Pierre Gassendi (1592 – 1655)
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Französischer
Philosoph, Astronom und Physiker, der ursprünglich Philosophie und Theologie studiert hat. 1614 wurde
er Doktor der Theologie und 1616 zum Priester geweiht. Gassendi
wandte sich gegen den Aristotelismus der Scholastik und vertrat eine Physik, nach der die Welt sich zwar mechanistisch beschreiben,
nicht aber ohne göttlichen Ursprung erklären lässt. Seine an die Atomlehre Epikurs
anknüpfenden Theorien suchte er mit der kirchlichen Lehre zu vereinbaren.
Als Astronom und Physiker befasste sich Gassendi intensiv mit astronomischen und physikalischen Beobachtungen und Experimenten.
So beobachtete er u. a. auch den von Kepler vorausgesagten
Merkurdurchgang auf der Sonnenscheibe und setzte sich mit dem Problem der
scheinbaren und der wirklichen Sonnengröße auseinander. In seinen
physikalischen und astronomischen Arbeiten verteidigte er die - gegen das geozentrische Weltbild gerichtete - Lehre von Kopernikus und Galilei. Seine 1641 veröffentlichten Einwände gegen Descartes’
»Meditationen über die Grundlagen der Philosophie« waren gegen dessen idealistisch geprägten Rationalismus gerichtet. In seinem Einwand
gegen die fünfte Meditation warf er beispielweise Descartes
vor, dass er in ungerechtfertigter Weise die Existenz unter die Vollkommenheit oder die Eigenschaften
Gottes rechne. Siehe auch Wikipedia |
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Gott hat die
Atome als endliche Materia Prima geschaffen
Wenn man die Ansicht jener Leute betrachtet, die es für sehr wahrscheinlich
halten, daß die erste und universale Materie,
aus der alle Dinge
bestehen, Atome sind,
was Aneponymus* mit den folgenden Worten kommentiert: »Es gibt keine Ansicht, die so falsch wäre, daß sie nicht ein wenig mit Wahrheit gemischt wäre. Aber diese Wahrheit ist leider durch die Mischung verdunkelt.« Dann fährt er fort: »Wenn
die Epikureer sagen, der Kosmos bestehe aus Atomen, so ist das richtig. Aber
es ist eine Fabel zu behaupten, wie sie es tun, diese Atome seien ungeschaffen,
verschieden voneinander, und sie würden in einer großen Leere herumfliegen,
und schließlich würden zu vier großen Körpern vereinigt.«
*Aneponymus war das Pseudonym
von Wilhelm von Conches (1080 - 1145).
Natürlich existiert kein Grund, die Hypothese zu verwerfen, die Materie des Kosmos und die in ihm enthaltenen Dinge seien Atome, unter der Voraussetzung,
es wird alles abgetrennt, was an dieser Hypothese falsch ist. Um es deutlicher
zu sagen, wir müssen die Ansicht aufgeben, die Atome seien ewig, ungeschaffen,
unendlich an Zahl, auch wenn sie jede beliebige Gestalt annehmen können. Es kann in dieser Hinsicht zugestanden werden, daß die Atome die Materia
Prima ausmachen, die Gott zu Beginn als endlich geschaffen hat, zu unserem sichtbaren
Kosmos formte, durch die verschiedenen Durchgangsstadien hindurchgehen ließ,
und aus denen schließlich alle Körper in der Natur entstanden sind.
Wird die Hypothese in dieser Weise aufgestellt, dann ist sie nicht abwegig und
braucht nicht dringender verbessert zu werden als jene von Aristoteles und andern, die ähnlich die Materia Prima für
ewig, ungeschaffen und unendlich
halten. Die Theorie hat den weiteren Vorteil, ausreichend zu erklären, wie die Verbindungen und Auflösungen bis zu den ursprünglichen Prinzipien funktionieren,
wie etwas zu einem widerstandsfähigen Körper wird, groß oder
klein, dünn oder dicht, weich oder hart, zierlich oder dick usw. Eigenschaften
dieser Art können nicht ohne weiteres aus anderen Hypothesen abgeleitet
werden, bei denen z. B. die Materie als unendlich
teilbar gilt, oder als reine
Potenz oder geformt
oder von ungenügender Formvielfalt oder versehen mit primären und
sekundären Qualitäten,
aber Qualitäten, die entweder ungenügend sind oder ungeeignet für
die Erklärung der Vielfalt der natürlichen
Objekte.
Im folgenden müssen wir die Ansicht aufgeben, Atome hätten eine Eigenbewegung
oder eine Kraft,
so daß sie von Ewigkeit her ziellos umherirren
und es immer noch tun. Wir können zwar zugestehen, daß Atome in Bewegung
sind: Sie werden bewegt durch eine treibende und handelnde Kraft, die ihnen
von Gott bei der Schöpfung mitgegeben wurde und durch die er mitwirkt,
indem er bei allen Dingen so handelt, daß sie erhalten bleiben. Schlagartig
korrigiert das eine Fehlinterpretation, und auch andere Auffassungen müssen
berichtigt werden, in denen der Materie Bewegung und Handlung zugeschrieben
werden, wie das bei den Platonikern ausdrücklich geschieht, die der Ansicht
sind, dass sich die Materie seit Ewigkeit ohne Zusammensetzung bewegt. Die Bewegung
der Materie ist vom Schöpfer festgelegt worden. (Es ist offensichtlich
dieser Gedanke der ewigen Bewegung, weshalb Aristoteles Platon
mit Leukippos zusammenbringt, dem Urheber der
Atomtheorie, insofern beide sagten: »Es
gab schon immer Bewegung«.)
Unsere verbesserte Hypothese hat den Vorzug, den Ursprung und die letzte Wurzel deutlich zu zeigen, in denen
jede Bewegung und jede Tätigkeit entsteht, aus den Sekundärursachen,
wie man sie nennt. Andere Hypothesen können das nicht so deutlich zu erklären,
besonders was das Formprinzip anbelangt, welches sie als den Ursprung aller
Bewegung und Tätigkeit ansehen; denn einerseits wollen sie alles Sein auf die Materie zurückführen, andererseits geben sie aber zu, die
Materie sei untätig und ohne irgend eine bewegende oder aktive Kraft. Es
ist beachtenswert, daß Platon, obgleich er
nicht ausdrücklich von Atomen spricht, ihr Wesen
doch als von einer Zartheit beschrieb, die nicht mit den Sinnen wahrnehmbar
ist, nur mit dem Intellekt. Über diese ganz kleinen Teilchen sagt er: »Es ist ausgesprochen vernünftig,
dass Gott für die Anzahl, die Bewegung und andere Eigenschaften vorgesorgt
hat, denen die Natur
mit Notwendigkeit gehorcht, ihnen folgt usw.« Entsprechend können wir unterstellen,
daß Gott am Anfang eine so große Menge von Atomen geschaffen hat,
wie sie nötig war, um die ganze Welt zu bilden. Nicht dass Gott gezwungen
gewesen wäre, die Atome einzeln zu erschaffen, um sie dann zu immer größeren Einheiten zusammenzufügen,
aus denen die Welt entstanden ist, sondern er hat eine ganze Menge von Materie
geschaffen, die sich in Teile zerlegen lässt und zwar in sehr kleine, die er geschaffen hat. Man kann
ebenfalls annehmen, daß jedes einzelne Atom von seinem Schöpfer,
wie klein auch immer die Masse sein mag, das Gewicht erhalten hat, die Größe,
die Form und alle unvorstellbaren Verschiedenheiten; ebenso auch die Kraft, sich zu bewegen, zu verschieben, sich zu entwickeln und folglich voneinander
zu lösen, hinaufzusteigen, vorwärts zu drängen, vorzustoßen,
zurückzuschlagen, zurückzugehen, sich gegenseitig zu erfassen, sich
anzuziehen, zu verdrängen usw., wie er es für ihr Ziel und ihren Zweck
für gut gehalten hat. Physica, in: Opera omni,
tomus primus, Leiden 1658
Gassendis
Einwand gegen die fünfte
Meditation von Descartes:
Über das Wesen der materiellen Dinge und nochmals über das Dasein
Gottes.
1. In der fünften sagst Du zuerst, daß sich Dir deutlich in der Einbildung
darstelle ,,die Größe, d. h. die Ausdehnung
nach Länge, Breite und Tiefe, ebenso die Zahl, Gestalt, Lage, Bewegung,
Dauer“. Aus diesen allen, wovon Du
behauptest, die Ideen zu besitzen, wählest Du die Figur aus und aus den
Figuren das Dreieck, über das Du folgendes sagst: ,,Obgleich
vielleicht eine solche Figur nirgend in der Welt außer meinem Bewußtsein
existiert, noch je existiert hat, so hat sie dennoch fürwahr eine bestimmte
Natur, die nicht von mir ausgedacht ist, noch von meinem Geiste abhängt,
wie daraus hervorgeht, daß sich von diesem Dreieck mancherlei Eigenschaften
beweisen lassen, wie, daß seine drei Winkel gleich zwei rechten sind,
daß bei ihm dem größten Winkel die größte Seite
gegenüberliegt und dergleichen, was ich jetzt klar erkenne, ich mag wollen
oder nicht, wenngleich ich vorher keineswegs an diese Eigenschaften gedacht
habe, als ich mir das Dreieck vorstellte, und ich sie also auch nicht erdacht
haben kann“. Das ist nun alles, was Du über die Wesenheit (essentia) der materiellen Dinge zu sagen
hast; denn das wenige, was Du hinzufügst, kommt auf dasselbe hinaus. Und
so will ich hieran nicht hängen bleiben, ich möchte nur bemerken, daß zu hart erscheint, ,,irgendeine unveränderliche
und ewige Natur außer dem dreimalgrößten Gotte“
festzustellen.
Du wirst sagen, Du brächtest nichts anderes vor, was man in den Schulen
vorträgt, daß die Naturen oder Wesenheiten der Dinge ewig seien und
daß über sie Sätze von ewiger Wahrheit aufgestellt würden.
Doch das ist eine ebensolche Härte und wohl nur sehr schwer jemand davon
zu überzeugen: denn wie soll man verstehen, daß eine menschliche
Natur existiert, obwohl kein Mensch existiert; oder daß die Rose eine
Blume ist, wenn es nicht einmal eine Rose gibt.
Man sagt zwar, es sei etwas anderes, über die Wesenheit
(essentia), und wieder etwas anderes, über das Dasein
(existentia) der Dinge zu sprechen, und
es bestehe allerdings das Dasein der Dinge nicht von Ewigkeit her, aber doch
die Wesenheit. Jedoch, wenn das Vorzüglichste, was in den Dingen ist, die
Wesenheit ist, was vollbringt denn dann Gott Großes, wenn er das Dasein
hervorbringt? Offenbar tut er nicht mehr, als wenn ein Schneider einem Menschen
einen Rock anzieht. Und doch, wie wird man die Behauptung verteidigen, daß die Wesenheit des Menschen, die z. B. in Plato steckt, ewig ist und unabhängig von Gott? Werden sie sagen, sofern sie
universell ist? Aber alles, was in Plato vorhanden ist, ist etwas Besonderes
(singulare). Und zwar pflegt der Verstand nach der Beobachtung, daß die
Naturen eines Plato, Sokrates und der übrigen Menschen ähnlich sind,
aus ihnen einen gewissen gemeinsamen Begriff zu abstrahieren, der auf alle paßt
und der demnach als die universelle Natur oder Wesenheit des Menschen angesehen
werden kann, insofern man einsieht, daß er auf jeden Menschen paßt.
Aber daß er universell gewesen ist, bevor Plato und die übrigen Menschen
da waren und der Verstand ihn abstrahierte, das kann man wirklich nicht erklären.
Du wirst sagen, war denn dieser Satz: ,,Der Mensch ist
ein lebendes Wesen“, nicht auch, ehe es einen Menschen gab, und
so von Ewigkeit her, wahr? Aber er scheint es ganz und gar nicht zu sein, außer
in dem Sinne, daß, wenn immer ein Mensch sein wird, er ein Lebewesen sein
muß. Mag nämlich immerhin ein Unterschied zu bestehen scheinen zwischen
diesen beiden Sätzen: ,,der Mensch ist da“
und ,,der Mensch ist ein Lebewesen“, weil
in dem ersten mehr das Dasein ausdrücklich ausgesprochen wird und in dem
letzteren die Wesenheit; so wird doch weder von jenem die Wesenheit ausgeschlossen,
noch von diesem das Dasein; sondern wenn man sagt, ,,der
Mensch ist da“, dann wird der Mensch als ein Lebewesen aufgefaßt,
und wenn man sagt, ,,der Mensch ist ein Lebewesen“,
so versteht man ,,den Menschen, insofern er existiert“.
Da außerdem aber dieser Satz, ,,der Mensch ist ein
Lebewesen“ nicht von größerer Notwendigkeit ist als
der, ,,Plato ist ein Mensch“, so muß
also auch dieser von ewiger Wahrheit sein, und die singuläre Wesenheit
Platos kann nicht weniger unabhängig von Gott sein, als die universelle
des Menschen, und anderes der Art, was weiter zu verfolgen langweilig wäre.
Indessen füge ich hinzu: wenn man sagt, der Mensch sei von solcher Natur,
daß er nicht sein kann, ohne ein Lebewesen zu sein, so darf man sich deshalb
nicht einbilden, eine solche Natur sei irgend etwas oder irgendwo außer
dem Verstande, sondern daß der Sinn nur der ist: dazu, daß irgend
etwas ein Mensch ist, muß es selbst den übrigen Dingen ähnlich
sein, denen man auf Grund der wechselseitigen Ähnlichkeit eben diese Bezeichnung
Mensch beigelegt hat: auf Grund der Ähnlichkeit, wie gesagt, zwischen singulären
Naturen, aus der der Verstand die Handhabe gewonnen hat, den Begriff (conceptus)
oder die Idee (idea) oder den Inbegriff (forma) einer gemeinsamen Natur zu bilden,
von der nicht abweichen darf, was immer Mensch sein will.
Von diesem Standpunkt aus sage ich dasselbe über Dein Dreieck und seine
Natur. Denn das Dreieck ist gewissermaßen eine geistige Regel, mit deren
Hilfe Du ermittelst, ob irgend etwas verdient, als Dreieck bezeichnet zu werden;
aber man darf darum nicht sagen, daß ein solches Dreieck etwas Reales
und eine wirkliche Natur außer dem Verstande sei, der allein sie nach
Maßgabe der geschauten materiellen Dreiecke ebenso, wie ich es über
die menschliche Natur ausgeführt habe, gebildet und verallgemeinert hat.
Soweit darf man auch nicht meinen, die von den materiellen Dreiecken bewiesenen
Eigenschaften träfen deshalb auf sie zu, weil sie sie von dem idealen Dreiecke
hernehmen, da vielmehr sie selbst (die materiellen Dreiecke) sie in sich haben,
und nicht das ideale; höchstens, daß der Verstand auf Grund der Einsicht
in sie (die materiellen Dreiecke) sie (die Eigenschaften) ihm beigelegt hat,
um sie später beim Beweise ihnen zurückzuerstatten; in derselben Weise,
wie die Eigenschaften der menschlichen Natur nicht darum in Plato und Sokrates
sind, weil sie sie von der universalen Natur bekommen hätten, da vielmehr
die universale Natur sie daher enthält, weil der Verstand sie ihr beigelegt
hat, nachdem er sie in Plato, Sokrates und anderen beobachtet hat, um sie ihnen
dann der Reihe nach zurückzugeben, wenn das zum Behufe des Beweises nötig
ist.
Es ist nämlich bekannt, daß der Verstand
aus der Kenntnisnahme des Plato, Sokrates und anderer, die alle vernunftbegabt sind, folgenden allgemeingültigen Satz erschlossen
hat: ,,jeder Mensch ist vernunftbegabt“,
und dann, wenn er beweisen will, daß Plato vernunftbegabt ist, daß er diesen Satz als Prinzip in den Syllogismus einführt. Nun sagst Du allerdings, verehrter Geist, ,,Du hättest die Idee des Dreiecks und würdest sie haben, selbst wenn
Du nie eine dreieckige Figur unter den Körpern gesehen hättest, wie
Du sie besitzest von mehreren anderen Figuren, die Dir niemals in die Sinne
gelangt sind“.
Doch wenn Du so, wie ich oben sagte, bis jetzt aller Funktionen
der Sinne beraubt gewesen wärest, daß Du niemals gesehen noch verschiedene
Oberflächen oder Ecken von Körpern betastet hättest, meinst Du,
Du hättest die Idee des Dreiecks oder einer anderen Figur haben oder in
Dir bilden können? ,,Du hast jetzt mehrere
in Dir, die nicht durch die Sinne in Dich hineingekommen sein können?"
Das macht allerdings keine Schwierigkeit, weil Du sie aus denen, die in Dich
hineingelangt sind, in mannigfaltiger Weise bildest und formst in der oben auseinandergesetzten
Art.
Es müßte hier außerdem von jener falschen Natur des Dreiecks
gesprochen werden, von der man annimmt, sie bestehe aus Linien ohne Breite,
und wonach das Dreieck eine Fläche ohne Tiefe enthält, und in drei
Punkten endet, die gar keine Ausdehnung haben; doch damit wurde ich zu weit
abschweifen.
2. Du unternimmst sodann, das Dasein Gottes zu beweisen, und die Kraft Deines
Beweises liegt
in den Worten: ,,Achtet man darauf, so wird einem offenbar,
daß sich das Dasein von der Wesenheit Gottes ebensowenig trennen läßt,
wie von der Wesenheit des Dreiecks, daß die Größe seiner drei
Winkel zwei rechte beträgt, oder von der Idee des Berges die Idee des Tales.
Es widerstreitet daher ebensosehr, sich einen Gott (d. h. ein höchst vollkommenes
Wesen) zu denken, dem das Dasein mangele (d. h. dem eine gewisse Vollkommenheit
mangele), als einen Berg zu denken ohne Tal“. Hier ist nun zu beachten,
daß Dein Vergleich nicht ganz richtig sein dürfte.
Denn Du vergleichst zwar mit Recht Wesenheit mit Wesenheit; aber Du vergleichst
darauf nicht entweder Dasein mit Dasein, oder Eigenschaft mit Eigenschaft, sondern
Dasein mit Eigenschaft. Demnach hätte man wohl auch sagen können,
es lasse sich ebensowenig die Allmacht z. B. von Gottes Wesenheit trennen, wie
von der Wesenheit des Dreiecks jene Gleichung von der Größe seiner
Winkel; oder mindestens, es lasse sich ebensowenig das Dasein Gottes von seiner
Wesenheit trennen, wie von der Wesenheit des Dreiecks sein Dasein. So nämlich
wären beide Vergleiche passend, und man hätte Dir nicht nur den ersteren
zugegeben, sondern auch den zweiten. Und doch hättest Du deshalb nicht
bewiesen, daß Gott notwendig existiert, weil auch das Dreieck nicht notwendig
existiert, obgleich seine Wesenheit und sein Dasein der Sache nach sich nicht
voneinander trennen lassen, wie sehr sie auch der Geist scheide oder gesondert
denke; wie auch die göttliche Wesenheit und das göttliche Dasein getrennt
gedacht werden können.
Sodann ist zu beachten, daß Du das Dasein unter die göttlichen Vollkommenheiten
stellst, und es doch nicht unter die Vollkommenheiten des Dreiecks oder des
Berges stellst, wo es doch ebenso und bei jedem Dinge nach seiner Art als Vollkommenheit
bezeichnet werden kann. Doch es ist natürlich weder bei Gott noch bei irgendeinem
anderen Dinge das Dasein eine Vollkommenheit, sondern das, ohne welches es keine
Vollkommenheiten gibt.
Denn was nicht existiert, hat weder
Vollkommenheit noch Unvollkommenheit, und was existiert
und eine Reihe von Vollkommenheiten hat, hat nicht das Dasein als noch eine
besondere Vollkommenheit, als eine unter den übrigen, sondern als das,
wodurch es selbst wie die Vollkommenheiten existierend ist, und ohne das man
weder von ihm selbst sagen kann, es habe die Vollkommenheiten, noch von
den Vollkommenheiten, etwas habe sie. Daher sagt man von dem Dasein nicht, daß
es in einem Dinge nach Art der Vollkommenheiten existiere, noch sagt man von
einem Dinge, dem das Dasein mangelt, daß es unvollkommen (oder einer Vollkommenheit
bar) sei, als vielmehr, daß es gar nicht sei.
Wie Du daher bei der Aufzählung der Vollkommenheiten des Dreiecks das Dasein
nicht aufführst und dementsprechend nicht den Schluß ziehst, daß
das Dreieck existiert, so durftest Du auch nicht bei der Aufzählung der
Vollkommenheiten Gottes sein Dasein darunter rechnen, um den Schluß zu
ziehen, daß Gott existiert wenn Du nicht einen Zirkelschluß begehen
wolltest.
Du sagst, ,,in allen anderen Dingen sei das Dasein von
der Wesenheit unterschieden, nicht jedoch in Gott“. Doch, bitte
sehr, wie lassen sich das Dasein Platos und die Wesenheit Platos anders voneinander
unterscheiden, als nur durch Denken? Nimm nämlich einmal an, Plato existiere
nicht mehr — wo wird denn seine Wesenheit sein? Ist nicht ebenso Gottes
Wesenheit und Dasein nur im Denken verschieden?
Du machst Dir den Einwand, daß, ,,wie daraus, daß
man den Berg mit dem Tale oder ein Pferd geflügelt denkt, darum nicht folgt,
daß der Berg oder ein solches Pferd existiert, so vielleicht daraus, daß
Du Gott als daseiend denkst, noch nicht folge, daß er existiert“. Und dann weisest Du nach, daß ein Trugschluß darin steckt.
Doch es wäre nicht schwer gewesen, den Trugschluß zu lösen,
den Du selbst herbeigeführt hast besonders dadurch, daß Du das, was
so offenbar widersprechend ist, angenommen hast, der existierende Gott existiere
nicht, und es doch nicht dementsprechend angenommen hast vom Menschen oder Pferde.
Aber wenn, Du wie den Berg mit dem Tale und das Pferd mit den Flügeln,
so Gott mit seinem Wissen, seiner Macht und den anderen Attributen angenommen
hättest, dann wäre die Schwierigkeit weitergegangen und es wäre
Dir die Aufgabe zugefallen, zu erklären, wie es möglich ist, daß
man den Berg als ansteigend oder das Pferd als geflügelt denken kann, ohne
daß sie zu existieren brauchen, während wir unmöglich Gott als
wissend und mächtig denken, ohne zugleich zu denken, daß er existiert.
Du sagst, ,,es stünde nicht frei, Gott ohne Dasein
— d. h. das vollkommenste Wesen ohne die ganze Vollkommenheit —
zu denken, wie es freisteht, sich ein Pferd mit oder ohne Flügel vorzustellen“. Aber dem ist nun nur hinzuzufügen, daß, wie es freisteht, ein Pferd
zu denken, das keine Flügel hat, ohne das Dasein zu denken, das, wenn es
hinzukommt, nach Dir als eine Vollkommenheit in ihm wäre, es so freisteht,
Gott zu denken im Besitze des Wissens, der Macht und der übrigen Vollkommenheiten,
ohne das Dasein zu denken, dessen Besitz ihn allerdings höchst vollkommen
machen würde. Wie daher daraus, daß von einem Pferde, das im Besitz
der Vollkommenheit der Flügel gedacht wird, deswegen nicht gefolgert wird,
daß es das Dasein, nach Dir die vorzüglichste aller Vollkommenheiten,
besitzt, so wird auch nicht daraus, daß Gott im Besitz des Wissens und
der übrigen Vollkommenheiten gedacht wird, deswegen sein Dasein gefolgert,
sondern es ist erst noch zu beweisen. Und wenn Du behauptest, ,,daß
sowohl das Dasein wie die übrigen Vollkommenheiten in der Idee des höchst
vollkommenen Wesens begriffen werden“, so behauptest
Du, was zu beweisen ist, und nimmst die Schlußfolgerung als Voraussetzung
(principium) an. Denn sonst würde ich auch behaupten, daß
in der Idee des vollkommenen Pegasus nicht nur die Vollkommenheit enthalten
ist, daß er Flügel hat, sondern auch die, daß er existiert.
