Justinus, der Märtyrer (? – um 165 hingerichtet)

  In Palästina geborener Philosoph, Märtyrer und Kirchenvater, der durch seine bewusst vollzogene Synthese zwischen griechischer Philosophie (Platonismus) und Christentum der christlichen Theologie entscheidende Impulse gegeben hat. Justinus wird als der bedeutendste christliche Apologet des 2. Jahrhunderts angesehen. Bedeutsam ist insbesondere seine Logoslehre, in der das Wesen Christi mit dem Weltlogos gleichgesetzt wird, so dass auch vorchristliche Philosophen — wie z.B. Sokrates — von ihm als »Christen« betrachtet werden können. Christus ist für Justinus die Offenbarung des Weltlogos, der keimhaft überall da wirkt, wo Vernunft und Weisheit sich entwickeln. Das bedeutet zugleich, dass auch philosophische Fragestellungen aus der christlichen Offenbarung heraus beantwortet werden können, von deren Überlegenheit er zutiefst überzeugt ist. Justinus erlitt zusammen mit sechs seiner Schüler unter dem Stadtpräfekten Rusticus (163—167) in Rom den Märtyrertod. In diesem nicht einfachen Tod kommt seine tiefe innerliche Entschiedenheit zum Ausdruck, mit der an seiner christlichen Überzeugung festhielt und für die er als Christ mit dem Juden Tryphon um die Christlichkeit des Alten Testamentes (AT) ebenso stritt wie gegen Heiden und Häretiker, vor allem gegen Marcion, der den Christengott vom Schöpfergott des AT trennen wollte. Heiliger: (Tag 1.6.)

Weitere Texte von Justinus sind in älterer deutscher Übersetzung online in der »Bibliothek der Kirchenväter« von Gregor Emmenegger, Departement für Patristik und Kirchengeschichte an der Universität Fribourg, eingestellt.

Siehe auch Wikipedia, Heiligenlexikon und Kirchenlexikon

Der Logos und die Philosophen
Unsere Lehre ist offenbar größer als jede menschliche Lehre, weil Christus, der unseretwegen erschienen ist, der ganze Logos ist — zugleich Leib, Wort [Logos] und Seele. Was immer Philosophen und Gesetzgeber an Gutem gefunden und ausgedrückt haben, das ist von ihnen aufgrund eines Teils des Logos durch Forschung und Theorie mühselig erarbeitet worden. Da sie nicht das Ganze des Logos, der Christus ist, erkannten, behaupteten sie oft auch einander Widersprechendes. Und die von ihnen, die vor Christus lebten und versuchten, nach menschlichem Vermögen die Dinge mit der Vernunft zu betrachten und zu prüfen, wurden als Gottlose und Übeltäter vor Gericht gestellt. Dem Sokrates, der hierin von ihnen allen der Entschiedenste war, wurde dasselbe vorgeworfen wie uns. Denn sie sagten auch von ihm, er führe neue Götter [Dämonen] ein und verehre die Götter nicht, welche die Stadt verehre. Er aber hatte die Menschen gelehrt, die bösen Dämonen, die das verübt hatten, was die Dichter von ihnen sagten, zusammen mit Homer und den anderen Dichtern aus der Stadt zu vertreiben. Demgegenüber ermunterte er sie, ihre Erkenntnis durch die vernunftgemäße Forschung nach dem ihnen unbekannten Gott zu vollenden, indem er sagte: »Den Vater und Bewirker von allem zu finden ist nicht leicht. Ihn aber, nachdem man ihn gefunden hat, allen zu verkünden, ist gefährlich.« (Tim. 28c). Genau dies aber vollbrachte unser Christus durch die ihm eigene Kraft. Während Sokrates niemand so sehr geglaubt hat, dass er für diese Lehre in den Tod gegangen wäre, haben Christus, den auch Sokrates teilweise erkannt hatte (war und ist er doch das Wort, das in allem ist und das sowohl durch die Propheten als auch, nachdem er uns ähnlich geworden ist, durch sich selbst das Zukünftige voraussagte und diese Lehren vortrug), nicht nur Philosophen und Gelehrte geglaubt, sondern auch Handwerker und ganz Ungebildete, und zwar so sehr, daß sie Ansehen, Furcht und Tod mißachteten. Denn er ist die Kraft des unaussprechlichen Vaters und nicht das Werk menschlicher Vernunft.
Aus: Zweite Apologie. Kap. 10. In: Die Apologien Justins des Märtyrers. Hrsg. von Gustav Krüger. Tübingen 1915. Unv. Nachdr. Frankfurt a. M.: Minerva, 1968. (Sammlung ausgewählter kirchen- und dogmengeschichtlicher Quellenschriften. 1,1.) S. 68 f.— Übers. von Kurt Flasch.
Text auch enthalten in: Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung, Herausgeber: Rüdiger Bubner Band 2, Mittelalter. Herausgegeben von Kurt Flasch
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 9912, S.55f. © 1982 Philipp Reclam jun., Stuttgart Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages