Friedrich der Große (1712 – 1786)
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Friedrich
II. war von 1740 - 1786 König von Preußen.
Als Kronprinz stand er in schärfsten Gegensatz zu seinem Vater, dem Soldatenkönig Friedrich I., der jungen
Friedrich mit Vorliebe züchtigte, in dem er ihn auf den Boden warf,
damit er ihn besser mit den Fäusten durchwalken konnte. Zum krönenden
Abschluss seiner Disziplinarmaßnahmen führte dann der liebevolle
Vater seinen ältesten Sohn zum Fenster und legte ihm den Vorhangsstrick
um den Hals. Erst nach einem Fluchtversuch nach England, der zur Hinrichtung seines intimen Freundes Hans Hermann von Katte führte
und seiner Festungshaft in Küstrin unterwarf er sich seinem Vater.
Obwohl im Grunde ein unbarmherziger militärischer Despot – wen
wundert’s bei dieser unmenschlichen Erziehung - war er Religion und
Philosophie gegenüber äußerst tolerant. Er pflegte u. a. mit Voltaire einen regen und philosophisch
durchaus bemerkenswerten Briefwechsel-Gedankenaustausch. So ist es zu erklären, dass er nach seinem Regierungsantritt der französischen Aufklärung in der Berliner Akademie eine Stätte zur Ausbreitung selbst ihrer extrem
materialistischen Ideen (Voltaire,
Maupertuis, Lamettrie) gewährte.
Der mit seinen Vernunft- und Humanitätsvorstellungen gar nicht zu vereinbarende
militärische Drang nach großen Taten führte ihn zur vertragsbrüchigen Annexion Schlesiens während der beiden Schlesischen Kriege 1740-42 und 1744/45. Seine bildungspolitischen Maßnahmen
verbesserten die Lehrerbildung und das Volksschulwesen. Friedrich zog jedoch zeitlebens die französische der deutschen Kultur vor und
stand der deutschen Literatur nahezu verständnislos gegenüber.
Sein umfangreiches Werk schrieb er weitgehend in französisch. In seinen
späteren Jahren ließ sich der oft starrköpfige, jedoch durchaus
volkstümliche »Alte Fritz« immer
mehr von einem zynischen politischen Realismus und Skeptizismus leiten. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
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Inhaltsverzeichnis
Weder
Metaphysik noch Materialismus Wildheit und Dummheit der Menschen Didaktik der Philosophie |
>>>Christus Jesu predigte eine gute Sittenlhre |
Weder
Metaphysik noch Materialismus
Unde? Ubi? Quo?
[Woher? Wo in aller Welt? Wohin?]
Wo kam ich her? Wo bin ich? Wohin geh‘ ich?
Ich weiß es nicht. Montaigne sagt: »Was
versteh‘ ich?«
Jeder Gelehrte, wenn wir ihn befragen,
Kann frei von Eitelkeit nichts weiter sagen.
Von wo aus säh‘ ich auch die Dinge scharf,
Ich, den das Gestern in das Weltall warf,
Ein Wesen, das der Zufall nur gebar?
Ein Etwas ist, wie es von jeher war;
Sein muß es, war‘ es Körper oder Geist:
Das ist das einz‘ge, was sich klar erweist.
Ich armes Wesen, wenn auch eng beschränkt,
Erstaunt von allem und vor allem blind,
Bin etwas doch, das fühlt und will und denkt
Und sich ein Ziel setzt, was es auch beginnt.
Und der Allmächtige, der diese Welt
Und mich erschuf und alles rege hält,
Der sollte keinen Zweck und Willen haben?
Er könnte mich mit Geisteskraft begaben
Und sollte selbst vernunftlos sein?
Jedoch ihr fragt, ob Pest und Kriegespein,
Die Leiden all in Leibern und in Seelen,
Ob Durst und Hunger, Gicht und Stein,
Der Menschheit Henker, die uns grausam quälen,
Ob Hagel, Donnerschläge und Orkane,
Zahllose Gifte und der Erde Beben,
Taifune, Wirbelstürme und Vulkane
Ein Vater seinen Kindern zum Geschenk gegeben?
Du solltest nicht die Weisheit Gottes zeihn,
Hochmüt‘ger Mensch, rebellisches Atom:
Sieh deines eignen Geistes Schwäche ein!
Der Ew‘ge hat durch diesen Damm den Strom
Vorwitz‘ger Neugier in sein Bett gebannt.
Er wollte wohl durch solche Finsternisse
Beschämen deinen herrischen Verstand,
Der, weil er einen schwachen Lichtschein fand,
Wähnt, daß sich alle Wahrheit ihm erschließe.
Du meinst, es fehle dir zu deinem Glück,
Daß Gott vor deinem trüben Menschenblick
Enthüllt den ganzen weiten Weltenbau?
Damit sein Ratschluß deinen Beifall fände,
Heischst du von ihm die Überschau
Von aller Dinge Ziel und Ende.
Woher das Übel? Wie ich es auch wende,
Sein Ursprung bleibt mir immer schleierhaft.
Das eine nur ergibt sich, daß mein Geist
In seiner engumschränkten Sphäre kreist.
Doch anzunehmen, daß die blinde Kraft,
Der Stoff, der Ursprung aller Dinge sei,
Ist widersinnig, eitle Deutelei.
Sinnlos ist eins, das andre unerklärlich;
Zwei Klippen starren, beide gleich gefährlich.
Da gilt die Wahl: S i n n l o s e s gibt es schwerlich;
Drum wend‘ ich selber mich zum D u n k e l n hin
Und überlasse euch den Widersinn.
Ein Gedicht aus den letzten Lebensjahren des Königs.
—Werke X. S. 253 f.
Entnommen aus: Friedrich der Große und die Philosophie, Texte und Dokumente
Mit einem einleitenden Essay herausgegeben von Bernhard Taureck
Reclams Universalbibliothek Nr. 3772 (S. 78-80) © 1986 Philipp Reclam jun.,
Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlages
Wildheit
und Dummheit der Menschen
Ihr Eifer entbrennt gegen die Jesuiten und gegen den Aberglauben. Sie tun gut
daran, gegen den Irrtum zu kämpfen, aber glauben Sie, daß die Welt
sich ändern wird? Der menschliche Geist ist schwach; mehr als Dreiviertel
der Menschen sind für die Sklaverei des abgeschmacktesten Fanatismus geschaffen.
Die Furcht vor Teufel und Hölle blendet ihre Augen und verabscheut den
Weisen, der sie aufklären will. Die Masse unserer Gattung ist dumm und
boshaft. Ich suche in ihr vergebens nach dem Ebenbilde Gottes, von dem sie nach
der Versicherung der Theologen geprägt sein soll. Jeder Mensch hat ein
wildes Tier in sich; wenige wissen es zu bändigen, die meisten lassen es
los, wenn der Schrecken des Gesetzes sie nicht zurückhält.
Aus einem Brief an Voltaire vom 31. Oktober 1760.
—Bardong. 5. 407—409.
Entnommen aus: Friedrich der Große und die Philosophie, Texte und Dokumente
Mit einem einleitenden Essay herausgegeben von Bernhard Taureck
Reclams Universalbibliothek Nr. 3772 (S. 98-99) © 1986 Philipp Reclam jun.,
Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlages
Didaktik
der Philosophie
Lassen wir den Mathematiker und Theologen beiseite, da sich der Gewißheit
des einen nichts hinzufügen läßt und man die Volksmeinungen
in Bezug auf den andern nicht antasten darf.
Ich nehme mir zuerst den Philosophen vor. Ich würde verlangen, daß
er seinen Kursus mit einer genauen Definition des Begriffes Philosophie beginnt.
Dann soll er bis auf die fernsten Zeiten zurückgehen und all die verschiedenen
philosophischen Systeme in der Reihenfolge, in der sie gelehrt worden sind,
nacheinander durchgehen. So würde es z. B. nicht genügen, wenn er
seinen Schülern von den Stoikern sagt, sie nähmen in ihrem System
an, daß die menschlichen Seelen Teile der Gottheit seien. So schön
und erhaben dieser Gedanke auch ist, so muß der Professor doch auf den
in ihm liegenden Widerspruch hinweisen. Denn wäre der Mensch ein Teil der
Gottheit, so besäße er unbegrenztes Wissen; das aber hat er nicht.
Wäre Gott in den Menschen, so könnte es jetzt geschehen, daß
der englische Gott sich mit dem französischen und spanischen bekriegte,
daß diese verschiedenen Teile der Gottheit sich gegenseitig zu vernichten
suchten und daß endlich alle von den Menschen begangenen Missetaten und
Verbrechen göttliche Werke wären. Welcher Aberwitz, solche Abscheulichkeiten
anzunehmen! Sie sind also nicht wahr.
Kommt er zum System Epikurs, so wird er vor allem
auf die Gleichgültigkeit verweisen, die der Philosoph seinen Göttern
beilegt, die aber der göttlichen Natur widerspricht. Er wird nicht vergessen,
auf die Ungereimtheit der Lehre von der Abweichung der Atome, sowie auf alles
aufmerksam zu machen, was der Exaktheit und Folgerichtigkeit des logischen Denkens
widerstrebt. Er wird ohne Zweifel auch die Sekte der Skeptiker erwähnen
und darauf hindeuten, wie notwendig es oft ist, sein Urteil in metaphysischen
Fragen zurückzuhalten, da weder Analogie noch Erfahrung uns einen Faden
reichen, der uns durch dies Labyrinth führt. Dann wird er auf Galilei kommen, wird dessen System klarlegen und dabei den Aberwitz des römischen
Klerus ins rechte Licht setzen, der nicht dulden wollte, dass die Erde
sich dreht, und der sich gegen die Antipoden auflehnte, aber trotz seiner vermeintlichen
Unfehlbarkeit seinen Prozess wenigstens diesmal vor dem Richterstuhl der
Vernunft verlor. Dann kommt Kopernikus, Tycho de Brahe, das System der Wirbel. Der Professor wird seinen Hörern die Unmöglichkeit
des vollen Raumes klarmachen, die jede Bewegung ausschlösse. Er wird trotz
Descartes klar beweisen, dass die Tiere keine Maschinen sind. Daran wird
sich ein Abriß des Newtonschen Systems vom
leeren Raume schließen, den man annehmen muß, ohne sagen zu können,
ob das eine Negation des Daseins oder ob die Leere ein Wesen sei, von dessen
Natur wir uns keinen bestimmten Begriff machen können. Das hindert jedoch
nicht, daß der Professor seine Hörer von der völligen Übereinstimmung
des von Newton berechneten Systems mit den Naturerscheinungen unterrichtet,
die die Neueren zur Annahme der Schwere, der Gravitation, der Zentripetal- und
Zentrifugalkraft nötigt, verborgenen Eigenschaften der Natur, die bis auf
diesen Tag unerforscht geblieben sind. Nun wird die Reihe an
Leibniz kommen, an das Monadensystem und die
prästabilierte Harmonie. Der Professor wird
zweifellos darauf hinweisen, daß es ohne Einheit keine Zahl gibt. Es müssen
also unteilbare Körper angenommen werden, aus denen die Materie besteht.
Er wird seinen Zuhörern klarmachen, daß die Materie theoretisch unendlich
teilbar ist, daß aber in der Wirklichkeit die Urkörper sich wegen
ihrer zu großen Kleinheit der Wahrnehmung entziehen und dass man
notwendig unzerstörbare Atome annehmen muss, die die Grundlage der
Elemente bilden; denn aus nichts entsteht nichts, und nichts geht zu Grunde. Der Professor wird das System der prästabilierten Harmonie als den Roman
eines genialen Mannes darstellen und gewiss hinzufügen, dass
die Natur den kürzesten Weg nimmt, um zu ihren Zielen zu gelangen. Er wird
bemerken, dass man die Dinge nicht ohne Notwendigkeit vervielfältigen
darf.
Dann wird Spinoza an die Reihe kommen. Er wird ihn
ohne Mühe mit den gleichen Argumenten widerlegen, die er gegen die Stoiker
angewandt hat. Wenn er Spinozas System da angreift, wo es die Existenz des höchsten
Wesens zu leugnen scheint, so wird es ihm leicht fallen, es zu Staub zu zermalmen,
zumal wenn er die Bestimmung jedes Dinges, den Zweck aufzeigt, wozu es geschaffen
ist. Alles, selbst das Wachstum eines Grashalmes, beweist das Dasein Gottes.
Wenn der Mensch auch nur einen Funken von Verstand besitzt, den er sich nicht selbst gegeben hat, mit wieviel mehr Grund muss dann das Wesen, von dem
er alles hat, einen unendlich tieferen und unermesslichen Verstand besitzen!
Unser Professor wird Malebranche nicht ganz übergehen. Er wird die Grundlehren dieses gelehrten Paters aus dem Orden
des Oratoriums entwickeln und dabei zeigen, daß die daraus von selbst
entfließenden Folgerungen zur Lehre der Stoiker zurückführen,
zur Annahme einer Weltseele, von der alle lebenden Wesen Teile sind. Wenn wir
aber in Gott alles sehen, wenn unsre Gefühle, Gedanken und Wünsche
und unser Wille unmittelbar aus seiner geistigen Einwirkung auf unsre Organe
entstehen, so werden wir zu Maschinen, die Gottes Hand bewegt. Gott allein bleibt,
und der Mensch verschwindet.
Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass der Professor, wenn er Verstand hat,
nicht den weisen Locke vergisst, den einzigen
Metaphysiker, der die Phantasie dem gesunden Menschenverstand geopfert hat,
sich an die Erfahrung hält, soweit sie ihn führen kann, und klüglich
haltmacht, wenn dieser Führer versagt.
In der Sittenlehre wird der Professor einige Worte über
Sokrates sagen, Mark Aurel gerecht werden
und ausführlicher auf Ciceros Buch »Von
den Pflichten« eingehen, das beste Moralbuch, das man je geschrieben
hat und schreiben wird.
Aus: Über die deutsche Literatur. Die Mängel,
die man ihr vorwerfen kann, ihre Ursachen und die Mittel zu ihrer Verbesserung
(1780).— Werke VIII S. 89—91.
Entnommen aus: Friedrich der Große und die Philosophie, Texte und Dokumente
Mit einem einleitenden Essay herausgegeben von Bernhard Taureck
Reclams Universalbibliothek Nr. 3772 (S. 145-148) © 1986 Philipp Reclam
jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlages