Hesiod (um 700 v.Chr.)
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Griechischer
Dichter und Philosoph aus Askra in Böotien; siegte im Dichterwettkampf
bei den Leichenspielen für König Amphidamas in Chalkis. Die »Erga« (deutsch: »Werke und Tage«) knüpfen
an einen Rechtsstreit mit seinem Bruder Ferses
an. Grundlegend sind die Gedanken von der Unantastbarkeit des Rechts und
der Notwendigkeit der Arbeit. Die »Erga«
enthalten auch Mythen (z. B. Pandora
oder den Mythos von den Zeitaltern, der schrittweisen Veränderung
von einem göttergleichen Leben bis zum Zusammenbruch der rechtlichen
und sittlichen Normen), Fabeln, Sinnsprüche und Ratschläge für
das bäuerliche Leben. Seine »Theogonie« bietet eine genealogische Systematik der griechischen Götterwelt (zugleich
auch eine Kosmogonie), die er zu ordnen und zu deuten suchte. Ziel
seiner Konzeption war die theologische Rechtfertigung des
Zeus als des Gottes der Gerechtigkeit. Hesiod
trat als erster Grieche mit Nennung seines Namens als Dichterpersönlichkeit
hervor. |
Am Anfang
war das Chaos
Zuerst nun war das Chaos (gähnende
Leere des Raumes), danach die breitbrüstige Gaia, niemals
wankender Sitz aller Unsterblichen, die den Gipfel des beschneiten Olymps und
den finsteren Tartaros bewohnen in der Tiefe der breitstraßigen Erde;
[120] weiter entstand Eros (Liebesbegehren), der schönste der unsterblichen Götter, gliederlösende, der allen
Göttern und Menschen den Sinn in der Brust überwältigt und ihr
besonnenes Denken.
Aus dem Chaos gingen Erebos (finsterer Grund)
und dunkle Nacht hervor, und der Nacht wieder entstammten Aither (Himmelshelle) und Hemere (Tag), [125] die sie gebar, befruchtet von Erebos‘ Liebe.
Aus: Hesiod, Theogonie, Griechisch/Deutsch Übersetzt
und herausgegeben von Otto Schönberger
Reclams Universalbibliothek Nr. 9763 (S. 13) © 1999 Philipp Reclam jun.,
Stuttgart Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis
des Reclam Verlags
Das
Verbrechen des Prometheus
Iapetos aber führte Klymene, die fesselschöne Okeanostochter,
heim und teilte mit ihr das Lager. Sie gebar ihm Atlas, den mutigen Sohn, [510] gebar auch den ruhmvollen Menoitios, den gewandten, listigen
Prometheus und den Toren Epimetheus, der den Brot essenden Menschen von
Anbeginn Unheil brachte, nahm er doch als erster von Zeus die künstlich
gebildete Jungfrau zur Gattin. Den Frevler Menoitios traf der weitblickende Zeus [515] mit rauchendem Blitz und warf ihn in den Erebos, denn er war unbändig
und allzu kühn und vermessen. Atlas aber trägt unter starkem Zwang
den weiten Himmel am Rande der Welt bei den hellstimmigen Hesperiden, aufrecht
stehend, mit dem Haupt und nie ermüdenden Armen. [520] Dieses Los nämlich
teilte ihm der Rater Zeus zu.
Zeus band auch den listigen Planer
Prometheus mit unlösbaren, schmerzenden Fesseln, durch deren Mitte
er einen Pfahl trieb. Auch sandte er ihm einen
Adler mit mächtigen Schwingen; der fraß die unsterbliche Leber, die
in der Nacht ganz so nachwuchs, [525] wie sie der mächtig geflügelte
Vogel den Tag über abfraß. Diesen tötete Herakles, der
starke Sohn der fesselschönen Alkmene, wehrte dem Iapetossohn die schreckliche
Qual ab und erlöste ihn von seinen Leiden; dies geschah nicht ohne Willen
des in der Höhe herrschenden Olympiers Zeus, [530] damit der Ruhm des thebanischen
Herakles heller noch strahle als zuvor auf der viele nährenden Erde. Mit
solcher Ehre zeichnete er den ruhmreichen Sohn aus, und wenn er auch grollte,
ließ er doch von dem Zorn, den er bis dahin hegte, weil Prometheus sich
mit dem mächtigen Kronossohn in klugem Planen messen wollte.
[535] Denn als in Mekone Götter und sterbliche Menschen ein Abkommen trafen,
zerteilte Prometheus in kluger Absicht ein mächtiges Rind, legte es vor
und wollte Zeus hintergehen. Für den einen nämlich tat er das Fleisch
und fette Eingeweide in die Rindshaut und bedeckte sie mit dem Rindermagen,
[540] dem anderen aber baute er mit listiger Kunst die weißen Knochen
des Stieres schön auf und bedeckte sie mit glänzendem Fett. Da nun
sagte zu ihm der Vater der Götter und Menschen: »Sohn des Japetos,
berühmt unter allen Herrschern! Wie parteiisch, mein Lieber, hast du die
Anteile zugemessen!« [545] So spottete Zeus, dem es nie an Rat fehlt.
Ihm wieder entgegnete der Krummes sinnende Prometheus und lächelte verstohlen,
vergaß aber nicht seine Künste und Ränke: »Zeus,
ruhmvollster, höchster der ewigen Götter! Wähle von beiden den
Teil, nach dem es dein Herz in der Brust gelüstet!« [550]
So sprach er listig. Zeus aber, dem es nie an Rat fehlt, merkte den Trug, durchschaute
ihn und sah im Herzen Unheil für die sterblichen Menschen voraus, das dann
auch eintraf. Mit beiden Händen hob er das weiße Fett auf, ergrimmte
in seinem Geist, und Groll ergriff sein Herz, [555] als er die weißen
Knochen des Rindes so listig und kunstvoll aufgebaut sah. Seither verbrennen
die Völker der Menschen auf Erden den Unsterblichen weiße Knochen
auf duftumwölkten Altären.
Schwer erzürnt aber sprach der Wolkenversammler Zeus zu Prometheus: »Sohn
des Japetos, vor allen klug und verschlagen, [560] offenbar hast du, mein Lieber,
die listigen Künste noch nicht vergessen.« So sprach grollend
Zeus, dem es nie an Rat fehlt. Seither nun dachte er stets an den Trug und gab
den Eschen nicht länger die Kraft unermüdlichen Feuers für sterbliche
Menschen, die auf Erden wohnen. [565] Doch überlistete ihn der listige
Iapetossohn und stahl das weithin leuchtende, unermüdliche Feuer im hohlen
Narthexrohr. Es fraß aber dem hochdonnernden Zeus am Herzen, und sein
Sinn ergrimmte, als er das weithin leuchtende Feuer bei den Menschen erblickte.
[570] Sogleich schuf er den Menschen für das Feuer ein Unheil. Aus Erde
nämlich formte der ruhmreiche Hinkefuß Hephaistos nach dem Plan des
Kronossohnes das Bild einer züchtigen Jungfrau. Die helläugige Göttin
Athene gürtete und schmückte es mit schimmerndem Kleid; vom Scheitel
ließ sie mit eigener Hand [575] einen kunstvoll gestickten Schleier herabwallen,
ein Wunder zu schauen. Auch liebliche Kränze von frischen Wiesenblumen
legte ihr Pallas Athene ums Haupt, und der ruhmreiche Hinkfuß legte ihr
einen Goldreif ums Haupt, [580] gefertigt mir eigener Hand dem Vater Zeus zu
Gefallen. Darauf waren viele Bilder kunstvoll getrieben, ein Wunder zu schauen,
Untiere, wie sie Erde und Meer in großer Zahl nähren. Viele davon
bildete er dort ab; mächtiger Reiz umstrahlte sie, sie waren ein Wunder
und glichen Wesen mit Leben und Stimme.
[585] Als nun Zeus das schöne Übel zum Ausgleich des Vorteils geschaffen,
führte er es hinaus, wo die übrigen Götter und die Menschen waren,
und sie prangte im Schmuck der helläugigen Tochter des mächtigen Vaters.
Staunen hielt unsterbliche Götter und sterbliche Menschen gebannt, als
sie die jähe List erblickten, unwiderstehlich für Menschen. [590] Stammt doch von ihr das Geschlecht der Frauen und Weiber.
Von ihr kommt das schlimme Geschlecht und die Scharen der Weiber, ein großes
Leid für die Menschen; sie wohnen bei den Männern, Gefährtinnen
nicht in verderblicher Armut, sondern nur im Überfluß. Wie in gewölbten
Stöcken die Bienen [595] Drohnen ernähren, die sich einig sind in
jeder Bosheit, jene aber sich den ganzen Tag bis Sonnenuntergang ständig
mühen und weiße Waben bauen, während die Drohnen drinnen bleiben
im hohlen Stock und sich fremde Mühe in den Bauch stopfen, [600] gerade
so schuf der hochdonnernde Zeus zum Übel der sterblichen Männer die
Frauen, die einig sind im Stiften von Schaden. Auch sandte er ein weiteres Übel
zum Ausgleich des Vorteils: Wer die Ehe und schlimmes Schalten der Weiber flieht
und nicht freien will, der kommt in ein mißliches Alter, [605] weil es
dem Greis an Pflege fehlt. Zwar hat er zeitlebens sein Auskommen, doch stirbt
er, so teilen ferne Verwandte sein Hab und Gut. Wer aber heiratet und eine edle
Gattin gewann, eine nach seinem Herzen, auch dem hält sein Lebtag immer
das Übel dem Guten die Waage. [610] Gerät einer aber an die schlimme
Sorte, der lebt und trägt in der Brust unendliche Plage in Herz und Sinn,
und sein Übel ist nicht zu heilen. So kann keiner den Sinn des Zeus hintergehen
oder betrügen. Denn nicht einmal der schlaue Iapetossohn Prometheus [615] entging seinem schweren Groll, sondern zwingend hält ihn, bei all seiner
Klugheit, die mächtige Fessel gebunden.
Aus: Hesiod, Theogonie, Griechisch/Deutsch Übersetzt
und herausgegeben von Otto Schönberger
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Stuttgart Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis
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