Franz von Sales (1567 - 1622)

  Französischer Mystiker, Ordensstifter, Heiliger und Kirchenlehrer, der aus einem alten französischen Adelsgeschlecht stammte. Bereits im Alter 12 Jahren kam er ins Jesuitenkollegium, wo er u. a. Philosophie studierte. Seinen Beinamen als »Ketzerbekehrer« erhielt der Jesuit für seine leidenschaftlichen Anstrengungen, das nördliche Savoyen wieder zu rekatholisieren, wobei er auch nicht vor dem Einsatz von Gewaltmitteln und Bestechungen zurückschreckte. 1602 wurde er für seine erfolgreichen Bemühungen zum Bischof von Genf ernannt. Mit Johanna Franziska von Chantal stiftete er 1610 den Orden der Salesianerinnen.Heiliger (Tag: 24. 1.)

Siehe auch Wikipedia, Heiligenlexikon und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Vom Weg der göttlichen Liebe

>>>Christus
Von der Liebe Jesu Christi gegen uns


Vom Weg der göttlichen Liebe

Sowie der Mensch mit einiger Aufmerksamkeit der Gottheit gedenkt, fühlt er sein Herz von einer gewissen süßen Rührung bewegt, die Zeugnis davon gibt, daß Gott der Gott des menschlichen Herzens ist. Nirgends fühlt unser Erkennen so innige Freude, wie in dem Gedanken an Gott, vor dem nach Aristoteles, dem Fürsten der Philosophen, die geringste Erkenntnis mehr wert ist als sonst die größte auf allen anderen Gebieten.

Diese Freude, die das menschliche Herz naturgemäß an der Gottheit empfindet, und das Vertrauen, das es zu ihr hegt, kann gewiss nichts anderem entspringen als einem gewissen Verwandtschaftsverhältnis, das zwischen der göttlichen Güte und unserer Seele besteht. Erhaben ist dieses Verhältnis, aber geheim. Jeder erkennt es, aber wenige werden es inne. Es läßt sich nicht leugnen, doch auch nicht wohl ergründen. Wir sind erschaffen nach Gottes »Bild und Gleichnis« — was heißt dies anderes, als dass wir innig verwandt sind der göttlichen Majestät?

Freilich steht nun unsere menschliche Natur nicht mehr in jener ursprünglichen Unschuld und Lauterkeit, die der erste Mensch bei seiner Erschaffung hatte; wir sind vielmehr in eine starke Verderbnis geraten durch die Sünde. Gleichwohl aber ist uns geblieben jene heilige Neigung, Gott über alles zu lieben, wie auch jenes natürliche Licht, durch das wir erkennen, dass seine höchste Güte liebenswürdig ist über alles — wobei die erkenntnismäßige Klarheit zu erkennen, wie liebwert er ist, viel stärker ist als die Kraft des Willens zur Liebe. Denn noch mehr schwächte die Sünde den menschlichen Willen, als sie den Verstand verdunkelte . . . Diese geringe und unentwickelte Liebe, von der die Natur einen gewissen Antrieb in sich wahrnimmt, ist eine Art Wollen ohne Wollen, ein Wollen, das gerne möchte, aber nicht will, ein unfruchtbares Wollen, das keine rechten Wirkungen zeitigt, ein wahrhaft gichtbrüchiges Wollen, das zwar den heilkräftigen Teich der heiligen Liebe sieht, aber nicht die Kraft hat hineinzusteigen, oder wie der Apostel spricht: »Das Wollen liegt mir zwar nahe, aber das Vollbringen finde ich nicht«.

Darum hat Gottes eingeborener Sohn den Schatz seiner unendlichen Güte uns offenbart in einer Erlösung gar reichlich und überströmend, herrlich und ohne Maß, in einer Erlösung, die uns erworben, wiedererworben hat alle notwendigen Mittel, um heimzugelangen zu der Verklärung, und keiner wird nun je klagen können, als gebreche es ihm an der Barmherzigkeit Gottes.

So hat denn die höchste Güte eine Fülle von Gnaden und Segnungen ausgegossen über das ganze Menschengeschlecht, und wie von einem Strahlenregen wurden alle davon berührt, den er »regnen lässt über Gute und Böse«. Alle werden bestrahlt wie durch ein Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt. Dabei ist es nicht minder wahr, dass die Mannigfaltigkeit dieser Gaben so groß ist, dass man nicht sagen kann, was wunderbarer sei: die Größe der Gaben bei so großer Verschiedenheit oder ihre Verschiedenheit bei solcher Größe. So wie nicht zwei Menschen zu treffen sind, die sich an natürlichen Gaben vollkommen gleichen, so wird man auch niemals zwei Menschen antreffen, die einander an übernatürlichen Gaben vollkommen gleich sind.

