Immanuel Kant (1724 - 1804)

 
Deutscher Philosoph; der Sohn eines Sattlers war und unter pietistischem Einfluss aufgewachsen ist. Mit 16 Jahren begann er an der Universität Köngsberg zu studieren. Das Studium finanzierte er u. a. durch Privatstunden und Gewinne beim Billardspiel. Studienfächer sind - Mathematik, Naturwissenschaften, Theologie, Philosophie und lateinische Philologie;seit 1770 Professor in Königsberg. Er entwickelte mit seinem »kritischen Idealismus« eines der Grundsysteme der deutschen Philosophie. Insbesondere mit seiner praktischen Philosophie, seiner Geschichts-, Rechts und Staatsphilosophie stellte er den Anschluss an die westeuropäische Aufklärungsphilosophie (insbesondere David Hume) her, die er u. a. durch seine Erkenntniskritik zugleich überwand. Er gründete das System strenger Wissenschaft auf die masthematisch-physikalische Naturwissenschaft und übte daher grundsätzliche Kritik an der traditionellen Metaphysik. Radikal trennte Kant die Philosophie von der Theologie. Ein neues Fundament für Wissen, Sittlichkeit und Glauben suchte er mit seiner Tranzendentalphilosophie zu schaffen. In der »vorkritischen« Periode orientierte er sich weitgehend er an der Metaphysik von G. W. Leibniz und Christian Wolff und setzte sich mit der Physik Isaac Newtons auseinander; an diese anschließend, entwickelte er eine kosmologische Theorie, die früher zusammenfassend als »Kant-Laplace'sche Theorie« bezeichnet wurde. Mit der »Kritik der reinen Vernunft« (1781) setzte seine kritische Periode ein, in der er durch eine kritische Prüfung der Verstandeskräfte in seiner Transzendentalphilosophie die Bedingungen der Möglichkeit und die Grenzen der Erkenntnis zu bestimmen suchte (Kritizismus). Neu in diesem Denken ist, dass er nicht das Bewusstsein von den Gegenständen, sondern die Gegenstände von der apriorischen Struktur des Bewusstseins abhängig dachte: Die Erkenntnis erfasse niemals »Dinge an sich«, sondern nur Erscheinungen, welche einzig in den vor der Erfahrung liegenden und diese erst ermöglichenden Formen zugänglich sind, die der Verstand an sie heranträgt. Zu den apriorischen Erkenntnisformen rechnet er die Anschauungsformen von Raum und Zeit und die reinen Verstandesbegriffe der Kategorien (Quantität, Qualität, Relation, Modalität). Im Unterschied zu den Verstandesbegriffen haben die Ideen (Gott, Seele, Welt, Freiheit, Unsterblichkeit, absolute Persönlichkeit) als Vernunftbegriffe oder »Postulate der praktischen Vernunft« keine »konstitutive« (gegenstandsetzende), sondern nur »regulative« (richtunggebende) Bedeutung und ordnen als solche lediglich die Erfahrung.In seiner praktischen Philosophie (Ethik) entwarf Kant eine Begründung der Sittenlehre, die sich nicht auf bestimmte Inhalte (»materiale« Ethik), sondern auf die apriorischen Formen des Handelns stützt (»formale« Ethik). In der »Grundlegung der Metaphysik der Sitten« (1785) und der »Kritik der praktischen Vernunft« (1788) entwickelte er eine rigorose, autonome Pflicht-Ethik, derzufolge der Wille unmittelbar durch das moralische Gesetz bestimmbar ist und nur das von äußeren Bestimmungen und inneren Neigungen freie Handeln »aus Pflicht« als sittlich gilt. Sittliches Grundgesetz ist der »kategorische Imperativ«. Die Religionslehre wird aus der praktischen Philosophie entwickelt. Die »Religion innerhalb der Grenzen der praktischen Vernunft« versteht wesentliche Teile der christlichen Glaubenslehre allein in ethischem Sinn: Sie begründet die Befolgung moralischer Normen, indem sie die Pflichten als göttliche Gebote erkennt und mit den Postulaten (Glaubensforderungen) Gottes, der sittlichen Weltordnung und der Unsterblichkeit der Seele das vom moralischen Bewusstsein geforderte »höchste Gut« (die Vereinigung von Tugend und Glückseligkeit) als Ziel aufzustellen vermag. Die Moral erweitert sich dann zur »Idee eines . . . moralischen Gesetzgebers«. Eine objektive, also wissenschaftliche Gotteserkenntnis gibt es nach den Prämissen seines Systems nicht. Die »Kritik der Urteilskraft« (1790) suchte die Begründung für den Gültigkeitsanspruch des ästhetischen Geschmacksurteils zu liefern, das als subjektives Wohlgefallen am Objekt bezeichnet wird (subjektive Ästhetik), und die Art und die Grenzen des (heuristischen) Zweckmäßigkeitsbegriffs (Teleologie) in der Betrachtung der organischen Natur darzulegen. In seinem staatsphilosophischen Denken trat Kant für einen Rechtsstaat in republikanischen Sinn, für die Vernunftidee einer friedlichen Gemeinschaft aller Völker auf Erden und für einen ewigen Frieden ein.

Siehe auch Wikipedia
und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis

Über Gott und Welt
Gibt es etwas von der Welt Unterschiedenes

Das Urwesen
Analyse der Gottesbeweise
Der einzig mögliche Beweisgrund des Daseins Gottes (1763)

Gott ist ein Vernunftbegriff
Von dem moralischen Beweise des Dasein Gottes
Vom praktischen Glauben
Gott, Freiheit und Seelenunsterblichkeit
Das Credo der reinen praktischen Vernunft
Die unerforschliche Weisheit
Der Wille Gottes
Von der Schöpfung in ihrem unendlichen Umfang
Über die Theodizee (1791)
Das Ende aller Dinge

Die Ethik Kants
Die immense Bedeutung des guten Willens
Begriff und Wesen der Pflicht
Begriff und Bedeutung von Imperativen
Der kategorische Imperativ
Begründung und Herleitung der Willensfreiheit
Das Moral- oder Sittengesetz
Moralische Grundlagen des allgemeinen Rechtgesetzes


Über die Lüge
Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen
Das Gebot der Wahrheit verbietet auch die Notlüge

Die Lüge ist der eigentliche faule Fleck

Das Gewissen
Zum ewigen Frieden (Völkerbund)


Über die Philosophie
Aufgabe und Zweck der Philosophie
Über den Optimismus (1759)

Was Pansophie heißen kann
Über Geisterseher
Kant an Fräulein Charlotte von Knobloch
Träume eines Geistersehers
Aus den Vorlesungen über Psychologie

Über Religion

Die christliche Religion als natürliche Religion
Pietismus

Christus

Personfizierte Idee des guten Prinzips
Gründung der Herrschaft des guten Prinzips

Gibt es etwas von der Welt Unterschiedenes, das den Grund der Weltordnung und ihres Zusammenhanges nach allgemeinen Gesetzen enthält?
Frägt man denn also (in Absicht auf eine transzendentale Theologie)

erstlich:
ob es etwas von der Welt Unterschiedenes gebe, was den Grund der Weltordnung und ihres Zusammenhanges nach allgemeinen Gesetzen enthalte, so ist die Antwort: ohne Zweifel. Denn die Welt ist eine Summe von Erscheinungen, es muß also irgend ein transzendentaler, d.i. bloß dem reinen Verstande denkbarer Grund derselben sein.

Ist zweitens die Frage: ob dieses Wesen Substanz, von der größten Realität, notwendig etc. sei: so antworte ich: daß diese Frage gar keine Bedeutung habe. Denn alle Kategorien, durch welche ich mir einen Begriff von einem solchen Gegenstande zu machen versuche, sind von keinem anderen als empirischen Gebrauche, und haben gar keinen Sinn, wenn sie nicht auf Objekte möglicher Erfahrung, d.i. auf die Sinnenwelt angewandt werden. Außer diesem Felde sind sie bloß Titel zu Begriffen, die man einräumen, dadurch man aber auch nichts verstehen kann.

Ist endlich drittens die Frage: ob wir nicht wenigstens dieses von der Welt unterschiedene Wesen nach einer Analogie mit den Gegenständen der Erfahrung denken dürfen? so ist die Antwort: allerdings, aber nur als
Gegenstand in der Idee und nicht in der Realität, nämlich nur, so fern er ein uns unbekanntes Substratum der systematischen Einheit, Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welteinrichtung ist, welche sich die Vernunft zum regulativen Prinzip ihrer Naturforschung machen muß. Noch mehr, wir können in dieser Idee gewisse Anthropomorphismen, die dem gedachten regulativen Prinzip beförderlich sind, ungescheut und ungetadelt erlauben. Denn es ist immer nur eine Idee, die gar nicht direkt auf ein von der Welt unterschiedenes Wesen, sondern auf das regulative Prinzip der systematischen Einheit der Welt, aber nur vermittelst eines Schema derselben, nämlich einer obersten Intelligenz, die nach weisen Absichten Urheber derselben sei, bezogen wird. Was dieser Ungrund der Welteinheit an sich selbst sei, hat dadurch nicht gedacht werden sollen, sondern wie wir ihn, oder vielmehr seine Idee, relativ auf den systematischen Gebrauch der Vernunft in Ansehung der Dinge der Welt, brauchen sollen.

Auf solche Weise aber können wir doch (wird man fortfahren zu fragen) einen einigen weisen und allgewaltigen Welturheber annehmen? Ohne allen Zweifel; und nicht allein dies, sondern wir müssen einen solchen voraussetzen. Aber alsdenn erweitern wir doch unsere Erkenntnis über das Feld möglicher Erfahrung? Keineswegs. Denn wir haben nur ein Etwas vorausgesetzt, wovon wir gar keinen Begriff haben, was es an sich selbst sei (einen bloß transzendentalen Gegenstand), aber, in Beziehung auf die systematische und zweckmäßige Ordnung des Weltbaues, welche wir, wenn wir die Natur studieren, voraussetzen müssen, haben wir jenes uns unbekannte Wesen nur nach der Analogie mit einer Intelligenz (ein empirischer Begriff) gedacht, d.i. es in Ansehung der Zwecke und der Vollkommenheit, die sich auf demselben gründen, gerade mit denen Eigenschaften begabt, die nach den Bedingungen unserer Vernunft den Grund einer solchen systematischen Einheit enthalten können. Diese Idee ist also respektiv auf den Weltgebrauch unserer Vernunft ganz gegründet. Wollten wir ihr aber schlechthin objektive Gültigkeit erteilen, so würden wir vergessen, daß es lediglich ein Wesen in der Idee sei, das wir denken, und, indem wir alsdenn von einem durch die Weltbetrachtung gar nicht bestimmbaren Grunde anfingen, würden wir dadurch außer Stand gesetzt, dieses Prinzip dem empirischen Vernunftgebrauch angemessen anzuwenden.

Aber (wird man ferner fragen) auf solche Weise kann ich doch von dem Begriffe und der Voraussetzung eines höchsten Wesens in der vernünftigen Weltbetrachtung Gebrauch machen? Ja, dazu war auch eigentlich diese Idee von der Vernunft zum Grunde gelegt. Allein darf ich nun zweckähnliche Anordnungen als Absichten ansehen, indem ich sie vom göttlichen Willen, obzwar vermittelst besonderer dazu in der Welt darauf gestellten Anlagen, ableite? Ja, das könnt ihr auch tun, aber so, daß es euch gleich viel gelten muß, ob jemand sage, die göttliche Weisheit hat alles so zu seinen obersten Zwecken geordnet, oder die Idee der höchsten Weisheit ist ein Regulativ in der Nachforschung der Natur und ein Prinzip der systematischen und zweckmäßigen Einheit derselben nach allgemeinen Naturgesetzen, auch selbst da, wo wir jene nicht gewahr werden, d.i. es muß euch da, wo ihr sie wahrnehmt, völlig einerlei sein, zu sagen: Gott hat es weislich so gewollt, oder die Natur hat es also weislich geordnet. Denn die größte systematische und zweckmäßige Einheit, welche eure Vernunft aller Naturforschung als regulatives Prinzip zum Grunde zu legen verlangte, war eben das, was euch berechtigte, die Idee einer höchsten Intelligenz als ein Schema des regulativen Prinzips zum Grunde zu legen, und, so viel ihr nun, nach demselben, Zweckmäßigkeit in der Welt antrefft, so viel habt ihr Bestätigung der Rechtmäßigkeit eurer Idee; da aber gedachtes Prinzip nichts andres zur Absicht hatte, als notwendige und größtmögliche Natureinheit zu suchen, so werden wir diese zwar, so weit als wir sie erreichen, der Idee eines höchsten Wesens zu danken haben, können aber die allgemeinen Gesetze der Natur, als in Absicht auf welche die Idee nur zum Grunde gelegt wurde, ohne mit uns selbst in Widerspruch zu geraten, nicht vorbei gehen, um diese Zweckmäßigkeit der Natur als zufällig und hyperphysisch ihrem Ursprunge nach anzusehen, weil wir nicht berechtigt waren, ein Wesen über die Natur von den gedachten Eigenschaften anzunehmen, sondern nur die Idee desselben zum Grunde zu legen, um nach der Analogie einer Kausalbestimmung der Erscheinungen als systematisch unter einander verknüpft anzusehen.

Eben daher sind wir auch berechtigt, die Weltursache in der Idee nicht allein nach einem subtileren Anthropomorphism (ohne welchen sich gar nichts von ihm denken lassen würde), nämlich als ein Wesen, das Verstand, Wohlgefallen und Mißfallen, imgleichen eine demselben gemäße Begierde und Willen hat etc., zu denken, sondern demselben unendliche Vollkommenheit beizulegen, die also diejenige weit übersteigt, dazu wir durch empirische Kenntnis der Weltordnung berechtigt sein können. Denn das regulative Gesetz der systematischen Einheit will, daß wir die Natur so studieren sollen, als ob allenthalben ins Unendliche systematische und zweckmäßige Einheit, bei der größtmöglichen Mannigfaltigkeit, angetroffen würde. Denn, wiewohl wir nur wenig von dieser Weltvollkommenheit ausspähen, oder erreichen werden, so gehört es doch zur Gesetzgebung unserer Vernunft, sie allerwärts zu suchen und zu vermuten, und es muß uns jederzeit vorteilhaft sein, niemals aber kann es nachteilig werden, nach diesem Prinzip die Naturbetrachtung anzustellen. Es ist aber, unter dieser Vorstellung, der zum Grunde gelegten Idee eines höchsten Urhebers, auch klar: daß ich nicht das Dasein und die Kenntnis eines solchen Wesens, sondern nur die Idee desselben zum Grunde lege, und also eigentlich nichts von diesem Wesen, sondern bloß von der Idee desselben, d.i. von der Natur der Dinge der Welt, nach einer solchen Idee, ableite. Auch scheint ein gewisses, obzwar unentwickeltes Bewußtsein, des echten Gebrauchs dieses unseren Vernunftbegriffs, die bescheidene und billige Sprache der Philosophen alle Zeiten veranlaßt zu haben, da sie von der Weisheit und Vorsorge der Natur, und der göttlichen Weisheit, als gleichbedeutenden Ausdrücken reden, ja den ersteren Ausdruck, so lange es um bloß spekulative Vernunft zu tun ist, vorziehen, weil er die Anmaßung einer größeren Behauptung, als die ist, wozu wir befugt sind, zurück hält, und zugleich die Vernunft auf ihr eigentümliches Feld, die Natur, zurück weist.

So enthält die reine Vernunft, die uns anfangs nichts Geringeres, als Erweiterung der Kenntnisse über alle Grenzen der Erfahrung, zu versprechen schiene, wenn wir sie recht verstehen, nichts als regulative Prinzipien, die zwar größere Einheit gebieten, als der empirische Verstandesgebrauch erreichen kann, aber eben dadurch, daß sie das Ziel der Annäherung desselben so weit hinaus rücken, die Zusammenstimmung desselben mit sich selbst durch systematische Einheit zum höchsten Grade bringen, wenn man sie aber mißversteht, und sie für konstitutive Prinzipien transzendenter Erkenntnisse hält, durch einen zwar glänzenden, aber trüglichen Schein, Überredung und eingebildetes Wissen, hiemit aber ewige Widersprüche und Streitigkeiten hervorbringen.
S.644-649
Aus: Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft , Philosophische Bibliothek Band 37a, Felix Meiner Verlag, Hamburg

Das Urwesen
Vermögen und Beschaffenheit des Urwesens
Das Wesenseigenschaften des Urwesens sind unerkennbar
Annahme einer höchsten Vernunft als eine Ursache aller Verknüpfungen in der Welt
Von dem transzendenten Ideal


Vermögen und Beschaffenheit des Urwesens
Natureinrichtungen, oder deren Veränderung zu erklären, wenn man da zu Gott, als dem Urheber aller Dinge, seine Zuflucht nimmt, ist wenigstens keine physische Erklärung, und überall ein Geständnis, man sei mit seiner Philosophie zu Ende; weil man genötigt ist, etwas, wovon man sonst für sich keinen Begriff hat, anzunehmen, um sich von der Möglichkeit dessen, was man vor Augen sieht, einen Begriff machen zu können.

Durch Metaphysik aber von der Kenntnis dieser Welt zum Begriffe von Gott und dem Beweise seiner Existenz durch sichere Schlüsse zu gelangen, ist darum unmöglich, weil wir diese Welt als das vollkommenste mögliche Ganze, mithin, zu diesem Behuf, alle mögliche Welten (um sie mit dieser vergleichen zu können) erkennen, mithin allwissend sein müßten, um zu sagen, daß sie nur durch einen Gott (wie wir uns diesen Begriff denken müssen) möglich war.

Vollends aber die Existenz dieses Wesens aus bloßen Begriffen zu erkennen, ist schlechterdings unmöglich, weil ein jeder Existentialsatz, d.i. der, so von einem Wesen, von dem ich mir einen Begriff mache, sagt, daß es existiere, ein synthetischer Satz ist, d.i. ein solcher, dadurch ich über jenen Begriff hinausgehe und mehr von ihm sage, als im Begriffe gedacht war: nämlich daß diesem Begriffe im Verstande noch ein Gegenstand außer dem Verstande korrespondierend gesetzt sei, welches offenbar unmöglich ist durch irgend einen Schlu
ss herauszubringen. Also bleibt nur ein einziges Verfahren für die Vernunft übrig, zu diesem Erkenntnisse zu gelangen, da sie nämlich, als reine Vernunft, von dem obersten Prinzip ihres reinen praktischen Gebrauchs ausgehend (indem dieser ohnedem bloß auf die Existenz von Etwas, als Folge der Vernunft, gerichtet ist), ihr Objekt bestimmt.

Und da zeigt sich, nicht allein in ihrer unvermeidlichen Aufgabe, nämlich der notwendigen Richtung des Willens auf das höchste Gut, die Notwendigkeit, ein solches Urwesen, in Beziehung auf die Möglichkeit dieses Guten in der Welt, anzunehmen, sondern, was das Merkwürdigste ist, etwas, was dem Fortgange der Vernunft auf dem Naturwege ganz mangelte, nämlich ein genau bestimmter Begriff dieses Urwesens. Da wir diese Welt nur zu einem kleinen Teile kennen, noch weniger sie mit allen möglichen Welten vergleichen können, so können wir von ihrer Ordnung, Zweckmäßigkeit und Größe wohl auf einen weisen, gütigen, mächtigen etc. Urheber derselben schließen, aber nicht auf seine Allwissenheit, Allgütigkeit, Allmacht, u.s.w.

Man kann auch gar wohl einräumen: da
ss man diesen unvermeidlichen Mangel durch eine erlaubte ganz vernünftige Hypothese zu ergänzen wohl befugt sei; daß nämlich, wenn in so viel Stücken, als sich unserer näheren Kenntnis darbieten, Weisheit, Gütigkeit etc. hervorleuchtet, in allen übrigen es eben so sein werde, und es also vernünftig sei, dem Welturheber alle mögliche Vollkommenheit beizulegen; aber das sind keine Schlüsse, wodurch wir uns auf unsere Einsicht etwas dünken, sondern nur Befugnisse, die man uns nachsehen kann, und doch noch einer anderweitigen Empfehlung bedürfen, um davon Gebrauch zu machen.

Der Begriff von Gott bleibt also auf dem empirischen Wege (der Physik) immer ein nicht genau bestimmter Begriff von der Vollkommenheit des ersten Wesens, um ihn dem Begriffe einer Gottheit für angemessen zu halten (mit der Metaphysik aber in ihrem transzendentalen Teile ist gar nichts auszurichten).

Ich versuche nun, diesen Begriff an das Objekt der praktischen Vernunft zu halten, und da finde ich, da
ss der moralische Grundsatz ihn nur als möglich, unter Voraussetzung eines Welturhebers von höchster Vollkommenheit, zulasse. Er muß allwissend sein, um mein Verhalten bis zum Innersten meiner Gesinnung in allen möglichen Fällen und in alle Zukunft zu erkennen; allmächtig, um ihm die angemessenen Folgen zu erteilen; eben so allgegenwärtig, ewig, usw. Mithin bestimmt das moralische Gesetz durch den Begriff des höchsten Guts, als Gegenstandes einer reinen praktischen Vernunft, den Begriff des Urwesens als höchsten Wesens, welches der physische (und höher fortgesetzt der metaphysische), mithin der ganze spekulative Gang der Vernunft nicht bewirken konnte. Also ist der Begriff von Gott ein ursprünglich nicht zur Physik, d.i. für die spekulative Vernunft, sondern zur Moral gehöriger Begriff, und eben das kann man auch von den übrigen Vernunftbegriffen sagen, von denen wir, als Postulaten derselben in ihrem praktischen Gebrauche, oben gehandelt haben.

Wenn man in der Geschichte der griechischen Philosophie über den Anaxagoras hinaus keine deutliche Spuren einer reinen Vernunfttheologie antrifft, so ist der Grund nicht darin gelegen, daß es den älteren Philosophen an Verstande und Einsicht fehlte, um durch den Weg der Spekulation, wenigstens mit Beihilfe einer ganz vernünftigen Hypothese, sich dahin zu erheben; was konnte leichter, was natürlicher sein, als der sich von selbst jedermann darbietende Gedanke, statt unbestimmter Grade der Vollkommenheit verschiedener Weltursachen, eine einzige vernünftige anzunehmen, die alle Vollkommenheit hat? Aber die Übel in der Welt schienen ihnen viel zu wichtige Einwürfe zu sein, um zu einer solchen Hypothese sich für berechtigt zu halten.

Mithin zeigten sie darin eben Verstand und Einsicht, daß sie sich jene nicht erlaubten, und vielmehr in den Naturursachen herum suchten, ob sie unter ihnen nicht die zu Urwesen erfoderliche Beschaffenheit und Vermögen antreffen möchten. Aber nachdem dieses scharfsinnige Volk so weit in Nachforschungen fortgerückt war, selbst sittliche Gegenstände, darüber andere Völker niemals mehr als geschwatzt haben, philosophisch zu behandeln: da fanden sie allererst ein neues Bedürfnis, nämlich ein praktisches, welches nicht ermangelte, ihnen den
Begriff des Urwesens bestimmt anzugeben, wobei die spekulative Vernunft das Zusehen hatte, höchstens noch das Verdienst, einen Begriff, der nicht auf ihrem Boden erwachsen war, auszuschmücken, und mit einem Gefolge von Bestätigungen aus der Naturbetrachtung, die nun allererst hervortraten, wohl nicht das Ansehen desselben (ewlches schon gegründet war), sondern vielmehr nur das Gepränge mit vermeinter theoretischer Vernunfteinsicht zu befördern. S.159-161
Aus: Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Felix Meiner Verlag, Hamburg

Das Wesenseigenschaften des Urwesens sind unerkennbar
Das Urwesen, als das höchste Wesen (realissimum) kann entweder als ein solches gedacht werden, dass es alle Realität als Bestimmung in sich enthalte. -

Dies ist für uns nicht wirklich, denn wir kennen nicht alle Realität rein, wenigstens können wir nicht einsehen, da
ss sie bei ihrer großen Verschiedenheit allein in einem Wesen angetroffen werden könne. Wir werden also annehmen, dass es ens realissimum als Grund sei, und dadurch kann es als Wesen, was uns gänzlich, nach dem, was es enthält, unerkennbar ist, vorgestellt werden. S.673
Aus: Immanuel Kant: Schriften zur Metaphysik und Logik 2, - Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolf's Zeiten in Deutschland gemacht hat SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft stw 189


Annahme einer höchsten Vernunft als eine Ursache aller Verknüpfungen in der Welt
Die Einwürfe des Hume wider den Deismus sind schwach, und treffen niemals etwas mehr als die Beweistümer, niemals aber den Satz der deistischen Behauptung selbst. Aber in Ansehung des Theismus, der durch eine nähere Bestimmung unseres dort bloß transzendenten Begriffs vom höchsten Wesen zu Stande kommen soll, sind sie sehr stark, und, nachdem man diesen Begriff einrichtet, in gewissen (in der Tat, allen gewöhnlichen) Fällen unwiderleglich.

Hume
hält sich immer daran: dass durch den bloßen Begriff eines Urwesens, dem wir keine andere als ontologische Prädikate (Ewigkeit, Allgegenwart, Allmacht) beilegen, wir wirklich gar nichts Bestimmtes denken, sondern es müßten Eigenschaften hinzukommen, die einen Begriff in concreto abgeben können: es sei nicht genug, zu sagen: er sei Ursache, sondern wie seine Kausalität beschaffen sei, etwa durch Verstand und Willen; und da fangen seine Angriffe der Sache selbst, nämlich des Theismus an, da er vorher nur die Beweisgründe des Deismus gestürmt hatte, welches keine sonderliche Gefahr nach sich zieht. Seine gefährlichen Argumente beziehen sich insgesamt auf den Anthropomorphismus, von dem er davor hält, er sei von dem Theismus unabtrennlich, und mache ihn in sich selbst widersprechend, ließe man ihn aber weg, so fiele dieser hiemit auch, und es bliebe nichts als ein Deismus übrig, aus dem man nichts machen, der uns zu nichts nützen und zu gar keinen Fundamenten der Religion und Sitten dienen kann.


Wenn diese Unvermeidlichkeit des Anthropomorphismus gewiss wäre, so möchten die Beweise vom Dasein eines höchsten Wesens sein, welche sie wollen, und alle eingeräumt werden, der Begriff von diesem Wesen würde doch niemals von uns bestimmt werden können, ohne uns in Widersprüche zu verwickeln.

Wenn wir mit dem Verbot, alle transzendente Urteile der reinen Vernunft zu vermeiden, das damit, dem Anschein nach, streitende Gebot, bis zu Begriffen, die außerhalb dem Felde des immanenten (empirischen Gebrauchs) liegen, hinauszugehen, verknüpfen, so werden wir inne, daß beide zusammen bestehen können, aber nur gerade auf der Grenze alles erlaubten Vernunftgebrauchs; denn diese gehöret eben so wohl zum Felde der Erfahrung, als dem der Gedankenwesen, und wir werden dadurch zugleich belehrt, wie jene so merkwürdige Ideen lediglich zur Grenzbestimmung der menschlichen Vernunft dienen, nämlich, einerseits Erfahrungserkenntnis nicht unbegrenzt auszudehnen, so daß gar nichts mehr als bloß Welt von uns zu erkennen übrig bliebe, und andererseits dennoch nicht über die Grenze der Erfahrung hinauszugehen, und von Dingen außerhalb derselben, als Dingen an sich selbst, urteilen zu wollen.

Wir halten uns aber auf dieser Grenze, wenn wir unser Urteil bloß auf das Verhältnis einschränken, welches die Welt zu einem Wesen haben mag, dessen Begriff selbst außer aller Erkenntnis liegt, deren wir innerhalb der Welt fähig sein. Denn alsdenn eignen wir dem höchsten Wesen keine von den Eigenschaften an sich selbst zu, durch die wir uns Gegenstände der Erfahrung denken, und vermeiden dadurch den dogmatischen Anthropomorphismus, wir legen sie aber dennoch dem Verhältnisse desselben zur Welt bei, und erlauben uns einen symbolischen Anthropomorphismus, der in der Tat nur die Sprache und nicht das Objekt selbst angeht.

Wenn ich sage, wir sind genötigt, die Welt so anzusehen, als ob sie das Werk eines höchsten Verstandes und Willens sei, so sage ich wirklich nichts mehr, als: wie sich verhält eine Uhr, ein Schiff, ein Regiment, zum Künstler, Baumeister, Befehlshaber, so die Sinnenwelt (oder alles das, was die Grundlage dieses Inbegriffs von Erscheinungen ausmacht) zu dem Unbekannten, das ich also hiedurch zwar nicht nach dem, was es an sich selbst ist, aber doch nach dem, was es vor mich ist, nämlich in Ansehung der Welt, davon ich ein Teil bin, erkenne. §. 58 Eine solche Erkenntnis ist die nach der Analogie, welche nicht etwa, wie man das Wort gemeiniglich nimmt, eine unvollkommene Ähnlichkeit zweier Dinge, sondern eine vollkommne Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen bedeutet.*
*So ist eine Analogie zwischen dem rechtlichen Verhältnisse menschlicher Handlungen, und dem mechanischen Verhältnisse der bewegenden Kräfte: ich kann gegen einen andern niemals etwas tun, ohne ihm ein Recht zu geben, unter den nämlichen Bedingungen eben dasselbe gegen mich zu tun; eben so wie kein Körper auf einen andern mit seiner bewegenden Kraft wirken kann, ohne dadurch zu verursachen, daß der andre ihm eben so viel entgegen wirke. Hier sind Recht und bewegende Kraft ganz unähnliche Dinge, aber in ihrem Verhältnisse ist doch völlige Ähnlichkeit. Vermittelst einer solchen Analogie kann ich daher einen Verhältnisbegriff von Dingen, die mir absolut unbekannt sind, geben. Z.B. wie sich verhält die Beförderung des Glücks der Kinder = a zu der Liebe der Eltern = b, so die Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts = c zu dem Unbekannten in Gott = x, welches wir Liebe nennen; nicht als wenn es die mindeste Ähnlichkeit mit irgend einer menschlichen Neigung hätte, sondern, weil wir das Verhältnis derselben zur Welt demjenigen ähnlich setzen können, was Dinge der Welt unter einander haben. Der Verhältnisbegriff aber ist hier eine bloße Kategorie, nämlich der Begriff der Ursache, der nichts mit Sinnlichkeit zu tun hat.

Vermittelst dieser Analogie bleibt doch ein vor uns hinlänglich bestimmter Begriff von dem höchsten Wesen übrig, ob wir gleich alles weggelassen haben, was ihn schlechthin und an sich selbst bestimmen könnte; denn wir bestimmen ihn doch respektiv auf die Welt und mithin auf uns, und mehr ist uns auch nicht nötig. Die Angriffe, welche Hume auf diejenigen tut, welche diesen Begriff absolut bestimmen wollen, indem sie die Materialien dazu von sich selbst und der Welt entlehnen, treffen uns nicht; auch kann er uns nicht vorwerfen, es bleibe uns gar nichts übrig, wenn man uns den objektiven Anthropomorphismus von dem Begriffe des höchsten Wesens wegnähme.

Denn wenn man uns nur anfangs (wie es auch Hume in der Person des Philo gegen den Kleanthes in seinen Dialogen tut), als eine notwendige Hypothese, den deistischen Begriff des Urwesens einräumt, in welchem man sich das Urwesen durch lauter ontologische Prädikate, der Substanz, Ursache etc. denkt (welches man tun mu
ss, weil die Vernunft, in der Sinnenwelt durch lauter Bedingungen, die immer wiederum bedingt sind, getrieben, ohne das gar keine Befriedigung haben kann, und welches man auch füglich tun kann, ohne in den Anthropomorphismus zu geraten, der Prädikate aus der Sinnenwelt auf ein von der Welt ganz unterschiedenes Wesen überträgt, indem jene Prädikate bloße Kategorien sind, die zwar keinen bestimmten, aber auch eben dadurch keinen auf Bedingungen der Sinnlichkeit eingeschränkten Begriff desselben geben): so kann uns nichts hindern, von diesem Wesen eine Kausalität durch Vernunft in Ansehung der Welt zu prädizieren, und so zum Theismus überzuschreiten, ohne eilen genötigt zu sein, ihm diese Vernunft an ihm selbst, als eine ihm anklebende Eigenschaft, beizulegen.

Denn, was das erste betrifft, so ist es der einzige mögliche Weg, den Gebrauch der Vernunft, in Ansehung aller möglichen Erfahrung, in der Sinnenwelt durchgängig mit sich einstimmig auf den höchsten Grad zu treiben, wenn man selbst wiederum eine höchste Vernunft als eine Ursache aller Verknüpfungen in der Welt annimmt: ein solches Prinzip muß ihr durchgängig vorteilhaft sein, kann ihr aber nirgend in ihrem Naturgebrauche schaden.

Zweitens
aber wird dadurch doch die Vernunft nicht als Eigenschaft auf das Urwesen an sich selbst übertragen, sondern nur auf das Verhältnis desselben zur Sinnenwelt und also der Anthropomorphismus gänzlich vermieden. Denn hier wird nur die Ursache der Vernunftform betrachtet, die in der Welt allenthalben angetroffen wird, und dem höchsten Wesen, so fern es den Grund dieser Vernunftform der Welt enthält, zwar Vernunft beigelegt, aber nur nach der Analogie, d.i. so fern dieser Ausdruck nur das Verhältnis anzeigt, was die uns unbekannte oberste Ursache zur Welt hat, um darin alles im höchsten Grade vernunftmäßig zu bestimmen. Dadurch wird nun verhütet, daß wir uns der Eigenschaft der Vernunft nicht bedienen, um Gott, sondern um die Welt vermittelst derselben so zu denken, als es notwendig ist, um den größtmöglichen Vernunftgebrauch in Ansehung dieser nach einem Prinzip zu haben.

Wir gestehen dadurch: daß uns das höchste Wesen nach demjenigen, was es an sich selbst sei, gänzlich unerforschlich und auf bestimmte Weise so gar undenkbar sei, und werden dadurch abgehalten, nach unseren Begriffen, die wir von der Vernunft als einer wirkenden Ursache (vermittelst des Willens) haben, keinen transzendenten Gebrauch zu machen, um die göttliche Natur durch Eigenschaften, die doch immer nur von der menschlichen Natur entlehnt sind, zu bestimmen und uns in grobe oder schwärmerische Begriffe zu verlieren, anderer Seits aber auch nicht die Weltbetrachtung, nach unseren auf Gott übertragenden Begriffen von der menschlichen Vernunft, mit hyperphysischen Erklärungsarten zu überschwemmen und von ihrer eigentlichen Bestimmung abzubringen, nach der sie ein Studium der bloßen Natur durch die Vernunft und nicht eine vermessene Ableitung ihrer Erscheinungen von einer höchsten Vernunft sein soll. Der unseren schwachen Begriffen angemessene Ausdruck wird sein: dass wir uns die Welt so denken, als ob sie von einer höchsten Vernunft ihrem Dasein und inneren Bestimmung nach abstamme, wodurch wir teils die Beschaffenheit, die ihr, der Welt, selbst zukommt, erkennen, ohne uns doch anzumaßen, die ihrer Ursache an sich selbst bestimmen zu wollen, teils anderer Seits in das Verhältnis der obersten Ursache zur Welt den Grund dieser Beschaffenheit (der Vernunftform in der Welt) legen, ohne die Welt dazu vor sich selbst zureichend zu finden.*
*Ich werde sagen: die Kausalität der obersten Ursache ist dasjenige in Ansehung der Welt, was menschliche Vernunft in Ansehung ihrer Kunstwerke ist. Dabei bleibt mir die Natur der obersten Ursache selbst unbekannt: ich vergleiche nur ihre mir bekannte Wirkung (die Weltordnung) und deren Vernunftmäßigkeit mit den mir bekannten Wirkungen menschlicher Vernunft, und nenne daher jene eine Vernunft, ohne darum eben dasselbe, was ich am Menschen unter diesem Ausdruck verstehe, oder sonst etwas mir Bekanntes ihr als ihre Eigenschaft beizulegen.

Auf solche Weise verschwinden die Schwierigkeiten, die dem Theismus zu widerstehen scheinen, dadurch: daß man mit dem Grundsatze des Hume, den Gebrauch der Vernunft nicht über das Feld aller möglichen Erfahrung dogmatisch hinaus zu treiben, einen anderen Grundsatz verbindet, den Hume gänzlich übersah, nämlich: das Feld möglicher Erfahrung nicht vor dasjenige, was in den Augen unserer Vernunft sich selbst begrenzte, anzusehen. Kritik der Vernunft bezeichnet hier den wahren Mittelweg zwischen dem Dogmatismus, den Hume bekämpfte, und dem Skeptizismus, den er dagegen einführen wollte, einen Mittelweg, der nicht, wie andere Mittelwege, die man gleichsam mechanisch (etwas von einem, und etwas von dem andern) sich selbst zu bestimmen anrät, und wodurch kein Mensch eines Besseren belehrt wird, sondern einen solchen, den man nach Prinzipien genau bestimmen kann.
S. 122-128
Aus: Immanuel Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik §. 58, Felix Meiner Verlag, Hamburg (PhB Bd. 40)

Des dritten Hauptstücks zweiter Abschnitt
Von dem transzendentalen Ideal
(prototypon transscendentale)
Ein jeder Begriff ist in Ansehung dessen, was in ihm selbst nicht enthalten ist, unbestimmt, und steht unter dem Grundsatze der Bestimmbarkeit: daß nur eines, von jeden zweien einander kontradiktorisch-entgegengesetzten Prädikaten, ihm zukommen könne, welcher auf dem Satze des Widerspruchs beruht, und daher ein bloß logisches Prinzip ist, das von allem Inhalte der Erkenntnis abstrahiert, und nichts, als die logische Form derselben vor Augen hat.

Ein jedes Ding aber, seiner Möglichkeit nach, steht noch unter dem Grundsatze der durchgängigen Bestimmung, nach welchem ihm von allen möglichen Prädikaten der Dinge, so fern sie mit ihren Gegenteilen verglichen werden, eines zukommen muß. Dieses beruht nicht bloß auf dem Satze des Widerspruchs; denn es betrachtet, außer dem Verhältnis zweier einander widerstreitenden Prädikate, jedes Ding noch im Verhältnis auf die gesamte Möglichkeit, als den Inbegriff aller Prädikate der Dinge überhaupt, und, indem es solche als Bedingung a priori voraussetzt, so stellt es ein jedes Ding so vor, wie es von dem Anteil, den es an jener gesamten Möglichkeit hat, seine eigene Möglichkeit ableite.*
*Es wird also durch diesen Grundsatz jedes Ding auf ein gemeinschaftliches Correlatum, nämlich die gesamte Möglichkeit, bezogen, welche, wenn sie (d.i. der Stoff zu allen möglichen Prädikaten) in der Idee eines einzigen Dinges angetroffen würde, eine Affinität alles Möglichen durch die Identität des Grundes der durchgängigen Bestimmung desselben beweisen würde. Die Bestimmbarkeit eines jeden Begriffs ist der Allgemeinheit (universalitas) des Grundsatzes der Ausschließung eines Mittleren zwischen zweien entgegengesetzten Prädikaten, die Bestimmung aber eines Dinges der Allheit (universitas) der dem Inbegriffe aller möglichen Prädikate untergeordnet.

Das Principium der durchgängigen Bestimmung betrifft also den Inhalt und nicht bloß die logische Form. Es ist der Grundsatz der Synthesis aller Prädikate, die den vollständigen Begriff von einem Dinge machen sollen, und nicht bloß der analytischen Vorstellung, durch eines zweier entgegengesetzten Prädikate, und enthält eine transzendentale Voraussetzung, nämlich die der Materie zu aller Möglichkeit, welche a priori die Data zur besonderen Möglichkeit jedes Dinges enthalten soll.

Der Satz: alles Existierende ist durchgängig bestimmt, bedeutet nicht allein, daß von jedem Paare einander entgegengesetzter gegebenen, sondern auch von allen möglichen Prädikaten ihm immer eines zukomme; es werden durch diesen Satz nicht bloß Prädikate unter einander logisch, sondern das Ding selbst, mit dem Inbegriffe aller möglichen Prädikate, transzendental verglichen. Er will so viel sagen, als: um ein Ding vollständig zu erkennen, muß man alles Mögliche erkennen, und es dadurch, es sei bejahend oder verneinend, bestimmen. Die durchgängige Bestimmung ist folglich ein Begriff, den wir niemals in concreto seiner Totalität nach darstellen können, und gründet sich also auf einer Idee, welche lediglich in der Vernunft ihren Sitz hat, die dem Verstande die Regel seines vollständigen Gebrauchs vorschreibt.

Ob nun zwar diese Idee von dem Inbegriffe aller Möglichkeit, so fern er als Bedingung der durchgängigen Bestimmung eines jeden Dinges zum Grunde liegt, in Ansehung der Prädikate, die denselben ausmachen mögen, selbst noch unbestimmt ist, und wir dadurch nichts weiter als einen Inbegriff aller möglichen Prädikate überhaupt denken, so finden wir doch bei näherer Untersuchung, daß diese Idee, als Urbegriff, eine Menge von Prädikaten ausstoße, die als abgeleitet durch andere schon gegeben sind, oder neben einander nicht stehen können, und daß sie sich bis zu einem durchgängig a priori bestimmten Begriffe läutere, und dadurch der Begriff von einem einzelnen Gegenstande werde, der durch die bloße Idee durchgängig bestimmt ist, mithin ein Ideal der reinen Vernunft genannt werden muß.

Wenn wir alle mögliche Prädikate nicht bloß logisch, sondern transzendental, d.i. nach ihrem Inhalte, der an ihnen a priori gedacht werden kann, erwägen, so finden wir, daß durch einige derselben ein Sein, durch andere ein bloßes Nichtsein vorgestellet wird. Die logische Verneinung, die lediglich durch das Wörtchen: Nicht, angezeigt wird, hängt eigentlich niemals einem Begriffe, sondern nur dem Verhältnisse desselben zu einem andern im Urteile an, und kann also dazu bei weitem nicht hinreichend sein, einen Begriff in Ansehung seines Inhalts zu bezeichnen. Der Ausdruck: Nichtsterblich, kann gar nicht zu erkennen geben, daß dadurch ein bloßes Nichtsein am Gegenstande vorgestellet werde, sondern läßt allen Inhalt unberührt. Eine transzendentale Verneinung bedeutet dagegen das Nichtsein an sich selbst, dem die transzendentale Bejahung entgegengesetzt wird, welche ein Etwas ist, dessen Begriff an sich selbst schon ein Sein ausdrückt, und daher Realität (Sachheit) genannt wird, weil durch sie allein, und so weit sie reichet, Gegenstände Etwas (Dinge) sind, die entgegenstehende Negation hingegen einen bloßen Mangel bedeutet, und, wo diese allein gedacht wird, die Aufhebung alles Dinges vorgestellt wird.

Nun kann sich niemand eine Verneinung bestimmt denken, ohne daß er die entgegengesetzte Bejahung zum Grunde liegen habe. Der Blindgeborne kann sich nicht die mindeste Vorstellung von Finsternis machen, weil er keine vom Lichte hat, der Wilde nicht von der Armut, weil er den Wohlstand nicht kennt.**
**Die Beobachtungen und Berechnungen der Sternkundiger haben uns viel Bewundernswürdiges gelehrt, aber das Wichtigste ist wohl, daß sie uns den Abgrund der Unwissenheit aufgedeckt haben, den die menschliche Vernunft, ohne diese Kenntnisse, sich niemals so groß hätte vorstellen können, und worüber das Nachdenken eine große Veränderung in der Bestimmung der Endabsichten unseres Vernunftgebrauchs hervorbringen muß.

Der Unwissende hat keinen Begriff von seiner Unwissenheit, weil er keinen von der Wissenschaft hat, u.s.w. Es sind also auch alle Begriffe der Negationen abgeleitet, und die Realitäten enthalten die Data und so zu sagen die Materie, oder den transzendentalen Inhalt, zu der Möglichkeit und durchgängigen Bestimmung aller Dinge.

Wenn also der durchgängigen Bestimmung in unserer Vernunft ein transzendentales Substratum zum Grunde gelegt wird, welches gleichsam den ganzen Vorrat des Stoffes, daher alle mögliche Prädikate der Dinge genommen werden können, enthält, so ist dieses Substratum nichts anders, als die Idee von einem All der Realität (omnitudo realitatis). Alle wahre Verneinungen sind alsdenn nichts als Schranken, welches sie nicht genannt werden könnten, wenn nicht das Unbeschränkte (das All) zum Grunde läge.

Es ist aber auch durch diesen Allbesitz der Realität der Begriff eines Dinges an sich selbst, als durchgängig bestimmt, vorgestellt, und der Begriff eines entis realissimi ist der Begriff eines einzelnen Wesens, weil von allen möglichen entgegengesetzten Prädikaten eines, nämlich das, was zum Sein schlechthin gehört, in seiner Bestimmung angetroffen wird. Also ist es ein transzendentales Ideal, welches der durchgängigen Bestimmung, die notwendig bei allem, was existiert, angetroffen wird, zum Grunde liegt, und die oberste und vollständige materiale Bedingung seiner Möglichkeit ausmacht, auf welcher alles Denken der Gegenstände überhaupt ihrem Inhalte nach zurückgeführt werden muss. Es ist aber auch das einzige eigentliche Ideal, dessen die menschliche Vernunft fähig ist; weil nur in diesem einzigen Falle ein an sich allgemeiner Begriff von einem Dinge durch sich selbst durchgängig bestimmt, und als die Vorstellung von einem Individuum erkannt wird.

Die logische Bestimmung eines Begriffs durch die Vernunft beruht auf einem disjunktiven Vernunftschlusse, in welchem der Obersatz eine logische Einteilung (die Teilung der Sphäre eines allgemeinen Begriffs) enthält, der Untersatz diese Sphäre bis auf einen Teil einschränkt und der Schlußsatz den Begriff durch diesen bestimmt. Der allgemeine Begriff einer Realität überhaupt kann a priori nicht eingeteilt werden, weil man ohne Erfahrung keine bestimmte Arten von Realität kennt, die unter jener Gattung enthalten wären. Also ist der transzendentale Obersatz der durchgängigen Bestimmung aller Dinge nichts anders, als die Vorstellung des Inbegriffs aller Realität, nicht bloß ein Begriff, der alle Prädikate ihrem transzendentalen Inhalte nach unter sich, sondern der sie in sich begreift, und die durchgängige Bestimmung eines jeden Dinges beruht auf der Einschränkung dieses All der Realität, indem einiges derselben dem Dinge beigelegt, das übrige aber ausgeschlossen wird, welches mit dem Entweder und Oder des disjunktiven Obersatzes und der Bestimmung des Gegenstandes, durch eins der Glieder dieser Teilung im Untersatze, übereinkommt. Demnach ist der Gebrauch der Vernunft, durch den sie das transzendentale Ideal zum Grunde ihrer Bestimmung aller möglichen Dinge legt, demjenigen analogisch, nach welchem sie in disjunktiven Vernunftschlüssen verfährt; welches der Satz war, den ich oben zum Grunde der systematischen Einteilung aller transzendentalen Ideen legte, nach welchem sie den drei Arten von Vernunftschlüssen parallel und korrespondierend erzeugt werden.

Es versteht sich von selbst, daß die Vernunft zu dieser ihrer Absicht, nämlich sich lediglich die notwendige durchgängige Bestimmung der Dinge vorzustellen, nicht die Existenz eines solchen Wesens, das dem Ideale gemäß ist, sondern nur die Idee desselben voraussetze, um von einer unbedingten Totalität der durchgängigen Bestimmung die bedingte, d.i. die des Eingeschränkten abzuleiten. Das Ideal ist ihr also das Urbild (prototypon) aller Dinge, welche insgesamt, als mangelhafte Kopien (ectypa), den Stoff zu ihrer Möglichkeit daher nehmen, und, indem sie demselben mehr oder weniger nahe kommen, dennoch jederzeit unendlich weit daran fehlen, es zu erreichen.

So wird denn alle Möglichkeit der Dinge (der Synthesis des Mannigfaltigen ihrem Inhalte nach) als abgeleitet und nur allein die desjenigen, was alle Realität in sich schließt, als ursprünglich angesehen. Denn alle Verneinungen (welche doch die einzigen Prädikate sind, wodurch sich alles andere vom realesten Wesen unterscheiden läßt) sind bloße Einschränkungen einer größeren und endlich der höchsten Realität, mithin setzen sie diese voraus, und sind dem Inhalte nach von ihr bloß abgeleitet. Alle Mannigfaltigkeit der Dinge ist nur eine eben so vielfältige Art, den Begriff der höchsten Realität, der ihr gemeinschaftliches Substratum ist, einzuschränken, so wie alle Figuren nur als verschiedene Arten, den unendlichen Raum einzuschränken, möglich sind. Daher wird der bloß in der Vernunft befindliche Gegenstand ihres Ideals auch das Urwesen (ens originarium), so fern es keines über sich hat, das höchste Wesen (ens summum), und, so fern alles, als bedingt, unter ihm steht, das Wesen aller Wesen (ens entium) genannt. Alles dieses aber bedeutet nicht das objektive Verhältnis eines wirklichen Gegenstandes zu andern Dingen, sondern der Idee zu Begriffen, und läßt uns wegen der Existenz eines Wesens von so ausnehmendem Vorzuge in völliger Unwissenheit.

Weil man auch nicht sagen kann, daee ein Urwesen aus viel abgeleiteten Wesen bestehe, indem ein jedes derselben jenes voraussetzt, mithin es nicht ausmachen kann, so wird das Ideal des Urwesens auch als einfach gedacht werden müssen.

Die Ableitung aller anderen Möglichkeit von diesem Urwesen wird daher, genau zu reden, auch nicht als eine Einschränkung seiner höchsten Realität und gleichsam als eine Teilung derselben angesehen werden können; denn alsdenn würde das Urwesen als ein bloßes Aggregat von abgeleiteten Wesen angesehen werden, welches nach dem Vorigen unmöglich ist, ob wir es gleich anfänglich im ersten rohen Schattenrisse so vorstelleten. Vielmehr würde der Möglichkeit aller Dinge die höchste Realität als ein Grund und nichts als Inbegriff zum Grunde liegen, und die Mannigfaltigkeit der ersteren nicht auf der Einschränkung des Urwesens selbst, sondern seiner vollständigen Folge beruhen, zu welcher denn auch unsere ganze Sinnlichkeit, samt aller Realität in der Erscheinung, gehören würde, die zu der Idee des höchsten Wesens, als ein Ingrediens, nicht gehören kann.

Wenn wir nun dieser unserer Idee, indem wir sie hypostasieren, so ferner nachgehen, so werden wir das Urwesen durch den bloßen Begriff der höchsten Realität als ein einiges, einfaches, allgenugsames, ewiges etc., mit einem Worte, es in seiner unbedingten Vollständigkeit durch alle Prädikamente bestimmen können. Der Begriff eines solchen Wesens ist der von Gott, in transzendentalem Verstande gedacht, und so ist das Ideal der reinen Vernunft der Gegenstand einer transzendentalen Theologie, so wie ich es auch oben angeführt habe.

Indessen würde dieser Gebrauch der transzendentalen Idee doch schon die Grenzen ihrer Bestimmung und Zulässigkeit überschreiten. Denn die Vernunft legte sie nur, als den Begriff von aller Realität, der durchgängigen Bestimmung der Dinge überhaupt zum Grunde, ohne zu verlangen, daß alle diese Realität objektiv gegeben sei und selbst ein Ding ausmache. Dieses letztere ist eine bloße Erdichtung, durch welche wir das Mannigfaltige unserer Idee in einem Ideale, als einem besonderen Wesen, zusammenfassen und realisieren, wozu wir keine Befugnis haben, so gar nicht einmal, die Möglichkeit einer solchen Hypothese geradezu anzunehmen, wie denn auch alle Folgerungen, die aus einem solchen Ideale abfließen, die durchgängige Bestimmung der Dinge überhaupt, als zu deren Behuf die Idee allein nötig war, nichts angehen, und darauf nicht den mindesten Einfluß haben.

Es ist nicht genug, das Verfahren unserer Vernunft und ihre Dialektik zu beschreiben, man muß auch die Quellen derselben zu entdecken suchen, um diesen Schein selbst, wie ein Phänomen des Verstandes, erklären zu können; denn das Ideal, wovon wir reden, ist auf einer natürlichen und nicht bloß willkürlichen Idee gegründet. Daher frage ich: wie kommt die Vernunft dazu, alle Möglichkeit der Dinge als abgeleitet von einer einzigen, die zum Grunde liegt, nämlich der der höchsten Realität, anzusehen, und diese sodann, als in einem besonderen Urwesen enthalten, vorauszusetzen ?

Die Antwort bietet sich aus den Verhandlungen der transzendentalen Analytik von selbst dar. Die Möglichkeit der Gegenstände der Sinne ist ein Verhältnis derselben zu unserm Denken, worin etwas (nämlich die empirische Form) a priori gedacht werden kann, dasjenige aber, was die Materie ausmacht, die Realität in der Erscheinung (was der Empfindung entspricht), gegeben sein muß, ohne welches es auch gar nicht gedacht und mithin seine Möglichkeit nicht vorgestellet werden könnte. Nun kann ein Gegenstand der Sinne nur durchgängig bestimmt werden, wenn er mit allen Prädikaten der Erscheinung verglichen und durch dieselbe bejahend oder verneinend vorgestellet wird. Weil aber darin dasjenige, was das Ding selbst (in der Erscheinung) ausmacht, nämlich das Reale, gegeben sein muß, ohne welches es auch gar nicht gedacht werden könnte; dasjenige aber, worin das Reale aller Erscheinungen gegeben ist, die einige allbefassende Erfahrung ist: so muss die Materie zur Möglichkeit aller Gegenstände der Sinne, als in einem Inbegriffe gegeben, vorausgesetzt werden, auf dessen Einschränkung allein alle Möglichkeit empirischer Gegenstände, ihr Unterschied von einander und ihre durchgängige Bestimmung, beruhen kann. Nun können uns in der Tat keine andere Gegenstände, als die der Sinne, und nirgend, als in dem Kontext einer möglichen Erfahrung gegeben werden, folglich ist nichts für uns ein Gegenstand, wenn es nicht den Inbegriff aller empirischen Realität als Bedingung seiner Möglichkeit voraussetzt. Nach einer natürlichen Illusion sehen wir nun das für einen Grundsatz an, der von allen Dingen überhaupt gelten müsse, welcher eigentlich nur von denen gilt, die als Gegenstände unserer Sinne gegeben werden. Folglich werden wir das empirische Prinzip unserer Begriffe der Möglichkeit der Dinge, als Erscheinungen, durch Weglassung dieser Einschränkung, für ein transzendentales Prinzip der Möglichkeit der Dinge überhaupt halten.

Daß wir aber hernach diese Idee vom Inbegriffe aller Realität hypostasieren, kommt daher: weil wir die distributive Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes in die kollektive Einheit eines Erfahrungsganzen dialektisch verwandeln, und an diesem Ganzen der Erscheinung uns ein einzelnes Ding denken, was alle empirische Realität in sich enthält, welches denn, vermittelst der schon gedachten transzendentalen Subreption [Erschleichung], mit dem Begriffe eines Dinges verwechselt wird, was an der Spitze der Möglichkeit aller Dinge steht, zu deren durchgängiger Bestimmung es die realen Bedingungen hergibt.***
***Dieses Ideal des allerrealesten Wesens wird also, ob es zwar eine bloße Vorstellung ist, zuerst realisiert, d.i. zum Objekt gemacht, darauf hypostasiert, endlich, durch einen natürlichen Fortschritt der Vernunft zur Vollendung der Einheit, so gar personifiziert, wie wir bald anführen werden; weil die regulative Einheit der Erfahrung nicht auf den Erscheinungen selbst (der Sinnlichkeit allein), sondern auf der Verknüpfung ihres Mannigfaltigen durch den Verstand (in einer Apperzeption) beruht, mithin die Einheit der höchsten Realität und die durchgängige Bestimmbarkeit (Möglichkeit) aller Dinge in einem höchsten Verstande, mithin in einer Intelligenz zu liegen scheint. S. 551-560
Aus: Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. Philosophische Bibliothek Band 37a, Felix Meiner Verlag, Hamburg

Analyse der Gottesbeweise
Von den Beweisgründen der spekulativen Vernunft, auf das Dasein eines höchsten Wesens zu schließen
Es sind nur drei Beweisarten vom Dasein Gottes aus spekulativer Vernunft möglich.
Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises vom Dasein Gottes
Von der Unmöglichkeit eines kosmologischen Beweises vom Dasein Gottes
Der wahre Abgund für die menschliche Vernunft
Entdeckung und Erklärung des dialektischen Scheins in allen transzendentalen Beweisen vom Dasein eines notwendigen Wesens
Von der Unmöglichkeit des physikotheologischen Beweises
Kritik aller Theologie aus spekulativen Prinzipen der Vernunft

Des dritten Hauptstücks Dritter Abschnitt

Von den Beweisgründen der spekulativen Vernunft, auf das Dasein eines höchsten Wesens zu schließen
Ungeachtet dieser dringenden Bedürfnis der Vernunft, etwas vorauszusetzen, was dem Verstande zu der durchgängigen Bestimmung seiner Begriffe vollständig zum Grunde liegen könne, so bemerkt sie doch das Idealische und bloß Gedichtete einer solchenVoraussetzung viel zu leicht, als daß sie dadurch allein überredet werden sollte, ein bloßes Selbstgeschöpf ihres Denkens sofort für ein wirkliches Wesen anzunehmen, wenn sie nicht wodurch anders gedrungen würde, irgendwo ihren Ruhestand, in dem Regressus vom Bedingten, das gegeben ist, zum Unbedingten, zu suchen, das zwar an sich und seinem bloßen Begriff nach nicht als wirklich gegeben ist, welches aber allein die Reihe der zu ihren Gründen hinausgeführten Bedingungen vollenden kann. Dieses ist nun der natürliche Gang, den jede menschliche Vernunft, selbst die gemeineste, nimmt, obgleich nicht eine jede in demselben aushält. Sie fängt nicht von Begriffen, sondern von der gemeinen Erfahrung an, und legt also etwas Existierendes zum Grunde. Dieser Boden aber sinkt, wenn er nicht auf dem unbeweglichen Felsen des Absolutnotwendigen ruhet. Dieser selber aber schwebt ohne Stütze, wenn noch außer und unter ihm leerer Raum ist, und er nicht selbst alles erfüllet und dadurch keinen Platz zum Warum mehr übrig läßt, d.i. der Realität nach unendlich ist.

Wenn etwas, was es auch sei, existiert, so muß auch eingeräumt werden, daß irgend etwas n o t w e n d i g e r w e i s e existiere. Denn das Zufällige existiert nur unter der Bedingung eines anderen, als seiner Ursache, und von dieser gilt der Schluß fernerhin, bis zu einer Ursache, die nicht zufällig und eben darum ohne Bedingung notwendigerweise da ist. Das ist das Argument, worauf die Vernunft ihren Fortschritt zum Urwesen gründet.

Nun sieht sich die Vernunft nach dem Begriffe eines Wesens um, das sich zu einem solchen Vorzuge der Existenz, als die unbedingte Notwendigkeit, schicke, nicht so wohl, um alsdenn von dem Begriffe desselben a priori auf sein Dasein zu schließen (denn, getrauete sie sich dieses, so dürfte sie überhaupt nur unter bloßen Begriffen forschen, und hätte nicht nötig,ein gegebenes Dasein zum Grunde zu legen), sondern nur, um unter allen Begriffen möglicher Dinge denjenigen zu finden, der nichts der absoluten Notwendigkeit Widerstreitendes in sich hat. Denn, daß doch irgend etwas schlechthin notwendig existieren müsse, hält sie nach dem ersteren Schlusse schon für ausgemacht. Wenn sie nun alles wegschaffen kann, was sich mit dieser Notwendigkeit nicht verträgt, außer einem: so ist dieses das schlechthinnotwendige Wesen, man mag nun die Notwendigkeit desselben begreifen, d.i. aus seinem Begriffe allein ableiten können, oder nicht.

Nun scheint dasjenige, dessen Begriff zu allem Warum das Darum in sich enthält, das in keinem Stücke und in keiner Absicht defekt ist, welches allerwärts als Bedingung hinreicht, eben darum das zur absoluten Notwendigkeit schickliche Wesen zu sein, weil es, bei dem Selbstbesitz aller Bedingungen zu allem Möglichen, selbst keiner Bedingung bedarf, ja derselben nicht einmal fähig ist, folglich, wenigstens in einem Stücke, dem Begriffe der unbedingten Notwendigkeit ein Genüge tut, darin es kein anderer Begriff ihm gleichtun kann, der, weil er mangelhaft und der Ergänzung bedürftig ist, kein solches Merkmal der Unabhängigkeit von allen ferneren Bedingungen an sich zeigt. Es ist wahr, daß hieraus noch nicht sicher gefolgert werden könne, daß, was nicht die höchste und in aller Absicht vollständige Bedingung in sich enthält, darum selbst seiner Existenz nach bedingt sein müsse; aber es hat denn doch das einzige Merkzeichen des unbedingten Daseins nicht an sich, dessen die Vernunft mächtig ist, um durch einen Begriff a priori irgend ein Wesen als unbedingt zu erkennen.

Der Begriff eines Wesens von der höchsten Realität würde sich also unter allen Begriffen möglicher Dinge zu dem Begriffe eines unbedingtnotwendigen Wesens am besten schicken, und, wenn er diesem auch nicht völlig genugtut, so haben wir doch keine Wahl, sondern sehen uns genötigt, uns an ihn zu halten, weil wir die Existenz eines notwendigen Wesens nicht in den Wind schlagen dürfen, geben wir sie aber zu, doch in dem ganzen Felde der Möglichkeit nichts finden können, was auf einen solchen Vorzug im Dasein einen gegründetem Anspruch machen könnte.

So ist also der natürliche Gang der menschlichen Vernunft beschaffen. Zuerst überzeugt sie sich vom Dasein i r g e n d e i n e s notwendigen Wesens. In diesem erkennt sie eine unbedingte Existenz. Nun sucht sie den Begriff des Unabhängigen von aller Bedingung, und findet ihn in dem, was selbst die zureichende Bedingung zu allem andern ist, d.i. in demjenigen, was alle Realität enthält. Das All aber ohne Schranken ist absolute Einheit, und führt den Begriff eines einigen, nämlich des höchsten Wesens bei sich, und so schließt sie, daß das höchste Wesen, als Urgrund aller Dinge, schlechthin notwendiger Weise da sei.

Diesem Begriffe kann eine gewisse Gründlichkeit nicht gestritten werden, wenn von E n t s c h l i e ß u n g e n die Rede ist, nämlich, wenn einmal das Dasein irgend eines notwendigen Wesens zugegeben wird, und man darin übereinkommt, daß man seine Partei ergreifen müsse, worin man dasselbe setzen wolle; denn alsdann kann man nicht schicklicher wählen, oder man hat vielmehr keine Wahl, sondern ist genötigt, der absoluten Einheit der vollständigen Realität, als dem Urquelle der Möglichkeit, seine Stimme zu geben. Wenn uns aber nichts treibt, uns zu entschließen, und wir lieber diese ganze Sache dahin gestellt sein ließen, bis wir durch das volle Gewicht der Beweisgründe zum Beifalle gezwungen würden, d.i. wenn es bloß um B e u r t e i l u n g zu tun ist, wie viel wir von dieser Aufgabe wissen, und was wir uns nur zu wissen schmeicheln: dann erscheint obiger Schluß bei weitem nicht in so vorteilhafter Gestalt, und bedarf Gunst, um den Mangel seiner Rechtsansprüche zu ersetzen.

Denn, wenn wir alles so gut sein lassen, wie es hier vor uns liegt, daß nämlich erstlich von irgend einer gegebenen Existenz (allenfalls auch bloß meiner eigenen) ein richtiger Schluß auf die Existenz eines unbedingt notwendigen Wesens stattfinde; zweitens daß ich ein Wesen, welches alle Realität, mithin auch alle Bedingung enthält, als schlechthin unbedingt ansehen müsse, folglich der Begriff des Dinges, welches sich zur absoluten Notwendigkeit schickt, hiedurch gefunden sei: so kann daraus doch gar nicht geschlossen werden, daß der Begriff eines eingeschränkten Wesens, das nicht die höchste Realität hat, darum der absoluten Notwendigkeit widerspreche. Denn, ob ich gleich in seinem Begriffe nicht das Unbedingte antreffe, was das All der Bedingungen schon bei sich führt, so kann daraus doch gar nicht gefolgert werden, daß sein Dasein eben darum bedingt sein müsse; so wie ich in einem hypothetischen Vernunftschlusse nicht sagen kann: wo eine gewisse Bedingung (nämlich hier der Vollständigkeit nach Begriffen) nicht ist, da ist auch das Bedingte nicht. Es wird uns vielmehr unbenommen bleiben, alle übrige eingeschränkte Wesen eben so wohl für unbedingt notwendig gelten zu lassen, ob wir gleich ihre Notwendigkeit aus dem allgemeinen Begriffe, den wir von ihnen haben, nicht schließen können. Auf diese Weise aber hätte dieses Argument uns nicht den mindesten Begriff von Eigenschaften eines notwendigen Wesens verschafft, und überall gar nichts geleistet.

Gleichwohl bleibt diesem Argumente eine gewisse Wichtigkeit, und ein Ansehen, das ihm, wegen dieser objektiven Unzulänglichkeit, noch nicht sofort genommen werden kann. Denn setzt, es gebe Verbindlichkeiten, die in der Idee der Vernunft ganz richtig, aber ohne alle Realität der Anwendung auf uns selbst, d.i. ohne Triebfedern sein würden, wo nicht ein höchstes Wesen vorausgesetzt würde, das den praktischen Gesetzen Wirkung und Nachdruck geben könnte: so würden wir auch eine Verbindlichkeit haben, den Begriffen zu folgen, die, wenn sie gleich nicht objektiv zulänglich sein möchten, doch nach dem Maße unserer Vernunft überwiegend sind, und in Vergleichung mit denen wir doch nichts Besseres und Überführenderes erkennen. Die Pflicht, zu wählen, würde hier die Unschliessigkeit der Spekulation durch einen praktischen Zusatz aus dem Gleichgewichte bringen, ja die Vernunft würde bei ihr selbst, als dem nachsehendsten Richter, keine Rechtfertigung finden, wenn sie unter dringenden Bewegursachen, obzwar nur mangelhafter Einsicht, diesen Gründen ihres Urteils, über die wir doch wenigstens keine bessere kennen, nicht gefolgt wäre.

Dieses Argument, ob es gleich in der Tat transzendental ist, indem es auf der inneren Unzulänglichkeit des Zufälligen beruht, ist doch so einfältig und natürlich, daß es dem gemeinesten Menschensinne angemessen ist, so bald dieser nur einmal darauf geführt wird. Man sieht Dinge sich verändern, entstehen und vergehen; sie müssen also, oder wenigstens ihr Zustand, eine Ursache haben. Von jeder Ursache aber, die jemals in der Erfahrung gegeben werden mag, lässt sich eben dieses wiederum fragen. Wohin sollen wir nun die o b e r s t e Kausalität billiger verlegen, als dahin, wo auch die höchste Kausalität ist, d.i. in dasjenige Wesen, was zu der möglichen Wirkung die Zulänglichkeit in sich selbst ursprünglich enthält, dessen Begriff auch durch den einzigen Zug einer allbefassenden Vollkommenheit sehr leicht zu Stande kommt. Diese höchste Ursache halten wir denn für schlechthin notwendig, weil wir es schlechterdings notwendig finden, bis zu ihr hinaufzusteigen, und keinen Grund, über sie noch weiter hinaus zu gehen. Daher sehen wir bei allen Völkern durch ihre blindeste Vielgötterei doch einige Funken des Monotheismus durchschimmern, wozu nicht Nachdenken und tiefe Spekulation, sondern nur ein nach und nach verständlich gewordener natürlicher Gang des gemeinen Verstandes geführt hat.
Es sind nur drei Beweisarten vom Dasein Gottes aus spekulativer Vernunft möglich.
Alle Wege, die man in dieser Absicht einschlagen mag, fangen entweder von der bestimmten Erfahrung und der dadurch erkannten besonderen Beschaffenheit unserer Sinnenwelt an, und steigen von ihr nach Gesetzen der Kausalität bis zur höchsten Ursache außer der Welt hinauf; oder sie legen nur unbestimmte Erfahrung, d.i. irgend ein Dasein, empirisch zum Grunde; oder sie abstrahieren endlich von aller Erfahrung, und schließen gänzlich a priori aus bloßen Begriffen auf das Dasein einer höchsten Ursache.

Der erste Beweis ist der physikotheologische, der zweite der kosmologische, der dritte der ontologische Beweis. Mehr gibt es ihrer nicht, und mehr kann es auch nicht geben.

Ich werde dartun: daß die Vernunft, auf dem einen Wege (dem empirischen) so wenig, als auf dem anderen (dem transzendentalen), etwas ausrichte, und daß sie vergeblich ihre Flügel ausspanne, um über die Sinnenwelt durch die bloße Macht der Spekulation hinaus zu kommen. Was aber die Ordnung betrifft, in welcher diese Beweisarten der Prüfung vorgelegt werden müssen, so wird sie gerade die umgekehrte von derjenigen sein, welche die sich nach und nach erweiternde Vernunft nimmt, und in der wir sie auch zuerst gestellt haben. Denn es wird sich zeigen: daß, obgleich Erfahrung den ersten Anlaß dazu gibt, dennoch bloß der transzendentale Begriff die Vernunft in dieser ihrer Bestrebung leite und in allen solchen Versuchen das Ziel ausstecke, das sie sich vorgesetzt hat. Ich werde also von der Prüfung des transzendentalen Beweises anfangen, und nachher sehen, was der Zusatz des Empirischen zur Vergrößerung seiner Beweiskraft tun könne.Des dritten Hauptstücks vierter Abschnitt
Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises vom Dasein Gottes

Man sieht aus dem Bisherigen leicht: daß der Begriff eines absolutnotwendigen Wesens ein reiner Vernunftbegriff, d.i. eine bloße Idee sei, deren objektive Realität dadurch, daß die Vernunft ihrer bedarf, noch lange nicht bewiesen ist, welche auch nur auf eine gewisse obzwar unerreichbare Vollständigkeit Anweisung gibt, und eigentlich mehr dazu dient, den Verstand zu begrenzen, als ihn auf neue Gegenstände zu erweitern. Es findet sich hier nun das Befremdliche und Widersinnische, daß der Schluß von einem gegebenen Dasein überhaupt, auf irgend ein schlechthinnotwendiges Dasein, dringend und richtig zu sein scheint, und wir gleichwohl alle Bedingungen des Verstandes, sich einen Begriff von einer solchen Not-wendigkeit zu machen, gänzlich wider uns haben.

Man hat zu aller Zeit von dem absolut notwendigen Wesen geredet, und sich nicht so wohl Mühe gegeben, zu verstehen, ob und wie man sich ein Ding von dieser Art auch nur denken könne, als vielmehr, dessen Dasein zu beweisen. Nun ist zwar eine Namenerklärung von diesem Begriffe ganz leicht, daß es nämlich so etwas sei, dessen Nichtsein unmöglich ist; aber man wird hiedurch um nichts klüger, in Ansehung der Bedingungen, die es unmöglich machen, das Nichtsein eines Dinges als schlechterdings undenklich anzusehen, und die eigentlich dasjenige sind, was man wissen will, nämlich, ob wir uns durch diesen Begriff überall etwas denken, oder nicht. Denn alle Bedingungen, die der Verstand jederzeit bedarf, um etwas als notwendig anzusehen, vermittelst des Worts: Unbedingt, wegwerfen, macht mir noch lange nicht verständlich, ob ich alsdann durch einen Begriff eines Unbedingtnotwendigen noch etwas, oder vielleicht gar nichts denke.

Noch mehr: diesen auf das bloße Geratewohl gewagten und endlich ganz geläufig gewordenen Begriff hat man noch dazu durch eine Menge Beispiele zu erklären geglaubt, so, daß alle weitere Nachfrage wegen seiner Verständlichkeit ganz unnötig geschienen. Ein jeder Satz der Geometrie, z.B. daß ein Triangel drei Winkel habe, ist schlechthin notwendig, und so redete man von einem Gegenstande, der ganz außerhalb der Sphäre unseres Verstandes liegt, als ob man ganz wohl verstände, was man mit dem Begriffe von ihm sagen wolle.

Alle vorgegebene Beispiele sind ohne Ausnahme nur von U r t e i l e n , aber nicht von D i n g e n und deren Dasein hergenommen. Die unbedingte Notwendigkeit der Urteile aber ist nicht eine absolute Notwendigkeit der Sachen. Denn die absolute Notwendigkeit des Urteils ist nur eine bedingte Notwendigkeit der Sache, oder des Prädikats im Urteile. Der vorige Satz sagte nicht, daß drei Winkel schlechterdings notwendig sein, sondern, unter der Bedingung, daß ein Triangel da ist (gegeben ist), sind auch drei Winkel (in ihm) notwendiger Weise da. Gleichwohl hat diese logische Notwendigkeit eine so große Macht ihrer Illusion bewiesen, daß, indem man sich einen Begriff a priori von einem Dinge gemacht hatte, der so gestellt war, daß man seiner Meinung nach das Dasein mit in seinen Umfang begriff, man daraus glaubte sicher schließen zu können, daß, weil dem Objekt dieses Begriffs das Dasein notwendig zukommt, d.i. unter der Bedingung, daß ich dieses Ding als gegeben (existierend) setze, auch sein Dasein notwendig (nach der Regel der Identität) gesetzt werde, und dieses Wesen daher selbst schlechterdingsnotwendig sei, weil sein Dasein in einem nach Belieben angenommenen Begriffe und unter der Bedingung, daß ich den Gegenstand desselben setze, mit gedacht wird.

Wenn ich das Prädikat in einem identischen Urteile aufhebe und behalte das Subjekt, so entspringt ein Widerspruch, und daher sage ich: jenes kommt diesem notwendiger Weise zu. Hebe ich aber das Subjekt zusamt dem Prädikate auf, so entspringt kein Widerspruch; denn e s i s t n i c h t s m e h r, welchem widersprochen werden könnte. Einen Triangel setzen und doch die drei Winkel desselben aufheben, ist widersprechend; aber den Triangel samt seinen drei Winkeln aufheben, ist kein Widerspruch. Gerade ebenso ist es mit dem Begriffe eines absolut notwendigen Wesens bewandt. Wenn ihr das Dasein desselben aufhebt, so hebt ihr das Ding selbst mit allen seinen Prädikaten auf; wo soll alsdenn der Widerspruch herkommen? Äußerlich ist nichts, dem widersprochen würde, denn das Ding soll nicht äußerlich notwendig sein; innerlich auch nichts, denn ihr habt, durch Aufhebung des Dinges selbst, alles Innere zugleich aufgehoben. Gott ist allmächtig; das ist ein notwendiges Urteil. Die Allmacht kann nicht aufgehoben werden, wenn ihr eine Gottheit, d.i. ein unendliches Wesen, setzt, mit dessen Begriff jener identisch ist. Wenn ihr aber sagt: Gott ist nicht, so ist weder die Allmacht, noch irgend ein anderes seiner Prädikate gegeben; denn sie sind alle zusamt dem Subjekte aufgehoben, und es zeigt sich in diesem Gedanken nicht der mindeste Widerspruch.

Ihr habt also gesehen, daß, wenn ich das Prädikat eines Urteils zusamt dem Subjekte aufhebe, niemals ein innerer Widerspruch entspringen könne, das Prädikat mag auch sein, welches es wolle. Nun bleibt euch keine Ausflucht übrig, als, ihr müßt sagen: es gibt Subjekte, die gar nicht aufgehoben werden können, die also bleiben müssen. Das würde aber eben soviel sagen, als: es gibt schlechterdingsnotwendige Subjekte; eine Voraussetzung, an deren Richtigkeit ich eben gezweifelt habe, und deren Möglichkeit ihr mir zeigen wolltet. Denn ich kann mir nicht den geringsten Begriff von einem Dinge machen, welches, wenn es mit allen seinen Prädikaten aufgehoben würde, einen Widerspruch zurück ließe, und ohne den Widerspruch habe ich, durch bloße reine Begriffe a priori, kein Merkmal der Unmöglichkeit.

Wider alle diese allgemeine Schlüsse (deren sich kein Mensch weigern kann) fordert ihr mich durch einen Fall auf, den ihr, als einen Beweis durch die Tat, aufstellet: daß es doch einen und zwar nur diesen Einen Begriff gebe, da das Nichtsein oder das Aufheben seines Gegenstandes in sich selbst widersprechend sei, und dieses ist der Begriff des allerrealesten Wesens. Es hat, sagt ihr, alle Realität, und ihr seid berechtigt, ein solches Wesen als möglich anzunehmen (welches ich vorjetzt einwillige, obgleich der sich nicht widersprechende Begriff noch lange nicht die Möglichkeit des Gegenstandes beweist).*
*Der Begriff ist allemal möglich, wenn er sich nicht widerspricht. Das ist das logische Merkmal der Möglichkeit, und dadurch wird sein Gegenstand vom nihil negativum unterschieden. Allein er kann nichts destoweniger ein leerer Begriff sein, wenn die objektive Realität der Synthesis, dadurch der Begriff erzeugt wird, nicht besonders dargetan wird; welches aber jederzeit, wie oben gezeigt worden, auf Prinzipien möglicher Erfahrung und nicht auf dem Grundsatze der Analysis (dem Satze des Widerspruchs) beruht. Das ist eine Warnung, von der Möglichkeit der Begriffe (logische) nicht sofort auf die Möglichkeit der Dinge (reale) zu schließen.

Nun ist unter aller Realität auch das Dasein mit begriffen: Also liegt das Dasein in dem Begriffe von einem Möglichen. Wird dieses Ding nun aufgehoben, so wird die innere Möglichkeit des Dinges aufgehoben, welches widersprechend ist.

Ich antworte: Ihr habt schon einen Widerspruch begangen, wenn ihr in den Begriff eines Dinges, welches ihr lediglich seiner Möglichkeit nach denken wolltet, es sei unter welchem versteckten Namen, schon den Begriff seiner Existenz hinein brachtet. Räumt man euch dieses ein, so habt ihr dem Scheine nach gewonnen Spiel, in der Tat aber nichts gesagt; denn ihr habt eine bloße Tautologie begangen. Ich frage euch, ist der Satz: d i e s e s oder j e n e s D i n g (welches ich euch als möglich einräume, es mag sein, welches es wolle) e x i s t i e r t, ist, sage ich, dieser Satz ein analytischer oder synthetischer Satz? Wenn er das erstere ist, so tut ihr durch das Dasein des Dinges zu eurem Gedanken von dem Dinge nichts hinzu, aber alsdann müßte entweder der Gedanke, der in euch ist, das Ding selber sein, oder ihr habt ein Dasein, als zur Möglichkeit gehörig, vorausgesetzt, und alsdann das Dasein dem Vorgeben nach aus der inneren Möglichkeit geschlossen, welches nichts als eine elende Tautologie ist. Das Wort: Realität, welches im Begriffe des Dinges anders klingt, als Existenz im Begriffe desPrädikats, macht es nicht aus. Denn, wenn ihr auch alles Setzen (unbestimmt was ihr setzt) Realität nennt, so habt ihr das Ding schon mit allen seinen Prädikaten im Begriffe des Subjekts gesetzt und als wirklich angenommen, und im Prädikate wiederholt ihr es nur. Gesteht ihr dagegen, wie es billigermaßen jeder Vernünftige gestehen muß, daß ein jeder Existenzialsatz synthetisch sei, wie wollet ihr denn behaupten, daß das Prädikat der Existenz sich ohne Widerspruch nicht aufheben lasse ? da dieser Vorzug nur den analytischen, als deren Charakter eben darauf beruht, eigentümlich zukommt.

Ich würde zwar hoffen, diese grüblerische Argutation, ohne allen Umschweif, durch eine genaue Bestimmung des Begriffs der Existenz zu nichte zu machen, wenn ich nicht gefunden hätte, daß die Illusion, in Verwechslung eines logischen Prädikats mit einem realen (d.i. der Bestimmung eines Dinges), beinahe alle Belehrung ausschlage. Zum l o g i s c h e n P r ä d i k a t e kann alles dienen, was man will, so gar das Subjekt kann von sich selbst prädiziert werden; denn die Logik abstrahiert von allem Inhalte. Aber die B e s t i m m u n g ist ein Prädikat, welches über den Begriff des Subjekts hinzukommt und ihn vergrößert. Sie muß also nicht in ihm schon enthalten sein.

Sein ist offenbar kein reales Prädikat, d.i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne. Es ist bloß die Position eines Dinges, oder gewisser Bestimmungen an sich selbst. Im logischen Gebrauche ist es lediglich die Kopula eines Urteils. Der Satz: Gott ist allmächtig, enthält zwei Begriffe, die ihre Objekte haben: Gott und Allmacht; das Wörtchen: ist, ist nicht noch ein Prädikat oben ein, sondern nur das, was das Prädikat beziehungsweise aufs Subjekt setzt. Nehme ich nun das Subjekt (Gott) mit allen seinen Prädikaten (worunter auch die Allmacht gehöret) zusammen, und sage: Gott ist, oder es ist ein Gott, so setze ich kein neues Prädikat zum Begriffe von Gott, sondern nur das Subjekt an sich selbst mit allen seinen Prädikaten,und zwar den Gegenstand in Beziehung auf meinen B e g r i f f. Beide müssen genau einerlei enthalten, und es kann daher zu dem Begriffe, der bloß die Möglichkeit ausdrückt, darum, daß ich dessen Gegenstand als schlechthin gegeben (durch den Ausdruck: er ist) denke, nichts weiter hinzukommen. Und so enthält das Wirkliche nichts mehr als das bloß Mögliche. Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr, als hundert mögliche. Denn, da diese den Begriff, jene aber den Gegenstand und dessen Position an sich selbst bedeuten, so würde, im Fall dieser mehr enthielte als jener, mein Begriff nicht den ganzen Gegenstand ausdrücken, und also auch nicht der angemessene Begriff von ihm sein. Aber in meinem Vermögenszustande ist mehr bei hundert wirklichen Talern, als bei dem bloßen Begriffe derselben (d.i. ihrer Möglichkeit). Denn der Gegenstand ist bei der Wirklichkeit nicht bloß in meinem Begriffe analytisch enthalten, sondern kommt zu meinem Begriffe (der eine Bestimmung meines Zustandes ist) synthetisch hinzu, ohne daß, durch dieses Sein außerhalb meinem Begriffe, diese gedachte hundert Taler selbst im min-desten vermehrt werden.

Wenn ich also ein Ding, durch welche und wie viel Prädikate ich will (selbst in der durchgängigen Bestimmung), denke, so kommt dadurch, daß ich noch hinzusetze, dieses Ding ist, nicht das mindeste zu dem Dinge hinzu. Denn sonst würde nicht eben dasselbe, sondern mehr existieren, als ich im Begriffe gedacht hatte, und ich könnte nicht sagen, daß gerade der Gegenstand meines Begriffs existiere. Denke ich mir auch sogar in einem Dinge alle Realität außer einer, so kommt dadurch, daß ich sage, ein solches mangelhaftes Ding existiert, die fehlende Realität nicht hinzu, sondern es existiert gerade mit demselben Mangel behaftet, als ich es gedacht habe, sonst würde etwas anderes, als ich dachte, existieren. Denke ich mir nun ein Wesen als die höchste Realität (ohne Mangel), so bleibt noch immer die Frage, ob es existiere, oder nicht. Denn, obgleich an meinem Begriffe, von dem möglichen realen Inhalte eines Dinges überhaupt, nichts fehlt, so fehlt doch noch etwas an dem Verhältnisse zu meinem ganzen Zustande des Denkens, nämlich daß die Erkenntnis jenes Objekts auch a posteriori möglich sei. Und hier zeiget sich auch die Ursache der hiebei obwaltenden Schwierigkeit. Wäre von einem Gegenstande der Sinne die Rede, so würde ich die Existenz des Dinges mit dem bloßen Begriffe des Dinges nicht verwechseln können. Denn durch den Begriff wird der Gegenstand nur mit den allgemeinen Bedingungen einer möglichen empirischen Erkenntnis überhaupt als einstimmig, durch die Existenz aber als in dem Kontext der gesamten Erfahrung enthalten gedacht; da denn durch die Verknüpfung mit dem Inhalte der gesamten Erfahrung der Begriff vom Gegenstande nicht im mindesten vermehrt wird, unser Denken aber durch denselben eine mögliche Wahrnehmung mehr bekommt. Wollen wir dagegen die Existenz durch die reine Kategorie allein denken, so ist kein Wunder, daß wir kein Merkmal angeben können, sie von der bloßen Möglichkeit zu unterscheiden.

Unser Begriff von einem Gegenstande mag also enthalten, was und wie viel er wolle, so müssen wir doch aus ihm herausgehen, um diesem die Existenz zu erteilen. Bei Gegenständen der Sinne geschieht dieses durch den Zusammenhang mit irgend einer meiner Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen; aber für Objekte des reinen Denkens ist ganz und gar kein Mittel, ihr Dasein zu erkennen, weil es gänzlich a priori erkannt werden müßte, unser Bewußtsein aller Existenz aber (es sei durch Wahrnehmung unmittelbar, oder durch Schlüsse, die etwas mit der Wahrnehmung verknüpfen) gehört ganz und gar zur Einheit der Erfahrung, und eine Existenz außer diesem Felde kann zwar nicht schlechterdings für un-möglich erklärt werden, sie ist aber eine Voraussetzung, die wir durch nichts rechtfertigen können.

Der Begriff eines höchsten Wesens ist eine in mancher Absicht sehr nützliche Idee; sie ist aber eben darum, weil sie bloß Idee ist, ganz unfähig, um vermittelst ihrer allein unsere Erkenntnis in Ansehung dessen, was existiert, zu erweitern. Sie vermag nicht einmal so viel, daß sie uns in Ansehung der Möglichkeit eines Mehreren belehrte. Das analytische Merkmal der Möglichkeit, das darin besteht, daß bloße Positionen (Realitäten) keinen Widerspruch erzeugen, kann ihm zwar nicht gestritten werden; da aber die Verknüpfung aller realen Eigenschaften in einem Dinge eine Synthesis ist, über deren Möglichkeit wir a priori nicht urteilen können, weil uns die Realitäten spezifisch nicht gegeben sind, und, wenn dieses auch geschähe, überall gar kein Urteil darin stattfindet, weil das Merkmal der Möglichkeit synthetischer Erkenntnisse immer nur in der Erfahrung gesucht werden muß, zu welcher aber der Gegenstand einer Idee nicht gehören kann: so hat der berühmte Leibniz bei weitem das nicht geleistet, wessen er sich schmeichelte, nämlich eines so erhabenen idealischen Wesens Möglichkeit a priori einsehen zu wollen.

Es ist also an dem so berühmten ontologischen (Cartesianischen) Beweise, vom Dasein eines höchsten Wesens, aus Begriffen, alle Mühe und Arbeit verloren, und ein Mensch möchte wohl eben so wenig aus bloßen Ideen an Einsichten reicher werden, als ein Kaufmann an Vermögen, wenn er, um seinen Zustand zu verbessern, seinem Kassenbestand einige Nullen anhängen wollte.Des dritten Hauptstücks fünfter Abschnitt
Von der Unmöglichkeit eines kosmologischen Beweises vom Dasein Gottes
Es war etwas ganz Unnatürliches und eine bloße Neuerung des Schulwitzes, aus einer ganz willkürlich entworfenen Idee das Dasein des ihr entsprechenden Gegenstandes selbst ausklauben zu wollen. In der Tat würde man es nie auf diesem Wege versucht haben, wäre nicht die Bedürfnis unserer Vernunft, zur Existenz überhaupt irgend etwas Notwendiges (bei dem man im Aufsteigen stehen bleiben könne) anzunehmen, vorhergegangen, und wäre nicht die Vernunft, da diese Notwendigkeit unbedingt und a priori gewiß sein muß, gezwungen worden, einen Begriff zu suchen, der, wo möglich, einer solchen Forderung ein Genüge täte, und ein Dasein völlig a priori zu erkennen gäbe. Diesen glaubte man nun in der Idee eines allerrealesten Wesens zu finden, und so wurde diese nur zur bestimmteren Kenntnis desjenigen, wovon man schon anderweitig überzeugt oder überredet war, es müsse existieren, nämlich des notwendigen Wesens, gebraucht. Indes verhehlte man diesen natürlichen Gang der Vernunft, und, anstatt bei diesem Begriffe zu endigen, versuchte man, von ihm anzufangen, um die Notwendigkeit des Daseins aus ihm abzuleiten, die er doch nur zu ergänzen bestimmt war. Hieraus entsprang nun der verunglückte ontologische Beweis, der weder für den natürlichen und gesunden Verstand, noch für die schulgerechte Prüfung etwas Genugtuendes bei sich führt.

Der kosmologische Beweis, den wir jetzt untersuchen wollen, behält die Verknüpfung der absoluten Notwendigkeit mit der höchsten Realität bei, aber anstatt, wie der vorige, von der höchsten Realität auf die Notwendigkeit im Dasein zu schließen, schließt er vielmehr, von der zum voraus gegebenen unbedingten Notwendigkeit irgend eines Wesens, auf dessen unbegrenzte Realität, und bringt so fern alles wenigstens in das Geleis einer, ich weiß nicht ob vernünftigen, oder vernünftelnden, wenigstens natürlichen Schlußart, welche nicht allein für den gemeinen, sondern auch den spekulativen Verstand die meiste Überredung bei sich führt; wie sie denn auch sichtbarlich zu allen Beweisen der natürlichen Theologie die ersten Grundlinien zieht, denen man jederzeit nachgegangen ist und ferner nachgehen wird, man mag sie nun durch noch so viel Laubwerk und Schnörkel verzieren und verstecken, als man immer will. Diesen Beweis, den Leibniz auch den a contingentia mundi nannte, wollen wir jetzt vor Augen stellen und der Prüfung unterwerfen.

Er lautet also:

Wenn etwas existiert, so muß auch ein schlechterdings notwendiges Wesen existieren. Nun existiere, zum mindesten, ich selbst: also existiert ein absolut notwendiges Wesen.

Der Untersatz enthält eine Erfahrung, der Obersatz die Schlußfolge aus einer Erfahrung überhaupt auf das Dasein des Notwendigen.**
** Diese Schlußfolge ist zu bekannt, als daß es nötig wäre, sie hier weitläuftig vorzutragen. Sie beruht auf dem vermeintlich transzendentalen Naturgesetz der Kausalität: daß alles Zufällige seine Ursache habe, die, wenn sie wiederum zufällig ist, eben so wohl eine Ursache haben muß, bis die Reihe der einander untergeordneten Ursachen sich bei einer schlechthinnotwendigen Ursache endigen muß, ohne welche sie keine Vollständigkeit haben würde.

Also hebt der Beweis eigentlich von der Erfahrung an, mithin ist er nicht gänzlich a priori geführt, oder ontologisch, und weil der Gegenstand aller möglichen Erfahrung Welt heißt, so wird er darum der kosmologische Beweis genannt. Da er auch von aller besondern Eigenschaft der Gegenstände der Erfahrung, dadurch sich diese Welt von jeder möglichen unterscheiden mag, abstrahiert: so wird er schon in seiner Benennung auch vom physikotheologischen Beweise unterschieden, welcher Beobachtungen der besonderen Beschaffenheit dieser unserer Sinnenwelt zu Beweisgründen braucht.

Nun schließt der Beweis weiter: das notwendige Wesen kann nur auf eine einzige Art, d.i. in Ansehung aller möglichen entgegengesetzten Prädikate nur durch eines derselben, bestimmt werden, folglich muß es durch seinen Begriff d u r c h g ä n g i g bestimmt sein. Nun ist nur ein einziger Begriff von einem Dinge möglich, der dasselbe a priori durchgängig bestimmt, nämlich der des entis realissimi: Also ist der Begriff des allerrealesten Wesens der einzige, dadurch ein notwendiges Wesen gedacht werden kann, d.i. es existiert ein höchstes Wesen notwendiger Weise.

In diesem kosmologischen Argumente kommen so viel vernünftelnde Grundsätze zusammen, daß die spekulative Vernunft hier alle ihre dialektische Kunst aufgeboten zu haben scheint, um den größtmöglichen transzendentalen Schein zu Stande zu bringen. Wir wollen ihre Prüfung indessen eine Weile bei Seite setzen, um nur eine List derselben offenbar zu machen, mit welcher sie ein altes Argument in verkleideter Gestalt für ein neues aufstellt und sich auf zweier Zeugen Einstimmung beruft, nämlich einen reinen Vernunftzeugen und einen anderen von empirischer Beglaubigung, da es doch nur der erstere allein ist, welcher bloß seinen Anzug und Stimme verändert, um für einen zweiten gehalten zu werden. Um seinen Grund recht sicher zu legen, fußt sich dieser Beweis auf Erfahrung und gibt sich dadurch das Ansehen, als sei er vom ontologischen Beweise unterschieden, der auf lauter reine Begriffe a priori sein ganzes Vertrauen setzt. Dieser Erfahrung aber bedient sich der kosmologische Beweis nur, um einen einzigen Schritt zu tun, nämlich zum Dasein eines notwendigen Wesens überhaupt. Was dieses für Eigenschaften habe, kann der empirische Beweisgrund nicht lehren, sondern da nimmt die Vernunft gänzlich von ihm Abschied und forscht hinter lauter Begriffen: was nämlich ein absolutnotwendiges Wesen überhaupt für Eigenschaften haben müsse, d.i. welches unter allen möglichen Dingen die erforderlichen Bedingungen (requisita) zu einer absoluten Notwendigkeit in sich enthalte.

Nun glaubt sie im Begriffe eines allerrealesten Wesens einzig und allein diese Requisite anzutreffen, und schließt sodann: das ist das schlechterdingsnotwendige Wesen. Es ist aber klar, daß man hiebei voraussetzt, der Begriff eines Wesens von der höchsten Realität tue dem Begriffe der absoluten Notwendigkeit im Dasein völlig genug, d.i. es lasse sich aus jener auf diese schließen; ein Satz, den das ontologische Argument behauptete, welches man also im kosmologischen Beweise annimmt und zum Grunde legt, da man es doch hatte vermeiden wollen. Denn die absolute Notwendigkeit ist ein Dasein aus bloßen Begriffen. Sage ich nun: der Begriff des entis realissimi ist ein solcher Begriff, und zwar der einzige, der zu dem notwendigen Dasein passend und ihm adäquat ist: so muß ich auch einräumen, daß aus ihm das letztere geschlossen werden könne. Es ist also eigentlich nur der ontologische Beweis aus lauter Begriffen, der in dem sogenannten kosmologischen alle Beweiskraft enthält, und die angebliche Erfahrung ist ganz müßig, vielleicht, um uns nur auf den Begriff der absoluten Notwendigkeit zu führen, nicht aber, um diese an irgend einem bestimmten Dinge darzutun. Denn sobald wir dieses zur Absicht haben, müssen wir sofort alle Erfahrung verlassen, und unter reinen Begriffen suchen, welcher von ihnen wohl die Bedingungen der Möglichkeit eines absolutnotwendigen Wesens enthalte. Ist aber auf solche Weise nur die Möglichkeit eines solchen Wesens eingesehen, so ist auch sein Dasein dargetan; denn es heißt so viel, als: unter allem Möglichen ist Eines, das absolute Notwendigkeit bei sich führt, d.i. dieses Wesen existiert schlechterdingsnotwendig.

Alle Blendwerke im Schließen entdecken sich am leichtesten, wenn man sie auf schulgerechte Art vor Augen stellt. Hier ist eine solche Darstellung.
Wenn der Satz richtig ist: ein jedes schlechthinnotwendiges Wesen ist zugleich das allerrealeste Wesen (als welches der nervus probandi des kosmologischen Beweises ist): so muß er sich, wie alle bejahende Urteile, wenigstens per accidens umkehren lassen; also: einige allerrealeste Wesen sind zugleich schlechthin notwendige Wesen. Nun ist aber ein ens realissimum von einem anderen in keinem Stücke unterschieden, und, was also von e i n i g e n unter diesem Begriffe enthaltenen gilt, das gilt auch von allen. Mithin werde ich's (in diesem Falle) auch s c h l e c h t h i n umkehren können, d.i. ein jedes allerrealestes Wesen ist ein notwendiges Wesen. Weil nun dieser Satz bloß aus seinen Begriffen a priori bestimmt ist: so muß der bloße Begriff des realesten Wesens auch die absolute Notwendigkeit desselben bei sich führen; welches eben der ontologische Beweis behauptete, und der kosmologische nicht anerkennen wollte, gleichwohl aber seinen Schlüssen, obzwar versteckter Weise, unterlegte.

So ist denn der zweite Weg, den die spekulative Vernunft nimmt, um das Dasein des höchsten Wesens zu beweisen, nicht allein mit dem ersten gleich trüglich, sondern hat noch dieses Tadelhafte an sich, daß er eine ignoratio elenchi begeht, indem er uns verheißt, einen neuen Fußsteig zu führen, aber, nach einem kleinen Umschweif, uns wiederum auf den alten zurückbringt, den wir seinetwegen verlassen hatten.

Ich habe kurz vorher gesagt, daß in diesem kosmologischen Argumente sich ein ganzes Nest von dialektischen Anmaßungen verborgen halte, welches die transzendentale Kritik leicht entdecken und zerstören kann. Ich will sie jetzt nur anführen und es dem schon geübten Leser überlassen, den trüglichen Grundsätzen weiter nachzuforschen und sie aufzuheben.
Da befindet sich denn z.B.

1) der transzendentale Grundsatz, vom Zufälligen auf eine Ursache zu schließen, welcher nur in der Sinnenwelt von Bedeutung ist, außerhalb derselben aber auch nicht einmal einen Sinn hat. Denn der bloß intellektuelle Begriff des Zufälligen kann gar keinen synthetischen Satz, wie den der Kausalität, hervorbringen, und der Grundsatz der letzteren hat gar keine Bedeutung und kein Merkmal seines Gebrauchs, als nur in der Sinnenwelt; hier aber sollte er gerade dazu dienen, um über die Sinnenwelt hinaus zu kommen.

2) Der Schluß, von der Unmöglichkeit einer unendlichen Reihe über einander gegebener Ursachen in der Sinnenwelt auf eine erste Ursache zu schließen, wozu uns die Prinzipien des Vernunftgebrauchs selbst in der Erfahrung nicht berechtigen, vielweniger diesen Grundsatz über dieselbe (wohin diese Kette gar nicht verlängert werden kann) ausdehnen können.

3) Die falsche Selbstbefriedigung der Vernunft, in Ansehung der Vollendung dieser Reihe, dadurch, daß man endlich alle Bedingung, ohne welche doch kein Begriff einer Notwendigkeit stattfinden kann, wegschafft, und, da man alsdenn nichts weiter begreifen kann, dieses für eine Vollendung seines Begriffs annimmt.

4) Die Verwechselung der logischen Möglichkeit eines Begriffs von aller vereinigten Realität (ohne inneren Widerspruch) mit der transzendentalen, welche ein Principium der Tunlichkeit einer solchen Synthesis bedarf, das aber wiederum nur auf das Feld möglicher Erfahrungen gehen kann, u.s.w.

Das Kunststück des kosmologischen Beweises zielt bloß darauf ab, um dem Beweise des Daseins eines notwendigen Wesens a priori durch bloße Begriffe auszuweichen, der ontologisch geführt werden müßte, wozu wir uns aber gänzlich unvermögend fühlen. In dieser Absicht schließen wir aus einem zum Grunde gelegten wirklichen Dasein (einer Erfahrung überhaupt), so gut es sich will tun lassen, auf irgend eine schlechterdingsnotwendige Bedingung desselben. Wir haben alsdenn dieser ihre Möglichkeit nicht nötig zu erklären. Denn, wenn bewiesen ist, daß sie dasei, so ist die Frage wegen ihrer Möglichkeit ganz unnö-tig. Wollen wir nun dieses notwendige Wesen nach seiner Beschaffenheit näher bestimmen, so suchen wir nicht dasjenige, was hinreichend ist, aus seinem Begriffe die Notwendigkeit des Daseins zu begreifen; denn, könnten wir dieses, so hätten wir keine empirische Voraussetzung nötig; nein, wir suchen nur die negative Bedingung (conditio sine qua non), ohne welche ein Wesen nicht absolutnotwendig sein würde. Nun würde das in aller andern Art von Schlüssen, aus einer gegebenen Folge auf ihren Grund, wohl angehen; es trifft sich aber hier unglücklicher Weise, daß die Bedingung, die man zur absoluten Notwendigkeit fordert, nur in einem einzigen Wesen angetroffen werden kann, welches daher in seinem Begriffe alles, waszur absoluten Notwendigkeit erforderlich ist, enthalten müßte, und also einen Schluß a priori auf dieselbe möglich macht; d.i. ich müßte auch umgekehrt schließen können: welchem Dinge dieser Begriff (der höchsten Realität) zukommt, das ist schlechterdings notwendig, und, kann ich so nicht schließen (wie ich denn dieses gestehen muß, wenn ich den ontologi-schen Beweis vermeiden will), so bin ich auch auf meinem neuen Wege verunglückt und befinde mich wiederum da, von wo ich ausging. Der Begriff des höchsten Wesens tut wohl allen Fragen a priori ein Genüge, die wegen der inneren Bestimmungen eines Dinges können aufgeworfen werden, und ist darum auch ein Ideal ohne Gleiches, weil der allgemeine Be-griff dasselbe zugleich als ein Individuum unter allen möglichen Dingen auszeichnet. Er tut aber der Frage wegen seines eigenen Daseins gar kein Genüge, als warum es doch eigentlich nur zu tun war, und man konnte auf die Erkundigung dessen, der das Dasein eines notwendigen Wesens annahm, und nur wissen wollte, welches denn unter allen Dingen dafür angesehen werden müsse, nicht antworten: Dies hier ist das notwendige Wesen.

Es mag wohl erlaubt sein, das Dasein eines Wesens von der höchsten Zulänglichkeit, als Ursache zu allen möglichen Wirkungen, a n z u n e h m e n, um der Vernunft die Einheit der Erklärungsgründe, welche sie sucht, zu erleichtern. Allein, sich so viel herauszunehmen, daß man so gar sage: ein solches Wesen existiert notwendig, ist nicht mehr die bescheidene Äußerung einer erlaubten Hypothese, sondern die dreiste Anmaßung einer apodiktischen Gewißheit; denn, was man als schlechthinnotwendig zu erkennen vorgibt, davon muß auch die Erkenntnis absolute Notwendigkeit bei sich führen.