Wie nämlich Gott als vollkommen in jeder Art Vollkommenheit gedacht wird,
so wird der Pegasus als vollkommen in seiner Art gedacht. Und offenbar läßt
sich hier nichts dagegen einwenden, daß unter Berücksichtigung desselben
Verhältnisses es nicht für beide Seiten Anwendung finden könnte.
Du sagst, ,,wie es, wenn man ein Dreieck denkt, nicht
notwendig ist zu denken, daß seine drei Winkel gleich zwei rechten sind,
mag das auch nicht weniger wahr sein, wie einem später einleuchtet, wenn
man darauf achthat, so könne man zwar andere Vollkommenheiten Gottes denken,
ohne das Dasein zu denken, aber das könne darum nicht weniger wahr sein,
wenn man beachtet, daß es eine Vollkommenheit ist“. Doch
siehst Du, was man dagegen sagen könnte: nämlich wie man später
beachtet, daß jene Eigenschaft im Dreieck ist, weil sie durch den Beweis
erhärtet wird, so müsse, damit man beachtet, daß das Dasein
in Gott ist, es durch Beweis erhärtet werden. Sonst könnte ich wirklich
jedes Beliebige an all und jedem leicht nachweisen.
Du sagst, ,,wenn Du Gott alle Vollkommenheiten beilegst,
tust Du nicht dasselbe, wie wenn Du glaubtest, alle vierseitigen Figuren ließen
sich einem Kreise einschreiben, da Du ja, wie Du hier Dich täuschest, weil
Du später gewahr wirst, daß der Rhombus sich nicht einschreiben läßt,
Dich dort nicht so täuschest, weil Du später gewahr wirst, daß
das Dasein Gott zukommt“. Aber offenbar tust Du durchaus dasselbe,
oder wenn Du es nicht tust, so mußt Du unbedingt zeigen, daß das
Dasein Gott nicht widerstreitet, wie es sich zeigen läßt, daß
es dem Rhombus widerstreitet, einem Kreise eingeschrieben zu werden. Das übrige
übergehe ich, was Du entweder nicht erklärst, oder nicht beweisest,
oder was durch das schon Beigebrachte widerlegt wird, z. B.: ,,man
könnte sich nichts ausdenken, zu dessen Wesenheit das Dasein gehörte,
als Gott allein“; ,,man könne nicht
zwei oder mehrere Götter dieser Art begreifen“; ,,ein solcher Gott
habe von Ewigkeit her existiert und würde in Ewigkeit bleiben“;
,,Du erfaßtest in Gott noch vieles andere, von dem
sich nichts abziehen noch verändern lasse“; da müßte
man näher zuschauen und sorgfältiger nachspüren, damit es aufgedeckt
und für gewiß gehalten werden kann, usw.
3. Zum Schluß erklärst Du, ,,die Gewißheit
und die Wahrheit alles Wissens hänge einzig von der Erkenntnis des wahren
Gottes ab, so sehr, daß man, solange man sie nicht besitzt, keine Gewißheit
oder wahres Wissen besitzen kann“. Du führst ein Beispiel
an: ,,Wenn ich nämlich“, sagst Du, ,,die
Natur des Dreiecks betrachte, so leuchtet es allerdings mir, der ich mit den
Prinzipien der Geometrie vertraut bin, aufs klarste ein, daß seine drei
Winkel gleich zwei rechten sind. Und ich kann nicht umhin, dies als wahr anzunehmen,
solange ich auf den Beweis dieses Satzes achte; sobald ich aber den Blick meines
Geistes einmal hiervon abgewandt habe, kann es leicht vorkommen — wenn
ich mich auch noch erinnere, es aufs klarste durchschaut zu haben, — daß
ich an der Wahrheit des Satzes zweifle, wenn ich nicht weiß, daß
es einen Gott gibt. Denn ich kann mir einreden, ich sei von der Natur so geschaffen,
daß ich mich bisweilen selbst in dem täusche, was ich am klarsten
zu erfassen meine, zumal da ich mich entsinne, häufig vieles als wahr und
gewiß angesehen zu haben, von dem ich dann in der Folge durch andere Gründe
bestimmt wurde zu urteilen, es sei falsch. Habe ich aber erst einmal eingesehen,
daß es einen Gott gibt und zugleich auch, daß alles übrige
von ihm abhängt und daß er kein Betrüger ist, und habe ich daraus
geschlossen, daß alles, was ich klar und deutlich erfasse, notwendig wahr
ist, so läßt sich — selbst wenn ich nicht weiter auf die Gründe
achte, aus denen ich geurteilt habe, daß jenes wahr sei, sondern mich
nur entsinne, es klar und deutlich durchschaut zu haben, — kein Gegengrund
beibringen, der mich zum Zweifel verleiten könnte, sondern ich besitze
hiervon ein wahres und sicheres Wissen. Und das nicht nur hiervon, sondern auch
von allem übrigen, das ich mich entsinne früher einmal bewiesen zu
haben, so von der Geometrie und dergleichen“.
Darauf vollends, Verehrtester, wenn ich einmal gelten lasse, daß Du im
Ernst redest, kann man nur sagen, daß Du wohl kaum bei irgendeinem Glauben
finden wirst. Du solltest vor der Zeit, da Du den vorstehenden Beweis über
Gott erbrachtest, jener geometrischen Beweise weniger gewiß gewesen sein,
als Du es nachher warst? Tatsächlich nämlich sind doch wohl diese
Beweise von solcher Evidenz und Gewißheit, daß sie an sich einem
die Zustimmung abnötigen und, einmal erfaßt, den Verstand nicht weiter
zögern lassen, und zwar so, daß er (der Verstand)
auch jenen trügerischen Geist so gern mit seinem Fallstrick gewähren
lassen wird, wie Du es tatest, als Du (wenngleich noch
ohne die Erkenntnis Gottes) so beherzt versichertest, er könnte
Dir nicht gestellt werden hinsichtlich jenes Satzes oder Schlusses: ,,Ich denke, daher existiere ich.“ Ja, mag es auch selbst noch
so wahr sein (wie nichts wahrer ist), daß
Gott existiert, daß er der Urheber aller Dinge ist und kein Betrüger
ist; weil dennoch dies weniger einleuchtend zu sein scheint, als jene geometrischen
Beweise, schon aus dem Grunde, weil viele das Dasein Gottes, die Erschaffung
der Dinge und sonst mancherlei über Gott bestreiten, gibt es da jemand,
den Du überzeugen könntest, daß jene Beweise von diesen Tatsachen
ihre Evidenz und Gewißheit nehmen? Und wer könnte einen Diagoras, Theodorus
oder andere derartige Atheisten überführen, daß sie überhaupt
keine Gewißheit über derartige Beweise erlangen können? Und
wieviele Gläubige gibt es denn, die, wenn Du sie fragtest, warum sie sicher
seien, daß in einem (rechtwinkligen) Dreiecke
das Quadrat über der Hypotenuse gleich den Quadraten über den Katheten
ist, antworten würden: weil ich weiß, daß Gott ist und Gott
nicht täuschen kann und er selbst der Urheber dieser Sache wie aller anderen
ist; und nicht vielmehr antwortete: weil ich das weiß und durch einen
unzweifelhaften Beweis die Überzeugung gewinne? Wieviel mehr würden
das Pythagoras, Plato, Archimedes, Euklid und die übrigen Mathematiker antworten, unter denen wohl niemand ist, der an Gott
dächte, um völlige Sicherheit über diese Beweise zu erlangen.
Und doch, da Du gerade nicht von anderen, sondern nur von Dir selbst das versicherst
und es im übrigen ein Zeichen von Frömmigkeit ist, so ist es tatsächlich unnütz, hierbei noch länger zu verweilen.
Aus: René Descartes, Meditationen mit
sämtlichen Einwänden und Erwiderungen. S. 292ff.
Zum erstenmal vollständig übersetzt und herausgegeben von Artur Buchenau.
Felix Meiner Verlag: Philosophische Bibliothek Band 27
Descartes Antwort
auf Gassendis Einwände gegen die fünfte Meditation
1. Weil Du hier an die Wiedergabe einiger weniger meiner Worte die Bemerkung
anschließt, ,,ich hätte nur so viel über
die in Frage stehende Untersuchung zu sagen“, sehe ich mich gezwungen,
darauf aufmerksam zu machen, daß Du nicht genug auf den Zusammenhang dessen,
was ich geschrieben, geachtet hast; ich meine nämlich, er ist der Art,
daß zum Beweise jeder einzelnen Sache alles das, was ihm selbst vorangeht,
beiträgt, und ebenso der größte Teil dessen, was folgt; daher
kannst Du nicht wirklich sachgemäß alles wiedergeben, was ich über
irgendeine Frage zu sagen habe, ohne auch das ganze, was ich über die übrigen
geschrieben habe, zu berücksichtigen.
Wenn Du aber sagst, ,,es scheine
Dir hart, irgend etwas als unveränderlich und ewig außer Gott
hinzustellen“, so würde es mit Recht so erscheinen, wenn sich
die Frage um ein existierendes Ding drehte, oder wenn ich etwas nur als, so
unveränderlich hinstellte, daß seine Unveränderlichkeit von
Gott nicht abhinge. Aber wie die Dichter es darstellen, daß die Geschicke
zwar von Jupiter festgesetzt worden sind, aber er selbst, nachdem sie einmal
festgesetzt worden sind, sich gebunden hat, sie unangetastet zu lassen, so glaube
ich nicht, daß die Wesenheiten der Dinge und jene mathematischen Wahrheiten,
die man über sie erkennen kann, von Gott unabhängig sind; sondern
ich glaube nichtsdestoweniger, daß sie unabänderlich und ewig sind,
weil Gott es so gewollt und so angeordnet hat. Und mag
Dir das hart oder weich vorkommen, mir genügt es, daß es wahr ist.
Was Du sodann gegen die Universalien der Dialektiker zu sagen hast, berührt
mich nicht, da ich sie nicht so wie jene auffasse. Doch was die Wesenheiten,
die klar und deutlich erkannt werden, betrifft, z. B. die des Dreiecks und jeder
anderen geometrischen Figur, so werde ich Dich leicht zwingen zuzugeben, daß
ihre Ideen, die in uns sind, nicht von den Einzelerscheinungen hergenommen sind.
Hier bezeichnest Du sie nämlich als falsch,
natürlich, weil sie mit Deiner vorgefaßten Meinung von der Natur
der Dinge nicht übereinstimmen.
Und bald darauf sagst Du: ,,Das
Objekt der reinen Mathematik, wie der Punkt, die Linie, die Oberfläche
und die aus ihnen bestehenden unteilbaren Größen,
die so beschaffen sind, daß sie sich wirklich nicht teilen lassen (indivisibilia
indivisibiliterque se habentia), könnten in Wirklichkeit
nicht existieren“. Daraus folgt, daß
kein Dreieck und überhaupt nichts von dem, was, wie man einsieht, zu seiner
Wesenheit oder der der anderen geometrischen Figuren gehört, je existiert
hat und daher jene Wesenheiten nicht von irgendwelchen existierenden Dingen
hergenommen sind. Doch sie sind falsch, sagst Du, nämlich nach Deiner
Meinung, weil Du eine solche Natur der Dinge voraussetzest, daß sie (die
Wesenheiten) nicht mit ihr (der Natur der Dinge) übereinstimmen. Doch wenn Du nicht behaupten willst, daß auch die
gesamte Geometrie falsch ist, kannst Du nicht in Abrede stellen, daß von
ihnen viele Wahrheiten sich beweisen lassen; und da diese immer dieselben sind,
werden sie mit Recht als unveränderlich und ewig bezeichnet. Wenn sie‘
aber vielleicht nicht mit der Natur der Dinge, die Du voraussetzest, übereinstimmen
— wie sie auch nicht mit der übereinstimmen, die Demokrit
und Epikur aus der Atomtheorie hergeleitet haben, — ihre Bezeichnung ist nur etwas Äußerliches, das gar nichts
ändert; nichtsdestoweniger aber stimmen sie zweifellos mit jener wahren
Natur der Dinge überein, die vom wahrhaftigen Gott begründet ist:
nicht als ob es in der Welt Substanzen gäbe, die eine Ausdehnung in die
Länge haben ohne eine solche in die Breite, oder eine in die Breite ohne
eine in die Tiefe; sondern, weil die geometrischen Figuren nicht wie Substanzen
betrachtet werden, sondern wie Grenzbestimmungen (termini), unter denen die
Substanz enthalten ist.
