Hesiod (um 700 v.Chr.)

Griechischer Dichter und Philosoph aus Askra in Böotien; siegte im Dichterwettkampf bei den Leichenspielen für König Amphidamas in Chalkis. Die »Erga« (deutsch: »Werke und Tage«) knüpfen an einen Rechtsstreit mit seinem Bruder Ferses an. Grundlegend sind die Gedanken von der Unantastbarkeit des Rechts und der Notwendigkeit der Arbeit. Die »Erga« enthalten auch Mythen (z. B. Pandora oder den Mythos von den Zeitaltern, der schrittweisen Veränderung von einem göttergleichen Leben bis zum Zusammenbruch der rechtlichen und sittlichen Normen), Fabeln, Sinnsprüche und Ratschläge für das bäuerliche Leben. Seine »Theogonie« bietet eine genealogische Systematik der griechischen Götterwelt (zugleich auch eine Kosmogonie), die er zu ordnen und zu deuten suchte. Ziel seiner Konzeption war die theologische Rechtfertigung des Zeus als des Gottes der Gerechtigkeit. Hesiod trat als erster Grieche mit Nennung seines Namens als Dichterpersönlichkeit hervor.

Siehe auch Wikipedia

Bildnachweis:
So-called Seneca . Ancient Roman bronze now at the National Archaeological Museum of Naples , Italy . Self-made by Massimo Finizio .

 

Inhaltsverzeichnis
Ursprung der Übel
Am Anfang war das Chaos
Das Verbrechen des Prometheus


Ursprung der Übel
Musen, die ihr in Liedern Ruhm verleiht, eilt von Pierien her, kündet von Zeus und besingt euren Vater; durch ihn sind sterbliche Männer beides: namenlos oder namhaft, berühmt oder ruhmlos nach Zeus‘, des erhabenen, Willen. [5] Leicht ja schenkt er Gewicht, bedrückt aber leicht auch den Starken, leicht mindert er auch den Glänzenden und erhöht den Niederen, leicht biegt er den Krummen gerade und läßt den Trotzigen schrumpfen, er, der hochdonnernde Zeus, der im höchsten Hause wohnt. Erhöre mich, Herr, sieh her, vernimm mich und richte am Recht die Richtersprüche gerade! [10] Ich aber möchte dem Perses Wahres verkünden.

Nicht also gab es nur eine Art von Eris, sondern zwei sind es auf Erden. Die eine nun wird loben, wer sie erkennt, die andere verdient Tadel. Sie haben nämlich ganz verschiedenen Sinn, mehrt doch die eine schlimmen Krieg und Hader, [15] die verderbliche. Kein Sterblicher liebt sie, sondern nur unter Zwang ehren sie nach dem Willen der Götter die lastende Eris. Die andere aber gebar die dunkle Nacht zuerst, und der hochthronende Kronide, der im Äther wohnt, barg sie in den Erdwurzeln und schuf sie den Menschen zu größerem Segen. [20] Ist einer auch träg, treibt sie ihn doch ans Werk. Sieht nämlich der Nichtstuer, wie sein reicher Nachbar mit Eifer pflügt, sät und sein Haus wohl bestellt, dann eifert der Nachbar dem Nachbarn nach, der zum Wohlstand eilt. Fördernd ist solcher Wetteifer für die Menschen, [25] und so grollt der Töpfer dem Töpfer und der Zimmermann dem Zimmermann, der Bettler neidet dem Bettler, und der Sänger dem Sänger.

Dies aber, Perses, nimm in dein Herz auf und laß nicht die Eris, der Böses gefällt, deinen Sinn von der Arbeit abwenden, daß du bei Händeln gaffst und Marktgeschwätz anhörst. [30] Denn wenig Zeit zu Zank und Marktgerede bleibt dem, der nicht reichlich Vorrat im Haus liegen hat, reifes Korn, das die Erde trägt, Demeters Getreide. Hast du erst davon genug, magst du dir Hader und Streit um fremden Besitz erlauben. Doch wird‘s dir nicht noch einmal gelingen, [35] so zu tun. Nein, laß uns auf der Stelle den Streit schlichten durch geraden [gerechten] Spruch, der von Zeus als der beste kommt. War doch längst unser Erbe geteilt, und noch vieles darüber trugst du als Raub davon, um den Königen viel zu verehren, den Gabenfressern, die gern auch diesen Handel entschieden, [40] Toren, die nicht einmal wissen, wieviel mehr die Hälfte ist als das Ganze oder wie großer Nutzen in Malve und Asphodelos liegt!

