Gregorius Thaumaturgus [griech. »der Wundertäter«] (um 213 - um 271)

  Griechischer Kirchenvater und Theologe, der ein Schüler des Origenes war, dem er eine Dankrede hielt. Später wurde er Bischof von Neocäserea und Organisator des Christentums am Pontos. Von Biografen ist überliefert, dass Gregorios eine übernatürliche Erleuchtung widerfahren ist, in der ihm die heilige Jungfrau mit dem Evangelisten Johannes erschienen sein soll, der ihm (auf Wunsch der heiligen Jungfrau) die Glaubenslehre der göttlichen Dreifaltigkeit in höchst einfacher und bestimmter Fassung erklärt haben soll. — Heiliger (Tag: 17. 11.).

Siehe auch Wikipedia und Heiligenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Die Glaubenserklärung der göttlichen Dreifaltigkeit
Lobrede auf Origenes



Die Glaubenserklärung der göttlichen Dreifaltigkeit
unseres heiligen Vaters Gregorius, des wundertätigen Bischofs von Neocäsarea in Pontus, wie er sie von dem seligen Evangelisten Johannes unter Vermittlung der jungfräulichen Gottesgebärerin Maria empfangen hat.

(Es ist) ein Gott, Vater des lebendigen Wortes, der persönlichen Weisheit, der Kraft und des Urbildes von Ewigkeit, der vollkommene Erzeuger des Vollkommenen, der Vater des eingeborenen Sohnes.

(E s i s t) ein Herr, alleinig vom Alleinigen, Gott aus Gott, der Abdruck und das Bild der Gottheit, das schaffende Wort, die Weisheit, die den Bestand aller Dinge umfaßt, und die Kraft, die die ganze Schöpfung ins Werk setzt, der wahrhafte Sohn des wahrhaften Vaters, der Unsichtbare (hervorgegangen) aus dem Unsichtbaren, der Unvergängliche aus dem Unvergänglichen, der Unsterbliche aus dem Unsterblichen, der Ewige aus dem Ewigen.

Und (es ist) ein heiliger Geist, der aus Gott seine (persönliche) Subsistenz hat und durch den Sohn erschienen ist, unter den Menschen nämlich; das Abbild des Sohnes, vollkommen vom Vollkommenen, das Leben, der Urgrund alles Lebenden; die heilige Quelle, die Heiligkeit und der Vermittler der Heiligung. In ihm wird Gott der Vater geoffenbart, der über allem und in allem, und Gott der Sohn, der durch alles ist.

(Es ist) eine vollkommene Dreiheit in Herrlichkeit, Ewigkeit, Herrschaft, ohne Teilung und gegenseitige Entfremdung. Es ist also nichts Geschaffenes oder Untergeordnetes in der Dreiheit, auch nichts Hinzugefügtes, das, zuerst nicht bestehend, nachher zu ihr hinzugetreten wäre. Niemals also hat dem Vater der Sohn gemangelt oder dem Sohne der Geist, sondern unwandelbar und unveränderlich ist es dieselbe Dreiheit immerdar
. S.52
Aus: Des heiligen Gregorius Thaumaturgus Ausgewählte Schriften. Aus dem Griechischen übersetzt von Dr. P. Hermann Bourier
Bibliothek der Kirchenväter. Verlag der Jos. Köselschen Buchhandlung Kempten und München: 1911

