Franz von Sales (1567 - 1622)

>>>Gott

Von der Liebe Jesu Christi gegen uns

Dreizehntes Kapitel: Vierte Betrachtung
Erwäge die Liebe, mit der unser Herr Jesus Christus so vieles auf dieser Erde erduldet hat, zumal in dem Ölgarten und auf dem Calvarienberge. Diese Liebe bezielt unser Heil; sie erwarb uns von Gott dem Vater durch alle diese Mühen und Leiden die guten Entschlüsse und Beteuerungen, welche dein Herz gemacht hat, und noch mehr die notwendigen Gnaden, um dieselben zu nähren, zu stärken und in Vollzug zu setzen.

O heilige Entschlüsse, wie kostbar seid ihr, denn ihr seid die Frucht des Leidens meines Erlösers! O wie wert müsst ihr meiner Seele sein, da ihr meinem Heilande so teuer zu stehen kamt. Ach Erlöser meiner Seele, Du starbst um mir die Gnade zu verdienen, jene guten Vorsätze zu machen; verleih mir nun auch die Gnade, dass ich lieber sterben wolle, als denselben untreu zu werden.

Bedenke es Wohl, Philothea, dass das Herz unseres hochgeliebten, am Kreuze hangenden Erlösers auf dein Herz in Liebe gerichtet war, und dass es durch diese Liebe ihm alle Gnadengaben erwarb, die du hattest, und jemals haben wirst.

Ja, Philothea, wir können mit Jeremias sagen: »Ehe ich war, o Herr, sahst Du mich, und riefest mich bei meinem Namen.« Zweifeln wir nicht, der Gott-Mensch, Der uns am Kreuze ausgeboren, trug Alle in seinem Herzen wie eine Mutter ihr Kind unter dem Herzen trägt. Seine Güte bereitet alle Heilsmittel vor, die allgemeinen und die besonderen, alle Gnaden und Lockungen, deren sie sich bedient, uns zur Vollkommenheit anzuleiten; gleich einer guten Mutter, die für das Kind, das sie trägt, Alles bereit hält, was ihr zu dessen Unterhaltung nach seiner Geburt nötig ist.

Ach, mein Gott, wie sollten wir dieses nicht tief in unser Herz einprägen! Ist es möglich, dass ich von meinem Heilande geliebt, so zärtlich geliebt ward, dass Er an mich insbesondere gedacht hat, und alle die geringen Anlässe und Gelegenheiten, bei welchen Er mich seitdem an sich gezogen hat? Wie sollten wir also nicht dies Alles lieben, wert halten und auf nützliche Weise in Erfüllung bringen? Süß ist der Gedanke: das so zärtliche Herz des Herrn Jesus dachte an Philothea, leibte sie und verschaffte ihr tausend Mittel des Heils, als wäre sie die einzige Seele gewesen, an die Er gedacht hätte; gleich wie auch jener Teil der Erdfläche, den die Sonne beleuchtet, nicht weniger Licht von ihr erhält, als wenn kein anderer von derselben .bestrahlt würde.


»Er hat mich geliebt,« schreibt der heilige Paulus, »Er hat Sich für mich dargegeben,« gleich als sorgte Er für mich allein, und so, als hätte Er für andere Menschen Nichts getan. –

Dies, Philothea, sollst du deiner Seele tief einprägen, damit du deinen, dem Herzen deines Erlösers so teueren Entschluss gleichfalls lieben und in dir nähren mögest.

Aus: Des heiligen Franz von Sales Philothea, oder Anleitung zu einem frommen Leben. Nach der neuesten Ausgabe des P. Brignon d. G. J., bearbeitet von Franz Seraph Häglsperger.
Stereotypie, Druck und Verlag von G. Joseph Manz Regensburg 1865