Friedrich Heinrich Jacobi (1743 - 1819)
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Deutscher
Schriftsteller und Philosoph, der zusammen mit Christoph
Martin Wieland die Zeitschrift »der Teutsche
Merkur« (1773) gründete. In Auseinandersetzung mit dem
Geniekult des jungen Goethe schrieb er - die
von seinen Zeitgenossen begeistert auf genommenen - Briefromane: »Aus
Eduard Allwills Papieren« (1775/6) und »Woldemar«
(1779). »Woldemor
ist eigentlich«, so schrieb Friedrich
Schlegel in seiner kritischen Rezension, »eine
Einladungsschrift zur Bekanntschaft mit Gott und das theologische Kunstwerk
endigt … mit einem Salto mortale in den Abgrund der göttlichen
Barmherzigkeit«. Auf Lessings Anregung studierte Jacobi die Schriften
Spinozas, mit deren rationalistischer Grundposition er sich jedoch gar
nicht befreunden konnte. Seine ablehnende Meinung schlägt sich in dem
– ohne Zustimmung Mendelsohns –
veröffentlichten Briefwechsel »Über
die Lehre des Spinoza, in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn« (1785) nieder, in dem im Wesentlichen darum ging, ob
Lessing ein Spinozist gewesen sei. Jacobis fundierte pantheistische
Auslegung der Philosophie Spinozas hatte großen Einfluss auf die Frühromantiker. Als seine philosophisch
bedeutendste Schrift wird »David
Hume - über den Glauben, oder Idealismus und Realismus« (1787) angesehen. Seiner Überzeugung von den intuitiv zu erfühlenden
Glaubenswahrheiten gab er auch in einer Kritik an Kant in der Schrift Ȇber das Unternehmen des
Kritizismus« (1802) Ausdruck. Jacobi verfocht eine auf die Romantik hinführende Gefühls- und Glaubensphilosophie und führte den Begriff des »Nihilismus« in die Fachsprache ein. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Gott ist das Wesen aller
Wesen
Aus einem
Gespräch mit Lessing über die Philosophie des Spinoza
Gott
ist das Wesen aller Wesen
Wider den
Spinoza
Da alles, was außer dem Zusammenhang des Bedingten, des natürlich
Vermittelten liegt, auch außer der Sphäre unserer deutlichen Erkenntnis liegt, und durch Begriffe nicht verstanden werden kann: so kann das Übernatürliche auf keine andre Weise von uns angenommen werden, als es uns gegeben ist; nämlich, als Tatsache - Es ist!
Dieses Übernatürliche, dieses
Wesen aller Wesen, nennen alle Zungen: den
Gott.
Der Gott des Weltalls kann nicht bloß der Baumeister des Weltalls sein;
er ist Schöpfer, und seine unbedingte Kraft hat die Dinge auch der Substanz nach gewirkt. Hätte er die
Dinge nicht auch der Substanz nach gewirkt, so müssten
zwei Urheber sein, die, man weiß nicht wie, miteinander
in Verbindung geraten wären. Eine Ungereimtheit, die in unsern Tagen
(nicht weil sie zu groß, sondern weil sie nicht
in unserer Vorstellungsart ist) keiner Widerlegung bedarf. Unser Widerstreben
gegen ein Entstehen der Dinge auch der Substanz nach kommt daher, weil wir kein Entstehen, welches nicht auf eine natürliche, das ist bedingte und mechanische Weise geschieht, begreifen
können.
Wie sehr wünschte ich nicht, diese Sätze und Folgerungen eben so faßlich
machen zu können, als sie für mich selbst evident sind. Man würde
alsdann nicht allein das Vernunftwidrige der Forderung einer
Demonstration vom Dasein Gottes einsehen, sondern durch eben diese
Einsicht auch begreifen, warum eine mit unserem Verstande und Willen
(welche beide auf Koexistenz, d. i., auf Abhängigkeit und Endlichkeit gepfropft
sind) belehnte erste Ursache, als ein unmögliches und ganz ungereimtes
Wesen erscheinen müsse. Je vollkommener man aus dem ersten das zweite erkennte,
desto deutlicher würde man das Unzuläßige der Folgerung einsehen:
Weil ein Gott kein Mensch, oder nicht körperlich sein kann, so kann ihm
auch Individualität und Intelligenz nicht zugehören.
Wir besitzen aber, ungeachtet unserer Endlichkeit
und Natursklaverei — oder scheinen wenigstens
durch das Bewußtsein unserer Selbsttätigkeit bei der Ausübung
unseres Willens — ein Analogon des
Übernatürlichen, das ist: des nicht
mechanisch wirkenden Wesens in uns
zu besitzen. Und da wir nicht imstande sind, überhaupt uns einen möglichen
Anfang irgendeiner Veränderung außer einer solchen, welcher durch
eine innere Entschließung oder Selbstbestimmung bewirkt wird, wirklich
vorzustellen: so hat der bloße Instinkt der Vernunft
schon alle rohen Völker angetrieben, jede Veränderung, die
sie entstehen sahen, als eine Handlung
zu betrachten und sie auf ein lebendiges, selbsttätiges
Wesen zu beziehen. Sie irrten, weil sie unmittelbar bezogen; aber doch
weniger und auf eine unendlich verzeihlichere Weise
als wir, wenn wir alles in Mechanismus auflösen
wollen und die ungereimte Forderung an das Prinzip des Mechanismus machen, daß
es selbst einen Mechanismus zutage legen müsse
— wenn man ihm Dasein zugestehen sollte, weil unsere
deutliche Vorstellung eines Dinges nicht über die Vorstellung
seines Mechanismus hinausgeht.
Dennoch gehört schon etwas Nichtmechanisches zu
der Möglichkeit einer Vorstellung überhaupt,
und kein Mensch ist imstande, sich das Prinzip des Lebens, die innere
Quelle des Verstandes und Willens, als ein
Resultat mechanischer Verknüpfungen, das ist:
als etwas bloß Vermitteltes vorzustellen.
Noch weniger kann Kausalität überhaupt als etwas bloß Vermitteltes
oder auf Mechanismus Beruhendes gedacht werden. Und da wir nun von Kausalität
nicht die geringste Ahnung haben, ausgenommen unmittelbar
durch das Bewußtsein unserer eigenen Kausalität, so sehe ich nicht,
wie es umgangen werden kann, überhaupt Intelligenz und zwar eine allerhöchste,
reale, die nicht wieder unter dem Bilde des Mechanismus,
sondern als ein durchaus unabhängiges, supramundanes
[überweltliches] und
persönliches Wesen gedacht werden muß, als das erste
und einzige Prinzip, als das wahre Urwesen
anzunehmen.
Wie eine Handlung sich selbst anfangen möge, ist dem nur immer fortsetzenden
und voraussetzenden Verstande unbegreiflich. Wahrhaft ein Erstes voraussetzend
ist der menschliche Verstand nicht, es ist ihm immer nur etwas, dieses oder
jenes, vorausgesetzt. Setzt er der unbestimmten Reihe von Bedingungen ein Ende
und nennt dieses Ende den Anfang oder Totalität: soll dieser erdichtete
Anfang Gott heißen?
Welch ein armseliger Anthropomorphismus! In ihm sind alle unsere
Pantheisten befangen. Haben doch die Geschlechter der Menschen stets von
Gott gewußt und die Nachdenkenden unter ihnen weiter nach ihm geforscht!
Ihn suchend — was suchten sie? Sie suchten und forschten
nach einer von dem Weltall unterschiedenen, über dasselbe erhabenen
und von ihm unabhängigen Ursache der Welt.
Wem Gott sein Angesicht
zuwendet, der kann ihn schauen; von wem Gott
sein Angesicht abwendet, der leugnet
ihn und muß ihn leugnen.
So erging es dem Spinoza. Sein
Weltall ist dasselbe heute, gestern und immerdar. Dieses, in seinem Grunde,
blödsinnige Weltall, macht sich selbst einen
blauen Dunst vor von Wesen,
welche nicht sind, deren
jedes, mithin auch ihre Gesamtheit, nur ein wechselndes
Nichts ist. Darum könnte man sagen, der Spinozismus
leugne nicht sowohl das Dasein eines Gottes als
das Dasein einer wirklichen und wahrhaften Welt, gerade wie sich dieses
auch von jedem späteren System der Art sagen ließe Das ist aber im
Grunde nur ein Wortspiel. Von dem Dasein einer vorhandenen,
wirklichen Welt wird ausgegangen,
und es wird nur gefragt: ob außer und über ihr noch ein anderes Wesen
sei — oder ob sie selbst in ihrer Totalität Alles
und außer ihr Nichts sei. Die Voraussetzung
eines Unbedingten — eines
unbestimmten Ganzen
— und die Voraussetzung Gottes
ist durchaus nicht eins, und wir gelangen
mitnichten auf demselben Wege zu dem einen oder anderen. Beiden in der Mitte
liegt die eigentliche von der Vernunft aufgegebene Frage: ob nur eine
selbständige Natur ist, die aus ihrem Schoße
eine Unendlichkeit von
Erscheinungen ohne Anfang und Ende willenlos gebiert oder ob über
der Natur und außer ihr ist: eine Schöpfung
mit Wissen und Willen, nicht
eine bloße Fruchtbarkeit, wie
Kant treffend unterschieden hat. La nature confond
les Pyrrhoniens et la raison confond les Dogmatistes!
Pascal versteht hier unter Natur Empfindung
und Gefühl, unter Vernunft
den überlegenden Verstand.
Vernunft dagegen, als Wahrnehmung und Voraussetzung
Gottes, weiß im Menschen das Höchste.
Will er darüber hinaus, so gerät er in den logischen Emanatismus,
das ist: zu einem alles zu nichts machenden
Nichts...
Aus: Die Schriften F. H. Jacobi’s, herausgegeben
von L. Matthias, Berlin 1926, S.149 bis 153
Aus
einem Gespräch mit Lessing über die Philosophie des Spinoza
Brief vom 4. 11. 1783 an
Moses Mendelsohn
Pempelfort bei Düsseldorf, den 4. November
1783.
Sie wünschen wegen gewisser Meinungen, die ich in einem Briefe an ******
dem verewigten Lessing zugeschrieben habe, das Genauere
von mir zu erfahren; und da scheint es mir am besten, mich mit dem, was ich
davon mitzuteilen fähig bin, an Sie unmittelbar zu wenden.
Es gehört zur Sache, wenigstens zu ihrem Vortrage, dass ich einiges mich
selbst betreffendes vorausschicke. Und indem ich Sie dadurch in eine etwas nähere
Bekanntschaft mit mir setze, werde ich mehr Mut gewinnen, alles frei herauszusagen;
und vielleicht vergessen, was mich sorgsam oder schüchtern machen will.
Ich ging noch im polnischen Rocke, da ich schon anfing, mich über Dinge
einer andern Welt zu ängstigen. Mein kindischer Tiefsinn brachte mich im
achten oder neunten Jahre zu gewissen sonderbaren - Ansichten (ich
weiß es anders nicht zu nennen), die mir bis auf diese Stunde ankleben.
Die Sehnsucht, in Absicht der besseren Erwartungen des Menschen zur Gewissheit
zu gelangen, nahm mit den Jahren zu, und sie ist der Hauptfaden geworden, an
den sich meine übrigen Schicksale knüpfen mussten. Ursprüngliche
Gemütsart, und die Erziehung, welche ich erhielt, vereinigten sich, mich
in einem billigen Misstrauen gegen mich selbst, und nur zu lange in einer desto
grössern Erwartung von dem, was andre leisten könnten, zu erhalten.
Ich kam nach Genf, wo ich vortreffliche Männer fand, die sich mit großmütiger
Liebe, mit wirklicher Vatertreue meiner annahmen. Andere von gleichem, viele
von noch grösserem Rufe, die ich später kennen lernte, verschafften
mir nicht die Vorteile, die ich von jenen genossen hatte; und ich musste mich
von mehr als einem unter diesen zuletzt mit Verdruß und Reue über
eingebüßte Zeit und verschwendete Kräfte zurückziehen.
Diese und noch andere Erfahrungen stimmten mich allmählich zu mir selbst
mehr herab; ich lernte meine eigenen Kräfte sammeln und zu Rate halten.
Wenn es zu allen Zeiten nur wenige Menschen gegeben hat, die mit innerlichem
Ernste nach der Wahrheit rangen, so hat sich dagegen auch die Wahrheit jedem
unter diesen wenigen auf irgendeine Weise mitgeteilt. Ich entdeckte diese Spur;
verfolgte sie unter Lebendigen und Toten; und wurde je länger je innigergewahr:
dass echter Tiefsinn eine gemeinschaftliche Richtung hat, wie die Schwerkraft
in den Körpern; welche Richtung aber, da sie von verschiedenen Punkten
der Peripherie ausgeht, ebensowenig parallele Linien geben kann, als solche,
die sich kreuzen.
Mit dem Scharfsinne, welchen ich den Sehnen des Zirkels vergleichen möchte,
und der oft für Tiefsinn gehalten wird, weil er tiefsinnig über Form
und Äußerliches ist, verhält es sich nicht ebenso. Hier durchschneiden
sich die Linien, soviel man will, und sind zuweilen auch einander parallel.
Eine Sehne kann so nah am Durchmesser herlaufen, dass man sie für den Durchmesser
selbst ansieht; sie durchschneidet aber dann nur eine grössere Menge Radii,
ohne aufzuhören, eine Sehne zu sein.
Verzeihen Sie mir, Verehrungswürdigster, diesen Bilderkram. - Ich komme
zu Lessing.
Immer hatte ich den großen Mann verehrt; aber die Begierde, näher
mit ihm bekannt zu werden, hatte sich erst seit seinen theologischen Streitigkeiten,
und nachdem ich die Parabel gelesen hatte, lebhafter in mir geregt. Mein günstiges
Schicksal gab, dass ihn Allwills Papiere interessierten;
dass er mir, erst durch Reisende, manche freundliche Botschaft sandte, und endlich,
im Jahre 1779, an mich schrieb. Ich antwortete ihm, dass ich im folgenden Frühjahr
eine Reise vorhätte, die mich über Wolfenbüttel führen sollte,
wo ich mich sehnte, in ihm die Geister mehrerer Weisen zu beschwören, die
ich über gewisse Dinge nicht zur Sprache bringen könnte.*
*Die eignen Worte meines Briefes,
den ich jetzt wieder habe, und von welchem ich keine Abschrift besass, waren
diese: »Ich sehne mich unaussprechlich nach jenen Tagen, auch darum, weil
ich die Geister einiger Seher in Ihnen beschwören und zur Sprache bringen
möchte, die mir nicht genug antworten.«
Meine Reise kam zustande, und den 5. Julius nachmittags hielt ich Lessing
zum erstenmal in meinen Armen.
Wir sprachen noch an demselbigen Tage über viele wichtige Dinge; auch von
Personen, moralischen und unmoralischen, Atheisten, Theisten und Christen. Den
folgenden Morgen kam Lessing in mein Zimmer, da
ich mit einigen Briefen, die ich zu schreiben hatte, noch nicht fertig war.
Ich reichte ihm Verschiedenes aus meiner Brieftasche, dass er unterdessen sichdie
Zeit damit vertriebe. Beim Zurückgeben fragte er: ob ich nicht noch mehr
hätte, das er lesen dürfte. »Doch!«
sagte ich (ich war im Begriff zu siegeln): »hier
ist noch ein Gedicht; - Sie haben so manches Ärgernis gegeben, so mögen
Sie auch wohl einmal eins nehmen.«...
Prometheus.
Bedecke deinen Himmel, Zeus … >>
Fortsetzung
Lessing. (Nachdem er das Gedicht
gelesen, und indem er mir's zurückgab.) Ich
habe kein Ärgernis genommen; ich habe das schon lange aus der ersten Hand.
Ich. Sie
kennen das Gedicht?
Lessing. Das Gedicht hab' ich
nie gelesen; aber ich find es gut.
Ich. In seiner
Art, ich auch; sonst hätte ich es Ihnen nicht gezeigt.
Lessing. Ich mein es anders...
Der Gesichtspunkt, aus welchem das Gedicht genommen ist, das ist mein eigener
Gesichtspunkt... Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für
mich; ich kann sie nicht geniessen. Hen
kai Pan! Ich weiß nichts anders. Dahin geht auch dies Gedicht;
und ich muss bekennen, es gefällt mir sehr.
Ich. Da wären Sie ja mit
Spinoza ziemlich einverstanden.
Lessing. Wenn ich mich nach
jemand nennen soll, so weiß ich keinen andern.
Ich. Spinoza
ist mir gut genug: aber doch ein schlechtes Heil, das wir in seinem
Namen finden!
Lessing. Ja! Wenn Sie wollen!... Und doch... Wissen Sie etwas
Besseres?...
Der dessauische Direktor Wolke war unterdessen
hereingetreten, und wir gingen zusammen auf die Bibliothek.
Den folgenden Morgen, als ich nach dem Frühstück in mein Zimmer zurückgekehrt
war, um mich anzukleiden, kam mir Lessing über
eine Weile nach. Ich saß unter dem Frisieren, und Lessing
lagerte sich unterdessen am Ende des Zimmers stille an einen Tisch hin.
Sobald wir allein waren, und ich mich an die andre Seite des Tisches, worauf
Lessing gestützt war, niedergelassen hatte,
hub er an:
Ich bin gekommen, über mein Hen kai Pan
mit Ihnen zu reden. Sie erschraken gestern.
Ich. Sie überraschten
mich, und ich fühlte meine Verwirrung. Schrecken war es nicht. Freilich
war es gegen meine Vermutung, an Ihnen einen Spinozisten
oder Pantheisten
zu finden; und noch weit mehr dagegen, dass Sie mir es gleich und so blank
und bar hinlegen würden. Ich war großenteils gekommen, um von Ihnen
Hilfe gegen den Spinoza zu erhalten.
Lessing. Also kennen Sie ihn
doch?
Ich. Ich glaube ihn zu kennen,
wie nur sehr wenige ihn gekannt haben mögen.
Lessing. Dann ist Ihnen nicht zu helfen. Werden Sie
lieber ganz sein Freund. Es gibt keine andre Philosophie, als die Philosophie
des Spinoza.
Ich. Das mag wahr sein. Denn
der Determinist, wenn er bündig sein will, muß zum Fatalisten werden:
hernach gibt sich das Übrige von selbst.
Lessing. Ich merke, wir verstehen
uns. Desto begieriger bin ich, von Ihnen zu hören: was Sie für den
Geist des Spinozismus halten;
ich meine den, der in Spinoza selbst gefahren war.
Ich. Das ist wohl kein anderer
gewesen, als das Uralte: a nihilo nihil fit; welches
Spinoza, nach abgezogenem Begriffen, als die philosophierenden
Kabbalisten und andre vor ihm, in Betrachtung zog. Nach diesen abgezogenem
Begriffen fand er, daß durch ein jedes Entstehen im
Unendlichen, mit was für Bildern oder Worten man ihm auch zu helfen
suche, durch einen jeden Wechsel in demselben, ein Etwas
aus dem Nichts
gesetzt werde. Er verwarf also jeden Übergang des Unendlichen zum Endlichen;
überhaupt alle Causas transitorias, secundarias
oder remotas; und setzte an die Stelle
des emanierenden
ein nur immanentes Ensoph;
eine inwohnende, ewig
in sich unveränderliche Ursache der Welt,
welche mit allen ihren Folgen zusammengenommen — Eins und dasselbe wäre.*
Ich
fahre in dieser Darstellung fort, und ziehe, um nicht zu weitläufig zu
werden, so viel ich kann, zusammen, ohne die Zwischenreden aufzuschreiben. Was
unmittelbar hier folgt, wurde herbeigeführt,
indem Lessing als
des Dunkelsten im Spinoza erwähnte, was auch
Leibniz so
gefunden und nicht ganz verstanden hätte (Theod. §. 173.). Ich mache
diese Erinnerung hier Ein für Allemal, und werde sie in der Folge, wo ich
mir ähnliche Freyheiten nehme, nicht wiederholen. (Anm. der ersten Ausgabe.)