Übrigens aber gebe ich nicht zu, ,,daß die
Ideen jener Figuren uns jemals durch die Sinne beigekommen sind“,
wie sich gewöhnlich alle Leute einreden. Denn wenn es auch zweifellos in
der Welt derartige gibt, wie die Geometrie sie betrachtet, so bestreite ich
doch, daß es welche gibt außer uns, oder doch höchstens so
kleine, daß sie in keiner Weise für unsere Sinne wahrnehmbar sind;
denn sie sind gewöhnlich aus geraden Linien zusammengesetzt, aber auch
nicht ein einziges Mal ist der geringste Teil einer Linie, die wirklich gerade
wäre, für unsere Sinne wahrnehmbar. Denn wenn wir die, die uns vollkommen
gerade erscheinen, mit einer Lupe prüfen, finden wir, daß sie ganz
unregelmäßig und überall wellenförmig gekrümmt sind.
Und ebenso, als wir einst zum ersten Male in der Jugend die Darstellung einer
dreieckigen Figur auf einem Blatt erblickten, konnte jene Figur uns nicht belehren,
wie ein wirkliches Dreieck, wie es von den Geometern betrachtet wird, aufzufassen
sei, weil es nicht anders in ihm enthalten war, als wie eine Merkurgestalt in
grobem Holzschnitt. Aber weil schon vorher in uns die Idee eines wahren Dreiecks
vorhanden war und sie von unserem Geiste leichter als die stärker zusammengesetzte
Figur des gezeichneten Dreiecks erfaßt werden konnte, daher begriffen
wir beim Anblick jener zusammengesetzten Figur nicht sie selbst, sondern vielmehr
das wahre Dreieck, ganz in derselben Weise, wie, wenn wir ein Blatt betrachten,
auf dem Striche mit Tinte so gezogen sind, daß sie ein Menschenantlitz
darstellen, in uns nicht sowohl die Idee jener Striche, als vielmehr des Menschen
wachgerufen wird. Und das wäre überhaupt nicht möglich, wenn
das menschliche Antlitz uns nicht von anderer Seite bekannt gewesen wäre
und wir nicht gewöhnt wären, mehr an es als an jene Striche zu denken,
die wir ja oft, schon wenn sie nur ein wenig von uns entfernt sind, nicht voneinander
unterscheiden können. So könnten wir sicherlich auch das geometrische
Dreieck aus dem, das auf dem Blatte gezeichnet ist, nicht erkennen, wenn unser
Geist nicht seine Idee aus anderer Quelle besäße.
2. Hier verstehe ich nicht, von welcher
Art nach Deiner Ansicht das Dasein
der Dinge sein soll,
und warum es nicht ebenso wie die Allmacht
als eine Eigenschaft
bezeichnet werden kann, da man doch die Bezeichnung Eigenschaft für jedes beliebige Attribut oder für alles das, was über ein Ding ausgesagt werden kann, setzen kann, wie es hier überhaupt zu fassen ist.
Ja, das Dasein ist sogar wirklich eine notwendige,
höchst scharf zu fassende
Eigenschaft an Gott,
weil es ihm allein zukommt und in ihm allein einen Teil der Wesenheit ausmacht. Und demzufolge darf man nicht das Dasein des Dreiecks mit dem Dasein Gottes
vergleichen, weil es offensichtlich bei Gott in einem anderen Verhältnis
zu seiner Wesenheit steht, als beim Dreieck.
Und es ist ebensowenig eine petitio principii, ,,wenn man das Dasein zu dem,
was zur Wesenheit Gottes gehört, rechnet‘, wie wenn man den Satz,
daß die drei Winkel gleich zwei rechten sind, zu den Eigenschaften des
Dreiecks rechnet.
Und es ist nicht wahr, ,,daß die Wesenheit und das Dasein bei Gott“ wie beim Dreieck, ,,das eine ohne das andere gedacht werden
kann“, weil Gott sein eigenstes Sein (suum esse) ist, aber nicht
das Dreieck. Und doch leugne ich nicht, daß das Dasein eine mögliche
Vollkommenheit in der Idee des Dreiecks ist, wie das Dasein eine notwendige
Vollkommenheit in der Idee Gottes ist; denn es verleiht ihr
(der Idee des Dreiecks) einen höheren Wert, als die Ideen jener
Chimären besitzen, deren Dasein als unmöglich vorausgesetzt wird.
Und somit hast Du nicht im geringsten in irgendeinem Punkte die Kraft meines
Beweises gebrochen, und Du bleibst immer hängen und läßt Dich ,,durch jenes Sophisma“ in die Irre führen,
von dem Du sagst, „daß ich es so leicht hätte
lösen können“.
Auf das aber, was Du hinzufügst, habe ich schon andernorts genug geantwortet.
Und Du bist ganz im Irrtum, wenn Du sagst, ,,es lasse sich das Dasein von Gott
nicht beweisen, wie sich vom Dreieck beweisen läßt, daß seine
drei Winkel gleich zwei rechten sind“. Bei beiden liegt nämlich die
Sache ganz gleich, nur daß der Beweis vom Dasein in Gott viel einfacher
und klarer ist als der andere. Das übrige endlich übergehe ich, weil
Du behauptest, ,,ich erklärte nichts“, und dabei selbst nichts erklärst
und nichts beweisest, außer nur, daß Du nichts beweisen kannst.
3. Dem, was Du hier über Diagoras, Theodoros, Pythagoras und andere vorbringst, setze ich die Skeptiker entgegen, die selbst an den geometrischen
Beweisen gezweifelt haben, und ich behaupte, daß sie es nicht getan hätten,
wenn sie, wie es billig gewesen wäre, Gott erkannt hätten. Und es
ist kein Beweis dafür, daß ein Ding leichter erkennbar ist als ein
anderes, weil es einer größeren Anzahl wahr erscheint, sondern allein
deshalb, weil es denen, die, wie billig, beide Dinge erkennen, in Hinsicht der
Erkenntnis früher, deutlicher und gewisser erscheint.
Aus: René Descartes, Meditationen mit
sämtlichen Einwänden und Erwiderungen. S. 347ff.
Zum erstenmal vollständig übersetzt und herausgegeben von Artur Buchenau.
Felix Meiner Verlag: Philosophische Bibliothek Band 27
Gassendis
Einwand gegen die
sechste Meditation von Descartes: Über das Dasein der materiellen
Dinge und die reale Unterschiedenheit von Seele und Körper.
1. Über die sechste: Ich habe nichts dagegen, daß Du zu Anfang sagst, ,,die materiellen Dinge könnten, sofern sie den Gegenstand
der reinen Mathematik ausmachten, existieren“. Dabei machen doch
die materiellen Dinge den Gegenstand der angewandten, nicht
der reinen Mathematik aus, und der Gegenstand der reinen
Mathematik, wie Punkt, Linie, Oberfläche und die aus ihnen bestehenden
unteilbaren Größen, die sich auch in unteilbarer Weise verhalten,
können tatsächlich nicht existieren. Nur dabei stutze ich,
daß Du hier wiederum die ,,Einbildungskraft von der Erkenntniskraft“
unterscheidest. Sind doch, verehrter Geist, diese beiden Kräfte wohl Aktionsarten
ein und derselben Fähigkeit, wie ich oben zu verstehen gegeben habe, und
wenn überhaupt ein Unterschied vorhanden ist, so dürfte er nichts
mehr als ein gradueller sein. Und gib acht, wie sich das gleich beweisen läßt.
Oben hast Du gesagt, ,,sich etwas einbilden, heiße
nichts anderes, als die Figur oder das Bild eines körperlichen Dinges betrachten“.
Hier aber sagst Du ausdrücklich, ,,denken heiße
ein Dreieck, Fünfeck, Tausendeck, Zehntausendeck usw. betrachten“,
die Figuren von körperlichen Dingen sind. Und einen Unterschied stellst
Du wenigstens schon fest, daß ,,die Einbildung mit einer gewissen Anpassung
des Erkenntnisvermögens an den Körper verbunden sei, die Denktätigkeit
aber eine solche Anpassung oder Anstrengung nicht erfordere“. Wenn Du
also ,,einfach und ohne Mühe ein Dreieck als eine aus drei Winkeln bestehende
Figur erfassest“, so nennst du das ,,denken“. Und wenn Du ,,mit
nicht unbeträchtlicher eigener Anstrengung eine Figur wie gegenwärtig
hast, betrachtest, erforschst und im einzelnen alles scharf geschieden erkennst
und drei Winkel unterscheidest“, dann nennst Du das ,,sich etwas
einbilden“. Und demgemäß, ,,wenn Du zwar
ohne Mühe erfassest, daß ein Tausendeck eine Figur von tausend Ecken
sei, aber doch trotz Anpassung und Anstrengung nicht alles unterscheidest und
wie gegenwärtig hast und alle seine Winkel im einzelnen unterscheiden kannst,
sondern ebenso im unklaren bist wie beim Zehntausendeck oder bei jeder beliebigen
anderen derartigen Figur, so bist Du deswegen rücksichtlich des Tausendecks
oder Zehntausendecks der Meinung, daß es sich um Denken handelt, nicht
um Einbildung“.
Trotzdem steht Dir wirklich nichts im Wege, auf das Tausendeck wie auf das Dreieck
ebenso die Einbildung wie das Denken auszudehnen. Denn Du mußt Dich auch
ziemlich anstrengen, um jene Figur von so vielen Winkeln Dir auf irgendeine
Weise vorzustellen, vorausgesetzt, daß jene Anzahl der Winkel so groß
ist, daß Du sie nicht deutlich fassen kannst. Übrigens erfassest
Du zwar durch die Bezeichnung Tausendeck, daß eine Figur von, tausend
Ecken gemeint ist, doch das ist nur die Bedeutung des Wortes; denn Du ,,denkst“
darum nicht mehr in dieser Figur die tausend Winkel, als Du sie Dir ,,vorstellst“.
Auch ist wohl zu beachten, wie schrittweise der Unterschied verloren geht und
eine Vermischung eintritt. Ein Viereck wirst Du nämlich verworrener als
ein Dreieck erfassen oder Dir einbilden oder denken, aber deutlicher als ein
Fünfeck. Sodann dies verworrener als ein Viereck, deutlicher als ein Sechseck,
und so immer weiter, bis Du Dir die Sache nicht mehr genau
vorstellen kannst und, weil Du es nicht mehr genau fassen kannst, es aufgibst,
Dich möglichst anzustrengen.
Wenn Du also zwar von Vorstellung und zugleich von Denken redest, solange Du
eine Figur deutlich und mit einer gewissen merklichen Anstrengung erkennst,
aber nur von Denken, solange Du etwas bloß verworren und ohne jede oder
nur mit ganz geringer Anstrengung betrachtest, so steht Dir das freilich frei.
Aber Du hast darum keinen Grund, mehr als eine Art innerer Erkenntnis aufzustellen,
die nur die Eigentümlichkeit (accidentarium) hätte, daß man
graduell verschieden deutlich oder verworren, mit Anstrengung oder nachlässig
irgendeine Figur anschaut. Und tatsächlich, wenn wir das Siebeneck, Achteck
und so weiter die übrigen Figuren bis zum Tausendeck oder Zehntausendeck
durchgehen wollten und auf die größere und geringere Deutlichkeit
oder Nachlässigkeit immer und unaufhörlich achteten, würden wir
sagen können, wo denn nun, oder bei welcher Figur die Vorstellung aufhört
und das Denken allein übrigbleibt? Vielmehr wird sich nur eine ununterbrochene
Reihe einer gleichartigen Erkenntnisweise herausstellen, bei der fortwährend
und unmerklich die Deutlichkeit und Anstrengung abnimmt, die Verworrenheit und
Nachlässigkeit wächst. Sonst sollst Du mal zusehen, wie Du das Denken
niederdrückst, die Vorstellung aber erhebst! Denn was tust Du sonst anderes
als das Denken herabmindern, die Vorstellung dagegen empfehlen, wenn Du jenem
Nachlässigkeit und Verschwommenheit, dieser aber Sorgfalt und Anschaulichkeit
zuschreibst?
Später fügst Du hinzu, ,,daß die Kraft
der Einbildung, insofern sie sich von der Kraft des reinen Denkens unterscheidet,
zu der Wesenheit Deiner selbst nicht erforderlich ist“. Doch wie
ist das möglich, wenn es ein und dieselbe Kraft ist, deren Funktionen sich
nur graduell unterscheiden?
Dann heißt es bei Dir, ,,der Geist richte sich,
wenn er sich etwas einbildet, auf den Körper, beim reinen Denken auf sich
selbst oder eine Idee, die in ihm ist“. Doch wie das, wenn der
Geist sich nicht auf sich selbst oder irgendeine Idee richten kann, ohne sich
gleichzeitig auf irgendeinen Körper oder etwas durch eine körperliche
Idee Dargestelltes zu richten? Denn das Dreieck wenigstens, das Fünfeck,
Tausendeck, Zehntausendeck und die übrigen Figuren und ihre Ideen sind
überhaupt körperlich; und der Geist kann sich beim Denken auf sie
nur wie auf körperliche oder körperlichen ähnliche erstrecken.
Was nun die Ideen der immateriellen Dinge, an die wir glauben, betrifft, wie
die von Gott, dem Engel, der menschlichen Seele oder dem Geist, so steht fest,
daß, welche Ideen wir auch immer von ihnen haben, sie entweder körperlich
sind oder so gut wie körperlich, nämlich von der Gestalt des Menschen
und von anderen ganz feinen, einfachen, nicht wahrnehmbaren Dingen, z. B. Luft
oder Äther, entlehnt (was ich auch oben schon berührt habe). Wenn
Du aber sagst, ,,Du schlössest nur mit Wahrscheinlichkeit,
daß irgendein Körper existiert“ — so brauche ich
mich, weil das ja nicht ernst gemeint sein kann, hierbei nicht aufzuhalten.
2. Du handelst sodann von der Sinnesempfindung (sensus) und gibst zuerst in
vortrefflicher Weise eine Aufzählung der Dinge, die durch die Sinne bekannt
geworden und von Dir für wahr gehalten worden waren, allein nach natürlichem
Urteil und Antrieb. Du wiederholst darauf die Versuche, die das den Sinnen geschenkte
Vertrauen so ins Wanken gebracht haben, daß sie Dich dahin gebracht haben,
wohin, wie wir sahen, Du Dich in der ersten Meditation zurückgezogen hattest.
Nun kommt es mir an dieser Stelle nicht entfernt in den Sinn, über die
Zuverlässigkeit der Sinneseindrücke einen Streit zu beginnen. Wenngleich
nämlich Täuschung oder Unzuverlässigkeit nicht in der Sinneswahrnehmung
vorhanden ist, die sich rein passiv verhält und nur das wiedergibt, was
erscheint und was aus eignen Gründen als solches erscheinen muß,
so erscheinen doch im Urteil oder im Geiste, der sichtlich nicht ausreicht und
nicht das, was fern ist, bemerkt, die Dinge aus diesen oder anderen Gründen
verworrener und kleiner als sie selbst, wenn sie nahe sind, und ebenso bei anderen
Gelegenheiten. Allerdings, wo auch immer Täuschung vorhanden ist, darf
man nicht in Abrede stellen, daß bis zu einem gewissen Grade welche vorhanden
ist. Nur darin liegt die Schwierigkeit, ob es immer zutrifft, daß niemals
etwas über die Wahrheit irgendeiner durch die Sinne wahrgenommenen Sache
feststehen kann.
Es ist wirklich nicht nötig, Beispiele, die sich leicht darbieten, zusammenzusuchen:
ich sage nur auf das, was Du vorbringst oder vielmehr einwendest, daß
es wohl überhaupt ausgemacht ist, daß, wenn wir einen Turm aus der
Nähe sehen oder berühren, wir sicher sind, daß er viereckig
ist, obwohl wir aus größerer Entfernung zu dem Urteil kommen, er
sei rund, oder wenigstens im Zweifel waren, ob er viereckig oder rund oder von
anderer Gestalt wäre.
So kann jenes Schmerzgefühl,
das noch im Bein oder in der Hand zu sitzen scheint, nachdem diese Glieder abgetrennt
sind, bisweilen täuschen, nämlich bei denen, denen sie abgeschnitten
sind; und zwar weil die gewohnten Gefühiserregungen (spiritus sensorii)
die Empfindung auf sie übertragen und in ihnen zum Ausdruck bringen. Aber
wer unversehrt ist, ist so sicher, im Fuß oder in der Hand, die er gestochen
werden sieht, den Schmerz zu empfinden, daß er daran nicht zweifeln kann.
So, wenn wir abwechselnd wachen und schlafen, solange wir leben, besteht eine
Täuschung zwar während des Schlafens, weil das leibhaftig in Erscheinung
zu treten scheint, was leibhaftig nicht da ist; doch wir schlafen weder immer,
noch können wir, wenn wir wirklich wachen, im Zweifel sein, ob wir wachen
oder vielmehr träumen.
So, wenn wir auch denken können, daß wir unsrer natürlichen
Veranlagung nach Täuschungen ausgesetzt sind, auch bei höchst wahr
scheinenden Dingen, so denken wir nichtsdestoweniger, daß wir doch von
Natur für die Wahrheit empfänglich sind; und wie wir uns das eine
Mal täuschen lassen, z. B. durch einen nicht durchschauten Trugschluß
oder einen bis zur Mitte ins Wasser eingetauchten Stab, so sehen wir das andere
Mal die Wahrheit ein, z. B. bei einem geometrischen Beweise oder beim Stabe,
wenn er aus dem Wasser gezogen ist, so daß wir an der Wahrheit bei beiden
gar nicht zweifeln können. Und mag man auch in anderer Beziehung zweifeln,
daran wenigstens läßt sich nicht zweifeln, daß solche Erscheinungen
sich zeigen: es muß unbedingt durchaus wahr sein, daß sie sich als
solche zeigen.
Wenn aber die Vernunft vieles widerrät, zu dem uns die Natur treibt, so
hebt das wenigstens nicht die Wahrheit dessen, was erscheint, des Phänomens,
auf. Gleichwohl ist es hier nicht nötig, zu untersuchen, ob die Überlegung
dem Impuls der Sinneswahrnehmung widerstrebt nur in der Weise, wie die rechte
Hand die vor Müdigkeit sinkende linke hält, oder aber in gewisser
anderer Weise.
3. Du kommst sodann zu Deinem Vorhaben, doch gewissermaßen nur in leichtem
Geplänkel. Du fährst nämlich fort: ,jetzt aber, wo ich beginne,
mich selbst und den Urheber meines Daseins besser zu kennen, bin ich der Meinung,
daß ich zwar nicht alles, was ich von den Sinnen zu haben meine, ohne
weiteres gelten lassen, aber auch nicht alles in Zweifel ziehen darf“.
So ist es recht; doch hattest Du zweifellos schon vorher dasselbe geglaubt.
Es folgt: ,,Und da ich ja erstlich weiß, daß
alles, was ich klar und deutlich denke, in der Weise von Gott geschaffen werden
kann, wie ich es denke, so genügt es für mich, ein Ding ohne ein anderes
klar und deutlich denken zu können, um mir die Gewißheit zu geben,
daß das eine vom anderen verschieden ist, da wenigstens Gott es getrennt
setzen kann. Auch kommt es nicht darauf an, durch welche Macht dies geschieht,
damit man sie für verschieden hält“. Hierauf ist nichts
anderes zu sagen, als daß Du etwas Klares durch etwas Dunkles beweisest,
um Dir nicht vorzuwerfen, daß eine gewisse Dunkelheit in der Schlußfolgerung
liegt. Und zwar stutze ich nicht darüber, daß erst bewiesen werden
müßte, daß Gott existiert, und worauf sich seine Macht erstreckt,
um zu zeigen, daß er alles schaffen kann, was Du denken kannst; ich möchte
nur fragen, ob Du nicht klar und deutlich im Dreieck die Eigenschaft, ,,daß die größeren Seiten den größeren Winkeln gegenüberliegen“, getrennt von der denkst, daß ,,man die Summe der
drei Winkel gleich zwei rechten setzt‘? Und läßt Du
deswegen gelten, daß Gott so jene Eigenschaft von dieser scheiden und
getrennt setzen kann, daß ein Dreieck jene und nicht diese hat, oder jene
auch außerdem besteht, getrennt vom Dreieck?
Doch daß ich Dich hier nicht unnütz aufhalte, weil diese Trennung
die Sache wenig angeht — Du fährst fort: ,,Daraus
also, daß ich weiß, ich existiere, und daß ich inzwischen
bemerke, daß durchaus nichts anderes zu meiner Natur oder Wesenheit gehöre,
als allein, daß ich ein denkendes Ding bin, schließe ich mit Recht,
daß meine Wesenheit allein darin besteht, daß ich ein denkendes
Ding bin“. Hier möchte ich verweilen; doch entweder genügt
es zu verweisen auf das, was ich zur zweiten Meditation gesagt habe, oder man
muß abwarten, was Du schließen willst.
Schließlich sagst Du nämlich: ,,Und wenngleich
ich vielleicht — oder vielmehr gewiß, wie ich später auseinandersetzen
werde einen Körper habe, der mit mir sehr eng verbunden ist, so ist doch,
— da ich ja einerseits eine klare und deutliche Idee meiner selbst habe,
sofern ich nur ein denkendes, nicht ein ausgedehntes Ding bin, und anderseits
eine deutliche Idee vom Körper, sofern er nur ein ausgedehntes, nicht denkendes
Ding ist — soviel gewiß, daß ich von meinem Körper wahrhaft
verschieden bin und ohne ihn existieren kann“.
Dahinaus also wolltest Du? Da das ja der Angelpunkt der ganzen Schwierigkeit
vor allen Dingen ist, müssen wir ein wenig haltmachen, um zu sehen, wie
Du das erhärtest. Es handelt sich hier zunächst um den Unterschied
zwischen Dir und dem Körper. Was verstehst Du nun unter dem Körper?
Doch wohl dieses Massige, das aus Gliedern besteht, worauf sich zweifellos die
Worte beziehen: ,,ich habe ihn, eng mit mir verbunden“
und ,,es ist gewiß, daß ich von meinem Körper
verschieden bin“ usw.
Und doch, verehrter Geist, über diesen Körper besteht keine Schwierigkeit.
Es bestünde zwar eine, wenn ich mit den meisten Philosophen dagegensetzen
würde: Du seiest eine Entelechie,
Vollkommenheit, Wirkung (actus),
Form (forma),
Erscheinungsform (species) und, wie man‘s gewöhnlich nennt, ein Modus
des Körpers. Denn jene erkennen bei Dir nicht mehr eine Unterscheidung
oder Trennung vom Körper an, als bei einer anderen Form oder einem anderen
Modus, magst Du nun ganz
Seele sein, oder außerdem noch wirkende Vernunft
(intellectus possibilis) oder, leidende
Vernunft (intellectus passibilis), wie man
sagt. Doch ich möchte mit Dir lieber in offnerer Weise verhandeln, indem
ich Dich nämlich betrachte als handelnde Vernunft
(intellectus agens), ja sogar als, trennbare
Vernunft (separabilis), wenngleich in anderem
Sinne als jene.
Während jene nämlich eine allen Menschen — oder vielmehr allen
Dingen — gemeinsame Vernunft annehmen, die dem möglichen Verstande
es beibringt, daß er denkt, ganz in derselben Weise und Notwendigkeit,
wie das Licht es für das Auge zustande bringt, daß es sieht —
daher sie denn gewohnt waren, ihn (den Verstand) mit dem Sonnenlichte zu vergleichen
und daher ihn zu betrachten als von außen herkommend — betrachte
ich Dich lieber — denn auch Du wünschest das sehr — als einen
gewissen besonderen Verstand, der Du im Körper herrschest.
Ich wiederhole aber, daß die Schwierigkeit nicht darin liegt, ob Du von
diesem Körper trennbar bist oder nicht — daher betonte ich auch kurz
zuvor, es sei nicht nötig gewesen, auf die Macht Gottes zurückzugreifen,
durch die das trennbar sein soll, was Du getrennt denkst — sondern daß
die Schwierigkeit den Körper betrifft, der Du selbst bist, gleich als ob
Du selbst ein feiner Körper sein könntest, der in jenen massigen eingegossen
ist oder in einem Teile von ihm seinen Sitz hat. Übrigens hast Du noch
nicht den Beweis erbracht, daß Du etwas rein Unkörperliches bist.
Und wenn Du in der zweiten Meditation es ausgesprochen hattest, ,,Du
seiest nicht Wind, nicht Feuer, nicht Dampf, nicht Hauch“, so habe
ich Dich darauf aufmerksam gemacht, daß Du das ohne Beweis ausgesprochen
hast.
Du sagtest, ,,Du erörtertest diese Fragen dort nicht“; aber Du hast
sie auch später nicht erörtert, auch hast Du durch keinen Grund bewiesen,
daß Du nicht ein Körper dieser Art bist. Die Hoffnung bestand, daß
Du es hier tun würdest; und doch, wenn Du etwas erörterst, wenn Du
etwas bezweifelst, dann erörterst und beweisest Du, daß Du nicht
dieser massige Körper bist, worüber, wie ich schon sagte, gar keine
Schwierigkeit besteht.
4. ,,Aber“, sagst Du, ,,ich habe einerseits eine klare und deutliche Idee meiner selbst, sofern ich
nur ein denkendes, nicht ein ausgedehntes Ding bin, und anderseits eine deutliche
Idee vom Körper, sofern er nur ein ausgedehntes, nicht denkendes Ding ist.“
Freilich, was zunächst die Idee des Körpers betrifft, so braucht
man sich wohl nicht viel mit ihr abzumühen. Denn wenn Du das über
die Idee des Körpers im allgemeinen sagtest, so wäre zu wiederholen,
was ich eingewandt habe, nämlich daß Du beweisen müßtest,
daß es der körperlichen Natur widerspricht, daß sie des Denkens
fähig ist. Und so würde man wieder zum Anfang gelangen, ais es sich
nämlich darum handelte, betreffs Deiner zu untersuchen, ,,ob Du nicht ein
feiner Körperstoff bist“, gleich als ob das Denken mit dem Körper
unvereinbar wäre.
Jedoch, da Du sicherlich allein von jenem massigen Körper diese Behauptung
aufstellst und nur von ihm handelst, von dem Du behauptest unterschieden und
trennbar zu sein, so leugne ich nicht sowohl, daß Du die Idee von ihm
hast, als ich vielmehr bestreite, daß Du sie haben kannst, wenn anders
Du ein nichtausgedehntes Ding bist. Denn ich bitte Dich, wie meinst Du, daß
in Dir, dem Subjekte ohne Ausdehnung, das Bild oder die Idee des Körpers,
der ausgedehnt ist, Aufnahme finden kann? Sei es nämlich, daß solch
ein Bild von einem Körper ausgeht, so ist es zweifellos körperlich,
und seine Teile bestehen räumlich nebeneinander, und es ist somit ausgedehnt;
sei es, daß es von woandersher eingeprägt ist, so muß es immer
noch, weil es stets notwendig einen ausgedehnten Körper darstellt, aus
Teilen bestehen und somit ausgedehnt sein. Wahrhaftig, wie soll es sonst, wenn
es keine Teile hat, Teile darstellen? und wie ein ausgedehntes Ding, wenn es
keine Ausdehnung hat, wie ein gestaltetes Ding, wenn es keine Gestalt hat, wie
ein Ding mit oberen und unteren, rechten und linken und hintereinander liegenden
Teilen, wenn es keine Lage hat, wie verschiedene Farben usw., wenn es keine
Verschiedenheit besitzt? Es scheint also die Idee nicht
schlechtweg ohne Ausdehnung zu sein. Und wenn sie keine hätte, wie solltest
Du denn, wenn Du nichtausgedehnt bist, für sie zugänglich sein? Wie
solltest Du sie Dir anpassen, wie sie aufnehmen, wie die Beobachtung machen,
daß sie allmählich verwischt wird und endlich verblaßt?
Sodann, was die Idee Deiner selbst betrifft, habe ich nichts zu dem hinzuzufügen,
was ich schon gesagt habe, und zwar besonders gegen die zweite Meditation. Im
Anschluß daran läßt sich nämlich beweisen, daß Du
nicht nur keine klare und deutliche Idee Deiner selbst hast, sondern überhaupt
offenbar keine hast. Denn, wenngleich Du erkennst, daß Du denkst, weißt
Du doch nicht, was Du für ein Ding bist, das da denkt. Daher ist Dir, da
allein diese Tätigkeit bekannt ist, doch die Hauptsache, nämlich die
Substanz, die tätig ist, unbekannt. So bietet sich folgender Vergleich:
man kann Dich mit einem Blinden vergleichen, der Wärme spürt und,
wenn man ihm einschärft, daß sie von der Sonne stammt, nun eine klare
und deutliche Idee der Sonne zu haben wähnt, insofern er, wenn man ihn
fragt, was die Sonne sei, antworten kann: ein wärmendes Ding. Doch, wirst
Du sagen, hier füge ich hinzu, nicht nur daß ich ,,ein
denkendes Ding“ bin, sondern daß ich auch ,,ein
nichtausgedehntes Ding“ bin. Jedoch — verschweigen will ich,
daß das ohne Beweis behauptet wird, während es doch in Frage steht
— zuerst frage ich: Hast Du darum eine klare und deutliche Idee Deiner
selbst? Du sagst, Du seiest nicht ausgedehnt: Du sagst, was Du nicht bist, aber
nicht, was Du bist. Oder ist es nicht nötig, um eine klare und deutliche
oder, was dasselbe ist, wahre und echte Idee irgendeines Dinges zu besitzen,
das Ding selbst positiv und, um mich so auszudrücken, affirmativ zu kennen,
und genügt es zu wissen, daß es nicht irgendein anderes Ding ist?
Also ist das wohl eine klare und deutliche Idee des Bukephalus [Alexanders
Lieblingspferd], wenn einer vom Bukephalus wenigstens
weiß, daß er nicht eine Fliege ist?
Doch ich will hierauf kein zu großes Gewicht legen und frage lieber: Du
bist also ein nichtausgedehntes Ding? Indes — bist Du nicht durch den
Körper hingegossen? Ich weiß nicht, was Du antworten wirst. Denn
mag ich Dich auch von vornherein nur als im Gehirn sitzend verstanden haben,
so tat ich dies doch mehr dadurch, daß ich mutmaßte, als daß
ich völlig Deiner Meinung beikam; und die Mutmaßung gewann ich aus
den Worten, die hernach folgen, wo Du sagst, ,,Du würdest
nicht von allen Teilen des Körpers beeinflußt, sondern nur vom Gehirn,
oder sogar nur von einem ganz winzigen Teile desselben." Doch ich
war ganz und gar nicht gewiß, ob Du deshalb nur im Gehirn oder einem Teile
desselben saßest, da Du doch im ganzen Körper sitzen und nur in einem
Teile beeinflußt werden kannst, wie wir ja gewöhnlich zugeben, daß
die Seele durch den ganzen Körper hingegossen ist und doch nur im Auge
sieht.
In ähnlicher Weise haben die weiter unten folgenden Worte Zweifel erregt: ,,Und wenngleich der ganze Geist mit dem ganzen Körper
verbunden zu sein scheint“, usw. Denn dort behauptest Du zwar nicht,
mit dem ganzen Körper verbunden zu sein, aber Du leugnest doch nicht, daß
Du verbunden bist. Wie dem auch sei, angenommen zuerst, mit Verlaub, Du seiest
durch den ganzen Körper ausgegossen, — magst Du nun dasselbe sein
wie die Seele oder etwas Verschiedenes — so bitte ich, bist Du nichtausgedehnt,
wo Du Dich doch vom Kopf bis zur Ferse erstreckst, wo Du Dich dem Körper
angleichst, wo Du so viel Teile hast, die seinen Teilen entsprechen? Oder sagst
Du, Du seiest deswegen nichtausgedehnt, weil Du ganz im Ganzen bist und ganz
in jedem beliebigen Teile? Ich bitte Dich, wenn Du das sagst, wie verstehst
Du das? Kann wirklich so ein und dieselbe Sache (unum quid) zugleich ganz an
mehreren Stellen sein? Der Glaube lehrt uns das über das heilige Mysterium;
über Dich aber wird hier wie über ein natürliches Ding verhandelt,
und zwar in natürlichem Lichte. Kann man verstehen, daß es mehrere
Orte gibt und das, was an ihnen sich befindet, doch nicht mehrere Dinge sind?
Und sind hundert nicht mehr als eins? Und kann etwa irgendein Ding, wenn es
ganz an einem Orte ist, an anderen sein, wenn es nicht selbst außer sich
ist, wie der eine Ort außerhalb der anderen liegt? Sage, was Du willst,
wenigstens wird es dunkel und ungewiß sein, ob Du in irgendeinem Teile
ganz und nicht vielmehr in den einzelnen Teilen vermöge der einzelnen Teile
Deiner selbst steckst. Und da es weit mehr einleuchtet,
daß nichts zugleich ganz an mehreren Orten sein kann, dürfte es sich
auch mit mehr Evidenz ergeben, daß Du nicht ganz in den einzelnen Teilen
stecken kannst, sondern ganz nur in dem Ganzen, und zwar vermöge Deiner
Teile ausgegossen durch das Ganze, und daß Du somit Ausdehnung hast.
Angenommen sodann, Du steckest nur im Gehirn oder nur in einem kleinen Teile
desselben: so erkennst Du, daß ganz dieselbe Schwierigkeit besteht, da
ja, wie klein jener Teil auch sein mag, er doch ausgedehnt ist und Du Dich mit
ihm ausdehnst, und Du demnach Dich ausdehnst und Teilchen, die seinen Teilchen
entsprechen, hast. Oder willst Du sagen, Du faßtest den Teil des Gehirns
als Punkt auf? Freilich sehr wenig glaubhaft, doch es soll meinetwegen ein Punkt
sein! Wenn es ein physischer ist, dann bleibt dieselbe Schwierigkeit, weil ein
solcher Punkt ausgedehnt und also nicht ganz ohne Teile ist. Wenn es aber ein
mathematischer ist, so weißt Du erstens, daß es den nur in der Einbildung
gibt. Doch mag es ihn geben, oder mag man sich vielmehr vorstellen, es gäbe im Gehirn einen mathematischen Punkt, mit dem Du Dich
verbindest und in dem Du existieren kannst, so beachte bitte, wie nutzlos
diese Vorstellung (fictio) sein wird! Denn um es sich vorzustellen, muß
man es sich so vorstellen, daß Du im Vereinigungspunkt der Nerven bist,
durch die alle durch die Seele dazu befähigten Körperteile die Ideen
oder die Abbilder der durch die Sinne wahrgenommenen Dinge in das Gehirn übermitteln.
Aber erstens laufen nicht alle Nerven in einem Punkt zusammen, teils weil das
Gehirn sich im Rückenmark fortsetzt und viele Nerven im ganzen Rücken
in dieses münden, teils weil die, die nach der Mitte des Kopfes gehen,
wie man feststellen kann, nicht an derselben Stelle des Gehirns endigen. Doch
zugegeben, sie liefen alle zusammen: nichtsdestoweniger können sie nicht
in einem mathematischen Punkte zusammenlaufen; eben weil sie Körper sind,
nicht mathematische Linien, so daß sie in einem mathematischen Punkte
zusammentreffen könnten. Und zugegeben, sie treffen zusammen, so werden
die entlangfließenden Ströme (spiritus) weder aus den Nerven kommen,
noch in sie hinein gelangen können, da sie ja Körper sind und ein
Körper nicht in einem Nicht-Raum sein oder einen Nicht-Raum durchlaufen
kann, von welcher Art der mathematische Punkt ist. Und selbst wenn man
zugibt, daß es der Fall ist und sie durchgehen können, so wirst Du
dennoch, wenn Du in einem Punkte existierst, in dem es keinen rechten, linken,
oberen, unteren oder anderen Bezirk gibt, nicht unterscheiden können, woher
sie kommen oder was sie melden.
Dasselbe aber sage ich von denen, die Du zum Fühlen oder zum Berichten
und um Bewegungen auszuführen, übermitteln mußt. Übergehen
will ich dabei, daß man nicht begreifen kann, wie Du ihnen Bewegung erteilen
willst, wenn Du selbst in einem Punkte bist, wenn Du selbst nicht Körper
bist, oder wenn Du keinen Körper hast, mit dem Du sie berühren und
zugleich antreiben kannst. Denn wenn Du sagst, daß sie sich von selbst
bewegen und Du nur ihre Bewegung lenkst, dann denke daran, daß Du an anderem
Ort ,,bestritten hast, daß ein Körper sich
von selbst bewege“, so daß man demnach folgern kann, daß
Du die Ursache jener Bewegung bist. Dann erkläre uns, wie eine solche Lenkung
(directio) ohne jede Anstrengung, ja sogar
Bewegung Deinerseits möglich ist! Wie eine Wirkung auf ein Ding und eine
Bewegung desselben ohne wechselseitige Berührung des Bewegenden und des
Beweglichen möglich ist! Wie eine Berührung ohne Körper möglich
ist, wo doch (wie durch das natürliche Licht recht
deutlich ist) ,,kein Ding ohne Körper berühren
noch berührt werden kann“
Doch was halte ich mich hierbei auf, da ja Dir selbst die Aufgabe zufällt,
zu beweisen, daß Du ein nichtausgedehntes und darum unkörperliches
Ding bist! Doch wirst Du, wie ich meine, nicht einen Beweis daraus herleiten,
daß man gewöhnlich sagt, der Mensch bestehe aus Körper und Seele;
gleich als ob man gezwungen wäre, wenn man den einen Teil als Körper
bezeichnet, den anderen nicht als Körper zu bezeichnen. Tätest Du
es nämlich, so würdest Du die Handhabe zu folgender Unterscheidung
geben: Der Mensch besteht aus einem zwiefachen Körper, nämlich einem massigen und einem feinen
(corpus subtile), so daß, wenn jener
die gewöhnliche Bezeichnung ,,Körper“
behält, diesem die Bezeichnung ,,Seele“ beigelegt wird. übergehen
will ich, daß sich dasselbe von anderen Lebewesen wird sagen lassen, denen
Du einen Dir selbst gleichen Geist wohl nicht zugestehst, wahrhaftig zu ihrem
Heile, wenn sie etwa eine Seele, wie sie nach Dir beschaffen ist, besitzen sollten.
Wenn Du also hieraus schließest, ,,es sei gewiß,
daß Du wahrhaft von Deinem Körper verschieden bist“,
so siehst Du, daß man das zwar zugeben wird, doch darum noch keineswegs,
daß Du unkörperlich bist, und nicht vielmehr eine Art von ganz feinem
Körperstoff, der von jenem massigen sich unterscheidet.
Du fügst hinzu, ,,Du könntest also ohne ihn
existieren“. Doch wenn man Dir zugegeben hat, Du könntest
so ohne den massigen Körper existieren, wie der Duft existiert, wenn er
dem Apfel entsteigt und sich in die Lüfte verbreitet, was gewinnst Du denn
dadurch? Gewiß etwas mehr, als was die erwähnten Philosophen wollen,
die der Meinung sind, daß Du im Augenblick des Todes ganz zugrunde gehst,
nämlich wie eine Figur, die durch Veränderung ihrer Oberfläche
so dahinschwindet, daß sie sogleich nicht mehr ist, oder vollends nichts
ist; da man ja von Dir, wenn Du außerdem eine gewisse körperliche
oder feine Substanz warst, nicht wird sagen können, Du seiest im Augenblick
des Todes ganz verschwunden
oder ganz im Nichts aufgegangen,
sondern Du hättest durch die zerstreuten Teile Deines Selbst Bestand, wenn
Du freilich auch nicht mehr infolge der Zerreißung denken wirst und weder
als denkendes Ding, noch als Geist, noch als Seele wirst bezeichnet werden dürfen.
Doch das werfe ich alles immer nur ein, nicht als ob ich an dem von Dir beabsichtigten
Schlusse zweifelte, sondern weil ich der Kraft des von Dir dargelegten Beweises
mißtraue.
5. Du streuest sodann einige Bemerkungen ein, die ebendahin gehören, doch
möchte ich nicht bei allen stehen bleiben. Nur das hebe ich heraus: Du
sagst, ,,es lehre die Natur durch eine Empfindung des Schmerzes, Hungers, Durstes
usw., daß Du nicht in der Weise dem Körper gegenwärtig bist,
wie der Schiffer seinem Fahrzeug, sondern daß Du aufs engste mit ihm verbunden
und gleichsam vermischt seiest, so daß Du mit ihm eine gewisse Einheit
bildest“. ,,Denn sonst“, sagst Du, ,,würde
ich, der ich nur ein denkendes Ding bin, nicht, wenn mein Körper verletzt
wird, darum Schmerz empfinden, sondern ich würde diese Verletzung nur durch
bloßes Denken erfassen, wie der Schiffer durch das Gesicht wahrnimmt,
wenn irgend etwas am Schiffe zerbricht, und ich würde alsdann, wenn der
Körper der Speise oder des Trankes bedarf, eben dies in bestimmter Weise
denken, ohne dabei die verworrenen Hunger- oder Durstempfindungen zu haben.
Denn es sind doch sicherlich diese Empfindungen des Hungers, Durstes, Schmerzes
usw. nichts anderes als gewisse, aus der Vereinigung und gleichsam Vermischung
des Geistes mit dem Körper entstandene Weisen des Bewußtseins“.
Das ist nun ganz richtig, doch bleibt noch zu erklären, wie diese ,,Verbindung
und gewissermaßen Vermischung“ oder ,,Verschmelzung“ Dich berühren kann, wenn Du unkörperlich, unausgedehnt und unteilbar
bist. Wenn Du nämlich nicht ausgedehnter als ein
Punkt bist, wie kannst Du mit dem ganzen Körper verbunden werden, der von
so bedeutender Größe ist, wie auch nur mit dem Gehirn oder einem
kleinen Teil desselben, der (wie ich sagte), wie winzig er auch immer sein mag,
doch Größe oder Ausdehnung besitzt? Wenn Du überhaupt keine
Teile hast, wie kannst Du Dich vermischen, oder gewissermaßen vermischen
mit den Teilchen eines Teiles von ihm? Es gibt nämlich keine Mischung
ohne mischbare Teile beiderseits. Und wenn Du ganz getrennt bist, wie kannst
Du Dich verschmelzen und eine Einheit mit der Materie selbst bilden? Und wenn
es überhaupt eine Zusammensetzung, Verbindung oder Einheit unter Teilen
gibt, muß dann nicht ein Verhältnis unter den Teilen dieser Art bestehen?
Doch was für eins läßt sich denn zwischen einem körperlichen
und einem unkörperlichen Teile begreifen? Erfassen wir z. B., wie sich
Stein und Luft so im Bimstein vermengen lassen, daß daraus eine echte
Zusammensetzung entsteht? Und doch ist das Verhältnis enger zwischen Stein
und Luft, die selbst auch ein Körper ist, als zwischen dem Körper
und der ganz unkörperlichen Seele oder dem Geist. Und muß nicht die
Vereinigung durch die innigste Berührung bewirkt werden? Wie ist das aber,
wie ich vorher sagte, ohne Körper möglich? Wie soll, was körperlich
ist, das, was unkörperlich, erfassen, um es in Verbindung mit sich zu halten,
oder wie soll das Unkörperliche das Körperliche erfassen, um es wechselseitig
an sich gefesselt zu halten, wenn ganz und gar nichts in ihm ist, wodurch es
erfaßt werden oder erfassen kann?
Daher, da Du ja zugibst, den Schmerz zu empfinden, frage ich Dich, wie glaubst
Du, der Schmerzempfindung fähig zu sein, wenn Du doch unkörperlich
und unausgedehnt bist? Denn die Schmerzempfindung läßt sich nur durch
eine gewisse Auseinanderzerrung der Teile erklären, indem irgend etwas
dazwischengetrieben wird, was die Lösung des Zusammenhanges bewirkt. Der
Zustand des Schmerzes ist nämlich ein gewisser außernatürlicher
Zustand. Wie kann aber in einem außernatürlichen Zustande sein oder
beeinflußt werden, was von Natur einartig, einfach, unteilbar und unveränderlich
ist? Und da der Schmerz entweder eine Veränderung ist oder unbedingt mit
einer Veränderung verbunden ist, wie kann das verändert werden, was,
da es weniger teilbar ist als ein Punkt, nicht in etwas anderes übergehen
oder zu sein aufhören kann, was es ist, ohne sich in nichts aufzulösen?
Ich füge noch hinzu: Wenn der Schmerz vom Fuß, vom Arm oder anderen
Teilen zugleich sich einstellt, müssen dann nicht verschiedene Teile in
Dir sein, in denen Du ihn in verschiedener Weise auffassest, damit Du ihn nicht
verworren und wie den Schmerz nur eines Teiles fühlst? Doch mit einem Worte,
die Hauptschwierigkeit bleibt immer, wie das Körperliche
sich mit dem Unkörperlichen vermischen kann, und welches Verhältnis
des einen zum anderen sich aufstellen läßt.
6. Die übrigen Gedanken übergehe ich, die Du ausführlich und
in gewählter Form verfolgst, um zu zeigen, daß etwas existiert außer
Dir und Gott. Du legst nämlich dar, daß Dein Leib existiert und körperliche
Fähigkeiten, und ebenso andere Körper, die in Deine Sinne und Dich
selbst Abbilder von sich senden und Lust- und Schmerzempfindungen verursachen,
woraus sich bei Dir Zuneigung und Abneigung bilden.
Und hieraus gewinnst Du denn endlich diesen Schluß: ,,Da
alle Empfindungen in Betreff dessen, was dem Körper nützlich ist,
weit häufiger das Wahre als das Falsche anzeigen“, so schließest
Du, ,,daß Du Dich nicht fernerhin zu fürchten
brauchst, daß das von den Sinnen Dir täglich Dargebotene falsch sei“.
Dasselbe sagst Du sodann von den Träumen: ,,Weil
diese nämlich sich nicht mit allen übrigen Erlebnissen durch das Gedächtnis
so verbinden, wie das, was einem im Wachen begegnet“, deshalb stellst
Du fest, daß Dir die wahren Dinge ,,nicht im Schlaf,
sondern im Wachen begegnen“. Und ,,daraus“, sagst Du, ,,daß
Gott kein Betrüger ist, folgt jedenfalls, daß Du Dich in solchen
Dingen nicht täuschst“. Und wie das ein recht frommes Wort
von Dir ist, so hast Du wirklich durchaus recht, wenn Du schließlich folgerst,
,,das Leben des Menschen sei dem Irrtum unterworfen, und man müsse die
Schwäche unsrer Natur anerkennen“. — Das wäre, hochverehrter
Mann, was ich hinsichtlich Deiner Meditationen zu bemerken hätte. Ich wiederhole,
Du brauchst Dich durchaus nicht darum zu kümmern, weil mein Urteil nicht
so viel wert ist, daß Du es auch nur im geringsten würdigen müßtest.
Wie ich nämlich nicht behaupte, wenn irgendeine Speise meinem Gaumen angenehm
ist, die, wie ich sehe, anderen nicht zusagt, daß mein Geschmack vollkommener
sei als ein fremder, so bin ich weit entfernt, wenn eine Meinung meinem Geiste
gefällt, die anderen nicht behagt, zu behaupten, ich wäre auf die
bessere verfallen. Das halte ich vielmehr für ein richtiges Wort: daß
jeder auf seine eigene Weise recht hat. So halte ich es für ebenso unbillig,
zu verlangen, daß alle dieselbe Meinung haben, wie daß alle denselben
Geschmack haben sollten. Und das sage ich Dir, damit Du die Auffassung gewinnst,
daß es Dir meinetwegen freisteht, alles, was ich dargelegt habe, in den
Wind zu schlagen und einfach nicht zu berücksichtigen. Es
genügt mir, wenn Du meine Ergebenheit Dir gegenüber erkennst und die
Verehrung, die ich Deinem Können zolle, nicht verachtest. Mag sein, daß
ich einmal etwas zu leichtsinnig vorgebracht habe, wie es beim Opponieren sehr
leicht vorkommt. Wenn dem so wäre, so nehme ich es zurück. Streiche
es nur ruhig aus und sei versichert, daß ich mir nichts mehr habe angelegen
sein lassen, als mir Deine Freundschaft zu verdienen und sie unversehrt zu erhalten!
Lebe wohl!
Paris, den 16. Mai im Jahre des Heils 1641
S. 302ff.
Aus: René Descartes, Meditationen mit
sämtlichen Einwänden und Erwiderungen. Zum erstenmal vollständig
übersetzt und herausgegeben von Artur Buchenau.
Felix Meiner Verlag: Philosophische Bibliothek Band 27
Descartes Antwort
auf Gassendis Einwände gegen die sechste Meditation
1. Darüber, ,,daß Du bestreitest, daß materielle Dinge existieren, sofern sie das Objekt der reinen Mathematik sind“, habe ich schon früher gehandelt.
Falsch aber ist es, die Einsicht eines Tausendecks sei verworren. Vieles läßt sich nämlich von ihm ganz scharf und klar beweisen, was sicherlich nicht möglich wäre, wenn es nur verworren oder, wie Du sagst, ,,nur dem Namen nach“ erfaßt würde. Vielmehr denken wir es in Wahrheit ganz klar in einem Augenblicke, wenngleich wir es nicht ganz in einem Augenblicke uns vorstellen können, woraus sich ergibt, daß die Verstandeseinsicht und die Einbildungskraft sich nicht nur graduell unterscheiden, sondern wie zwei ganz verschiedene Tätigkeitsweisen. Denn beim Denken bedient sich der Geist allein seiner selbst, bei der Vorstellung aber betrachtet er eine körperliche Form. Und wenn auch die geometrischen Figuren überhaupt körperlich sind, so darf man doch nicht deshalb die Ideen, unter denen sie gedacht werden, sofern sie nicht in den Bereich der Vorstellung fallen, für körperlich halten.
Und schließlich sieht es Dir, verehrtes Fleisch, ganz ähnlich, wenn Du meinst, ,,die Ideen von Gott, dem Engel und dem menschlichen Geiste seien körperlich oder so gut wie körperlich, nämlich von der Gestalt des Menschen und von anderen ganz feinen, einfachen, nicht wahrnehmbaren Dingen, wie die Luft oder der Äther ist, entlehnt“. Jeder nämlich, der sich Gott oder den Geist so vorstellt, versucht, sich ein nicht-vorstellbares Ding vorzustellen und bildet sich nur eine körperliche Idee, der er die Bezeichnung Gott oder Geist fälschlich beilegt; denn in der wahren Idee des Geistes ist allein das Denken (cogitatio) mit seinen Attributen, deren keines körperlich ist, enthalten.
2. Hier zeigst Du deutlich, daß Du Dich nur auf Vorurteile stützest und sie niemals ablegst, da Du verlangst, ich solle dort, wo ich niemals eine Täuschung entdeckt habe, keine Täuschung vermuten. Und daher ,,müßten wir, wenn wir einen Turm aus der Nähe sehen und berühren, gewiß sein, daß er viereckig ist“, wenn er viereckig erscheint; und wenn wir wirklich wachen, ,,könnten wir nicht im Zweifel sein, ob wir wachen oder träumen“, und ähnliches. Du berücksichtigst nämlich dabei nicht, daß Du glaubst, alles, worin ein Irrtum liegen kann, schon längst bemerkt zu haben, und es ließe sich beweisen, daß Du Dich bisweilen auch in dem täuschest, was Du so für sicher gelten läßt. Wenn Du aber darauf zurückkommst zu erklären, ,,man dürfte wenigstens nicht zweifeln, daß die Dinge so erscheinen, wie sie erscheinen“, dann kehrst Du auf den richtigen Weg zurück, und just das habe ich in der zweiten Meditation ausgesprochen. Doch hier drehte sich die Frage um die Wahrheit der außer uns befindlichen Dinge, worüber Du nichts Wahres beigetragen hast.
3. Hier halte ich mich nicht bei dem auf, was Du bis zum Überdruß oft wiederholt hast: ,,ich hätte gewisse Punkte nicht bewiesen“, die ich doch bewiesen habe; ,,ich hätte nur von dem massigen Körper gehandelt“, wo ich doch von jedem beliebigen, auch noch so feinen Körper gehandelt habe, und ähnliches. Denn was soll man derartigen Behauptungen, die durch keinen Grund gestützt sind, anderes entgegensetzen als eine Verneinung? Aber nebenbei hätte ich doch gerne gewußt, wodurch Du beweisen willst, daß ich mehr von dem massigen als von dem feinen Körper gehandelt habe. Doch wohl weil ich gesagt habe, ,,ich habe einen mit mir verbundenen Körper“, und ,,es ist gewiß, daß ich von meinem Körper verschieden bin“, Worte, bei denen ich nicht sehe, warum sie nicht ebenso auf einen feinen, wie einen massigen Körper passen sollen; und ich glaube auch, daß das niemand außer Dir sieht. Übrigens habe ich in der zweiten Meditation bewiesen, daß der Geist als eine existierende Substanz begriffen werden (intelligi) könne, obgleich wir nicht einsehen können, daß etwas existiert, was Wind oder Feuer oder Dampf oder Hauch oder ein anderer beliebiger noch so feiner und zarter Körper ist. Ob er aber tatsächlich von jedem Körper verschieden ist, darüber habe ich, wie ich sagte, dort nicht gehandelt. Hier aber habe ich gerade darüber gehandelt und eine Darlegung gegeben. Du aber verquickst die Frage über das, was gedacht werden kann, mit der Frage über das, was wirklich ist, und beweisest dadurch, daß Du nichts davon begriffen hast.
4. Hier stellst Du die Frage, ,,wie ich meinte, daß in mir, dem Subjekte ohne Ausdehnung, das Bild oder die Idee des Körpers, der ausgedehnt ist, Aufnahme finden könne“. Ich antworte: Es wird kein körperliches Bild im Geiste aufgenommen, sondern es findet ein reines Denken eines körperlichen Dinges wie eines unkörperlichen ohne jedes körperliche Bild statt. Bei der Vorstellung aber, die nur bei körperlichen Dingen möglich ist, bedarf es eines Bildes, das zwar ein wirklicher Körper ist und dem sich der Geist zuwendet, das aber nicht im Geiste Aufnahme findet.
Was Du ,,über die Idee der Sonne“ sagst, ,,die bloß aus ihrer Wärme ein Blinder gewinnen könne“, das ist leicht widerlegt. Jener Blinde kann nämlich eine klare und deutliche Idee der Sonne, als eines wärmenden Dinges, haben, obwohl er keine hat von ihr als einem leuchtenden Dinge. Und Du tust nicht recht daran, mich mit jenem Blinden zu vergleichen, erstens weil die Erkenntnis eines denkenden Dinges eine viel umfassendere Bedeutung hat als die eines wärmenden Dinges, ja sogar eine umfassendere als irgend etwas, was wir an irgendeinem anderen Dinge erkennen, wie ich seinerzeit gezeigt habe, und sodann, weil nur die beweisen können, daß jene Idee der Sonne, die der Blinde sich bildet, nicht alles, was von der Sonne erfaßt werden kann, enthält, welche, mit dem Gesicht begabt, obendrein ihr Licht und ihre Gestalt erkennen. Du erkennst aber nicht nur nicht mehr vom Geiste, sondern nicht einmal das, was ich erkenne. So daß in diesem Punkte Du vielmehr als Blinder, ich mit der ganzen Menschheit höchstens als schwachsichtig bezeichnet werden könnte.
Und ich habe nicht hinzugefügt, ,,der Geist sei nicht ausgedehnt“, um zu erklären, was er selbst sei, sondern nur um daran zu erinnern, daß die irren, die ihn für ausgedehnt halten. Ebenso würde, wenn welche behaupteten, der Bukephalus [Alexanders Lieblingspferd] sei eine Musik, das ganz mit Recht von anderen bestritten werden. Und tatsächlich scheinst Du mir in dem, was Du hier hinzufügst, um zu beweisen, der Geist sei ausgedehnt (nämlich weil er sich des Körpers bedient, der ausgedehnt ist), nicht besser Deine Schlüsse zu ziehen, als wenn Du daraus, daß Bukephalus wiehert und schnaubt und somit Töne von sich gibt, die mit Musik in Zusammenhang gebracht werden können, von Bukephalus schließen würdest, daß er Musik sei. Wenngleich nämlich der Geist mit dem ganzen Körper vereinigt (unita) ist, so folgt nicht daraus, daß er selbst durch den Körper ausgedehnt ist, weil es nicht zu seinem Begriffsinhalt (ratio) gehört, daß er ausgedehnt ist, sondern nur, daß er denkt. Und er denkt nicht die Ausdehnung unter einem in ihm existierenden ausgedehnten Bilde, obschon er sie sich vorstellt, indem er sich einem körperlichen Bilde zuwendet, das ausgedehnt ist, wie schon gesagt. Und es ist schließlich nicht nötig, daß er selbst Körper ist, obgleich er die Kraft hat, einen Körper zu bewegen.
5. Was Du hier ,,über die Vereinigung des Geistes mit dem Körper“ zu sagen hast, ist dem Vorangehenden ähnlich. Nirgends wendest Du etwas gegen meine Gründe ein, sondern bringst nur Zweifelsgründe bei, die sich Dir aus meinen Folgerungen zu ergeben scheinen, obwohl sie in Wahrheit nur daraus entstehen, daß Du das, was aus seiner Natur heraus nicht in den Bereich der Vorstellung fällt, doch mit ihrem Maßstabe messen willst. So genügt es hier, wo Du die Vermischung von Geist und Körper mit der Vermischung zweier Körper vergleichen willst, wenn ich antworte: es darf zwischen solchen Dingen kein Vergleich angestellt werden, da sie in ihrer ganzen Art verschieden sind, und man darf sich deshalb keine Teile im Geiste vorstellen, weil er selbst Teile im Körper denkt. Denn woher hast Du das, daß alles, was der Geist denkt, in ihm selbst sein müsse? Wahrlich, wenn das der Fall wäre, dann müßte er, wenn er die Größe der Welt denkt, auch sie in sich haben, und so wäre er nicht nur ausgedehnt, sondern an Ausdehnung noch größer als die Welt.
6. Hier widersprichst Du mir in keinem Punkte, und trotzdem machst Du reichlich viel Worte, doch wohl, damit der Leser daraus erkennt, daß man die Fülle Deiner Beweise nicht nach dem Schwall Deiner Worte beurteilen darf.— Bis hierher also hat der Geist mit dem Fleisch sich auseinandergesetzt und ist, wie es zu erwarten war, in vielen Punkten von dessen Auffassung abgewichen. Doch schon in den Schlußworten erkenne ich Gassendi in seiner wahren Gestalt und bewundere in ihm einen ganz ausgezeichneten Philosophen und umarme in ihm einen Mann von Seelengröße und makellosem Lebenswandel, und so werde ich stets bestrebt sein, mir seine Freundschaft durch jedes mir mögliche Entgegenkommen zu verdienen. Daher bitte ich ihn, es nicht übelzunehmen, wenn ich bei der Widerlegung seiner Einwände mit philosophischem Freimut gesprochen habe; wie mir in der Tat alles sehr willkommen war, was sie enthalten. Und im übrigen habe ich mich gefreut, daß von einem Manne von solchem Rufe in einer so langen und so sorgfältig geschriebenen Abhandlung kein Grund beigebracht worden ist, der meine Gründe erschütterte, und auch keiner gegen meine Folgerungen, auf den es mir nicht ein Leichtes gewesen wäre zu antworten. S. 351ff.
Aus: René Descartes, Meditationen mit sämtlichen
Einwänden und Erwiderungen. Zum erstenmal vollständig übersetzt
und herausgegeben von Artur Buchenau.
Felix Meiner Verlag: Philosophische Bibliothek Band 27