 1872)
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Deutscher
Philosoph und leidenschaftlicher Religionskritiker. Nach seinem
Abitur im Jahre 1823 studierte er zunächst
Theologie in Heidelberg und ab 1824 Philosophie in Berlin, wo er die Gedankenwelt Hegels kennen lernte. Seit 1828 war er Privatdozent in Erlangen, wo er Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie,
Logik und Metaphysik hielt. 1830 gab er anonym seine Schrift »Gedanken über Tod und Unsterblichkeit«
heraus, in der er dem Unsterblichkeitsglauben jede reale Existenzgrundlage absprach. Die Unsterblichkeit,
der christliche Himmel und die dazugehörige Gottheit seien unerfüllbare,
phantastische und luxuriöse Wunschgebilde der menschlichen Einbildung, die »ewig nur im Himmel der Phantasie« existieren werden. Die Schrift wurde verboten und konfisziert. Nach Aufdeckung seiner Urheberschaft, musste er seine Bemühungen um eine Professur aufgeben - und damit jeden Gedanken an eine akademische Laufbahn. Ursprünglich
von Hegel ausgehend, entwickelte er
im weiteren Rahmen des Junghegelianismus einen antimetaphysischen Sensualismus mit materialistischen Tendenzen, der eine die Physiologie einschließende »Anthropologie« als Universalwissenschaft vertritt. Die
hieraus folgenden ethischen und religionskritischen Konsequenzen (»Das
Wesen des Christentums«, 1841) hatten starken Einfluss auf
die atheistischen Richtungen des 19. Jahrhunderts, den Linkshegelianismus und Marxismus-Leninismus
(insbesondere die Entfremdungstheorie). Feuerbach
fasst Religion und Theologie
als Projektionen des menschlichen Wesens, menschlicher Wünsche
und des Vollkommenheitsstrebens im Stadium der Selbstentfremdung des Menschen auf. Demgegenüber gelte es, die ursprünglich naturhafte Einheit
des Menschen mit sich selbst wiederherzustellen und die Theologie in die
Anthropologie als »menschgerechte Philosophie«
aufzulösen. Er wollte, dass die Menschen ihre Aufmerksamkeit
und Tatkraft ganz ausschließlich dem Diesseits zuwenden, anstatt sie
an ein jenseitiges Phantasiegebilde zu verschwenden. Theologen wollte er
zu Anthropologen und Theophile zu Philanthropen machen. Aus den »Kandidaten
des Jenseits« sollten »Studenten
des Diesseits« werden, die sich mit ganzer Seele und ganzem
Herzen als freie, selbstbewusste Bürger dieser Erde für die diesseitigen
Belange einsetzen. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexkon |
Inhaltsverzeichnis
Gedanken
über Tod und Unsterblichkeit
Die wesentliche Bedeutung des Lebens nach dem Tode in dem
allgemeinen oder volkstümlichen Glauben an die Unsterblichkeit ist nur
die, daß es die ununterbrochene Fortsetzung dieses Lebens ist, oder daß
dieses Leben als endlos
vorgestellt wird. Nicht der Vervollkommnungstrieb, sondern der Selbsterhaltungstrieb
ist der Grund des Glaubens. Der Mensch will, was er gern hat, ist und treibt,
nicht fahren lassen, will es ewig haben, sein und treiben. Und diese Ewigkeit
ist eine subjektiv notwendige Vorstellung. ,,Wir können“,
sagt Fichte, ,,keinen Gegenstand
lieben, ohne ihn für ewig zu halten!“ Richtig; aber wir können
überhaupt nichts unternehmen, ohne die Vorstellung der Dauer damit zu verbinden.
[…] S.23-24
So wie es nun eine Notwendigkeit für den Menschen ist, die Bündnisse
der Liebe, die er während des Lebens schließt, — sei es nun
mit Göttern oder Menschen, mit Personen oder Dingen — als unauflöslich
sich zu denken, wenn sie auch gleich mit der Zeit sich auflösen; so ist
es auch für ihn eine Notwendigkeit, sich sein Leben überhaupt ewig
vorzustellen; denn er verliert alle Lebenslust, es erscheint ihm alles, was
ihm das Leben wert und teuer macht, eitel, umsonst, zwecklos, wenn er sich vorstellt:
morgen ist alles, wenigstens für mich, nichts. Aber aus dieser Notwendigkeit
des Gedankens einer ewigen Existenz, d. h. einer unbegrenzten Lebensdauer, folgt
nichts weniger, als die gegenständliche Notwendigkeit und Wirklichkeit
derselben. Denn warum ist mir dieser Gedanke notwendig? weil ich ohne Notwendigkeit,
ohne Grund, weil ich voreilig, unzeitig an mein Ende denke. Natürlich
erscheint mir so mein Ende als eine gewaltsame Vernichtung, als ein unerträglicher
Gedanke; ich muß also die Vorstellung meines Endes aufgeben, mich wieder
als seiend denken.
Wie anders ist dagegen das wirkliche Lebensende! Es kommt, wenn es wenigstens
ein normales ist, allmählig; es kommt, wenn bereits das Lebensfeuer erloschen,
das Leben für uns höchstens nur noch den Wert und Reiz einer alten
Gewohnheit hat, wo also der Tod nichts weniger als eine gewaltsame, brutale,
unmotivierte Vernichtung, sondern der Schluß des vollendeten Lebens ist.
Selbst wenn der Gedanke an meinen Tod, d. h. an mein Nichtsein ein der Zeit
nach begründeter ist, so ist er doch immer noch logisch ein unbegründeter;
und wenn ich mich daher genötigt sehe, den unerträglichen Gedanken
meines Nichtseins durch den Gedanken eines nach dem Tode fortgesetzten Seins
zu überwinden, so bestätige ich dadurch nur die Wahrheit der naturgemäßen,
freilich nicht christlichen, spekulativen Logik, daß es ein unvernünftiger
Widerspruch ist, mit dem Sein den Gedanken des Nichtseins zu verbinden, seiend
nicht als nicht seiend, lebend sich als tot zu denken. Die
Unsterblichkeit ist daher eigentlich nur eine Angelegenheit für Träumer
und Müßiggänger.
Der tätige, mit den Gegenständen des menschlichen Lebens beschäftigte
Mensch hat keine Zeit, an den Tod zu denken, und folglich kein Bedürfnis
der Unsterblichkeit; denkt er ja an den Tod, so erblickt er in ihm nur die Mahnung,
das ihm zu Teil gewordene Lebenskapital weise anzulegen, die kostbare Zeit nicht
an nichtswürdige Dinge zu verschwenden, sondern nur auf Vollendung der
Lebensaufgabe, die er sich gesetzt, zu verwenden. Wer dagegen seine Zeit nur
dazu verwendet, um an sein Nichtsein zu denken, wer über diesem nichtsnutzigen
Gedanken das wirkliche Sein vergißt und verliert, der muß freilich
sein vorgestelltes Nichtsein durch ein wieder vorgestelltes, erträumtes
Sein ergänzen, sein Leben, sei‘s nun als gläubiger oder spekulativer
Tor, nicht mit Beweisen wirklichen Lebens, sondern mit Beweisen des zukünftigen
Lebens hinbringen.
Nirgends zeigt sich daher die Unvernunft und Verderblichkeit des Christentums
deutlicher, als darin, daß es die Unsterblichkeit, die selbst den träumerischsten
Weisen des Altertums immer etwas Zweifelhaftes, Ungewisses blieb, für etwas
Gewisses, ja das Allergewisseste ausgegeben, und so den Gedanken an ein künftiges,
besseres Leben zum angelegentlichen Gedanken der Menschheit gemacht hat. Der
Mensch soll allerdings nicht, wenigstens wenn ihm dieser Gedanke das Leben verbittert,
an sein Ende, sein Nichtsein denken; aber töricht, ja verderblich ist es,
dem Menschen ein besseres Leben nach dem Tode zu versprechen; denn ,,das Bessere
ist der größte Feind des Guten.“ Genießt das Gute des
Lebens und verringert nach Kräften die Übel desselben! Glaubt, dass
es besser sein kann auf der Erde, als es ist; dann wird es auch besser werden.
Erwartet das Bessere nicht von dem Tode, sondern von euch selbst! Nicht den
Tod schafft aus der Welt; die Übel schafft weg — die Übel, die
aufhebbar sind, die Übel, die nur in der Faulheit, Schlechtigkeit und Unwissenheit
der Menschen ihren Grund haben, und gerade diese Übel sind die schrecklichsten.
Der naturgemäße Tod, der Tod, als Resultat
der vollendeten Lebensentwicklung ist kein Übel; aber wohl der Tod, der
eine Folge der Not, des Lasters, des Verbrechens, der Unwissenheit, der Rohheit
ist. Diesen Tod schafft aus der Welt, oder sucht ihn wenigstens so viel
als möglich zu beschränken! So spricht die Vernunft zum Menschen.
Anders das Christentum, welches, um ein eingebildetes
Übel zu beseitigen, die wirklichen
Übel des Lebens unangefochten bestehen ließ; welches, um
den Tod zum Leben zu machen, das Leben uns zum Tode gemacht hat, welches, um
übernatürliche, phantastische, luxuriöse
Wünsche des Menschen zu befriedigen, den Menschen
gegen die Befriedigung der nächsten, notwendigsten natürlichen Bedürfnisse
und Wünsche gleichgü1tig gemacht hat. Das Christentum hat dem Menschen
mehr geben wollen, als er selber in Wahrheit
verlangt; es hat sich die Erfüllung der unerreichbaren
Wünsche zum Ziel gesetzt, aber eben deswegen nicht die erreichbaren Wünsche
erfüllt.
Das Christentum ist so wenig der klassische, vollendete Ausdruck der menschlichen
Natur, daß es vielmehr nur auf den Schein derselben, nur auf dem Widerspruch
des menschlichen Bewußtseins mit dem menschlichen Wesen gegründet
ist. Die Unsterblichkeit ist ein Wunsch der menschlichen Einbildung, aber nicht
des menschlichen Wesens. Das Christentum hat mit der Unsterblichkeit dem Menschen
eine Schmeichelei gesagt, an die — abnorme Fälle und solche Menschen
abgerechnet, bei welchen die Macht der Einbildung die Stimme der menschlichen
Natur übertäubt hat — im Grunde seines Wesens, d. h. in der
Tat und Wahrheit, kein Mensch glaubt, wie unter anderem die Tatsache beweist,
das die Unsterblichkeitsgläubigen ebenso ungern sterben, als die Todesgläubigen,
dieses Leben solange als möglich zu behaupten und festzuhalten sich bestreben.
Es gibt Wünsche, deren geheimer Wunsch ist, nicht erfüllt zu werden,
denn die Erfüllung würde sie kompromittieren, sie entlarven, zeigen,
daß sie bloß auf Täuschung beruhen, Wünsche also, die
nichts anderes sein und bleiben wollen, als Wünsche.
Ein solcher Wunsch ist vor allen der Wunsch eines ewigen Lebens. Es hat nur
Wert in der Einbildung; würde es wirklich, so würde der Mensch inne
werden, daß er es nur im Widerspruch mit seiner wahren Natur verlangt,
daß er sich in und über sich getäuscht, daß er sich, selbst
mißverstanden hat; denn es würde das ewige Leben, wenn es auch von
anderer Beschaffenheit wäre, als dieses, endlich, satt bekommen;
es ist daher nur eingebildeter, illusorischer, kein ernstlich gemeinter Wunsch.
Lediglich in Beziehung auf die Zeit gedacht, ist die Vorstellung
des ewigen Lebens dem Menschen ein Bedürfnis im Gegensatz gegen die Vorstellung
der Kürze dieses Lebens. Aber auch diese Vorstellung steht mit der
Wahrheit und Wirklichkeit in Widerspruch. Das Leben ist lang, aber erscheint
uns in der Vorstellung kurz. Warum? weil
wir die Vergangenheit nicht mehr zu uns rechnen, vergangenes Sein gleich Nichtsein
anschlagen.
Unsere Selbstliebe interessiert nur die Zukunft, nicht die Vergangenheit. Wir
machen es mit unserer Lebenszeit, wie der Geizhals, der, während er in
der Wirklichkeit die Kästen voll Geld, in seiner Vorstellung doch nichts
hat; denn die Vorstellung ist unbeschränkt; in der Vorstellung kann ich
immer noch mehr haben, als ich wirklich habe; die Wirk1ichkeit bleibt immer
hinter ihr zurück. So ist auch das wirkliche Leben immer kurz gegen die
Vorstellung gehalten; wir können es uns unbegrenzt denken; wir vergessen
über dem Möglichen das Wirkliche.
Wenn daher auch dem Menschen sein Wunsch gewährt
würde, wenn er Jahrtausende, ja ewig fortlebte, so würde er doch damit
nichts gewinnen; Jahrtausende würden in seiner Erinnerung in Tage, in Stunden,
in Minuten zusammenschmelzen; er würde die Vergangenheit immer als verloren
betrachten, sich selbst eben so, wie jetzt, als eine Ephemere, als ein Tagesgeschöpf
erscheinen. Wie wir der Natur der Abstraktion, des Geistes gemäß
alles abrevieren, verkürzen, verallgemeinern, das Wirkliche mit Weglassung
seiner unendlichen Einzelheiten und Verschiedenheiten in ein
Bild, eine Vorstellung, einen
Begriff zusammenfassen; so fassen wir auch in der Vorstellung das
unendlich reiche, langwierige und oft sehr langweilige Leben in ein verschwindendes
Nu zusammen, und ergänzen daher diese eingebildete Kürze durch eine
eben so eingebildete Dauer. [...] S.26-31
Sie sehen nicht, die Toren, daß das Jenseits der
Gegenwart schon in das Diesseits fällt, daß der Mensch, um über
ihre Schranken sich zu erheben, nicht nötig hat, sich ein himmlisches Jenseits
zu erträumen; daß er nur einen Blick in seine eigene, in die menschliche
Zukunft zu werfen braucht, daß der Gedanke der menschlich-geschichtlichen
Fortdauer und Unsterblichkeit unendlich mehr geeignet ist, den Menschen zu großen
Gesinnungen und Taten zu begeistern, als der Traum der theologischen himmlischen
Unsterblichkeit. Ja, es ist nicht einmal notwendig, über den Lebenskreis
des Individuums in das Gebiet der Geschichte auszuschweifen: das Leben des einen
und selben Individuums ist selbst schon so reichhaltig, daß in seine eigene
Zukunft die Verneinung der Schranken seiner Gegenwart fällt. Was der Mensch
noch einst im Laufe seines Lebens wird, das ist ebensogut ein Gegenstand der
Einbildung, - der Ahnung, der Poesie, liegt ebenso, ja noch mehr jenseits seines
gegenwärtigen Bewußtseins und Gesichtskreises, als das himmlische
Jenseits; denn eben weil unsere irdische Zukunft unbekannt und ungewiß
ist, weil wir jeden Moment als unseren letzten vorstellen können und nach
den Lehren des wahren Christentums vorstellen sollen, setzen wir an die Stelle
dieser dunklen Zukunft die gemalte Zukunft des Jenseits. [...]
S.33-34
Der Christ will Gott sein; er erklärt ja ausdrücklich
die Gottheit als sein Vor- und Urbild; er will unter anderen Eigenschaften der
Gottheit daher auch die der Allwissenheit haben; er selbst will alles wissen;
das andere Menschen wissen, was er nicht weiß, daß die Zukunft immer
die unaufgelösten Probleme der Gegenwart löst, das kümmert ihn
nicht. Diesem überschwänglichen, ungebührlichen Wunsche
des Christen, allwissend, Gott überhaupt zu sein, dieser seiner eingebildeten
Gottheit widerspricht nun aber die Wirklichkeit, die Wirklichkeit. Er fordert
und glaubt daher ein Jenseits, wo diese seine eingebildete Gottheit zur Wirklichkeit
wird.
So beweisen uns selbst noch die modernen Christen, daß die Mysterien
des christlichen Glaubens nur in dem unglaublichsten,
unbegrenztesten, übernatürlichsten Dünkel und Egoismus des Menschen
(scilicet christlichen Menschen) ihren Grund
haben. Sie beweisen uns zugleich, daß die Interessen der Kunst und Wissenschaft,
auf die sie die Notwendigkeit einen überirdischen Jenseits gründen,
nur ein freilich unbewußter Vorwand ihrer Selbstliebe sind. Denn wer wirklich
sich für Kunst und Wissenschaft interessiert, der appelliert mit seinen
Wünschen an die Nachwelt, der ist eben im Interesse der Kunst oder Wissenschaft
vollkommen zufrieden, wenn nur überhaupt ein für jetzt unauflösliches
Problem gelöst wird, sollte ihm auch nicht mehr das Glück zuteil werden,
ihre Lösung selbst zu erleben.
Wer sich einmal auf den Standpunkt von Kunst und Wissenschaft erhebt, ihre Interessen
verficht, der muß auch
für seine Person auf Allwissenheit und Allmacht verzichten, ja er
hat schon unbewußt im voraus darauf verzichtet; denn Künste und Wissenschaften
gedeihen nur in der Zusammenwirkung der Menschen; sie sind nicht ein Privateigentum;
sie sind ein Gemeingut der Menschheit; sie sind die Stätten, wo der verschriene
Kommunismus bereits eine Wahrheit ist. Auch ist diese Resignation keine unnatürliche
und schmerzhafte, denn der Mensch wendet sich ja mit vorherrschender Neigung
einem bestimmten Gebiete der Künste oder Wissenschaften zu, und ist daher
vollkommen befriedigt, wenn er nur in einer Wissenschaft, einer Kunst etwas
Tüchtiges weiß und leistet; er ist es um so mehr, als alle Künste
und Wisenschaften mit einander zusammenhängen, jeder spezielle Teil daher
gewissermaßen das Ganze abspiegelt, jedes spezielle Wissen daher, wenn
auch nicht der Ausdehnung, doch der Kraft nach universelles Wissen ist.
Der Rationalist verspricht übrigens als ein weltlicher Christ, welcher
der Gottheit die Natur, dem Jenseits das Diesseits, dem
Supranaturalismus den Naturalismus unterschiebt, dem Menschen nach dem
Tode oder im Jenseits nicht, wie wir bereits sahen, eine mit einem Mal fertige,
sondern sukzessive, keine ewige, sondern zeitliche, keine seiende, sondern werdende
Gottheit. Er nähert sich immer mehr Gott an, d. h. eben er wird immer mehr
Gott, aber er kommt nie zum wirklichen Gottsein; es bleibt beim Werden. Der
Rationalismus schwebt zwischen Himmel und Erde, zwischen Christentum und Menschentum;
er verneint das Christentum, indem er es bekennt, bejaht. Der Mensch ist ihm
zugleich ein himmlisches, supranaturalistisches, göttliches, phantastisches
Wesen, denn er ist Christ, aber auch zugleich ein irdisches, menschliches, zeitliches
Wesen, denn er ist ebensoviel Nichtchrist, als Christ.
Der sinnfällige, gegenständliche Ausdruck dieses Widerspruchs ist
sein Jenseits, wo er Gott ist, aber auf nicht göttliche,
sondern auf menschliche Weise, ewig, aber auf zeitliche, unendlich, aber auf
endliche, vollkommen, aber auf unvollkommene Weise. Er dichtet daher
dem Menschen eine unendliche, eine unerschöpfliche,
eine nie zu befriedigende, nie zu realisierende Vervollkommnungsfähigkeit
an — eine Fähigkeit, die daher notwendig auch ein unendliches, ein
nie ans Ziel kommendes, ein von Jahrtausenden zu Jahrtausenden, von Ewigkeit
zu Ewigkeit fortgehendes Leben erfordert. Aber nirgends zeigt sich die
Phantastik des Jenseitsglaubens und seine Unkenntnis der wirklichen Menschennatur
mehr, als eben gerade darin, daß er an dieselben alten Individuen die
Fortschritte der Zukunft anknüpft. Neue Tugenden, neue Einsichten, neue
Geister entstehen nur, weil immer neue Körper, neue Menschen entstehen.
Fortschritte macht die Menschheit in dem Diesseits nur deswegen, weil an die
Stelle der alten unverbesserlichen Stockgelehrten und Stockphilister überhaupt
neue, frischere, bessere Wesen treten, denn die Jugend ist immer besser, als
das Alter, wie die Kronprinzen immer, solange sie wenigstens Kronprinzen sind,
besser als ihre königlichen Väter, weil die Jungen die Fehler der
Alten bemerken und daher das Gegenteil von ihnen tun und sind, bis sie selbst
wieder in die Fehler des Alters fallen.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe
Band 26, Ludwig Feuerbach, Die Unsterblichkeitsfrage (S.23-24, 26-30, 33-34,
95-97) Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des
Alfred Kröner Verlages, Stuttgart
Über
meine ,,Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“
Der Hauptvorwurf, den man den „Gedanken
über Tod und Unsterblichkeit“ gemacht, reduziert sich darauf,
daß sie absolut negativ wären, die Persönlichkeit, die Individualität
vernichteten. Dieser Vorwurf ist aber nur ein von der Oberfläche abgeschöpfter.
Wenn ich einem Menschen beweise, daß er das nicht in Wirklichkeit ist,
was er in seiner Einbildung ist, so bin ich allerdings negativ, gegen ihn, ich
tue ihm wehe, ich enttäusche ihn; aber ich bin nur negativ gegen sein eingebildetes,
nicht gegen sein wirkliches Wesen; was er außerdem ist, anerkenne ich
mit Freuden, ja ich nehme ihm nur seine Einbildung, damit er sich erkenne und
sein Denken und Wollen auf einen seinem wirklichen Wesen entsprechenden, seine
Kräfte nicht übersteigenden Gegenstand richte. Ich kenne, erzählt
Castiglione in seinem Cortegiano, einen ausgezeichneten Musiker, welcher
sie Musik aufgegeben und sich gänzlich aufs Versmachen verlegt hat, und
sich für den größten Dichter hält, obgleich er bei jedermann
sich mit seinen Gedichten nur lächerlich macht. Ein anderer, einer der
ersten Maler von der Welt, verachtet diese Kunst, worin er Meister ist, und
hat sich dafür auf das Studium der Philosophie gelegt, in welcher er aber
nur die tollsten Einfälle und Chimären ausbrütet. Wenn ich nun
diesem Maler die Eigenschaft eines Philosophen, jenem Musiker die Eigenschaft
eines Dichters abspreche, bin ich negativ, grausam gegen sie? Bin ich nicht
vielmehr ihr Wohltäter, ihr Heiland, selbst wenn ich mit den Waffen des
bittersten Spottes ihre Narrheit bekämpfe, um sie zur Vernunft und Hinwendung
ihrer wahren Talente zurückzuführen?
Seht! gerade so ist es mit der Unsterblichkeit, nur mit dem Unterschied, das
was außer der Religion für eine Offenbarung der menschlichen Torheit
und Verrücktheit gilt, in der Religion — die Unsterblichkeit ist
ja aber eine Sache derselben — für Offenbarung göttlicher Wahrheit
und Weisheit gilt. Der Verfasser spricht dem Individuum nur das
eingebildete Talent zum unsterblichen Leben ab, damit es sein wirkliches
Talent, das Talent zu diesem Leben geltend mache, nicht einer Einbildung aufopfere;
denn überall, wo der Glaube an ein Jenseits Tat und
Wahrheit wird, wo die Lebensklugheit sich nicht ins Mittel zwischen den Glauben
und seine Konsequenzen schlägt, entzieht er dem Menschen die Fähigkeiten
und Mittel zu diesem Leben, wie wir dies auf eine höchst sinnfällige
Weise bei den Völkern sehen, welche dem religiösen Wahne einer Existenz
nach dem Tode Gut und Blut aufopfern, dem Verstorbenen nicht nur sein Mobiliarvermögen,
sondern auch seine Frauen, seine Diener mit ins Jenseits, d. h. ins Grab mitgeben.
Bei den Christen ist es ebenso, nur daß diese nicht den Leib, sondern
die Seele, die Vernunft, die Tatkraft an das Jenseits verschwenden. Der Verfasser
negiert also nur die eingebildete, supranaturalistische aufgeblasene Persönlichkeit,
um die wirkliche, lebendige Persönlichkeit um so energischer bejahen zu
können; verwirft die Ansprüche auf den Himmel nur, um die Ansprüche
auf die Erde zu steigern, den Wert des irdischen Lebens und Menschen zu erhöhen.
Er will, daß die Menschen nicht mehr auf Tauben
warten, die ihnen gebraten vom oder im Himmel in den Mund fliegen, sondern selbst
sich Tauben fangen und braten, wiewohl er sich deswegen nicht etwa mit
der Hoffnung schmeichelt, daß sie den christlichen Himmel je auf der Erde
bekommen werden und können, denn dieser bleibt ewig
nur im Himmel der Phantasie. Er will nur, daß sie über den
himmlischen Tauben nicht die irdischen aus den Augen und
Händen verlieren, und eine mäßige, aber wirkliche Glückseligkeit
einer maßlosen, aber eingebildeten Seligkeit vorziehen.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe
Band 26, Ludwig Feuerbach, Die Unsterblichkeitsfrage (S.114-116) Veröffentlichung
auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlags,
Stuttgart
Der
Glückseligkeitstrieb als Urgrund der Religion
Aus den »Vorlesungen
über das Wesen der Religion«, Vorl. 22 u. 23. (Sämtliche Werke,
herausg. von Wilh. Bolin, Bd. VIIL) Erstmalig gedruckt 1851
Der Mensch glaubt Götter nicht nur, weil er
Phantasie und Gefühl hat, sondern auch, weil er den
Trieb hat, glücklich zu sein. Er glaubt ein seliges Wesen, nicht
nur weil er eine Vorstellung der Seligkeit hat, sondern weil
er selbst selig sein will; er glaubt ein vollkommenes Wesen, weil er selbst
vollkommen zu sein wünscht; er glaubt ein unsterbliches Wesen, weil er
selbst nicht zu sterben wünscht. Was er selbst nicht ist, aber zu
sein wünscht, das stellt er sich in seinen Göttern als seiend vor;
die Götter sind die als wirklich gedachten, die in wirkliche Wesen verwandelten
Wünsche des Menschen; ein Gott ist der in der Phantasie befriedigte Glückseligkeitstrieb
des Menschen.
Hätte der Mensch keine Wünsche, so hätte
er trotz Phantasie und Gefühl keine Religion, keine
Götter. Und so verschieden die Wünsche,
so verschieden sind die Götter, und die Wünsche so verschieden,
wie es die Menschen selbst sind. Wer zum Gegenstande seiner Wünsche nicht
Weisheit und Verständigkeit hat, wer nicht weise und verständig sein
will, der hat auch keine Göttin der Weisheit zum Gegenstande seiner Religion.
Wir haben bei dieser Gelegenheit wieder in Erinnerung zu bringen, daß
wir, um die Religion zu erfassen, alle einseitigen, beschränkten Erklärungsgründe
vermeiden, oder diesen Gründen keine andere Stelle in der Religion einräumen
dürfen, als sie wirklich in ihr einnehmen.
Inwiefern die Götter Mächte sind, und zwar ursprünglich Naturmächte,
die die menschliche Einbildungskraft in menschenähnliche Wesen umgeformt
hat, so wirft sich der Mensch vor ihnen in den Staub nieder; er fühlt
vor ihnen sein Nichtsein; sie sind Gegenstände des Nichtigkeitsgefühles,
der Furcht, Ehrfurcht, Anstaunung, Bewunderung, furchtbare oder herrliche, majestätische
Wesen, die auf den Menschen alle die Eindrücke machen, die überhaupt
ein mit den Zauberkräften der Phantasie ausgestattetes Wesen oder Bild
auf den Menschen macht; insofern sie aber Mächte sind, welche die Wünsche
der Menschen erfüllen, welche dem Menschen geben, was er wünscht und
bedarf, sind sie Gegenstände des menschlichen Egoismus.
Kurz, die Religion hat wesentlich einen praktischen Zweck
und Grund; der Trieb, aus dem die Religion hervorgeht, ihr letzter Grund ist
der Glückseligkeitstrieb, und wenn dieser Trieb etwas Egoistisches ist,
also der Egoismus. Wer dieses verkennt oder leugnet, der ist blind; denn
die Religionsgeschichte bestätigt dies auf jedem ihrer Blätter, sie
bestätigt es auf den niedrigsten, wie auf den höchsten Standpunkten
der Religion. Man erinnere sich hierbei nur an die Zeugnisse, die ich in einer
früheren Vorlesung aus den christlichen, griechischen und römischen
Schriftstellern anführte. Es ist dieser Punkt der praktisch und theoretisch
wichtigste; denn wenn es erwiesen ist, daß der Gott
nur dem Glückseligkeitstrieb des Menschen seine Existenz verdankt, daß
aber die Religion nicht diesen Trieb, außer in der Einbildung, befriedigt,
so ist es notwendige Folge, daß der Mensch auf andere Weise als religiöse,
durch andere Mittel als religiöse diesen Trieb zu befriedigen sucht. Also
noch einige Belegstellen.
Während früher meine Aufgabe war, zu beweisen, daß die Selbstliebe
der letzte Grund der Religion sei, so ist jetzt bestimmter meine Aufgabe, zu
beweisen, daß die Religion die menschliche Glückseligkeit zu ihrem
Zwecke hat, daß der Mensch die Götter nur deswegen verehrt und anbetet,
damit sie seine Wünsche erfüllen, damit er durch sie glücklich
sei.
»Bittet«, heißt es in der Bibel,
»so wird euch gegeben; wer da bittet, der ernpfahet.
Welcher ist unter euch Menschen, so ihn bittet sein Sohn ums Brot, der ihm einen
Stein bietet? So denn ihr, die ihr doch arg seid, könnet dennoch euren
Kindern gute Gaben geben, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben
denen, die ihn bitten«. »Wer nun also könnte«,
sagt Luther in seiner Kirchenpostille, »Gott
und ihm selbst sein Herz nehmen, daß er einen solchen Wahn und Muth gegen
Gott dürfte tragen und von Herzen zu ihm sagen: Du bist mein lieber Vater;
was sollte er nicht dürfen bitten? und was könnte ihm Gott versagen?
sein eigen Herz wird's ihm sagen, daß ja sein soll, was er nur bittet«.
Gott wird also dargestellt als ein die Wünsche erfüllendes, die Bitten
erhörendes Wesen. Man betet, damit man Gutes empfange, damit man erlöst
werde „aus Gefährlichkeiten, aus Nöten und allerlei Widerwärtigkeiten«.
Je größer aber die Not, die Gefahr, die Furcht, desto mächtiger
regt sich auch der Selbsterhaltungstrieb, desto lebhafter ist der Wunsch errettet
zu werden, desto brünstiger das Gebet. So wenden sich die Indianer bei
der Annäherung eines Sturmes oder Ungewitters an den Manitto der Luft,
(d. h. an den Gott der Luft, an die als ein persönliches
Wesen vorgestellte Luft), daß er alle Gefahr von ihnen abwende;
so beten die Chippewäer an den Seen von Canada zu dem Manitto der Gewässer,
daß er dem zu hohen Anschwellen der Wogen wehren wolle, während sie
über das Wasser fuhren....
Der Mensch hat nicht den Erfolg seines Unternehmens in seiner Hand. Zwischen
dem Wunsch und seiner Ver wirklichung, zwischen dem Zweck und seiner Ausführung
liegt eine Kluft von Schwierigkeiten und Möglichkeiten, die seinen Zweck
vereiteln können. Mag mein Schlachtplan noch so vortrefflich sein, allerlei,
sowohl natürliche als menschliche Vorfälle, ein Wolkenbruch, ein Beinbruch,
zufällig verspätete Ankunft eines Hilfskorps und der gleichen Fälle
können meinen Plan vereiteln. Der Mensch füllt daher durch die Phantasie
diese Kluft zwischen dem Zweck und seiner Ausführung, zwischen dem Wunsche
und der Wirklichkeit mit einem Wesen aus, von dessen Willen er alle diese Umstände
abhängig denkt, dessen Gunst er daher nur zu erflehen braucht, um in seiner
Vorstellung des glücklichen Ausganges seines Vorhabens, der Erfüllung
seiner Wünsche, versichert zu sein.
Der Mensch hat nicht sein Leben in seiner Hand, wenigstens nicht unbedingt;
irgend eine äußere oder innere Ursache, sei es auch nur das Zerreißen
eines Äderchens in meinem Kopfe, kann plötzlich mein Leben enden,
kann mich wider Wissen und Willen von Weib und Kindern, von Freunden und Verwandten
trennen. Aber der Mensch wünscht zu leben; das Leben ist ja der Inbegriff
aller Güter! Der Mensch verwandelt daher kraft seines Selbsterhaltungstriebes
oder auf Grund seiner Lebensliebe unwillkürlich diesen Wunsch in ein Wesen,
das ihn erfüllen kann, in ein Wesen, das Augen hat, wie der Mensch, um
seine Tränen zu sehen, und Ohren, wie der Mensch, um seine Klage zu hören;
denn die Natur kann diesen Wunsch nicht erfüllen; die
Natur, wie sie in Wirklichkeit ist, ist kein persönliches Wesen, hat kein
Herz, ist blind und taub für die Wünsche und Klagen des Menschen....
Ein Glaube, eine Vorstellung, die aber nur deswegen festgehalten wird, nur deswegen,
wenn auch nicht den Worten, doch der Tat nach für wahr gilt, weil sie tröstlich,
gemütlich ist, weil sie dem Egoismus, der Selbstliebe
des Menschen schmeichelt, ist auch nur aus dem Gemüte, aus dem Egoismus,
aus der Selbstliebe entsprungen.
Aus dem Eindruck, den eine Lehre auf den Menschen macht, ist sicher der Schluß
auf den Ursprung derselben. Worauf ein Ding, d. h. hier ein eingebildetes, vorgestelltes
Ding wirkt, daher stammt es auch. Was das Herz, wie man sagt, kalt läßt,
für dasselbe gleichgültig ist, das hat auch in keinem herzlichen oder
egoistischen Interesse des Menschen seinen Grund. Nun ist es aber eine der Selbstliebe
des Menschen zusagende Vorstellung, daß die Natur nicht mit unabänderlicher
Notwendigkeit wirkt, sondern daß über der Notwendigkeit
der Natur ein menschenliebendes, menschenähnliches Wesen steht, ein Wesen
mit Willen und Verstand, welches die Natur lenkt und regiert, so wie
es dem Menschen zuträglich, welches den Menschen in seinen besonderen Schutz
nimmt, den Menschen vor den Gefahren schützt, die ihn jeden Augenblick
von der rücksichtslos und blind wirkenden Natur bedrohen.
Ich gehe ins Freie hinaus; in demselben Augenblick fällt ein Stein vom
Himmel herab; nach der Naturnotwendigkeit fällt er auf meinen Kopf und
schlägt mich tot; denn ich bin ge¬rade in die Richtung des Falles dieses
Steines gekommen, und die Schwere, kraft welcher der Stein herabfällt,
hat keinen Respekt vor mir, ich mag noch so vornehm, noch so gescheit sein.
Aber ein Gott lähmt die Kraft der Schwere, hebt ihre
Wirkung auf, um mich zu retten, weil ein Gott mehr Achtung vor dem Leben des
Menschen, als vor den Gesetzen der Natur hat, oder er weiß wenigstens,
wenn er kein Wunder tun will, so gescheit und klug, so rationalistisch pfiffig
die Umstände zu drehen und zu wenden, daß der Stein, ohne die Naturgesetze
zu verletzen, vor welchen die Rationalisten einen gewaltigen Respekt haben,
mir keinen Schaden tut.
Wie gemütlich ist es daher, unter dem Obdach des
himmlischen Schutzes einherzuwandeln, wie gemütlos und trostlos,
sich unmittelbar, wie der Ungläubige, den impertinenten Meteorsteinen,
Hagelschlägen, Regengüssen und Sonnenstichen der Natur auszusetzen!
Ich muß aber sogleich den Gang der Entwicklung durch die Bemerkung unterbrechen,
daß, wenngleich diese Vorstellung der göttlichen Vorsehung und andere
religiöse Vorstellungen wegen ihrer Gemütlichkeit und Herzlichkeit,
wegen ihrer der Selbstliebe des Menschen zusagenden Beschaffenheit aus der Selbstliebe,
aus dem Herzen entspringen, sie doch daraus nur entspringen, so lange das
Herz im Dienste der Einbildungskraft steht und eben deswegen auch nur
in religiösen Einbildungen seinen Trost findet.
Denn so wie der Mensch seine Augen öffnet, so wie er ungeblendet
durch religiöse Vorstellungen die Wirklichkeit ansieht, wie sie
ist, so empört sich das Herz gegen die Vorstellung
einer Vorsehung wegen ihrer Parteilichkeit, mit der sie den Einen rettet,
den Anderen untergehen läßt, die Einen zum Glück und Reichtum,
die Anderen zum Unglück und Elend bestimmt, wegen
ihrer Grausamkeit oder Untätigkeit wenigstens, mit der sie Millionen von
Menschen den gräßlichsten Leiden und Martern unterworfen.
Wer kann die Gräuel der Despotie, die Gräuel der Hierarchie, die Gräuel
des religiösen Glaubens und Aberglaubens, die Gräuel der heidnischen
und christlichen Kriminaljustiz, die Gräuel der Natur, wie den schwarzen
Tod, die Pest, die Cholera mit dem Glauben an eine göttliche Vorsehung
zusammenreimen?
Die gläubigen Theologen und Philosophen haben zwar allen ihren Verstand
aufgeboten, um diese augenfälligen Widersprüche
der Wirklichkeit mit der religiösen Einbildung einer göttlichen Vorsehung
auszugleichen; aber es verträgt sich weit mehr mit einem wahrheitliebenden
Herzen, weit mehr selbst mit der Ehre Gottes oder eines Gottes, sein Dasein
geradezu zu leugnen, als durch die schändlichen und albernen Kniffe und
Pfiffe, welche die gläubigen Theologen und Philosophen zur Rechtfertigung
der göttlichen Vorsehung ausgeheckt haben, sein Dasein kümmerlich
zu fristen. Es ist besser, ehrenvoll zu fallen, als ehrlos zu bestehen. Der
Atheist läßt aber Gott ehrenvoll fallen, der Theist, der
Rationalist dagegen ehrlos, à tout prix
bestehen!
Die Religion hat also einen praktischen Zweck. Sie will dadurch, daß
sie die Naturwirkungen zu Handlungen, die Naturprodukte zu Gaben, sei's nun
eines oder mehrerer persönlicher, menschenähnlicher Wesen macht, die
Natur in die Hand des Menschen bringen, dem Glückseligkeitstrieb
des Menschen dienstbar machen. Die Abhängigkeit
des Menschen von der Natur ist daher wohl, wie ich im Wesen der Religion sage,
der Grund und Anfang der Religion, aber die Freiheit von dieser Abhängigkeit,
sowohl im vernünftigen, als unvernünftigen Sinne, ist der Endzweck
der Religion. Oder: die Gottheit der Natur ist
wohl die Grundlage der Religion, aber die Gottheit des Menschen ist der Endzweck
der Religion. Was daher der Mensch auf dem Standpunkt der Vernunft durch
Bildung, durch Kultur der Natur erreichen will: ein schönes, glückliches,
von den Rohheiten und blinden Zufälligkeiten der Natur geschütztes
Dasein, das will der Mensch auf dem Standpunkt der Unkultur durch die Religion
erreichen.
Das Mittel, die Natur den menschlichen Zwecken und Wünschen angenehm zu
machen, ist im Anfang der menschlichen Geschichte daher einzig die Religion.
Der hilf- und ratlose, der mittellose Mensch weiß sich nicht anders zu
helfen, als durch Bitten und mit ihnen verbundene Gaben,
Opfer, wodurch er den Gegenstand, vor dem er sich fürchtet, von dem er
sich bedroht und abhängig fühlt, sich geneigt zu machen sucht,
oder durch Zauberei, welche aber eine irreligiöse Form der Religion ist;
denn die Zauberkraft, d. h. die durch bloße Worte, durch den bloßen
Willen die Natur beherrschende Macht, welche der Zauberer sich zuschreibt oder
selbst ausübt, versetzt der religiöse Mensch in den Gegenstand außer
sich.
Übrigens kann auch Beten und Zaubern verbunden sein, so daß die Gebete
nichts Anderes sind, als Beschwörungs- und Zauberformeln, wodurch
man die Götter auch wider ihren Willen zwingen kann, die Wünsche des
Menschen zu erfüllen. Selbst auch bei den frommen Christen hat das Gebet
nicht immer den Charakter religiöser Demut, sondern es tritt auch oft gebieterisch
auf.
»Wenn wir«, sagt z. B.
Luther in seiner Auslegung des ersten Buchs Mose, »in
der Not und Anfechtung sind, da haben wir nicht sonderliche Acht auf die hohe
Majestät (Gottes), sondern sagen stracks: Hilf lieber Gott! Nun hilf Gott!
Laß Dich das erbarmen im Himmel. Da machen wir keine lange Vorrede«.
Gebet und Opfer sind also Mittel,
wodurch der rat- und hilflose Mensch aller Not abzuhelfen
und die Natur zu bezwingen sucht.....
Unzählige Übel, die sonst der Mensch durch religiöse Mittel beseitigen
wollte, aber nicht beseitigen konnte, hat die Bildung, die menschliche Tätigkeit
durch Anwendung natürlicher Mittel gehoben oder doch gemildert. Die
Religion ist daher das kindliche Wesen des Menschen. Oder: in der Religion ist
der Mensch ein Kind. Das Kind kann nicht durch eigene Kraft, durch Selbsttätigkeit
seine Wünsche erfüllen, es wendet sich mit Bitten an die Wesen, von
denen es sich abhängig fühlt und weiß, an seine Eltern, um vermittelst
derselben zu erhalten, was es wünscht.
Die Religion hat ihren Ursprung, ihre wahre Stellung und
Bedeutung nur in der Kindheitsperiode der Menschheit, aber die
Periode der Kindheit ist auch die Periode der Unwissenheit, Unerfahrenheit,
Unbildung oder Unkultur. Die in späteren Zeiten entstandenen Religionen,
wie die christliche, die man als neue bezeichnet, waren keine wesentlich neue
Religionen; sie waren kritische Religionen; sie
haben die aus den ältesten Zeiten der Menschheit stammenden religiösen
Vorstellungen nur reformiert, vergeistigt, dem fortgeschrittenen
Standpunkt der Menschheit angepaßt. Oder wenn wir auch die späteren
Religionen als wesentlich neue fassen, so ist doch die Periode, wo eine neue
Religion entspringt, im Verhältnis zu der späteren Zeit die Periode
der Kindheit. Gehen wir nur auf das uns Nächste, auf die Zeit zurück,
wo der Protestantismus entstanden. Welche Unwissenheit, welcher Aberglaube,
welche Rohheit herrschten damals! kindische, rohe, pöbelhafte,
abergläubische Vorstellungen hatten selbst unsere gotterleuchteten Reformatoren!
Aber eben deswegen hatten sie auch gar nichts Anderes im Sinne, als nur
eine religiöse Reformation, ihr ganzes Wesen; namentlich
Luther's, war nur von dem religiösen Interesse in Beschlag genommen.
Die Religion entspringt also nur in der Nacht der Unwissenheit,
der Not, der Mittellosigkeit, der Unkultur, in Zuständen, wo eben deswegen
die Einbildungskraft alle anderen Kräfte beherrscht, wo der Mensch
in den überspanntesten Vorstellungen, den exaltiertesten Gemütsbewegungen
lebt; aber sie entspringt zugleich aus dem Bedürfnis des Menschen nach
Licht, nach Bildung oder wenigstens nach den Zwecken der Bildung, sie ist selbst
nichts Anderes, als die erste, aber selbst noch rohe, pöbelhafte Bildungsform
des Menschenwesens; daher eben jede Epoche, jeder gewichtige Abschnitt in der
Kultur der Menschheit mit der Religion beginnt. S.164-172
Entnommen aus: Georg Wobbermin, Religionsphilosophie, 5. Band der Quellen-Handbücher
der Philosophie, Pan Verlag Rolf Heise – Berlin 1925
Das Wesen des
Christentums
Vorrede
Die Spekulation lässt die Religion nur sagen, was sie
selbst gedacht und weit besser gesagt,
als die Religion; sie bestimmt die Religion, ohne sich von ihr bestimmen zu
lassen; sie kommt nicht aus sich heraus. Ich aber lasse die Religion
sich selbst aussprechen; ich mache nur
ihren Zuhörer und Dolmetscher, nicht ihren Souffleur. Nicht zu erfinden
— zu entdecken, »Dasein zu enthüllen«
war mein einziger Zweck; richtig zu sehen,
mein einziges Bestreben. Die Religion selbst sagt: Gott ist Mensch, der Mensch
Gott; nicht ich, die Religion selbst verleugnet und verneint den Gott,
der nicht Mensch, sondern nur ein Ens
rationis ist, indem sie Gott Mensch werden läßt und nun erst
diesen menschlich gestalteten, menschlich fühlenden und gesinnten Gott
zum Gegenstande ihrer Anbetung und Verehrung macht. Ich habe nur das Geheimnis
der christlichen Religion verraten, nur entrissen dem widerspruchvollen
Lug und Truggewebe der Theologie -
dadurch aber freilich ein wahres Sakrilegium begangen. Wenn daher
meine Schrift negativ, irreligiös, atheistisch ist, so bedenke man,
daß der Atheismus - im Sinne dieser Schrift wenigstens - das Geheimnis
der Religion selbst ist, daß die Religion selbst zwar nicht auf der Oberfläche,
aber im Grunde, zwar nicht ihrer Meinung und Einbildung, aber in ihrem Herzen,
ihrem wahren Wesen an nichts andres glaubt als an die Wahrheit und Gottheit
des menschlichen Wesens. Oder man beweise mir,
daß sowohl die historischen als rationellen Argumente
meiner Schrift falsch, unwahr sind — widerlege sie — aber ich bitte
mir aus — nicht mit juristischen Injurien oder theologischen Jeremiaden
oder abgedroschenen spekulativen Phrasen oder namenlosen Miserabilitäten,
sondern mit Gründen, und zwar solchen Gründen, die ich nicht selbst
bereits gründlichst widerlegt habe. S.21-22 [...]
Das
Wesen des Menschen im allgemeinen
Das absolute Wesen, der Gott des
Menschen ist sein eignes Wesen. Die Macht des Gegenstandes
über ihn ist daher die Macht seines eignen
Wesens. So ist die Macht des Gegenstands
des Gefühls die Macht des Gefühls, die Macht des Gegenstands
der Vernunft die Macht der Vernunft selbst, die Macht des Gegenstands
des Willens die Macht des Willens.
S.43 [...]
Alles daher, was im Sinne der übermenschlichen Spekulation und Religion
nur die Bedeutung des Abgeleiteten, des Subjektiven
oder Menschlichen, des Mittels, des Organs hat, das hat im Sinne
der Wahrheit die Bedeutung des Ursprünglichen,
des Göttlichen, des Wesens, des Gegenstandes
selbst. Ist z. B. das Gefühl das wesentliche Organ der
Religion, so drückt das Wesen Gottes nichts andres aus, als das
Wesen des Gefühls. Der wahre, aber
verborgene Sinn der Rede: »das Gefühl ist das Organ des Göttlichen«,
lautet: das Gefühl ist das Nobelste, Trefflichste,
d. h. Göttliche im Menschen. Wie
könntest du das Göttliche vernehmen durch das Gefühl, wenn das
Gefühl nicht selbst göttlicher Natur wäre? Das Göttliche
wird ja nur durch das Göttliche, »Gott nur durch sich selbst erkannt«.
Das göttliche Wesen, welches das Gefühl vernimmt, ist in der Tat nichts
als das von sich selbst entzückte und bezauberte
Wesen des Gefühls — das wonnetrunkene,
in sich selige Gefühl.
Es erhellt dies schon daraus, daß da, wo das Gefühl zum Organ des
Unendlichen, zum subjektiven Wesen der Religion gemacht wird, der Gegenstand
derselben seinen objektiven Wert verliert. So ist, seitdem man
das Gefühl zur Hauptsache der Religion gemacht, der sonst so heilige Glaubensinhalt
des Christentums gleichgültig geworden. Wird auch auf dem Standpunkt des
Gefühls dem Gegenstand noch Wert eingeräumt, so hat er doch diesen
nur um des Gefühls willen, welches sich vielleicht nur aus zufälligen
Gründen mit ihm verknüpft; würde ein anderer Gegenstand dieselben
Gefühle erregen, so wäre er ebenso willkommen. Der Gegenstand des
Gefühls wird aber eben nur deswegen gleichgültig, weil, wo einmal
das Gefühl als das subjektive Wesen der Religion ausgesprochen wird, es
in der Tat auch das objektive
Wesen derselben ist, wenn es gleich nicht als solches, wenigstens direkt,
ausgesprochen wird. Direkt sage ich, denn
indirekt wird dies allerdings dadurch eingestanden, daß das Gefühl
als solches für religiös
erklärt, also der Unterschied zwischen eigentümlich
religiösen und irreligiösen oder wenigstens
nicht religiösen Gefühlen aufgehoben
wird — eine notwendige Konsequenz von dem Standpunkt, wo nur das Gefühl
für das Organ des Göttlichen gilt. Denn warum anders als wegen seines
Wesens, seiner Natur machst du das Gefühl zum Organ des unendlichen, des
göttlichen Wesens? Ist aber nicht die Natur des Gefühis überhaupt
auch die Natur jedes speziellen Gefühls, sein Gegenstand sei nun welcher
er wolle? Was macht also dieses Gefühl zum religiösen? der bestimmte
Gegenstand? Mitnichten, denn dieser Gegenstand ist
selbst nur ein religiöser, wenn er nicht ein Gegenstand
des kalten Verstandes oder Gedächtnisses, sondern des
Gefühls ist. Was also? die Natur des Gefühls, an der jedes
Gefühl, ohne Unterschied des Gegenstandes, teilhat. Das Gefühl ist
also heiliggesprochen, lediglich weil es Gefühl ist; der Grund seiner
Religiosität ist die Natur des Gefühls, liegt in ihm selbst.
Ist aber dadurch nicht das Gefühl als das Absolute, als
das Göttliche selbst ausgesprochen?
Wenn das Gefühl durch sich selbst gut,
religiös, d. h. heilig, göttlich ist, hat das Gefühl seinen Gott
nicht in sich selbst?
S.48-49 [...]
Gott ist das reine, das unbeschränkte, das freie
Gefühl. Jeder andre Gott, den du hier setzest, ist ein von
außen deinem Gefühl aufgedrungener Gott. Das Gefühl ist atheistisch
im Sinne des orthodoxen Glaubens, als welcher die Religion an einen äußern
Gegenstand anknüpft; es leugnet einen gegenständlichen
Gott - es ist sich
selbst Gott. Die Verneinung
des Gefühls nur ist auf dem Standpunkt des Gefühls die
Verneinung Gottes. S.50
[...]
Das Wesen
der Religion im allgemeinen
Der Gegenstand des Menschen ist nichts andres als sein gegenständliches
Wesen selbst. Wie der Mensch denkt, wie er gesinnt ist, so ist sein Gott:
soviel Wert der Mensch hat, soviel Wert und nicht mehr hat sein Gott. Das
Bewußtsein Gottes ist das Selbstbewußtsein des Menschen,
die Erkenntnis Gottes die Selbsterkenntnis des Menschen. Aus seinem
Gotte erkennst du den Menschen und wiederum aus dem Menschen seinen Gott; beides
ist eins. Was dem Menschen Gott ist,
das ist sein Geist, seine Seele, und was
des Menschen Geist, seine Seele, sein Herz, das ist
sein Gott: Gott ist das offenbare
Innere, das ausgesprochne Selbst des Menschen;
die Religion die feierliche Enthüllung der verborgnen Schätze des
Menschen, das Eingeständnis seiner innersten Gedanken, das öffentliche
Bekenntnis seiner Liebesgeheimnisse.
S.52-53 [...]
Jeder Religion sind die Götter der andern Religionen
nur Vorstellungen von Gott, aber die
Vorstellung, die sie von Gott hat, ist ihr Gott selbst, Gott, wie sie
ihn vorstellt, der echte, wahre Gott, Gott, wie er an
sich ist. Die Religion begnügt
sich nur mit einem ganzen, rückhaltslosen
Gott; sie will nicht eine bloße Erscheinung von Gott; sie
will Gott selbst, Gott in Person. Die Religion gibt sich selbst
auf, wenn sie das Wesen Gottes aufgibt; sie ist keine Wahrheit mehr, wo sie
auf den Besitz des wahren Gottes verzichtet. Der Skeptizismus ist der Erzfeind
der Religion. Aber die Unterscheidung zwischen Gegenstand und Vorstellung, zwischen
Gott an sich und Gott für mich ist eine skeptische, also irreligiöse
Unterscheidung.
