Gregor von Nyssa (334 – 394)

  Griechischer Kirchenvater und Mystiker. 372 wurde Gregor Bischof in Nyssa. Er ist der jüngere Bruder von Basilius dem Großen und erstritt mit diesem und Gregor von Nazianz den Sieg der jungnicänischen Trinitätslehre (insbesondere auf dem Konzil von Konstantinopel 381). In der Stille seiner Zelle, schrieb Gregor das berühmte Gespräch über die Unsterblichkeit und den Traktat über Askese und den über die Gottesvisionen des Moses — und eine lange Reihe von christlichen Mystikern entzündete sich an ihnen. Gregors Erlebnisform der lebendigen Gegenwart Gottes — wodurch er der Begründer der spezifisch abendländischen Mystik wurde — war ein Begreifen des Lebens als Veränderung, als Bewegung, Streben, Wanderung und Willen zu einem Ziel, im Gegensatz zur Ruhe jedes zeitlos ewigen Seins: Gregors »Gespräch mit Makrina über Seele und Ewigkeit« nimmt tatsächlich die spätere Zeit- und Existenzphilosophie vorweg. Die Mystik seines »Leben Mosis« geht dadurch noch wesentlich über den Areopagiten hinaus. Heiliger (Tag: 9. 3.; Ostkirchen: 10. 1.)

Siehe auch Wikipedia , Heiligenlexikon und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Aus dem Gespräch mit Makrina über Seele und Auferstehung
Aus dem »Leben Mosis« - Das schöpferische Dunkel

Aus dem Gespräch mit Makrina über Seele und Auferstehung

Die Auferstehung, so wie sie uns durch die Heilige Schrift verkündet wird, bezweckt doch die Zurückführung unserer Natur in jenen Zustand, der ihr vormals zu eigen war. In diesem ursprünglichen Zustand, dessen Schöpfer Gott selbst war, gab es aber weder Greisenalter noch Kindheit, weder Krankheiten noch Schwachheiten, noch sonstwie körperliches Elend — nur billig scheint es uns, dass Gott dergleichen nicht schuf. Ein göttlich Ding war da die Menschennatur, ehe das Menschengeschlecht sich zum Bösen verleiten ließ. Aber als die Sünde ihren Einzug hielt, brachen alle jene Übel über uns herein. Darum sollte ein Leben, das sich frei von Sünde hält, auch den Folgen der Sünde nicht unterworfen sein... Infolgedessen liegt kein vernünftiger Grund zur Furcht vor, in jenem Leben etwas von den Übeln anzutreffen, welche uns hier der Sünde wegen heimgesucht haben. So, wie jemand seinen zerrissenen Rock auszieht und dann nichts mehr von den durch dieses Kleidungsstück verursacht gewesenen Verunstaltungen an sich erblicken kann, genauso wird, wenn wir erst dieses hässliche Totengewand ausgezogen haben, das aus Tierfellen gefertigt ist und uns nur wegen unserer Sünden angelegt wurde — denn unter diesem Tierfell verstehe ich die Gestalt unserer unvernünftigen, ja tierischen Natur, mit welcher wir seit unserer Hingabe an tierische Leidenschaften umkleidet worden sind —, dann wird, so behaupte ich, jedes Stück dieses uns einhüllenden Tierfells zugleich mit dem Ablegen des Ganzen von uns auch gänzlich fortgenommen. Was wir mit diesem Tierfell übernommen haben, das ist die Begattung, die Empfängnis, die Geburt, der Schmutz, die Mutterbrust, die Nahrung, die Entleerung, das bis zur Reife fortschreitende Wachstum, die Vollkraft, das Alter, die Krankheit, der Tod. Wenn wir nun aber dieses Tierfell nicht mehr tragen müssen, wie könnte dann noch etwas von dem an uns haften, das von jenem herrührte? Gerade deshalb, weil wir in jenem Leben einen ganz anderen Zustand erhoffen dürfen, deshalb ist es nutzlos, solche Dinge, wie sie für jenes andersartige Leben gar nicht mehr in Betracht kommen, gegen die Lehre von der Auferstehung anzuführen. Was haben denn Magerkeit und Dickleibigkeit, Auszehrung und Säfteüberfluß und dergleichen Eigenschaften des vergänglichen Menschenkörpers mit jenem Leben zu tun, das von dem flussartig vorübereilenden Verlauf des irdischen Daseins so völlig verschieden ist? ... Wer einmal angefangen hat zu leben, muss notwendigerweise fortleben, und ebenso notwendig muss die Auflösung, welcher der Körper durch den Tod anheimfällt, in der Auferstehung wieder aufgehoben und wiedergutgemacht werden...

Wenn Gott die Natur des Menschen durch die Auferstehung zu ihrer ursprünglichen Natur zurückführen will, so dürfte es müßig sein, zu meinen, die Allmacht könnte durch Hindernisse der vorgebrachten Art aufgehalten werden oder gar gehindert werden, ihr Ziel zu erreichen. Dieses Ziel geht ganz gewiss dahin: Wenn einmal die Menschennatur in allen einzelnen Menschen ihre Vollendung fände, bei den einen dadurch, dass sie sich bereits in diesem Leben von Sünden reinigten, bei den anderen dadurch, dass sie nach diesem Leben in entsprechenden Zeiträumen durch Feuer geläutert wurden, während noch andere die Unterscheidung von guten und bösen Handlungen noch gar nicht kennenlernten, — dann will Gott allen ohne Ausnahme den Zutritt zu Seinen Gütern gestatten: zu Gütern, die — wie die Schrift sagt — noch kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, kein Verstand je erfasst hat. Dies bedeutet aber, wie mir scheint, nichts anderes als ein Eingehen in Gott selbst.

Noch leichter werden wir die Nichtigkeit der vorgebrachten Einwände erkennen, wenn wir einen Blick in die Tiefe der apostolischen Weisheit werfen. Den Korinthern, die ihm vielleicht ähnliche Bedenken entgegenhielten, um unseren Glaubenssatz von der Auferstehung zu Fall zu bringen, entgegnete Paulus: »Du willst mich fragen, wie die Toten auferstehen können und mit welchen Leibern? Du Tor! Was du säest, wird nicht lebendig, es sei denn, daß es zuvor abstirbt; und was du auch säest, du säest nie schon den zukünftigen Leib, sondern nur ein Korn, wie etwa Weizen, oder ein anderes Samenkorn. Gott aber gibt ihm einen Leib, wie es Ihm gefällt!« (1. Kor. 15, 35 ff.) Hier scheint mir der Apostel jene zu zügeln, die den Umfang der göttlichen Macht nach ihrer eigenen beurteilen und wähnen, Gott vermöge nur so viel, wie sich unser Menschenverstand jeweils vorstellen kann...

Doch auch in jeder anderen Hinsicht will mir das Wort des Apostels so scheinen, als ob es für unseren Versuch spräche, Gottes Absicht mit unserer Auferstehung vielleicht richtig gedeutet zu haben, wenn wir sie als Wiederherstellung unserer Natur in ihrem ursprünglichen Zustand beschreiben. Wir wissen ja aus der Geschichte der Welterschaffung durch die Heilige Schrift, daß die Erde zuerst Gras hervorbrachte — wie es dort in der Erzählung heißt — und daß dieses Gras Samen trug, der sich über die ganze Erde hin verstreute und dann die nämliche Art wie die Anfangspflanze erzeugte. Nach den Worten des Apostels wird es genauso auch bei der Auferstehung sein. Wir hören aber von ihm nicht nur, daß die menschliche Natur eine größere Herrlichkeit empfangen werde, sondern auch, daß diese Herrlichkeit, auf die wir hoffen dürfen, genau jener gleichen werde, welche wir im Anfang der Schöpfung hatten. Denn da im Anfang nicht die Ähre vom Samen, sondern der Samen von der Ähre kam, nachher aber umgekehrt die Ähre aus dem Samen hervorwächst, so gibt uns dieses Vorbild — falls wir es folgerichtig auslegten — einen deutlichen Fingerzeig dafür, daß alle Glückseligkeit, die uns aus der Auferstehung erblühen wird, uns zur Gnade der ursprünglichen Ausstattung zurückführen soll. Denn auch wir waren zuerst reine Ähren, die jedoch durch den häßlichen Brand der Sünde dahinwelkten. Nun soll uns, wenn der Tod uns auflöst, die Erde in ihren Schoß aufnehmen. Dann aber wird dieses armselige Samenkorn des Leibes im Frühling der Auferstehung wieder zur vollkommenen Ähre werden, schlank, voll, aufrecht, zum Himmel emporstrebend, und statt mit Halm oder Stengel ist sie mit Unverweslichkeit und mit den übrigen göttlichen Eigenschaften des Himmels geschmückt...
Enthalten in: Christliche Geisteswelt, Band I, Die Väter der Kirche . Herausgegeben von Walter Tritsch (S.269-272)
Holle Verlag , Darmstadt

Aus dem »Leben Mosis« - Das schöpferische Dunkel
Viele wagen es und beginnen den unendlichen Aufstieg zu Gott, nur ausgestattet mit Kenntnissen. welche ihnen ihre Sinne vermitteln, obwohl sie es noch sehr nötig hätten, sich selbst vorher von diesen Sinnen zu reinigen und sich von den Lasten begangener Taten zu befreien. Denn ihr Leben ist noch verunreinigt wie ein abgetragenes Gewand, das niemals gesäubert wurde und daher vor Flecken strotzt. Was Wunder, wenn sie durch ihr eigenes unzulängliches Denken gesteinigt werden? Oder sind etwa häretische Ansichten nicht wie Steine, die dahergeflogen kommen, weil sie gegen die eigene Phantasie geschleudert wurden?

Was bedeutet das Eindringen Mosis in die Dunkelheit und die Vision von Gott, die ihm durch die Dunkelheit vermittelt wird? Ist diese Stelle der Schrift nicht irgendwie im Widerspruch mit der Gottesschau des Eingangs?

Denn zuerst erschien ihm Gott in einem Übermaß von Licht — und jetzt soll es die Dunkelheit sein, in der ihm Gott Seine Gegenwart offenbart! Trotzdem dürfen wir nicht glauben, daß hier ein Widerspruch in der klaren notwendigen Abfolge der geistigen Wirklichkeit aufzudecken wäre... Diese Schriftstelle lehrt uns, daß die religiöse Erkenntnis zuerst als Licht aufleuchtet, wenn sie zu entstehen beginnt. Und tatsächlich, das Licht verjagt alle Frevel, die nichts weiter sind als Finsternis, und die Finsternisse verflüchtigen sich durch die jubelnde Gegenwart des Lichtes. Je weiter aber der Geist in seinem unendlichen Streben nach oben voranschreitet und durch eine immer größere und immer vollkommenere Aufmerksamkeit und Aufnahmefähigkeit dahin gelangt, zu begreifen, was überhaupt die Kenntnis der Wirklichkeit sein kann — und je mehr er zu echter Schau vordringt —, umso mehr und umso deutlicher sieht er, daß das Wesen der Gottheit unfaßbar und unsichtbar sein muß. Sobald er die gröbsten Irrtümer überwunden und jeden Schein durchschaut hat — nicht nur das Scheinbare, das man durch die Sinne begreifen kann, sondern auch jenes andere Scheinbare, daß die menschliche Vernunft zu erschließen glaubt —, umso weiter dringt er ins Innere vor und umso eher kann er, in einer unendlichen Anstrengung des Begreifens, bis zum Unsichtbaren und Unkennbaren weiter schreiten: und hier sieht er Gott. Denn in Wahrheit, die echte Erkenntnis dessen, der wirklich sucht — und seine wirkliche Schau — kann ja nur darin bestehen, zu sehen, daß Gott unsichtbar ist. Ohne Zweifel: Der, Den er sucht, übersteigt jede Erkenntnis, jede Möglichkeit des Innewerdens, Er ist von allen Seiten von der geschaffenen Welt durch Seine Unfaßbarkeit geschieden, wie durch das undurchdringlichste Dunkel. Darum sagt auch Johannes, dieser Mystiker, der bis in die größte Dunkelheit des höchsten Lichtes vorgedrungen ist: nie hat jemand Gott sehen können. Durch eine so radikale Verneinung beschreibt er das Wesen der Gottheit und sagt aus, daß ihre Kenntnis unzugänglich ist, und zwar nicht nur den Menschen, sondern auch jeder geistigen Wesenheit überhaupt
(sogar den Engeln, wie auch Chrisostomos in seinem Traktat über die Unverstehbarkeit Gottes ausführt).

Nun ist aller klar: sobald Moses in der Kenntnis Gottes schon ein wenig weiter vorgeschritten ist, da erklärt er, daß er Gott nicht im Licht, sondern in der Dunkelheit sieht, und das heißt, er erkennt, daß die Gottheit genau das ist, was wesentlich alle Kenntnismöglichkeit übersteigt und was dem Zugriff des Geistes sich ewig entzieht. Darum sagt die Schrift: »Moses drang bis in die Dunkelheit vor, darin Gott wohnte«. Welcher Gott? Der, von dem geschrieben steht, daß Er »aus dem Dunkel seine Wohnung gemacht hat«, wie auch David bestätigt, denn auch David war in dasselbe geheime Heiligtum eingeweiht, auch ihm war dasselbe undenkbare Mysterium vertraut.

Dort angelangt, empfängt Moses durch das Wort die gleiche Belehrung, die ihm schon vorher durch die Dunkelheit selbst übermittelt worden war. Wahrscheinlich, damit unser Vertrauen in diese Lehre und unser unbedingter Glaube an sie durch das Zeugnis des Gottesworts selbst umso fester begründet werde. Denn das, was das Wort Gottes uns vor allem nahelegt, das ist, daß Menschen niemals den Schöpfer mit irgend etwas vergleichen, was sie kennen. Wir lernen also, daß jede Vorstellung, die uns unser Verstand anbietet, um zu versuchen, ob wir dadurch nicht das Wesen Gottes irgendwie andeuten könnten, niemals zu etwas anderem gelangen kann, als uns eine Art Idol von Gott anzubieten, statt einer Erkenntnis Gottes
. (Migne P.G. 44, 376 C-377 C).
Enthalten in: Christliche Geisteswelt, Band II, Die Welt der Mystik. Herausgegeben von Walter Tritsch (S.40-42)
Holle Verlag , Darmstadt