Sebastian Franck (1499 – 1542)

  Deutscher katholischer Priester, der von Luther begeistert, protestantischer Geistlicher wurde. 1528 legte er dann sein Pfarramt aus Verzweiflung über die sittliche Wirkungslosigkeit seiner Predigten nieder. Er lebte dann als freier Schriftsteller und Journalist in Nürnberg, in Straßburg, am längsten in Ulm und zuletzt - bis zu seinem Tode - in Basel. Franck war einer der beeindruckendsten Individualisten der Reformationszeit und ein tieffrommer Mann. Seine Frömmigkeit war ausschließlich auf Innerlichkeit ausgerichtet. Kirche, Sakramente und historisch gewachsene Dogmen sind für ihn Äußerlichkeiten, die mit wahrer Frömmigkeit nichts zu tun haben. Im Mittelpunkt seines Glaubens steht nicht die paulinische Opferidee, sondern vielmehr die Vervollkommnung der Seele und ihre Vereinigung mit Gott. Für die unaussprechlichen Tiefen und Geheimnisse der Religion, des Ergriffenseins von Gott, gibt es nur eine äußere Verwirklichung: ein wahrhaft ethisches Leben, das sich selbst Gesetz ist. Nach Francks Überzeugung ist »Religion ist ein tiefinnerlicher, göttlicher Besitz, dessen Gestaltung so tausendfach verschieden wie die Exemplare der Menschengattung, und der, losgelöst von allem Äußeren, einzig und allein in einem ethischen Leben sich kundgibt.«

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Gott das Wesen der Dinge
Gott der Kern aller Dinge
Niemand kennt Gott denn Gott

>>>Christus


Gott das Wesen der Dinge

Gott ist alles in allem, und wäre die Sünde auch etwas und nicht nichts, so wäre Gott auch die Sünde im Menschen. Weil aber die Sünde nichts ist, sondern von dem Eigentum und dem eitlen Nichts, daraus der Mensch erschaffen ist, herkommt, so kann Gott die Sünde in uns nicht sein oder wirken. Aber alles, was da ist, das ist gut und von Gott selbst, des Wesens halber, soviel es ist und lebt. Wenn Gott sein Wort von der Kreatur aus und ab in sich zieht, so fällt die eitle Kreatur wieder in ihr Nichts, bis Gott sein Wesen, sein Ist sein Wort seine Hand wie ein Gaukler (weshalb er ja von den Griechen Neurospastes genannt worden ist, d. h. Marionettenspieler) wieder dreinstellt. Denn was er spricht, das ist; sonst ist alles nicht, außer was Er in ihm ist und es in ihm. Das Wesen aller Dinge ist Gott selber, deshalb sehr gut; sonst ist kein Wesen, hat auch nichts ein Wesen an sich selber, sondern von Gott und alles in Gott; darum sind alle Dinge von Gott durch Christum, sein Wort. Aber allein Christus, sein Wort, ist aus Gott, darum geht er von Gott aus und nicht ab wie andere Kreaturen, die allein von Gott gemacht und erschaffen, aber nicht, wie der neue Mensch Christus, aus Gott geboren sind.

Darum ist Gott allein der, welcher alle Wesen Wesen und aller Ist Ist ist, und soviel alle Dinge ein Ist und ein Wesen haben, soviel sind sie gut und aus Gott, eben des Wesens halber. Darum sind und bestehen alle Dinge mehr in Gott als in sich selber, wovon Tauler, die deutsche Theologie, Augustinus usw. an vielen Stellen reden. Gott ist das Wesen und die Natur selbst in allen Dingen. Aber die gute, göttliche Natur hat der Mensch in sein Eigentum bezogen und für sich selbst in sich selber verderbt, so daß jetzt für die Unreinen auch Gott und die an sich selbst gute Natur nicht mehr rein ist. Weil nun die ganze Welt nicht weiß, was oder wer Gott ist, so ist sie (die Welt) jetzt schon verurteilt, da doch allein die Erkenntnis Gottes das ewige Leben ist.
(Jerem. 9, 1-15; Joh. 17, 3; Jes. 53, 11; Mch. 15, 3.)

Gott der Kern aller Dinge
Gott ist alles in allen, die Natur, das Glück, aller Wesen Wesen, aller Tugend Tugend, in ihm sind alle Dinge beschlossen. Es regt sich, webt und lebt in ihm, in seiner Hand weset und wendet er alle Dinge. Summa: alles Ding ist ein leeres Stroh und ein lauter Nichts, wenn man das Wesen Gottes nicht darin ergreift, besitzt und hat. Er ist des Weines, Weibes, Mannes, Kindes, Geldes, Reichtums und aller Kreaturen Wesen, Seele, Kraft und Nachdruck. Wer nun nicht in Gott hat und reich ist (Luk.13), der hat habend nicht, und Gut ohne Mut, dem liegt nichts daran, ob er alles zu haben wird angesehen. Denn es mangelt ihm der Güter Wesen. Alles Ding ist allein in Gott gut und wird in seiner Hand, durch seine Hand gebraucht, gewendet. Ja, Gott hat allen Kreaturen ein Ziel gesteckt, ein Gesetz vorgeschrieben, und sie heißen sein und tun das, wie, was und wann Gott will. Dies übertreten sie nicht; darum sind alle Kreaturen in Gottes Wort und Befehl verhaftet und Wesen in Gott, daß sie, in allem Gehorsam verpicht, allein auf ihn sehen und in ihm wesend tun, was und wie er will. Wer ihn nicht hat in seinem Herzen und die Kreatur ohne Gott und außer Gott ergreift, der hat viel weniger, denn das er hat. Ursache: er hat den Kern und das Wesen dieses Dings nicht, nämlich Gott, sondern nur die Schale und Figur dieses Dings.

Als ob einer ein schönes totes Ross hat, also ist’s mit Geld, Reichtum, Äckern, Wissen, Haben, auch ihr Leben und ihre Seele, das ist Gott. Ebenso Weib, Kind, Kuh, Roß usw. haben gleichwohl auch eine Seele und ein Leben für sich, sind aber dir ohne Nutzen, wenn du nicht die gemeine Seele und das gemeine Wesen, Gott, in ihnen ergreifst, ohne den alle Dinge dir, ob sie wohl an sich selbst gut sind und leben, eitel, tot und leer sind. Daher kommt es, daß die Gottlosen nichts vergnügt, freut, befriedigt, sättigt, und daß er’s dazu nicht bringen kann, das er gern hätte. Die Ursache ist: er hat der Dinge Wesen und Seele nicht, ich meine Gott. Ja, er hat und begreift nicht die Kreatur in Gott.

Summa: es siehet alles wieder hinter sich, in seinen Ursprung, daher in Gott und sein Wort. Der nun von Gott gekehrt ist, von dem sind alle Kreaturen abgekehrt, und es ist durchaus nicht möglich, daß ihm eine diene und zugute komme, daß sie den, der Gott nicht hat, kenne oder ihm diene. Gott mag ihm wohl die Schale, Hülse und Hülle des Reichtums, der Kunst, der Weisheit, des Lebens und aller Dinge zuwerfen, das Wesen aber, das Leben und die Seele der Reichtümer soll er wohl den Gottseligen lassen, die in Gott alles haben, ob sie gleich von außen aller Dinge ledig und nichts habend gesehen werden.

Es ist ein wunderbarlicher, verborgener Gott, dessen Werke alle wunderbarlich und so ganz und gar verborgen sind, der mit der verkehrten Welt durchaus auch so verkehrt ist, daß gewöhnlich, die man als reich schätzet und achtet, in Wahrheit arm, elend und ganz notdürftige Bettler sind, und die man für weise, vernünftig und alles wissend achtet und meint, ganz und gar nichts zu wissen. Dieses alles erscheint in Alexander, dem eine Welt nicht genug war und der dabei in seinem Gemüt und Herzen betteln gehen mußte. Was der Mensch nicht braucht und das Herz nicht begehrt, das kann der Mensch nimmer haben. Das man begehrt, ist nimmer da, und das man nicht braucht, ist stets ohne Nutzen. […]


Kurzum außer Gott ist nichts, außer Gott kann niemand etwas wissen, haben oder leben. Wer Gott nicht hat, der hat (überhaupt) nicht. Wer Gott nicht weiß, der weiß nichts, wer nicht in Gott lebt, der ist lebendig tot. Wie nun die außer Gott im Fleische leben, gleichwohl den Namen haben, als ob sie leben, aber vor Gott tot sind, wie [in] Offenb. 3 steht, also haben diese gleichwohl auch ein Ansehen, als haben und wissen sie viel, ja, als ob sie alles haben und wissen (Hiob 20,21. Jerem. 12. Ps. 37. 73), haben und wissen im Grunde gar nicht[s]. Gott lässt sie also Puppen spielen und unter leerem Schall, Reichtum, Weisheit und Herrschaft mit Sorgen, Angst und Not die Zeit hinbringen. Der Kern aber, das Wesen und die Seele der Dinge wird ihnen nimmer (zuteil). Denn Gott, der alles in allen ist, haben sie nicht. Darum könnten sie auch ohne Gott der Dinge Kern nicht haben. […] Dies ist ein verborgenes Stücklein, das Gott täglich mit der Welt spielt. Das geschieht nun mit und in allen Dingen, daß die daheim sind, wahrlich im Elend herumfahren, und die elend sind, wahrlich daheim sind; daß die Wohllebenden, die Übellebenden und die Übellebenden allein die Wohllebenden, die Herren Knechte und die Knechte Herren sind. Denn Gott hat sich vorgenommen, ewig mit der Welt Widerpart zu halten und ihr den Schein zu lassen, selbst (aber) die Wahrheit und das Ding für sich und die Seinen zu behalten. Darum muß der Schein mit der Wahrheit streiten und die Welt den Schein haben, Gott aber die Wahrheit behalten. Darum kann vor Gott in der Wahrheit nicht sein, wie es vor der Welt scheint, sondern jedes Ding ist umgekehrt, und ein umgewendeter Silenus. Davon siehe weiter: Inversus Silenus omnia.

Niemand kennt Gott denn Gott

Wer Gott sucht und nicht in Gott und mit Gott, den lasse ich wohl suchen, er wird ihn aber lange nicht finden. Man muss das Licht im Licht, Gott in Gott sehen, suchen und finden, wie David sagt (Ps. 36, 10): Herr, in deinem Licht sehen wir das Licht. Denn Gott erkennt niemand, als er sich selbst. Darum mag Gott kurzum von nichts erkannt werden als von Gott, das ist: von ihm selbst, durch seine Kraft, die man den heiligen Geist nennt, deswegen ist und bleibt es ewig wahr: wer Gott nicht in Gott sucht, der wird alle Wege suchen und doch nichts finden. Wer ihn allein mit hoher, spitzfindiger Kunst und Meisterschaft aus dem Buchstaben der Schrift durch viel Lesen erkennen lernen will, der überkommt wohl ein liebloses, gottloses Wissen von Gott, das ihn nicht bessert, ob es ihn wohl gelehrter macht, aber nicht die lebendig machende Kunst Gottes, die das ewige Leben ist. Ursache ist dieses: was Gott ist und will, weiß niemand außer Gott und der aus Gott ist. Also muss sich Gott selbst lehren loben, wissen, bitten, erhören, gewähren, wollen und erkennen, sonst ist es zumal alles verloren. Darum ist es so vielfältig in der Schrift ausgesprochen, dass wir die Kunst Gottes von Gott allein lernen müssen durch seine Kraft, sein allmächtiges Wort und die Stimme das Lammes in uns, das von Anfang an, als es in Abel erwürgt ward, also in allen gelassenen Herzen gelehrt und gepredigt hat. Und dies ist der Tag des Herrn und der Christus gewesen, welchen sie sehen, gehört haben, der sie vor dem Vater vertreten, versühnet, vermittelt und zu Gott gebracht hat. Von dieser Lehre der Salbung lies Jes. 54, 1 ff. Jerem. 31, 1 ff. Joh. 6, 22-71. 1. Joh.2, 1 ff.

Summa: Gott selbst muss alles im Menschen sein. Was er nicht selbst ist, tut, liebt, bittet, weist in uns, das ist Sünde. Er krönt allein sein eigenes Werk in uns. Was sein Geist nicht selbst mit unaussprechlichem Seufzen bittet, das wird er lange nicht erhören. Er kennt, weiß, besitzt, liebt und sieht sich allein selbst als Gut und um dieses Gutes willen. Gäbe es etwas Besseres als er, er würde sich selbst hassen, sich selbst verleugnen und dem Besseren anhängen. Darum bleibt es wahr: niemand kann Gott suchen, finden, lieben, sehen, wissen, bitten usw. als bei, in und mit Gott, das Licht im Licht. Also kennt, liebt, bittet und erhört er. Ja, niemand kann Gott erkennen, lieben, bitten usw. als Gott selber (Matth. 11, 25-27): niemand kennt den Vater als den Sohn und wem es der Sohn eröffnen will. Ebenso Joh. 1, 18: niemand hat Gott gesehen usw. Der aus Gott ist, hört Gottes Wort, ihr aber könnt es nicht hören oder glauben, denn ihr seid nicht aus Gott (Joh. 8, 43 f. 10, 26).
Aus: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde. (S.129-131, 133-134)
Herausgegeben von Walter Lehmann, verlegt bei Eugen Diederichs/Jena