Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 - 1831)

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Bemerkungen zu Christus

Die göttliche Selbstaufopferung
Die Einheit mit dem Vater
Das Einwohnen des Vaters im Sohn
Der Glaube als Zeugnis des Geistes vom Geist
Beglaubigung durch Wunder
Gottmensch = Gottessohn + Menschensohn
Der Gottessohn ist auch Menschensohn
Ich bin die Wahrheit und das Leben

  Der Geist der Wahrheit
Die Nächstenliebe
Alle Menschenkinder sind Kinder Gottes
Der Lehrer und seine Lehre
Leiden und Tod Christi
Der Tod Gottes und seine Auferstehung = Tod des Todes
Christus ist für alle gestorben
Der Weltrichter
 

Die göttliche Selbstaufopferung
»So« (indem Gott in unserer Endlichkeit existiert und sich selbst aufopfert) »ist unser ganzes Verhältnis zu ihm fortwährend dasselbe, welches uns in Christus zum Typus aufgestellt ist. Nicht bloß daran erinnern sollen wir uns, nicht bloß daher Gründe für unser Verhalten schöpfen, sondern wir sollen diese Begebenheit der göttlichen Selbstopferung in uns erleben und wahrnehmen... Was so in einem jeden von uns vorgeht, das ist in Christus für die ganze Menschheit geschehen, - es ist nicht bloß ein Reflex unserer Gedanken, was wir davon haben, sondern die wirklichste Wirklichkeit« (vgl. S. 632). Man sieht, diese Lehre des Christentums mit Inbegriff der Dreieinigkeit, die ihrer Grundbestimmung nach in dem Angeführten enthalten ist, hat ihren Zufluchtsort in der spekulativen Philosophie gefunden, nachdem sie von der in der protestantischen Kirche fast ausschließend herrschenden Theologie durch Exegese und Räsonnement beiseite gebracht, die Erscheinung Christi zu einem bloßen Objekte der Erinnerung und moralischer Gründe herabgesetzt und Gott in ein in sich bestimmungsloses leeres Jenseits als unerkennbares, hiermit nicht geoffenbartes Wesen außerhalb der Wirklichkeit verwiesen worden ist.
Hegel: Berliner Schriften 1818-1831, (S.236f), suhrkamp taschenbuch wissenschaft stw 601

Die Einheit mit dem Vater
In [den Evangelien des] Matthäus, Markus und Lukas [ist] Christus mehr im Gegensatz gegen die Juden - mehr Moral. Im Johannes [Evangelium ist er] mehr er selbst, mehr religiösen Inhalts, seine Beziehung auf Gott und seine Gemeine, seine Einheit mit dem Vater, und wie seine Anhänger mit ihm unter sich eins sein sollen - Er der Mittelpunkt und das Oberhaupt; wie bei der lebendigsten Vereinigung mehrerer Menschen immer noch eine Trennung stattfindet, so auch in dieser Vereinigung – dies das Gesetz der Menschheit; im Ideal das völlig vereinigt, was noch getrennt ist, die Griechen in Nationalgöttern, die Christen in Christus.
a) Moral
b) Liebe
c) Religion - Ich Christus - Reich Gottes -
Gestalt desselben unter diesen Umständen - Wunder.
Hegel: Frühe Schriften, (S.302), suhrkamp taschenbuch wissenschaft stw 601

Das Einwohnen des Vaters im Sohn
Hat der Mensch selbst Willen, so steht er in ganz anderem Verhältnis zu Gott als der bloß passive; zwei unabhängige Willen, zwei Substanzen gibt es nicht; Gott und der Mensch müssen also sein - aber der Mensch der Sohn und Gott der Vater; der Mensch nicht unabhängig und auf sich selbst bestehend, er ist nur, insofern er entgegen[ge]setzt, eine Modifikation ist, und darum auch der Vater in ihm; in diesem Sohn sind auch seine Jünger; auch sie sind eins mit ihm; eine wirkliche Transsubstantiation, ein wirkliches Einwohnen des Vaters im Sohn und des Sohnes in seinen Schülern diese alle [sind] nicht Substanzen, schlechthin getrennte und nur im allgemeinen Begriffe vereinigt, sondern wie ein Weinstock und seine Reben; einlebendiges Leben der Gottheit in ihnen. - Diesen Glauben an ihn fordert Jesus, - Glauben an den Menschensohn; dass der Vater in ihm wohne, und wer an ihn glaube, in dem wohne auch er und der Vater. Dieser Glaube ist der Objektivität der Passivität unmittelbar entgegen und unterscheidet sich von der Passivität der Schwärmer, die ein Einwohnen Gottes und Christi in sich hervorbringen oder empfinden wollen, indem sie hier sich und dieses in ihnen regierende Wesen unterscheiden, also wieder die von einem Objekte Beherrschten sind; und uns von einem objektiven historischen Christus und der Abhängigkeit von demselben dadurch befreien wollen, dass er so subjektiv gemacht wird, dass er ein Ideal sei, heißt eben, ihm das Leben nehmen, ihn zu einem Gedanken machen, dem Menschen gegenüber zur Substanz - und ein Gedanke ist nicht der lebendige Gott. Ihn zu einem bloßen Lehrer der Menschen machen, heißt die Gottheit aus der Welt, der Natur und dem Menschen nehmen. –

Jesus nannte sich den Messias; ein Menschensohn und kein anderer konnte es sein, nur Unglauben an die Natur konnte einen anderen, einen übernatürlichen erwarten; - das Übernatürliche ist nur beim Unternatürlichen vorhanden; denn das Ganze, obzwar getrennt, muß immer da sein. - Gott ist die Liebe, die Liebe ist Gott, es gibt keine andere Gottheit als die Liebe – nur was nicht göttlich ist, was nicht liebt, muss die Gottheit in der Idee haben, außer sich. Wer nicht glauben kann, dass
Gott in Jesus war, dass er in Menschen wohne, der verachtet die Menschen. Wohnt die Liebe, wohnt Gott unter den Menschen, so kann es Götter geben; wo nicht, so muß von ihm gesprochen werden, und es sind keine Götter möglich; die Götter sind nur die Ideale der einzelnen Trennungen, ist alles getrennt, so ist nur ein Ideal.
Hegel: Frühe Schriften, (S.304f), suhrkamp taschenbuch wissenschaft stw 601

Der Glaube als Zeugnis des Geistes vom Geist
Den unmittelbaren Glauben können wir so bestimmen, dass er ist das Zeugnis des Geistes vom Geist; darin liegt, dass in ihm kein endlicher Inhalt Platz hat; der Geist zeugt nur vom Geist, und nur die endlichen Dinge haben ihre Vermittlung durch äußere Gründe. Der wahrhafte Grund des Glaubens ist der Geist, und das Zeugnis des Geistes ist in sich lebendig. Die Beglaubigung kann zunächst in jener äußerlich formellen Weise erscheinen; aber diese muss wegfallen. So kann es sein, dass der Glaube in einer Religion anfängt von solchen Zeugnissen, von Wundern, in einem endlichen Inhalt. Christus hat aber selbst gegen die Wunder gesprochen und hat die Juden geschmäht, dass sie Wunder von ihm forderten, und zu seinen Jüngern gesagt: »Der Geist wird euch in alle Wahrheit leiten.« Der Glaube, der auf solche äußerliche Weise anfängt, (Joh. 16,13) ist noch formell, und an seine Stelle muss der wahrhafte Glaube treten. Dies muss unterschieden werden; geschieht dies nicht, so mutet man dem Menschen zu, Dinge zu glauben, an die er auf einem gewissen Standpunkt der Bildung nicht mehr glauben kann. Es soll an Wunder so geglaubt werden, und dies soll ein Mittel sein, an Christus zu glauben; es mag ein Mittel sein, aber es wird doch immer auch für sich gefordert. Dieser so geforderte Glaube ist Glaube an einen Inhalt, der endlich und zufällig ist, d. h. der nicht der wahre ist; denn der wahre Glaube hat keinen zufälligen Inhalt. Dies ist besonders in Ansehung der Aufklärung zu bemerken; diese ist Meister geworden über diesen Glauben; und wenn die Orthodoxie solchen Glauben fordert, so kann sie ihn bei gewissen Vorstellungen der Menschen nicht erhalten, weil er Glaube ist an einen Inhalt, der nicht göttlich ist, nicht Zeugnis Gottes von sich als Geist im Geist. Dies ist in Rücksicht der Wunder besonders zu bemerken. Ob bei der Hochzeit zu Kana die Gäste mehr oder weniger Wein bekamen, ist ganz gleichgültig, und es ist ebenso zufällig, ob jenem die verdorrte Hand geheilt wurde; denn Millionen Menschen gehen mit verdorrten und verkrüppelten Gliedern umher, denen niemand sie heilt.
Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, S.210f), suhrkamp taschenbuch wissenschaft stw 601

Beglaubigung durch Wunder
Christus selbst sagt: »Es werden viele kommen, die in meinem Namen Wunder tun, - ich habe sie nicht erkannt.« Hier (Matth. 7, 22) verwirft er selbst die Wunder als wahrhaftes Kriterium der Wahrheit. Das ist der Hauptgesichtspunkt, und dies ist festzuhalten: die Beglaubigung durch Wunder wie das Angreifen derselben ist eine Sphäre, die uns nichts angeht; das Zeugnis des Geistes ist das wahrhafte.