Verborgen halten ja Götter den Menschen die Nahrung. Leicht nämlich erwürbest du sonst an einem Tag so viel, daß es dir sogar übers Jahr hin reichte, und gingst du auch müßig. [45] Gleich hängtest du das Ruder in den Rauchfang, vorbei wär‘s mit Arbeit für Rinder und zähe Maultiere. Doch verbarg Zeus die Nahrung, grollend im Herzen, weil ihn der verschlagene Prometheus betrog. Deshalb also ersann er den Menschen trauriges Elend [50] und verbarg das Feuer; dieses stahl wieder dem Rat erteilenden Zeus der wendige Iapetossohn im hohlen Narthexrohr für die Menschen; dem donnerfrohen Zeus jedoch entging es. Den Dieb aber sprach Zeus, der die Wolken ballt, zürnend an: »Iapetossohn, klüger als alle [55] freust du dich, weil du das Feuer entwendet und meinen Sinn getäuscht hast, zu großem Leid selbst und den künftigen Menschen. Denen nämlich will ich für das Feuer ein Übel geben, an dem jeder seine Herzensfreude haben und doch sein Unheil umarmen soll.«

So sprach er und lachte heraus, der Vater der Menschen und Götter. [60
] Den kunstberühmten Hephaistos hieß er aber schleunig Erde und Wasser zu mengen, menschliche Stimme hineinzutun und Lebenskraft, im Gesicht aber die hübsche, lockende Mädchengestalt so schön wie unsterbliche Göttinnen zu machen. Ferner hieß er Athene, sie Handarbeit zu lehren, kunstvoll Stoff zu weben, [65] und der goldenen Aphrodite befahl er, ihr Liebreiz ums Haupt zu gießen, auch quälende Sehnsucht und gliederzehrendes Herzweh. Hündischen Sinn aber und verschlagene Art einzupflanzen, hieß er den Geleiter Hermes, den Töter des Argos.

So gebot er; sie aber gehorchten dem Herrscher Zeus, dem Kroniden. [70] Alsbald formte der ruhmreiche Hinkefuß nach des Kroniden Willen ein Lehmbild, gleich einem verschämten Mädchen; das gürtete und schmückte die helläugige Göttin Athene; die Anmutsgöttinnen aber und Herrin Peitho legten ihr Goldketten um, und rings [75] bekränzten sie die schönlockigen Horen mit Frühlingsblumen; den ganzen Schmuck ihres Körpers aber ordnete Pallas Athene. Ihr in die Brust dann pflanzte der Geleiter und Argostöter Lug und Trug, Schmeichelreden und verschlagenen Sinn nach dem Plan des schwerdonnernden Zeus. Auch Sprache gab ihr [80] der Götterbote und nannte die Frau Pandora [Allgeschenk], weil alle Bewohner der olympischen Häuser ihr Gaben schenkten zum Leid der schaffenden Männer.

Als nun der jähe, zwingende Trug vollführt war, sandte der Vater den berühmten Argostöter [85] und raschen Boten der Götter mit dem Geschenk zu Epimetheus. Der aber bedachte nicht, was ihm Prometheus riet: nie ein Geschenk anzunehmen von Zeus, dem Olympier,sondern es wieder zurückzusenden, damit den Menschen ja kein Unheil geschehe! Er aber nahm es und merkte das Unheil erst, als er es hatte.

[90]
Vordem nämlich lebten die Stämme der Menschen auf Erden fern von Übeln, elender Mühsal und quälenden Leiden, die Menschen den Tod bringen [nur zu bald nämlich altern Menschen im Unglück]. Das Weib aber hob mit den Händen den mächtigen Deckel vom Faß, [95] ließ alles heraus und schuf der Menschheit leidvolle Schmerzen. Einzig die Hoffnung blieb dort drinnen im unzerstörbaren Haus unter dem Rand des Fasses und flog nicht heraus. Vorher nämlich fing sie der Faßdeckel ab nach dem Willen des aigisführenden Zeus, des Wolken ballenden. [100] Alles andere aber, verderbliche Übel in Unzahl, schweift bei den Menschen umher; voll ist ja die Erde von Plagen, voll das Meer, und Krankheiten befallen die Menschen bei Tag und andere nachts, von selbst, und bringen den Sterblichen Leiden, lautlos; denn Zeus, der Planende, nahm ihnen die Stimme. [105] So ist es ganz unmöglich, dem Ratschluß des Zeus zu entrinnen.

Aus: Hesiod, Werke und Tage, Griechisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Otto Schönberger
Reclams Universalbibliothek Nr. 9445 (S. 5-11) © 1996 Philipp Reclam jun., Stuttgart Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlags

Am Anfang war das Chaos
Zuerst nun war das Chaos (gähnende Leere des Raumes), danach die breitbrüstige Gaia, niemals wankender Sitz aller Unsterblichen, die den Gipfel des beschneiten Olymps und den finsteren Tartaros bewohnen in der Tiefe der breitstraßigen Erde; [120] weiter entstand Eros (Liebesbegehren), der schönste der unsterblichen Götter, gliederlösende, der allen Göttern und Menschen den Sinn in der Brust überwältigt und ihr besonnenes Denken.

Aus dem Chaos gingen Erebos (finsterer Grund) und dunkle Nacht hervor, und der Nacht wieder entstammten Aither (Himmelshelle) und Hemere (Tag), [125] die sie gebar, befruchtet von Erebos‘ Liebe.

Aus: Hesiod, Theogonie, Griechisch/Deutsch Übersetzt und herausgegeben von Otto Schönberger
Reclams Universalbibliothek Nr. 9763 (S. 13) © 1999 Philipp Reclam jun., Stuttgart Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlags


Das Verbrechen des Prometheus
Iapetos aber führte Klymene, die fesselschöne Okeanostochter, heim und teilte mit ihr das Lager. Sie gebar ihm Atlas, den mutigen Sohn, [510] gebar auch den ruhmvollen Menoitios, den gewandten, listigen Prometheus und den Toren Epimetheus, der den Brot essenden Menschen von Anbeginn Unheil brachte, nahm er doch als erster von Zeus die künstlich gebildete Jungfrau zur Gattin. Den Frevler Menoitios traf der weitblickende Zeus [515] mit rauchendem Blitz und warf ihn in den Erebos, denn er war unbändig und allzu kühn und vermessen. Atlas aber trägt unter starkem Zwang den weiten Himmel am Rande der Welt bei den hellstimmigen Hesperiden, aufrecht stehend, mit dem Haupt und nie ermüdenden Armen. [520] Dieses Los nämlich teilte ihm der Rater Zeus zu.

Zeus band auch den listigen Planer Prometheus mit unlösbaren, schmerzenden Fesseln, durch deren Mitte er einen Pfahl trieb. Auch sandte er ihm einen Adler mit mächtigen Schwingen; der fraß die unsterbliche Leber, die in der Nacht ganz so nachwuchs, [525] wie sie der mächtig geflügelte Vogel den Tag über abfraß. Diesen tötete Herakles, der starke Sohn der fesselschönen Alkmene, wehrte dem Iapetossohn die schreckliche Qual ab und erlöste ihn von seinen Leiden; dies geschah nicht ohne Willen des in der Höhe herrschenden Olympiers Zeus, [530] damit der Ruhm des thebanischen Herakles heller noch strahle als zuvor auf der viele nährenden Erde. Mit solcher Ehre zeichnete er den ruhmreichen Sohn aus, und wenn er auch grollte, ließ er doch von dem Zorn, den er bis dahin hegte, weil Prometheus sich mit dem mächtigen Kronossohn in klugem Planen messen wollte.

[535] Denn als in Mekone Götter und sterbliche Menschen ein Abkommen trafen, zerteilte Prometheus in kluger Absicht ein mächtiges Rind, legte es vor und wollte Zeus hintergehen. Für den einen nämlich tat er das Fleisch und fette Eingeweide in die Rindshaut und bedeckte sie mit dem Rindermagen, [540] dem anderen aber baute er mit listiger Kunst die weißen Knochen des Stieres schön auf und bedeckte sie mit glänzendem Fett. Da nun sagte zu ihm der Vater der Götter und Menschen: »Sohn des Japetos, berühmt unter allen Herrschern! Wie parteiisch, mein Lieber, hast du die Anteile zugemessen!« [545] So spottete Zeus, dem es nie an Rat fehlt. Ihm wieder entgegnete der Krummes sinnende Prometheus und lächelte verstohlen, vergaß aber nicht seine Künste und Ränke: »Zeus, ruhmvollster, höchster der ewigen Götter! Wähle von beiden den Teil, nach dem es dein Herz in der Brust gelüstet!« [550] So sprach er listig. Zeus aber, dem es nie an Rat fehlt, merkte den Trug, durchschaute ihn und sah im Herzen Unheil für die sterblichen Menschen voraus, das dann auch eintraf. Mit beiden Händen hob er das weiße Fett auf, ergrimmte in seinem Geist, und Groll ergriff sein Herz, [555] als er die weißen Knochen des Rindes so listig und kunstvoll aufgebaut sah. Seither verbrennen die Völker der Menschen auf Erden den Unsterblichen weiße Knochen auf duftumwölkten Altären.

Schwer erzürnt aber sprach der Wolkenversammler Zeus zu Prometheus:
»Sohn des Japetos, vor allen klug und verschlagen, [560] offenbar hast du, mein Lieber, die listigen Künste noch nicht vergessen.« So sprach grollend Zeus, dem es nie an Rat fehlt. Seither nun dachte er stets an den Trug und gab den Eschen nicht länger die Kraft unermüdlichen Feuers für sterbliche Menschen, die auf Erden wohnen. [565] Doch überlistete ihn der listige Iapetossohn und stahl das weithin leuchtende, unermüdliche Feuer im hohlen Narthexrohr. Es fraß aber dem hochdonnernden Zeus am Herzen, und sein Sinn ergrimmte, als er das weithin leuchtende Feuer bei den Menschen erblickte.

[570] Sogleich schuf er den Menschen für das Feuer ein Unheil. Aus Erde nämlich formte der ruhmreiche
Hinkefuß Hephaistos nach dem Plan des Kronossohnes das Bild einer züchtigen Jungfrau. Die helläugige Göttin Athene gürtete und schmückte es mit schimmerndem Kleid; vom Scheitel ließ sie mit eigener Hand [575] einen kunstvoll gestickten Schleier herabwallen, ein Wunder zu schauen. Auch liebliche Kränze von frischen Wiesenblumen legte ihr Pallas Athene ums Haupt, und der ruhmreiche Hinkfuß legte ihr einen Goldreif ums Haupt, [580] gefertigt mir eigener Hand dem Vater Zeus zu Gefallen. Darauf waren viele Bilder kunstvoll getrieben, ein Wunder zu schauen, Untiere, wie sie Erde und Meer in großer Zahl nähren. Viele davon bildete er dort ab; mächtiger Reiz umstrahlte sie, sie waren ein Wunder und glichen Wesen mit Leben und Stimme.

[585] Als nun Zeus das schöne Übel zum Ausgleich des Vorteils geschaffen, führte er es hinaus, wo die übrigen Götter und die Menschen waren, und sie prangte im Schmuck der helläugigen Tochter des mächtigen Vaters. Staunen hielt unsterbliche Götter und sterbliche Menschen gebannt, als sie die jähe List erblickten, unwiderstehlich für Menschen. [590] Stammt doch von ihr das Geschlecht der Frauen und Weiber.

Von ihr kommt das schlimme Geschlecht und die Scharen der Weiber, ein großes Leid für die Menschen; sie wohnen bei den Männern, Gefährtinnen nicht in verderblicher Armut, sondern nur im Überfluß. Wie in gewölbten Stöcken die Bienen [595] Drohnen ernähren, die sich einig sind in jeder Bosheit, jene aber sich den ganzen Tag bis Sonnenuntergang ständig mühen und weiße Waben bauen, während die Drohnen drinnen bleiben im hohlen Stock und sich fremde Mühe in den Bauch stopfen, [600] gerade so schuf der hochdonnernde Zeus zum Übel der sterblichen Männer die Frauen, die einig sind im Stiften von Schaden. Auch sandte er ein weiteres Übel zum Ausgleich des Vorteils: Wer die Ehe und schlimmes Schalten der Weiber flieht und nicht freien will, der kommt in ein mißliches Alter, [605] weil es dem Greis an Pflege fehlt. Zwar hat er zeitlebens sein Auskommen, doch stirbt er, so teilen ferne Verwandte sein Hab und Gut. Wer aber heiratet und eine edle Gattin gewann, eine nach seinem Herzen, auch dem hält sein Lebtag immer das Übel dem Guten die Waage. [610] Gerät einer aber an die schlimme Sorte, der lebt und trägt in der Brust unendliche Plage in Herz und Sinn, und sein Übel ist nicht zu heilen. So kann keiner den Sinn des Zeus hintergehen oder betrügen. Denn nicht einmal der schlaue Iapetossohn Prometheus [615] entging seinem schweren Groll, sondern zwingend hält ihn, bei all seiner Klugheit, die mächtige Fessel gebunden.

Aus: Hesiod, Theogonie, Griechisch/Deutsch Übersetzt und herausgegeben von Otto Schönberger
Reclams Universalbibliothek Nr. 9763 (S. 43-49) © 1999 Philipp Reclam jun., Stuttgart Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlags