Jeremias Gotthelf, eigentlich Albert Bitzius (1797 – 1857)

  Schweizer Dichter, der ursprünglich Pfarrer war und in volkserzieherischer Absicht im Alter von 40 Jahren zu schreiben begann. Gotthelf war ein ursprüngliches Erzähltalent und bedeutender Realist, der das Bauerntum hoch schätzte. In seinen teilweise im Dialekt geschriebenen Romanen tendierte er eher zu einer Schilderung einer Welt, die von Laster, Übeln und Bosheiten regiert wird.

Siehe auch Wikipedia , Kirchenlexikon und Projekt Gutenberg

Inhaltsverzeichnis
Die Schlachtfelder


Zeitgeist
Volksaufklärung
Verhältnis Staat
und Kirche
Leichenrede



Die Schlachtfelder

Am Himmel war ein schöner Tag, viel Staub war auf Erden, Menschenmassen wirbelten den Staub auf, störten seine Ruhe, er aber setzte sich in die Augen, trübte den Himmel. Große Massen blieben auf großem Felde stehn, und einige aus ihnen traten vor und taten lange Reden von denen, welche auf diesem Felde moderten, und dann redeten sie noch länger von denen, die auf diesem Felde standen, und manchmal wußte man nicht recht, wie sie von denen einen auf die andern kamen, und was die einen getan, und was die andern sollten. Die aber, welche nicht redeten, wurden ungeduldig und durstig, ans Trinken und den Schatten unter den langen Zelten dachten sie mehr als an die Helden da unten; die langen Reden hatten ihnen das Andenken an sie vertrieben. Endlich lief die letzte Rede aus, die Menge aber dem Schatten und dem Essen zu, wo schon viele Vorangegangene waren zu großem Ärger der Nachkommenden. Als man saß, aß und trank, da kam nach und nach die Behaglichkeit, und aus der Behaglichkeit wickelte sich allmählich die Begeisterung und schwoll gewaltig an unter Essen und Trinken, machte die Rede wieder flüssig, und Trinksprüche donnerten aus allen Ecken wie Kanonendonner in der Schlacht, und hintendrein schollen die herzbrechenden Töne der Menge, so gleichsam Generalsalven der Massen. Jetzt senkte sich eine erhabene Stimmung über das Volk, jeder fühlte sich ein Held, und der Mut trat zu den Augen aus, kuraschiert ins Feld hinaus, wo kein Feind war, wenn aber einer da gewesen wäre, so hätte man erfahren, was aus Mut und Feind geworden wäre.

Aber, je herrlicher es ging, desto wehlicher ward mir ums Herz. Tränen drangen mir herauf aus der Seele tiefunterstem Grunde, und die Toaste und das Getöse schnitten mir schmerzlich durch die Nerven, und vor meinen Augen flimmerten seltsame Gebilde. Es war mir, als stünden draußen vor den Zelten die Helden, welche die Schlacht geschlagen, und schauten mit wunderlichen Augen über die Enkel hin, die so mutig taten, so hoch sich vermaßen, und aus den funkelnden Geisteraugen drangen unnennbare Schauer auf mich ein. Sie jagten mich durch den Zauberkreis der Helden, den ich blindlings durchbrach, der mit unaussprechlichem und doch leisem Geprassel sich mir öffnete, und hinter mir drein prasselten neue Toaste und jagten meine wehmütige Seele verfolgenden Schatten oder gespenstigen Jagdhunden gleich durch Busch und Feld, durch Stadt und Straßen, bis ich ein einsam Plätzchen fand, wohin kein streifend Pärchen mich verfolgte, keine Töne zu hören waren als das Säuseln des Windes in des Kastanienbaumes schwerem Laube. Mauern umfassten den stillen Ort, wo ich auf kleinem Hügel in kühlem Schatten saß; es war auch ein Schlachtfeld, ein Schlachtfeld, das Tausende von Kämpfern verschlungen hatte und noch Tausende verschlingen wird — es war ein Kirchhof.

Hier ruhen nicht bloß die Opfer einer blutigen Stunde, von menschlichen Waffen durch ebenbürtigen Feind besiegt, hier ruhen reihenweise aufeinander Geschlecht um Geschlecht seit Jahrhunderten, hier ruhen die Kämpfer mir dem Leben, durch den Tod besiegt. Wie tapfer und wie feig einer gefochten, der Tod streckte ihn nieder zur beliebigen Stunde. Es war heilige, geweihte Erde, auf welcher ich saß. Zu manchem Gebilde muß die Erde dienen, muß den Leib spenden dem scheußlichen Wurme und der lieblichen Blume, muß die Materie geben zum hölzernen Klotze und zum Leibe des vernünftigen Menschen, dem Ebenbilde Gottes. Die Erde aber, welche dem Menschen gedienet zur sichtbaren Hülle, ist geheiliger, geweiht vor jeder andern Erde, soll nicht mehr erniedrigt werden zu gemeinem Dienste, darf höchstens noch Blumen kleiden als die sichtbaren Zeugen, daß verklärt der Erde entsteigen werde, was dunkel und unscheinbar in sie versenket ward. Darum, wenn Gott den Geist des Menschen wieder zu sich rufet, wird die Hülle aus Erde hieher gebracht als wie in heiligen Raum und durch Mauren gesöndert vor der Erde, die gemeinen Gebilden nur dienet. Es ist selten ein Mensch, den nicht ein eigenes Gefühl anwandelt, wenn er in diese Mauren trittet, der nicht mit einer Art heiliger Scheu seinen Fuß auf die Asche setzet, die einst im Gebilde des Menschen so hoch gewürdigt worden, so herrlich sich dargestellet hatte. Wie mancher Kämpfer hatte wohl seine sterbliche Hülle geben müssen, damit der kleine Hügel sich bilde, auf dem tief sinnend ich saß? Ach, es ist so wenig, was vom Sterblichen bleibt: eine Hand voll Asche, sagt der Dichter. Und die Hand braucht nicht einmal groß zu sein, welche sie fasset. Bleibt aber nichts als die Hand von Asche, hinterlassen Tausende der Kämpfer nichts als einen kleinen Hügel, den mit zwei Schritten ein Mensch übersteigt?

So sann ich, und vor mir türmte neben dem kleinen Hügel ein mächtiger Berg sich auf, und schwindelnd saß ich oben auf dessen Spitze, und dieser Berg war mein, war vielen andern noch, und ich hatte bis dahin von diesem Berge nichts gewußt, und wie mir geht es tausend und abertausend gedankenlosen Sterblichen. Ich sah, daß nicht nur jedes Geschlecht Großes hinterlassen, sondern auch jeder Kämpfer, der feige wie der tapfere, etwas Gutes oder etwas Böses, etwas Erkämpftes oder etwas Versäumtes, etwas Erfundenes oder etwas Zerstörtes, Taten in der Welt, Eindrücke in den Seelen; aus dieser Hinterlassenschaft wuchs der Berg empor. Und, je mehr ich diesen Berg ins Auge faßte, desto ungeheurer ward er, sein Fuß deckte die Erde, seine Spitze strebte zur Sonne, und jeder, der da lebte, hatte sein Teil daran, es war das Erbgut des lebenden Geschlechtes, und jeder, der da gestorben war, auch wenn sein Name mit ihm zu Grabe gesenket war, hatte zum Berge seinen Teil beigefüget, so gewiß sein Leib zu Staube geworden, um ein Häufchen Staub der Erde vermehret hatte.

Was wir haben in Haus und Herz, was wir sind vor Gott und Menschen, was wir brauchen in Feld und Holz, in Küche und Keller, es ist das meiste und Beste von frühern Geschlechtern her, es sind ihre Erfahrungen und ihre Erfindungen, ihre Erwerbungen und ihre Entdeckungen, die uns zugut kommen, auf die wir abstellen, um zu Höherem und Besserem zu gelangen. So hat jeder teil an der ungeheuren Erbschaft, und wer nicht krank ist an tollem Übermut, danket denen da unten für die Mühen, deren Früchte wir ernten in so reicher Fülle. Wie ich dieses dankbar dachte in demütigem Gemüte, und wie wir nichts wären ohne die, welche uns vorangegangen, gedachte ich derer, die zunächst vor mir gewesen, und als ob diese alsobald aus den Gräbern erstünden, war es mir.

Vor mein geistiges Auge trat mir die holdselige Mutter, die meine innere Welt mir erbauet, ihr Sehnen und Ahnen, ihr Träumen und Trachten mir zum Erbe gemacht hafte, aus deren freundlichen Blicken, welche sie versenket hatte in mein Herz lebendigen Sonnenstrahlen gleich, die schönsten Freuden, die reinsten Stunden mir entsprossen waren. Und neben sie trat der feste Vater, der mir den Ernst vererbet, der mit dem Heiligen nicht spielt, keine leichte Achsel hat für irgendeine Pflicht, die Demut, die nie scheinen will, was man nicht ist, immer mehr tut, als einem zugetraut wird, die Treue, die nie nach Dingen trachtet, welche über Vermögen sind, dem Übernommenen aber obliegt mit der ganzen Innigkeit der Seele, mit der Kraft, welche nicht im Lohn der Welt ihre Nahrung hat, sondern im Bewußtsein des Kindes Gottes, der seine Liebe, sein Tun auch nicht misset nach der Menschen Dank und Lohn. So hatten sie unschätzbare Schätze mir hinterlassen und dazu noch manches, um deswillen die Menschen reich mich nannten. Ich war ein dank¬bares Kind gewesen, die kleinste Schuld, welche sie hinterlassen, hatte ich getilget, die geringste Verpflichtung gelöset, hatte ihnen bei vielen Armen ein dankbares Andenken zu stiften versucht, mit schönen Tafeln ihre Gräber gezieret, und sooft mein Mund Gelegenheit hatte, legte ich Zeugnis ab, daß ich den Eltern alles zu verdanken hätte, denn, wenn ich selbst auch vieles errungen, wer war es, der die Kraft dazu mir gepflegt, zu ihrer Ausübung mir den Sinn gegeben?

Doch war es mir, als seien ihre Züge überschattet von einem düstern Wölkchen, als läge eine Bitte in ihrem verklärten Auge. Ich mühte mich um deren Verständnis, aber lange ging es mir nicht auf. Ich hatte alles ausgerichtet, was sie mir an¬befohlen, alle Schulden getilget, welche sie hinterlassen. Alle? Hatte ich nicht eine doppelte Erbschaft angetreten? Schulden waren bei der einen, waren keine bei der andern? Hatte ich nicht eine geistige Schuld ererbet, die zu tilgen war, hatten die Eltern nicht auch in Schwachheit ausgesäet, was zu jäten war? So dachte ich, und auf der Seligen Angesicht ging es wie eine Sonne auf, und eine Liebe strahlte zu mir hin, wie ich sie nie empfunden. Da erkannte ich, daß ich ihre Bitte verstanden, und Schwächen tauchten auf, die ich von Vater und Mutter ererbet, die ich um ihretwillen fast lieb gehabt, die ich ihrer Sühnung opfern mußte. Und wie ich einmal das Verständnis hatte, sah ich noch außer mir des mehreren, welches sie hinterlassen, das zu tilgen, das zu söhnen war. Genoß ich das Gute, so hatte ich zu tilgen ihre Schulden mit dem Gut, das ich in Besitz genom¬men nicht leiblich bloß, geistig auch. Es war mir, als weihe dieser Gedanke mich ein zum heiligen Priester, der zu opfern hätte zur Sühnung der Toten, aber nicht totes Geld, nicht unschuldige Tiere, sondern ein Streben in heißer Liebe, das Unkraut zu tilgen, was im großen Weltenacker die Gestorbenen hinterlassen. Und ist dieser Glaube etwa neu? Haben nicht unsere katholischen Brüder auch den Glauben, daß die Überleben¬den sühnen müßten die Vorangegangenen, und versuchen, mit Messen die schuldigen Seelen zu lösen aus ihrer Pein? An die Kraft der Messen glauben wir nicht und mit Recht, mit Geld löset man Seelen nicht, tilget geistige Schulden nicht, aber sollte ein Ausreißen des Unkrautes, eine abgehauene Hand, die Ärgernis gab, ein Streben im Geiste und in der Wahrheit, das Böse zum Guten zu wenden, keine Sühnung sein, kein heilig, eigen¬tümlich Priestertum?

Wie sich dieses mir klar und heiß stellte vor das innere Auge, so drängten um Vater und Mutter sich Tausende von Geistern, Scharen walleten daher wie aus dem Boden herauf, das letzt vergangene Geschlecht voran, und in tiefem Hintergrunde reihten sich frühere Geschlechter auf, und sie nickten alle mir freudig zu, umflossen mich. Es deuteten mir die Nächsten auf die Sünden des vergangenen Geschlechtes, auf Unkraut, welches mir zur Hand lag, auf Torheiten, welche in meiner Seele waren, auf Richtungen, welche vom Übel waren. Und Väter kamen und gaben mir Botschaften an ihre Söhne, und Mütter kamen und sagten mir, wessen ihre Töchter gedenken sollten auf ihren Gräbern, was sie zu tun hätten zur Sühnung ihrer Seelen. Und manches trugen sie mir auf, an das ich nie gedacht, und manches, daß das Herz mir bebte in der Brust. Und wenn sie mich gebeten hatten, so sagten sie: »Wenn ihr Lebendigen uns sühnet, die Priester der Toten seid, dann vermögen wir eurer in Liebe zu gedenken in des Vaters Reich.« Diese Worte waren mir erst wie eine dunkle Kohle, aber vom Hauche des Geistes angewehet, erglimmten sie, bis die Kohle zu einem strahlenden Sterne ward.

»Gedenke mein, wenn du in deines Vaters Reich kömmst!« hatte der Schächer gebeten; »heute sollst du in meinem Reich sein!« hatte der Herr ihm geantwortet. Gedenken wohl die, welche im Herren sterben, wenn sie in des Vaters Reich kom¬men, derer, welche hier im Leben mit ihnen gelitten und ge¬stritten und ihre Rechtfertigung versuchen nach Vermögen?

Da war es, als ob dieser klar gewordene Gedanke neue Freude gösse über die vergangenen Geschlechter, und von ihnen her erglänzte mir die Antwort: »Gedenket unserer in eurem Schalten und Walten, euer Leben sei unsere Sühnung, dann wollen wir eurer beim Vater gedenken mit Bitten und Flehn, euer Lohn soll Gnade und Segen sein, unsere Seligkeit soll eure Heiligung sein!« Und diese Antwort ward in meiner Hand zum Schlüssel, mit diesem Schlüssel öffnete ich den Himmel, und ich sah, wie vom Throne des Unsichtbaren Gnaden und Segen in vollen Strömen flossen auf die Bitten der Seligen über die, welche in wahren Treuen den hinterlassenen Acker bauten.

Diesen Schlüssel wollte ich auch legen in andere Hände, damit sie auch schauten in diese Herrlichkeit zur Zerknirschung, aus welcher die Bekehrung wächst. Aber der klare Himmel ward ihnen zu trübem Nebel, der Schlüssel ein zuckender Blitz im Sonnenlicht, ein zweischneidend Schwert, das durch die Seele fährt. Das waren die, welche das ererbte Böse bauten, zerstörten das ererbte Gut, welche das Erbteil täglich kleinerten, die Schuld mutwillig mehrten, Unkraut pflegten und säeten mit frevler Hand, Hohn streuten dem vergangenen Geschlechte, Gift mischten für das kommende, den Himmel verachteten, die Erde verhunzten; das waren die Kinder, welche die Eltern verachteten, die Söhne, welche sich vor Götzen wälzten, die Töchter, welche sich selbst anbeteten. Diesen allen ward der Schlüssel in ihren Händen zur Schlange, aus der Schlange aber wollten sie einen Grabstein machen und ihn decken auf meine Träume, wollten die Schlange zur Geißel machen, wollten mit ihr die treuen Söhne und Töchter jagen in ihre Gräber. Aber sie vermochten es nicht. Das Bewußtsein, daß wir nichts wären ohne die Gestorbenen, nichts als nackte Wilde in düstern Sümpfen und Wildnissen, unsere Seele selbst Sumpf und Wildnis, wollte nicht erlöschen, in unsern Seelen flammte die Treue immer höher auf, und in den Herzen brannte die Liebe immer heller, und Treue und Liebe trachteten, zu tilgen unsere Verpflichtung durch Sühnung der Gestorbenen. Sünde ward uns der tolle Übermut des gegenwärtigen Geschlechtes, und von den Lebendigen schlang sich ein Band durch den offenen Himmel um die Seligen, und das Grab war keine Kluft mehr, der Tod war eine Türe, und, wie die Lebendigen für die Toten opferten im Geiste und in der Wahrheit zur Sühnung des gepflanzten Bösen, des versäumten Guten, so gedachten die Toten der Lebendigen beim Vater in wahren Treuen, in geläuterter Liebe, baten um den Geist der Kraft für ihre Kinder.

Wenn in enger Hütte ein armes Müetti im Sterben liegt und ein Kind nach dem andern kömmt, es hat Bescheid erhalten, das gute Müetti wolle fort und möchte noch Abschied nehmen für diese Welt, so bringt das eine einen Lebkuchen mit, ein weißes Brötchen das andere, das dritte einen Wecken, das vierte eine Halbe guten Wein. Vom besten hatte es gefordert für eine Sterbende; daß der Wirt ihm dennoch halb Gurzeler hineingelassen, weil er weder Lebenden noch Sterbenden ein gutes Tröpflein gönnte, das wußte es nicht. So kommen sie alle mit etwas Gutem und weinen und möchten dem Müetti noch ein Zeichen der Liebe tun, und jedes bittet: »Ach Müetti, nimm doch von Meinem, vom Brötchen, es ist so weiß, vom Wecken, er ist so lind, vom Lebkuchen, er ist so mürbe, vom Wein, er ist so gut!«; und das fünfte, bei welchem die Mutter wohnet, stehet auch dabei mit trübem Trank in der Hand und will mit blechernem Löffel die trocknen Lippen netzen.

Aber das Müetti will von allem nichts mehr, es schüttelt das matte Haupt; schon ist ihm der Tod zum Herzen gestiegen, nur in den Augen ist noch Leben, da leuchtet die Liebe gar innig noch und warm, und von einem zum andern sehen die Augen, bis auch sie der Tod erreichet, mit seinem Dunkel sie überschattet, mit seiner Hand sie bricht. Dann bricht bei den fünf armen Kindern der innigste Jammer aus: eins lehnt oben ans Hauptkissen sich, das andere birgt an der Fußeten sein weinend Auge. die andern lehnen sich an Tisch und Schrank, die morschen Pfosten wanken. Laut ertönen die Klagen, sie hätten jetzt kein Müetti mehr, hätten nichts ihm noch tun können, kein Brösmeli hätte es genommen von ihren Liebesgaben, und ferner könnten sie nichts mehr für ihns tun und tätens doch so gerne, das gmühe sie so sehr. Kein Müetti hätten sie mehr, das an sie sinne, an sie denke, das drücke das Herz ihnen ab. Aber habt ihr dann vergessen, ihr lieben Kinder, daß die Mutter gegangen ist in des Vaters Reich, daß die arme Mutter jetzt eine reiche Mutter geworden ist in des Vaters Herrlichkeit, daß sie dort euerer Liebe gedenken wird, die ihr ihr in der letzten Stunde erwiesen, beim Geber alles Guten, daß sie eure Heilige sein wird? Sie hat auf Erden euch keinen irdischen Schatz hinterlassen. Aber rund sind die Batzen, sie kommen und schwinden, man weiß nicht, wie; und, wo Gottes Segen nicht ist, da klebet der Fluch daran und verdirbet Leib und Seele in der Hölle. Sie aber hat ihr Leben an den Schatz im Himmel gesetzet, ist zur Heiligen ihrer Kinder geworden, speiset und tränket ihre Seelen zum ewigen Leben, zieht mit Macht und Kraft sie nach oben.

Lachet nicht, liebe Leute! Ehedem gaben große Städte großes Geld für einen einzigen Heiligen, lebten glücklich im Glauben an seine Macht und Kraft, seinen Schutz und seine Fürbitte. Den Glauben an solche Heilige und ihre Macht haben wir von uns getan und mit Recht. Aber wer will den Glauben uns wehren, daß fromme Eltern ihrer Kinder gedenken können beim Vater, Schutzengel und Fürbitter ihnen sein können, sobald die Kinder ihre Priester auf Erden werden und zu sühnen trachten die hinterlassene Schuld. Darum, liebe arme Kinder, weinet wohl, aber tröstet euch! Wenn eure Mutter schon nicht mehr gegessen hat von Wecken oder Brötchen, ihr könnt ihr doch noch wohltun im Himmel, sie hat sicher etwas zur Sühnung euch hinterlassen in euch oder außer euch. Denket nach, sühnet es, dann freut sie sich und gedenket eurer beim Vater. Und wäre es nicht herrlich, wenn auf diese Weise jede Hütte zum Heiligtum würde, in welchem geopfert würde alles hinterlassene Böse zur Sühnung der Geister, jeder Sterbende zum Heiligen, der der Seinen gedenket in des Vaters Reich?

Ein König liegt im Sterben in königlichem Palaste, seine Hand hält das Zepter nicht mehr, entfallen ist seinem Haupte die Krone; zu den Füßen seines Sohnes sind Zepter und Krone gerollt. »Der König ist tot!« heult das Hofgesindel, und mit dem andern Atemzuge jauchzt das gleiche Gesindel: »Es lebe der König!« und fällt vor dessen Füge. Vor dem jungen Könige flammt die Herrlichkeit der Welt auf; sein ist das Reich. Aber wer gedenket seiner in des Vaters Reich, und was hat jetzt die Seele des alten Königs von der vergangenen Herrlichkeit, wenn diese nun zum Unkraute wird, und das Unkraut schlingt sich wucherend um Sohn und Volk, und keine Hand reißt es aus, kein treues Herz bringt Sühnopfer? Auch der junge König wird sterben, seine Herrlichkeit verwelken, Zepter und Krone ihm entrollen, was wartet dann sein, wenn das Gesindel wieder jauchzt: »Der König ist tot!«, und hat niemand sein gedacht in des Vaters Reich, und niemand wird an sein Sühnen denken auf Erden? Wäre es nicht seine größte Herrlichkeit, wenn sein Vater oben, wo Könige nicht mehr als Bettler sind, ihm eine Stätte bereitete, und wenn der Sohn auch dem Vater Sühnopfer brächte in weisem, christlichen Sinne?