Diese innewohnende unendliche Ursache hat, als solche,
explicite, weder Verstand noch Willen: weil sie, ihrer transzendentalen Einheit
und durchgängigen absoluten Unendlichkeit zufolge, keinen Gegenstand des
Denkens und des Wollens haben kann; und ein Vermögen einen Begriff vor
dem Begriffe hervorzubringen, oder einen Begriff der vor seinem Gegenstande
und die vollständige Ursache seiner
selbst wäre, so wie auch ein Wille, der das Wollen wirkte und durchaus
sich selbst bestimmte, lauter ungereimte Dinge sind.... Der Einwurf, daß
eine unendliche Reihe von Wirkungen möglich sei, (bloße
Wirkungen sind es nicht, weil die inwohnende Ursache immer und überall
ist), widerlegt sich selbst, weil jede Reihe, die nicht aus Nichts entspringen
soll, schlechterdinge eine unendliche sein muß. Und daraus folgt denn
wieder, da jeder einzelne Begriff aus einem andern einzelnen Begriffe entspringen,
und sich auf einen wirklich vorhandenen Gegenstand
unmittelbar beziehen muß: daß in der ersten Ursache,
die unendlicher Natur ist, weder einzelne Gedanken, noch einzelne Bestimmungen
des Willens angetroffen werden können; — sondern nur der innere,
erste, allgemeine Urstoff derselben ... Die erste Ursache kann eben so wenig
nach Absichten oder Endursachen handeln, als sie selbst um einer gewissen Absicht
oder Endursache willen da ist; eben so wenig einen Anfangsgrund
oder Endzweck haben etwas zu verrichten,
als in ihr selbst Anfang oder
Ende ist... Im Grunde aber ist, was wir Folge oder Dauer nennen,
bloßer Wahn; denn da die reelle Wirkung
mit ihrer vollständigen reellen Ursache
zugleich, und allein der Vorstellung nach von ihr verschieden ist: so muß
Folge und Dauer, nach der Wahrheit, nur
eine gewisse Art und Weise sein, das Mannigfaltige in dem Unendlichen anzuschauen.
Lessing. Über unser Credo
also werden wir uns nicht entzweien.
Ich. Das wollen wir in keinem
Falle. Aber im Spinoza steht mein Credo
nicht. — Ich glaube eine verständige persönliche Ursache
der Welt.
Lessing. O, desto besser! Da muß ich etwas ganz
neues zu hören bekommen.
Ich. Freuen Sie sich nicht zu
sehr darauf. Ich helfe mir durch einen Salto mortale aus der Sache; und Sie
pflegen am Kopfunten eben keine sonderliche
Lust zu finden.
Lessing. Sagen Sie das nicht;
wenn ich‘s nur nicht nachzuahmen brauche. Und Sie werden schon wieder
auf Ihre Füße zu stehen kommen. Also — wenn es kein Geheimnis
ist — so will ich mir es ausgebeten haben.
Ich. Sie mögen
mir es [das Kunststück] immer absehen. Die
ganze Sache bestehet darin, daß ich aus dem Fatalismus unmittelbar gegen
den Fatalismus, und gegen alles, was mit ihm verknüpft ist, schließe.
— Wenn es lauter wirkende und keine Endursachen gibt, so hat das denkende
Vermögen in der ganzen Natur bloß das Zusehen; sein einziges Geschäft
ist, den Mechanismus der wirkenden Kräfte zu begleiten. Die Unterredung,
die wir gegenwärtig miteinander haben, ist nur ein Anliegen unserer Leiber;
und der ganze Inhalt dieser Unterredung, in seine Elemente aufgelöst: Ausdehnung,
Bewegung, Grade der Geschwindigkeit, nebst den Begriffen davon, und den Begriffen
von diesen Begriffen. Der Erfinder der Uhr erfand sie im Grunde nicht; er sah
nur ihrer Entstehung aus blindlings sich entwickelnden Kräften zu. Eben
so Raphael, da er die Schule von Athen entwarf;
und Lessing, da er seinen
Nathan dichtete. Dasselbe gilt von allen Philosophien, Künsten,
Regierungsformen, Kriegen zu Wasser und zu Lande: kurz, von allem Möglichen.
Denn auch die Affekten und Leidenschaften wirken nicht, insofern sie Empfindungen
und Gedanken sind; oder richtiger: — insofern sie Empfindungen und Gedanken
mit sich führen. Wir glauben
nur, daß wir aus Zorn, Liebe, Großmut, oder aus vernünftigem
Entschlusse handeln. Lauter Wahn! In allen diesen Fällen ist im Grunde
das, was uns bewegt, ein Etwas, das von
allem dem nichts weiß, und das,
insofern, von Empfindung und Gedanke schlechterdings entblößt
ist. Diese aber, Empfindung und Gedanke, sind nur Begriffe von Ausdehnung, Bewegung,
Graden der Geschwindigkeit, u. s. w. — Wer nun dieses annehmen kann, dessen
Meinung weiß ich nicht zu widerlegen. Wer es aber nicht annehmen kann,
der muß der Antipode von Spinoza
werden
Lessing. Ich merke, Sie hätten
gern Ihren Willen frei. Ich begehre keinen freien Willen. Überhaupt erschreckt
mich, was Sie eben sagten, nicht im mindesten. Es gehört zu den menschlichen
Vorurteilen, daß wir den Gedanken als das erste und vornehmste betrachten,
und aus ihm alles herleiten wollen; da doch alles, die Vorstellungen mit einbegriffen,
von höheren Prinzipien abhängt. Ausdehnung, Bewegung, Gedanke, sind
offenbar in einer höheren Kraft gegründet, die noch lange nicht damit
erschöpft ist. Sie muß unendlich vortrefflicher sein, als diese oder
jene Wirkung; und so kann es auch eine Art des Genusses für sie geben,
der nicht allein alle Begriffe übersteigt, sondern völlig außer
dem Begriffe liegt. Dass wir uns nichts davon denken können, hebt die Möglichkeit
nicht auf.
Ich. Sie gehen weiter als Spinoza;
diesem galt Einsicht über alles.
Lessing. Für
den Menschen! Er war aber weit davon entfernt,
unsere elende Art, nach Absichten zu handeln, für die höchste Methode
auszugeben, und den Gedanken obenan zu setzen.
Ich. Einsicht
ist bei Spinoza in allen
endlichen Naturen der beste Teil, weil sie derjenige Teil ist, womit
jede endliche Natur über ihr Endliches hinausreicht. Man könnte gewissermaßen
sagen: auch er habe einem jeden Wesen zwei Seelen
zugeschrieben: Eine, die sich nur auf das gegenwärtige einzelne Ding, und
eine andre, die sich auf das Ganze bezieht.*
*Wiewohl auch nur mittels dieses Körpers, der kein absolutes Individuum
sein kann (indem ein absolutes Individuum ebenso unmöglich
als ein individuelles Absolutum ist. Determinatio est negatio. Opp. posth. p.
558.); sondern allgemeine unveränderliche Eigenschaften und Beschaffenheiten,
die Natur und den Begriff des Unendlichen enthalten muss. Mit dieser Unterscheidung
hat man einen von den Hauptschlüsseln zu dem System des Spinoza,
ohne welche man in demselben überall Verworrenheit und Widersprüche
findet. [A. d. ersten Ausgabe.]