Lobrede auf Origenes
Meine heutige Rede soll eine Dankrede sein. Daß sie sich (unmittelbar) an Gott, den Herrn der Welt, richtet, möchte ich zwar nicht sagen. Und doch geht von ihm alles Gute aus, das wir haben, und bei ihm müßte ich auch mit meinen Kundgebungen des Dankes, des Jubels und des Lobes den Anfang machen. Indes selbst angenommen, ich wollte mich ganz, nicht aber in meinem gegenwärtigen Zustand der Unheiligkeit und Sündhaftigkeit, vermischt und vermengt mit fluchwürdiger und unheiliger Bosheit, sondern frei davon im Zustande möglichst hoher Reinheit, herrlichen Glanzes und vollkommener Lauterkeit und ohne alle Beimischung von Unvollkommenheit, ich wiederhole, selbst angenommen, ich wollte mich ganz frei davon wie ein neugeborenes Kind als Opfer darbieten, auch dann könnte ich von meiner Seite keine Gabe darbringen, die würdig genug wäre dem Lenker und Urheber des Weltalls Ehre und Dank zu bezeigen; diesen nach Gebühr zu preisen vermöchte weder jemals ein einzelner für sich noch auch alle Menschen zusammen, auch wenn alles, was rein ist, sich vereinigen, aus sich hinaustreten oder vielmehr in einem Geist versammelt und in einem Anlaufe zusammenstimmend sich an ihn wenden wollte. Denn was auch immer von seinen Werken jemand aufs beste und erschöpfendste ergründen und, wenn es je möglich wäre, in würdiger Weise über ihn aussprechen könnte, er würde gerade um dieser Fähigkeit willen, deren er von niemand anderem gewürdigt worden wäre, sondern die er wieder von ihm empfangen hätte, nicht daran denken können darüber hinaus von irgend einer Seite etwas Größeres sich zu verschaffen und als Beweis seiner Dankbarkeit darzubringen.

Wir wollen vielmehr unsere Lobpreisungen und Huldigungen für den Beherrscher und Erhalter des Weltalls, der die unerschöpfliche Quelle alles Guten ist, an den richten, der auch hierin unsere Schwäche heilt und allein das Fehlende zu ergänzen vermag, den Führer und Erlöser unserer Seelen, sein erstgeborenes Wort, den Schöpfer und Lenker des Weltalls, weil dieser allein die Fähigkeit besitzt sowohl für sich selbst als auch für alle, und zwar für jeden einzelnen so gut wie für die Gesamtheit zumal, fortwährend und unausgesetzt seinem Vater den Dank darzubringen. Denn da er selbst die Wahrheit (Joh. 14, 8), die Weisheit (1. Kor. 1, 24) und Kraft (Joh. 14, 10) des Allvaters, und dazu noch in ihm und mit ihm vollkommen geeinigt ist, deshalb ist es gar nicht denkbar, daß er aus Vergeßlichkeit oder aus Mangel an Einsicht oder irgendwie aus Schwachheit wie einer, der außerhalb von ihm sein Dasein hat, entweder nicht hinreichend Kraft hätte ihn zu preisen oder es zwar vermöchte, aber freiwillig — es wäre Sünde dies zu sagen — seinen Vater ohne Lobpreis lassen wollte. Er allein vermag am vollkommensten den ganzen Tribut des Lobes darzubringen, das ihm gebührt. Ihn hat der Allvater selbst mit sich Eins gemacht, indem er durch ihn nahezu sich selbst übertraf. Darum muß der Vater, wenn man so sagen darf, in jeder Beziehung in gleich hohem Grade wie er ihn ehrt, von ihm wieder Ehre empfangen. Dazu ist zuerst und einzig unter allen Wesen befähigt sein Eingeborner, Gott das Wort, das in ihm ist, während wir anderen alle nur insoweit Dankbarkeit und Ehrfurcht an den Tag legen können, als wir den vollgültigen und würdigen Dank für die vom Vater empfangenen Wohltaten ihm allein übertragen und auferlegen, in der Überzeugung, dies sei der einzige Weg der Gottesverehrung, durch seine Vermittlung in allem an den Urheber des Weltalls zu denken. Darum also soll offen das Bekenntnis abgelegt werden, daß der allumfassenden und immerwährenden Vorsehung, die im Größten wie im Kleinsten für uns sorgt und uns bis hierher geleitet hat1 Dank und Preis darzubringen nur jenes Wort hinreichend würdig sei, welches höchst vollkommen und lebendig und das geistbelebte Wort der Urvernunft ist.

Mein Wort des Dankes aber soll heute unter allen Menschen vornehmlich dem heiligen Manne gelten, der hier zugegen ist. Wollte ich aber mit meinem Lobe noch höher hinaufsteigen, so möge es unter den unsichtbaren und der Gottheit näher stehenden Schutzgeistern der Menschen dem gelten, der durch Auswahl des Allerhöchsten die Aufgabe erhielt mich von meiner Kindheit an zu leiten, zu pflegen und für mich zu sorgen, der heilige Engel Gottes, der mich ernährt von Jugend auf, wie jener Liebling Gottes sagt, indem er offenbar dabei an seinen Engel denkt. Doch er, der ein großer Mann war, hatte in angemessener Weise einen sehr erhabenen Geist oder sonst jemanden, wer es auch immer sei, oder vielleicht gar den Engel des großen Ratschlusses selbst, den gemeinsamen Erlöser der Menschheit, um seiner Vollkommenheit willen zum ausschließlichen Beschützer erhalten, — ich weiß es nicht gewiß; jedenfalls hat er in seinem Engel, wer es auch immer sein mochte, etwas Großes erkannt und gepriesen. Ich aber tue das Gleiche neben dem gemeinsamen Lenker aller Menschen auch dem meinigen gegenüber, wer auch immer dieser eigens für meine Unerfahrenheit bestimmte Leiter sein mag. Er ist mir von jeher in jeder Beziehung und überall ein guter Erzieher und Pfleger gewesen (nicht wie es mir oder einem meiner lieben Angehörigen ersprießlich zu sein scheint — wir sind ja zu blind selbst dem gegenüber, was vor uns liegt, als daß wir etwas von dem, was wir bedürfen, auch nur zu beurteilen vermöchten — sondern wie er selbst es als nützlich erkennt, da er alles im voraus überschaut, was für unser Seelenheil ersprießlich ist und auch jetzt noch ist er mein Ernährer, mein Erzieher und mein Führer. Und von allem andern ganz abgesehen, hat er es auch, was unstreitig das Allerwichtigste war, so einzurichten gewußt, daß er mich mit diesem Manne in Berührung brachte, ohne daß ich mit ihm durch Abstammung oder irgend welche Bande menschlichen Blutes verbunden gewesen oder sonst in näherer Beziehung gestanden wäre oder mich in seiner Nähe befunden oder überhaupt nur zu seinem Volksstamme gehört hätte — dies sind bekanntlich die Umstände, die für die Mehrzahl der Menschen der Anlaß werden, dass sie Freundschaft miteinander schließen und einander kennen lernen — sondern, um es kurz zu sagen, unbekannt, verschieden nach unserer Herkunft, gegenseitig fremd und einander ganz und gar fernstehend, so daß Völker, Berge und Flüsse trennend zwischen uns lagen, hat er uns mit wahrhaft göttlicher und weiser Vorsehung zusammengeführt und mir dieses heilbringende Zusammentreffen ermöglicht; und das hat er, wie ich glaube, nach himmlischem Beschlusse schon gleich bei meiner Geburt und seit den frühesten Tagen meiner Kindheit ausgedacht. S.11-15

Dieser Mann war der erste und einzige, der mich bewog mich auch mit der hellenischen Philosophie zu befassen, indem er mich durch seine eigene Lebensweise bestimmte auch seine Darstellung über die Lebensregeln anzuhören und aufmerksam zu verfolgen, während ich, was die übrigen Philosophen betrifft — ich hebe nochmal diese Tatsache hervor — mich wohl nicht dazu verstanden hätte, zwar nicht mit Recht, sondern nahezu zu meinem Unglück. Freilich kam ich anfangs auch nicht mit mehreren in Berührung, sondern nur mit einigen, die sich als Lehrer darin ankündigten, aber doch mit lauter solchen, die mit ihrer Philosophie nicht über die leeren Redensarten hinauskamen. Er aber war der erste, der mich auch mit Worten zur Beschäftigung mit der Weisheit anregte, dadurch daß er durch die Tat seiner mündlichen Anregung zuvorkam, indem er nicht bloß wohl einstudierte Redensarten vorbrachte, sondern es selbst unter seiner Würde fand etwas zu sagen, außer mit lauterer Gesinnung und mit dem Bestreben das Gesagte auch in die Tat umzusetzen, indem er ferner bemüht war sich so zu zeigen, wie es dem Bilde entspricht, das er von einem guten Lebenswandel entwirft, gern hätte ich auch gesagt, indem er das Muster eines Weisen bot. Da aber meine Rede von Anfang an Wahrheit und nicht Schönfärberei in Aussicht gestellt hat, so will ich ihn jetzt noch nicht als das Musterbild eines Weisen bezeichnen. Freilich würde ich die Wahrheit sagen, wenn ich behaupten wollte, daß er es sei; aber ich will für jetzt davon absehen. Also nicht ein Musterbild im buchstäblichen Sinne will ich ihn nennen, aber einen Mann, der demselben im höchsten Grade gleichzukommen trachtete, der sich mit allem Ernst und Eifer und zwar, wenn ich so sagen darf, über das Maß der menschlichen Kräfte hinaus mit Gewalt dazu anhielt und außerdem noch bestrebt war aus mir ein weiteres Ebenbild dieser Art zu gestalten, damit ich nicht bloß die Vorträge über die Gemütsbewegungen, sondern die Gemütsbewegungen selbst in meine Gewalt bekäme und verstünde. Er drang nämlich auf Taten und Worte zugleich und brachte mir bei der Veranschaulichung selbst einen nicht unbedeutenden Teil jeder einzelnen Tugend bei und hätte mir vielleicht das Ganze beigebracht, wenn ich es zu fassen vermocht hätte. Er nötigte mich sozusagen gerecht zu leben durch die tatsächliche Gerechtigkeit seiner eigenen Seele, der er mich in überzeugender Weise innerlich beizutreten bewog, indem er mich ablenkte von der Geschäftigkeit im Dienste des täglichen Lebens und von dem lästigen Auftreten in der Öffentlichkeit und mich dagegen aneiferte mich selbst zu erforschen und meine eigenen Angelegenheiten in Wahrheit zu betreiben. Darin aber besteht das Leben nach der Gerechtigkeit und darauf beruht die wahre Gerechtigkeit, wie auch einige von den alten Philosophen gesagt haben — sie dachten meines Erachtens dabei an das Verhalten zu sich selbst und erblickten darin ein wirksameres Mittel zur Erlangung der Glückseligkeit sowohl für sich als auch für ihre Anhänger —, wenn anders es die Eigentümlichkeit dieser Tugend ist nach Gebühr zuzuteilen und zwar jedem, was ihm eigen ist. Was könnte es nämlich für die Seele noch Eigentümlicheres und Angemesseneres geben als die Sorge für sich selbst, indem sie nicht nach außen blickt, sich nicht mit fremden Dingen befaßt und um es kurz zusammenzufassen sich selbst auch nicht das geringste Unrecht zufügt, sondern innerlich in sich gekehrt ihr eigenes Wesen an sich selber zurückgibt und so die Gerechtigkeit ausübt! So bildete er mich heran, indem er mich, wenn man so sagen darf, nötigte die Forderungen der Gerechtigkeit zu erfüllen und andererseits nicht minder die Forderungen der Klugheit, dadurch daß meine Seele in sich gekehrt war und den Willen und das tätige Streben nach Selbsterkenntnis in sich trug. Das ist offenbar die schönste Aufgabe der Weltweisheit, was bekanntlich auch dem vorzüglichsten Wahrsagergeiste als ein Gebot der tiefsten Weisheit in den Mund gelegt wird mit den Worten: »Erkenne dich selbst«! Daß dies in der Tat die Aufgabe der Klugheit sei und daß darin die göttliche Klugheit bestehe, wird von den Alten treffend behauptet, da tatsächlich die göttliche und menschliche Tugend ein und dasselbe ist, insofern sich die Seele darin übt sich selbst wie in einem Spiegel zu sehen und den göttlichen Geist, wenn sie dieser Gemeinschaft für würdig befunden werden sollte, in sich selbst widerspiegelt und so die Spuren eines geheimnisvollen Weges zu dieser Vergöttlichung entdeckt. Dasselbe findet dementsprechend auch Anwendung auf die Mäßigkeit und den Starkmut; auf die Mäßigkeit, insofern man, falls es der Seele je einmal gelingen sollte sich selbst zu erkennen, diese Klugheit der sich selbst erkennenden Seele unversehrt beibehalte — denn das mache hinwiederum das Wesen der Mäßigkeit aus, daß sie gewissermaßen eine unversehrt beibehaltene Klugheit sei — auf den Starkmut aber, insofern man bei den erwähnten Fertigkeiten verharre und nicht davon abgehe, weder freiwillig noch unter dem Drucke irgend einer Nötigung, sondern sie bewahre und die erwähnten Errungenschaften in seiner Gewalt behalte. Denn das Wesen dieser Tugend bestehe darin, daß man seine Überzeugung festhalte und bewahre. S.32-34

Damit es nun mir nicht gerade so ergehe wie dem großen Haufen, führte er mich nicht etwa nur in eine einzige Anschauung der Philosophen ein und mutete mir auch nicht zu mich an sie anzuschließen, sondern er führte mich zu allen hin der Absicht, daß ich mit keiner der hellenischen Lehrmeinungen unbekannt bleiben sollte. Aber er ging auch selbst mit mir darauf ein, indem er wie auf einer Reise vorausging und mich an der Hand führte, für den Fall, daß sich auf dem Weg eine Krümmung, eine versteckte Grube oder sonst etwas Verfängliches finden sollte, wie ein Meister, der viel mit Spekulationen umgeht und für den es infolgedessen nichts gibt, worin er nicht Übung und Erfahrung besäße, nicht nur selbst oben auf sicherem Standpunkt bleibt, sondern auch anderen die Hand reicht und sie rettet, indem er sie gleichsam herauszieht, wenn sie ins Wasser gefallen sind. So sammelte er alles, was von sämtlichen Philosophen brauchbar und der Wahrheit entsprechend war, und legte es mir zur Annahme vor, während er alles, was falsch war, aussonderte, wie überhaupt, so ganz besonders das, was in Bezug auf Religion bloße Ausgeburt des Menschengeistes war.

In dieser Hinsicht gab er mir den Rat auf nichts zu achten, selbst wenn jemand nach dem Zeugnis aller Menschen ein Ausbund von Weisheit wäre, sondern nur auf Gott sollte ich achten und auf seine Propheten. Dabei machte er selber den Dolmetscher und Ausleger, wo etwas dunkel und rätselhaft war, wie ja dergleichen vieles in den heiligen Offenbarungen enthalten ist — entweder deshalb, weil es Gott so mit den Menschen zu verkehren beliebte, damit nicht das Wort Gottes nackt und unverhüllt auch in eine unwürdige Seele, wie sie der Mehrzahl nach sind, Eingang finde, oder deshalb, weil jede göttliche Offenbarung zwar von Natur aus höchst klar und einfach ist, aber uns unklar und dunkel erscheint, da wir von Gott abgefallen sind und wegen der Länge der Zeit es verlernt haben auf sie zu hören, das vermag ich nicht zu sagen — kurz er machte den Erklärer und Ausleger, gleichviel ob es sich nun etwa um dunkle Stellen handelte (er besitzt ja die Gewandtheit und in höchstem Grade die Einsicht auf Gott zu hören) oder um Stellen, die von Natur aus keinerlei Schwierigkeit boten und nichts enthielten, was ihm unverständlich gewesen wäre, ihm, der allein von allen gegenwärtig lebenden Menschen, soweit ich sie persönlich kennen lernte und einzelne von andern schildern hörte, in dieser glücklichen Lage sich befindet, da er darin geübt ist den lauteren und lichtvollen Inhalt der göttlichen Aussprüche in seine Seele aufzunehmen und andere darüber zu belehren. Denn der Urheber all dieser Aussprüche, der den Gott befreundeten Propheten alle Offenbarungen, alle geheimnisvollen und göttlichen Reden vorsagt und eingibt, hatte ihn so als seinen Liebling bevorzugt und zu seinem Wortführer aufgestellt. Was er durch andere nur in dunkeln Andeutungen mitgeteilt hatte, das gestaltete er in dem Munde dieses Mannes zu einem förmlichen Unterrichte und er verlieh ihm die Gabe die tiefere Bedeutung jener Stellen zu ergründen und aufzufinden, in welchen er, die höchste Autorität des Glaubens, entweder wie ein Herrscher Befehle erteilt oder auch Wahrheiten geoffenbart hat, damit der, der etwa hartherzig und ungläubig oder auch lernbegierig wäre, in gewissem Sinne sich gezwungen sehe, durch den Unterricht bei diesem Mann ein Verständnis zu gewinnen, sich zum Glauben zu entschließen und so dem Rufe Gottes zu folgen. Und diese Aufschlüsse kann er nach meiner Überzeugung auf keinem anderen Wege geben als in Verbindung mit dem göttlichen Geiste; denn die Propheten und die Erklärer der Propheten sind auf eine und dieselbe Kraft angewiesen, und niemand kann einen Propheten verstehen, wenn ihm nicht der in dem Propheten tätige Geist selbst das Verständnis seiner Worte verleiht. In diesem Sinne enthalten auch die heiligen Schriften den Ausspruch, daß der mit dem Schlüssel Versehene allein zu öffnen vermag, sonst aber niemand; das göttliche Wort aber öffnet, was verschlossen ist, indem es die dunkeln Stellen aufhellt. Diese höchste Gabe hat der Mann, den wir feiern, von Gott empfangen und vom Himmel ward ihm der herrliche Beruf zuteil den Sinn der göttlichen Worte an die Menschen zu vermitteln, das Göttliche wie aus dem Munde Gottes zu vernehmen und den Menschen zu erklären, wie es für menschliche Ohren verständlich ist. Auf diese Weise gab es für mich nichts Unbesprechbares, weil auch nichts Verborgenes und Unzugängliches.

Ich hatte aber Gelegenheit von jeder wissenschaftlichen Behauptung Kenntnis zu nehmen, mochte sie fremden oder hellenischen Ursprunges sein, das Gebiet des Geheimnisvollen oder des Staatslebens näher berühren, dem Inhalte nach göttlich oder menschlich sein, und zwar so, daß ich mit aller Freiheit alles zum Gegenstand meines Studiums und Forschens machen und mich mit allen geistigen Gütern bereichern und sättigen durfte. Mochte man eine alte Lehre der Wahrheit oder etwas anderes der Art namhaft machen, an ihm besaß ich die be-wunderungswürdige und vollständige Sammlung und Auswahl der schönsten geistigen Augenweide; und mit einem Wort, er war mir in Wahrheit ein Lustgarten, ein Abbild von jenem großen Garten Gottes, ein Paradies, in welchem meine Aufgabe nicht darin bestand diese niedrige Erde zu bestellen und stumpfsinnig den Leib zu pflegen, sondern ausschließlich darin die Fortschritte des Geistes zu mehren, indem ich mich selbst bebaute wie ein heranreifendes Gewächs oder mich erfreute und in dem Gefühle schwelgte, daß mir ein solches Gewächs vom Urheber des Weltalls ins Herz gepflanzt worden sei. S.41-43
Aus: Des heiligen Gregorius Thaumaturgus Ausgewählte Schriften. Aus dem Griechischen übersetzt von Dr. P. Hermann Bourier
Bibliothek der Kirchenväter. Verlag der Jos. Köselschen Buchhandlung Kempten und München: 1911