Dieses kann mannigfach sein; es kann unbestimmt, allgemeiner das sein, was dem Geist überhaupt zusagt, was einen tieferen Anklang in ihm erregt. In der Geschichte spricht das Edle, Hohe, Sittliche, Göttliche uns an; ihm gibt unser Geist Zeugnis.
Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, (S.197), suhrkamp taschenbuch wissenschaft stw 601

Gottmensch = Gottessohn + Menschensohn
Christus ist in der Kirche der Gottmensch genannt worden, - diese ungeheure Zusammensetzung ist es, die dem Verstande schlechthin widerspricht; aber die Einheit der göttlichen und menschlichen Natur ist dem Menschen darin zum Bewußtsein, zur Gewissheit gebracht worden, dass das Anderssein oder, wie man es auch ausdrückt, die Endlichkeit Schwäche, Gebrechlichkeit der menschlichen Natur nicht unvereinbar sei mit dieser Einheit, wie in der ewigen Idee das Anderssein keinen Eintrag tue der Einheit, die Gott ist. Dies ist das Ungeheure, dessen Notwendigkeit wir gesehen haben. Es ist damit gesetzt, daß die göttliche und menschliche Natur nicht an sich verschieden ist: Gott in menschlicher Gestalt. Die Wahrheit ist, dass nur eine Vernunft, ein Geist ist, dass der Geist als endlicher nicht wahrhafte Existenz hat.

Die Wesentlichkeit der Gestalt des Erscheinens ist expliziert. Weil es die Erscheinung Gottes ist, so ist diese für die Gemeinde wesentlich. Erscheinen ist Sein für Anderes; dies Andere ist die Gemeinde.

Diese
historische Erscheinung kann aber sogleich auf zweierlei Weise betrachtet werden. Einmal als Mensch, seinem äußerlichen Zustand nach, wie er der irreligiösen Betrachtung als gewöhnlicher Mensch erscheint. Und dann nach der Betrachtung im Geiste und mit dem Geiste, der zu seiner Wahrheit dringt, darum weil er diese unendliche Entzweiung, diesen Schmerz in sich hat, die Wahrheit will, das Bedürfnis der Wahrheit und die Gewissheit der Wahrheit haben will und soll. Dies ist die wahrhafte Betrachtung in der Religion. Diese zwei Seiten sind hier zu unterscheiden: die unmittelbare Betrachtung und die durch den Glauben.

Durch den Glauben wird dieses Individuum als von göttlicher Natur gewusst, wodurch das Jenseits Gottes aufgehoben werde. Wenn man Christus betrachtet wie Sokrates, so betrachtet man ihn als gewöhnlichen Menschen, wie die Mohammedaner Christus betrachten als Gesandten Gottes, wie alle großen Menschen Gesandte, Boten Gottes in allgemeinem Sinne sind. Wenn man von Christus nicht mehr sagt, als dass er Lehrer der Menschheit, Märtyrer der Wahrheit ist, so steht man nicht auf dem christlichen Standpunkte, nicht auf dem der wahren Religion.
Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, (S.277f), suhrkamp taschenbuch wissenschaft stw 601

Der Gottessohn ist auch Menschensohn
Jesus nennt sich aber nicht nur Sohn Gottes, er nennt sich auch Sohn des Menschen; wenn Sohn Gottes eine Modifikation des Göttlichen ausdrückt, so wäre ebenso Sohn des Menschen eine Modifikation des Menschen; aber der Mensch ist nicht eine Natur, ein Wesen, wie die Gottheit, sondern ein Begriff, ein Gedachtes; und der Menschensohn heißt hier ein dem Begriffe Mensch Subsumiertes; Jesus ist Mensch, ist ein eigentliches Urteil, das Prädikat ist nicht ein Wesen, sondern ein Allgemeines.

Der Gottessohn ist auch Menschensohn; das Göttliche in einer besonderen Gestalt erscheint als ein Mensch; der Zusammenhang des Unendlichen und des Endlichen ist freilich ein heiliges Geheimnis, weil dieser Zusammenhang das Leben selbst ist; die Reflexion, die das Leben trennt, kann es in Unendliches und Endliches unterscheiden, und nur die Beschränkung, das Endliche für sich betrachtet gibt den Begriff des Menschen als dem Göttlichen entgegengesetzt; außerhalb der Reflexion, in der Wahrheit findet sie nicht statt. Diese Bedeutung des Menschensohns tritt da am hellsten hervor, wo der Menschensohn dem Gottessohn entgegengesetzt ist, wie
Joh. 5, 26/27: »Wie der Vater Leben in sich selbst hat, so gab er auch dem Sohne, Leben in sich selbst zu haben; und er gab ihm auch die Macht, und Gericht zu halten, weil er Menschensohn ist.« Dann V. 22: »Der Vater richtet niemand, sondern hat das Richten dem Sohne übergeben.«

Dagegen heißt es Joh. 3, 17 (Matth. 18, 11): »Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt geschickt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn gerettet werde.« Richten ist nicht ein Akt des Göttlichen; denn das Gesetz, das im Richter ist, ist das den zu Richtenden entgegengesetzte Allgemeine, und das Richten ist ein Urteilen, ein Gleich- oder Ungleichsetzen, das Anerkennen einer gedachten Einheit oder einer unvereinbaren Entgegensetzung; der Gottessohn richtet, sondert, trennt nicht, hält nicht Entgegengesetztes in seiner Entgegensetzung; eine Äußerung, das Regen des Göttlichen ist kein Gesetzgeben, Gesetzaufstellen, kein Behaupten der Herrschaft des Gesetzes; sondern die Welt soll durch das Göttliche gerettet werden; auch retten ist ein Ausdruck, der nicht gut vom Geiste gebraucht wird; denn er bezeichnet die absolute Ohnmacht gegen die Gefahr, desjenigen, der in Gefahr schwebt; und die Rettung ist insofern die Handlung eines Fremden zu einem Fremden; und die Wirkung des Göttlichen kann nur insofern als Rettung genommen werden, als der Gerettete nur seinem vorhergehenden Zustande, nicht seinem Wesen fremd wird. -

Der Vater richtet nicht; auch nicht der Sohn, der Leben in ihm selbst hat, insofern er eins ist mit dem Vater; aber zugleich hat er auch Macht erhalten und die Gewalt, Gericht zu machen, weil er Menschensohn ist; denn die Modifikation ist als solche, als ein Beschränktes der Entgegensetzung und der Trennung in Allgemeines und Besonderes fähig; in ihm findet Vergleichung in Rücksicht auf die Materie, Vergleichung der Kraft, also Macht statt, und in Rücksicht auf die Form, die Tätigkeit des Vergleichens der Begriff, das Gesetz und das Trennen oder Verbinden desselben mit einem Individuum, Urteilen und Gerichthalten.

Zugleich aber könnte wieder der Mensch nicht richten, wenn er nicht ein Göttliches wäre; denn dadurch allein ist in ihm der Maßstab des Richtens, die Trennung möglich. In dem Göttlichen ist seine Macht zu binden und zu lösen gegründet. Das Richten selbst kann wieder von zweierlei Art sein, das Ungöttliche entweder nur in der Vorstellung oder in der Wirklichkeit zu beherrschen. Jesus sagt Joh. 3, 18/19: »Wer an den Gottessohn glaubt, wird nicht gerichtet; wer aber nicht an ihn glaubt, ist schon gerichtet«, weil er diese Beziehung des Menschen zu Gott, seine Göttlichkeit, nicht erkannt hat; und: „ihr Gericht ist ihre größere Liebe selbst zur Finsternis als zur Wahrheit“. In ihrem Unglauben besteht also das Gericht selbst. Der göttliche Mensch naht sich dem Bösen nicht als eine es beherrschende, unterdrückende Gewalt, denn der göttliche Menschensohn hat zwar Macht erhalten, aber nicht Gewalt, er behandelt, bekämpft die Welt nicht in der Wirklichkeit; er bringt ihr ihr Gericht nicht als Bewusstsein einer Strafe bei. Was mit ihm nicht leben, nicht genießen kann, was sich abgesondert hat und getrennt steht, dessen selbstgesteckte Grenzen erkennt er als solche Beschränkungen, wenn sie schon vielleicht der höchste Stolz der Welt sind und von ihr nicht als Beschränkungen gefühlt werden und ihr Leiden für sie vielleicht nicht die Form des Leidens, wenigstens nicht die Form der rückwirkenden Beleidigung eines Gesetzes hat; ihr Unglauben aber ist es, was sie in eine tiefere Sphäre setzt, ihr eigenes Gericht, wenn sie sich in ihrem Unbewußtsein des Göttlichen, in ihrer Erniedrigung auch gefällt.

Das Verhältnis Jesu zu Gott als eines Sohnes zum Vater konnte, je nachdem der Mensch das Göttliche ganz außer sich setzt oder nicht, entweder als Erkenntnis oder mit dem Glauben gefaßt werden. Die Erkenntnis setzt für ihre Art, jenes Verhältnis aufzunehmen, zweierlei Naturen:eine menschliche und eine göttliche Natur, ein menschliches Wesen und ein göttliches Wesen, deren jedes Persönlichkeit, Substantialität hat und die in jeder Art von Beziehung zwei bleiben, weil sie als absolut Verschiedene gesetzt sind. Diejenigen, die diese absolute Verschiedenheit setzen und zugleich doch fordern, die Absoluten in der innigsten Beziehung als Eins zu denken, heben nicht in der Rücksicht den Verstand auf, daß sie etwas ankündigten, das außerhalb seines Gebietes wäre, sondern er ist es, dem sie zumuten, absolut verschiedene Substanzen aufzufassen und zugleich absolute Einheit derselben; sie zerstören ihn also, indem sie ihn setzen. Diejenigen, die die gegebene Verschiedenheit der Substantialitäten annehmen, aber ihre Einheit leugnen, sind konsequenter; zu jenem sind sie berechtigt, denn es wird gefordert, Gott und Mensch zu denken, und damit auch zu diesem, denn die Trennung zwischen Gott und Mensch aufzuheben wäre gegen das erste ihnen Zugemutete. Sie retten auf diese Art wohl den Verstand, aber wenn sie bei dieser absoluten Verschiedenheit der Wesen stehenbleiben, so erheben sie den Verstand, die absolute Trennung, das Töten, zum Höchsten des Geistes. Auf diese Art nahmen die Juden Jesum auf.