Dieser zweiten Seele gibt er auch
Unsterblichkeit. Was aber die unendliche Einzige Substanz des Spinoza
anbelangt, so hat diese, für sich allein, und außer den einzelnen
Dingen, kein eigenes oder besonderes Dasein. Hätte sie für ihre Einheit
(daß ich mich so ausdrücke) eine eigene,
besondere, individuelle Wirklichkeit; hätte sie Persönlichkeit und
Leben: so wäre Einsicht auch an ihr der beste Teil.
Lessing. Gut. Aber nach was
für Vorstellungen nehmen Sie denn Ihre persönliche extramundane Gottheit
an? Etwa nach den Vorstellungen des Leibniz? Ich
fürchte, der war selbst im Herzen ein Spinozist.
Ich. Reden Sie im Ernste?
Lessing. Zweifeln Sie daran
im Ernste? — Leibnizens Begriffe von der
Wahrheit waren so beschaffen, daß er es nicht ertragen konnte, wenn man
ihr zu enge Schranken setzte. Aus dieser Denkungsart sind viele seiner Behauptungen
geflossen; und es ist, bei dem größten Scharfsinne, oft sehr schwer,
seine eigentliche Meinung zu entdecken. Eben darum halt‘ ich ihn so wert;
ich meine: wegen dieser großen Art zu denken, und nicht, wegen dieser
oder jener Meinung, die er nur zu haben schien, oder auch wirklich haben mochte.
Ich. Ganz recht. Leibniz
mochte gern »aus jedem Kiesel Feuer schlagen.«
Sie aber sagten von einer gewissen Meinung, dem Spinozismus,
daß Leibniz derselben im
Herzen zugetan gewesen sei.
Lessing. Erinnern
Sie sich einer Stelle des Leibniz, wo von Gott
gesagt ist: derselbe befände sich in einer immerwährenden Expansion
und Kontraktion: dieses wäre die Schöpfung
und das Bestehen der Welt?
Ich. Von seinen Fulgurationen
[»Ausblitzungen«] weiß ich; aber diese Stelle ist mir
unbekannt.
Lessing. Ich will sie aussuchen,
und Sie sollen mir dann sagen, was ein Mann, wie Leibniz,
dabei denken — konnte, oder musste.
Ich. Zeigen Sie mir diese Stelle.
Aber ich muß Ihnen zum voraus sagen, daß mir bei der Erinnerung
so vieler andern Stellen eben dieses Leibniz, so
vieler seiner Briefe, Abhandlungen, seiner Theodicee
und nouveaux Essais, seiner philosophischen Laufbahn
überhaupt — vor der Hypothese schwindelt, daß dieser Mann keine
supramundane [überweltliche], sondern nur
eine intramundane [innerweltliche] Ursache der
Welt angenommen haben sollte.
Lessing. Von dieser Seite muß
ich Ihnen nachgeben. Sie wird auch das Übergewicht behalten; und ich gestehe,
daß ich etwas zu viel gesagt habe. Indessen bleibt die Stelle die ich
meine — und noch manches andre — immer sonderbar. — Aber nicht
zu vergessen! Nach welchen Vorstellungen glauben Sie denn nun das Gegenteil
des Spinozismus? Finden Sie, dass Leibnizens
Principia ihm ein Ende machen?
Ich. Wie könnte ich, bei
der festen Überzeugung, daß der bündige Determinist vom Fatalisten
sich nicht unterscheidet?... Die
Monaden, samt ihren Vinculis, lassen mir Ausdehnung und Denken, überhaupt
Realität, so unbegreiflich als sie mir schon waren; und ich
weiß da weder rechts noch links... Übrigens kenne ich kein Lehrgebäude,
das so sehr, als das Leibnizsche, mit dem Spinozismus
übereinkäme; und es ist schwer zu sagen, welcher von ihren
Urhebern uns und sich selbst am mehrsten zum besten hatte.: wiewohl in allen
Ehren! ... Mendelsohn hat öffentlich gezeigt,
dass die Harmonia praestabilita
im Spinoza steht. Daraus allein ergibt sich
schon, dass Spinoza von Leibnizens
Grundlehren noch viel mehr enthalten muß, oder Leibniz
und Spinoza (dem schwerlich
Wolfens Unterricht
angeschlagen hätte ) wären die bündigen Köpfe nicht
gewesen, die sie doch unstreitig waren. Ich getraue mir aus dem Spinoza
Leibnizens ganze Seelenlehre darzulegen... Im Grunde haben beide von
der Freiheit auch
dieselbe Lehre, und nur ein Blendwerk unterscheidet ihre Throne. Wenn Spinoza
(Epist. LXII. Opp. Posth. p. 584. et 585.)
unser Gefühl von
Freiheit durch das Beispiel eines Steins erläutert, welcher dächte
und wüßte, daß er sich bestrebt, so viel er kann, seine Bewegung
fortzusetzen: so erläutert Leibniz dasselbe
(Theod. §.
50.) mit dem Beispiele
einer Magnetnadel, welche Lust hätte sich gegen Norden zu bewegen, und
in der Meinung stände, sie drehte sich unabhängig von einer andern
Ursache, indem sie der unmerklichen Bewegung der magnetischen Materie nicht
inne würde.* —
. . .
*Atque haec humana illa libertas
est, quam omnes habere jactant, et quae in hoc solo consistit, quod homines
sui appetitus sunt conscii, et causarum, à quibus determinantur, ignari
(Und das ist die menschliche Freiheit, die alle haben wollen, und die bloß
darin besteht, dass die Menschen sich ihres Verlangens, aber nicht der Ursachen,
durch die sie bestimmt werden, bewusst sind.) - sagt Spinoza,
in demselbigen 62. Briefe.
Von jener Wendung, womit die Deterministen dem Fatalismus auszuweichen glauben,
mangelte Spinoza keineswegs der Begriff. Sie schien
ihm aber so wenig von echt philosophischer Art zu sein, dass ihm das Arbitrium
indifferentiae, oder die Voluntas aequilibriisogar noch lieber war. Man sehe,
unter andern im I. T. der Ethik, das 2. Schol. der 33. Prop. am Schlusse. Ferner
im III. Teile das Sch. der 9. Prop. und vornehmlich die Vorrede zum IV. Teile.
[Anmerkung der ersten Ausgabe.]
Die Endursachen erklärt Leibniz
durch einen Appetitum, einen Conatum
immanentem (conscientia sui praeditum).
Eben so Spinoza, der, in diesem Sinne, sie
vollkommen gelten lassen konnte; und bei welchem Vorstellung
des Äußerlichen und Begierde, wie bei Leibniz,
das Wesen der Seele ausmachen. - Kurz, wenn man in das Innerste
der Sache dringt, so findet sich, daß bei Leibniz,
eben so wie bei Spinoza, eine jede Endursache eine
wirkende voraussetzt... Das Denken ist nicht die Quelle der Substanz; sondern
die Substanz ist die Quelle des Denkens. Also muß vor dem Denken etwas
Nichtdenkendes als das Erste angenommen werden; etwas, das, wenn schon nicht
durchaus in der Wirklichkeit, doch der Vorstellung, dem Wesen, der inneren Natur
nach, als das Vorderste gedacht werden muß. Ehrlich genug hat deswegen
Leibniz die Seelen, des automates spirituels genannt.*
*Dieselbige Benennung findet sich auch beim Spinoza,
wiewohl nicht in seiner Ethik; sondern in dem Bruchstück: De Intellectus
Emendatione. Die Stelle verdient, dass ich sie abschreibe. At ideam veram simplicem
esse ostendimus, aut ex simplicibus compositam, et quae ostendit, quomodo, et
cur aliquid sit, aut factum sit, et quod ipsius effectus objectivi in anima
procedunt ad rationem formalitatis ipsius objecti; id, quod idem est, quod veteres
dixerunt, nempe veram scientiam procedere a caufa ad effectus; nisi quod
nunquam, quod sciam, conceperunt, uti nos hic, animam secundum certas leges
agentem, et quasi aliquod automa spiritnale. (Ich
habe aber gezeigt, dass die wahre Idee einfach oder aus einfachen Ideen zusammengesetzt
ist; dass sie zeigt, wie oder warum etwas sei oder geschehen sei; dass ihre
objektiven Wirkungen in der Seele nach Verhältnis der Formhaftigkeit des
Objekts selbst vorgehen; und das ist dasselbe, was die Alten so ausdrückten
die wahre Wissenschaft schreite von den Ursachen zu den Wirkungen fort; nur
dass die Alten - soviel ich weiß - niemals, wie wir eben annahmen, dass
die Seele nach gewissen Gesetzen handle und gleichsam ein geistiges Automat
sei. Opp. Posth. p. 384). Die Ableitung des Wortes automaton (Automat),
und was Bilfinger dabei erinnert, ist mir nicht unbekannt. [Anmerkung der ersten
Ausgabe.]
Wie aber (ich rede hier nach Leibnizens
tiefstem und vollständigstem Sinne, so weit ich ihn verstehe) das
Principium aller Seelen für sich bestehen könne und wirken...; der
Geist vor der Materie;
der Gedanke vor dem Gegenstande: diesen großen Knoten, den er hätte
lösen müssen, um uns wirklich aus der Not zu helfen, diesen hat er
so verstrickt gelassen als er war...
Lessing. ... Ich lasse Ihnen
keine Ruhe, Sie müssen mit diesem Parallelismus an den Tag... Reden die
Leute doch immer von Spinoza, wie von einem toten
Hunde...
Ich. Sie würden
vor wie nach so von ihm reden. Den Spinoza zu fassen,
dazu gehört eine zu lange und zu hartnäckige Anstrengung des Geistes.
Und keiner hat ihn gefaßt, dem in der Ethik Eine Zeile dunkel blieb: keiner,
der es nicht begreift, wie dieser große Mann von seiner Philosophie die
feste innige Überzeugung haben konnte, die er so oft und so nachdrücklich
an den Tag legt. Noch am Ende seiner Tage schrieb er:. . . nonpraesumo,
me optimam invenisse philosophiam, sed veram me intelligere scio*
—
*In
seinem Briefe an Albert Burgh. Er fügt hinzu:
»Quomodo autem id sciam, si roges, respondebo, eodem modo, ac tu scis
tres angulos Trianguli aequales esse duobus rectis, und hoc sufficere negabit
nemo, cui sanum est cerebrum, nec spiritus immundos somniat, qui nobis ideas
falsas inspirant veris similes:est enim verum index sui et falsi. (Wenn
du fragst, wie ich das wisse, so antworte ich: ebenso wie du weißt, dass
die drei Winkel eines Dreiecks zwei rechten gleich sind; niemand, der ein heiles
Hirn hat und nicht träumt, ein unreiner Geist habe ihm falsche Ideen für
wahrscheinlich eingehaucht, wird leugnen, dass das genüge, denn das Wahre
weist auf sich selbst und auf das Falsche hin.) - Spinoza
machte einen großen Unterschied zwischen gewiss sein und nicht zweifeln.
[Anmerkung der ersten Ausgabe.]
Eine solche Ruhe des Geistes, einen solchen Himmel im Verstande, wie sich dieser
helle reine Kopf geschaffen hatte, mögen wenige gekostet haben.
Lessing. Und Sie sind kein Spinozist, Jacobi!
Ich. Nein, auf Ehre!
Lessing. Auf Ehre, so müssen
Sie ja, bei Ihrer Philosophie, aller Philosophie den Rücken kehren.
Ich. Warum aller Philosophie den Rücken kehren?
Lessing. Nun, so sind Sie ein
vollkommener Skeptiker.
Ich. Im Gegenteil, ich ziehe
mich aus einer Philosophie zurück, die den vollkommenen Skeptizismus notwendig
macht.
Lessing. Und ziehen dann — wohin?
Ich. Dem Lichte nach,
wovon Spinoza sagt, daß es sich selbst, und
auch die Finsternis erleuchtet. — Ich liebe den
Spinoza, weil er, mehr als irgend ein andrer Philosoph, zu der vollkommenen
Überzeugung mich geleitet hat, daß sich gewisse Dinge nicht entwickeln
lassen: vor denen man darum die Augen nicht zudrücken, sondern sie nehmen
muß, wie man sie findet. Ich habe keinen Begriff, der mir inniger als
der von den Endursachen wäre; keine lebendigere Überzeugung, als,
dass ich tue, was ich denke; anstatt,
dass ich nur denken sollte, was ich tue.
Freilich muß ich dabei eine Quelle des Denkens und Handelns annehmen,
die mir durchaus unerklärlich bleibt. Will ich aber schlechterdings erklären,
so muß ich auf den zweiten Satz geraten, den, in seinem ganzen Umfange
betrachtet, und auf einzelne Fälle angewandt, kaum ein menschlicher Verstand
ertragen kann.
Lessing. Sie drücken sich
beinah so herzhaft aus, wie der Reichstagsschluß
zu Augsburg; aber ich bleibe ein ehrlicher Lutheraner,
und behalte »den mehr viehischen als menschlichen Irrtum und Gotteslästerung,
daß kein freier Wille sei«, worin der helle reine Kopf Ihres Spinoza
sich doch auch zu finden wußte.
Ich. Auch hat
Spinoza sich nicht wenig krümmen müssen,
um seinen Fatalismus bei der Anwendung auf menschliches Betragen zu verstecken,
besonders in seinem vierten und fünften Teile, wo ich sagen möchte,
daß er dann und wann bis zum Sophisten sich erniedrigt. — Und das
war es ja was ich behauptete: daß auch der größte Kopf, wenn
er alles schlechterdings erklären, nach deutlichen Begriffen mit einander
reimen, und sonst nichts gelten lassen will, auf ungereimte Dinge kommen muß.
Lessing. Und wer nicht erklären will?
Ich. Wer nicht erklären
will was unbegreiflich ist, sondern nur die Grenze wissen wo es anfängt,
und nur erkennen, daß es da ist: von dem glaube ich, daß er den
mehresten Raum für echte menschliche Wahrheit in sich ausgewinne.
Lessing. Worte, lieber
Jacobi; Worte! Die Grenze, die Sie setzen wollen, läßt sich
nicht bestimmen. Und an der andern Seite geben Sie der Träumerei, dem Unsinne,
der Blindheit freies offenes Feld.
Ich. Ich glaube, jene Grenze
wäre zu bestimmen. Setzen will ich keine, sondern nur die schon gesetzte
finden, und sie lassen. Und was Unsinn, Träumerei und Blindheit anbelangt...
Lessing. Die sind überall zu Hause, wo verworrene
Begriffe herrschen.
Ich. Mehr
noch, wo erlogene Begriffe herrschen.
Auch der blindeste, unsinnigste Glaube, wenn schon nicht der dummste, hat da
seinen hohen Thron. Denn wer in gewisse Erklärungen sich einmal verliebt
hat, der nimmt jede Folge blindlings an, die nach einem Schlusse, den er nicht
entkräften kann, daraus gezogen wird, und wär‘ es, daß
er auf dem Kopfe ginge.
... Nach meinem Urteil ist das größeste Verdienst des Forschers,
Dasein zu enthüllen, und zu offenbaren... Erklärung ist ihm Mittel,
Weg zum Ziele, nächster— niemals letzter Zweck. Sein letzter Zweck
ist, was sich nicht erklären läßt: das Unauflösliche, Unmittelbare,
Einfache.
... Ungemessene Erklärungssucht läßt uns so hitzig das Gemeinschaftliche
suchen, daß wir darüber des Verschiedenen nicht achten; wir wollen
immer nur verknüpfen, da wir doch oft mit ungleich größerem
Vorteile trennten... Es entstehet auch, indem wir nur, was erklärlich an
den Dingen ist, zusammenstellen und zusammen hängen, ein gewisser Schein
in der Seele, der sie mehr verblendet als erleuchtet. Wir opfern dann, was Spinoza
tiefsinnig und erhaben — die Erkenntnis der obersten Gattung nennt, der
Erkenntnis der untern Gattungen auf; wir verschließen das Auge der Seele,
womit sie Gott und sich selbst ersiehet, um desto unzerstreuter mit den Augen
nur des Leibes zu betrachten*. . .
*Ich finde, da ich eben
diesen Bogen durchsehe, in einem meisterhaften Aufsatze des deutschen Merkurs
(Februar 1789, S. 127) eine Stelle, die ich, um das Obige zu bestätigen,
hier einrücken will. »Wir sollten, dünkt mich, immer mehr beobachten,
worin sich die Dinge, zu deren Erkenntnis wir gelangen mögen, voneinander
unterscheiden, als wodurch sie einander gleichen. Das Unterscheiden ist schwerer,
mühsamer, als das Ähnlichfinden, und wenn man recht gut unterschieden
hat, so vergleichen sich alsdann die Gegenstände von selbst. Fängt
man damit an, die Sachen gleich oder ähnlich zu finden, so kommt man leicht
in den Fall, seiner Hypothese oder seiner Vorstellungsart zuliebe Bestimmungen
zu übersehen, wodurch sich die Dinge sehr voneinander unterscheiden.«
Lessing. Gut, sehr gut! Ich
kann das alles auch gebrauchen; aber ich kann nicht dasselbe damit machen. Überhaupt
gefällt Ihr Salto mortale mir nicht übel; und ich begreife, wie ein
Mann von Kopf auf diese Art Kopfunten machen kann, um von der Stelle zu kommen.
Nehmen Sie mich mit, wenn es angeht.
Ich. Wenn Sie nur auf die elastische Stelle treten
wollen, die mich fortschwingt, so geht es von selbst.
Lessing. Auch
dazu gehörte schon ein Sprung, den ich meinen alten Beinen und meinem schweren
Kopfe nicht mehr zumuten darf.
Diesem Gespräche, wovon ich nur das Wesentliche hier geliefert habe, folgten
andre, die uns auf mehr als einem Wege zu denselbigen Gegenständen zurückbrachten.
Einmal sagte Lessing mit halbem Lächeln:
Er selbst wäre vielleicht das höchste Wesen, und gegenwärtig
in dem Zustande der äußersten Kontraktion. -
Ich bat um meine Existenz. –
Er antwortete, es wäre nicht allerdings so gemeint, und erklärte sich
auf eine Weise, die mich an Heinrich Morus und
von Helmont erinnerte. Lessing erklärte
sich noch deutlicher; doch so, dass ich ihn abermals zur Not der Kabbalisterei
verdächtig machen konnte. Dies ergötzte
ihn nicht wenig, und ich nahm daher Gelegenheit für das Kibbel, oder die
Kabbala, im eigentlichsten Sinne, aus dem Gesichtspunkte
zu reden: dass es an und für sich selbst unmöglich sei, das Unendliche
aus dem Endlichen zu entwickeln, und den Übergang des einen zu dem andern,
oder ihre Proportion, durch irgendeine Formel herauszubringen; folglich,
wenn man etwas darüber sagen wollte, so müsste man aus Offenbarung
reden. Lessing blieb dabei: dass er sich alles
»natürlich ausgebeten haben wollte;«und ich:
dass es keine natürliche Philosophie des Übernatürlichen geben
könnte, und doch beides (Natürliches und
Übernatürliches) offenbar vorhanden wäre.
Wenn sich Lessing eine persönliche
Gottheit vorstellen wollte, so dachte er sie als die
Seele des Alls; und das Ganze, nach der Analogie eines organischen Körpers.
Diese Seele des Ganzen wäre also, wie es alle
andren Seelen, nach allen möglichen Systemen sind, als
Seele, nur Effekt.*
* Auch nach dem System des
Leibniz. - Die Entelechie wird durch den Körper
(oder den Begriff des Körpers) erst zum Geiste.
[Anmerkung der ersten Ausgabe.] - Die Richtigkeit dieses etwas scharf
gestellten Satzes ist in meinem Schreiben an Mendelssohn
vom 21. April 1785 bewiesen worden, und findet sich in dem Gespräche über
Idealismus und Realismus noch ausführlicher dargetan. Hansch
erzählt von Leibniz, derselbe hätte
einmal beim Kaffeetrinken zu ihm gesagt, es möchten wohl in der Tasse heißen
Kaffee, die er gegenwärtig zu sich nähme, Monaden sein, die einst
als vernünftige menschliche Seelen leben würden (Hansch
Leibn. Princ. Ph. demonstr. § 16. Sch. 3).
Leibniz selbst
schrieb an Des Bosses (Opp.
II. P. I. p. 283): »Entelechia
nova creari potest, etsi nulla nova pars massae creetur, quia etsi jam massa
habeat unitates, tamen novas semper capit, pluribus aliis dominantes:
ut si fingas Deum ex massa quoad totum non organica, v. g. ex rudi saxo, facere
corpus organicum, eique suam animam praeficere.« - Und
in einem andern Briefe an eben diesen
Des Bosses (ibid. p. 269): »Finge
animal se habere ut guttam olei, et animam ut punctum aliquod in gutta. Si jam
divellatur gutta in partes, cum quaevis pars rursus in guttam globosam abeat,
punctum illud existet in aliqua guttarum novarum. Eodem modo animal permanebit
in ea parte, in qua anima manet, et quae ipsi animae maxime convenit. Et uti
natura liquidi in alio fluido affectat rotunditatem, ita natura materiae a sapientissimo
auctore constructae, semper affectat ordinem, seu organizationem. Hinc neque
animae, neque animalia destrui possunt; etsi possint diminui, atque obvolvi,
ut vita eorum nobis non appareat.«-
Weder die Erzählung von Hansch, noch die Stellen von
Leibniz selbst stehen zum Beweise hier; denn ich habe den vollständigen
Beweis an den angezeigten Orten schon geführet: sie sollen nur an dasjenige,
was dort gesagt und mit entscheidenden Stellen
belegt ist, erinnern.
Über den Text zu dieser Anmerkung hat sich Herder
in seinem Gott auf eine Weise ausgelassen,
die ich noch mit ein paar Worten berühren muss.
»Erwägen Sie,« sagt
Theophron (S. 175),
»die ungeheuren Folgen eines trüglichen Bildes:
Gott, die Seele des
Ganzen, sei ein Effekt;
nichts als ein Effekt der Welt; alle andere Seelen, nach allen möglichen
Systemen, seien als Seelen nur Effekt. Wahrscheinlich nur Effekte der Zusammensetzung,
ohne etwas Zusammensetzendes usw.«
Gott, die Seele des Ganzen -
NICHTS als
ein Effekt der Welt? Die Seelen - wahrscheinlich nur Effekte der Zusammensetzung
ohne Zusammensetzendes?
Wo hat Herder dies gelesen?
- - Ich verweise auf mein Schreiben an Mendelssohn
vom 21. April 1785,in welchem die Sache hinlänglich auseinandergesetzt
ist. Auch Mendelssohn glaubte gelesen zu haben,
Lessing mache die Entelechien des Leibniz zu
bloßen Wirkungen des Körpers. Ich zeigte ihm seinen Irrtum,
und hatte folgendes hinzugesetzt: »Letzteres«
(nämlich: die Entelechie des Leibniz sei
bloß Effekt des Körpers; wie ich in der Note, welche
Mendelssohn in den Text zog, gesagt haben sollte) »könnte
ich nicht im Traume, nicht in der Fieberhitze gesagt haben; geschweige, dass
ich es gesund und wachend schriftlich von mir gegeben hätte.« Ein
berühmter Gelehrter, welchem ich eine Abschrift meines Aufsatzes geschickt
hatte, riet mir diese letzten Zeilen, in denen man etwas Beleidigendes für
Mendelssohn finden könnte, zu vertilgen, welches ich bei der öffentlichen
Bekanntmachung auch getan habe. Herder wusste um
diesen guten Rat, und hatte das Schreiben an Mendelssohn
vom 21. April wahrscheinlich mehr als einmal gelesen: wie war es denn möglich,
dass er eine ungereimte Meinung, wider die ich mich so nachdrücklich erklärt
hatte, Lessingen oder mir
von neuem aufbürden konnte?
Ich möchte wissen, wie Herder sich eine Seele –
nicht als Substanz, nicht als denkende
Kraft überhaupt - sondern bloß
als die Seele eines gewissen bestimmten Leibes,
als die ausschließliche bloße Vorstellung
desselben denken wollte, wenn nicht als eine Wirkung der gewissen,
bestimmten, ausschließlichen Form, deren Vorstellung insofern
allein ihr Wesen ausmacht. Freilich ist dieser Gedanke Lessings
äußerst abgezogen; aber er musste so scharf gegriffen werden,
wenn er in der Verbindung, worin er vorkommt, Bedeutung und Anwendung haben
sollte. Herder findet überhaupt das Bild einer
Weltseele bedenklich,
welches einigermaßen befremden könnte, da seine Verbesserung des
Spinozismus darauf allein herausläuft, den
Gott dieses Systems in eine Weltseele
zu verwandeln. Er scheint aber nur zu fürchten, dass man durch dieses
Bild oder Wort sich verführen lasse, eine persönliche
Gottheit zu träumen.
(S. Herders
Gott, S. 174-177.)
Der organische Umfang derselben könnte aber nach der Analogie
der organischen Teile dieses Umfanges insofern nicht gedacht werden, als er
sich auf nichts, das außer ihm vorhanden wäre, beziehen, von ihm
nehmen und ihm wiedergeben könnte. Also, um sich im Leben zu erhalten,
müsste er, von Zeit zu Zeit, sich in sich selbst gewissermaßen zurückziehen;
Tod und Auferstehung, mit dem
Leben, in sich vereinigen. Man könnte sich aber von der innern Ökonomie
eines solchen Wesens mancherlei Vorstellungen machen.
Lessing hing sehr an dieser Idee, und wendete sie,
bald im Scherze, bald im Ernst, auf allerlei Fälle an. Da bei Gleim in
Halberstadt (wohin mich Lessing,
nach meinem zweiten Besuche bei ihm, begleitet hatte), während wir
zu Tische sassen, unversehens ein Regen kam, und Gleim es bedauerte, weil wir
nach Tische in seinen Garten sollten, sagte Lessing,
der neben mir saß: »Jacobi,
Sie wissen, das tue ich vielleicht«.
Ich antwortete: »Oder ich.«
Gleim sah uns etwas verwundert an; aber ohne weiter nachzufragen.
Mit der Idee eines persönlichen schlechterdings unendlichen Wesens, in
dem unveränderlichen Genusse seiner allerhöchsten
Vollkommenheit, konnte sich Lessing nicht
vertragen. Er verknüpfte mit derselben eine solche
Vorstellung von unendlicher Langerweile, dass ihm Angst und
weh dabei wurde.
Eine mit Persönlichkeit verknüpfte Fortdauer
des Menschen nach dem Tode hielt er nicht für unwahrscheinlich. Er
sagte mir, er hätte im Bonnet, den er
eben jetzo nachläse, Ideen angetroffen, die mit den seinigen über
diesen Gegenstand und überhaupt mit seinem System sehr zusammenträfen.
Jacobi: Über die Lehre des Spinoza in Briefen
an den Herrn Moses Mendelssohn, S. 59ff. Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie,
S. 27495ff.