Wäre es nicht herrlich, wenn Paläste und Hütten heilige Stätten würden und die aus ihnen scheidenden Könige und Bettler zu Heiligen sich verklärten, die zurückbleibenden aber das heilige königliche Priestertum verwalteten? Und ists nicht traurig, daß Könige und Bettler gewöhnlich an solche Dinge am wenigsten denken, daß so oft der Hudel und der Höchste schon auf Erden auf gleicher Stufe stehen, in gleichem Kote sich wälzen, nur mit verschiedenem Anstande, daß beide ihr himmlisch Erbrecht ans gleiche Linsengerichte tauschen, nur mit dem Unterschiede, daß der eine es länger kocht und anders und mit andern Löffeln es isst als der andere!

So stiegen Gedanken und Bilder vor meinem innern Auge auf und nieder, und ganz hatte ich vergessen, dass ich an ein großes Fest gekommen, und ich kam mir vor wie ein Priester, der alleine in geheimnisvoller Einsamkeit zu seinem heiligen Werke sich rüstet, da rief mich plötzlich kühl und kalt eine Stimme wach, eine Stimme aus der Wüste. Aber die Wüste lag nicht außer mir, sie lag in mir, und die Stimme war mein Verstand, der meine Seele wachrufen wollte aus diesen Träumen, mir sagen wollte, diese Träume seien nichts anders als alter Aberglaube und führten nirgends anders hin als in längst abgestreifte Irrtümer. Die Lebendigen sollten sorgen für die Lebendigen, höchstens für die, welche nach ihnen ins Leben kämen, die Toten sollten wir tot sein lassen, ein mehreres sei vom Bösen.

Aber meine Seele ließ sich nicht erschrecken, lehnte gegen den Verstand sich auf mit manch bedeutendem Grunde. Das eben sei ein Unglück, sagte sie, daß der Verstand der Verständigen keinen Unterschied zu machen wisse zwischen frommem Glauben und Aberglauben, zwischen süßem Ahnen und steifen Lehrsätzen, zwischen heiligem Tun und hohlen Zeremonien. Sie fragte, ob es für Kinder wohl etwas Innigeres geben könne als der Glaube, daß sie den Eltern noch nach ihrem Tode vergelten, Liebs und Guts ihnen erweisen könnten, als der Glaube, daß die Eltern ihrer in Liebe gedächten an des Vaters Throne, wie der Herr des armen Schächers gedachte, als er in sein Reich kam. Sie fragte, ob, so gefaßt, der Glaube, daß die Lebendigen die Priester der Toten wären, die Toten aber die Heiligen der Lebendigen, Eintrag täte dem wahren Christentume, ob er nicht vielmehr eine Blume sei, entsprossen dem innersten Wesen des Christentums, umweht mit seinem süßesten Dufte. So stritt meine Seele und behauptete noch, es stünde um manchen Menschen besser, ja, es stünde ums ganze gegenwärtige Geschlecht besser, wenn dasselbe der Toten mehr gedächte, seiner Schulden, seiner Verpflichtungen gegen dieselbigen.

Und wenn wir ein Geschlecht erzögen, ein übermütiges, zerstörungssüchtiges, aber ohne schaffende Kraft, ein hohles, aufgeblasenes, so geschehe es bloß deswegen, weil es von uns gelernt die Vergangenheit verachten und ihre Schätze, ihre Hinterlassenschaft genießen, als täte es einen Gottslohn, weil wir ihm predigen mit Wort und Tat, die Vergangenheit sei ein Unglück, die Gegenwart ein Elend, die Zukunft die goldene Zeit und es das auserwählte Geschlecht im himmlischen Jerusalem.

Meine Seele behauptete, kein Reformierter sei weniger reformiert, wenn er eine Sühnung der Toten versuche, ein frommes Gedenken glaube, unsere Kirche wäre um nichts weniger reformiert, wenn sie der Kämpfer gedenken würde, die auf den nimmersatten Schlachtfeldern ruhen, Geschlecht um Geschlecht vom Tode besiegt, wenn sie die Kirchhöfe ehren würde, wo die durch den Menschen geweihte Erde, abgesondert von der gemeinen Erde, dem gemeinen irdischen Dienste entzogen sei, höchstens Blumen kleiden solle als Andenken der Heiligen im Himmel, als Pfänder und Zeugnisse, dass sie unserer gedächten droben in dem Maße, als wir sie sühnten hienieden.

Dagegen erhob sich gewaltig mein Verstand, aber Staubwolken wirbelten auf und kamen ihm in den Hals, eine Janitscharenmusik donnerte ihn nieder, Massen stürmten daher, Hüte flogen, Fahnen flatterten, Lieder knatterten, neugierige Augen entdeckten mich, fuhren auf mich zu wie Hunde auf den Hasen, den sie lange gesucht und endlich im Versatz gefunden. Ich mußte auf; Menschen, Staub und Töne umwogten, umhüllten mich, wickelten mich ein, daß alles Denken unterging, und in Töne, Staub und Menschen versank der Rest des Tages mir wie die Vergangenheit dem gegenwärtigen Geschlechte — bewusstlos.

Aber bewusstlos schwand mir nicht, was ich auf den Gräbern geträumet, und damit es auch andern ins Bewusstsein komme, habe ich, was ich geträumet, in Worte gefasst
.
Abdruck aus der wissenschaftlichen Ausgabe, Jeremias Gotthelf, Sämtliche Werke in 24 Bänden und 20 Ergänzungsbänden, hrsg. Im Eugen Rentsch Verlag, Erlenbach-Zürich 1929, Band 18 S.42ff.
Enthalten in: Zeichen der Zeit, Ein deutsches Lesebuch in vier Bänden. Band 3: Auf dem Wege zur Klassik, Herausgegeben von Walther Killy Fischer Bücherei 276 (S.348ff.)


Zeitgeist
Volksaufklärung
Will ich ein Pferd zum Fahren, dressiere ich es für das Fahren, will ich es reiten, dressiere ich es zum Reiten, dann habe ich es, wie ich es haben will. Ich kann nicht begreifen, wie unsere Regierungen so lange mit Blindheit geschlagen sind, es war, als ob sie nicht wüßten, daß es aus Hühnereiern nur Hühner und nicht Störche gibt und die Katze junge Katzen gebiert und nicht Lämmer. Was ich da sagte, wollten die Regierungen schon lange, sie wollten Staatsdiener und ließen die Jungen als Kirchendiener von Kirchendienern dressieren, das heißt erziehen, und schlugen hintenher die Hände über dem Kopf zusammen, daß sie aus alten Pfaffenhänden immer wieder junge Pfaffen kriegten.

Das hat man in Deutschland schon lange viel besser begriffen und die Universitäten darnach eingerichtet. Da wird nur von Wissenschaft gesprochen, die Wissenschaft ist die oberste Richterin aller Dinge im Himmel und auf Erden, sie nimmt Gott zweg so gut als den Menschen, und je wissenschaftlicher ein Professor ist, desto schärfer geht er zweg mit Gott und nimmt ihn übers Knie wie der Schuhmacher das Leder, aus welchem er Schuhe machen will; um so mehr sieht er Kirche und Pfaffen über die Achsel an, und wenn er einen Kerl als recht dumm bezeichnen will, so sagt er ihm, er sei gerade so dumm wie ein Pfarrer vom Lande, ein Dorfpfarrer; das seien ihm nach den Heustüffeln die dümmsten Kreaturen auf Gottes Erdboden. » Daneben sei es mit den meisten Professoren auch nicht alles; er schämte sich, wenn er nicht ge¬scheiter wäre als alle Professoren auf allen Universitäten Deutschlands.

Die Deutschen seien bekanntlich Zöpfe und würden es bleiben in Ewigkeit. Dort sei keiner was, wenn er nicht einen Titel hätte, und ohne Titel habe einer dort nichts zu fressen. Nun sei Professor ein angenehmer Titel, klinge schön und gebe z‘fressen; Unzählige sprängen darnach wie Fische nach Mücken. Aber für ihn zu kriegen, müsse einer was Neues gefunden oder ersinnet haben, was Tüfelsüchtiges, das noch keinem eingefallen sei, es sei gleichgültig, was, wenns nur etwas sei, mit dem kein Teufel was machen könne. Je weniger man es begreife, desto schrecklicher werde es ausposaunet und gerühmt, weil niemand den Namen haben wolle, er habe es nicht begriffen, oder er habe an die neuste Neuigkeit nicht gleich geglaubt. So einer werde dann Professor, kleide sich ganz und lebe gut. Komme man dann nach zehn Jahren darüber, daß, was er erfunden, nur eine neue Dummheit sei oder eine alte, aber neu angestrichen, so redeten die Ältern bloß sachte davon, respektierten jedenfalls ihr historisches Recht; bloß Jüngere, welche ebenfalls noch nach Mücken fahndeten, gerieten gierig darhinter und stellten es in seiner Blöße dar, unterdessen aber lasse es sich der Herr Professor wohl sein in seinen ganzen Kleidern, lebe gut, gehorche dem König oder der Majorität und frage dem Rest den Teufel nach.

Auf diese Weise würden Leute erzogen, mit denen sich was machen ließe, Leute, welche man ganz kleide, gut leben ließe, wenn sie nämlich zu dem Dienst sich brauchen ließen, zu dem sie erzogen würden. Solche Leute würden nicht mehr von Gott und Teufel, von Furcht und Glauben predigen, sondern Mo¬ral, schöne Moral, was nützlich und was schädlich, mit was man am weitesten komme in der Welt, was dem Menschen, einem ver¬nünftigen Wesen, am wöhlsten anstelle, wodurch er sich über die andern erhebe oder zu Ehren komme. Wenn einmal das gepredigt würde und so recht ausgelegt, dann gehe er auch zur Kirche, dann seien die Pfarrer nützlich. Er garantiere, auf diesem Wege wollte er eine ganze Gemeinde dahin bringen, daß kein Verbrechen mehr begangen, keine Person straffällig würde, daß man eine äußere Polizei ganz und gar entbehren könnte.

Aber von den Pädagogen verstehe eigentlich keiner soviel, als Kot Platz habe im Auge einer Kleblaus. Das sei das dümmste Volk von der Welt; wenn man das gescheiter machen könnte, als es jetzt sei, es wäre das Kommodste. Dieses Volk sei von einer Materie, wie keine so sei auf der Welt, die förme sich ganz nach den Fingern, in welchen sie sei, hart oder weich, spitz oder stumpf, spröde oder dehnbar, vergeßlich und bsinnt, gstabelig und beugsam, kriechend und fliegend, vierbeinig und bolzgradauf, kurz, das sei ein Volk, welches er auch naß in seinen Fingern haben möchte; indessen sei es doch ein Volk, mit dem sich was machen ließe, wenn es in die rechten Hände käme. Die Pädagogen seien empfindlich gegen den Wind, verstünden alsbald, wo Bartholome den Most hole, und
ad usum Delphini einzurichten, was ihnen zum Einrichten anbefohlen werde. Freilich müsse man ihnen immer auf die Finger sehen; sich selbst überlassen, täten sie eselmäßig und trieben das Krümmste von der Welt, und wenn die drankämen, den Meister zu spielen, wäre der Teufel los. Darum müsse man sich von ihnen mit ihren hochbeinigen Worten nie imponieren lassen, nie Sand in die Augen streuen, das könnten sie wie die Juden beim Handeln. Zwischen beiden finde er überhaupt keinen großen Unterschied, beide verstünden es gleich gut, aus nichts viel zu machen und aus vielem nichts, wenns nicht ihre Sache sei.

Der gute Regierer dachte, wenn er so recht im Reden und Trinken war, selten, wen er um sich hatte; so geschah es ihm denn oft, daß er so recht vaterländisch ins Guttuch fuhr. So war auch ein Rechtsagent anwesend, der früher Quasipädagog, das heißt Schulmeister gewesen. Der hatte schon lange gemuckelt und ungern geschluckt, was der Regierer über die Pädagogen der untern Stufen sagte, den Professoren dagegen hatte er von Herzen gegönnt, was ihnen zu¬gemessen worden war. Jetzt begann er aufzubegehren: es wolle immer alles über die Lehrer aus, und doch, woher habe man das, wo man wisse? Einmal auf die Welt gebracht habe man es nicht, auch nicht mit der Muttermilch eingesogen. Aber Undank sei der Welt Lohn. Die Bettler machten es geradeso; den, welcher ihnen am meisten gegeben, verlästerten sie bei dem Schnaps, welchen sie aus seinem Gelde tränken, weitaus am ärgsten. Der Regierer brannte auf und behauptete, wenn er nicht das Glück gehabt hätte, zu vergessen, was er in der Schule gelernt, er wäre der dümmste Kerl geblieben auf Gottes Erde. Nun ging es los
. S.116-118
Aus: Jeremias Gotthelf, Zeitgeist und Berner Geist, Eugen Rentsch Verlag, Erlenbach-Zürich und Stuttgart

Verhältnis Staat und Kirche
«Das will ich Euch schon sagen, Amtsrichter, Euch darf ich es, jedem sagte ich es nicht, mag nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, Böses mit Bösem», erwiderte der Pfarrer. « Seht, Amtsrichter, dieser Zwiespalt ist eine uralte Sache, und wenn man ihn von obenherein vornehm abtun will, so könnte man sagen, er sei nichts als ein Stück des großen Kampfes des Zeitlichen mit dem Ewigen, des Weltlichen mit dem Göttlichen. Aber mit solchen hochklingenden Sätzen ist nichts gemacht; je vornehmer sie tönen, desto weniger ist damit gesagt, man muß sie den Philosophen überlassen, die handeln mit solchen Orakelsprüchen ungefähr wie die Juden mit alten Kleidern und die Heimberger mit Kachelgeschirr. Unser Verhältnis zum Staat kommt von der Reformation her.

Die katholische Kirche war eine weltliche Macht, hatte durch ihre Priester und sonst allerlei ihre Hand in allen andern Staaten, daher die Fürsten nicht übel unter dem Daumen. Stellte einer derselben sich ungebärdig, kriegte er früher oder später die Rute vaterländisch. Schadete freilich manchem nichts, hatte sie mehr als verdient, aber damit verrückte sie ihre Stellung und pflanzte die Ansicht, als ob die Kirche andere als christliche Zwecke, Sonderzwecke hätte, als ob sie eine unabhängige, den andern Staaten feindselige Macht suche und ausüben wolle. Als in der Reformation Staaten sich der katholischen Botmäßigkeit entzogen, boten die meisten Mächtigen und Häupter ihre Hand dazu, sicherlich nicht aus rein christlichen Trieben, sondern um frei zu werden von dieser Gewalt und frei nach Belieben schalten zu können in ihrem Lande, ohne mitten drinnen eine andere mit Rechten ausgestattete Macht zu haben. Als sie einmal entronnen waren, scheuten sie sich vor dem alten Verhältnis wie gebrannte Kinder das Feuer.

Das Christliche wollten sie nicht ausrotten, sie wollten Christen bleiben, darum mußten sie auch Kirchen und Pfarrer haben, um die Sakramente zu verwalten und zu predigen, aber sie lebten in steter Angst, die alte Macht möchte auch in die neue Kirche kommen, bewachten mißtrauisch alle Regungen der neuen Kirche, wiesen barsch und streng alle Mahnungen, welche von ihr ausgingen, von sich, ja, sie verfolgten feindselig das Christentum in der Kirche, wenn es zu neuem, regem Leben erwachen wollte. Sie konnten nicht unterscheiden die Macht, welche das Christentum über die Menschen haben soll und zwar über Bettler und Fürsten, und die Macht, welche die Kirche gegenüber der Staatsgewalt, über äußere Verhältnisse sich angeeignet hatte. Sie schnitten, wo sie konnten und mochten, durch persönliches Einwirken und allgemeine Verordnungen die Einwirkungen der Kirche auf das Leben der Menschen ab, das Verhältnis des Staates zu der Kirche war das eines Siegers zu einem Besiegten, dem zwar das Leben gelassen wird, aber erstlich abgenommen nicht bloß alle Waffen, sondern alles, was er bei sich hat, und dazu noch auf das schärfste überwacht wird, so zwar, daß allemal, wenn der arme Gefangene einen längern Schritt tut oder einmal zwei rasch hintereinander, er mit einer Kette belästigt und gebunden wird.

Je mehr der Staat die Macht der Kirche brach, desto mehr dehnte er die seine aus, desto mehr erstreckte der Staat seine Gewalt über alle Korporationen oder Gemeinden, alle Verhältnisse der Menschen zueinander, alle Vermögensverhältnisse und alle persönlichen Verhältnisse, ja allgemach auch über das Inwendige des Menschen, sein Wissen und sein Denken. Der Staat regulierte die Wissenschaften und forderte Rechtgläubigkeit in Beziehung auf den Staat und dessen Einrichtungen, das heißt, der Staatsbürger sollte das ganze Eingericht des Staates schön finden und darin sich selig fühlen; wer das nicht tat, ja vielleicht gar dagegen sprach, der war ein Ketzer, der ward gerichtet. Damit machte der Staat sich zu Gott, wenn er auch noch den Titel nicht annahm.

Nun wißt Ihr, mein lieber Amtsrichter, wohl, wie es geht in der ,Welt, der Knecht treibt es immer weiter als der Herr, in allem Bösen heißt das, er ist dessen Affe. Mit reichen und stolzen Herrschaften ist ein schwer Leben und Auskommen, aber die Dienerschaft ist zehnmal unerträglicher. Während man droben im Salon noch leidlich behandelt wird, tut unter der Türe der Portier, daß es einen in allen zehn Fingern juckt, und der Kammerdiener auf der Treppe, daß man ihm mit dem Fuße gehörigen Orts nachhelfen möchte. Ist ein Reicher wüst gegen die Armen, sind es Kinder und Knechte zumeist viel mehr, daß dieselben vor dem Hause ein Kreuz machen und weit umgehn, um nicht vom Volk mißhandelt oder gar von Hunden gefressen zu werden.

Ungefähr so machten es die Beamteten des Staates gegenüber der Kirche, sie trieben Hohn und Spott mit ihr, und wo sie die¬selbe irgendwie kränken konnten, sparten sie es nicht. Ja, es trieb es ein Hochgestellter einmal so weit, daß er am Bettag, also an einem hohen Festtag, jagen ging mit einer großen Meute und zwar in der Nähe seines Wohnsitzes. Es ward gejagt. Der Hase versetzte sich auf dem Kirchhofe, während die Gemeinde in der Kirche war. Die Hunde kamen heulend an, stöberten um die Kirche herum, stachen endlich wieder auf, und neu gings los.

Man denke sich das Geheul der Hunde und die Erbauung in der Kirche. Weil gegen solche Unbill und Verhöhnung alles christlichen Sinnes die Wächter der Kirche absonderlich protestierten, weil sie so oft in Fall kamen, gegen Mißbräuche bei frommen Stiftungen, gegen Spoliationen der Kirche zu protestieren, so verhöhnte man sie, als bildeten sie sich ein, die Geistlichkeit sei die Kirche. Dieser sei es nur um Geld und Gut, um ihre Einkünfte zu tun. Machte aber einmal einer die Gemeinden auf die Übergriffe des Staates aufmerksam so¬wohl im innern als äußern Leben und erhoben die Gemeinden eben¬falls ihre Stimme, ward der Pfarrer von Beamteten denunziert als Aufrührer, als böser Kopf, wurde womöglich gestraft oder bis auf den Tod geplagt und gehetzt. Wenn ein Beamteter sich recht beliebt und groß machen wollte, tat er es auf Kosten der Kirche oder des christlichen Sinnes und meinte dabei, was für ein Held er sei.

Im Maße als der Staat seine Macht ausdehnte bis in die Gewissen hinein, zog er auch die Kirchendiener in den Bereich seiner Geschäfte und bürdete ihnen Dinge und Tabellen auf, daß es schauderhaft war, ja, suchte auf jedem Wege dazu zu gelangen, daß sie sich eigentlich mehr als die Prediger des Staates als die Prediger Gottes darstellten, mehr die im Staate herrschenden Grundsätze, die Staatsreligion, predigten als die Lehre des Heils in Christo, das wahre Evangelium.

Zu allem diesem kamen noch andere Ursachen, welche mächtig einwirkten. Im vorigen Jahrhundert kam von Frankreich her die Aufklärerei und mit ihr der Wahn, wer Anspruch auf Bildung mache, dürfe kein Christ mehr sein, es wenigstens nicht zeigen, er müsse sich des Evangeliums als einer Torheit den Griechen und ein Ärgernis den Juden schämen. Der größte Teil der Staatsbeamteten gehörte dieser Klasse der Gebildeten an, verachtete also mit dem Kirchlichen alles Christliche, und es bildete sich da eben die Ansicht aus, alles dieses sei gut genug für das Volk, aber die Gebildeten seien weit darüber hinaus, es sei ein Kappzaum für das Volk, dasselbe im Staatsschritt zu erhalten, eine Abteilung der Polizei, so gleichsam die innere.

Und ich will es Euch nicht verhalten, Amtsrichter, daß viele Geistliche zur Bestätigung dieser Ansicht beitrugen. Sie waren auch Kinder ihrer Zeit, angesteckt vom damali¬gen Zeitgeiste, das heißt von dem Geist der Welt, wie er damals gefärbt war und gestaltet. Sie äußerten sich zweideutig über Amt und Stand, Glauben und Lehre, taten selbst, als hielten sie sich für eine Art von vernünftigen Vorbildern in allerlei nützlichen Dingen, Stallfütterung zum Beispiel und Hühnerzucht, predigten eine flache Staatsmoral, gut genug für Bauren, an welcher der Landvogt Freude hatte, welche indes jetzt manchem Neugnädigen noch viel zu scharf und streng wäre, wenigstens für seine Person. Ferner gehörten früher viele Beamtete den höheren Ständen an, waren reich und vornehm oder wußten wenigstens zu tun, als wären sie es, trugen den Hochmut vor sich her, betrachteten die untern Stände, die untern Beamteten als eine Art niederer Dienerschaft und behandelten sie demgemäß.

Und viele Pfarrer ließen sich dies wiederum gefallen, waren arm und nicht vornehm, liefen, in abgezerrten Röcklein herum, hatten die Sitten der feinen Welt nicht, aber große Hochachtung davor, viel Demut dagegen und trugen dafür auch viele Demütigungen davon, und wenn sie einmal was zu sagen, gegen diese Beamtetenherrschaft eine Einsprache wagten, fuhren ihnen Donnerwetter aufs Haupt, daß sie in Zukunft das Reden vergaßen.

Diese Beamteten in ihrer großen Mehrzahl kannten das Volksleben durchaus nicht, ja die, welche aus dem Volke herausgewachsen waren, verleugneten es nicht bloß alsbald, sondern waren auf das emsigste bemüht, dasselbe zu zerstören. Die wenigsten hatten einen Begriff von der Bedeutsamkeit dieses Lebens, was demselben förderlich war, was zerstörend auf dasselbe einwirkte, man kümmerte sich überhaupt um die Familie, das Haus wenig oder nichts, sondern bloß um den Staat; Häuser, Menschen hatten bloß einen Wert in Beziehung auf den Staat. Schoß nun irgendeinem Beamteten ein Staatsgedanke durch den Kopf, wie zum Beispiel Tabellen vollständiger gemacht, Beamteten Mühe abgenommen, neue Stellen geschaffen, Gefälle, Sporteln usw. erhöht oder geschaffen werden könnten, ward es flugs ausgeführt und weiter nichts gefragt und nichts gehört. So entstund das Verhältnis der Beamteten und der Geistlichen und bildete sich immer weiter aus bis auf den heutigen Tag.»

«Aber wo soll das dann am Ende hinaus?» frug der Amtsrichter. «Der Präsident meinte, man solle die Geistlichen ganz abschaffen, der Regierer wollte das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet haben, sondern die Geistlichen so bilden lassen, daß sie gerade zu dem gut würden, wozu man sie brauchen wolle, für Staatsmoral zu predigen und der Polizei zu helfen.»

«Ja», sagte der Pfarrer, «das weiß Gott, wo das hinaus soll. Wenn der nicht wäre, man verlöre den Mut, aber der wird es schon machen, der ist es, der in die Hölle führt und wieder heraus, der aus dem Schlafe weckt, die einen mit freundlichem Windessäuseln, die andern mit lieblichen Lichtstrahlen, die dritten mit Donnerwettern, die vierten mit der scharfen Rute der Zucht. So geht es nicht lange mehr fort, lieber Amtsrichter.

Das Gefühl ihres Berufes als Diener Gottes, Verkündiger seines ewigen Wortes und eines ewigen Lebens ist in zahllosen Dienern der Kirche erwacht, und die staatlichen Mißhandlungen und Entwürdigungen fühlen sie mit glühender Pein. Sie sehen sich auf Erden zwischen Türe und Angel, zwischen der trotz aller Verhöhnungen und militärischen Austreibungen der Jesuiten und Plünderungen der Klöster an innerer Macht immer wachsenden katholischen Kirche und dem die eigene Kirche immer mehr zerholzenden, verhöhnenden Staat, der wie ein dummer Junge sein eigen Geld verklopft, um andere zu gleicher Torheit zu reizen. In diesen bubenhaften Reizungen wurden die nervösern Weltschen überreizt, warfen den Bündel vor die Türe.

Auf der einen Seite wird die Frage der Trennung der Kirche vom Staate immer lebhafter, auf der andern Seite die bubenhafte Hitze, alle Kirchen zu zerstören, immer größer. Und die, bei welchen diese lümmelhafte Hitze am größten ist, eifern am meisten gegen die Trennung, denn mit der Trennung hört die Gewalt über die Kirche auf, sie ist nicht mehr eine Seite der Polizei im Rechtsstaat, die Staatsmänner können sie nicht mehr mit Füßen treten.

Während es so draußen redet, streitet, stürmt, wird es hohl, öde, leer in den Tiefen, und gähnend tut sich ein Abgrund auf, der alles zu verschlingen droht. Der Staat kann nicht Gott sein, gegen seine Ohnmacht empören sich seine Kinder und Anbeter; Staatsglaube und Staatspädagogik geben keine Befriedigung, nichts als ein na¬gend Ungenügen, eine bodenlose Unzufriedenheit. Der Staat, der alles in allem sein wollte, will am Ende alles und gibt nichts, bringt Hunger und stillt ihn nicht, erzeugt Bedürfnisse, und sind sie erzeugt, spottet er ihrer, statt sie zu befriedigen, bildet die Menschen, das heißt, er erzieht sie so, daß sie das Höchste begehren lernen, während sie das tägliche Brot nicht erhalten können.

Der Staat stellt die Person gewordene, konzentrierte Selbstsucht dar, in allen seinen Kindern erzeugt er diese Selbstsucht wieder, und diese selbstsüchtigen Kinder werden sich bald genug erheben gegen diesen trostleeren Erzeuger und sich untereinander fressen. Aber eben deswegen, weil der Unsegen dieser falschen Staatswirtschaft immer mehr zutage trittet, den Menschen in diesem liebeleeren Chaos immer unheimlicher wird, die Verwilderung der Massen trotz allem Geschrei von Bildung immer augenscheinlicher zutage trittet, die Ohmacht des Staates, das Heiligtum im Inwendigen des Menschen, in welchem seine höchsten Kräfte liegen, das Gemüt freundlich auszubauen und den Menschen aus dem tierischen Zustande zu einem höheren Wesen zu erwecken, immer klarer wird, immer handgreiflicher sich herausstellt, werden sich die Bangen wieder unter das Panier der Kirche flüchten, werden wiederum den Durst ihres Gemütes an dem Borne stillen, der den Trank enthält, der den Durst für immer stillet, daß es den Trinkenden nicht mehr dürstet in alle Ewigkeit, der ihm das Ungenügen nimmt und das wahre Genügen gibt.

Die Not lehrt beten, Amtsrichter. So denke ich mir, werden die Völker, wenn sie so recht in Wirrwarr, durch den Staat in Sümpfe gekommen, wo ihnen der Tod droht, wiederum das Heil in Christo suchen, werden es erkennen, daß er der einzige Name ist, in dem die Menschen können selig werden, daß in ihm alleine die wahre Freiheit ist, die von innen heraus, aus dem Heiligtum des Gemütes wachsen kann und äußerlich durch die Liebe gepflegt und erhalten wird, die nicht gegeben werden kann, weder auf Löschpapier noch auf Granit, auch nicht in Erz gegraben.

So denke ich, werde das wahrhaft Christliche auch wieder zur Geltung kommen, und die Völker werden es erkennen, daß, was sie als das Köstlichste in ihrem Haushalt haben, auch das Köstlichste im großen Haushalt, im Staate sein müsse, wenn die rechte Gliederung vorhanden sein soll, bei welcher allen Gliedern wohl ist. Und wie der Hausvater der rechte Wahrer und Hüter dieses Heiligen im Hause ist, so muß auch der große Hausvater oder Landesvater oder Regent, oder trage er Namen, welchen er wolle, der erste Christ im Lande sein, voranleuchtend im Lichte, das da kam in die Finsternis, und alle, welche er setzet nach ihm zu Obersten und Amtleuten, müssen das christliche Siegel haben und leben und regieren als die, welche Gott Rechnung abzulegen haben am Jüngsten Tage über jedes anvertraute Pfund.

Und wo das Volk sie wählet, seine Obersten, Amtleute und Regenten, da wählet es gottesfürchtige Männer vor al¬lem, welche Christum liebhaben und in einem ehrbaren Leben wandeln, geizhässig und tapfer sind und den Nächsten lieben als sich selbst. Dann, denke ich, Amtsrichter, werde die Feindschaft aufhören zwischen den Dienern des Staates und den Dienern der Kirche, zwischen den weltlichen Beamteten und den Geistlichen, denn sie werden einig in Christo sein und es erkennen, daß sich Christi schämen nicht bloß eine Sünde sei, sondern eine große Torheit, und daß der rechte christliche Sinn die höchste Bildung sei, welche ein Mensch auf Erden erlangen könne. Dann werden sie Hand in Hand gehen; denn sie wissen, sie schaffen beide das gleiche Werk, die Förderung des Reiches Gottes auf Erden, nur jeder nach seiner Art und dem Maße des anvertrauten Pfundes.»

«Was meint Ihr, Herr Pfarrer», antwortete der Amtsrichter, «wie lange geht das noch, bis es so ist? Wäret Ihr heute bei uns gewesen, große Hoffnung, es zu erleben, hättet Ihr nicht bekommen.»

«Da möchte ich sagen, Amtsrichter», antwortete der Pfarrer, « vom Tag und der Stunde weiß niemand als der Vater, der im Himmel ist. Mich dünkt, ich wittere Morgenluft, aber ich kann mich täuschen, es kann noch zehnmal ärger kommen, und ich kann mich noch zehnmal täuschen, und doch bleibt mein Glaube fest, daß es besser komme und zwar nicht im Sinne der Radikalen, sondern in christlichem Sinne. Und wenn ich es nicht erleben, wenn ich auf dem Totenbette liegen sollte und alles schwarz um mich von Not und Unglauben, so bleibt mir doch der Glaube, daß er seine und meine Feinde in Grund treten werde, es bleibt mir der Glaube an den Sieg, und wenn ich mit Händen und Füßen gebunden wäre, es ist Gott, der alles macht.»

«Von diesem Glauben haben sie heute auch gesprochen», antwortete der Amtsrichter, « und nicht genug sagen können, wieviel Schaden die Pfarrer anrichteten, weil sie diesen Glauben den Leuten predigten, die täten dann nichts und meinten, der liebe Gott müsse ihnen alles machen; wer auf ihn vertraue, dem gebe er die Sache im Schlafe.»

«Ach, wenn doch solche Staatsbuben oder Staatsjunker den Verstand brauchen wollten, aber das können sie nicht, der Teufel hat ihnen den Verstand verdreht und die Augen und die Ohren, darum sehen, hören und begreifen sie nichts. Man sollte nicht, aber ich werde allemal zornig, wenn so ein geistiger Fötzel oder Lump das Maul aufmacht und was von Religion spricht. Sie sind ärger wie die Müsterler; wenn die einmal einen lästerlichen Witz aufgeschnappt, geben sie ihn in jeder Postkutsche, jeder Table d‘hôte wieder. Aber wie einmal ein Müller sagte, die ärgsten Diebe seien nicht Wirte, nicht Müller, sondern, wenn man auf einen Müller einen Wirt pfropfe, dann entstünden sie, so sind auch die die Ärgsten, die mit der Bildung und den Angewöhnungen eines Müsterlers, sei er nun von welcher Sorte er wolle, und habe er in Baumwolle, Käs oder Wein gemacht, zu Staatsjunkern avancieren. Die produzieren ihre aufgeschnappten Lästerungen und Floskeln nicht bloß in der Postkutsche, sondern wollen dieselben als Maxime und Grundsatz gelten machen im Staate und bringen es bei jedem Anlasse vor als eine unumstößliche, unwidersprochene Wahrheit und sind so gescheit, nicht zu merken, wie sie sich vor allem Volk prostituieren und an Pranger stellen, sie, die sogenannten Gebildeten, die nicht wissen, wie dumm ist, was sie sagen, deren Bildung aus nichts besteht als aus einigen angepflasterten Floskeln und Phrasen, welche aus dem Pflasterkübel des gröbsten Maurers zu kommen scheinen.

Der Glaube, den ich habe, und von dem ich rede, ist nicht der Glaube jener Sekte, die den Tisch deckte, sich darum setzte, betete in der Meinung, der liebe Gott werde das Essen in schönen Schüsseln wohlgekocht vom Himmel auf den Tisch fallen lassen; son¬dern mein Glaube ist der, daß Gott nichts tut, wozu er mir die Kräfte gegeben hat, daß ich diese Kräfte anzustrengen habe nach Vermögen und Gewissen, und zwar ohne Gewißheit haben zu wollen, richte ich damit das Erstrebte aus oder nicht, sondern in aller Demut Gott das Gedeihen überlassend. Der Mensch soll säen, aber in Gottes Hand steht die Ernte, über das, was ich tue, bin ich verantwortlich, was ich wirke, waltet Gott. Ich als Pfarrer, Amts¬richter, scheine gegenwärtig einen trostlosen Beruf zu haben. Es ist fast, als ob ich Nebel müllern wollte, um Mehl zu machen, oder mit Wolken oder Schnee fundamenten zu einem Hausbau, und doch kann eine reiche Ernte kommen, wenn Gott es will, Ob sie aber kommt oder nicht kommt, soll ich schaffen ohne Unterlaß, von Gott dann in aller Demut und Geduld sein Gutfinden erwarten.

Seht, Amtsrichter, es heißt: <Meine Gedanken sind nicht euere Gedanken und meine Wege nicht euere Wege>, und <Bei Gott sind alle Dinge möglich>. Wie oft war es anhaltend Wetter, trocken oder naß, welches alle Früchte gefährdete. Alle Wetteranzeigen hatten getäuscht; hundertmal erwartete Änderung war ausgeblieben, alles schien verloren. Über Nacht kam, als niemand daran dachte, ein Umschwung, alles kam ganz anders als der Mensch es vorausgesagt, und was kein Mensch dem andern Menschen geglaubt hätte, stellte Gott der ganzen Welt handgreiflich vor Augen. Wie es mit dem Wetter geht, geht es oft in der Geschichte; wenn die ganze Welt so recht ihre Ohnmacht fühlt und ins Unglück sich ergeben will, gibt Gott der Sache einen Tätsch, und die Sache ist umkehrt. Denkt, Amtsrichter, an Napoleon, wer schlug den, als alle Mächtigen zu seinen Füßen lagen? Nicht der Alexander, nicht Blücher, nicht Wellington, sondern Gott, er blies in die Wolken, und die große Armee war weg. Daraufhin, als Gott das Seine getan, kriegten die Menschen und räumten auf mit dem Rest, hatten aber noch Not genug damit. Geradeso unerwartet machte Gott es bereits mehrere Male mit dem Christentum. Er kann in den Sinn der Völker blasen wie in die Wolken, daß derselbe einst, umgekehrt, ändert über Nacht, und der Stein, den die Bauleute verwarfen, kann ungsinnet wieder erwählet werden zum Eckstein, und mir ists immer, ich wittere Morgenluft. Und wenn ich auch alle Tage riefe: <Wächter, was sagst du von der Nacht? Wächter, was sagst du von der Nacht?> und der Wächter antwortete mir alle Tage: <Es ist zwar der Morgen kommen, aber es wird doch Nacht bleiben>, so würde ich doch fest im Glauben bleiben, daß der Herr Meister bleibe, daß der Morgen komme, wo alle seine Feinde zu seinen Füßen liegen.»

«Ja, Herr Pfarrer», sagte der Amtsrichter, « das wäre wohl ein schöner Glaube, und daß der was schaden könnte, kann ich nicht einsehen. Aber von einem solchen Glauben haben die drinnen keinen Begriff. Sie hören etwas halb, verdrehen es dann noch halb, geben dann dieses für die christliche Religion aus und peitschen es als solche aus. Es erleidet mir manchmal übel, dabeizusein.»

«Aber widerredet ihnen dann niemand, und nimmt man es so an mir nichts, dir nichts?» fragte der Pfarrer.

«He, das ist so», sagte der Amtsrichter. «So alles glaubt man nicht immer, und zuweilen sage ich auch, wie ichs meine. Aber was will man mit solchen Herren anfangen, die haben Mundstucker, daß sie einem zehnmal übermaulen, man ihnen auf zehne kaum einmal Bescheid geben kann. Dann ist das bei manchem, nicht bei allen, so: sie denken, solche Herren, so gelehrt und in alle Spitzen gestochen, werden das besser wissen als so dumme Bauern, welchen man die Wahrheit absichtlich vorenthalten; wenn solchen nicht zu glauben sei, wem sollte man dann glauben? Denen einmal mehr als den Pfarreren — verzeiht, Herr, meine Meinung ist es nicht — die predigten in ihren Sack. Die einen seien so dumm freilich und glaubten noch, was sie predigten, die andern aber, besonders die jüngern, wüßten wohl, daß nichts dran sei, aber es sei ihnen halt wegem Brot. Die Advokaten machten es ja auch nicht besser, die redeten, was Schöns sei, für den schlechtesten Handel, ums Geld.»

«Aber das ist ja traurig, Amtsrichter, daß die Leute einen Glauben haben, den man ihnen so mir nichts, dir nichts wegschwatzen kann, ungefähr wie man Kreide abwischt an einer schwarzen Tafel. Es ist traurig, daß Leute, von denen man ja augenscheinlich sieht, daß sie keine Religion haben, eine solche Gewalt bekommen, daß sie die Leute beschwatzen können, das Köstlichste was sie haben, wegzuwerfen, es ist noch ärger, als das Erbrecht zu vertauschen an ein Linsengericht. »

»Es ist ein Unglück, Herr Pfarrer», sagte der Amtsrichter, «aber es meinen die Leute eben, wer gebildet sei und ein Herr sein wolle, der glaube nichts, Bildung und Glauben hätten nebeneinander nicht Platz. Wer schuld an dieser Meinung ist, weiß ich nicht. Daneben haben viele Menschen gar so einen kurzen Glauben, Ihr könnt es Euch nicht denken, Herr Pfarrer, wie kurz, er mag das Leben gar nie erlängen. Sie handeln nicht darnach, sie stärken ihn nicht, sie lesen höchstens Zeitungen, so trocknet er ab wie eine Warze, die, kommt man dran, abfällt.»

«Da ist das große Elend», sagte der Pfarrer. «Ich weiß es eigentlich wohl, und wenn man nur das ansieht, so möchte man fast verzweifeln, daß es je besser werden könnte, man sollte eher denken, es werde alle Tage schlechter. Aber eben, bei Gott sind alle Dinge möglich, Tauwetter und Kälte, Sonnenschein und Regen, und alles wie er will, bald plötzlich, bald so gleichsam schleichend nach und nach.

Zum Trost kann auch der Glaube und die Ergebung an Gott plötzlich kommen wie am ersten Pfingsttage zu Jerusalem über tausend auf einmal, wie er plötzlich kam über einen einzelnen, Paulus, über Tausende hie und da, bald so, bald anders. Nun, da muß dieser Glaube vom Besitzer, wenn er nicht wie ein Blitz sein soll, der vorüberfährt, gepflegt sein, behütet, genährt und gestärket auf jegliche Weise. Aber der da Leben gibt in den Baum, der tot gestanden den Winter über, daß er oft in wenig Tagen treibt, grünt und blüht, und der dann für die Witterung sorget, daß zur Frucht die Blüte sich gestaltet, dann weiter, daß über die Frucht die Reife kommt, der da den Glauben geweckt hat, der kann auch die Stimmung kommen lassen über das Volk, wo es einmütiger im Geiste wird, einträchtig einer des Bruders Glauben stärkt und an des Bruders Glauben den seinen, wo der Glaube wächst von Tag zu Tag, bis er in das Leben hineinlanget und das Leben regiert als wie die Sonne die Tage der Menschen.

Das kann Gott tun, Amtsrichter. Aber wer dran schuld ist, daß so kurz der Glaube geworden und abgetrocknet wie eine alte Warze, das ist leider Gott ja der Staat, der Alleinherrscher sein wollte über die Leiber und über die Seelen der Menschen, sie nur passend haben wollte für seine Staatszwecke, daran sind alle seine Beamteten schuld, die den Unglauben an Gott zur Schau trugen und Untertänigkeit gegen den Staat zur Religion machten; daran ist, Gott sei es geklagt, das ganze Herrentum schuld, das den Glauben an die Bildung tauschte und den Tausch hochmütig zur Schau trug wie ein torrecht Kind, das eine gefärbte Glaskugel herumtrug, welche es gegen eine Perle eingetauscht, und dieses Herrentum ging bis auf Kammerdiener und Kammerjung¬fer, bis zu Schneider und Putzmacherin herunter und wurde ge¬nährt in den Familien, in Stadt— und andern Schulen, welche mehr sein wollten als andere.»

«Wie zum Beispiel die Sekundarschulen», sagte der Amtsrichter.

«Allweg», antwortete der Pfarrer. «Aber nichtsdestoweniger kann es anders kommen durch Gott. Käme es nicht anders, so glaubte ich wirklich an die Nähe der letzten Dinge, an den Untergang. Denn wie ohne Religion der einzelne untergeht, ohne Religion die Völker sich auflösen, so müßte für eine Menschheit ohne Religion das Ende da sein. Und wohlverstanden, unter Religion verstehe ich nicht das Gutdünken irgendeines Staatsmanns oder Staatspädagogen, sondern jetzt das Christentum.» «Ja, Herr Pfarrer», sagte der Amtsrichter, <>was Ihr vom Untergang sagt, ist ganz richtig. Soweit ich die Sache kenne, sehe ich, daß gottloses Wesen nicht Bestand gibt, und wo gottloses Wesen in eine Familie einreißt, geht sie zugrunde.

Da kann mich nicht bald einer mehr dauren als Hunghans, mein Kolleg. Der war sonst so ein rechter Mann und ließ sich andrehen von den Herren, sie sind gsotten und braten beieinander, er fängt an zu hüdelen, redet manchmal Sachen, welche einem Kachelfuhrmann oder Schxveinhändler übel anstehen würden. Und glaubt mir oder glaubt es mir nicht, schon sieht man es seinem Hofe an, es ist, wie wenn er das Hüdele seines Meisters nachmachen müsse, es ist nicht mehr die alte Ordnung da. Und erst an den Kindern wird man es sehen, an den Buben wird er was er¬leben, besonders an demjüngem, dem Leutenant, das soll der Ungereimteste sein weit und breit und Geld verklopfen, daß es einem übel gruset. Wenn es so fortgeht, nimmt das ein Ende mit Schrecken, und so geht es noch vielen im ganzen Lande, wie ich merken mag.»

«Wollen das Beste auch für sie hoffen, lieber Amtsrichter. Muß da rechts, hoffe, bald Euch wiederzusehen.»

«Verzeiht, Herr Pfarrer, so schnell werdet Ihr diesmal meiner nicht los. Es liegen mir noch zwei Fragen am Herzen, auf die ich Antwort möchte. Wenn Ihr nichts dagegen habt, so begleite ich Euch noch bis zum Gummwäldli, mache fast nichts um.» «Freut mich, Amtsrichter, je weiter je lieber. Fragt nur; was ich weiß, sollt Ihr auch wissen.» «Kanns kurz machen, Herr Pfarrer, es ist das: Heute und fast allemal, wenn wir zusammenkommen nach dem Amtsgericht, geht es über die Religion los, daß es mir übel erleidet, dabeizusein; das Christentum soll jetzt die Finsternis sein, welche dein Lichte der Bildung und Aufklärung weichen müsse. Wie die Fische nur im Wasser leben könnten, die begabtern Geschöpfe nur in der Luft, so könnten nur dumme, ungebildete Menschen Christen sein; Aufgeklärte, Gebildete könnten so wenig da mitmachen, als ein vernünftiger Mensch im Wasser leben könne, hat einmal der Regierer gesagt.

Nun halten der Regierer und der Präsident alle Pfarrer, welche das Christentum predigen, entweder für Dummköpfe oder für Heuchler und Lügner. Darum will der Präsident sie ganz abschaffen und durch Schulmeister ersetzen. Die seien die würdigen Diener der Zeit, weil sie dieselbe vollständig begriffen, daher sie auch am geeignetsten seien, die Moral, welche im Geiste der Zeit liege, den Menschen beizubringen. Der Regierer dagegen will die Pfarrer im Dienste des Staates, so gleichsam als innerliche Polizeidiener beibehalten. Er sagt, es seien noch gar viele dummen Leute, die vertrügen das Abschaffen der Pfarrer nicht, aber wenn nach und nach durch die Pfarrer selbst die Lehre geändert werde, so merkten sie es nicht und glaubten den Pfarrern die neue Lehre so gut als die alte. Dafür sei daher zu sorgen, daß man aufgeklärte Pfarrer kriege, die begriffen, was die Glocke geschla¬gen. Nun, mein lieber Herr Pfarrer, bekümmert mich dies. Soll das der Ausgang aller Dinge sein, ist das Vertrauen auf Gott und dessen Sieg über alle seine Feinde eine torrechte Sache, so wie es kindische Torheit ist, wenn ein Kind ein Spielzeug fallen läßt in den eilenden Bach und nun in der Hoffnung am Bache sitzen bleibt, der Bach, der mit demselben davongeeilt, werde dasselbe auch wiederbringen?»

«Ja, lieber Amtsrichter, das sind wichtige Punkte, um diesen Angel herum dreht sich das ganze heutige Gerede. Was es bis zum Gummwäldli ergeben mag, sollt Ihr wissen. Kommt Ihr aber ein¬mal zu mir, sollt Ihrs gründlicher vernehmen. Allerdings, lieber Amtsrichter, haben Präsident und Regierer vollkommen recht. Mit ihrer, überhaupt der heutigen sogenannten Bildung und Aufklärung kann die christliche Religion nicht bestehen, und ganz füglich kann man bei derselben die christlichen Prediger abschaffen und die Herren Schullehrer an ihre Plätze setzen; je flacher, dest besser.

Nun wäre dies freilich zum Erschrecken, aber ehe wir es tun, wollen wir zuerst untersuchen, was ihre sogenannte Aufklärung und Bildung ist, und dann, ob sie die bleibende sei und bleiben müsse bis ans Ende der Welt. Amtsrichter, Ihr wißt, daß der Mensch Leib und Seele hat, beide haben Kräfte, in beiden liegen große Gebiete, nach beider Natur beziehen sich die einen auf das Leibliche, die andern auf das Geistige, die einen auf das in der Welt, die andern auf das über der Welt. Nun werden in dieser heutigen Zeit und durch die heutige Schulmeisterei vorzugsweise, wo nicht in einem christlichen Hause nachgeholfen wird, die Kräfte, welche sich auf die Welt beziehen in der Seele, also die Verstandeskräfte angebaut.

Es ist wahr, das geschieht in bedeutendem Maße und ist kommod zur Erkenntnis der Dinge dieser Welt und zur Benutzung der Dinge dieser Welt. Der Mensch meint, dadurch zum Herrn und Meister der Welt geworden zu sein, das macht ihn stolz und übermütig. Je einseitiger diese schulmeisterliche Verstandesbildung verfolgt wird, desto mehr beschränkt sich des Menschen Umsicht, bis sie zuletzt einschrumpft und nichts mehr zu erkennen vermag als die Welt, und was in der Welt weltlich ist. Was er mit diesen ein¬seitig ausgebildeten Kräften entweder nicht erkennt oder nicht beherrscht, das verleugnet oder verachtet er hochmütig, ungefähr wie ein Blinder das Licht und ein Gehörloser die Töne, deswegen sind sie denn doch da.

Es ist aber nichts, welches dem alten Menschen die starre, trockne, gefräßige Selbstsucht so sehr nährt und ausbildet als diese einseitige Richtung auf die Dinge dieser Welt, und aus dieser Selbstsucht entsteht der Streit; denn wie sollte da Friede sein, wo jeder der erste sein, jeder alles haben will? Da muß jeder wider alle sein, alle wider jeden, und je höher der Mensch die Welt hält, desto kleiner wird er selbst.

Daher der große Streit unter den Menschen und der Mangel an großen Menschen. Ist das eben nicht der Jammer dieser Zeit, daß es an wahren Männern fehle, daß, je mehr Dampf sei, desto seltener die hochachtungswürdigen Charakter würden. Ist das eben nicht der Jammer, daß trotz aller Bildung die einzelnen Menschen immer rücksichtsloser gegen andere, daher gröber, roher, ungenießbarer würden, jeder Ansprüche mache, niemand ehre, wovon gerade die Jugend das merkwürdigste Exempel gebe?

Sonst sei die Jugend demütig gewesen und habe das Alter geehrt, jetzt stelle der junge Fasel in seinem Dünkel sich voran und verachte das Alter. Die verschiedenen Stände hätten einander ge¬ehrt und geliebt im Verhältnis der gegenseitigen Dienstleistungen. Der Beschenkte habe zum Beispiel den Wohltäter geliebt, der Arbeiter den, welcher ihm Arbeit gegeben, und jetzt sei alles umgekehrt, und gerade dieses alles an der Trägerin der heutzutägigen Bildung, an der Schulmeisterei, am allersichtbarsten und auffallendsten.

Eine Gesellschaft, aus lauter selbständigen, gstabeligen Ichs zusammengesetzt, besteht nicht, das Ziel dieser Richtung ist die Barbarei des Tiertums. Aber habt nicht Bange, Amtsrichter, das ist das Ende dieser Richtung, aber nicht das Ende der Menschheit. Nein, gottlob, diese Richtung ist keine notwendige, die ihren reißenden Lauf hat einer Lawine gleich bis ans Ende der Welt. Nein, diese Richtung ist ein Wind, und der Wind dreht sich, dieser Richtung Ende ist schön und für immer dargestellt im Turinbau zu Babel. Die Menschen wollten in Himmel bauen, am Ende verstund keiner den andern mehr und liefen sinnlos auseinander, und der Turm zu Babel ist bis auf den heutigen Tag sprichwörtlich geblieben.

Wenn die Menschen so recht trostlos geworden und, wie es heißt, ihr Elend recht erkennen, da werden sie wiederum gedenken an die höhern Kräfte im Menschen, welche ihn, und nicht die niedern Verstandeskräfte, welche sich auf die Welt und das Diesseits beschränken, von den Gras oder Fleisch fressenden Kreaturen unterscheiden, und welche einzig die wahrhaft großen Menschen machen.

Aus diesen Kräften geht eine ganz andere Anschauung der Welt und Wertung der Dinge hervor, denn in diese Rechnung nimmt man Gott und Seele auf und rechnet bis übers Grab hinaus. Das sind die Kräfte, welche im Gemüte liegen, welche, wenn sie ins Leben hinaustreten, die Welt überwinden, die man Liebe, Treue, Begeisterung, Glauben, Ahnen nennt, die nach oben trachten und ringen nach der Gemeinschaft mit Gott. Das sind die hohen und heiligen Gebiete im Menschen, in denen Christus der rechte Sämann ist, der Same das Wort Gottes und die Frucht der neue Mensch, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit, der nach dem Frieden trachtet, des Herren Willen tut und trägt und sich freudig selbsten opfert, wenn es der Herr gebietet, denn er glaubt, daß selig die seien, die um des Herrn Willen sterben, von nun an.

Das ist der Teil im Menschen, welcher dem Himmel angehört und den Weg dahin hienieden suchen soll, der dem Geiste lebt, den die Welt nicht fasset, der nur vom Geiste ge¬urteilt sein will. Der Anbau dieses Teiles im Menschen, das Wecken dieser Kräfte schließt die Bildung des Verstandes und seiner Kräfte keineswegs aus, aber sie bleiben dann durch die andern Kräfte begrenzt in ihren Schranken und verirren sich nicht in Gebiete, wo ihnen nicht gegeben ist, Steg und Weg zu finden. Darin gab Christus ein Beispiel; er war gebildeter, um so zu reden, als die damaligen und die heutigen Sadduzäer, und sagt er nicht: <Seid klug wie die Schlangen, ober ohne Falsch wie die Tauben!>

Der Christ, der in sich die Welt überwunden, ist Herr der Welt und nicht Sklave der Welt, er besitzt das rechte Gleichgewicht der Kräfte, er ge¬braucht die Welt, aber sein Trachten geht nach dem Himmel, er allein faßt des Menschen Stellung; sich selbst zu Gott zu machen, verabscheut er als Abgötterei, aber ein Kind Gottes zu sein, ist seine Freude.

Faßt man so den ganzen Menschen ins Auge, mein lieber Amtsrichter, so kann keine wahre Bildung und Aufklärung dem Chri¬stentum entwachsen; sie ist ja eben eine Blume desselben, aber jeder Kraft weist sie ihre Stelle an, hat Freude am Verstand, wenn er tiefer und tiefer die Natur ergründet, heißt ihn aber schweigen, wenn der gleiche Verstand sich an Gott wagt und ihn konstruieren will. Das Christentum allein bedingt den wahren Fortschritt, denn es will ja die Vervollkommnung jedes einzelnen Menschen ohne Unterschied und zwar auf einem Wege, der allen offen ist.

Das Christentum allein heiliget die Staatsformen und garantiert die ,Wahrheit, es fordert Treue, ehrt jede Persönlichkeit, sichert alle Güter, verbindet die Bürger durch Liebe zu Brüdern und hat den obersten Grundsatz: «Was du willst, daß dir die andern tun, das tue du auch ihnen!»

Betrachtet dagegen die Freiheit und die Bildung des radikalen Heidentums! Seine Freiheit ist Zuchtlosigkeit der Häupter, Despotie gegen alle anders Denkenden, das Ziel seiner Bildung ist finstere, rohe Barbarei. Betrachtet die Träger und Lehrer des Zeitgeistes und seiner Bildung, was sind das für Zeugen der Gesittung und des Wissens? Seht Ihr nicht an den meisten ein ungeschlachtes ,Wesen, dessen sich der gemeinste Bauer schämen würde?

Darum, lieber Amtsrichter, habe ich nicht Angst. Wie vor die Sonne Wolken kommen, aber auch wieder gehen müssen, so stehn jetzt vor unserer geistigen Sonne auch Wolken, aber auch sie wer¬den gehen müssen. Solange aber das Christentum bleibt, muß auch das Predigtamt erhalten werden, aber das rechte, eben nicht das, welches alles andere predigt, nur nicht Christum. Sämänner und Träger des Wortes müssen sein, und wie gebildet wahre Christen auch sein mögen, nie werden sie die Predigt des Wortes missen wollen, dieweil sie wohlleben an jedem Worte von Gott und göttlichen Dingen, und nie werden sie die Sakramente missen wollen, diese Pfänder göttlicher Liebe und Gnade, und diese können nicht genommen, sie müssen gegeben werden.» S.120-137
Aus: Jeremias Gotthelf, Zeitgeist und Berner Geist, Eugen Rentsch Verlag, Erlenbach-Zürich und Stuttgart

Leichenrede
Der Pfarrer begann mit den Worten: «Als nun Maria kam an den Ort, da Jesus war, und sahe ihn. fiel sie zu seinen Füßen und sprach zu ihm: <Herr, wärest du hier gewesen, so wäre mein Bruder nicht gestorben!> So sprachen die Schwestern des Lazarus zu Jesus, als derselbe erst nach ihres Bruders Tod aus der Wüste, wo er sich, um den Verfolgungen zu entgehen, aufgehalten hatte, nach Bethanien kam.

Liebe Anwesende, fallen euch diese Worte nicht eigens auf, ists den meisten nicht, sie wüßten bereits alles, was ich zu sagen gedenke? Wie vielen kam es nicht bereits dazu, auszurufen: <Ach, Herr, wärest du bei uns gewesen. unser Bruder lebte noch!> Und wer, wenn er unsere Zustände und Verhältnisse überhaupt betrachtet, findet sich nicht gedrungen zu der Wehklage: <Ach, Herr, wärest du bei uns gewesen, so wäre ein ander Leben, so wäre nicht so viel Not, nicht so großes Elend unter uns! >Ihr kennet ihn, unsern Heiland Jesus Christus, ihr wißt, daß er kam, die Verlornen zu suchen und selig zu machen, zu heilen die gebrochenen Herzen, den Armen das Evangelium zu predigen, zu verkünden das angenehme Jahr des Herrn.

Ihr habt gehört, wie er den Seinigen den Frieden gibt, sie versöhnt mit Gott, mit den Menschen und dem eigenen Herzen, das ewige Leben gibt allen, die an ihn glauben, mitten unter uns sein will bis ans Ende der Welt und allenthalben da, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind. Drängt sich nicht unwillkürlich jedem, der ihn kannte als den, als der er uns gegeben ist, der Ausruf auf die Lippen: <O Herr, wärest du bei uns gewesen, so wäre ein ander Leben und Wesen unter uns!> Wenn wir den großen Abfall betrachten und dessen Folgen unter denen, die Brüder sein sollten, großen Streit und Zwietracht, der Zerfall so vieler Verhältnisse, das Einbrechen des Tiertums, der uralten Macht, die man auf ewig gebunden glaubte, müssen wir nicht in der Angst des Herzens rufen: <Ach, Herr, wärest du bei uns gewesen!>

Wieviel tausend Eheleuten wurden die Herzen getrennt, verbittert; aus der innern Verbitterung erwuchs ein bitteres Leben, ein Weh ohne Boden, wie viele unter ihnen seufzen nicht schwer und rufen: <Ach Herr, wärest du bei uns gewesen, die alte Liebe lebte noch!> Die Selbstsucht hätte sie nicht verzehrt; aus deinem Frieden, der da vergibt und nicht richtet, wäre uns ein freundlich Leben erblüht, geziert mit guten Früchten. Oh, wie mancher Hausvater, dessen Hauswesen zerfallen darniederliegt, der in tiefem Gram zwischen den Trümmern desselben herumirrt, mit Jammer sein graues Haupt zur Grube trägt, seufzt aus tiefer Brust: <O Herr, wärest du bei uns gewesen, so stünde mein Haus auf sicherem Felsen, die Fluten der Welt hätten es nicht zertrümmert, die Familie auseinander gerissen, die Glieder nicht vertragen hiehin, dorthin, allenthalben, wo Elend ist!

>Ja, aufrichtig und mit tiefem Leid frage ich: Drängt nicht der Tod, der uns hier zusammengerufen, unwillkürlich die Klage auf die Lippen: <Ach, Herr, wärest du bei uns gewesen, unser Bruder lebte noch!> Und in wie mancher Seele hier und in weiter Runde wird die Klage widerhallen: <Ach, Herr, wärest du bei uns gewesen, unser Vater, unsere Mutter, unser Bruder, unsere Schwester, unser Freund lebte noch, es wäre die Ursache ferne geblieben, welche ihn dem Tod zum Raube gebracht!>

So seufzten die zwei Schwestern Maria und Martha vor dem Herren, und der Herr hörte diese Seufzer und antwortete und sprach zu Martha: <Habe ich dir nicht gesagt, so du glauben wirst, so werdest du die Herrlichkeit Gottes sehen. > Wie des Herren Wort ein ewiges Wort ist und allen giltet, so ist diese Antwort eine Antwort für alle, welche seufzen, wie die Schwestern seufzten. Die Schwestern glaubten, daß er sei Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen sollte; sie sandten zu dem in die Wüste Vertriebenen, bis er kam, sie wußten, daß in ihm allein das Heil war, sie glaubten, er sei die Auferstehung und das Leben, und wer an ihn glaube, werde leben, ob er gleich stürbe, und weil sie glaubten, sahen sie die Herrlichkeit Gottes und seine Macht über Leben und Tod, ihr Bruder Lazarus erhielt sein Leben wieder.

Liebe Traurende! Wer wie die Schwestern glaubt, seufzt und bittet, erhält die nämliche Verheißung, daß er die Herrlichkeit Gottes sehen werde. Wir dürfen wohl sagen, der Herr weilte wohl hier und dort, wo einige in seinem Namen versammelt waren, wohnte hie und da in Häusern, wo der Glaube der Väter noch galt, wohnte in den Kirchen, wo lauter und einfältiglich das Wort des Herrn verkündet wurde; aber er wohnte nicht da, wo man sich nicht bloß sein und seiner Worte schämte, sondern auch des Wortes <christlich> und <Christentum>, man nicht mehr sagen durfte, daß man Kinder christlich erziehen wolle, wo die blinde Menge aufgehetzt ward, Steine zu ergreifen und ihn zu steinigen.

Da ward es eben trübe unter uns und finster, und das Unglück kam, und das Elend und verzehrte so viele unter uns. Darum aber auch wird es vielen so bange, und ihre Augen suchen wieder das Heil, das von oben kommt, sie rufen nach ihm, sie suchen ihn, sie senden Boten aus, daß er wiederkomme. Wer aufrichtig, mit rechter Heilsbegierde ihn suchet, wird ihn finden, und er wird wiederkommen zu denen, die nach ihm verlangten, und wird sie schauen und schmecken lassen die Herrlichkeit Gottes.

Die, die da leiblich gestorben sind, wird er nicht wieder zurückrufen ins leibliche Leben, aber Leben wird er bringen denen, die da geistig tot waren, und zwar das Leben, das schaut die Herrlichkeit Gottes, das Leben, welches sein Leben ist, das Leben in Gott, das Leben der Kraft, die streitet gegen die innere und äußere Sünde, und in welchem die Früchte des Geistes lieblich duften: Liebe, Friede, Langmütigkeit, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit, der Friede Gottes, der über allen Verstand gebt, in den Herzen wohnet und den Sinn des Friedens strömen läßt über die Völker, das Paradies auf Erden wiederbringt, zu einer Familie die Menschen macht und zu Kindern Gottes jedes Glied der Familie.

Das ist die Herrlichkeit Gottes, welche allen erscheinen soll, die seine Erschei¬nung lieb haben, welche in den Herzen und Häusern wohnen soll, daß jeder dem Herren lebt, dem Herren stirbt, keiner mehr von der Sünde ergriffen, als ein Opfer der Sünde stirbt. Dieses Leben ist auch uns verheißen, und unser Jammer soll verwandelt werden in Lobgesänge, wenn wir Christus wieder aus der Wüste rufen, ihn bitten, daß er bei uns weile, um ihn uns sammeln und bekennen vor aller Welt, daß in ihm das ewige Leben, daß er der einige Name ist, in dem die Menschen können selig werden.

Flehen inbrünstig wollen wir auch, daß er auch das Leben derer werde, daß auch sie die Herrlichkeit Gottes schauen möchten, welche starben, weil der Herr nicht bei uns war, welche ein Opfer des Geistes wurden, der da mächtig war, bei deren Tod wir so schmerzlich seufzen: <Ach, Herr, wärest du bei uns gewesen, sie lebten noch!> Sie starben ja wohl auch, wie jener Blinde blind geboren wurde, nicht um ihrer Sünden willen, sondern damit die Herrlichkeit Gottes offenbar werde.

Sie sündigten ja nicht alleine; wie sie sündigten Tausende, und sie leben noch. Der Herr wählte sie wohl aus zur gelegenen Zeit und aus Gnade als Sühnopfer für die Tau¬sende, die noch leben, diese zum Glauben zu erwecken, indem ihnen vor die Augen gestellt ward die Not und der Jammer, die da einbrachen, wo Christus vertrieben, ferne in der Wüste weilen muß. Sie starben ja auch um unserer Sünden willen. War ein solches Sterben nicht manchem der Blitz, der den rasenden Saulus zum Paulus machte, sehen ließ das eine, das not tut, Christus, Christus, der zur Rechten Gottes sitzet?

Kehren wir zum Glauben zurück, kehrt Christus wieder bei uns ein und bleibet bei uns, so hat ja der Herr sie gebraucht zu Rüstzeugen, zu wirken den Glauben in uns. Diesen Glauben wird er ihnen auch zurechnen um seines Sohnes willen. Festigen wir uns in diesem Glauben, beten wir recht inbrünstig um diese Gnade! Denn das Gebet des Gerechten vermag viel, wenn es inbrünstig ist, und bei Gott sind alle Dinge möglich. Wenn wieder Ein Gott, Ein Herr, Ein Geist über unserm Leben walten, wenn die Schwarmgeister geflohen sind, wenn wir wieder unseres Glaubens froh werden, so sei dieses ein Liebespfand des Herren, daß er die, welche er als Sühnopfer au unserer Mitte erwählt und zu Rüstzeugen unseres Glaubens gemacht, zu Gnaden angenommen, daß wir mit ihnen einst Gott loben und preisen werden in alle Ewigkeit. Amen!»

Die Wahrheit war so klar, die Beziehungen so mannigfaltig und tief, daß diese Rede wie ein zweischneidig Schwert durch die Seelen fuhr. Viele gingen an die Arbeit, die Götzen des Tages aus den Tempeln zu schaffen, die Gott allein geweiht sein sollen, den Geist auszutreiben aus denselben, von dem sie besessen waren, den Geist der Welt oder den Geist der Zeit, der wandelbar und veränderlich ist wie die Welt; und wo dieser Zeitgeist ausgetrieben ist, da zieht der Geist des Herren ein, es ordnen sich die Kräfte, ein neues Leben entsteht, es wird Friede, die Liebe blüht, die Früchte werden nicht ausbleiben. Der würdigen Väter Söhne sind wir wieder, und den Segen der frommen Väter wird Gott strömen lassen in Fülle über die würdigen Söhne und als seine lieben Kinder sie erfüllen mit seinem ewigen Geiste
. S.496-500
Aus: Jeremias Gotthelf, Zeitgeist und Berner Geist, Eugen Rentsch Verlag, Erlenbach-Zürich und Stuttgart