Was dem Menschen die Bedeutung des Ansichseienden
hat, was ihm das höchste Wesen
ist, das, worüber er nichts Höheres
sich vorstellen kann, dieses ist ihm eben das göttliche
Wesen. Wie könnte er also bei diesem Gegenstande noch fragen, was
er an sich sei? Wenn Gott dem Vogel Gegenstand wäre, so wäre er ihm
nur als ein geflügeltes Wesen Gegenstand: der Vogel kennt nichts Höheres,
nichts Seligeres, als das Geflügeltsein. Wie lächerlich wäre
es, wenn dieser Vogel urteilte: mir erscheint Gott als ein Vogel, aber was er
an sich ist, weiß ich nicht. Das höchste Wesen ist dem Vogel eben
das Wesen des Vogels. Nimmst du ihm die Vorstellung
vom Wesen des Vogels, so nimmst du ihm die Vorstellung
des höchsten Wesens. Wie könnte
er also fragen, ob Gott an sich
geflügelt sei? Fragen, ob Gott an sich so ist, wie er für mich
ist, heißt fragen, ob Gott Gott ist, heißt über seinen
Gott sich erheben, gegen ihn sich empören. S.58-59
[...]
Die Gewißheit der Existenz Gottes, von welcher
man gesagt hat, daß sie dem Menschen so gewiß, ja gewisser als die
eigne Existenz sei, hängt daher nur ab von der Gewißheit der Qualität
Gottes - sie ist keine unmittelbare
Gewißheit. Dem Christen ist nur die Existenz des christlichen,
dem Heiden die Existenz des heidnischen
Gottes eine Gewißheit. Der Heide bezweifelte nicht die Existenz
Jupiters, weil er an dem Wesen Jupiters keinen Anstoß nahm, weil er sich
Gott in keiner andern Qualität vorstellen konnte, weil ihm diese Qualität
eine Gewißheit, eine göttliche Wahrheit war. Die Wahrheit des Prädikats
ist allein die Bürgschaft der Existenz.
[...]
Die Tempel zu Ehren der Religion sind in Wahrheit Tempel
zu Ehren der Baukunst.
Mit der Erhebung des Menschen aus dem Zustande der Rohheit und Wildheit
zur Kultur, mit der Unterscheidung zwischen dem, was sich für den Menschen
schickt und nicht schickt, entsteht auch gleichzeitig der Unterschied zwischen
dem, was sich für Gott schickt und nicht schickt.
Gott ist der Begriff der Majestät, der höchsten Würde, das religiöse
Gefühl das höchste Schicklichkeitsgefühl. Erst die spätern
gebildeten Künstler Griechenlands verkörperten in den Götterstatuen
die Begriffe der Würde, der Seelengröße, der unbewegten Ruhe
und Heiterkeit. Aber warum waren ihnen diese Eigenschaften Attribute, Prädikate
Gottes? weil sie für sich selbst ihnen
für Gottheiten
galten. Warum schlossen sie alle widrigen und niedrigen Gemütsaffekte
aus? eben weil sie dieselben als etwas Unschickliches, Unwürdiges, Unmenschliches,
folglich Ungöttliches erkannten. Die Homerischen Götter essen und
trinken — das heißt: Essen und Trinken ist ein göttlicher Genuß.
Körperstärke ist eine Eigenschaft der Homerischen Götter: Zeus
ist der stärkste der Götter. Warum? weil die Körperstärke
an und für sich selbst für etwas
Herrliches, Göttliches galt. Die Tugend des Kriegers war den alten Deutschen
die höchste Tugend; dafür war aber auch ihr höchster Gott der
Kriegsgott: Odin — der Krieg »das Urgesetz
oder älteste Gesetz«. Nicht die Eigenschaft der Gottheit, sondern
die Göttlichkeit oder Gottheit
der Eigenschaft ist das erste wahre göttliche Wesen. Also das,
was der Theologie und Philosophie bisher für Gott, für das Absolute,
Wesenhafte galt, das ist nicht Gott; das aber, was ihr nicht für Gott galt,
das gerade ist Gott — d. i. die Eigenschaft,
die Qualität, die Bestimmtheit,
die Wirklichkeit überhaupt.
Ein wahrer Atheist, d. h. ein Atheist im gewöhnlichen Sinne, ist daher
auch nur der, welchem die Prädikate des göttlichen Wesens, wie z.
B. die Liebe, die Weisheit, die Gerechtigkeit Nichts sind, aber nicht der, welchem
nur das Subjekt dieser Prädikate Nichts ist. Und keineswegs ist die Verneinung
des Subjekts auch notwendig zugleich die Verneinung der Prädikate an sich
selbst. Die Prädikate haben eine eigne, selbständige
Bedeutung; sie dringen durch ihren
Inhalt dem Menschen ihre Anerkennung auf; sie erweisen sich ihm unmittelbar
durch sich selbst als wahr; sie betätigen, bezeugen sich selbst. Güte,
Gerechtigkeit, Weisheit sind dadurch keine Chimären, daß die Existenz
Gottes eine Chimäre, noch dadurch Wahrheiten, daß diese eine Wahrheit
ist. Der Begriff Gottes ist abhängig vom Begriffe der Gerechtigkeit, der
Güte, der Weisheit — ein Gott, der nicht
gütig, nicht gerecht, nicht
weise, ist kein Gott —
aber nicht umgekehrt. Eine Qualität ist nicht
dadurch göttlich, daß sie Gott hat,
sondern Gott hat sie, weil sie
an und für sich selbst göttlich ist, weil Gott ohne
sie ein mangelhaftes Wesen ist. Die Gerechtigkeit, die Weisheit,
überhaupt jede Bestimmung, welche die Gottheit Gottes ausmacht, wird durch
sich selbst bestimmt und erkannt, Gott
aber durch die Bestimmung,
die Qualität; nur in dem Falle, daß ich Gott und die Gerechtigkeit
als dasselbe, Gott unmittelbar als die Wirklichkeit
der Idee der Gerechtigkeit oder irgendeiner
andern Qualität denke, bestimme ich Gott durch sich selbst. Wenn aber Gott
als Subjekt das Bestimmte, die Qualität, das Prädikat aber das
Bestimmende ist, so gebührt ja in Wahrheit
dem Prädikat, nicht dem Subjekt der Rang des ersten
Wesens, der Rang der Gottheit. S.61-65
[...]
Der Mensch gibt seine Person auf, aber dafür ist ihm
Gott, das allmächtige, unbeschränkte Wesen ein persönliches Wesen;
er verneint die menschliche Ehre, das menschliche Ich; aber dafür ist ihm
Gott ein selbstisches, egoistisches Wesen, das in allem nur sich,
nur seine Ehre, seinen
Nutzen sucht, Gott eben die Selbstbefriedigung
der eignen, gegen alles andere mißgünstigen Selbstischkeit,
Gott der Selbstgenuß des Egoismus. S.73
[...]
Gott
als Wesen des Verstandes
Die Religion ist die Entzweiung
des Menschen mit sich selbst: er setzt sich Gott als ein ihm entgegengesetztes
Wesen gegenüber. Gott ist nicht,
was der Mensch ist - der Mensch nicht,
- was Gott ist. Gott ist das unendliche, der Mensch das endliche
Wesen; Gott vollkommen, der Mensch unvollkommen; Gott ewig, der Mensch zeitlich;
Gott allmächtig, der Mensch ohnmächtig; Gott heilig, der Mensch sündhaft.
Gott und Mensch sind Extreme: Gott das schlechthin Positive, der Inbegriff aller
Realitäten, der Mensch das schlechtweg Negative, der Inbegriff aller Nichtigkeiten.
Aber der Mensch vergegenständlicht in der Religion sein eignes geheimes
Wesen. Es muß also nachgewiesen werden, daß dieser Gegensatz, dieser
Zwiespalt von Gott und Mensch, womit die Religion anhebt, ein
Zwiespalt des Menschen mit seinem eignen Wesen ist.
Die innere Notwendigkeit dieses Beweises ergibt sich schon daraus, daß,
wenn wirklich das göttliche Wesen,
welches Gegenstand der Religion ist, ein andres wäre als das Wesen
des Menschen, eine Entzweiung, ein Zwiespalt gar nicht stattfinden könnte.
Ist Gott wirklich ein andres Wesen, was
kümmert mich seine Vollkommenheit? Entzweiung findet nur statt zwischen
Wesen, welche miteinander zerfallen sind, aber eins sein sollen, eins sein können,
und folglich im Wesen, in Wahrheit eins sind. Es muß also schon aus diesem
allgemeinen Grunde das Wesen, mit welchem sich der Mensch entzweit
fühlt, ein ihm eingebornes Wesen
sein, aber zugleich ein Wesen von anderer Beschaffenheit,
als das Wesen oder die
Kraft, welche ihm das Gefühl, das Bewußtsein der Versöhnung,
der Einheit mit Gott, oder, was
eins ist, mit sich selbst gibt.
Dieses Wesen ist nichts andres als die Intelligenz
— die Vernunft oder der Verstand.
Gott als Extrem des Menschen, als
nicht menschliches, d. i. persönlich
menschliches Wesen gedacht ist das vergegenständlichte
Wesen des Verstandes. Das reine, vollkommne, mangellose göttliche
Wesen ist das Selbstbewußtsein des Verstandes,
das Bewußtsein des Verstandes von seiner
eignen Vollkommenheit.
Der Verstand weiß nichts von den Leiden des Herzens; er hat keine Begierden,
keine Leidenschaften, keine Bedürfnisse und eben darum keine Mängel
und Schwächen, wie das Herz. Reine Verstandesmenschen, Menschen, die uns
das Wesen des Verstandes, wenn auch nur in einseitiger, aber eben deswegen charakteristischer
Bestimmtheit versinnbildlichen und personifizieren, sind enthoben den Gemütsqualen,
den Passionen, den Exzessen der Gefühlsmenschen; sie sind für keinen
endlichen, d. i. bestimmten Gegenstand leidenschaftlich eingenommen; sie »verpfänden«
sich nicht; sie sind frei. »Nichts bedürfen und durch diese Bedürfnislosigkeit
den unsterblichen Göttern gleichen«, »nicht sich den Dingen,
sondern die Dinge sich unterwerfen«, »alles ist eitel« —diese
und ähnliche Aussprüche sind Mottos abstrakter Verstandesmenschen.
Der Verstand ist das neutrale, gleichgültige, unbestechliche, unverblendete
Wesen in uns — das reine, affektlose Licht der Intelligenz. Er ist das
kategorische, rücksichtslose Bewußtsein der Sache als Sache,
weil er selbst objektiver Natur — das Bewußtsein des Widerspruchslosen,
weil er selbst die widerspruchslose Einheit, die Quelle der logischen Identität
— das Bewußtsein des Gesetzes, der Notwendigkeit,
der Regel, des Maßes,
weil er selbst die Tätigkeit des Gesetzes, die Notwendigkeit
der Natur der Dinge als Selbsttätigkeit,
die Regel der Regeln, das absolute Maß, das Maß der Maße ist.
Nur durch den Verstand kann der Mensch im Widerspruch mit seinen teuersten menschlichen,
d. i. persönlichen Gefühlen urteilen und handeln, wenn es also der
Verstandesgott, das Gesetz, die Notwendigkeit, das Recht gebietet. Der Vater,
welcher seinen eignen Sohn, weil er ihn für schuldig erkennt, als Richter
zum Tode verurteilt, vermag dies nur als Verstandes-, nicht als Gefühlsmensch.
Der Verstand zeigt uns die Fehler und Schwächen selbst unsrer Geliebten
— selbst unsre eignen. Er versetzt uns deswegen so oft in peinliche Kollision
mit uns selbst, mit unserm Herzen. Wir wollen nicht dem Verstande Recht lassen:
wir wollen nicht aus Schonung, aus Nachsicht das wahre, aber harte, aber rücksichtslose
Urteil des Verstandes vollstrecken. Der Verstand ist das eigentliche
Gattungsvermögen; das Herz vertritt die besonderen
Angelegenheiten, die Individuen,
der Verstand die allgemeinen Angelegenheiten;
er ist die übermenschliche,
das heißt: die über- und unpersönliche
Kraft oder Wesenheit im
Menschen. Nur durch den Verstand und in dem Verstande hat der Mensch
die Kraft, von sich selbst, d. h. von
seinem subjektiven, persönlichen Wesen zu abstrahieren, sich zu erheben
zu allgemeinen Begriffen und Verhältnissen, den Gegenstand zu unterscheiden
von den Eindrücken, die er auf das Gemüt macht, ihn an
und für sich selbst, ihn ohne Beziehung auf den Menschen zu
betrachten. Die Philosophie, die Mathematik, die Astronomie, die Physik, kurz
die Wissenschaft überhaupt ist der tatsächliche Beweis, weil das Produkt,
dieser in Wahrheit unendlichen und göttlichen Tätigkeit. Dem Verstande
widersprechen daher
auch die religiösen Anthropomorphismen;
er spricht sie Gott ab, verneint sie. Aber dieser anthropomorphismenfreie,
rücksichtslose, affektlose Gott ist eben nichts andres,
als das eigne gegenständliche Wesen des Verstandes.
Gott als Gott, d.h. als nicht
endliches, nicht menschliches,
nicht materiell bestimmtes, nicht
sinnliches Wesen ist nur Gegenstand des Denkens.
Er ist das unsinnliche, gestaltlose, unfaßbare, bildlose - das abstrakte,
negative Wesen; er wird nur durch Abstraktion
und Negation (via
negationis) erkannt, d.i. Gegenstand. Warum? Weil er nichts ist als das
gegenständliche Wesen der Denkkraft, überhaupt
der Kraft oder Tätigkeit, man nenne sie nun, wie man wolle, wodurch sich
der Mensch der Vernunft, des Geistes, der Intelligenz bewußt wird. [...]
Gott, sagten die Scholastiker, die Kirchenväter und lange vor ihnen schon
die heidnischen Philosophen, Gott ist immaterielles Wesen, Intelligenz, Geist,
reiner Verstand. Von Gott als Gott kann man sich kein Bild machen; aber kannst
du dir von dem Verstande, von der Intelligenz ein Bild machen? Hat sie eine
Gestalt? Ist ihre Tätigkeit nicht die unfaßbarste, die undarstellbarste?
Gott ist unbegreiflich; aber kennst du das Wesen der Intelligenz? Hast du die
geheimnisvolle Operation des Denkens, das geheime Wesen des Selbstbewußtseins
erforscht? Ist nicht das Selbstbewußtsein das Rätsel der Rätsel?
Haben nicht schon die alten Mystiker, Scholastiker und Kirchenväter die
Unfaßlichkeit und Undarstellbarkeit des göttlichen Wesens mit der
Unfaßlichkeit und Undarstellbarkeit des menschlichen Geistes erläutert,
verglichen? nicht also in Wahrheit das Wesen Gottes mit dem Wesen des Menschen
identifiziert? Gott als Gott - als ein
nur denkbares, nur der Vernunft gegenständliches
Wesen - ist also nichts andres als die sich gegenständliche
Vernunft. [...]
Gott ist die als das höchste Wesen sich aussprechende,
sich bejahende Vernunft. Für die Einbildung ist die Vernunft
die oder eine Offenbarung Gottes; für die Vernunft
aber ist Gott die Offenbarung der Vernunft,
indem, was die Vernunft
ist, was sie vermag,
erst in Gott Gegenstand ist. Gott, heißt es hier, ist ein Bedürfnis
des Denkens, ein notwendiger Gedanke - der höchste Grad
der Denkkraft. »Die Vernunft kann nicht bei den sinnlichen Dingen
und Wesen stehenbleiben«; erst, wenn sie bis auf das höchste, erste,
notwendige, nur der Vernunft gegenständliche Wesen zurückgeht, ist
sie befriedigt. Warum? Weil sie erst bei
diesem Wesen bei sich selbst ist, weil
erst im Gedanken des höchsten Wesens das höchste
Wesen der Vernunft gesetzt, die höchste
Stufe des Denk- und Abstraktionsvermögens erreicht
ist und wir überhaupt so lange eine Lücke, eine Leere, einen Mangel
in uns fühlen, folglich unglücklich und unzufrieden sind, solange
wir nicht an den letzten Grad eines Vermögens kommen, an das, quo nihil
majus cogitari potest, nicht die uns angeborne Fähigkeit zu dieser oder
jener Kunst, dieser oder jener Wissenschaft bis zur höchsten Fertigkeit
bringen. Denn nur die höchste Fertigkeit
der Kunst ist erst Kunst, nur der
höchste Grad
des Denkens erst Denken,
Vernunft. Nur wo du Gott denkst, denkst
du, rigoros gesprochen; denn erst Gott ist die verwirklichte,
die erfüllte, die erschöpfte
Denkkraft. Erst indem du Gott denkst, denkst du also die Vernunft,
wie sie in Wahrheit ist, ob du dir gleich
wieder dieses Wesen als ein von der Vernunft unterschiednes vermittelst der
Einbildungskraft vorstellst, weil du als ein sinnliches Wesen gewohnt bist,
stets den Gegenstand der Anschauung, den wirklichen Gegenstand von der Vorstellung
desselben zu unterscheiden, und nun vermittelst der Einbildungskraft diese Gewohnheit
auch auf das Vernunftwesen überträgst, und dadurch der Vernunftexistenz,
dem Gedachtsein die sinnliche Existenz, von der du doch abstrahiert hast, verkehrterweise
wieder unterschiebst.
Gott als metaphysisches
Wesen ist die in sich selbst befriedigte
Intelligenz, oder vielmehr umgekehrt: die
in sich selbst befriedigte, die sich
als absolutes Wesen denkende Intelligenz ist Gott
als metaphysisches Wesen. Alle metaphysischen
Bestimmungen Gottes sind daher nur wirkliche Bestimmungen, wenn
sie als Denkbestimmungen, als Bestimmungen
der Intelligenz, des Verstandes erkannt werden. S.80-85
[...]
Das
Geheimnis des leidenden Gottes
Gott leidet,
heißt aber in Wahrheit nichts andres als:
Gott ist ein Herz. Das Herz ist die Quelle, der Inbegriff aller
Leiden. Ein Wesen ohne Leiden ist ein
Wesen ohne Herz. Das
Geheimnis des leidenden Gottes ist daher das Geheimnis
der Empfindung; ein leidender Gott
ist ein empfindender, empfindsamer Gott.
Aber der Satz: Gott ist ein empfindendes Wesen, ist nur der religiöse Ausdruck
des Satzes: Die Empfindung ist göttlichen Wesens.
[...]
Die Religion ist die Reflexion, die
Spiegelung des menschlichen Wesens in sich selbst. Was ist,
hat notwendig einen Gefallen, eine Freude an sich selbst, liebt sich und liebt
sich mit Recht; tadelst du, daß es sich liebt, so machst du ihm einen
Vorwurf darüber, daß es ist. Sein heißt sich behaupten, sich
bejahen, sich lieben; wer des Lebens überdrüssig, nimmt sich das Leben.
Wo daher die Empfindung nicht zurückgesetzt und unterdrückt wird,
wie bei den Stoikern, wo ihr Sein gegönnt wird, da ist ihr auch
schon religiöse Macht und Bedeutung eingeräumt, da ist sie auch schon
auf die Stufe erhoben, auf welcher sie sich in sich spiegeln und reflektieren,
in Gott in ihren eignen Spiegel blicken kann. Gott
ist der Spiegel des Menschen. Was für
den Menschen wesentlichen Wert hat, was ihm für das Vollkommne, das Treffliche
gilt, woran er wahres Wohlgefallen hat, das allein
ist ihm Gott. Ist dir die Empfindung eine herrliche, so ist sie
dir eben damit eine göttliche Eigenschaft. Darum glaubt der empfindende,
gefühlvolle Mensch nur an einen empfindenden, gefühlvollen Gott, d.h.
er glaubt nur an die Wahrheit seines eignen
Seins und Wesens, denn er kann nichts andres glauben,
als was er selbst in seinem Wesen ist. Sein Glaube ist das Bewußtsein
dessen, was ihm heilig ist; aber heilig ist dem Menschen nur, was sein
Innerstes, sein Eigenstes,
der letzte Grund, das Wesen
seiner Individualität
ist. Dem empfindungsvollen Menschen ist ein empfindungsloser Gott ein
leerer, abstrakter, negativer Gott, d.h. Nichts, weil ihm das fehlt,
was dem Menschen wert und heilig ist. Gott ist für den Menschen das Kollektaneenbuch
[»Sammelband«] seiner höchsten
Empfindungen und Gedanken, das Stammbuch,
worein er die Namen der ihm teuersten, heiligsten Wesen einträgt.
S.120-121
Das
Mysterium der Dreieinigkeit
Gott denkt, Gott liebt, und zwar denkt er, liebt er sich;
das Gedachte, Erkannte, Geliebte ist Gott selbst. Die Vergegenständlichung
des Selbstbewußtseins ist das erste, was uns in der Trinität begegnet.
Das Selbstbewußtsein drängt sich notwendig, unwillkürlich dem
Menschen als etwas Absolutes auf. Sein ist für ihn eins mit Selbstbewußtsein;
Sein mit Bewußtsein ist für ihn Sein schlechtweg. Ob ich gar nicht
bin oder bin, ohne daß ich weiß, daß ich bin, ist gleich.
Selbstbewußtsein hat für den Menschen, hat in der Tat an sich selbst
absolute Bedeutung. Ein Gott, der sich nicht weiß, ein Gott ohne Bewußtsein,
ist kein Gott. Wie der Mensch sich nicht denken kann ohne Bewußtsein,
so auch nicht Gott. Das göttliche Selbstbewußtsein
ist nichts andres als das Bewußtsein des Bewußtseins als absoluter
oder göttlicher Wesenheit. [...]
Gott als Gott, als einfaches Wesen ist das schlechtweg allein
seiende, einsame Wesen - die
absolute Einsamkeit und Selbständigkeit;
denn einsam kann nur sein, was selbständig
ist. Einsam sein können, ist ein Zeichen von Charakter und Denkkraft;
Einsamkeit ist das , Bedürfnis
des Denkers, Gemeinschaft das Bedürfnis des Herzens. Denken
kann man allein,
lieben nur selbander.
Abhängig sind wir in der Liebe, denn sie ist das Bedürfnis
eines andern Wesens; selbständig
sind wir nur im einsamen Denkakt. Einsamkeit ist Autarkie, Selbstgenugsamkeit.
Aber von einem einsamen Gott ist das wesentliche Bedürfnis der Zweiheit,
der Liebe, der Gemeinschaft, des wirklichen, erfüllten Selbstbewußtseins,
des andern Ichs
ausgeschlossen. Dieses Bedürfnis wird daher dadurch von der Religion
befriedigt, daß in die stille Einsamkeit des göttlichen Wesens ein
andres, zweites, von Gott der Persönlichkeit
nach unterschiednes, dem
Wesen nach aber mit ihm einiges
Wesen gesetzt wird - Gott der Sohn,
im Unterschiede von Gott dem Vater.
Gott der Vater ist Ich, Gott der Sohn
Du. Ich
ist Verstand, Du Liebe;
Liebe aber mit
Verstand und Verstand mit Liebe
ist erst Geist, ist erst der
ganze Mensch.
Gemeinschaftliches Leben nur ist wahres, in sich befriedigtes,
göttliches Leben - dieser einfache Gedanke, diese dem Menschen
natürliche, eingeborne Wahrheit ist das Geheimnis des übernatürlichen
Mysteriums der Trinität. Aber die Religion spricht auch diese wie jede
andere Wahrheit nur indirekt, d.h. verkehrt
aus, indem sie auch hier eine allgemeine Wahrheit zu einer besondern und
das wahre Subjekt nur zum Prädikat macht, indem sie sagt: Gott
ist ein gemeinschaftliches Leben, ein Leben und Wesen der Liebe
und Freundschaft. Die dritte Person in der Trinität drückt ja nichts
weiter aus als die Liebe der beiden göttlichen Personen zueinander, ist
die Einheit des Sohnes und Vaters, der Begriff der Gemeinschaft, widersinnig
genug selbst wieder als ein besondres, persönliches Wesen gesetzt.
Der heilige Geist verdankt seine persönliche
Existenz nur einem Namen, einem Worte. Selbst die ältesten Kirchenväter
identifizierten bekanntlich noch den Geist mit dem Sohne, Auch seiner spätem
dogmatischen Persönlichkeit fehlt Konsistenz. Er ist die Liebe, mit der
Gott sich und die Menschen, und hinwiederum die Liebe, mit welcher der Mensch
Gott und den Menschen liebt. Also die Einheit Gottes und des Menschen, wie sie
innerhalb der Religion dem Menschen, d. i. als ein selbst besonderes Wesen Gegenstand
wird. Aber für uns liegt diese Einheit schon im Vater, noch mehr im Sohne.
Wir brauchen daher den heil. Geist nicht zu einem besondern Gegenstand unsrer
Analyse zu machen. Nur diese Bemerkung noch. Inwiefern der h. Geist die subjektive
Seite repräsentiert, so ist er eigentlich die Repräsentation des religiösen
Gemüts vor sich selbst, die Repräsentation
des religiösen Affekts,
der religiösen Begeisterung,
oder die Personifikation, die Vergegenständlichung der
Religion in der Religion. Der heilige
Geist ist daher die seufzende Kreatur,
die Sehnsucht der Kreatur nach Gott.
Daß es nun aber im Grunde nicht mehr als zwei Personen sind, denn die
dritte repräsentiert, wie gesagt, nur die Liebe, liegt darin, daß
dem strengen Begriffe der Liebe das Zwei genügt. Zwei ist das Prinzip und
eben damit der Ersatz der Vielheit. Würden mehrere Personen gesetzt, so
würde nur die Kraft der Liebe geschmälert sie würde sich zerstreuen.