Auf so vielfache Weise denn wird uns die Erlösung des Heilands zugewendet, als es Seelen gibt. Und doch ist ein allgemeines, allen gebotenes Mittel des Heiles: Liebe. Liebe muß allem beigemischt sein, und nichts hat Wert für das ewige Heil ohne sie. Darum verlangt der liebreiche Herr, der uns mit seinem Blute erkauft hat, mit unendlicher Sehnsucht dies eine, daß wir ihn lieben, auf daß wir ewig gerettet seien ... Und er begnügte sich nicht damit, daß er dieses sein großes Verlangen nach unserer Liebe öffentlich und allgemein offenbart hat, damit jeder Sterbliche einbegriffen sei in seine freundliche, liebreiche Einladung, sondern von Tür zu Tür geht er umher und pocht und beteuert: »So jemand mir auftut, will ich bei ihm einkehren und das Abendmahl mit ihm halten«, jede Art Gnade und Huld ihm erzeigen.

Und welches sind denn die gewöhnlichen Bande, durch die die göttliche Vorsehung unsere Herzen zur Liebe zu ziehen pflegt? Er bezeichnet sie selbst, da er die Mittel anführt, wodurch er die Kinder Israels aus Ägypten und aus der Wüste in das Land der Verheißung zog. »Ich zog sie«, spricht er bei Oseas, »an Banden der Menschlichkeit, an Banden der Liebe und Güte«. Wahrhaftig, Gott zieht uns nicht mit eisernen Banden gleich wilden Tieren, sondern durch Lockungen, süß und lieblich, durch heilige Einsprechungen. Das sind die »Adamsbande«, die Bande der »Menschlichkeit«, von denen er spricht. Denn nur diese entsprechen der Anlage des menschlichen Herzens, dem die Freiheit natürlich ist. Das Band des menschlichen Willens ist Lust und Freude. »Nüsse zeigt man dem Kind«, spricht Augustinus; »es wird gezogen durch Liebe, gezogen durch Bande nicht körperlich, sondern des Herzens«.

Sieh denn, wie der ewige Vater uns zieht: uns belehrend erfreut er uns und legt uns keinerlei Zwang auf. In unsere Herzen legt er geistliche Freuden und Tröstungen gleich heiligen Lockspeisen, wodurch er uns lieblich zieht, die Süßigkeit seines Wortes zu kosten und aufzunehmen.

Und welches sind diese Bande im einzelnen? Das erste, wodurch er uns zuvorkommt und uns vom Schlummer erweckt, schlingt er allein — in unserem Herzen zwar, doch ohne uns. Die folgenden werden mit unserem Zutun geschlungen, durch ihn in unserem Innern.

Wenn Gott uns den Glauben verleiht, so kehrt er in unsere Seele ein und spricht zu unserem Herzen, nicht mit Worten, sondern durch innere Einsprechung. Er stellt unserer Einsicht so annehmlich dar, was zu glauben ist, dass unser Wille davon eingenommen wird und die Erkenntnis bewegt, ein zuwilligen und der Wahrheit beizustimmen ohne Zweifel oder Misstrauen. Das Wunderbare dabei ist, dass Gott unserer Seele die Geheimnisse des Glaubens nur unter Sehleiern und Finsternis vorstellen muss, so dass wir die Wahrheit nicht eigentlich sehen, sondern nur ahnen. Und doch, kehrt dieses Helldunkel des Glaubens — nicht durch der Rede Gewalt, noch auch durch das Licht der Beweise, sondern allein durch die liebliche Kraft seiner Gegenwart — in unser Gemüt, so zwingt es unseren Verstand mit solcher Kraft zu Glauben und zu Gehorsam, daß diese Gewißheit die stärkste ist.

Wie wir, den Strahlen der mittäglichen Sonne ausgesetzt, kaum ihre Klarheit schauen und auch alsbald ihre Glut empfinden, so hat auch das Licht des Glaubens mit seinem Glanze noch kaum den Verstand bestrahlt, und schon regt sich in unserem Willen die heimliche Glut der Liebe. Der Glaube zeigt uns durch untrügliche Gewißheit, daß Gott Gott ist und unendlich an Güte, daß er sich uns mitteilen kann, ja nicht nur kann, sondern auch will, und zwar so sehr, daß er in unaussprechlicher Milde uns alle nötigen Mittel bereitet hat, zur unsterblichen Herrlichkeit einzugehen. Hat so der heilige Glaube einmal unserem Geiste die Schönheit der Güter entfaltet, nach denen seine natürliche Neigung zielt, o wie groß ist dann seine Freude, sein Jubel! Wie erhebt unsere ganze Seele in freudigem Staunen angesichts einer so herrlichen Schönheit! »Wie schön bist du«, ruft sie aus, »wie schön bist du, mein Vielgeliebter!«

Das ist Liebe und Hoffnung zugleich. Denn was ist Hoffnung anders als ein liebendes Wohlgefallen, das wir in Erwartung und Sehnsucht nach unserem höchsten Gut haben? Und doch ist alles hier Liebe.

Die Liebe aus Hoffnung also zielt schon auf Gott — doch kehrt sie noch auf sich selbst zurück. Sie wendet den Blick zu Gott, zugleich aber sieht sie auch auf den eigenen Vorteil. Sie zielt nach dem höchsten Gut, aber sie trachtet, es zu genießen. Sie führt also nicht so sehr deshalb zu Gott. weil er unendlich gut in sich selbst ist, sondern weil er unendlich gütig ist gegen uns. Solche Liebe freilich ist eine Liebe, doch eine begehrliche Liebe. Noch ist der Grund, aus dem wir lieben, mit unserem Herzen haften an dem ersehnten Gut, kein anderer, als weil es unser Gut ist. Denn warum lieben wir Gott mit dieser Liebe der Begierlichkeit? Weil er unser Gut ist! Und warum lieben wir ihn über alles? Weil er unser höchstes Gut ist!

Aber siehe, Gott führt in einer Stufenfolge unaussprechlicher Lieblichkeit die Seele, nachdem er sie einmal aus dem Lande Ägypten, der Sünde, geführt hat, von Liebe zu Liebe, von einer Stufe zur andern, bis er sie einführt in das Land der Verheißung, in das eigentliche Heiligtum der Liebe, in die wahrhafte Freundschaft mit ihm, wo wir ihn lieben um seiner selbst willen und wegen seiner unendlichen Gutheit, die liebenswürdig ist über alles.

Eine wahrhafte Freundschaft ist diese Liebe. Denn gegenseitig ist sie, da Gott jede Seele von Ewigkeit liebt, die ihn liebt in der Zeit. Und eine erklärte und gegenseitig anerkannte Liebe ist es; denn weder kann unsere Liebe zu Gott ihm unbewußt sein, da er sie selbst uns verlieh, noch kann seine Liebe zu uns uns verborgen sein, da er so deutlich sie uns offenbarte und wir alles, was wir Gutes haben, als Wirkung seiner Liebe erkennen. Und endlich ist es auch eine ständig unterhaltene Liebe, da er nimmermehr aufhört, zu unserem Herzen zu sprechen durch allerlei Einsprechungen und Erleuchtungen; nimmermehr aufhört, uns Gutes zu tun, und uns zahllose Beweise gibt seiner innigsten Zartheit, all seine Geheimnisse uns offenbarend wie vertrautesten Freunden.

Unsere Liebe freilich ist nicht imstande, ihn zu lieben nach seiner ganzen Würdigkeit, so wenig als unser endlicher Geist vermögend ist, ihn zu schauen in seiner ganzen Unendlichkeit. Unsere Liebe kann immer vollkommener werden, doch unendlich kann sie nicht werden. Es ist schon eine außergewöhnliche Gnade und Wohltat Gottes gegen unsere Seelen, daß wir in diesem sterblichen Leibe wandelnd doch immer mehr zunehmen können an heiliger Liebe.

Gott ist es, der dieses Wachstum der Liebe in uns wirkt, je nachdem wir seine Gnade verwenden, gemäß jenem Ausspruch der Schrift:
»Wer hat, dem wird mehr gegeben, und er wird Überfluss haben«. Die vollkommene Vereinigung Gottes aber mit unseren Seelen wird erst im Himmel vollendet, wo nach der Geheimen Offenbarung die festliche Vermählung des Lammes gefeiert wird. Hienieden, in diesem vergänglichen Leben, heißt die Seele die Braut und Verlobte des Lammes. Erst wenn wir zum Himmel eingegangen sind, ist die Feier jener göttlichen Vereinigung. Erst dann ist das Band, das unsere Seele mit ihrem ersten
Ursprung vereint, ein ewiges, unzertrennliches.
Wohl sucht uns der göttliche Bräutigam heim; durch das Tor der Liebe des Wohlgefallens geht er in unsere Seelen ein und hält mit uns Gastmahl und wir mit ihm. Wir laben uns an seiner Freundlichkeit, durch die Freude, die wir darob empfinden. Wir ersättigen unser Herz an den göttlichen Vollkommenheiten, durch die Lust, die wir daran haben. So kommt er,
»der Geliebte, in seinen Garten«. Denn da es seine Freude ist, unter den Menschenkindern zu wohnen, wo könnte er lieber sein als in jenem Plätzchen der Seele, die er nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen? In diesem Garten pflanzt er selber das liebende Wohlgefallen, das wir an seiner Güte haben, wie auch hinwiederum seine Güte sich freut an unserem Wohlgefallen.

Durch diese heilige Liebe des Wohlgefallens genießen wir selber die Güter, die in der Gottheit sind, als wären es die unseren. »Mein Geliebter ist mein«, ruft da die Seele, »und ich bin sein!« In dieser heiligen Stimmung, da vermögen dich keine Geschöpfe zu stören, so hoch sie auch sein mögen, und wären es Engel. Denn in je höherem Grade die Seele Gottes unendliche Güte erschaut und seine Lieblichkeit kostet, um so mächtiger wird ihre Glut, durch immer größeres Lob ihn zu preisen. Da tritt es sogar zuweilen aus sich selbst heraus, um alle Geschöpfe einzuladen, dass sie mitwirken in seiner Absicht — ein Gefühl, das den heiligen Sänger, den König David, so mächtig durchströmte, daß er viele seiner Psalmen überschrieb: »Lobet Gott!« So sang auch der seraphische heilige Franz von Assisi den Sonnengesang und andere schöne Lieder, worin er die Geschöpfe einlädt, seinem liebeverwundeten Herzen zu Hilfe zu kommen, da er allein es nicht vermöchte, den geliebten Erlöser seiner Seele zu preisen nach seinem Willen.

Solch heilige Liebe, die stärker ist als der Tod, schmilzt die Herzen weit eigentlicher als jede andere Leidenschaft, wie die Geliebte im Hohen Liede singt: »Meine Seele ist zerschmolzen in mir, da mein Trauter geredet hat.« Was anders ist dies Zerschmelzen, als dass sie sich nicht mehr zu fassen vermag in sich selber, sondern zerfließt in ihren Geliebten? Solche Entzückung — denn nichts anderes ist dies Ergießen der Seele in ihren Gott — lässt die Seele ganz außerhalb ihrer natürlichen Grenzen treten, lässt sie in Gott zerrinnen und versinken ... woher es auch kommt, daß die glückseligen Menschen, die bis zu diesem Übermaß göttlicher Liebe gelangen, wenn sie nach solcher Entzückung wieder zu sich kommen, nichts mehr auf Erden sehen, das sie irgend befriedigen könnte. In gänzlicher Selbstvernichtung sind sie beinahe ohne Empfindung für das, was die Sinne berührt, und führen beständig das Wort der heiligen Theresia im Munde: »Was nicht Gott ist, ist mir nichts!« Dies war gewiss auch die Liebesstimmung jenes großen Freundes des göttlichen Meisters, der da sprach: »Ich lebe, doch nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir«, und »Unser Leben ist verborgen mit Christus in Gott.«

Nicht dass die Seele stürbe, die sich in Gott ergießt. Wie sollte sie auch sterben, da sie in den Abgrund des Lebens einströmt? Doch lebt sie, ohne in sich selbst zu leben. Wie die Sterne nicht mehr leuchten, wenn die Sonne zugegen ist, und doch ihr Licht nicht verlieren, sondern im Lichte der Sonne verborgen sind, so lebt auch, ohne ihr Leben zu verlieren, die so in Gott zerronnene Seele nicht mehr in sich, sondern Gott lebt in ihr.
S.156ff.
Aus: Gott in uns. Die Mystik der Neuzeit. Von Otto Karrer, Verlag "Ars sacra" Josef Müller, München