Wenn Jesus so sprach: der Vater ist in mir, ich im Vater, wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen, wer den Vater kennt, der weiß, dass meine Rede Wahrheit ist, ich und der Vater sind [eins], - so klagten ihn die Juden der Gotteslästerung an, dass er, der [als] ein Mensch geboren sei, sich zum Gotte mache; wie hätten sie an einem Menschen etwas Göttliches erkennen sollen, sie, die Armen, die in sich nur das Bewusstsein ihrer Erbärmlichkeit und ihrer tiefen Knechtschaft, ihrer Entgegensetzung gegen das Göttliche, das Bewusstsein einer unübersteigbaren Kluft zwischen menschlichem und göttlichem Sein trugen. Der Geist erkennt nur den Geist; sie sahen in Jesu nur den Menschen, den Nazarener, den Zimmermannssohn, dessen Brüder und Verwandte unter ihnen lebten; soviel war er, mehr konnte er ja auch nicht sein, er war nur einer wie sie, und sie selbst fühlten dass sie Nichts waren. Am Haufen der Juden musste sein Versuch scheitern, ihnen das Bewußtsein von etwas Göttlichem zu geben; denn der Glaube an etwas Göttliches, an etwas Großes kann nicht im Kote wohnen. Der Löwe hat nicht Raum in einer Nuss, der unendliche Geist nicht Raum in dem Kerker einer Judenseele, das All des Lebens nicht in einem dürrenden Blatte; der Berg und das Auge, das ihn sieht, sind Subjekt und Objekt, aber zwischen Mensch und Gott, zwischen Geist und Geist ist diese Kluft der Objektivität nicht; einer ist dem andern nur einer und ein anderer darin, daß er ihn erkennt. Ein Zweig der objektiven Annahme des Verhältnisses des Sohnes zum Vater oder vielmehr die Form derselben in Rücksicht des Willens ist in dem Zusammenhang, der bei Jesus zwischen der getrennten menschlichen und göttlichen Natur gedacht und verehrt wird, auch für sich selbst einen Zusammenhang mit Gott zu finden, eine Liebe zwischen ganz Ungleichen, eine Liebe Gottes zu dem Menschen zu hoffen, die höchstens ein Mitleiden sein könnte

Das Verhältnis Jesu als Sohnes zum Vater ist ein kindliches Verhältnis, denn der Sohn fühlt sich im Wesen, im Geiste eins mit dem Vater, der in ihm lebt, und hat keine Ähnlichkeit mit dem kindischen Verhältnisse, in welches sich der Mensch mit dem reichen Oberherrscher der Welt setzen möchte, dessen Leben er sich völlig fremd fühlt und mit dem er nur durch die geschenkten Dinge, durch die Brocken, die von des Reichen Tische fallen, zusammenhängt.

Das Wesen des Jesus, als ein Verhältnis des Sohnes zum Vater, kann in der Wahrheit nur mit dem Glauben aufgefasst werden, und Glauben an sich forderte Jesus von seinem Volke. Dieser Glaube charakterisiert sich durch seinen Gegenstand, das Göttliche; der Glaube an Wirkliches ist eine Erkenntnis irgendeines Objektes, eines Beschränkten; und so wie ein Objekt ein anderes ist als Gott, so sehr ist diese Erkenntnis verschieden von dem Glauben an das Göttliche. »Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn in Geist und Wahrheit anbeten.« Wie könnte dasjenige einen Geist erkennen, was nicht selbst ein Geist wäre? Die Beziehung eines Geistes zu einem Geiste ist Gefühl der Harmonie, ihre Vereinigung; wie könnte Heterogenes sich vereinigen? Glauben an Göttliches ist nur dadurch möglich, daß im Glaubenden selbst Göttliches ist, welches in dem, woran es glaubt, sich selbst, seine eigene Natur wiederfindet, wenn es auch nicht das Bewußtsein hat, daß dies Gefundene seine eigene Natur wäre. Denn in jedem Menschen selbst ist das Licht und Leben, er ist das Eigentum des Lichts; und er wird von einem Lichte nicht erleuchtet wie ein dunkler Körper, der nur fremden Glanz trägt, sondern sein eigener Feuerstoff gerät in Brand und ist eine eigene Flamme. Der Mittelzustand zwischen der Finsternis, dem Fernsein von dem Göttlichen, dem Gefangenliegen unter der Wirklichkeit, - und einem eigenen ganz göttlichen Leben, einer Zuversicht auf sich selbst, ist der Glaube an das Göttliche; er ist das Ahnen, das Erkennen des Göttlichen und das Verlangen der Vereinigung mit ihm, die Begierde gleichen Lebens; aber er ist noch nicht die Stärke des Göttlichen, das alle Fäden seines Bewusstseins durchdrungen, alle seine Beziehungen zu der Welt berichtigt hat, in seinem ganzen Wesen weht.

Der Glaube an das Göttliche stammt also aus der Göttlichkeit der eigenen Natur; nur die Modifikation der Gottheit kann sie erkennen. Als Jesus seine Jünger fragte: wer, sagen die Menschen, daß ich, der Menschen Sohn, sei?, erzählten seine Freunde die Meinungen der Juden, welche, auch indem sie ihn verklärten, ihn über die Wirklichkeit der Menschenwelt hinaufsetzten, doch nicht aus der Wirklichkeit herausgehen konnten, sondern in ihm nur [ein] Individuum sahen, das sie auf eine unnatürliche Art mit ihm verbanden. Als aber Petrus seinen Glauben an den Menschensohn, dass er in ihm den Sohn Gottes erkenne, ausgesprochen hatte, so preist ihn Jesus selig, ihn den Simon, den Sohn des Jona, was er für die anderen Menschen war, den Menschensohn; denn der Vater im Himmel habe ihm dies geoffenbart. Einer Offenbarung bedurfte es nicht zu einer bloßen Erkenntnis von göttlicher Natur; ein großer Teil der Christenheit lernt diese Erkenntnis; den Kindern werden Schlüsse aus den Wundern usw. gegeben, daß Jesus Gott sei; man kann dieses Lernen, dies Empfangen dieses Glaubens keine göttliche Offenbarung nennen; Befehl und Prügel tun’s hier. »Mein Vater im Himmel hat es dir geoffenbart«; das Göttliche, das in dir ist, hat mich als Göttliches erkannt; du hast mein Wesen verstanden, es hat in dem deinigen wiedergetönt.

Den unter den Menschen als Simon, Sohn des Jona Gangbaren macht er zu Petrus, zum Felsen, der seine Gemeine gründen werde; er setzt ihn nun in seine eigene Macht ein, zu binden und lösen; eine Macht, die nur einer das Göttliche rein in sich tragenden Natur zukommen kann, um jede Entfernung von ihm zu erkennen; es ist nunmehr kein anderes Urteil im Himmel als das deinige, was du auf Erden als frei oder gebunden erkennst, ist es auch vor den Augen des Himmels. Nun erst wagt es Jesus, seinen Jüngern von seinem bevorstehenden Schicksale zu sprechen; aber das Bewußtsein des Petrus von der Göttlichkeit seines Lehrers charakterisiert sich sogleich nur als Glauben, der zwar das Göttliche gefühlt, aber noch nicht eine Erfüllung des ganzen Wesens durch dasselbe, noch kein Empfangen des heiligen Geistes ist.

Es ist eine oft wiederkehrende Vorstellung, daß der Glaube der Freunde Jesu an ihn Gott zugeschrieben wird; besonders
Joh. 17 nennt er sie oft die ihm von Gott Gegebenen, so wie Joh. 6, 29 ein Werk Gottes, eine göttliche Wirkung, an ihn zu glauben; ein göttliches Wirken ist ganz etwas anderes als ein Lernen und Unterrichtet werden. Joh. 6, 65: »Niemand kann zu mir kommen, wenn es ihm nicht von meinem Vater gegeben ist.«

Dieser Glaube ist aber nur die erste Stufe der Beziehung mit Jesu, die in ihrer Vollendung so innig vorgestellt wird, dass seine Freunde eins seien mit ihm.
»Bis sie selbst das Licht haben, sollen sie an das Licht glauben, dass sie Söhne des Lichtes werden.« (Joh. 12, 36.) Zwischen denen, die nur erst den Glauben an das Licht haben, und denen, die selbst Kinder des Lichts sind, ist der Unterschied wie zwischen dem Täufer Johannes, der nur vom Lichte zeugte, und Jesus, einem individualisierten Licht. Wie Jesus ewiges Leben in sich hat, so sollen auch die Gläubigen an ihn (Joh. 6, 40) zum unendlichen Leben gelangen. Am klarsten ist die lebendige Vereinigung Jesu in seinen letzten Reden bei Johannes dargestellt, sie in ihm und er in ihnen; sie zusammen Eins; er der Weinstock, sie die Ranken; in den Teilen dieselbe Natur, das gleiche Leben, das im Ganzen ist. Diese Vollendung seiner Freunde ist es, worum Jesus seinen Vater bittet und die er ihnen verheißt, wenn er von ihnen entfernt sein werde.

Solange er unter ihnen lebte, blieben sie nur Gläubige; denn sie beruhten nicht auf sich selbst; Jesus war ihr Lehrer und Meister, ein individueller Mittelpunkt, von dem sie abhingen; sie hatten noch nicht eigenes, unabhängiges Leben; der Geist Jesu regierte sie; aber nach seiner Entfernung fiel auch diese Objektivität, diese Scheidewand zwischen ihnen und Gott; und der Geist Gottes konnte dann ihr ganzes Wesen beleben. Wenn Jesus (Joh. 7, 38/39) sagt: »Wer an mich glaubt, aus dessen Leibe werden Ströme des Lebens quellen«, so macht Johannes die Anmerkung, dass dies erst von der noch künftigen durchgängigen Belebung durch den heiligen Geist gemeint gewesen sei, den sie noch nicht empfangen hatten, weil Jesus noch nicht verklärt war. Es muss aller Gedanke einer Verschiedenheit des Wesens Jesu und derer, in denen der Glaube an ihn zum Leben geworden, in denen selbst das Göttliche ist, entfernt werden; wenn Jesus so häufig von sich als einer eminenten Natur spricht, so geschieht dies im Gegensatz gegen die Juden; von diesen trennt er sich und erhält dadurch die Gestalt eines Individuums auch in Ansehung des Göttlichen. S.377-385
Aus: G. W. F. Hegel , Frühe Schriften, Werke 1, Der Geist des Christentums, suhrkamp taschenbuch wissenschaft, stw 601

Ich bin die Wahrheit und das Leben
Ich bin die Wahrheit und das Leben; wer an mich glaubt - dies beständige, einförmige Vorschieben des Ichs bei Johannes ist wohl eine Absonderung seiner Persönlichkeit gegen den jüdischen Charakter; aber sosehr [er] gegen diesen Geist sich zum Individuum macht, ebenso sehr hebt er alle göttliche Persönlichkeit, göttliche Individualität gegen seine Freunde auf, mit denen er nur eins sein will, die in ihm eins sein sollen. Johannes sagt (2, 25) von Jesus, er wusste, was im Menschen war; und der treueste Spiegel seines schönen Glaubens an die Natur sind seine Reden beim Anblick unverdorbener Natur (Matth. 18, 1 ff.); wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das göttliche Reich kommen; der Kindlichste ist der größte in der himmlischen Welt; und wer ein solch Kind in meinem Namen aufnimmt, nimmt mich in sich auf, wer in ihm sein reines Leben zu fühlen, das Heilige seiner Natur zu erkennen fähig ist, der hat mein Wesen gefühlt; wer diese heilige Reinheit besudelt, dem wäre es gut, dass ihm ein Mühlstein an den Hals gehängt und dass er im tiefsten Meere ersäuft würde. O der schmerzlichen Notwendigkeit solcher Verletzungen des Heiligen! Der tiefste, heiligste Kummer einer schönen Seele, ihr unbegreiflichstes Rätsel, dass die Natur zerstört, das Heilige verunreinigt werden muss! Wie dem Verstande das Göttliche und das Einssein mit Gott das Unbegreiflichste ist, so ist es dem edlen Gemüte die Entfernung von Gott -: Sehet zu, verachtet nicht eines dieser Kleinen, denn ich sage euch, ihre Engel in den Himmeln, beständig schauen sie das Angesicht meines Vaters im Himmel. Unter den Engeln der Kinder können keine objektiven Wesen verstanden werden; denn (um einen Grund ad hominem anzugeben) auch die Engel der anderen Menschen müßte man als in der Anschauung Gottes lebend denken. In der Engel Anschauen Gottes ist sehr glücklich viel vereinigt; das Bewußtlose, die unentwickelte Einigkeit, das Sein und Leben in Gott ist, weil es als eine Modifikation der Gottheit in den existierenden Kindern soll vorgestellt werden, von Gott getrennt; aber ihr Sein, ihr Tun ist eine ewige Anschauung desselben. Um den Geist, das Göttliche, außer seiner Beschränkung und die Gemeinschaft des Beschränkten mit dem Lebendigen darzustellen, trennt Platon das reine Lebendige und das Beschränkte durch die Verschiedenheit der Zeit, er läßt die reinen Geister ganz in der Anschauung des Göttlichen gelebt haben und sie im späteren Erdenleben nur mit verdunkeltem Bewusstsein jenes Himmlischen dieselben sein. Auf eine andere Art trennt und vereinigt hier Jesus die Natur, das Göttliche des Geistes und die Beschränkung - als Engel ist der kindliche Geist nicht als ohne alle Wirklichkeit, ohne Existenz in Gott, sondern zugleich als Söhne Gottes, als Besondere dargestellt. Die Entgegensetzung des Anschauenden und des Angeschauten, daß sie Subjekt und Objekt sind, fällt in der Anschauung selbst weg; ihre Verschiedenheit ist nur eine Möglichkeit der Trennung; ein Mensch, der ganz in die Anschauung der Sonne versunken wäre, wäre nur ein Gefühl des Lichts, ein Lichtgefühl als Wesen. Der ganz in der Anschauung eines anderen Menschen lebte, wäre ganz dieser andere selbst, nur mit der Möglichkeit, ein anderer zu sein. - Was aber verloren ist, was sich entzweit hat, wird durch die Rückkehr zur Einigkeit, zum Werden wie Kinder wieder gewonnen; was aber diese Wiedervereinigung von sich stößt, fest gegen sie hält, das hat sich abgesondert, das sei euch fremd, mit dem ihr nichts gemein habt, und mit wem ihr die Gemeinschaft aufhebt, was ihr unter seiner Absonderung gebunden erklärt, ist es auch im Himmel; was ihr aber löset, für frei und damit für vereinigt erklärt, ist auch im Himmel frei, in ihm eins, schaut die Gottheit nicht an.

In einer anderen Gestalt stellt Jesus (V. 19) diese Einigkeit dar; wo zwei eurer auf etwas einig seid, darum zu bitte , wird es euch der Vater geschehen lassen.

Die Ausdrücke: bitten, gewähren, beziehen sich eigentlich auf Vereinigung über Objekte, für eine solche nur hat die jüdische Wirklichkeitssprache Ausdrücke. Das Objekt kann aber hier nichts anderes sein als nur die reflektierte Einigkeit, als Objekt ist es ein Schönes, subjektiv die Vereinigung; denn in eigentlichen Objekten können Geister nicht einig sein. Das Schöne, eine Einigkeit eurer zwei oder drei, ist es auch in der Harmonie des Ganzen, ist ein Laut, Einklang in dieselbe, und ist von ihr gewährt, es ist, weil es in ihr ist, weil es ein Göttliches ist; und mit dieser Gemeinschaft mit dem Göttlichen sind die Einigen zugleich in der Gemeinschaft des Jesus; wo zwei oder drei vereinigt sind in meinem Geiste, (wie Matth. 10, 41) in der Rücksicht, in der mir Sein und ewiges Leben zukommt, in der ich bin, bin ich in ihrer Mitte, so ist mein Geist. –
So bestimmt erklärt sich Jesus gegen Persönlichkeit, gegen eine seinen vollendeten Freunden entgegengesetzte Individualität seines Wesens (gegen den Gedanken eines persönlichen Gottes), von welcher der Grund eine absolute Besonderheit seines Seins gegen sie wäre. Ein Ausdruck über die Vereinigung Liebender (Matth. 19, 5) gehört auch hierher; die zwei, Mann und Weib, werden eins sein; so daß sie nun nicht mehr zwei sind, was also Gott vereinigt hat, soll der Mensch nicht trennen, sollte sich diese Vereinigung nur auf die ursprüngliche Bestimmung des Mannes und des Weibs füreinander beziehen, so paßte dieser Grund nicht gegen Scheidung der Ehe, denn durch die Scheidung wird jene Bestimmung, die Vereinigung des Begriffs nicht aufgehoben, welcher bliebe, wenn auch eine lebendige Vereinigung zertrennt wird; von einer solchen ist gesagt, dass sie eine Wirkung Gottes, ein Göttliches ist.

Da Jesus mit dem ganzen Genius seines Volks in den Kampf trat und mit seiner Welt durchaus gebrochen hatte, so konnte die Vollendung seines Schicksals keine andere sein, als durch den feindlichen Genius des Volks erdrückt zu werden; die Verherrlichung des Menschensohnes in diesem Untergange ist nicht das Negative, alle Beziehungen an sich mit der Welt aufgegeben zu haben, sondern das Positive, der unnatürlichen Welt seine Natur versagt und sie lieber im Kampf und Untergang gerettet, als sich entweder mit Bewusstsein unter die Verdorbenheit gebeugt oder ohne Bewußtsein von ihr beschlichen in ihr sich fortgewälzt zu haben.
S.385-388
Aus: G. W. F. Hegel , Frühe Schriften, Werke 1, Der Geist des Christentums, suhrkamp taschenbuch wissenschaft, stw 601

Der Geist der Wahrheit
Jesus hatte das Bewusstsein der Notwendigkeit des Untergangs seines Individuums und suchte auch seine Jünger von ihr zu überzeugen. Aber sie konnten ihr Wesen nicht von seiner Person trennen; sie waren nur noch Glaubende; als Petrus eben im Menschensohn das Göttliche anerkannt hatte, glaubte Jesus seine Freunde fähig zu sein, ihre Absonderung von ihm ins Bewusstsein zu bringen und ihren Gedanken zu tragen; er sprach ihnen also, unmittelbar nachdem er von Petrus seinen Glauben gehört hatte, davon; aber in dem Erschrecken des Petrus darüber zeigte sich der Abstand des Glaubens von der Vollendung. Erst nach der Entfernung seines Individuums konnte ihre Abhängigkeit davon aufhören und eigener Geist oder der göttliche Geist in ihnen selbst bestehen; »es ist euch nützlich, daß ich weggehe«, sagt Jesus Joh. 16, 7, »denn wenn ich nicht abginge, so käme der Tröster nicht zu euch; der Geist der Wahrheit (Joh. 14, 16 ff.), den die Welt nicht aufnehmen kann, weil sie ihn nicht erkennt; so lasse ich euch nicht als Waisen zurück, ich komme zu euch, und ihr werdet mich schauen, dass ich lebe und dass auch ihr lebt.« Wenn ihr das Göttliche nicht mehr nur außer euch, nur in mir schaut, sondern selbst Leben in euch habt, dann wird es auch in euch zum Bewusstsein kommen (Joh. 15, 27), dass ihr von Anbeginn mit mir seid, dass unser Naturen eins sind in der Liebe und in Gott. Der Geist wird euch in alle Wahrheit leiten (Joh. 16, 13) und euch alles in Erinnerung bringen, was ich euch sagte; er ist ein Tröster; wenn Trost geben die Aussicht auf ein gleiches oder größeres Gut, als das verlorene ist, geben heißt, so seid ihr nicht als Waisen zurückgelassen, denn soviel ihr mit mir zu verlieren glaubt, so viel werdet ihr in euch selbst empfangen.
S. 388f.
Aus: G. W. F. Hegel , Frühe Schriften, Werke 1, Der Geist des Christentums, suhrkamp taschenbuch wissenschaft, stw 601

Die Nächstenliebe
Die Liebe im Sinn Christi ist zunächst die moralische Liebe zum Nächsten im besonderen Verhältnisse, in dem man zu ihm steht; vor allem aber soll sie sein das Verhältnis seiner Jünger und Nachfolger, ihr Band, in dem sie eins sind. Und hier ist sie nicht so zu verstehen, daß jeder seine besonderen Geschäfte, Interessen und Lebensverhältnisse haben und nebenbei noch lieben soll; sondern im aussondernden, abstrahierenden Sinne soll sie ihr Mittelpunkt, in dem sie leben, ihr Geschäft sein. Sie sollen einander lieben, sonst nichts, und somit nicht irgendeinen Zweck der Besonderheit haben, Familienzwecke, politische Zwecke, oder um dieser besonderen Zwecke willen lieben. Liebe ist vielmehr die abstrakte Persönlichkeit und die Identität derselben in einem Bewusstsein, wo keine Möglichkeit für besondere Zwecke übrigbleibt. Es ist hier also kein anderer objektiver Zweck als diese Liebe. Diese unabhängige und zum Mittelpunkt gemachte Liebe wird dann endlich die höhere, göttliche Liebe selbst.

Zunächst ist aber auch noch diese Liebe als solche, die noch keinen objektiven Zweck hat, polemisch gegen das Bestehende, besonders gegen das jüdische Bestehende gerichtet. Alle die vom Gesetz gebotenen Handlungen, worin die Menschen sonst ihren Wert setzen ohne die Liebe, werden für totes Tun erklärt, und Christus heilt selbst am Sabbat.
In diese Lehren tritt nun auch dies Moment, diese Bestimmtheit; indem dies so unmittelbar ausgesprochen ist: »Trachtet nach dem Reiche Gottes, werft euch in die Wahrheit«, dies so unmittelbar gefordert ist, so tritt dies gleichsam als subjektiv ausgesprochen hervor, und insofern kommt die Person in Betracht. Nach dieser Beziehung spricht Christus nicht als Lehrer nur, der aus seiner subjektiven Einsicht vorträgt, der das Bewusstsein hat seines Produzierens, seiner Tätigkeit, sondern als Prophet; er ist es, der, wie diese Forderung unmittelbar ist, unmittelbar aus Gott dieses spricht und aus welchem Gott dieses spricht.

Dieses Leben des Geistes in der Wahrheit zu haben, dass ohne Vermittlung es ist, spricht sich so prophetisch aus, dass Gott es ist, der dies sagt. Es ist um die absolute, göttliche, an und für sich seiende Wahrheit zu tun; dieses Aussprechen und Wollen der an und für sich seienden Wahrheit und die Betätigung dieses Aussprechens wird als Tun Gottes ausgesprochen; es ist das Bewusstsein der reellen Einheit des göttlichen Willens, seiner Übereinstimmung damit. In dieser Erhebung seines
Geistes und in der Gewissheit seiner Identität mit Gott sagt Christus: »Weib, dir sind deine Sünden vergeben.« Da redet aus ihm diese (Luk. 7,48) ungeheure Majestät, die alles ungeschehen machen kann und es ausspricht, dass dies geschehen.
Bei der Form dieses Aussprechens ist aber der Hauptakzent darauf gelegt, dass der, welcher dies sagt, zugleich der Mensch wesentlich ist, der Menschensohn es ist, der es ausspricht, in dem dieses Aussprechen, diese Betätigung des an und für sich Seienden, dies Wirken Gottes wesentlich ist als in einem Menschen, nicht als etwas Übermenschliches, als etwas, das in Gestalt einer äußeren Offenbarung kommt, dass diese göttliche Gegenwart wesentlich identisch ist mit dem Menschlichen.

Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, S.283-285) suhrkamp taschenbuch wissenschaft stw 617

Alle Menschenkinder sind Kinder Gottes
Christus nennt sich Gottessohn und Menschensohn: dieses ist eigentlich zu nehmen. Die Araber bezeichnen sich gegenseitig als Sohn eines gewissen Stammes; Christus gehört dem menschlichen Geschlecht an; dieses ist sein Stamm. Christus ist auch der Sohn Gottes, den wahren Sinn dieses Ausdrucks die Wahrheit der Idee, was Christus für seine Gemeinde gewesen, und die höhere Idee der Wahrheit, die in ihm in seiner Gemeinde gewesen, kann man auch weg exegesieren, sagen: alle Menschenkinder seien Kinder Gottes oder sollen sich selbst zu Kindern Gottes machen und dgl.

Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, S.285 suhrkamp taschenbuch wissenschaft stw 617

Der Lehrer und seine Lehre
Da die Lehre Christi aber für sich allein nur die Vorstellung, das innere Gefühl und Gemüt betrifft, so wird sie ergänzt durch die Darstellung der göttlichen Idee an seinem Leben und Schicksal. Jenes Reich Gottes als Inhalt der Lehre ist erst die noch vorgestellte, allgemeine Idee; durch dies Individuum tritt es aber in die Wirklichkeit hinein, so daß die, welche zu jenem Reich gelangen sollen, es nur durch jenes eine Individuum können.

Das erste ist zunächst die abstrakte Angemessenheit von Tun, Handeln und Leiden dieses Lehrers zu seiner Lehre selbst, daß sein Leben ihr gänzlich gewidmet sei, daß er den Tod nicht gescheut und durch den Tod seinen Glauben besiegelt habe. Daß nämlich Christus Märtyrer der Wahrheit geworden, ist in nahem Zusammenhang mit solchem Auftreten. Indem die Stiftung des Reiches Gottes mit dem vorhandenen Staat, der auf eine andere Weise und Bestimmtheit der Religion gegründet ist, durchaus in geradem Widerspruch ist, so ist das Schicksal, menschlich ausgedrückt, Märtyrer der Wahrheit zu sein, im Zusammenhange mit jenem Auftreten.

Dies sind die Hauptmomente der menschlichen Erscheinung Christi. Dieser Lehrer hat Freunde um sich versammelt. Christus, insofern seine Lehren revolutionär waren, ist angeklagt und hingerichtet worden; er hat so die Wahrheit der Lehre mit dem Tode versiegelt. — So weit geht auch der Unglaube in dieser Geschichte mit; sie ist ganz der des Sokrates ähnlich, nur auf einem anderen Boden. Auch Sokrates hat die Innerlichkeit zum Bewusstsein gebracht, ist nichts anderes. Auch er hat gelehrt, der Mensch müsse nicht bei der gewöhnlichen Autorität stehen bleiben, sondern sich selbst die Überzeugung davon verschaffen und nach seiner Überzeugung handeln. Dies sind ähnliche Individualitäten und ähnliche Schicksale. Die Innerlichkeit des Sokrates ist dem religiösen Glauben seines Volkes zuwider gewesen sowie der Staatsverfassung desselben, und er ist darum hingerichtet worden, — auch er ist für die Wahrheit gestorben. Christus lebte nur in einem andern Volke, und seine Lehre hat insofern eine andere Farbe; aber das Himmelreich und die Reinigkeit des Herzens enthält doch eine unendlich größere Tiefe als die Innerlichkeit des Sokrates. —. Dies ist die äußerliche Geschichte Christi, die auch für den Unglauben ist, wie die Geschichte des Sokrates für uns.

Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, S.285-286) suhrkamp taschenbuch wissenschaft stw 617

Leiden und Tod Christi
Mit dem Tode Christi beginnt aber die Umkehrung des Bewußtseins. Der Tod Christi ist der Mittelpunkt, um den es sich dreht; in seiner Auffassung liegt der Unterschied äußer¬licher Auffassung und des Glaubens, d. h. der Betrachtung mit dem Geiste, aus dem Geiste der Wahrheit, aus dem heiligen Geiste. Nach jener Vergleichung ist Christus Mensch wie Sokrates, ein Lehrer, der in seinem Leben tugendhaft gelebt und das in dem Menschen zum Bewusstsein gebracht hat, was das Wahrhafte überhaupt sei, was die Grundlage für das Bewußtsein des Menschen ausmachen müsse. Die höhere Betrachtung ist aber die, dass in Christus die göttliche Natur geoffenbart worden sei. Dieses Bewusstsein reflektiert sich auf die angeführten Aussprüche, dass der Sohn den Vater kenne usw. — Aussprüche, die zunächst für sich eine gewisse Allgemeinheit haben und welche die Exegese in das Feld allgemeiner Betrachtung herüberziehen kann, die aber der Glaube durch die Auslegung des Todes Christi in ihrer Wahrheit auffasst; denn der Glaube ist wesentlich das Bewusstsein der absoluten Wahrheit, dessen, was Gott an und für sich ist. Was aber Gott an und für sich ist, das haben wir gesehen: er ist dieser Lebensverlauf, die Dreieinigkeit, worin das Allgemeine sich sich selbst gegenüberstellt und darin identisch mit sich ist. Gott ist in diesem Elemente der Ewigkeit das Sichzusammenschließen mit sich, dieser Schluss seiner mit sich. Der Glaube nur faßt auf und hat das Bewusstsein, dass in Christo diese an und für sich seiende Wahrheit in ihrem Verlauf angeschaut werde und dass durch ihn erst diese Wahrheit geoffenbart worden sei.

Diese Betrachtung ist erst das Religiöse als solches, wo das Göttliche selbst wesentliches Moment ist. In den Freunden, Bekannten, die gelehrt worden sind, ist diese Ahnung, Vorstellung, dies Wollen eines neuen Reichs, »eines neuen Himmels und einer neuen Erde«, einer neuen Welt vorhanden; diese Hoffnung, diese Gewissheit hat die Wirklichkeit ihrer Herzen durchschnitten, in die Wirklichkeit ihrer Herzen sich eingesenkt.

Nun aber das Leiden, der Tod Christi hat das menschliche Verhältnis Christi aufgehoben, und an diesem Tode eben ist es, daß sich der Übergang macht in das Religiöse; da kommt es an auf den Sinn, die Art der Auffassung dieses Todes. Einerseits ist es der natürliche Tod, durch Ungerechtigkeit, Hass und Gewaltsamkeit bewirkt; aber es ist schon fest in den Herzen, Gemütern, daß es sich nicht handelt um Moralität überhaupt, um Denken und Wollen des Subjekts in sich und aus sich, sondern das Interesse ist ein unendliches Verhältnis zu Gott, zum gegenwärtigen Gott, die Gewissheit des Reiches Gottes, eine Befriedigung nicht in der Moralität noch auch Sittlichkeit oder in dem Gewissen, sondern eine Befriedigung, außerhalb welcher nichts Höheres ist, — absolutes Verhältnis zu Gott selbst.

Alle anderen Weisen der Befriedigung enthalten, dass sie nach irgendeiner Bestimmung untergeordneter Art sind, so dass das Verhältnis zu Gott als ein Drüben, als ein Fernes, ja gar nicht Vorhandenes liegen bleibt. Die Grundbestimmung in diesem Reich Gottes ist die Gegenwart Gottes, so dass den Mitgliedern dieses Reichs nicht nur empfohlen wird Liebe zu Menschen, sondern das Bewusstsein, dass Gott die Liebe ist.

Darin ist eben gesagt, dass Gott präsent ist, dass dies als eigenes Gefühl, Selbstgefühl sein muss. Das Reich Gottes, die Gegenwart Gottes ist diese Bestimmung. Zu dieser gehört die Gewissheit der Gegenwärtigkeit Gottes. Indem es ein Bedürfnis, Gefühl ist einerseits, muss das Subjekt sich andererseits auch davon unterscheiden, muss es auch von sich unterscheiden diese Gegenwart Gottes, aber so, dass diese Gegenwart Gottes gewiss ist, und diese Gewissheit kann hier nur vorhanden sein in der Weise sinnlicher Erscheinung.

Die ewige Idee selbst ist dies, die Bestimmung der Subjektivität als wirklicher, vom bloßen Gedanken unterschiedener unmittelbar erscheinen zu lassen. Andererseits ist es der aus dem Schmerz der Welt erzeugte und auf dem Zeugnis des Geistes beruhende Glaube, der sich dann das Leben Christi expliziert. Die Lehre, die Wunder desselben sind in diesem Zeugnisse des Glaubens aufgefaßt und verstanden.

Die Geschichte Christi ist auch von solchen erzählt, über die der Geist schon ausgegossen war. Die Wunder sind in diesem Geiste aufgefaßt und erzählt, und der Tod Christi ist von demselben wahrhaft so verstanden worden, daß in Christus Gott geoffenbart sei und die Einheit der göttlichen und menschlichen Natur. Der Tod ist dann der Prüfstein, sozu¬sagen, an dem sich der Glaube bewährt, indem hier wesentlich sein Verstehen der Erscheinung Christi sich dartut. Der Tod hat nun zunächst diesen Sinn, dass Christus der Gottmensch gewesen ist, der Gott, der zugleich die menschliche Natur hatte, ja bis zum Tode. Es ist das Los der menschlichen Endlichkeit, zu sterben; der Tod ist so der höchste Beweis der Menschlichkeit, der absoluten Endlichkeit. Und zwar ist Christus gestorben den gesteigerten Tod des Missetäters; nicht nur den natürlichen Tod, sondern sogar den Tod der Schande und Schmach am Kreuze: die Menschlichkeit ist an ihm bis auf den äußersten Punkt erschienen.

An diesem Tode ist zunächst eine besondere Bestimmung hervorzuheben, nämlich seine polemische Seite nach außen. Es ist darin nicht nur das Dahingeben des natürlichen Willens zur Anschauung gebracht, sondern alle Eigentümlichkeit, alle Interessen und Zwecke, worauf der natürliche Wille sich richten kann, alle Größe und alles Geltende der Welt ist damit ins Grab des Geistes versenkt. Dies ist das revolutionäre Element, durch welches der Welt eine ganz andere Gestalt gegeben ist. Aber im Aufgeben des natürlichen Willens ist zugleich dies Endliche, das Anderssein verklärt. Das Anderssein hat nämlich außer der unmittelbaren Natürlichkeit noch einen weiteren Umfang und weitere Bestimmung. Zum Dasein des Subjekts gehört wesentlich, dass es auch für andere sei; das Subjekt ist nicht nur für sich, sondern ist auch in der Vorstellung der anderen und ist, gilt und ist objektiv, soviel als es sich bei anderen geltend zu machen weiß und gilt. Sein Gelten ist die Vorstellung der anderen und beruht auf der Vergleichung mit dem, was sie achten und was ihnen als das Ansich gilt.
Indem nun der Tod außer dem, dass er der natürliche Tod ist, auch noch der Tod des Missetäters, der entehrendste Tod am Kreuze ist, so ist darin nicht nur das Natürliche, sondern auch die bürgerliche Entehrung, die weltliche Schande. Das Kreuz ist verklärt; das in der Vorstellung Niedrigste, das, was der Staat zum Entehrenden bestimmt hat, ist zum Höchsten verkehrt. Der Tod ist natürlich; jeder Mensch muss sterben. Aber indem die Entehrung zur höchsten Ehre gemacht ist, so sind alle Bande des menschlichen Zusammenlebens in ihrem Grunde angegriffen, erschüttert und aufgelöst. Wenn das Kreuz zum Panier erhoben ist, und zwar zum Panier, dessen positiver Inhalt zugleich das Reich Gottes ist, so ist die innere Gesinnung in ihrem tiefsten Grunde dem bürgerlichen und Staatsleben entzogen und die substantielle Grundlage desselben hinweggenommen, so daß das ganze Gebäude keine Wirklichkeit mehr, sondern eine leere Erscheinung ist, die bald krachend zusammenstürzen und, dass sie nicht mehr an sich ist, auch im Dasein manifestieren muss.

Ihrerseits entehrte die kaiserliche Gewalt alles, was Achtung und Würde unter den Menschen hat. Das Leben eines jeden Individuums stand in der Willkür des Kaisers, die von nichts innerlich oder äußerlich beschränkt war. Aber außer dem Leben wurden alle Tugend, Würde, Alter, Stand, Geschlecht, alles wurde durch und durch entehrt. Der Sklave des Kaisers war nach ihm die höchste Macht oder hatte noch mehr Macht als er selbst; der Senat schändete sich ebenso, als er vom Kaiser geschändet wurde. So wurde die Majestät der Weltherrschaft wie alle Tugend, Recht, Ehrwürdigkeit von Instituten und Verhältnissen, die Majestät von allem, was für die Welt gilt, in den Kot gezogen. So machte der weltliche Regent der Erde seinerseits das Höchste zum Verachtetsten und verkehrte von Grund aus die Gesinnung, so dass im Innern der [...] Religion, die ihrerseits das Verachtetste zum Höchsten, zum Panier erhob, nichts mehr entgegenzusetzen war. Alles Feste, Sittliche, in der Meinung Geltende und Gewalthabende war zerstört, und es blieb dem Bestehenden, gegen das sich die neue Religion richtete, nur die ganz äußerliche kalte Gewalt, der Tod übrig, den das entwürdigte Leben, die sich im Innern unendlich fühlte, nun freilich nicht mehr scheute.

Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, (S.286-291) suhrkamp taschenbuch wissenschaft stw 617

Der Tod Gottes und seine Auferstehung = Tod des Todes
Es tritt nun aber auch eine weitere Bestimmung ein. Gott ist gestorben, Gott ist tot — dieses ist der fürchterlichste Gedanke, dass alles Ewige, alles Wahre nicht ist, die Negation selbst in Gott ist; der höchste Schmerz, das Gefühl der vollkommenen Rettungslosigkeit, das Aufgeben alles Höheren ist damit verbunden. — Der Verlauf bleibt aber nicht hier stehen, sondern es tritt nun die Umkehrung ein; Gott nämlich erhält sich in diesem Prozess, und dieser ist nur der Tod des Todes. Gott steht wieder auf zum Leben: es wendet sich somit zum Gegenteil.*

*Es ist dies die Auferstehung und die Himmelfahrt Christi. Wie alles Bisherige in der Weise der Wirklichkeit für das unmittelbare Bewusstsein zur Erscheinung gekommen, so auch diese Erhebung. »Du lässest deinen Gerechten im Grabe nicht, du lässest deinen Heiligen nicht verwesen.« (Psalm 16,10) Für die Anschauung ist ebenso vorhanden dieser Tod des Todes, die Überwindung des Grabes, der Triumph über das Negative und diese Erhöhung in den Himmel. Die Überwindung des Negativen ist aber nicht ein Ausziehen der menschlichen Natur, sondern ihre höchste Bewährung selbst im Tode und in der höchsten Liebe. Der Geist ist nur Geist als dies Nega¬tive des Negativen, welches also das Negative selbst in sich enthält. Wenn daher der Menschensohn zur Rechten des Vaters sitzt, so ist in dieser Erhöhung der menschlichen Natur die Ehre derselben und ihre Identität mit der göttlichen aufs höchste vor das geistige Auge getreten. (Aus dem eigenhändig von Hegel geschriebenen Hefte vom Jahre 1821.)

Die Auferstehung gehört ebenso wesentlich dem Glauben an: Christus ist nach seiner Auferstehung nur seinen Freunden erschienen; dies ist nicht äußerliche Geschichte für den Unglauben, sondern nur für den Glauben ist diese Erscheinung. Auf die Auferstehung folgt die Verklärung Christi, und der Triumph der Erhebung zur Rechten Gottes schließt diese Geschichte, welche in diesem Bewsstsein die Explikation der göttlichen Natur selbst ist. Wenn wir in der ersten Sphäre Gott im reinen Gedanken erfassten, so fängt es in dieser zweiten Sphäre mit der Unmittelbarkeit für die Anschauung und für die sinnliche Vorstellung an. Der Prozess ist nun dieser, dass die unmittelbare Einzelheit aufgehoben wird; wie in der ersten Sphäre die Verschlossenheit Gottes aufhörte, seine erste Unmittelbarkeit als abstrakte Allgemeinheit, nach der er das Wesen der Wesen ist, aufgehoben wurde, so wird hier nun die Abstraktion der Menschlichkeit, die Unmittelbarkeit der seienden Einzelheit aufgehoben, und dies geschieht durch den Tod. Der Tod Christi ist aber der Tod dieses Todes selbst, die Negation der Negation. Denselben Verlauf und Prozess der Explikation Gottes haben wir im Reiche des Vaters gehabt: hier ist er aber, insofern er Gegenstand des Bewusstseins ist. Denn es war der Trieb des Anschauens der göttlichen Natur vorhanden.

Am Tode Christi ist dieses Moment zuletzt noch hervorzuheben, dass Gott es ist, der den Tod getötet hat, indem er aus demselben hervorgeht; damit ist die Endlichkeit, Menschlichkeit und Erniedrigung als ein Fremdes an Christo gesetzt als an dem, der schlechthin Gott ist: es zeigt sich, daß die Endlichkeit ihm fremd und von Anderem her angenommen ist; dieses Andere nun sind die Menschen, die dem göttlichen Prozeß gegenüberstehen. Es ist ihre Endlichkeit, die Christus angenommen hat, diese Endlichkeit in allen ihren Formen, die in ihrer äußersten Spitze das Böse ist. Diese Menschlichkeit, die selbst Moment im göttlichen Leben ist, wird nun als ein Fremdes, Gott nicht Angehöriges bestimmt. Diese Endlichkeit aber in ihrem Fürsichsein gegen Gott ist das Böse, ein ihm Fremdes; er hat es aber angenommen, um es durch seinen Tod zu töten. Der schmachvolle Tod als die ungeheure Vereinigung dieser absoluten Extreme ist darin zugleich die unendliche Liebe. Es ist die unendliche Liebe, dass Gott sich mit dem ihm Fremden identisch gesetzt hat, um es zu töten. Dies ist die Bedeutung des Todes Christi. Christus hat die Sünde der Welt getragen, hat Gott versöhnt, heißt es.

Dieser Tod ist ebenso wie die höchste Verendlichung zugleich das Aufheben der natürlichen Endlichkeit, des unmittelbaren Daseins und der Entäußerung, die Auflösung der Schranke. Diese Aufhebung des Natürlichen ist im Geistigen wesentlich so zu fassen, daß sie die Bewegung des Geistes ist, sich in sich zu erfassen, dem Natürlichen abzusterben, daß sie also die Abstraktion vom unmittelbaren Willen und unmittelbaren Bewußtsein ist, sein Sich-in-sich-Versenken, und aus diesem Schachte nur seine Bestimmung, sein wahres Wesen und seine absolute Allgemeinheit sich zu nehmen. Was ihm gilt, was seinen Wert hat, das hat er nur in dieser Aufhebung seines natürlichen Seins und Willens. Das Leiden und der Schmerz dieses Todes, der dies Element der Versöhnung des Geistes mit sich und mit dem, was er an sich ist, enthält, dies nega¬tive Moment, das nur dem Geiste als solchem zukommt, ist innere Konversion und Umwandlung. In dieser konkreten Bedeutung ist aber der Tod hier nicht dargestellt; er ist als natürlicher Tod vorgestellt, denn an der göttlichen Idee kann jene Negation keine andere Darstellung haben. Wenn die ewige Geschichte des Geistes sich äußerlich, im Natürlichen darstellt, so kann das Böse, das sich an der göttlichen Idee verwirklicht, nur die Weise des Natürlichen und so die Umkehrung nur die Weise des natürlichen Todes haben. Die göttliche Idee kann nur bis zu dieser Bestimmung des Natürlichen fortgehen. Dieser Tod aber, obwohl natürlicher, ist der Tod Gottes und so genugtuend für uns, indem er die absolute Geschichte der göttlichen Idee, das, was an sich geschehen ist und was ewig geschieht, darstellt.

Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, (S.291-293) suhrkamp taschenbuch wissenschaft stw 617

Christus ist für alle gestorben
Andere Formen, z. B. vom Opfertode, an welche sich die falsche Vorstellung knüpft, dass Gott ein Tyrann sei, der Opfer verlange, reduzieren sich von selbst auf das, was gesagt worden, und berichtigen sich danach. Opfer heißt, die Natürlichkeit, das Anderssein aufheben. Es heißt ferner: Christus ist für alle gestorben; das ist nicht etwas Einzelnes sondern die göttliche, ewige Geschichte. Es heißt ebenso: in ihm sind alle gestorben. In der Natur Gottes ist dies selbst ein Moment; es ist in Gott selbst vorgegangen. Gott kann durch etwas anderes, sondern nur durch sich selbst befriedigt werden. Dieser Tod ist die Liebe selbst, als Moment Gottes gesetzt, und dieser Tod ist das Versöhnende. Es wird darin die absolute Liebe angeschaut. Es ist die Identität des Göttlichen und Menschlichen, dass Gott im Endlichen bei sich selbst ist und dies Endliche im Tode selbst Bestimmung Gottes ist. Gott hat durch den Tod die Welt versöhnt und versöhnt sie ewig mit sich selbst. Dies Zurückkommen aus der Entfremdung ist seine Rückkehr zu sich selbst, und dadurch er Geist, und dies Dritte ist daher, daß Christus auferstanden ist. Die Negation ist damit überwunden, und die Negation der Negation ist so Moment der göttlichen Natur. Das Leiden und Sterben in solchem Sinne ist gegen die Lehre von der moralischen Imputation, wonach jedes Individuum nur für sich zu stehen hat, jeder der Täter seiner Taten ist. Das Schicksal Christi scheint dieser Imputation zu widersprechen; aber diese hat nur ihre Stelle auf dem Felde der Endlichkeit, wo das Subjekt als einzelne Person steht, nicht auf dem Felde des freien Geistes. In dem Felde der Endlichkeit ist die Bestimmung, dass jeder bleibt, was er ist; hat er Böses getan, so ist er böse: das Böse ist in ihm als seine Qualität. Aber schon in der Moralität, noch mehr in der Sphäre der Religion wird der Geist als frei gewußt, als affirmativ in sich selbst, so dass diese Schranke an ihm, die bis zum Bösen fortgeht, für die Unendlichkeit des Geistes ein Nichtiges ist: der Geist kann das Geschehene ungeschehen machen; die Handlung bleibt wohl in der Erinnerung, aber der Geist streift sie ab. Die Imputation reicht also nicht an diese Sphäre hinan. — In dem Tode Christi ist für das wahrhafte Bewußtsein des Geistes die Endlichkeit des Menschen getötet worden. Dieser Tod des Natürlichen hat auf diese Weise allgemeine Bedeutung; das Endliche, Böse überhaupt ist vernichtet. Die Welt ist so versöhnt worden; der Welt ist durch diesen Tod ihr Böses an sich abgenommen worden. In dem wahrhaften Verstehen des Todes tritt auf diese Weise die Beziehung des Subjekts als solchen ein. Das bloße Betrachten der Geschichte hört hier auf; das Subjekt selbst wird in den Verlauf hineingezogen; es fühlt den Schmerz des Bösen und seiner eigenen Entfremdung, welche Christus auf sich genommen, indem er die Menschlichkeit angezogen, aber durch seinen Tod vernichtet hat.
Indem der Inhalt sich auch auf diese Weise verhält, so ist das die religiöse Seite, und hierin fängt die Entstehung der Gemeinde an. Es ist dieser Inhalt dasselbe, was die Ausgießung des Heiligen Geistes genannt worden: es ist der Geist, der dies geoffenbart hat. Das Verhältnis zum bloßen Menschen verwandelt sich in ein Verhältnis, das vom Geist aus verändert, umgewandelt wird, so dass die Natur Gottes sich darin aufschließt, dass diese ,Wahrheit unmittelbare Gewissheit nach der Weise der Erscheinung erhält.

Darin erhält denn dieser, der zunächst als Lehrer, Freund, als Märtyrer der Wahrheit betrachtet worden, eine ganz andere Stellung. Es ist bisher nur der Anfang [gesetzt], der durch den Geist nun zum Resultat, Ende, zur Wahrheit geführt wird. Der Tod Christi ist einerseits der Tod eines Menschen, eines Freundes, der durch Gewalt gestorben usf.; aber dieser Tod ist es, der, geistig aufgefaßt, selbst zum Heile, zum Mittelpunkt der Versöhnung wird.

Die Anschauung der Natur des Geistes, auf sinnliche Weise die Befriedigung des Bedürfnisses des Geistes vor sich zu haben, ist es dann, was nach dem Tode Christi erst seinen Freunden aufgeschlossen worden. Also diese Überzeugung. die sie aus seinem Leben haben konnten, war noch nicht die rechte Wahrheit, sondern erst der Geist. Vor seinem Tode war er als ein sinnliches Individuum vor ihnen. Den eigentlichen Aufschluss hat ihnen der Geist gegeben, von dem Christus sagt, daß er sie in alle Wahrheit leiten werde. »Das wird erst die Wahrheit sein, in die euch der Geist leiten wird.«

Damit bestimmt sich dieser Tod nach dieser Seite hin als der Tod, der der Übergang zur Herrlichkeit, Verherrlichung ist, die aber nur Wiederherstellung der ursprünglichen Herrlichkeit ist. Der Tod, das Negative, ist das Vermittelnde, dass die ursprüngliche Hoheit als erreicht gesetzt ist. Es geht damit die Geschichte der Auferstehung und Erhebung Christi zur Rechten Gottes an, wo die Geschichte geistige Auffassung gewinnt.

Es ist damit denn geschehen, dass diese kleine Gemeinde die Gewissheit gehabt hat: Gott ist als Mensch erschienen; diese Menschlichkeit in Gott, und [zwar] die abstrakteste Weise derselben, die höchste Abhängigkeit, die letzte Schwäche und Stufe der Gebrechlichkeit ist eben der natürliche Tod. »Gott selbst ist tot«, heißt es in jenem lutherischen Liede (Johann Rist, 1607—1667, »OTraurigkeit, o Herzeleid«, 2. Strophe); dies Bewusstsein drückt dies aus, dass das Menschliche, das Endliche, Gebrechliche, die Schwäche, das Negative göttliches Moment selbst ist, in Gott selbst ist; dass das Anderssein, das Endliche, das Negative nicht außer Gott ist, als Anderssein die Einheit mit Gott nicht hindert. Es ist gewusst das Anderssein, die Negation als Moment der göttlichen Natur selbst. Die höchste Erkenntnis von der Natur der Idee des Geistes ist darin enthalten.

Dieses äußerliche Negative schlägt auf diese Weise in das Innere um. Der Tod hat einerseits diesen Sinn, diese Bedeutung, daß damit das Menschliche abgestreift wird und die göttliche Herrlichkeit wieder hervortritt. Aber der Tod ist selbst zugleich auch das Negative, diese höchste Spitze dessen, dem der Mensch als natürliches Dasein und eben damit Gott selbst ausgesetzt ist.

In dieser ganzen Geschichte ist den Menschen zum Bewusstsein gekommen — und das ist die Wahrheit, zu der sie gelangt sind —, dass die Idee Gottes für sie Gewissheit hat, dass das Menschliche unmittelbarer, präsenter Gott ist, und zwar so, dass in dieser Geschichte, wie sie der Geist auffasst, selbst die Darstellung des Prozesses ist dessen, was der Mensch, der Geist ist: an sich Gott und tot — diese Vermittlung, wodurch das Menschliche abgestreift wird, andererseits das Ansichseiende zu sich zurückkommt und so erst Geist ist.

Das Bewusstsein der Gemeinde, das so den Übergang macht vom bloßen Menschen zu einem Gottmenschen — zur Anschauung, zum Bewusstsein, zur Gewissheit der Einheit und Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur — ist es, womit die Gemeinde beginnt und was die Wahrheit ausmacht, worauf die Gemeinde gegründet ist.

Das ist dann die Explikation der Versöhnung, dass Gott versöhnt ist mit der Welt, oder vielmehr, daß Gott sich gezeigt hat als mit der Welt versöhnt zu sein, dass das Menschliche eben ihm nicht ein Fremdes ist, sondern dass dieses Anderssein, Sichunterscheiden, die Endlichkeit, wie es ausgedrückt wird, ein Moment an ihm selbst ist, aber allerdings ein verschwindendes. Aber er hat in diesem Moment sich der Gemeinde gezeigt, geoffenbart.

Dies ist für die Gemeinde die Geschichte der Erscheinung Gottes; diese Geschichte ist göttliche Geschichte, wodurch sie zum Bewusstsein der Wahrheit gekommen ist. Daraus bildete sich das Bewusstsein, das Wissen, dass Gott der Dreieinige ist. Die Versöhnung, an die geglaubt wird in Christo, hat keinen Sinn, wird Gott nicht als der Dreieinige gewusst, wird nicht erkannt, dass er ist, aber auch als das Andere, als das sich Unterscheidende [ist] so dass dieses Andere Gott selbst ist, an sich die göttliche Natur an ihm hat, und dass das Aufheben dieses Unterschieds, Andersseins, diese Rückkehr, diese Liebe der Geist ist.

In diesem Bewusstsein ist es enthalten, dass der Glaube nicht Verhältnis zu etwas anderem, sondern Verhältnis zu Gott selbst ist. Das sind die Momente, auf die es hier ankommt, dass den Menschen zum Bewusstsein gekommen ist die ewige Geschichte, die ewige Bewegung, die Gott selbst ist.

Das ist diese Darstellung der zweiten Idee als Idee in der Erscheinung, wie die ewige Idee für die unmittelbare Gewissheit des Menschen geworden, d. h. erschienen ist. Dass sie Gewissheit für den Menschen werde, ist notwendig sinnliche Gewissheit, aber die zugleich übergeht in das geistige Bewusstsein und ebenso in unmittelbare Sinnlichkeit verkehrt ist, aber so, dass man darin sieht die Bewegung, Geschichte Gottes, das Leben, das Gott selbst ist.

Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, (S.294-299) suhrkamp taschenbuch wissenschaft stw 617

Der Weltrichter
Es ist einer neueren Philosophie der infamierende Vorwurf gemacht worden, dass in ihr das menschliche Individuum sich als Gott setze; aber gegen solchen Vorwurf einer falschen Konsequenz ist es eine ganz andere wirkliche Anmaßung, sich als Weltrichter betragen, die Christlichkeit der Individuen aburteilen und die Innerste Verwerfung damit über sie aussprechen. Das Schibboleth dieser Machtvollkommenheit ist der Name des Herrn Christus und die Versicherung, dass der Herr diesen Richtern im Herzen wohne. Christus sagt (Matth. 7, 20): »An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen«, die ungeheure Insolenz des Verwerfens und Verdammens aber ist keine gute Frucht. Er fährt fort: »Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr, in das Himmelreich kommen; es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? haben wir nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben? haben wir nicht in deinem Namen viel Taten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nicht erkannt, weichet alle von mir, ihr Übeltäter.« Die, welche im ausschließlichen Besitz der Christlichkeit zu sein versichern und von anderen diesen Glauben an sie fordern, haben es nicht soweit gebracht, Teufel auszutreiben, vielmehr viele derselben, wie die Gläubigen an die Seherin von Prevorst, tun sich etwas darauf zugut, mit Gesindel von Gespenstern in gutem Vernehmen zu stehen und Ehrfurcht vor demselben zu haben, statt diese Lügen eines widerchristlichen knechtischen Aberglaubens zu verjagen und zu verbannen. Ebensowenig zeigen sie sich vermögend, Weisheit zu reden, und vollends unfähig, große Taten der Erkenntnis und Wissenschaft zu tun, was ihre Bestimmung und Pflicht wäre; Gelehrsamkeit ist noch nicht Wissenschaft. Indem sie mit der Masse der gleichgültigen Außendinge des Glaubens sich weitläufige Beschäftigungen machen, bleiben sie dagegen in Ansehung des Gehalts und Inhalts des Glaubens selbst um so dürrer bei dem Namen des Herrn Christus stehen und verschmähen vorsätzlich und mit Schmähen die Ausbildung der Lehre, welche das Fundament des Glaubens der christlichen Kirche ist, denn die geistige, vollends denkende und wissenschaftliche Expansion störte, ja verböte und tilgte den Eigendünkel des subjektiven Pochens auf die geistlose, am Guten unfruchtbare, nur an den bösen Früchten reiche Versicherung, daß sie im Besitze der Christlichkeit sich befinden und dieselbe ausschließlich sich zu eigen haben. - Diese geistige Expansion wird mit dem bestimmtesten Bewusstsein in der Schrift von dem bloßen Glauben so unterschieden, dass dieser erst durch jene zur Wahrheit werde. »Wer überhaupt an mich glaubt«, sagt Christus (Joh. 7, 38), »von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen.« Dies ist dahin sogleich in Vers 39 erläutert und bestimmt, dass aber nicht der Glaube als solcher an die zeitliche, sinnliche, gegenwärtige Persönlichkeit Christi dies bewirke, er noch nicht die Wahrheit als solche sei; im folgenden (39. Vers) ist der Glaube dahin bestimmt, daß Christus jenes vom Geiste gesagt, welchen empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der heilige Geist war noch nicht da, denn Jesus war noch nicht verklärt; - die noch unverklärte Gestalt Christi ist die damals in der Zeit sinnlich gegenwärtige oder nachher so, was derselbe Inhalt ist, vorgestellte Persönlichkeit, die der unmittelbare Gegenstand des Glaubens ist. In dieser Gegenwart hat Christus seinen Jüngern selbst mündlich seine ewige Natur und Bestimmung zur Versöhnung Gottes mit sich selbst und der Menschen mit ihm, die Heilsordnung und die Sittenlehre geoffenbart, und der Glaube, den die Jünger an ihn hatten, begreift dies alles in sich. Dessenungeachtet wird dieser Glaube, dem an der stärksten Gewissheit nichts fehlte, nur für den Anfang und bedingende Grundlage für das noch Unvollendete erklärt; die so glaubten, haben noch nicht den Geist, sollen ihn erst empfangen - ihn, die Wahrheit selbst, ihn, der erst später als jener Glaube ist, der in alle Wahrheit leitet. Jene aber bleiben bei solcher Gewissheit, der Bedingung, stehen; die Gewissheit aber, selbst nur subjektiv, bringt nur die subjektive Frucht formell der Versicherung, und dann darin des Hochmuts, der Verunglimpfung und Verdammung. Der Schrift zuwider halten sie sich fest nur in der Gewissheit gegen den Geist, welcher die Expansion der Erkenntnis und erst die Wahrheit ist.

Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, S.24-26) Meiner PHB Band 33