Aber Liebe und Herz sind eins; das Herz ist kein besondres Vermögen —
das Herz ist der Mensch, der und sofern
er liebt. Die zweite Person ist daher die Selbstbejahung
des menschlichen Herzens als des Prinzips der Zweiheit,
des gemeinschaftlichen Lebens — die Wärme;
der Vater das Licht, obwohl das Licht hauptsächlich ein Prädikat
des Sohnes war, weil in ihm die Gottheit erst dem Menschen licht, klar, verständlich
wird. Aber dessenungeachtet können wir dem Vater, als dem Repräsentanten
der Gottheit als solcher, des kalten Wesens der Intelligenz, das Licht als überirdisches
Wesen, dem Sohne die Wärme als irdisches Wesen zuschreiben. Gott als Sohn
erwärmt erst den Menschen; hier wird Gott aus dem Gegenstand des Auges,
des indifferenten Leichtsinns ein Gegenstand des Gefühls, des Affekts,
der Begeisterung, der Entzückung, aber nur, weil der Sohn selbst nichts
andres ist, als die Glut der Liebe, der
Begeisterung. Gott als Sohn ist die ursprüngliche Inkarnation,
die ursprüngliche Selbstverleugnung Gottes, die Verneinung
Gottes in Gott; denn als Sohn ist er
endliches Wesen, weil er ab alio, von
einem Grunde, der Vater dagegen grundlos, von sich selbst, a
se ist. Es wird also in der zweiten Person die wesentliche Bestimmung
der Gottheit, die Bestimmung des von sich selbst Seins aufgegeben. Aber Gott
der Vater zeugt selbst den Sohn; er resigniert also auf seine rigorose, ausschließliche
Göttlichkeit; er demütigt, erniedrigt sich, setzt das Wesen der Endlichkeit,
des von einem Grunde Seins in sich; er wird im Sohne
Mensch, zwar zuvörderst nicht der Gestalt, aber dem Wesen nach.
Aber eben dadurch wird auch Gott erst als Sohn Gegenstand des Menschen, Gegenstand
des Gefühls, des Herzens. S.123-127 [...]
Das
Geheimnis des Mystizismus oder der Natur in Gott
Einen interessanten Stoff zur Kritik der kosmo- und theogonischen
Phantasien liefert die von Schelling aufgefrischte, aus Jakob Böhme geschöpfte
Lehre von der ewigen Natur in Gott.
Gott ist reiner Geist, lichtvolles Selbstbewußtsein, sittliche Persönlichkeit;
die Natur dagegen ist, wenigstens stellenweise, verworren, finster, wüste,
unsittlich oder doch nicht sittlich. Es widerspricht sich aber, daß das
Unreine aus dem Reinen, die Finsternis aus dem Lichte komme. Wie können
wir also aus Gott diese offenbaren Instanzen gegen eine göttliche Abkunft
ableiten? Nur dadurch, daß wir dieses Unreine, dieses Dunkle in Gott setzen,
in Gott selbst ein Prinzip des Lichtes und der Finsternis unterscheiden. Mit
andern Worten: nur dadurch können wir den Ursprung des Finstern erklären,
daß wir überhaupt die Vorstellung eines Ursprungs aufgeben, die Finsternis
als seiend von Anbeginn an voraussetzen.
Es liegt außer unserm Zwecke, diese kraß
mystische Ansicht zu kritisieren. Es werde hier nur bemerkt, daß die Finsternis
nur dann erklärt wird, wenn sie aus dem Lichte abgeleitet wird, daß
aber nur dann die Ableitung des Dunkeln in der Natur aus dem Lichte als eine
Unmöglichkeit erscheint, wenn man so blind ist, daß man nicht auch
in der Finsternis noch Licht erblickt, nicht bemerkt, daß das Dunkel der
Natur kein absolutes, sondern gemäßigtes, durch das Licht temperiertes
Dunkel ist.
Das Finstere in der Natur ist aber das Irrationelle, Materielle, die eigentliche
Natur im Unterschiede von der Intelligenz. Der einfache Sinn dieser Lehre ist
daher: die Natur, die Materie kann nicht aus der Intelligenz erklärt und
abgeleitet werden; sie ist vielmehr der Grund der
Intelligenz, der Grund der Persönlichkeit, ohne selbst einen Grund zu haben;
der Geist ohne Natur ist ein bloßes Gedankenwesen; das Bewußtsein
entwickelt sich nur aus der Natur. Aber diese materialistische Lehre wird dadurch
in ein mystisches, aber gemütliches Dunkel gehüllt, daß sie
nicht allgemein, nicht mit den klaren, schlichten Worten der Vernunft ausgesprochen,
sondern vielmehr mit dem heiligen Empfindungsworte: Gott betont wird. Wenn
das Licht in Gott aus der Finsternis in Gott entspringt, so entspringt es nur,
weil es in dem Begriffe des Lichts überhaupt liegt, daß es Dunkles
erhellt, also das Dunkle voraussetzt, aber nicht macht. Wenn du also
einmal Gott einem allgemeinen Gesetze unterwirfst — was denn nicht anders
als notwendig ist, wofern du nicht Gott zum Tummelplatz der sinnlosesten Einfälle
machen willst —, wenn also ebensogut in Gott, als an und für sich,
als überhaupt, das Selbstbewußtsein durch ein natürliches Prinzip
bedingt ist, warum abstrahierst du nicht von Gott? Was einmal Gesetz des Bewußtseins
an sich, ist Gesetz für das Bewußtsein jedes persönlichen Wesens,
es sei Mensch, Engel, Dämon, Gott oder was du nur immer dir sonst noch
als Wesen einbilden magst. Worauf reduzieren sich denn, bei Lichte besehen,
die beiden Prinzipien in Gott? Das eine auf die Natur, wenigstens die Natur,
wie sie in deiner Vorstellung existiert, abgezogen von ihrer Wirklichkeit, das
andere auf Geist, Bewußtsein, Persönlichkeit. Nach seiner einen Hälfte,
nach seiner Rück- und Kehrseite nennst du Gott nicht Gott, sondern nur
von seiner Vorderseite, sein Gesicht, wornach er dir Geist, Bewußtsein
zeigt: also ist sein charakteristisches Wesen, das, wodurch er Gott
ist, Geist, Intelligenz, Bewußtsein,
Warum machst du denn aber, was das eigentliche Subjekt
in Gott als Gott, d. i. als Geist ist, zu einem bloßen Prädikat,
als wäre Gott als Gott auch ohne Geist, ohne Bewußtsein Gott? Warum
anders, als weil du denkst als Sklave der mystisch religiösen Einbildungskraft,
weil es dir nur wohl und heimlich ist im trügerischen Zwielicht des Mystizismus?
Mystizismus ist Deuteroskopie. Der Mystiker spekuliert über das Wesen der
Natur oder des Menschen, aber in und mit
der Einbildung, daß er über ein anderes,
von beiden unterschiedenes, persönliches Wesen spekuliert. Der Mystiker
hat dieselben Gegenstände, wie der einfache, selbstbewußte Denker;
aber der wirkliche Gegenstand ist dem Mystiker nicht
Gegenstand als er selbst, sondern als
ein eingebildeter, und daher der
eingebildete Gegenstand ihm der wirkliche
Gegenstand. So ist hier, in der mystischen Lehre von den zwei Prinzipien
in Gott, der wirkliche Gegenstand die Pathologie,
der eingebildete die Theologie;
d. h. die Pathologie wird zur Theologie gemacht. Dagegen ließe sich nun
eigentlich nichts sagen, wenn mit Bewußtsein die wirkliche
Pathologie als Theologie erkannt und
ausgesprochen würde; unsre Aufgabe ist es ja eben, zu zeigen, daß
die Theologie nichts ist als eine sich selbst verborgene, als die esoterische
Patho-, Anthropo- und Psychologie, und daß daher die wirkliche Anthropologie,
die wirkliche Pathologie, die wirkliche Psychologie weit mehr Anspruch auf den
Namen: Theologie haben, als die Theologie selbst, weil diese doch nichts weiter
ist, als eine eingebildete Psychologie und Anthropologie. Aber es soll
der Inhalt dieser Lehre oder Anschauung — und darum ist sie
eben Mystik und Phantastik —nicht Pathologie, sondern Theologie, Theologie
im alten oder gewöhnlichen Sinne des Wortes sein; es soll hier das Leben
eines andern von uns unterschiednen Wesens aufgeschlossen werden, und es wird
doch nur unser eignes Wesen aufgeschlossen, aber zugleich wieder verschlossen,
weil es das Wesen eines andern Wesens sein soll. Bei Gott, nicht bei uns menschlichen
Individuen — das wäre eine viel zu triviale Wahrheit — soll
sich die Vernunft erst nach der Leidenschaft der Natur einstellen, nicht wir,
sondern Gott soll sich aus dem Dunkel verworrner Gefühle und Triebe zur
Klarheit der Erkenntnis emporringen, nicht in unsrer Vorstellungsweise, sondern
in Gott selbst soll der Nervenschrecken der Nacht eher sein, als das freudige
Bewußtsein des Lichtes; kurz, es soll hier nicht eine menschliche Krankheitigeschichte,
sondern die Entwicklungs-, d. i. Krankheitsgeschichte
Gottes — Entwicklungen sind Krankheiten — dargestellt
werden.
Wenn daher der weltschaffende Unterscheidungsprozeß in Gott uns das Licht
der Unterscheidungskraft als eine göttliche
Wesenheit zur Anschauung bringt, so
repräsentiert uns dagegen die Nacht oder Natur in Gott die
Leibnizschen Pensées confuses
als göttliche Kräfte oder Potenzen.
Aber die Pensées confuses, die verworrnen, dunkeln Vorstellungen und
Gedanken, richtiger Bilder repräsentieren das Fleisch,
die Materie; eine reine, von der Materie
abgesonderte Intelligenz hat nur lichte, freie Gedanken, keine dunkeln, d. i.
fleischlichen Vorstellungen, keine materielle, die Phantasie erregende, das
Blut in Aufruhr bringende Bilder. Die Nacht in Gott sagt daher nichts andres
aus, als: Gott ist nicht nur ein geistiges, sondern auch materielles,
leibliches, fleischliches Wesen; aber
wie der Mensch Mensch ist und heißt nicht nach seinem Fleisch, sondern
seinem Geist, so auch Gott.
Aber die Nacht spricht dies nur in dunkeln, mystischen,
unbestimmten, hinterhaltigen Bildern aus. Statt des kräftigen,
aber eben deswegen präzisen und pikanten Ausdrucks: Fleisch
setzt sie die vieldeutigen, abstrakten Worte: Natur
und Grund. »Da nichts vor oder außer Gott ist, so muß
er den Grund seiner Existenz in sich selbst haben. Das sagen alle Philosophien,
aber sie reden von diesem Grund als einem bloßen
Begriff, ohne ihn zu etwas Reellem
und Wirklichem zu machen. Dieser Grund
seiner Existenz, den Gott in sich hat, ist nicht Gott absolut betrachtet, d.
h. sofern er existiert; denn er ist ja nur der Grund seiner Existenz. Er ist
die Natur — in Gott; ein von ihm
zwar unabtrennliches, aber doch unterschiednes Wesen.
Analogisch (?) kann dieses Verhältnis durch das der
Schwerkraft und des Lichts in der Natur erläutert werden.«
Aber dieser Grund ist das Nichtintelligente in Gott.
»Was der Anfang einer Intelligenz (in ihr selber) ist, kann
nicht wieder intelligent
sein.« »Aus diesem Verstandlosen ist im eigentlichen
Sinne der Verstand geboren. Ohne dies vorausgehende Dunkel gibt es
keine Realität der Kreatur.« »Mit solchen abgezognen
Begriffen von Gott als Actus purissimus,
dergleichen die ältere Philosophie aufstellte, oder solchen, wie sie
die neuere, aus Fürsorge, Gott ja recht weit von aller Natur zu entfernen,
immer wieder hervorbringt, läßt sich überall nichts ausrichten.
Gott ist etwas Realeres, als eine
bloße moralische Weltordnung und
hat ganz andre und lebendigere
Bewegungskräfte in sich, als ihm die dürftige
Subtilität abstrakter Idealisten
zuschreibt.
— Der Idealismus, wenn er nicht einen lebendigen
Realismus zur Basis erhält, wird ein ebenso leeres und abgezognes
System als das Leibnizische, Spinozische oder irgendein anderes dogmatisches.«
»Solange der Gott des modernen Theismus das einfache, rein wesenhaft sein
sollende, in der Tat aber wesenlose — Wesen bleibt, das er in allen neuem
Systemen ist, solange nicht in Gott eine wirkliche Zweiheit erkannt und der
bejahenden, ausbreitenden Kraft eine einschränkende,
verneinende entgegengesetzt wird, so
lange wird die Leugnung eines persönlichen Gottes wissenschaftliche Aufrichtigkeit
sein.« »Alles Bewußtsein ist Konzentration, ist Sammlung,
ist Zusammennehmen, Zusammenfassen seiner selbst. Diese verneinende, auf es
selbst zurück-gehende Kraft eines Wesens ist die wahre Kraft der Persönlichkeit
in ihm, die Kraft der Selbstheit, der Egoität.« »Wie sollte
eine Furcht Gottes
sein, wenn keine Stärke in ihm wäre? Daß aber etwas in Gott
sei, das bloß Kraft und Stärke
sei, kann nicht befremden, wenn man nur nicht behauptet, daß er allein
dieses und sonst nichts andres sei.«
Aber was ist denn nun Kraft und Stärke, die nur Kraft und Stärke ist,
anders als die leibliche Kraft und Stärke?
Kennst du im Unterschiede von der Macht der Güte und Vernunft eine andere
dir zu Gebote stehende Kraft als die Muskelkraft?
Wenn du durch Güte und Vernunftgründe nichts ausrichten kannst, so
mußt du zur Stärke deine Zuflucht nehmen. Kannst du aber etwas »ausrichten«
ohne kräftige Arme und Fäuste? Kennst du im Unterschiede von
der Macht der moralischen Weltordnung
»andere und lebendigere Bewegungskräfte« als die Hebel
der peinlichen Halsgerichtsordnung?
Ist nicht die Natur ohne Leib auch ein »leerer, abgezogner«
Begriff, eine »dürftige Subtilität«? nicht das Geheimnis
der Natur das Geheimnis des Leibes? nicht das System eines »lebendigen
Realismus« das System des organischen Leibes?
Gibt es überhaupt eine andere der Intelligenz entgegengesetzte Kraft,
als die Kraft von Fleisch
und Blut, eine andere Stärke der Natur, als die Stärke
der sinnlichen Triebe?
Ist aber nicht der stärkste Naturtrieb der Geschlechtstrieb? Wer erinnert
sich nicht an den alten Spruch: Amare et Sapere vix Deo
competit? Wenn wir also eine Natur, ein dem Lichte der Intelligenz entgegengesetztes
Wesen in Gott setzen wollen, können wir uns einen lebendigeren, einen realeren
Gegensatz denken, als den Gegensatz von Denken und
Lieben, von Geist und Fleisch,
von Freiheit und Geschlechtstrieb? Du entsetzest dich über
diese Deszendenzen und Konsequenzen? Oh! sie sind die legitimen Sprossen von
dem heiligen Ehebündnis zwischen Gott und Natur. Du selbst hast sie gezeugt
unter den günstigen Auspizien der Nacht. Ich zeige sie dir jetzt nur im
Lichte.
Persönlichkeit, »Egoität«, Bewußtsein ohne Natur
ist Nichts oder, was eins, ein hohles, wesenloses Abstraktum. Aber die Natur
ist, wie bewiesen und von selbst klar ist, nichts
ohne Leib. Der
Leib ist allein jene verneinende,
einschränkende, zusammenziehende, beengende Kraft, ohne welche keine Persönlichkeit
denkbar ist. Nimm deiner Persönlichkeit ihren Leib
— und du nimmst ihr ihren Zusammenhalt. Der Leib
ist der Grund, das Subjekt der Persönlichkeit. Nur durch den
Leib unterscheidet sich die wirkliche
Persönlichkeit von der eingebildeten
eines Gespenstes. Was wären wir für abstrakte, vage, leere Persönlichkeiten,
wenn uns nicht das Prädikat der Undurchdringlichkeit zukäme, wenn
an demselben Orte, in derselben Gestalt, worin wir sind, zugleich andere sich
befinden könnten? Nur durch die räumliche Ausschließung bewährt
sich die Persönlichkeit als eine wirkliche. Aber der Leib ist nichts ohne
Fleisch und Blut. Fleisch und Blut ist Leben,
und Leben allein
die Wirklichkeit des Leibes. Aber Fleisch und Blut ist
nichts ohne den Sauerstoff des Geschlechtsunterschieds.
Der Geschlechtsunterschied ist kein oberflächlicher oder nur auf gewisse
Körperteile beschränkter; er ist ein wesentlicher;
er durchdringt Mark
und Bein. Das Wesen des
Mannes ist die Männlichkeit, das des Weibes die Weiblichkeit. Sei der Mann
auch noch so geistig und hyperphysisch — er bleibt doch immer Mann; ebenso
das Weib. Die Persönlichkeit ist
daher nichts ohne Geschlechtsunterschied;
die Persönlichkeit unterscheidet sich wesentlich in männliche und
weibliche Persönlichkeit. Wo kein Du, ist kein Ich; aber der Unterschied
von Ich und Du, die Grundbedingung aller Persönlichkeit, alles Bewußtseins,
ist nur ein wirklicher, lebendiger, feuriger als der
Unterschied von Mann und Weib. Das Du zwischen Mann und Weib hat
einen ganz andern Klang, als das monotone Du zwischen Freunden.
Natur im Unterschiede von Persönlichkeit kann gar nichts anderes bedeuten
als Geschlechtsunterschied. Ein persönliches Wesen ohne Natur ist eben
nichts andres als ein Wesen ohne Geschlecht, und umgekehrt. Natur soll Gott
zugesprochen werden »in dem Sinne, wie von einem Menschen gesagt wird,
er sei eine starke, eine tüchtige, eine gesunde Natur«. Aber was
ist krankhafter, was unausstehlicher, was naturwidriger als eine Person ohne
Geschlecht oder eine Person, die in ihrem Charakter, ihren Sitten, ihren Gefühlen
ihr Geschlecht verleugnet? Was ist die Tugend, die Tüchtigkeit des Menschen
als Mannes? die Männlichkeit. Des Menschen als Weibes? die Weiblichkeit.
Aber der Mensch existiert nur als Mann und Weib. Die Tüchtigkeit, die Gesundheit
des Menschen besteht demnach nur darin, daß er als Weib so ist, wie er
als Weib sein soll, als Mann so, wie er als Mann sein soll. Du verwirfst »den
Abscheu gegen alles Reale, der das Geistige durch jede Berührung mit demselben
zu verunreinigen meint«. Also verwirf vor allem deinen eignen Abscheu
vor dem Geschlechtsunterschied. Wird Gott nicht durch die Natur verunreinigt,
so wird er auch nicht durch das Geschlecht verunreinigt. Deine Scheu vor einem
geschlechtlichen Gott
ist eine falsche Scham — falsch aus doppeltem Grunde. Einmal, weil
die Nacht, die du in Gott gesetzt, dich der Scham überhebt; die Scham schickt
sich nur für das Licht; dann, weil du mit ihr dein ganzes Prinzip aufgibst.
Ein sittlicher Gott ohne Natur ist ohne Basis; aber die Basis der Sittlichkeit
ist der Geschlechtsunterschied. Selbst das Tier wird durch den Geschlechtsunterschied
aufopfernder Liebe fähig. Alle Herrlichkeit der Natur, all ihre Macht,
all ihre Weisheit und Tiefe konzentriert und individualisiert sich in dem Geschlechtsunterschied.
Warum scheust du dich also, die Natur Gottes
bei ihrem wahren Namen zu nennen?
Offenbar nur deswegen, weil du überhaupt eine Scheu vor den Dingen in
ihrer Wahrheit und Wirklichkeit hast,
weil du alles nur durch den trügerischen Nebel des Mystizismus erblickst.
Aber eben deswegen, weil die Natur in Gott nur ein trügerischer,
wesenloser Schein, ein phantastisches
Gespenst der Natur ist — denn
sie stützt sich, wie gesagt, nicht auf Fleisch und Blut, nicht auf einen
realen Grund — also auch diese Begründung eines persönlichen
Gottes eine fehlgeschossene ist; so schließe auch ich mit den Worten:
»die Leugnung eines persönlichen Gottes
wird so lange wissenschaftliche Aufrichtigkeit«, ich setze hinzu: wissenschaftliche
Wahrheit sein, als man nicht mit klaren, unzweideutigen
Worten ausspricht und beweist, erstens a priori, aus spekulativen Gründen,
daß Gestalt, Örtlichkeit, Fleischlichkeit, Geschlechtlichkeit nicht
dem Begriffe der Gottheit widersprechen, zweitens a posteriori — denn
die Wirklichkeit eines persönlichen Wesens stützt sich nur auf empirische
Gründe — was für eine Gestalt Gott hat, wo er existiert
— etwa im Himmel — und endlich welchen Geschlechtes er ist, ob ein
Männlein oder Weiblein oder gar ein Hermaphrodit. Übrigens
hat schon anno 1682 ein Pfarrer die kühne Frage aufgeworfen: »Ob
Gott auch ehelich sei und ein Weib habe? Und wieviel er Weisen (modos) habe,
Menschen zuwege zu bringen?« Mögen sich daher die
tiefsinnigen spekulativen Religions-Philosophen Deutschlands
diesen ehrlichen, schlichten Pfarrherrn zum Muster nehmen! Mögen sie den
genannten Rest von Rationalismus, der ihnen noch im schreiendsten Widerspruch
mit ihrem wahren Wesen anklebt, mutig von sich abschütteln und endlich
die mystische Potenz der Natur Gottes in einem wirklich potenten, zeugungskräftigen
Gott realisieren Amen.
Die Lehre von der Natur in Gott ist Jakob Böhmen entnommen. Aber im Original
hat sie eine weit tiefere und interessantere Bedeutung, als in ihrer zweiten
kastrierten und modernisierten Auflage. J. Böhme ist ein tiefinniges, tiefsinniges
religiöses Gemüt; die Religion ist das Zentrum seines Lebens und Denkens.
Aber zugleich hat sich die Bedeutung, welche die Natur in neuerer Zeit erhielt
— im Studium der Naturwissenschaften, im Spinozismus, Materialismus, Empirismus
— seines religiösen Gemütes bemächtigt. Er hat seine Sinne
der Natur geöffnet, einen Blick in ihr geheimnisvolles Wesen geworfen;
aber sie erschreckt ihn; und er kann diesen Schrecken vor der Natur nicht zusammenreimen
mit seinen religiösen Vorstellungen. »Als ich
anschauete die große Tiefe dieser Welt, darzu die Sonne und Sternen, sowohl
die Wolken, darzu Regen und Schnee, und betrachtete in meinem Geiste die ganze
Schöpfung dieser Welt; darinnen ich dann in allen Dingen Böses und
Gutes fand, Liebe und Zorn, in den unvernünftigen Kreaturen, als in Holz,
Steinen, Erden und Elementen, sowohl als in Menschen und Tieren ... Weil ich
aber befand, daß in allen Dingen Böses und Gutes war, in den Elementen
sowohl als in den Kreaturen und daß es in der Welt dem Gottlosen so wohl
ginge als dem Frommen, auch die barbarischen Völker die besten Länder
innehätten und daß ihnen das Glück noch wohl mehr beistünde
als den Frommen: ward ich derowegen ganz melancholisch und hoch betrübet
und konnte mich keine Schrift trösten, welche mir doch fast wohl bekannt
war: darbei dann gewißlich der Teufel nicht wird gefeiret haben, welcher
mir dann oft heidnische Gedanken einbleuete, deren ich allhie verschweigen will«
Aber so sehr sein Gemüt das finstre, nicht mit den
religiösen Vorstellungen eines himmlischen Schöpfers zusammenstimmende
Wesen der Natur erschreckt, so sehr entzückt ihn andrerseits die Glanzseite
der Natur. J. Böhme hat Sinn für die Natur. Er ahndet, ja empfindet
die Freuden des Mineralogen, die Freuden des Botanikers, des Chymikers, kurz
die Freuden der »gottlosen
Naturwissenschaft«. Ihn entzückt der
Glanz der Edelsteine, der Klang der Metalle, der Geruch und Farbenschmuck der
Pflanzen, die Lieblichkeit und Sanftmut vieler Tiere. »Ich kann
es« (nämlich die Offenbarung Gottes in der Lichtwelt, den Prozeß,
wo »aufgehet in der Gottheit die wunderliche und schöne Bildung des
Himmels in mancherlei Farben und Art und erzeiget sich jeder Geist in seiner
Gestalt sonderlich«), »ich kann es«, schreibt
er an einer andern Stelle, »mit nichts vergleichen als mit den
alleredelsten Steinen als Jerubin, Schmaragden, Delfin, Onyx, Saphir, Diamant,
Jaspis, Hyazinth, Amethyst, Beryll, Sardis, Karfunkel und dergleichen.«
Woanders: »Anlangend aber die köstlichen Steine, als Karfunkel,
Jerubin, Schmaragden, Delfin, Onyx und dergleichen, die die allerbesten seind,
die haben ihren Ursprung wo der Blitz des Lichtes in der Liebe aufgangen ist.
Dann derselbe Blitz wird in der Sanftmut geboren und ist das Herze im Centro
der Quellgeister, darum seind dieselben Steine auch sanfte, kräftig und
lieblich.« Wir sehen: J. Böhm[e] hatte keinen
übeln mineralogischen Geschmack. Daß er aber auch an den Blumen Wohlgefallen,
folglich botanischen Sinn hatte, beweisen unter anderm folgende Stellen:
»Die himmlischen Kräfte gebären himmlische freudenreiche Früchte
und Farben, allerlei Bäume und Stauden, darauf wächst die schöne
und liebliche Frucht des Lebens: Auch so gehen in diesen Kräften auf allerlei
Blumen mit schönen himmlischen Farben und Geruch. Ihr Schmack ist mancherlei,
ein jedes nach seiner Qualität und Art, ganz heilig, göttlich und
freudenreich.« »So du nun die himmlische göttliche Pomp und
Herrlichkeit willst betrachten, wie die sei, was für Gewächse, Lust
oder Freude da sei, so schaue mit Fleiß an diese Welt, was für
Früchte und Gewächse aus dem Salniter der Erden wächst von Bäumen,
Stauden, Kraut, Wurzeln, Blumen, Öle, Weine, Getreide und alles, was da
ist und dein Herz nur forschen kann: Das ist alles ein Vorbild der himmlischen
Pomp.«
J. Böhmen konnte ein despotischer Machtspruch
als Erklärungsgrund der Natur nicht genügen;
die Natur lag ihm zu sehr im Sinne und auf dem Herzen; er versuchte daher eine
natürliche Erklärung der Natur;
aber er fand natürlicher- und notwendigerweise keine andern Erklärungsgründe,
als eben die Qualitäten der Natur,
die den tiefsten Eindruck auf sein Gemüt machten. J. Böhme —
dies ist seine wesentliche Bedeutung — ist ein mystischer Naturphilosoph,
ein theosophischer Vulkanist und Neptunist, denn im »Feuer
und Wasser urständen nach ihm alle Dinge«. Die Natur
hatte Jakobs religiöses Gemüt bezaubert — nicht umsonst empfing
er von dem Glanze eines zinnernen Geschirres sein mystisches Licht —,
aber das religiöse Gemüt webt nur in sich
selbst; es hat nicht die Kraft, nicht den Mut, zur Anschauung der
Dinge in ihrer Wirklichkeit zu dringen; es erblickt alles durch das Mittel der
Religion, alles in Gott, d. h. alles im entzückenden, das Gemüt ergreifenden
Glanze der Einbildungskraft, alles im Bilde und als Bild. Aber die Natur affizierte
sein Gemüt entgegengesetzt; er mußte diesen Gegensatz daher in Gott
selbst setzen — denn die Annahme von zwei selbständig existierenden
entgegengesetzten Urprinzipien hätte sein religiöses Gemüt zerrissen
—, er mußte in Gott selbst unterscheiden ein sanftes, wohltätiges
und ein grimmiges, verzehrendes Wesen. Alles Feurige, Bittere, Herbe, Zusammenziehende,
Finstere, Kalte kommt aus einer göttlichen Herbigkeit, Bitterkeit, Kulte
und Finsternis, alles Milde, Glänzende, Erwärmende, Weiche, Sanfte,
Nachgiebige aus einer milden, sanften, erleuchtenden Qualität in Gott.
Kurz, der Himmel ist so reich,
als die Erde. Alles was auf der Erde, ist im Himmel, was
in der Natur, in Gott. Aber hier ist es göttlich, himmlisch,
dort irdisch, sichtbarlich, äußerlich, materiell, aber doch dasselbe.
»Wann ich nun schreibe von Bäumen, Stauden und Fruchten, so mußt
du es nicht irdisch, gleich dieser Welt verstehen, dann das ist nicht meine
Meinung, daß im Himmel wachse ein toter harter
hölzerner Baum oder Stein, der in irdischer
Qualität stehet. Nein, sondern
meine Meinung ist himmlisch und
geistlich, aber doch wahrhaftig
und eigentlich, also ich meine
kein ander Ding, als wie ich‘s in Buchstaben
setze«, d. h., im Himmel sind dieselben Bäume und Blumen,
aber die Bäume im Himmel sind die Bäume, wie sie in meiner
Einbildungskraft duften und blühen, ohne grobe materielle
Eindrücke auf mich zu machen; die Bäume auf Erden, die Bäume
in meiner sinnlichen, wirklichen Anschauung.
Der Unterschied ist der Unterschied zwischen Einbildung
und Anschauung. »Nicht
ist das mein Fürnehmen«, sagt er selbst, »daß
ich wollte aller Sternen Lauf, Ort oder Namen beschreiben oder wie sie jährlich
ihre Konjunktion oder Gegenschein oder Quadrat und dergleichen haben, was sie
jährlich und stündlich wirken. Ich habe dasselbe auch nicht gelernet
und studieret und lasse dasselbe die Gelehrten handeln: sondern mein Fürnehmen
ist, nach dem Geist und Sinne zu schreiben, und nicht nach dem Anschauen.«
Die Lehre von der Natur in Gott will durch den Naturalismus
den Theismus, namentlich den Theismus, welcher das höchste
Wesen als ein persönliches Wesen betrachtet, begründen. Der persönliche
Theismus denkt sich aber Gott als ein von allem Materiellen abgesondertes persönliches
Wesen; er schließt von ihm alle Entwickelung aus, weil diese nichts andres
ist, als die Selbstabsonderung eines Wesens von Zuständen und Beschaffenheiten,
die seinem wahren Begriffe nicht entsprechen. Aber in Gott findet dies nicht
statt, weil in ihm Anfang, Ende, Mitte sich nicht unterscheiden lassen, weil
er mit einem Mal ist, was er ist, von Anbeginn an so ist, wie er sein soll,
sein kann; er ist die reine Einheit von Sein und Wesen, Realität und Idee,
Tat und Wille. Deus suum Esse est. Der Theismus stimmt hierin mit dem Wesen
der Religion überein. Alle auch noch so positiven Religionen
beruhen auf Abstraktion; sie unterscheiden
sich nur durch den Gegenstand der Abstraktion.
Auch die Homerischen Götter sind bei aller Lebenskräftigkeit und Menschenähnlichkeit
abstrakte Gestalten; sie haben Leiber
wie die Menschen, aber Leiber, von denen die Schranken und Beschwerlichkeiten
des menschlichen Leibes weggelassen sind. Die erste Bestimmung des
göttlichen Wesens ist: es ist ein abgesondertes,
destilliertes Wesen. Es versteht sich von selbst, daß diese
Abstraktion keine willkürliche, sondern
durch den wesentlichen Standpunkt des Menschen bestimmte ist. So wie er ist,
sowie er überhaupt denkt, so abstrahiert er.
Die Abstraktion drückt ein Urteil
aus — ein bejahendes und verneinendes zugleich,
Lob und Tadel. Was der
Mensch lobt und preist,
das ist ihm Gott was er tadelt, verwirft, das Ungöttliche. Die Religion
ist ein Urteil.
Die wesentlichste Bestimmung in der Religion, in der Idee des göttlichen
Wesens ist demnach die Abscheidung des Preiswürdigen vom Tadelhaften, des
Vollkommnen vom Unvollkommnen, kurz des Wesenhaften vom Nichtigen. Der Kultus
selbst besteht in nichts anderm, als in der fortwährenden Erneuerung des
Ursprungs der Religion — in der kritischen, aber feierlichen Sonderung
des Göttlichen vom Ungöttlichen.
Gott ist das von aller Widerlichkeit befreite Selbstgefühl
des Menschen
Das göttliche Wesen ist das durch den Tod der
Abstraktion verklärte menschliche Wesen — der
abgeschiedene Geist des Menschen. In der Religion befreit sich der
Mensch von den Schranken des Lebens; hier läßt er fallen, was ihn
drückt, hemmt, widerlich affiziert; Gott ist
das von aller Widerlichkeit befreite Selbstgefühl des Menschen;
frei, glücklich, selig fühlt sich der Mensch nur in seiner
Religion, weil er nur hier seinem Genius lebt, seinen Sonntag feiert. Die Vermittlung,
die Begründung der göttlichen Idee liegt für ihn außer
dieser Idee — die Wahrheit derselben schon im Urteil, schon darin,
daß alles, was er von Gott ausschließt, die Bedeutung des Ungöttlichen,
das Ungöttliche aber die Bedeutung des Nichtigen hat. Würde er die
Vermittlung dieser Idee in die Idee selbst aufnehmen, so würde
sie ihre wesentlichste Bedeutung, ihren wahren Wert, ihren beseligenden Zauber
verlieren. Der Prozeß der Absonderung, der Scheidung des Intelligenten
vom Nicht-Intelligenten, der Persönlichkeit von der Natur, des Vollkommnen
vom Unvollkommnen fällt daher notwendig in den Menschen, nicht in Gott,
und die Idee der Gottheit nicht an den Anfang, sondern das Ende der
Sinnlichkeit, der Welt, der Natur - »wo die
Natur aufhört, fängt Gott an« -, weil Gott die
letzte Grenze der Abstraktion ist. Das, wovon ich nicht mehr
abstrahieren kann, ist Gott - der letzte
Gedanke, den ich zu fassen fähig bin -, der letzte, d.i. der höchste.
Id quo majus nihil cogitari potest, Deus est. Daß nun dieses Omega der
Sinnlichkeit auch das Alpha wird, ist leicht begreiflich, aber das Wesentliche
ist, daß es das Omega ist. Das Alpha ist erst die Folge; weil es das Letzte,
so ist es auch das Erste. Und das Prädikat: das erste Wesen hat
keineswegs sogleich schöpferische Bedeutung, sondern nur die Bedeutung
des höchsten Ranges. Die Schöpfung in der mosaischen Religion hat
den Zweck, Jehova das Prädikat des höchsten und ersten, des wahren,
ausschließlichen Gottes im Gegensatz zu den Götzen zu sichern.
Dem Bestreben, die Persönlichkeit Gottes durch die Natur begründen
zu wollen, liegt daher eine unlautere, heillose Vermischung
der Philosophie und Religion,
eine völlige Kritik- und Bewußtlosigkeit
aber die Entstehung des persönlichen Gottes
zugrunde. Wo die Persönlichkeit für die wesentliche Bestimmung
Gottes gilt, wo es heißt: ein unpersönlicher Gott ist kein Gott,
da gilt die Persönlichkeit schon an und für sich für das Höchste
und Wirklichste, da liegt das Urteil zugrunde: was nicht Person, ist tot, ist
Nichts; nur persönliches Sein ist Leben und Wahrheit; die Natur ist aber
unpersönlich, also ein nichtiges Ding. Die Wahrheit der Persönlichkeit
stützt sich nur auf die Unwahrheit der Natur. Die Persönlichkeit von
Gott aussagen, heißt nichts andres, als die Persönlichkeit für
das absolute Wesen erklären; aber die Persönlichkeit wird nur
im Unterschiede, in der Abstraktion von der Natur erfaßt.
Freilich ist ein nur persönlicher Gott ein abstrakter
Gott; aber das soll er sein, das liegt in seinem Begriffe; denn er
ist nichts andres, als das sich außer allen
Zusammenhang mit der Welt setzende, sich von aller Abhängigkeit
von der Natur freimachende persönliche Wesen
des Menschen. In der Persönlichkeit
Gottes feiert der Mensch die Übernatürlichkeit, Unsterblichkeit, Unabhängigkeit
und Unbeschränktheit seiner eignen Persönlichkeit.
Das Bedürfnis eines persönlichen Gottes hat überhaupt darin seinen
Grund, daß der persönliche Mensch erst in der Persönlichkeit
bei sich ankommt, erst in ihr sich findet. Substanz, reiner Geist,
bloße Vernunft genügt ihm nicht, ist ihm zu abstrakt, d. h. drückt
nicht ihn selbst aus, führt ihn nicht
auf sich zurück. Befriedigt, glücklich
ist aber der Mensch nur, wo er bei sich, bei seinem Wesen ist. Je persönlicher
daher ein Mensch, desto stärker ist für ihn das Bedürfnis eines
persönlichen Gottes. Der abstrakt freie Geist kennt nichts Höheres,
als die Freiheit; er braucht sie nicht an ein persönliches Wesen anzuknüpfen;
die Freiheit ist ihm durch sich selbst,
als solche, ein wirkliches, wahres Wesen. Ein mathematischer, astronomischer
Kopf, ein reiner Verstandesmensch, ein objektiver Mensch, der nicht in sich
befangen ist, der frei und glücklich sich nur fühlt in der Anschauung
objektiv vernünftiger Verhältnisse, in der Vernunft, die in
den Dingen selbst liegt, ein solcher
wird die Spinozische Substanz oder eine ähnliche Idee als sein höchstes
Wesen feiern, voller Antipathie gegen einen persönlichen, d. i. subjektiven
Gott. Jacobi war darum ein klassischer, weil (in dieser Beziehung wenigstens)
konsequenter, mit einiger Philosoph. Wie sein Gott, so war seine Philosophie
— persönlich, subjektiv. Der persönliche Gott kann nicht anders
wissenschaftlich begründet werden, als wie ihn Jacobi und seine Schüler
begründeten. Die Persönlichkeit bewährt sich nur auf selbst persönliche
Weise.
Sicherlich läßt sich, ja soll sich die Persönlichkeit auf natürlichem
Wege begründen; aber nur dann, wenn ich aufhöre, im Dunkeln des Mystizismus
zu munkeln, wenn ich heraustrete an den hellen lichten Tag der wirklichen Natur
und den Begriff des persönlichen Gottes mit dem Begriff der
Persönlichkeit überhaupt vertausche. Aber in den Begriff
des persönlichen Gottes, dessen Wesen eben die befreite,
abgeschiedene, von der einschränkenden Kraft der Natur erlöste Persönlichkeit
ist, eben diese Natur wieder einzuschwärzen, das ist ebenso verkehrt, als
wenn ich in den Nektar der Götter Braunschweiger Mumme mischen wollte,
um dem ätherischen Trank eine solide Grundlage zu geben. Allerdings lassen
sich nicht aus dem himmlischen Safte, der die Götter nährt, die Bestandteile
des animalischen Blutes ableiten. Allein die Blume der Sublimation entsteht
nur durch Verflüchtigung der Materie; wie kannst du also in der sublimierten
Substanz eben die Stoffe vermissen, von welchen du sie geschieden? Allerdings
läßt sich das unpersönliche Wesen der Natur nicht aus dem Begriffe
der Persönlichkeit erklären. Erklären heißt Begründen;
aber wo die Persönlichkeit eine Wahrheit oder vielmehr die höchste,
einzige Wahrheit ist, da hat die Natur keine wesenhafte
Bedeutung und folglich auch keinen
wesenhaften Grund. Die eigentliche Schöpfung
aus Nichts ist hier allein der zureichende
Erklärungsgrund; denn sie sagt nichts weiter als:
die Natur ist Nichts, spricht also präzis die
Bedeutung aus, welche die Natur für die absolute Persönlichkeit hat.
S.152-169
Aus: Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Christentums,
Reclams Universalbibliothek Nr. 4571 (S. 21-22, 43, 48-50, 52-53, 58-59, 61-65,
73, 80, 82-85, 120-121, 123-127, 152-169)
© für diese Ausgabe 1969 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlags
Grundsätze der Philosophie
der Zukunft
§ 1 Die Aufgabe der neueren
Zeit war die Verwirklichung und Vermenschlichung Gottes — die Verwandlung
und Auflösung der Theologie in die Anthropologie.
§ 2 Die religiöse oder praktische Weise dieser Vermenschlichung war der Protestantismus. Der Gott, welcher Mensch ist, der menschliche Gott also: Christus — dieser nur ist der Gott des Protestantismus. Der Protestantismus kümmert sich nicht mehr, wie der Katholizismus, darum, was Gott an sich selber ist, sondern nur darum, was er für den Menschen ist; er hat deshalb keine spekulative oder kontemplative Tendenz mehr wie jener; er ist nicht mehr Theologie — er ist wesentlich nur Christologie, d. i. religiöse Anthropologie.
§ 3 Der Protestantismus negierte jedoch den Gott an sich oder Gott als Gott — denn Gott an sich ist erst eigentlicher Gott — nur praktisch; theoretisch ließ er ihn bestehen; er ist, aber nur nicht für den Menschen, d. h. den religiösen Menschen — er ist ein jenseitiges Wesen, ein Wesen, das einst erst dort im Himmel ein Gegenstand für den Menschen wird. Aber was jenseits der Religion, das liegt diesseits der Philosophie, was kein Gegenstand für jene, das ist gerade der Gegenstand für diese.
§ 4 Die rationelle oder theoretische Verarbeitung und Auflösung des für die Religion jenseitigen, ungegenständlichen Gottes ist die spekulative Philosophie.
§ 5 Das Wesen der spekulativen Philosophie ist nichts andres als das rationalisierte, realisierte, vergegenwärtigte Wesen Gottes. Die spekulative Philosophie ist die wahre, die konsequente, die vernünftige Theologie.
§ 6
Gott als Gott — als geistiges
oder abstraktes, d. i. nicht
menschliches, nicht
sinnliches, nur der Vernunft oder Intelligenz
zugängliches und gegenständliches
Wesen — ist nichts anderes als das Wesen der
Vernunft selbst, welches aber von der gemeinen
Theologie oder vom Theismus vermittels
der Einbildungskraft als ein von der Vernunft unterschiedenes,
selbständiges Wesen vorgestellt wird.
Es ist daher eine innere, eine heilige Notwendigkeit,
daß das von der Vernunft unterschiedene Wesen der Vernunft endlich mit
der Vernunft identifiziert, das göttliche Wesen also als das
Wesen der Vernunft erkannt, verwirklicht und vergegenwärtigt werde. Auf
dieser Notwendigkeit beruht die hohe geschichtliche
Bedeutung der spekulativen Philosophie.
Der Beweis, daß das göttliche Wesen das Wesen der Vernunft oder Intelligenz
ist, liegt darin, daß die Bestimmungen
oder Eigenschaften Gottes — so weit
natürlich diese vernünftige
sind, nicht Bestimmungen der Sinnlichkeit oder
Einbildungskraft — Eigenschaften der Vernunft
sind.
,,Gott ist das unendliche Wesen, das
Wesen ohne alle Einschränkungen.“
Aber was keine Grenze oder Schranke Gottes, das ist auch keine Schranke
der Vernunft. Wo z. B. Gott ein über die Schranken der Sinnlichkeit erhabenes
Wesen ist, da ist es auch die Vernunft. Wer keine andere Existenz denken kann
als eine sinnliche, wer also eine durch die Sinnlichkeit beschränkte Vernunft
hat, der hat auch ebendeswegen einen durch die Sinnlichkeit beschränkten
Gott. Die Vernunft, welche Gott als ein unbeschränktes Wesen denkt, die
denkt in Gott nur ihre eigene Unbeschränktheit.
Was der Vernunft das göttliche, das ist ihr auch erst das
vernünftige Wesen, das affirmative Wesen der Vernunft —
d. h. das erst vollkommen die Vernunft ausdrückende und repräsentierende
Wesen und ebendeswegen befriedigende Wesen. Das aber, worin sich ein Wesen befriedigt,
ist nichts andres als sein gegenständliches
Wesen. Wer sich in einem Dichter befriedigt, ist selbst eine dichterische,
wer in einem Philosophen, selbst eine philosophische Natur, und daß er
es ist, das wird ihm und andern erst in dieser Befriedigung Gegenstand. Die
Vernunft bleibt aber nicht bei den sinnlichen, endlichen Dingen stehen; sie
befriedigt sich nur in dem unendlichen Wesen — also ist uns erst in diesem
Wesen das Wesen der Vernunft aufgeschlossen.
,,Gott ist das notwendige Wesen.“ Aber diese seine Notwendigkeit
beruht darauf, daß er ein vernünftiges,
intelligentes Wesen ist. Die Welt, die Materie hat den Grund, warum
sie ist und so ist, wie sie ist, nicht in sich, denn es ist ihr völlig
einerlei, ob sie ist oder nicht ist, ob sie so oder anders ist. Sie setzt daher
notwendig als Ursache ein anderes Wesen voraus, d. h. ein
verständiges, selbstbewußtes, nach Gründen und Zwecken
wirkendes Wesen. Denn nimmt man von diesem andern Wesen die Intelligenz weg,
so entsteht von neuem die Frage nach dem Grund desselben: Die Notwendigkeit
des ersten, höchsten Wesens beruht darum auf der Voraussetzung, daß
der Verstand allein das erste
und höchste, das
notwendige und wahre Wesen
ist. Wie überhaupt die metaphysischen oder ontotheologischen Bestimmungen
erst Wahrheit und Realität haben, wenn sie auf psychologische oder vielmehr
anthropologische Bestimmungen zurückgeführt werden, so hat also auch
die Notwendigkeit des göttlichen Wesens in der alten Metaphysik oder Ontotheologie
erst Sinn und Verstand, Wahrheit und Realität in der psychologischen oder
anthropologischen Bestimmung Gottes als eines intelligenten Wesens. Das notwendige
Wesen ist das notwendig zu denkende, schlechterdings zu bejahende, schlechterdings
unleugbare oder unaufhebbare Wesen, aber nur als ein selbst
denkendes Wesen. In dem notwendigen Wesen beweist und zeigt also
die Vernunft nur ihre eigene Notwendigkeit und Realität.
,,Gott ist das unbedingte, allgemeine
— ,Gott ist nicht dies und das‘ — unveränderliche,
ewige oder zeitlose Wesen.“ Aber
Unbedingtheit, Unveränderlichkeit, Ewigkeit, Allgemeinheit sind selbst
nach dem Urteil der metaphysischen Theologie auch Eigenschaften der Vernunftwahrheiten
oder Vernunftgesetze, folglich Eigenschaften der Vernunft selbst; denn was sind
diese unveränderlichen, allgemeinen, unbedingten, schlechthin immer und
überall gültigen Vernunftwahrheiten anderes als Ausdrücke von
dem Wesen der Vernunft?
,,Gott ist das unabhängige, selbständige
Wesen, welches keines andern Wesens zu seiner Existenz bedarf, folglich von
und durch sich selbst ist.“ Aber
auch diese abstrakte metaphysische Bestimmung hat nur Sinn und Realität
als eine Definition von dem Wesen des Verstandes, und sagt daher nichts weiter
aus, als daß Gott ein denkendes, intelligentes Wesen oder umgekehrt nur
das denkende Wesen das göttliche ist; denn nur ein sinnliches
Wesen bedarf zu seiner Existenz andere Dinge außer ihm. Luft bedarf ich
zum Atmen, Wasser zum Trinken, Licht zum Sehen, pflanzliche und tierische Stoffe
zum Essen, aber nichts, wenigstens unmittelbar, zum Denken. Ein atmendes Wesen
kann ich nicht denken ohne die Luft, ein sehendes nicht ohne Licht, aber das
denkende Wesen kann ich für sich isoliert denken. Das atmende Wesen bezieht
sich notwendig auf ein Wesen außer
ihm, hat seinen wesentlichen Gegenstand,
das, wodurch es ist, was es ist, außer sich;
aber das denkende Wesen bezieht sich auf sich selbst,
ist sein eigner Gegenstand, hat sein Wesen in sich selbst, ist, was es ist,
durch sich selbst.
§ 7 Was im
Theismus Objekt, das ist in der spekulativen
Philosophie Subjekt, was dort das nur gedachte,
vorgestellte Wesen der Vernunft, ist hier das denkende
Wesen der Vernunft selbst.
Der Theist stellt sich Gott als ein außer der
Vernunft, außer dem Menschen überhaupt
existierendes, persönliches Wesen vor — er denkt
als Subjekt über Gott als Objekt. Er denkt Gott als ein dem Wesen, d. h.
seiner Vorstellung nach geistiges, unsinnliches,
aber der Existenz, d. h. der Wahrheit
nach sinnliches Wesen; denn das wesentliche
Merkmal einer objektiven Existenz außer dem Gedanken oder
der Vorstellung ist die Sinnlichkeit. Er unterscheidet Gott von sich in demselben
Sinne, in welchem er die sinnlichen Dinge und Wesen als außer ihm existierende
von sich unterscheidet; kurz, er denkt Gott vom Standpunkt
der Sinnlichkeit aus. Der spekulative
Theologe oder Philosoph dagegen denkt Gott vom Standpunkt
des Denkens aus; er hat daher nicht
zwischen sich und Gott in der Mitte die störende Vorstellung eines sinnlichen
Wesens; er identifiziert somit ohne Hindernis das objektive, gedachte Wesen
mit dem subjektiven,
denkenden Wesen.
Die innere Notwendigkeit, daß Gott aus einem Objekt des Menschen
zum Subjekt,
zum denkenden Ich des Menschen wird, ergibt sich aus dem bereits
Entwickelten näher so: Gott ist Gegenstand des Menschen, und nur des Menschen,
nicht des Tiers. Was aber ein Wesen ist,
das wird nur aus seinem Gegenstande
erkannt; der Gegenstand, auf den sich ein Wesen notwendig bezieht, ist
nichts anderes als sein offenbares Wesen.
So ist der Gegenstand der pflanzenfressenden Tiere die Pflanze; aber durch diesen
Gegenstand unterscheiden sich wesentlich dieselben von den andern, den fleischfressenden
Tieren. So ist der Gegenstand des Auges das Licht, nicht der Ton, nicht der
Geruch. Im Gegenstand des Auges ist uns aber sein Wesen offenbar. Ob einer nicht
sieht oder kein Auge hat, ist darum einerlei. Wir benennen daher auch im Leben
die Dinge und Wesen nur nach ihren Gegenständen. Das Auge ist das ,,Lichtorgan“.
Wer den Boden bebaut, ist ein Bauer; wer die Jagd zum Objekt seiner Tätigkeit
hat, ist ein Jäger; wer Fische fängt, ein Fischer usw. Wenn also Gott
— und zwar, wie er es ja ist, notwendig und wesentlich — ein Gegenstand
des Menschen ist, so ist in dem Wesen dieses Gegenstandes nur das eigne Wesen
des Menschen ausgesprochen. Stelle dir vor, ein denkendes Wesen auf einem Planeten
oder Kometen bekäme zu Gesichte die paar Paragraphen einer christlichen
Dogmatik, welche von dem Wesen Gottes handeln. Was würde dieses Wesen aus
diesen Paragraphen folgern? Etwa die Existenz eines Gottes im Sinne einer christlichen
Dogmatik? Nein, es würde nur daraus folgern, daß auch auf der Erde
denkende Wesen sind; es würde in den Definitionen der Erdbewohner von ihrem
Gotte nur Definitionen von ihrem eignen Wesen, z. B. in der Definition: Gott
ist ein Geist, nur den Beweis und Ausdruck ihres eignen Geistes finden; kurz,
es würde aus dem Wesen und den Eigenschaften des Objekts auf das Wesen
und die Eigenschaften des Subjekts schließen. Und mit vollem Rechte; denn
die Unterscheidung zwischen dem, was der Gegenstand an
sich selbst, und dem, was er für
den Menschen ist, fällt bei diesem
Objekt weg. Diese Unterscheidung ist nur an ihrem Platze bei einem unmittelbar
sinnlich und ebendeswegen auch noch andern Wesen außer der Menschen gegebenen
Gegenstande. Das Licht ist nicht nur für den Menschen da, es affiziert
auch die Tiere, auch die Pflanzen, auch die unorganischen Stoffe: es ist ein
gemeines Wesen. Um zu erfahren, was das Licht ist, betrachten wir darum nicht
nur die Eindrücke und Wirkungen desselben auf uns, sondern auch auf andere,
von uns unterschiedne Wesen. Notwendig, objektiv begründet ist daher hier
die Unterscheidung zwischen dem Gegenstand an sich selbst und dem Gegenstande
für mich, namentlich zwischen
dem Gegenstande in der Wirklichkeit und dem Gegenstand in meinem Denken und
Vorstellen. Gott aber ist nur ein Gegenstand des Menschen. Die Tiere
und Sterne preisen Gott nur im Sinne des Menschen.
Es gehört also zum Wesen Gottes selbst, daß er keinem dem Wesen außer
dem Menschen Gegenstand, daß er ein spezifisch menschlicher Gegenstand,
ein Geheimnis des Menschen ist. Wenn aber nur im Menschen Gott offenbar
ist, was offenbart sich uns im Wesen Gottes? Nichts andres als das Wesen des
Menschen. Denn worin liegt der Grund, daß er nur dem Menschen Gegenstand
ist? In der Natur Gottes, aber ebenso in der Natur des Menschen — also
in der Identität der göttlichen und menschlichen Natur. Wem das höchste
Wesen Gegenstand ist, das ist selbst das höchste Wesen. Je mehr den Tieren
vom Menschen Gegenstand wird, desto höher stehen sie, desto mehr nähern
sie sich dem Menschen. Ein Tier, dem der Mensch als Mensch, das eigentliche
menschliche Wesen Gegenstand wäre, das wäre kein Tier mehr, sondern
selber Mensch. Nur ebenbürtige Wesen sind sich Gegenstand, und zwar so,
wie sie an sich sind. Die Identität des göttlichen und menschlichen
Wesens fällt nun allerdings auch in das Bewußtsein des Theismus.
Aber weil er Gott, ungeachtet daß er das wesentliche Sein Gottes im Menschen
findet, doch zugleich als ein außer dem Menschen existierendes, sinnliches
Wesen vorstellt, so ist ihm auch diese Identität nur als sinnliche
Identität, als Ähnlichkeit
oder Verwandtschaft Gegenstand. Verwandtschaft
drückt dasselbe aus als Identität, aber es ist mit ihr zugleich verbunden
die sinnliche Vorstellung, daß die verwandten Wesen zwei selbständige,
d. i. sinnliche, außereinander existierende Wesen sind.
§ 8
Die gemeine
Theologie macht den Standpunkt des Menschen
zum Standpunkt Gottes; die spekulative
dagegen macht den Standpunkt Gottes zum Standpunkt
des Menschen oder vielmehr des Denkers.
Gott ist der gemeinen Theologie Objekt, und zwar gerade so, wie irgendein anderes
sinnliches Objekt; aber zugleich ist er ihr wieder Subjekt, und zwar Subjekt,
gerade wie das menschliche Subjekt: Gott bringt Dinge außer
sich hervor, hat Beziehungen zu sich selbst
und zu andern, außer ihm existierenden Wesen, liebt und denkt sich
zugleich und andere Wesen. Kurz, der Mensch macht seine Gedanken und selbst
Affekte zu Gedanken und Affekten Gottes, sein Wesen, seinen Standpunkt zum Wesen
und Standpunkt Gottes. Die spekulative Theologie aber kehrt dies um, und diese
Umkehrung ist vollkommen begründet und gerechtfertigt. Wenn ich Gott menschliche
Gedanken, menschliche Eigenschaften überhaupt beilege, warum soll ich nicht
göttliche Eigenschaften dem Menschen beilegen? Wenn Gott denkt wie oder
vielmehr als ein Mensch, warum sollte der Mensch nicht denken wie oder als ein
Gott? In der gemeinen Theologie ist daher Gott ein vom Menschen gedachtes Wesen,
in der spekulativen dagegen der Mensch ein von Gott gedachtes Wesen. In der
gemeinen Theologie ist Gott ein Widerspruch mit sich
selbst, denn er soll ein nicht-,
ein übermenschliches
Wesen sein, aber ist doch allen seinen Bestimmungen nach in Wahrheit
ein menschliches; in der spekulativen Theologie oder Philosophie ist dagegen
Gott ein Widerspruch mit dem Menschen
— er soll ein Wesen im Menschen — wenigstens in der Vernunft
— sein, und ist doch in Wahrheit ein nicht-, ein übermenschliches,
d. i. abstraktes Wesen. Der übermenschliche Gott ist in der gemeinen Theologie
nur eine erbauliche Floskel, eine Vorstellung, ein Spielzeug der Phantasie,
in der spekulativen Philosophie dagegen Wahrheit, bittrer Ernst. Der heftigste
Widerspruch, den die spekulative Philosophie gefunden, hat nur darin seinen
Grund, daß sie den Gott, welcher im Theismus nur ein Wesen der Phantasie,
ein ferngehaltenes, unbestimmtes, nebuloses Wesen ist, zu einem gegenwärtigen,
bestimmten Wesen gemacht und dadurch den illusorischen Zauber zerstört
hat, den ein entferntes Wesen im blauen Dunst der Vorstellung hat. So haben
die Theisten sich darüber skandalisiert, daß die Logik nach Hegel
die Darstellung Gottes in seinem ewigen, vorweltlichen Wesen sei und doch, z.
B. in der Lehre von der Quantität, von der extensiven und intensiven Größe,
den Brüchen, den Potenzen, den Maßverhältnissen usw. handle.
Wie, riefen sie entsetzt aus, dieser Gott soll unser Gott sein? Und doch, was
ist dieser Gott der Hegelschen Logik anders als der aus dem Nebel der unbestimmten
Vorstellung an das Licht des bestimmenden Gedankens hervorgezogene, der, sozusagen,
ad coram, beim Wort genommene Gott des Theismus, welcher alles nach Maß,
Zahl und Gewicht geschaffen und geordnet hat? Wenn Gott alles nach Zahl und
Maß geordnet und geschaffen, also Maß und Zahl, ehe sie an den außergöttlichen
Dingen zur Wirklichkeit kamen, im Verstand und folglich im Wesen Gottes —
denn zwischen Gottes Verstand und seinem Wesen ist kein Unterschied —
enthalten waren und heute noch sind, gehört denn nicht auch die Mathematik
zu den Mysterien der Theologie? Aber freilich sieht ein Wesen ganz anders in
der Einbildung und Vorstellung aus, als in der Wahrheit und Wirklichkeit; kein
Wunder, daß denen, die nur nach dem Aussehen, nach dem Schein sich richten,
das eine und selbe Wesen als zwei ganz verschiedene Wesen erscheint.
§ 9 Die wesentlichen Eigenschaften oder Prädikate des göttlichen Wesens sind die wesentlichen Eigenschaften oder Prädikate der spekulativen Philosophie.
§ 10 Gott ist
reiner Geist, reines Wesen, reine Tätigkeit — actus
purus — ohne Leidenschaften, ohne Bestimmungen von außen,
ohne Sinnlichkeit, ohne Materie. Die spekulative Philosophie ist dieser
reine Geist, diese reine Tätigkeit,
verwirklicht als Denkakt — das absolute
Wesen als absolutes Denken.
Wie einst die Abstraktion von allem Sinnlichen und Materiellen die notwendige
Bedingung der Theologie war, so war sie auch die notwendige Bedingung der spekulativen
Philosophie, nur mit dem Unterschiede, daß die Abstraktion der Theologie,
weil ihr Gegenstand, obwohl ein abstraktes Wesen, doch zugleich wieder als ein
sinnliches Wesen vorgestellt wurde, selbst
eine sinnliche Abstraktion, Asketik war,
während die Abstraktion der spekulativen Philosophie nur eine geistige,
denkende ist, nur eine szientifische oder theoretische, keine praktische Bedeutung
hat. Der Anfang der Cartesischen Philosophie, die Abstraktion von der Sinnlichkeit,
von der Materie, ist der Anfang der neuem spekulativen Philosophie. Aber Cartesius
und Leibniz betrachteten diese Abstraktion nur als eine subjektive Bedingung,
das immaterielle göttliche Wesen zu erkennen, sie stellten sich die Immaterialität
Gottes als eine von der Abstraktion, vom Denken unabhängige,
objektive Eigenschaft vor; sie standen noch auf dem Standpunkt des
Theismus, machten das immaterielle Wesen nur zum Objekt,
aber nicht zum Subjekt, zum
Prinzip, zum wirklichen Wesen
der Philosophie selbst. Allerdings ist auch bei C[artesisus] und L[eibniz] Gott
Prinzip der Philosophie, aber nur als ein vom Denken unterschiedenes Objekt
— darum Prinzip nur im allgemeinen, nur in der Vorstellung, nicht in der
Tat und Wahrheit. Gott ist nur die erste und allgemeine Ursache
der Materie, der Bewegung und Tätigkeit; aber die besondern Bewegungen
und Tätigkeiten, die bestimmten wirklichen materiellen Dinge werden unabhängig
von Gott betrachtet und erkannt. L. und C. sind nur im allgemeinen Idealisten,
im besondern bloße Materialisten. Gott nur ist der konsequente, der vollständige,
wahre Idealist, denn er nur stellt alle Dinge ohne Dunkelheit sich vor, d. h.
im Sinne der Leibnizschen Pbilosophie ohne Sinne und Einbildungskraft; er ist
reiner, d. i. von aller Sinnlichkeit und Materialität abgesonderter Verstand;
für ihn sind daher die materiellen Dinge pure Verstandeswesen, pure Gedanken;
für ihn existiert gar keine Materie, denn diese beruht nur auf dunkeln,
d. i. sinnlichen Vorstellungen. Aber gleichwohl hat bei L. auch der Mensch schon
eine gute Portion Idealismus in sich — wie wäre es auch möglich,
sich ein immaterielles Wesen vorzustellen, ohne ein immaterielles Vermögen
und folglich ohne immaterielle Vorstellungen zu haben? —, denn er hat
außer den Sinnen und der Einbildungskraft Verstand, und der Verstand ist
eben immaterielles, reines, weil denkendes Wesen; nur ist der Verstand des Menschen
nicht ganz so rein, nicht in der Unbeschränktheit und Ausdehnung rein,
wie der göttliche Verstand oder das göttliche Wesen. Der Mensch, respektive
dieser Mensch: Leibniz, ist also ein partialer, halber
Idealist, Gott nur ein ganzer
Idealist, Gott nur ,,der vollkommene Weltweise“,
wie er ausdrücklich von Wolff genannt wird; d. h., Gott ist die Idee des
vollendeten, des bis ins Spezielle durchgeführten, des absoluten Idealismus
der spätern spekulativen Philosophie. Denn was ist der Verstand, was das
Wesen Gottes überhaupt? Nichts andres als der Verstand, als das Wesen des
Menschen, abgesondert von den Bestimmungen, die zu einer bestimmten Zeit Schranken
des Menschen sind, seien es nun wirkliche oder vermeintliche. Wer keinen mit
seinen Sinnen entzweiten Verstand hat, die Sinne nicht für Schranken hält,
der stellt sich auch nicht einen Verstand ohne Sinne als den höchsten,
den wahren Verstand vor. Was ist aber die Idee einer Sache anders als ihr Wesen,
gereinigt von den Beschränkungen und Verdunklungen, die sie in der Wirklichkeit,
wo sie im Zusammenhange mit andern Dingen steht, erdrückt? So liegt die
Schranke des menschlichen Verstandes nach Leibniz darin, daß er mit dem
Materialismus, d. i. mit dunkeln Vorstellungen, behaftet ist; aber diese dunkeln
Vorstellungen entspringen selbst wieder nur daraus, daß das menschliche
Wesen im Zusammenhange mit andern Wesen, mit der Welt überhaupt steht.
Aber diese Verbindung gehört nicht zum Wesen des Verstandes, sie steht
vielmehr im Widerspruch mit demselben, denn er ist an
sich, d. i. in der Idee ein immaterielles, d. i. für
sich selbst seiendes, isoliertes Wesen. Und diese Idee, dieser also
von allen materialistischen Vorstellungen gereinigte Verstand ist eben der göttliche
Verstand. Was aber bei Leibniz nur Idee war, das wurde in der spätem Philosophie
Wahrheit und Wirklichkeit.
Der absolute Idealismus ist nichts anderes als der realisierte
göttliche Verstand des Leibnizschen Theismus, der systematisch
durchgeführte reine Verstand, der alle Dinge ihrer Sinnlichkeit entkleidet,
sie zu puren Verstandeswesen, zu Gedankendingen macht, der mit nichts Fremdartigem
behaftet, nur mit sich selbst, als dem Wesen der Wesen beschäftigt ist.
§ 11
Gott ist ein denkendes Wesen, aber die Gegenstände, die er denkt,
in sich begreift, sind, wie sein Verstand, nicht unterschieden
von seinem Wesen, so daß er, indem er die Dinge denkt, nur
sich selbst denkt, also in ununterbrochner
Einheit mit sich selbst bleibt. Diese
Einheit des Denkenden und Gedachten ist
aber das Geheimnis des spekulativen Denkens.
So sind z. B. in der Hegelschen Logik die Gegenstände des Denkens nicht
unterschieden vom Wesen des Denkens. Das Denken ist hier in ununterbrochner
Einheit mit sich selbst; die Gegenstände desselben sind nur Bestimmungen
des Denkens, sie gehen rein im Gedanken auf, haben nichts für sich, was
außer dem Denken bliebe. Aber was das Wesen der Logik, ist auch das Wesen
Gottes. Gott ist ein abstraktes Wesen, denn alle Bestimmungen wirklicher Wesen
sind als Beschränkungen von ihm ausgeschlossen; sie werden ihm wohl beigelegt,
aber abstrahiert von der Bestimmtheit, die sie in der Wirklichkeit haben. Aber
er ist zugleich das Wesen der Wesen, das alle Wesen in sich faßt, und
zwar in Einheit mit diesem seinem abstrakten Wesen. Aber was sind die mit einem
abstrakten, geistigen Wesen identischen Wesen? selber abstrakte Wesen —
Gedanken. Die Dinge, wie sie in Gott sind,
sind nicht so, wie sie außer Gott sind; sie sind vielmehr ebenso unterschieden
von den wirklichen Dingen, als die Dinge, wie sie Gegenstand der Logik, von
den Dingen, wie sie Gegenstand der wirklichen Anschauung sind. Worauf reduziert
sich also der Unterschied zwischen dem göttlichen und dem metaphysischen
Denken? Nur auf einen Unterschied der Einbildung, auf den Unterschied zwischen
dem nur vorgestellten und wirklichen
Denken.
§ 12 Der Unterschied
zwischen dem Wissen oder dem Denken
Gottes, welches als Urbild
den Dingen vorausgeht, sie schafft,
und dem Wissen des
Menschen,
welches den Dingen nachfolgt als Abbild
derselben, ist nichts anderes als der Unterschied
zwischen dem apriorischen oder spekulativen
und dem aposteriorischen oder empirischen
Wissen.
Der Theismus stellt sich Gott, obwohl als ein denkendes, doch zugleich als ein
sinnliches Wesen vor. Er verbindet daher mit
dem Denken und Willen Gottes unmittelbar sinnliche,
materielle Wirkungen — Wirkungen, die mit dem Wesen des Denkens
und Willens in Widerspruch stehen, die nichts weiter als die Macht
der Natur ausdrücken. Eine solche materielle
Wirkung — folglich ein bloßer Ausdruck sinnlicher Macht —
ist vor allem die Schöpfung oder Hervorbringung der wirklichen, materiellen
Welt. Die spekulative Theologie dagegen verwandelt diesen dem Wesen des Denkens
widersprechenden sinnlichen Akt in einen logischen oder theoretischen Akt, die
materielle Hervorbringung des Gegenstandes in die spekulative Erzeugung aus
dem Begriffe. Im Theismus ist die Welt ein zeitliches Produkt Gottes —
die Welt existiert seit einigen Jahrtausenden, und ehe sie wurde, war Gott;
in der spekulativen Theologie dagegen ist die Welt oder Natur nach Gott nur
dem Range, der Bedeutung nach: das Akzidenz setzt die Substanz, die Natur die
Logik voraus, dem Begriffe, aber nicht dem sinnlichen Dasein, folglich nicht
der Zeit nach.
Der Theismus verlegt jedoch in Gott nicht nur das spekulative, sondern auch
das sinnliche, empirische Wissen und zwar
in seiner höchsten Vollendung. Wie aber das vorweltliche, vorgegenständliche
Wissen Gottes in dem apriorischen Wissen der spekulativen Philosophie,
so hat auch das sinnliche Wissen Gottes
erst in den empirischen Wissenschaften
der neueren Zeit seine Realisation, seine Wahrheit und Wirklichkeit gefunden.
Das vollkommenste und also göttliche sinnliche Wissen ist nämlich
nichts andres als das allersinnlichste
Wissen, das Wissen der allergrößten Kleinigkeiten
und unmerklichsten Einzelheiten — ,,Gott ist deswegen
der Allwissende“, sagt der h[eilige] Thomas A[quino], ,,weil
er die allereinzelsten Dinge weiß“ — das Wissen, welches
die Haare am Haupte des Menschen nicht indiskret in einen Schopf
zusammenfaßt, sondern sie zählt, alle, Haar für Haar, kennt.
Aber dieses göttliche Wissen, welches in der Theologie nur eine Vorstellung,
eine Phantasie ist, wurde vernünftiges, wirkliches
Wissen in dem teleskopischen und mikroskopischen Wissen der Naturwissenschaft.
Sie hat die Sterne am Himmel gezählt, z. B. in dem einzigen Orion 2000
Sterne, die Eier in den Leibern der Fische und Schmetterlinge, die Tüpfelchen
auf den Flügeln der Insekten, um sie voneinander zu unterscheiden; sie
hat allein in der Raupe des Weidenspinners am Kopfe 288, am Körper 1 647,
am Magen und den Gedärmen 2 186 Muskeln anatomisch nachgewiesen. Was will
man mehr verlangen? Hier haben wir daher ein sinnfälliges Beispiel von
der Wahrheit, daß die Vorstellung des Menschen von Gott nichts andres
ist als eine Vorstellung des menschlichen Individuums von seiner Gattung, daß
Gott als der Inbegriff aller Realitäten oder Vollkommenheiten nichts andres
ist als der zum Nutzen des beschränkten Individuums kompendiarisch zusammengefaßte
Inbegriff der unter die Menschen verteilten, im Laufe der Weltgeschichte sich
realisierenden Eigenschaften der Gattung. Das Gebiet der Naturwissenschaften
ist seinem quantitativen Umfang nach für den einzelnen Menschen ein völlig
unübersehbares, unermeßliches. Wer kann zugleich die Sterne am Himmel
und die Muskeln und Nerven am Leibe der Raupe zählen? Lyonet verlor sein
Gesicht über der Anatomie der Weidenraupe. Wer kann zugleich die Unterschiede
der Höhen und Vertiefungen im Monde und zugleich die Unterschiede der zahllosen
Ammoniten und Terebrateln beobachten? Aber was nicht der einzelne Mensch weiß
und kann, das wissen und können die Menschen zusammen. So hat das göttliche
Wissen, das alles Einzelne zugleich weiß,
seine Realität im Wissen der Gattung.
Wie mit der göttlichen Allwissenheit, ist es aber auch mit der göttlichen
Allgegenwart, die sich gleichfalls im Menschen realisiert hat. Während
der eine Mensch bemerkt, was auf dem Monde oder Uranus vorgeht, ist ein andrer
auf der Venus oder in den Eingeweiden der Raupe oder sonst an einem Orte, wohin
weiland unter der Herrschaft des allwissenden und allgegenwärtigen Gottes
kein menschliches Auge gedrungen ist. Ja, während der Mensch diesen Stern
vom Standpunkte Europas aus beobachtet, beobachtet er zugleich denselben Stern
vom Standpunkte Amerikas aus. Was einem
Menschen allein absolut unmöglich, ist zweien möglich. Aber
Gott ist ja an allen, allen Orten zugleich, und weiß alles, alles ohne
Unterschied zugleich. Freilich; aber nur ist zu bemerken, daß diese Allwissenheit
und Allgegenwart bloß in der Vorstellung, Einbildung existieren, und also
nicht zu übersehen der schon mehrmals erwähnte wichtige Unterschied
zwischen dem nur eingebildeten und dem wirklichen Ding. In der Einbildung kann
man allerdings die 4 059 Muskeln einer Raupe mit einem Blicke überschauen,
in der Wirklichkeit aber, wo sie außereinander existieren, nur nacheinander.
So kann auch das beschränkte Individuum in seiner Einbildung sich den Umfang
des menschlichen Wissens als beschränkt vorstellen, während es doch,
wenn es wirklich sich dieses Wissen aneignen wollte, nun und nimmermehr an ein
Ende desselben kommen würde. Man stelle sich als Beispiel nur eine Wissenschaft,
die Historie z. B., vor, und löse im Gedanken die Weltgeschichte auf in
die Geschichte der einzelnen Länder, diese in die Geschichte der einzelnen
Provinzen, diese wieder in die Stadtchroniken, die Stadtchroniken in Familiengeschichten,
in Biographien. Wie käme je ein einzelner Mensch an den Punkt, wo er ausrufen
könnte: Hier bin ich am Ende des historischen Wissens der Menschheit! So
erscheint uns auch in der Einbildung unsre Lebenszeit, sowohl die vergangene
als die mögliche zukünftige, sollten wir auch diese noch sosehr verlängern,
außerordentlich kurz, und wir fühlen uns daher in den Momenten solcher
Einbildung gedrungen, diese vor unserer Vorstellung verschwindende Kürze
durch ein unübersehbares, endloses Leben nach dem Tode zu ergänzen;
aber wie lange dauert in der Wirklichkeit auch nur ein Tag, auch nur
eine Stunde! Woher dieser Unterschied? Daher: die Zeit in der Vorstellung
ist die leere Zeit, also nichts zwischen
dem Anfangs- und Endpunkt unsrer Rechnung; aber die wirkliche Lebenszeit ist
die erfüllte Zeit, wo Berge von Schwierigkeiten aller Art zwischen dem
Jetzt und dem Dann in der Mitte liegen.
§ 13 Die absolute Voraussetzungslosigkeit — der Anfang der spekulativen Philosophie ist nichts andres als die Voraussetzungs- und Anfangslosigkeit, die Aseität [die absolute Unabhängigkeit, das reine Aus-sich-selbst-Bestehen] des göttlichen Wesens. Die Theologie unterscheidet zwischen tätigen und ruhenden Eigenschaften Gottes. Die Philosophie aber verwandelt auch die ruhenden Eigenschaften in tätige — das ganze Wesen Gottes in Tätigkeit, aber menschliche Tätigkeit. Dies gilt auch von dem Prädikat dieses Paragraphen. Die Philosophie setzt nichts voraus — dies heißt nichts weiter als: sie abstrahiert von allen unmittelbar, d. i. sinnlich gegebnen, vom Denken unterschiednen Objekten, kurz von allem, wovon man abstrahieren kann, ohne aufzuhören zu denken, und macht diesen Akt der Abstraktion von aller Gegenständlichkeit zum Anfang von sich. Was ist aber das absolute Wesen anders als das Wesen, dem nichts vorausgesetzt, dem kein Ding außer ihm gegeben und notwendig ist, das von allen Objekten, allen von ihm unterschiedenen und unterscheidbaren sinnlichen Dingen abgezogne Wesen, welches daher dem Menschen auch nur durch die Abstraktion von ebendiesen Dingen Gegenstand wird? Wovon Gott frei ist, davon muß du dich selbst frei machen, wenn du zu Gott kommen willst, und machst dich also wirklich frei, wenn du ihn dir vorstellst. Denkst du dir folglich Gott als ein Wesen ohne Voraussetzung irgendeines andern Wesens oder Objekts, so denkst du selbst ohne Voraussetzung eines äußerlichen Objektes; die Eigenschaft, die du in Gott verlegst, ist eine Eigenschaft deines Denkens. Nur ist im Menschen Tun, was in Gott Sein ist oder als solches vorgestellt wird. Was ist also das Ich Fichtes, welches sagt: ,,Ich bin schlechthin, weil ich bin“, was das reine, voraussetzungslose Denken Hegels anderes als das in das gegenwärtige, aktive, denkende Wesen des Menschen verwandelte göttliche Wesen der alten Theologie und Metaphysik?
§ 14
Die spekulative Philosophie ist, als die Verwirklichung Gottes, zugleich
die Position, zugleich die Aufhebung oder Negation
Gottes, zugleich Theismus, zugleich Atheismus, denn Gott ist nur
solange Gott — Gott im Sinne der Theologie —, als er ein vom Wesen
des Menschen und der Natur unterschiednes, selbständiges Wesen vorgestellt
wird. Der Theismus, welcher als die Position Gottes zugleich die Negation Gottes
ist, oder, umgekehrt, als die Verneinung Gottes zugleich noch die Bejahung desselben,
ist der Pantheismus. Der eigentliche oder
theologische Theismus aber ist nichts andres als der imaginäre Pantheismus,
dieser nichts andres als der reelle wahre Theismus.
Was den Theismus vom Pantheismus scheidet, ist einzig die Einbildung, die Vorstellung
Gottes als eines persönlichen Wesens. Alle Bestimmungen Gottes —
und Gott wird notwendig bestimmt, sonst ist er nichts, gar nicht Objekt einer
Vorstellung — sind Bestimmungen der Wirklichkeit, entweder der Natur oder
des Menschen, oder beiden gemeine, also pantheistische
Bestimmungen; denn was Gott nicht unterscheidet vom Wesen der Natur
oder des Menschen, ist Pantheismus. Gott ist also nur seiner Persönlichkeit
oder Existenz nach, aber nicht seinen Bestimmungen oder Wesen nach von der Welt
— dem Inbegriff der Natur und Menschheit — unterschieden, d. h.,
er wird nur vorgestellt als ein anderes Wesen, er ist
aber in Wahrheit kein andres Wesen.
Der Theismus ist der Widerspruch zwischen Schein und Wesen, Vorstellung
und Wahrheit, der Pantheismus die Einheit beider — der Pantheismus die
nackte Wahrheit des Theismus. Alle Vorstellungen des Theismus, wenn
sie ins Auge gefaßt, ernstlich genommen, wenn sie durchgeführt, realisiert
werden, führen notwendig zum Pantheismus. Der Pantheismus ist der konsequente
Theismus. Der Theismus denkt sich z. B. Gott als Ursache, und zwar als
eine lebendige, persönliche Ursache, als den Schöpfer der Welt: Gott
hat die Welt durch seinen Willen hervorgebracht. Aber der Wille reicht nicht
aus. Wo einmal Wille ist, da muß auch Verstand sein: was man will, das
ist nur eine Sache des Verstandes. Ohne Verstand kein Gegenstand. Die Dinge,
die Gott hervorbrachte, waren daher vor ihrer Hervorbringung in Gott, als Objekt
seines Verstandes, als Verstandeswesen. Der Verstand Gottes ist der Inbegriff
aller Dinge und Wesenheiten. Woher wären sie auch sonst entsprungen als
aus dem Nichts? Und es ist gleichgültig, ob du dir dieses Nichts in deiner
Einbildung selbständig vorstellst oder es in Gott verlegst. Aber Gott enthält
oder ist alles nur auf ideale Weise, in der Weise
der Vorstellung. Dieser ideale Pantheismus führt nun aber notwendig
zum realen oder wirklichen; denn vom Verstande Gottes ist nicht weit bis zum
Wesen und vom Wesen nicht weit bis zur Wirklichkeit Gottes. Wie sollte sich
der Verstand vom Wesen, das Wesen von der Wirklichkeit oder Existenz Gottes
trennen lassen? Sind die Dinge im Verstande Gottes, wie sollen sie außer
seinem Wesen sein? Sind sie Folgen seines Verstandes, warum nicht Folgen seines
Wesens? Und wenn in Gott sein Wesen unmittelbar mit seiner Wirklichkeit identisch
ist, vom Begriffe Gottes die Existenz desselben sich nicht absondern läßt,
wie sollte sich im Begriff Gottes von den Dingen der Begriff des Dinges und
das wirkliche Ding trennen lassen, wie also in Gott der Unterschied stattfinden,
welcher nur die Natur des endlichen, ungöttlichen Verstandes konstituiert,
der Unterschied zwischen dem Ding in der Vorstellung und dem Ding außer
der Vorstellung? Haben wir aber einmal keine Dinge mehr außer
dem Verstande Gottes, so haben wir bald auch keine mehr außer
dem Wesen und endlich auch keine mehr außer
der Existenz Gottes — alle Dinge sind in Gott, und zwar in
der Tat und Wahrheit, nicht in der Vorstellung nur; denn wo sie nur in der Vorstellung
— sowohl Gottes als des Menschen —, also nur ideal oder vielmehr
imaginär in Gott sind, da existieren sie zugleich außer der Vorstellung,
außer Gott. Haben wir aber einmal keine Dinge, keine Welt mehr außer
Gott, so haben wir auch keinen Gott mehr außer der Welt — kein nur
ideales, vorgestelltes, sondern ein reales Wesen; so haben wir mit einem Worte
den Spinozismus oder Pantheismus. Was aber von dem Verstande Gottes, das gilt
noch weit mehr von andern Bestimmungen, wie z. B. von der Allgegenwart, von
der Unendlichkeit — Bestimmungen, die erst im Pantheismus realisiert werden.
Selbst die Bestimmung Gottes als der Ursache der Welt oder Materie ist im Theismus
eine Vorstellung ohne Realität, eine bloße Phantasie. Der Theismus
stellt sich Gott als ein pur immaterielles Wesen vor. Gott aber als immateriell
bestimmen heißt nichts andres, als die Materie als ein nichtiges Ding,
als ein Unwesen bestimmen; denn Gott nur ist das Maß des Wirklichen, Gott
nur Sein, Wahrheit, Wesen; nur was von und in Gott gilt, das ist; was von Gott
verneint wird, ist nicht. Die Materie aus Gott ableiten heißt daher nichts
andres, als durch ihr Nichtsein ihr Sein begründen wollen; denn Ableitung
ist Angabe eines Grundes, Begründung. Gott hat die Materie gemacht. Aber
wie, warum woraus? Darauf gibt der Theismus keine Antwort. Die Materie ist für
ihn ein rein unerklärliches
Dasein, d. h., sie ist die Grenze,
das Ende der Theologie, an ihr scheitert sie, wie im Leben, so im Denken. Wie
kann ich also aus der Theologie, ohne sie zu negieren, das Ende, die Negation
der Theologie ableiten? Wie da, wo ihr der Verstand ausgeht, einen Erklärungsgrund,
eine Auskunft suchen? Wie aus der Verneinung der Materie oder Welt, welche das
Wesen der Theologie ist, aus dem Satze: die Materie ist nicht, die Bejahung
der Materie, den Satz: sie ist, und zwar dem Gotte der Theologie zum Trotz,
herausbringen? Wie anders als durch bloße Fiktionen? Die materiellen Dinge
können nur aus Gott abgeleitet werden, wenn Gott
selbst als ein materialistisches Wesen bestimmt wird. So nur wird
Gott aus einer nur vorgestellten, eingebildeten Ursache zur wirklichen
Ursache der Welt. Wer sich nicht schämt, Schuhe zu machen, der schäme
sich auch nicht, ein Schuster zu sein und zu heißen. Hans Sachs war wohl
Schuster und Dichter zugleich. Aber seine Schuhe waren die Werke seiner Hände,
seine Gedichte die Werke seines Kopfes. Wie die Wirkung, so die Ursache. Aber
die Materie ist nicht Gott, sie ist vielmehr
das Endliche, das Ungöttliche, das Gott Verneinende — die unbedingten
Verehrer und Anhänger der Materie sind Atheisten. Der Pantheismus verbindet
daher mit dem Theismus den Atheismus — mit Gott die Negation
Gottes: Gott ist ein materielles,
in Spinozas Sprache ein ausgedehntes Wesen.
§ 15 Der Pantheismus
ist der theologische Atheismus, der
theologische Materialismus, die Negation der Theologie,
aber selbst auf dem Standpunkte der Theologie;
denn er macht die Materie, die Negation Gottes, zum einem Prädikat
oder Attribut des göttlichen Wesens.
Wer aber die Materie zu einem Attribut Gottes macht, der erklärt die Materie
für ein göttliches Wesen. Die Verwirklichung
Gottes hat überhaupt zur Voraussetzung
die Göttlichkeit, d. i. Wahrheit
und Wesenhaftigkeit des Wirklichen.
Die Vergötterung des Wirklichen,
des materiell Existierenden — der
Materialismus, Empirismus, Realismus, Humanismus —, die Negation der Theologie
ist aber das Wesen der neuern Zeit. Der Pantheismus ist daher nichts andres
als das zum göttlichen Wesen,
zu einem religionsphilosophischen Prinzip
erhobene Wesen der neuern Zeit.
Der Empirismus oder Realismus, worunter hier überhaupt die sogenannten
realen Wissenschaften, insbesondere die Naturwissenschaften verstanden werden,
negiert die Theologie aber nicht theoretisch, sondern praktisch
— durch die Tat, indem der Realist
das, was die Negation Gottes oder wenigstens nicht
Gott ist, zur wesentlichen Angelegenheit
seines Lebens, zum wesentlichen Gegenstand seiner Tätigkeit macht. Wer
aber Geist und Herz nur auf das Materielle, das Sinnliche konzentriert, der
spricht dem Übersinnlichen tatsächlich
seine Realität ab; denn nur das ist, für den Menschen wenigstens,
wirklich, was ein Objekt reeller, wirklicher Tätigkeit ist. ,,Was ich nicht
weiß, macht mich nicht heiß.“ Die Rede, man könne vom
Übersinnlichen nichts wissen, ist nur eine Ausrede. Man weiß nur
dann nichts mehr von Gott und göttlichen Dingen, wenn man von ihnen nichts
mehr wissen mag. Wie vieles wußte man von Gott, wie vieles von den Teufeln,
wie vieles von den Engeln, solange noch diese Wesen Gegenstand eines
wirklichen Glaubens waren! Wofür man sich interessiert,
dazu hat man auch Fähigkeit. Die
Mystiker und Scholastiker des Mittelalters hatten nur darum keine Fähigkeit
und Geschicklichkeit zur Naturwissenschaft, weil sie kein Interesse für
die Natur hatten. Wo der Sinn nicht fehlt, da fehlen auch nicht die Sinne, die
Organe. Wofür das Herz offen, das ist auch dem Verstand kein Geheimnis.
So verlor denn auch die Menschheit in neuerer Zeit nur deswegen die Organe für
die übersinnliche Welt und ihre Geheimnisse, weil sie mit dem Glauben an
sie auch den Sinn für sie verlor, weil ihre wesentliche Tendenz eine antichristliche,
antitheologische, d. h. eine anthropologische, realistische, materialistische
Tendenz war. Spinoza traf daher mit seinem paradoxen Satz: Gott ist ein ausgedehntes,
d. i. materielles Wesen, den Nagel auf den Kopf. Er fand den, für seine
Zeit wenigstens, wahren philosophischen Ausdruck für die materialistische
Tendenz der neuern Zeit; er legimitierte, sanktionierte sie: Gott selbst ist
Materialist. Spinozas Philosophie war Religion; er selbst ein Charakter. Nicht
stand bei ihm, wie bei unzähligen andern, der Materialismus im Widerspruch
mit der Vorstellung eines immateriellen, antimaterialistischen Gottes, der konsequent
auch nur antimaterialistische, himmlische Tendenzen
und Beschäftigungen dem Menschen
zur Pflicht macht; denn Gott ist nichts
andres als das Ur- und Vorbild des Menschen: wie und was Gott
ist, so und das soll,
so und das will der Mensch sein oder hofft er wenigstens, einst zu
werden. Aber nur, wo die Theorie nicht die Praxis, die Praxis nicht die Theorie
verleugnet, ist Charakter, Wahrheit und Religion. Spinoza ist der Moses der
modernen Freigeister und Materialisten.
§ 16
Der Pantheismus
ist die Negation der theoretischen,
der Empirismus die Negation der praktischen
Theologie — der Pantheismus negiert das
Prinzip, der Empirismus die Konsequenzen
der Theologie.
Der Pantheismus macht Gott zu einem gegenwärtigen, wirklichen, materiellen
Wesen; der Empirismus, wozu auch der Rationalismus gehört, zu einem abwesenden,
fernen, unwirklichen, negativen Wesen. Der Empirismus spricht Gott nicht die
Existenz ab, aber alle positiven Bestimmungen, weil ihr Inhalt nur ein endlicher
empirischer, das Unendliche daher kein Gegenstand für den Menschen sei.
Je mehr Bestimmungen ich aber einem Wesen abspreche, desto mehr setze ich es
außer Zusammenhang mit mir, desto weniger räume ich ihm Macht und
Einfluß auf mich ein, desto freier mache ich mich von ihm. Je mehr Qualitäten
ich habe, desto mehr bin ich auch für andere, desto größer ist
auch der Umfang meiner Wirkungen, meines Einflusses. Und je mehr einer
ist, desto mehr weiß man auch von ihm. Jede Negation
einer Eigenschaft Gottes ist daher ein partialer Atheismus, eine Sphäre
der Gottlosigkeit. Soweit ich die Eigenschaft wegnehme, soweit nehme ich Gott
das Sein weg. Ist z. B. Teilnahme, Barmherzigkeit keine Eigenschaft Gottes,
so bin ich in meinen Leiden allein für mich — Gott ist
nicht da als mein Tröster. Ist
Gott die Negation alles Endlichen, so ist konsequent auch das Endliche die Negation
Gottes. Nur wenn Gott an mich denkt — so schließt der Religiöse
—, habe ich auch Grund und Ursache, an ihn zu denken; nur in seinem Für-mich-Sein
liegt der Grund meines Für-ihn-Seins. Dem Empirismus ist daher in Wahrheit
das theologische Wesen nichts mehr, d. h. nichts Wirkliches, aber er verlegt
dieses Nichtsein nicht in den Gegenstand, sondern nur
in sich, in sein
Wissen. Er spricht Gott nicht das Sein ab, d. h. das tote, gleichgültige
Sein, aber er spricht ihm das Sein ab, das sich als Sein beweist, das wirksame,
fühlbare, ins Leben eingreifende Sein. Er bejaht Gott, aber negiert
alle Konsequenzen, die mit dieser Bejahung notwendig
verbunden sind. Er verwirft die Theologie, gibt sie auf, aber nicht aus
theoretischen Gründen, sondern aus Widerwillen, aus Abneigung gegen die
Gegenstände der Theologie, d. h. aus einem dunkeln Gefühl von ihrer
Unrealität. Die Theologie ist nichts, denkt der Empiriker bei sich, aber
er setzt noch hinzu: für mich, d.
h. sein Urteil ist ein subjektives, pathologisches;
denn er hat nicht die Freiheit, aber auch nicht die Lust und den Beruf, die
Gegenstände der Theologie vor das Forum der Vernunft zu ziehen. Dies ist
der Beruf der Philosophie. Die Aufgabe der neueren Philosophie war daher keine
andere, als das pathologische Urteil des Empirismus,
daß es mit der Theologie nichts sei,
zu einem theoretischen, objektiven
Urteil zu erheben — die indirekte, unbewußte, negative Negation
der Theologie in eine direkte, positive, bewußte Negation zu verwandeln.
Wie lächerlich ist es darum, den ,,Atheismus“ der Philosophie unterdrücken
zu wollen, ohne zugleich den Atheismus der Empirie zu unterdrücken! Wie
lächerlich, die theoretische Negation des Christentums zu verfolgen, und
doch zugleich die tatsächlichen Negationen des Christentums, von denen
die neuere Zeit wimmelt, bestehen zu lassen! Wie lächerlich, mit dem
Bewußtsein, d. h. dem Symptom des Übels,
auch zugleich die Ursache des Übels aufheben zu wollen! Ja, wie
lächerlich! Und doch, wie reich an solchen Lächerlichkeiten ist die
Geschichte! Sie wiederholen sich in allen kritischen Zeiten. Kein Wunder; in
der Vergangenheit läßt man sich alles gefallen, anerkennt man die
Notwendigkeit der vorgefallenen Veränderungen; aber gegen die Anwendung
auf den gegenwärtigen Fall sträubt
man sich immer mit Händen und Füßen; die Gegenwart macht man
aus Kurzsichtigkeit oder Bequemlichkeit zu einer Ausnahme von der Regel.
§ 17 Die Erhebung
der Materie zu einer göttlichen Wesenheit ist unmittelbar zugleich die
Erhebung der Vernunft zu einer göttlichen
Wesenheit. Was der Theist aus Gemütsbedürfnis,
aus Verlangen nach unbegrenzter Glückseligkeit vermittelst der Einbildungskraft
von Gott verneint, das bejaht der Pantheist von Gott aus
Vernunftbedürfnis. Die Materie ist der wesentliche Gegenstand
der Vernunft. Wäre keine Materie, so hätte die Vernunft keinen
Reiz und Stoff
zum Denken, keinen Inhalt. Die Materie kann man nicht
aufgeben, ohne die Vernunft aufzugeben,
nicht anerkennen, ohne die Vernunft anzuerkennen.
Materialisten sind Rationalisten. Aber der Pantheismus bejaht die Vernunft
als eine göttliche Wesenheit nur indirekt
— nur so, daß er Gott aus einem Wesen der Einbildungskraft, welches
er im Theismus ist, zu einem Vernunftgegenstande, einem Vernunftwesen macht;
die direkte Apotheose
[Vergöttlichung]
der Vernunft ist der Idealismus.
Der Pantheismus führt notwendig zum
Idealismus. Der Idealismus verhält sich zum Pantheismus gerade wie dieser
zum Theismus.
Wie das Objekt, so das Subjekt. Nicht die Sinne, sondern nur der
Verstand nimmt nach Cartesius das Wesen
der körperlichen Dinge, den Körper als Substanz wahr;
aber ebendeswegen ist auch nicht der Sinn, sondern der Verstand nach Cartesius
das Wesen des wahrnehmenden Subjekts, des Menschen. Nur dem Wesen ist
Wesen als Objekt gegeben. Die Meinung hat nach Plato nur die unbeständigen
Dinge zum Objekt, aber darum ist sie selbst das unbeständige, veränderliche
Wissen — eben nur Meinung. Das Wesen der Musik ist dem Musiker das höchste
Wesen — darum das Gehör das höchste Organ; er verliert lieber
die Augen als die Ohren; der Naturforscher dagegen lieber die Ohren als die
Augen, weil sein objektives Wesen das Licht. Vergöttere ich den Ton, so
vergöttere ich das Ohr. Sage ich also wie der Pantheist: Die Gottheit oder,
was eins ist, das absolute Wesen, die absolute Wahrheit und Realität ist
nur für die Vernunft, nur der Vernunft Gegenstand,
so erkläre ich Gott selbst für ein Vernunftding oder Vernunftwesen
und spreche dadurch nur indirekt die absolute Wahrheit und Realität der
Vernunft aus. Und es ist daher notwendig, daß die Vernunft auf
sich selbst zurückgeht, diese
verkehrte Selbstanerkennung umkehrt,
sich direkt als die absolute Wahrheit ausspricht, sich selbst unmittelbar, ohne
das Zwischenglied eines Objekts, als die absolute Wahrheit Gegenstand wird.
Der Pantheist sagt dasselbe, was der Idealist, nur spricht jener objektiv oder
realistisch aus, was dieser subjektiv oder idealistisch. Jener hat seinen
Idealismus im Gegenstande —
außer der Substanz, außer Gott ist nichts, alle Dinge sind nur Bestimmungen
Gottes —, dieser hat seinen Pantheismus im Ich —
außer dem Ich ist nichts, alle Dinge sind nur als Objekte des Ich. Aber
gleichwohl ist der Idealismus die Wahrheit des Pantheismus; denn Gott oder die
Substanz ist nur das Objekt und als Objekt der Vernunft, des Ich, des denkenden
Wesens; glaube, denke ich keinen Gott, so habe ich keinen Gott, er ist für
mich nur durch
mich, für die Vernunft nur durch die Vernunft; das Apriori,
das erste Wesen ist also nicht das gedachte,
sondern das denkende Wesen, nicht das Objekt, sondern das Subjekt.
So notwendig die Naturwissenschaft vom Lichte auf das Auge, so notwendig ging
die Philosophie von den Gegenständen des Denkens auf das
,,Ich denke“ zurück. Was ist das Licht als erleuchtendes,
hell machendes Wesen, als Objekt der Optik, ohne das Auge? Nichts. Und so weit
geht die Naturwissenschaft. Aber, was ist — so fragt nun weiter die Philosophie
- das Auge ohne Bewußtsein? Gleichfalls nichts — ob ich sehe ohne
Bewußtsein oder nicht sehe, ist identisch. Erst das Bewußtsein des
Sehens ist die Wirklichkeit des Sehens oder wirkliches Sehen. Aber warum glaubst
du, daß etwas ist außer dir? Weil du etwas siehst, hörst, fühlst.
Also ist dieses Etwas erst als Objekt des Bewußtseins
ein wirkliches Etwas, ein wirkliches
Objekt — also das Bewußtsein die absolute Realität oder Wirklichkeit,
das Maß aller Existenz. Alles, was ist, ist nur als seiend für das
Bewußtsein, als Bewußtes; denn Bewußtsein
ist erst Sein. So verwirklicht sich im
Idealismus das Wesen Gottes, das Wesen der Theologie im Ich, im Bewußtsein.
Ohne Gott kann nichts sein, nichts gedacht werden; das heißt im Sinne
des Idealismus:
alles ist nur als, sei es nun wirklicher oder möglicher, Gegenstand des
Bewußtseins; Sein heißt Gegenstand
sein, setzt also Bewußtsein voraus. Die Dinge, die Welt überhaupt
ist ein Werk, ein Produkt des absoluten Wesens, Gottes; aber dieses
absolute Wesen ist ein Ich, ein bewußtes,
denkendes Wesen — also ist die Welt, wie Cartesius
vortrefflich vom Standpunkte des Theismus aus sagt, ein ens
rationis divinae, ein Hirngespinst,
ein Gedankending Gottes. Aber dieses Gedankending ist im Theismus,
in der Theologie selbst wieder nur eine vage Vorstellung. Realisieren wir daher
diese Vorstellung, führen wir, sozusagen, praktisch aus, was im Theismus
nur Theorie ist, so haben wir die Welt als Produkt des Ich (Fichte) oder —
wenigstens so, wie sie uns erscheint, wie wir sie anschauen — als ein
Werk oder Produkt unserer Anschauung, unsers Verstandes (Kant). ,,Die
Natur wird von den Gesetzen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt
abgeleitet.“ ,,Der Verstand schöpft
seine Gesetze (a priori) nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor.“
Der Kantsche Idealismus, wo sich die Dinge nach dem Verstande, nicht der Verstand
nach den Dingen richtet, ist also nichts anderes als die Verwirklichung der
theologischen Vorstellung vom göttlichen Verstande, der nicht von den Dingen
bestimmt wird, sondern umgekehrt diese bestimmt. Wie töricht ist es darum,
den Idealismus im Himmel, d. h. den Idealismus der Einbildung, als eine göttliche
Wahrheit anzuerkennen, aber den Idealismus auf Erden, d. h. den Idealismus der
Vernunft, als einen menschlichen Irrtum zu verwerfen! Leugnet ihr den Idealismus,
nun, so leugnet auch Gott! Gott nur ist der Urheber des Idealismus. Wollt ihr
die Konsequenzen nicht, so wollt auch das Prinzip nicht! Der Idealismus ist
nichts als der rationelle oder rationalisierte
Theismus. Aber, der Kantsche Idealismus ist noch ein beschränkter Idealismus
— der Idealismus auf dem Standpunkte
des Empirismus. Dem Empirismus ist Gott, der schon oben gegebenen
Entwicklung zufolge, nur noch ein Wesen in der Vorstellung, in der Theorie —
Theorie im gewöhnlichen, schlechten Sinne —, aber nicht in der Tat
und Wahrheit, ein Ding an sich, aber nicht mehr ein Ding für ihn; denn
die Dinge für ihn sind allein die empirischen, wirklichen Dinge. Die Materie
ist die einzige Materie seines Denkens — er hat daher
keine Materialien mehr für Gott:
Gott ist, aber er ist für
uns eine tabula rasa, ein
leeres Wesen, ein bloßer Gedanke. Gott — Gott, wie wir ihn vorstellen,
denken — ist unser Ich, unser Verstand, unser Wesen, aber dieser
Gott ist nur eine Erscheinung von uns für
uns, nicht Gott an sich. Kant ist der noch im Theismus befangene
Idealismus. Wir sind oft längst von einer Sache, einer Lehre, einer Idee
der Tat nach frei, aber gleichwohl sind wir es noch nicht im Kopfe; sie ist
keine Wahrheit mehr in unserm Wesen — sie war es vielleicht nie
—, aber sie ist noch eine theoretische Wahrheit, d. h. eine Schranke unsers
Kopfes. Der Kopf, weil er die Dinge am gründlichsten nimmt, wird auch am
spätesten frei. Die theoretische Freiheit ist, wenigstens in vielen Dingen,
die letzte Freiheit. Wie viele sind Republikaner von Herzen, von Gesinnung,
aber im Kopfe können sie nicht über die Monarchie hinaus; ihr republikanisches
Herz scheitert an den Einwürfen und Schwierigkeiten, welche der Verstand
macht. So ist es denn auch mit dem Theismus Kants. Kant hat die Theologie in
der Moral,
das göttliche Wesen im Willen realisiert und negiert. Der Wille ist Kant
das wahre, ursprüngliche, unbedingte, von sich selbst anfangende Wesen.
Kant vindiziert also in der Tat die Prädikate der Gottheit dem
Willen; sein Theismus hat daher nur noch die Bedeutung einer
Schranke seines Kopfes. Der von der Schranke des Theismus freie Kant ist Fichte
— der ,,Messias der spekulativen Vernunft“.
Fichte ist der Kantsche Idealismus, aber auf dem Standpunkte
des Idealismus. Nur auf dem empirischen
Standpunkte gibt es nach Fichte einen von uns unterschiedenen, außer uns
seienden Gott, aber in Wahrheit, auf dem Standpunkte des Idealismus ist das
Ding an sich, ist Gott — denn Gott ist das eigentliche Ding an sich —
nur das Ich an sich, d. h. das vom Individuum, vom empirischen Ich unterschiedene
Ich. Außer dem Ich gibt es keinen Gott: ,,Unsere
Religion ist die Vernunft.“ Aber der Fichtesche Idealismus ist
nur die Negation und Realisation des abstrakten und formalen Theismus, des Monotheismus,
nicht des religiösen, materiellen, inhaltserfüllten Theismus, des
Tritheismus, dessen Realisation erst der ,,absolute“, der Hegelsche
Idealismus ist. Oder: Fichte hat nur den Gott des Pantheismus,
inwiefern er ein denkendes
Wesen, aber nicht, wiefern er ein ausgedehntes, materielles Wesen ist, realisiert.
Fichte ist der theistische Idealismus, Hegel der pantheistische Idealismus.
§ 18 Die neuere
Philosophie hat das von der Sinnlichkeit, der Welt, dem Menschen abgesonderte
und unterschiedene göttliche Wesen verwirklicht und aufgehoben —
aber nur im Denken, in der Vernunft, und
zwar einer gleichfalls von der Sinnlichkeit, der Welt,
dem Menschen abgesonderten und unterschiedenen
Vernunft. Das heißt, die neuere
Philosophie hat nur die Gottheit des Verstandes bewiesen
— nur den, und zwar abstrakten Verstand
als das göttliche,
das absolute Wesen
erkannt. Die Definition des Cartesius von sich,
als Geist: Mein Wesen besteht einzig darin,
daß ich denke — ist die Definition
der neuern Philosophie von sich. Der Wille
des Kantschen und Fichteschen Idealismus ist selbst ein
pures Verstandeswesen, und die Anschauung, die Schelling,
im Gegensatz zu Fichte, mit dem Verstande verband, nur Phantasie, keine Wahrheit,
kommt also nicht in Betracht.
Die neuere Philosophie ist von der Theologie ausgegangen — sie ist selbst
nichts anderes als die in Philosophie aufgelöste und verwandelte Theologie.
Das abstrakte und transzendente Wesen Gottes konnte daher selbst nur auf eine
abstrakte und transzendente Weise verwirklicht
und aufgehoben werden. Um Gott in die Vernunft zu verwandeln, mußte die
Vernunft selbst die Beschaffenheit des abstrakten göttlichen Wesens annehmen.
Die Sinne, sagt Cartesius, geben keine wahre Realität, kein Wesen, keine
Gewißheit — nur der von den Sinnen abgezogene Verstand gibt Wahrheit.
Woher dieser Zwiespalt zwischen dem Verstande und den Sinnen? Nur aus der Theologie
kommt er. Gott ist kein sinnliches Wesen, er ist vielmehr die Negation aller
Bestimmungen der Sinnlichkeit, wird nur erkannt durch die Abstraktion von derselben;
aber er ist Gott, d. h. das allerwahrste, allerrealste,
allergewisseste Wesen. Woher soll also Wahrheit in die Sinne kommen
— in die Sinne, die geborene Atheisten sind? Gott ist das Wesen, bei dem
sich die Existenz nicht vom Wesen, vom Begriffe absondern läßt, das
gar nicht anders denn als seiend gedacht werden kann. Cartesius verwandelt dieses
objektive Wesen in ein subjektives, den ontologischen Beweis in einen psychologischen,
das cogitatur deus ergo est [Gott wird
erkannt, also ist (existiert) er] in cogito ergo sum
[Ich erkenne, also bin ich]. Wie sich in Gott nicht das Sein vom Gedachtwerden,
so läßt sich in mir — als Geist, der aber mein Wesen —
nicht vom Denken das Sein absondern, und wie dort, so konstituiert auch hier
diese Unzertrennlichkeit das Wesen. Ein Wesen, das nur
ist — gleichviel, ob an sich oder für mich — als
Gedachtes, als Gegenstand der Abstraktion von aller Sinnlichkeit,
realisiert und versubjektiviert sich notwendig auch nur in einem Wesen, das
nur ist als denkendes,
dessen Wesenheit nur das abstrakte Denken.
§ 19 Die Vollendung der neueren Philosophie ist die Hegelsche Philosophie. Die historische Notwendigkeit und Rechtfertigung der neuen Philosophie knüpft sich daher hauptsächlich an die Kritik Hegels.
§ 20 Die neue Philosophie hat, ihrem historischen Ausgangspunkte nach, dieselbe Aufgabe und Stellung der bisherigen Philosophie gegenüber, welche diese der Theologie gegenüber hatte. Die neue Philosophie ist die Realisation der Hegelschen, überhaupt bisherigen Philosophie — aber eine Realisation, die zugleich die Negation, und zwar widerspruchslose Negation, derselben ist.
§ 21
Der Widerspruch der neueren Philosophie, insbesondere des Pantheismus,
daß er die Negation der Theologie auf dem Standpunkte
der Theologie oder die
Negation der Theologie ist, welche
selbst wieder Theologie, dieser Widerspruch
charakterisiert insbesondere die Hegelsche Philosophie.
Das immaterielle Wesen, das Wesen, wie es pures Verstandesobjekt, reines Verstandeswesen,
ist der neueren Philosophie, so auch der Hegelschen, allein das wahre, das absolute
Wesen — Gott. Selbst die Materie, die Spinoza zum Attribut der göttlichen
Substanz macht, ist ein metaphysisches Ding, ein pures Verstandeswesen; denn
die wesentliche Bestimmung der Materie im Unterschied von dem Verstande, der
Denktätigkeit, die Bestimmung, ein leidendes Wesen zu sein, ist ihr genommen.
Aber Hegel unterscheidet sich von der früheren Philosophie dadurch, daß
er das Verhältnis des materiellen, sinnlichen Wesens zum immateriellen
anders bestimmt. Die früheren Philosophen und Theologen dachten das wahre,
das göttliche Wesen als ein von Natur, per se
von der Sinnlichkeit oder Materie abgelöstes, befreites Wesen; nur
in sich selbst verlegten
sie die Mühe und Arbeit der Abstraktion, des Sich-Freimachens vom Sinnlichen,
um zu dem zu kommen, was an sich selber
davon frei ist.
In dieses Freisein setzen sie die Seligkeit
des göttlichen, in dieses Sich-Freimachen
die Tugend des menschlichen Wesens.
Hegel dagegen machte diese subjektive Tätigkeit zur Selbsttätigkeit
des göttlichen Wesens. Gott selbst muß sich dieser Arbeit unterziehen,
sich, wie die Heroen des Heidentums, durch Tugend seine Gottheit erkämpfen.
So nur wird die Freiheit des Absoluten von der Materie, die außerdem nur
Voraussetzung, nur Vorstellung ist, Tat und Wahrheit. Aber diese Selbstbefreiung
von der Materie kann nur in Gott gesetzt werden, wenn zugleich die Materie in
ihn gesetzt wird. Wie kann sie aber in ihn gesetzt werden? Nur dadurch, daß
er sie selbst setzt. Aber in Gott ist nur Gott. Also nur dadurch, daß
er sich selbst als Materie, als Nicht-Gott,
als sein anderes setzt. Die Materie ist so kein dem Ich, dem Geiste auf eine
unbegreifliche Weise vorausgesetzter Gegensatz: sie ist die Selbstentäußerung
des Geistes. Damit bekommt die Materie selbst Geist und Verstand,
sie ist aufgenommen in das absolute Wesen als ein Lebens-, Bildungs- und Entwicklungsmoment
desselben; zugleich ist sie aber doch wieder als ein nichtiges,
unwahres Wesen gesetzt, indem erst das aus dieser Entäußerung
sich herstellende, d. h. die Materie, die Sinnlichkeit von sich abstreifende
Wesen als das Wesen in seiner Vollendung, in seiner wahren Gestalt und Form
ausgesprochen wird. Das Natürliche, Materielle, Sinnliche — und zwar
das Sinnliche nicht im gemeinen, moralischen, sondern metaphysischen Sinne —
ist also auch hier das zu Negierende,
wie in der Theologie die durch die Erbsünde vergiftete Natur. Es wird zwar
aufgenommen in die Vernunft, das Ich, den Geist, aber es ist das Unvernünftige
in der Vernunft, das Nicht–Ich im
Ich, das Negative
desselben, wie bei Schelling die Natur in Gott das Nicht-Göttliche
in Gott, in ihm außer ihm ist, wie in der Cartesischen Philosophie der
Leib, wenngleich mit mir, mit dem Geiste verbunden dennoch außer mir
ist, nicht zu mir, zu meinem Wesen gehört und es daher gleichgültig
ist, ob er mit mir verbunden ist oder nicht ist. Die Materie bleibt im Widerspruch
mit dem von der Philosophie als wahres Wesen vorausgesetzten Wesen.
Die Materie wird zwar in Gott gesetzt, d. h. als Gott gesetzt, und die Materie
als Gott setzen ist soviel als sagen:
es ist kein Gott, also soviel als: die Theologie aufheben, die Wahrheit des
Materialismus anerkennen. Aber zugleich ist doch die Wahrheit des Wesens der
Theologie noch vorausgesetzt. Der Atheismus, die Negation der Theologie, wird
daher wieder negiert, d. h., die Theologie durch die Philosophie wiederhergestellt.
Gott ist Gott erst dadurch, daß er die Materie, die Negation
Gottes, überwindet, negiert. Und erst die Negation der Negation ist nach
Hegel wahre Position. Am Ende sind wir daher wieder, wovon wir anfänglich
ausgegangen — im Schoße der christlichen Theologie. So haben wir
schon im obersten Prinzip der Hegelschen Philosophie das Prinzip und Resultat
seiner Religionsphilosophie, daß die Philosophie die Dogmen der Theologie
nicht aufhebe, sondern nur aus der Negation des Rationalismus wiederherstelle,
sie nur vermittele. Das Geheimnis der Hegelschen Dialektik ist zuletzt nur dieses,
daß er die Theologie durch die Philosophie und dann wieder die Philosophie
durch die Theologie negiert. Anfang und Ende bildet die Theologie, in der Mitte
steht die Philosophie als die Negation der ersten Position, aber die Negation
der Negation ist die Theologie. Erst wird alles umgeworfen, aber dann wieder
alles an seinen alten Platz gestellt, wie bei Cartesius. Die Hegelsche Philosophie
ist der letzte großartige Versuch, das verlorene, untergegangene Christentum
durch die Philosophie wiederherzustellen, und zwar dadurch, daß, wie überhaupt
in der neuern Zeit, die Negation des Christentums
mit dem Christentum selbst identifiziert wird. Die vielgepriesene
spekulative Identität des Geistes und der Materie, des Unendlichen und
Endlichen, des Göttlichen und Menschlichen ist nichts weiter als der unselige
Widerspruch der neuern Zeit — die Identität von Glaube und Unglaube,
Theologie und Philosophie, Religion und Atheismus, Christentum und Heidentum
auf seinem höchsten Gipfel, auf dem Gipfel der Metaphysik. Nur dadurch
wird dieser Widerspruch bei Hegel den Augen entrückt, verdunkelt, daß
die Negation Gottes, der Atheismus, zu einer objektiven Bestimmung Gottes gemacht
— Gott als ein Prozeß und
als ein Moment dieses Prozesses der Atheismus bestimmt wird. Aber sowenig der
aus dem Unglauben wiederhergestellte Glaube ein wahrer, weil stets mit seinem
Gegensatz behafteter Glaube ist, sowenig ist der aus seiner Negation sich wiederherstellende
Gott ein wahrer, vielmehr ein sich selbst widersprechender, ein atheistischer
Gott.
§ 22 Wie das göttliche Wesen nichts anders ist als das Wesen des Menschen, befreit von der Schranke der Natur, so ist das Wesen des absoluten Idealismus nichts anderes als das Wesen des subjektiven Idealismus, befreit von der, und zwar vernünftigen, Schranke der Subjektivität, d. h. von der Sinnlichkeit oder Gegenständlichkeit überhaupt. Die Hegelsche Philosophie läßt sich daher unmittelbar aus dem Kantschen und Fichteschen Idealismus ableiten. Kant sagt: ,,Wenn wir die Gegenstände der Sinne, wie billig, als bloße Erscheinungen ansehen, so gestehen wir hierdurch doch zugleich, daß ihnen ein Ding an sich selbst zum Grunde liege, ob wir dasselbe gleich nicht, wie es an sich beschaffen sei, sondern nur seine Erscheinung, d. i. die Art, wie unsere Sinne von diesem unbekannten Etwas affiziert werden, kennen. Der Verstand also, ebendadurch, daß er Erscheinungen annimmt, gesteht auch das Dasein von Dingen an sich selbst zu, und sofern können wir sagen, daß die Vorstellung solcher Wesen, die den Erscheinungen zum Grunde liegen, mithin bloßer Verstandeswesen, nicht allein zulässig, sondern auch unvermeidlich sei.“ Die Gegenstände der Sinne, der Erfahrung sind also für den Verstand bloße Erscheinung, keine Wahrheit; sie befriedigen also nicht den Verstand, d. h., sie entsprechen nicht seinem Wesen. Der Verstand ist folglich keineswegs durch die Sinnlichkeit in seinem Wesen beschränkt; sonst würde er die sinnlichen Dinge nicht für Erscheinungen, sondern für blanke Wahrheit nehmen. Was mich nicht befriedigt, begrenzt und beschränkt mich auch nicht. Und dennoch sollen die Verstandeswesen keine wirklichen Objekte für den Verstand sein! Die Kantsche Philosophie ist der Widerspruch von Subjekt und Objekt, Wesen und Existenz, Denken und Sein. Das Wesen fällt hier in den Verstand, die Existenz in die Sinne. Die Existenz ohne Wesen ist bloße Erscheinung — das sind die sinnlichen Dinge —, das Wesen ohne Existenz ist bloßer Gedanke — das sind die Verstandeswesen, die noumena; sie werden gedacht, aber es fehlt ihnen die Existenz — wenigstens die Existenz für uns — die Objektivität; sie sind die Dinge an sich, die wahren Dinge, nur sind sie keine wirklichen Dinge, und folglich auch keine Dinge für den Verstand, d. h. keine von ihm bestimm-und erkennbaren. Aber welch ein Widerspruch, die Wahrheit von der Wirklichkeit, die Wirklichkeit von der Wahrheit abzutrennen! Heben wir daher diesen Widerspruch auf, so haben wir die Identitätsphilosophie, wo die Verstandesobjekte, die gedachten Dinge als die wahren auch die wirklichen sind, wo das Wesen und die Beschaffenheit des Objekts des Verstandes dem Wesen und der Beschaffenheit des Verstandes oder Subjektes entspricht, wo also das Subjekt nicht mehr beschränkt und bedingt ist durch einen außer ihm existierenden, seinem Wesen widersprechenden Stoff. Aber das Subjekt, das kein Ding mehr außer sich und folglich keine Schranken mehr in sich hat, ist nicht mehr ,,endliches“ Subjekt — nicht mehr das Ich, dem ein Objekt gegenübersteht —, ist das absolute Wesen, dessen theologischer oder populärer Ausdruck das Wort ,,Gott“ ist. Es ist zwar dasselbe Subjekt, dasselbe Ich wie im subjektiven Idealismus — aber ohne Schranken, das Ich, das daher auch nicht mehr Ich, subjektives Wesen zu sein scheint und deswegen auch nicht mehr Ich heißt.
§ 23 Die Hegelsche
Philosophie ist der umgekehrte —
der theologische Idealismus, wie die
Spinozische Philosophie der theologische Materialismus ist;
sie hat das Wesen des Ich außer das Ich gesetzt, abgesondert
vom Ich, als Substanz, als Gott vergegenständlicht, aber dadurch wieder
— also indirekt, verkehrt —
die Göttlichkeit des Ich ausgesprochen,
daß sie dasselbe, wie Spinoza die Materie, zu einem
Attribut oder zur Form der
göttlichen Substanz machte:
das Bewußtsein des Menschen von Gott ist
das Selbstbewußtsein Gottes. Das heißt: das Wesen gehört
Gott an, das Wissen dem Menschen. Aber das Wesen Gottes ist bei Hegel in der
Tat nichts andres als das Wesen des Denkens oder das Denken,
abstrahiert von dem Ich, dem Denkenden. Die Hegelsche
Philosophie hat das Denken, also das subjektive Wesen,
aber gedacht ohne Subjekt, also als ein von demselben unterschiedenes
Wesen vorgestellt, zum göttlichen, absoluten Wesen gemacht.
Das Geheimnis der ,,absoluten“ Philosophie
ist daher das Geheimnis der Theologie. Wie diese die Bestimmungen des Menschen
dadurch zu göttlichen Bestimmungen macht, daß sie dieselben
der Bestimmtheit beraubt, in welcher sie sind, was sie sind,
geradeso macht es auch die absolute Philosophie. ,,Das Denken der Vernunft ist
jedem zuzumuten; um sie als absolut
zu denken, um also auf den Standpunkt zu gelangen, welchen ich fordere,
muß vom Denkenden abstrahiert werden.
Dem, welcher die Abstraktion
macht, hört die Vernunft unmittelbar auf, etwas Subjektives
zu sein, wie sie von den meisten vorgestellt wird; ja, sie kann selbst nicht
mehr als etwas Objektives
gedacht werden, da ein Objektives
oder Gedachtes nur im
Gegensatz gegen ein Denkendes möglich wird, von dem
hier völlig abstrahiert ist; sie
wird also durch jene Abstraktion
zu dem wahren An sich, welches
eben in den Indifferenzpunkt des Subjektiven und Objektiven fällt.“
(Schelling.) Ebenso ist es bei Hegel, nur daß dieser an die Stellen der
hohlen Phrasen Schellings bestimmte Begriffe gesetzt hat. Das seiner Bestimmtheit,
in der es Denken, Tätigkeit der Subjektivität ist, beraubte Denken
ist das Wesen der Hegelschen Logik. Der dritte Teil der Logik ist und
heißt sogar ausdrücklich die subjektive
Logik, und gleichwohl sollen die Formen der Subjektivität, welche
der Gegenstand derselben sind, nicht subjektive
sein. Der Begriff, das Urteil, der Schluß, ja selbst die einzelnen Schluß-
und Urteilsformen, wie das problematische, assertorische Urteil, sind nicht
Begriffe, Urteile, Schlüsse von uns; nein, sie sind objektive, an und für
sich seiende, absolute Formen. So entäußert und entfremdet die absolute
Philosophie dem Menschen sein eignes Wesen, seine eigne Tätigkeit! Daher
die Gewalt, die Tortur, die sie unserm Geiste antut. Wir sollen das Unsrige
nicht als Unsriges denken, sollen abstrahieren von der Bestimmtheit, in der
etwas ist, was es ist, d. h., wir sollen es denken ohne
Sinn, sollen es nehmen im Unsinn des
Absoluten. Unsinn ist das höchste
Wesen der Theologie — der gemeinen wie der spekulativen.
Was Hegel tadelnd von Fichtes Philosophie bemerkt, daß jeder das Ich in
sich zu haben meint, an sich erinnert und doch nicht das Ich in sich findet,
gilt von der spekulativen Philosophie überhaupt. Sie nimmt fast alle Dinge
in einem Sinne, in welchem man diese Dinge nicht mehr erkennt. Und der Grund
dieses Übels ist eben die Theologie. Das göttliche, das absolute Wesen
muß sich unterscheiden von den endlichen, d. h. wirklichen Wesen. Aber
wir haben keine Bestimmungen für das Absolute als eben die Bestimmungen
der wirklichen Dinge, sei‘s nun der natürlichen oder menschlichen.
Wie werden also diese Bestimmungen zu Bestimmungen des Absoluten? Nur dadurch,
daß sie in einem andern Sinne als in ihrem wirklichen Sinne, d. i. einem
gänzlich verkehrten Sinn genommen werden. Alles ist im Absoluten, was im
Endlichen; aber dort ist es ganz anders als wie hier; dort gelten ganz
andere Gesetze als bei uns; dort ist Vernunft
und Weisheit, was bei uns purer Unsinn ist. Daher die grenzenlose
Willkür der Spekulation, daß sie den Namen einer Sache
gebraucht, ohne doch den Begriff gelten zu lassen, welcher mit diesem Namen
verbunden ist. Die Spekulation entschuldigt diese ihre Willkür damit, daß
sie sagt, sie wähle für ihre Begriffe aus der Sprache Namen, mit denen
das ,,gemeine Bewußtsein“ Vorstellungen verknüpfe, welche eine
entfernte Ähnlichkeit mit diesen Begriffen hätten; sie schiebt also
die Schuld auf die Sprache. Aber die Schuld liegt in der Sache, im Prinzip
der Spekulation selbst. Der Widerspruch zwischen dem Namen und der Sache,
der Vorstellung und dem Begriffe der Spekulation ist nichts andres als der alte
theologische Widerspruch zwischen den Bestimmungen des göttlichen und menschlichen
Wesens, welche Bestimmungen in Beziehung auf den Menschen im eigentlichen, wirklichen
Sinn, in Beziehung auf Gott aber nur in einem symbolischen oder analogischen
Sinn genommen werden. Allerdings hat sich die Philosophie nicht zu kehren an
die Vorstellungen, welche der gemeine Gebrauch oder Mißbrauch mit einem
Namen verbindet, aber sie hat sich zu binden an die bestimmte Natur der Dinge,
deren Zeichen Namen sind.
§ 24 Die Identität von Denken und Sein, der Zentralpunkt der Identitätsphilosophie ist nichts andres als eine notwendige Folge und Ausführung von dem Begriffe Gottes als des Wesens, dessen Begriff oder Wesen das Sein enthält. Die spekulative Philosophie hat nur verallgemeinert, nur zu einer Eigenschaft des Denkens, des Begriffes überhaupt gemacht, was die Theologie zu einer ausschließlichen Eigenschaft des Begriffes Gottes machte. Die Identität von Denken und Sein ist daher nur der Ausdruck von der Gottheit der Vernunft — der Ausdruck davon, daß das Denken oder die Vernunft das absolute Wesen, der Inbegriff aller Wahrheit und Realität ist, daß es keinen Gegensatz der Vernunft gibt, daß vielmehr die Vernunft alles ist, wie in der strengen Theologie Gott alles ist, d. i. alles Wesenhafte und wahrhaft Seiende. Aber ein vom Denken nicht unterschiedenes Sein, ein Sein, das nur ein Prädikat oder eine Bestimmung der Vernunft ist, das ist nur ein gedachtes, abstraktes Sein, in Wahrheit aber kein Sein. Die Identität von Denken und Sein drückt daher nur die Identität des Denkens mit sich selbst aus. Das heißt: das absolute Denken kommt nicht von sich weg, nicht aus sich heraus zum Sein. Sein bleibt ein Jenseits. Die absolute Philosophie hat uns wohl das Jenseits der Theologie zum Diesseits gemacht, aber dafür hat sie uns das Diesseits der wirklichen Welt zum Jenseits gemacht. Das Denken der spekulativen oder absoluten Philosophie bestimmt im Unterschiede von sich, als der Tätigkeit des Vermittelns, das Sein als das Unmittelbare, nicht Vermittelte. Für das Denken — wenigstens das Denken, was wir hier vor uns haben — ist das Sein nichts weiter als dieses. Das Denken setzt sich das Sein entgegen, aber innerhalb seiner selbst, und hebt dadurch unmittelbar ohne Schwierigkeit den Gegensatz desselben gegen sich auf; denn das Sein als Gegensatz des Denkens im Denken ist nichts andres als selbst ein Gedanke. Wenn das Sein weiter nichts ist als das Unmittelbare, die Unmittelbarkeit allein seinen Unterschied vom Denken ausmacht, wie leicht ist es, nachzuweisen, daß auch dem Denken die Bestimmung der Unmittelbarkeit, also Sein zukommt! Wenn eine bloße Gedankenbestimmtheit das Wesen des Seins ausmacht, wie sollte das Sein vom Denken unterschieden sein? [...]
§ 54 Die neue Philosophie macht den Menschen mit Einschluß der Natur als der Basis des Menschen zum alleinigen, universalen und höchsten Gegenstand der Philosophie — die Anthropologie also, mit Einschluß der Physiologie, zur Universalwissenschaft.
§ 55 Kunst, Religion, Philosophie oder Wissenschaft sind nur die Erscheinungen oder Offenbarungen des wahren menschlichen Wesens. Mensch, vollkommner, wahrer Mensch ist nur, wer ästhetischen oder künstlerischen, religiösen oder sittlichen und philosophischen oder wissenschaftlichen Sinn hat — Mensch überhaupt nur der, welcher nichts wesentlich Menschliches von sich ausschließt. Homo sum, humani nihil a me alienum puto [Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd] — dieser Satz, in seiner universellsten und höchsten Bedeutung genommen, ist der Wahlspruch des neuen Philosophen.
§ 56 Die absolute Identitätsphilosophie hat den Standpunkt der Wahrheit gänzlich verrückt. Der natürliche Standpunkt des Menschen, der Standpunkt der Unterscheidung in Ich und Du, Subjekt und Objekt ist der wahre, der absolute Standpunkt, folglich auch der Standpunkt der Philosophie.
§ 57 Die der Wahrheit gemäße Einheit von Kopf und Herz besteht nicht in der Auslöschung oder Vertuschung ihrer Differenz, sondern vielmehr nur darin, daß der wesentliche Gegenstand des Herzens auch der wesentliche Gegenstand des Kopfs ist — also nur in der Identität des Gegenstandes. Die neue Philosophie, welche den wesentlichen und höchsten Gegenstand des Herzens, den Menschen, auch zum wesentlichen und höchsten Gegenstand des Verstandes macht, begründet daher eine vernünftige Einheit von Kopf und Herz, von Denken und Leben.
§ 58 Die Wahrheit existiert nicht im Denken, nicht im Wissen für sich selbst. Die Wahrheit ist nur die Totalität des menschlichen Lebens und Wesens.
§ 59 Der einzelne Mensch für sich hat das Wesen des Menschen nicht in sich, weder in sich als moralischem, noch in sich als denkendem Wesen. Das Wesen des Menschen ist nur in der Gemeinschaft, in der Einheit des Menschen mit dem Menschen enthalten — eine Einheit, die sich aber nur auf die Realität des Unterschieds von Ich und Du stützt.
§ 60 Einsamkeit ist Endlichkeit und Beschränktheit, Gemeinschaftlichkeit ist Freiheit und Unendlichkeit. Der Mensch für sich ist Mensch (im gewöhnlichen Sinn); Mensch mit Mensch — die Einheit von Ich und Du ist Gott.
§ 61 Der absolute Philosoph sagte oder dachte wenigstens, analog dem L‘etat c‘est moi [Der Staat bin ich] des absoluten Monarchen und L‘être c‘est moi [Das höchste Wesen bin ich] des absoluten Gottes — von sich, als Denker natürlich, nicht als Menschen: La vérité c‘est moi [Die Wahrheit hin ich]. Der menschliche Philosoph dagegen: Ich bin auch im Denken, auch als Philosoph Mensch mit Menschen.
§ 62 Die wahre Dialektik ist kein Monolog des einsamen Denkers mit sich selbst, sie ist ein Dialog zwischen Ich und Du.
§ 63 Die Trinität war das höchste Mysterium, der Zentralpunkt der absoluten Philosophie und Religion. Aber das Geheimnis derselben ist, wie im ,,Wesen des Christentums“ historisch und philosophisch bewiesen wurde, das Geheimnis des gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Lebens — das Geheimnis der Notwendigkeit des Du für das Ich — die Wahrheit, daß kein Wesen, es sei und heiße nun Mensch oder Gott oder Geist oder Ich, für sich selbst allein ein wahres, ein vollkommnes, ein absolutes Wesen, daß die Wahrheit und Vollkommenheit nur ist die Verbindung, die Einheit von wesensgleichen Wesen. Das höchste und letzte Prinzip der Philosophie ist daher die Einheit des Menschen mit dem Menschen. Alle wesentlichen Verhältnisse — die Prinzipien verschiedener Wissenschaften — sind nur verschiedene Arten und Weisen dieser Einheit. Selbst der Denkakt kann nur aus dieser Einheit begriffen und abgeleitet werden.
§ 64 Die alte Philosophie hat eine doppelte Wahrheit — die Wahrheit für sich selbst, die sich nicht um den Menschen bekümmerte — die Philosophie —, und die Wahrheit für den Menschen — die Religion. Die neue Philosophie dagegen, als die Philosophie des Menschen, ist auch wesentlich die Philosophie für den Menschen — sie hat, unbeschadet der Würde und Selbständigkeit der Theorie, ja im innigsten Einklang mit derselben, wesentlich eine praktische, und zwar im höchsten Sinne praktische Tendenz; sie tritt an die Stelle der Religion, sie hat das Wesen der Religion in sich, sie ist in Wahrheit selbst Religion.
§ 65 Die bisherigen
Reformversuche in der Philosophie unterscheiden sich mehr oder weniger nur der
Art, nicht der Gattung nach von der alten
Philosophie. Die unerläßlichste Bedingung einer wirklich neuen, d.
i. selbständigen, dem Bedürfnis der Menschheit und Zukunft entsprechenden
Philosophie ist aber, daß sie sich dem Wesen
nach, daß sie sich toto genere
von der alten Philosophie unterscheide.
Aus: Ludwig Feuerbach: Philosophische Kritiken und
Grundsätze (193-234, 269-273)
Herausgegeben von Werner Schuffenhauer
VMA-Verlag Wiesbaden