Die ganze Aufgabe des transzendentalen Ideals kommt darauf an: entweder zu der absoluten Notwendigkeit einen Begriff, oder zu dem Begriffe von irgendeinem Dinge die absolute Notwendigkeit desselben zu finden. Kann man das eine, so muß man auch das andere können; denn als schlechthinnotwendig erkennt die Vernunft nur dasjenige, was aus seinem Begriffe notwendig ist. Aber beides übersteigt gänzlich alle äußerste Bestrebungen, unseren Verstand über diesen Punkt zu befriedigen, aber auch alle Versuche, ihn wegen dieses seines Unvermögens zu beruhigen.

Der wahre Abgund für die menschliche Vernunft
Die unbedingte Notwendigkeit, die wir, als den letzten Träger aller Dinge, so unentbehrlich bedürfen, ist der wahre Abgrund für die menschliche Vernunft. Selbst die Ewigkeit, so schauderhaft erhaben sie auch ein H a l l e r schildern mag, macht lange den schwindligen Eindruck nicht auf das Gemüt; denn sie m i ß t nur die Dauer der Dinge, aber t r ä g t sie nicht. Man kann sich des Gedanken nicht erwehren, man kann ihn aber auch nicht ertragen: daß ein Wesen, welches wir uns auch als das höchste unter allen möglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst sage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, außer mir ist nichts, ohne das, was bloß durch meinen Willen etwas ist; aber woher bin ich denn? Hier sinkt alles unter uns, und die größte Vollkommenheit, wie die kleinste, schwebt ohne Haltung bloß vor der spekulativen Vernunft, der es nichts kostet, die eine so wie die andere ohne die mindeste Hindernis verschwinden zu lassen.

Viele Kräfte der Natur, die ihr Dasein durch gewisse Wirkungen äußern, bleiben für uns unerforschlich; denn wir können ihnen durch Beobachtung nicht weit genug nachspüren. Das den Erscheinungen zum Grunde liegende transzendentale Objekt, und mit demselben der Grund, warum unsere Sinnlichkeit diese vielmehr als andere oberste Bedingungen habe, sind und bleiben für uns unerforschlich, obzwar die Sache selbst übrigens gegeben, aber nur nicht eingesehen ist. Ein Ideal der reinen Vernunft kann aber nicht u n e r f o r s c h l i c h heißen, weil es weiter keine Beglaubigung seiner Realität aufzuweisen hat, als die Bedürfnis der Vernunft, vermittelst desselben alle synthetische Einheit zu vollenden. Da es also nicht einmal als denkbarer Gegenstand gegeben ist, so ist es auch nicht als ein solcher unerforschlich; vielmehr muß er, als bloße Idee, in der Natur der Vernunft seinen Sitz und seine Auflösung finden, und also erforscht werden können; denn eben darin besteht Vernunft, daß wir von allen unseren Begriffen, Meinungen und Behauptungen, es sei aus objektiven, oder, wenn sie ein bloßer Schein sind, aus subjektiven Gründen, Rechenschaft geben können.
Entdeckung und Erklärung des dialektischen Scheins in allen transzendentalen Beweisen vom Dasein eines notwendigen Wesens
Beide bisher geführte Beweise waren transzendental, d.i. unabhängig von empirischen Prinzipien versucht. Denn, obgleich der kosmologische eine Erfahrung überhaupt zum Grunde legt, so ist er doch nicht aus irgend einer besonderen Beschaffenheit derselben, sondern aus reinen Vernunftprinzipien, in Beziehung auf eine durchs empirische Bewußtsein überhaupt gegebene Existenz, geführet, und verläßt sogar diese Anleitung, um sich auf lauter reine Begriffe zu stützen. Was ist nun in diesen transzendentalen Beweisen die Ursache des dialektischen, aber natürlichen Scheins, welcher die Begriffe der Notwendigkeit und höchsten Realität verknüpft, und dasjenige, was doch nur Idee sein kann, realisiert und hypostasiert? Was ist die Ursache der Unvermeidlichkeit, etwas als an sich notwendig unter den existierenden Dingen anzunehmen, und doch zugleich vor dem Dasein eines solchen Wesens als einem Abgrunde zurückzubeben, und wie fängt man es an, daß sich die Vernunft hierüber selbst verstehe, und, aus dem schwankenden Zustande eines schüchternen, und immer wiederum zurückgenommenen Beifalls, zur ruhigen Einsicht gelange?

Es ist etwas überaus Merkwürdiges, daß, wenn man voraussetzt, etwas existiere, man der Folgerung nicht Umgang haben kann, daß auch irgend etwas notwendigerweise existiere. Auf diesem ganz natürlichen (obzwar darum noch nicht sicheren) Schlusse beruhte das kosmologische Argument. Dagegen mag ich einen Begriff von einem Dinge annehmen, welchen ich will, so finde ich, daß sein Dasein niemals von mir als schlechterdings notwendig vorgestellt werden könne, und daß mich nichts hindere, es mag existieren, was da wolle, das Nichtsein desselben zu denken, mithin ich zwar zu dem Existierenden überhaupt etwas Notwendiges annehmen müsse, kein einziges Ding aber selbst als an sich notwendig denken könne. Das heißt: ich kann das Zurückgehen zu den Bedingungen des Existierens niemals v o l l e n d e n, ohne ein n o t w e n d i g e s Wesen anzunehmen, ich kann aber von demselben niemals a n f a n g e n.

Wenn ich zu existierenden Dingen überhaupt etwas Notwendiges denken muß, kein Ding aber an sich selbst als notwendig zu denken befugt bin, so folgt daraus unvermeidlich, daß Notwendigkeit und Zufälligkeit nicht die Dinge selbst angehen und treffen müsse, weil sonst ein Widerspruch vorgehen würde; mithin keiner dieser beiden Grundsätze objektiv sei, sondern sie allenfalls nur subjektive Prinzipien der Vernunft sein können, nämlich einerseits zu allem, was als existierend gegeben ist, etwas zu suchen, das notwendig ist, d.i. niemals anderswo als bei einer a priori vollendeten Erklärung aufzuhören, andererseits aber auch diese Vollendung niemals zu hoffen, d.i. nichts Empirisches als unbedingt anzunehmen, und sich dadurch fernerer Ableitung zu überheben. In solcher Bedeutung können beide Grundsätze als bloß heuristisch und r e g u l a t i v, die nichts als das formale Interesse der Vernunft besorgen, ganz wohl bei einander bestehen. Denn der eine sagt, ihr sollt so über die Natur philosophieren, als ob es zu allem, was zur Existenz gehört, einen notwendigen ersten Grund gebe, lediglich um systematische Einheit in eure Erkenntnis zu bringen, indem ihr einer solchen Idee, nämlich einem eingebildeten obersten Grunde, nachgeht; der andere aber warnt euch, keine einzige Bestimmung, die die Existenz der Dinge betrifft, für einen solchen obersten Grund, d.i. als absolutnotwendig anzunehmen, sondern euch noch immer den Weg zur ferneren Ableitung offen zu erhalten, und sie daher jederzeit noch als bedingt zu behandeln. Wenn aber von uns alles, was an den Dingen wahrgenommen wird, als bedingt notwendig betrachtet werden muß: so kann auch kein Ding (das empirisch gegeben sein mag) als absolutnotwendig angesehen werden.

Es folgt aber hieraus, daß ihr das Absolutnotwendige a u ß e r h a l b der Welt annehmen müßt; weil es nur zu einem Prinzip der größtmöglichen Einheit der Erscheinungen, als deren oberster Grund, dienen soll, und ihr in der Welt niemals dahin gelangen könnt, weil die zweite Regel euch gebietet, alle empirische Ursachen der Einheit jederzeit als abgeleitet anzusehen.

Die Philosophen des Altertums sehen alle Form der Natur als zufällig, die Materie aber, nach dem Urteile der gemeinen Vernunft, als ursprünglich und notwendig an. Würden sie aber die Materie nicht als Substratum der Erscheinungen respektiv, sondern a n s i c h s e l b s t ihrem Dasein nach betrachtet haben, so wäre die Idee der absoluten Notwendigkeit sogleich verschwunden. Denn es ist nichts, was die Vernunft an dieses Dasein schlechthin bindet, sondern sie kann solches, jederzeit und ohne Widerstreit, in Gedanken aufheben; in Gedanken aber lag auch allein die absolute Notwendigkeit. Es mußte also bei dieser Überredung ein gewisses regulatives Prinzip zum Grunde liegen. In der Tat ist auch Ausdehnung und Undurchdringlichkeit (die zusammen den Begriff von Materie ausmachen) das oberste empirische Principium der Einheit der Erscheinungen, und hat, so fern als es empirisch unbedingt ist, eine Eigenschaft des regulativen Prinzips an sich. Gleichwohl, da jede Bestimmung der Materie, welche das Reale derselben ausmacht, mithin auch die Undurchdringlichkeit, eine Wirkung (Handlung) ist, die ihre Ursache haben muß, und daher immer noch abgeleitet ist, so schickt sich die Materie doch nicht zur Idee eines notwendigen Wesens, als eines Prinzips aller abgeleiteten Einheit; weil jede ihrer realen Eigenschaften, als abgeleitet, nur bedingt notwendig ist, und also an sich aufgehoben werden kann, hiemit aber das ganze Dasein der Materie aufgehoben werden würde, wenn dieses aber nicht geschähe, wir den höchsten Grund der Einheit empirisch erreicht haben würden, welches durch das zweite regulative Prinzip verboten wird, so folgt: daß die Materie, und überhaupt, was zur Welt gehörig ist, zu der Idee eines notwendigen Urwesens, als eines bloßen Prinzips der größten empirischen Einheit, nicht schicklich sei, sondern daß es außerhalb der Welt gesetzt werden müsse, da wir denn die Erscheinungen der Welt und ihr Dasein immer getrost von anderen ableiten können, als ob es kein notwendiges Wesen gäbe, und dennoch zu der Vollständigkeit der Ableitung unaufhörlich streben können, als ob ein solches, als ein oberster Grund, vorausgesetzt wäre.

Das Ideal des höchsten Wesens ist nach diesen Betrachtungen nichts anders, als ein r e g u l a t i v e s P r i n z i p der Vernunft, alle Verbindung in der Welt so anzusehen, a l s o b s i e aus einer allgenugsamen notwendigen Ursache entspränge, um darauf die Regel einer systematischen und nach allgemeinen Gesetzen notwendigen Einheit in der Erklärung derselben zu gründen, und ist nicht eine Behauptung einer an sich notwendigen Existenz. Es ist aber zugleich unvermeidlich, sich, vermittelst einer transzendentalen Subreption [Erschleichung], dieses formale Prinzip als konstitutiv vorzustellen, und sich diese Einheit hypostatisch zu denken. Denn, so wie der Raum, weil er alle Gestalten, die lediglich verschiedene Einschränkungen desselben sind, ursprünglich möglich macht, ob er gleich nur ein Prinzipium der Sinnlichkeit ist, dennoch eben darum für ein schlechterdings notwendiges für sich bestehendes Etwas und einen a priori an sich selbst gegebenen Gegenstand gehalten wird, so geht es auch ganz natürlich zu, daß, da die systematische Einheit der Natur auf keinerlei Weise zum Prinzip des empirischen Gebrauchs unserer Vernunft aufgestellet werden kann, als so fern wir die Idee eines allerrealesten Wesens, als der obersten Ursache, zum Grunde legen, diese Idee dadurch als ein wirklicher Gegenstand, und dieser wiederum, weil er die oberste Bedingung ist, als notwendig vorgestellt, mithin ein r e g u l a t i v e s Prinzip in ein k o n s t i t u t i v e s verwandelt werde; welche Unterschiebung sich dadurch offenbart, daß, wenn ich nun dieses oberste Wesen, welches respektiv auf die Welt schlechthin (unbedingt) notwendig war, als Ding für sich betrachte, diese Notwendigkeit keines Begriffs fähig ist, und also nur als formale Bedingung des Denkens, nicht aber als materiale und hypostatische Bedingung des Daseins, in meiner Vernunft anzutreffen gewesen sein müsse.Des dritten Hauptstücks sechster Abschnitt
Von der Unmöglichkeit des physikotheologischen Beweises
Wenn denn weder der Begriff von Dingen überhaupt, noch die Erfahrung von irgend einem D a s e i n ü b e r h a u p t, das, was gefordert wird, leisten kann, so bleibt noch ein Mittel übrig, zu versuchen, ob nicht eine b e s t i m m t e E r f a h r u n g, mithin die der Dinge der gegenwärtigen Welt, ihre Beschaffenheit und Anordnung, einen Beweisgrund abgebe, der uns sicher zur Überzeugung von dem Dasein eines höchsten Wesens verhelfen könne. Einen solchen Beweis würden wir den p h y s i k o t h e o l o g i s c h e n nennen. Sollte dieser auch unmöglich sein: so ist überall kein genugtuender Beweis aus bloß spekulativer Vernunft für das Dasein eines Wesens, welches unserer transzendentalen Idee entspräche, möglich.
Man wird nach allen obigen Bemerkungen bald einsehen, daß der Bescheid auf diese Nachfrage ganz leicht und bündig erwartet werden könne. Denn, wie kann jemals Erfahrung gegeben werden, die einer Idee angemessen sein sollte? Darin besteht eben das Ei-gentümliche der letzteren, daß ihr niemals irgend eine Erfahrung kongruieren könne. Die transzendentale Idee von einem notwendigen allgenugsamen Urwesen ist so überschwenglich groß, so hoch über alles Empirische, das jederzeit bedingt ist, erhaben, daß man teils niemals Stoff genug in der Erfahrung auftreiben kann, um einen solchen Begriff zu füllen, teils immer unter dem Bedingten herumtappt, und stets vergeblichnach dem Unbedingten, wovon uns kein Gesetz irgend einer empirischen Synthesis ein Beispiel oder dazu die mindeste Leitung gibt, suchen wird.

Würde das höchste Wesen in dieser Kette der Bedingungen stehen, so würde es selbst ein Glied der Reihe derselben sein, und, eben so, wie die niederen Glieder, denen es vorgesetzt ist, noch fernere Untersuchung wegen seines noch höheren Grundes erfodern. Will man es dagegen von dieser Kette trennen, und, als ein bloß intelligibeles Wesen, nicht in der Reihe der Naturursachen mitbegreifen: welche Brücke kann die Vernunft alsdenn wohl schlagen, um zu demselben zu gelangen? Da alle Gesetze des Überganges von Wirkungen zu Ursachen, ja alle Synthesis und Erweiterung unserer Erkenntnis überhaupt auf nichts anderes, als mögliche Erfahrung, mithin bloß auf Gegenstände der Sinnenwelt gestellt sein und nur in An-
sehung ihrer eine Bedeutung haben können.

Die gegenwärtige Welt eröffnet uns einen so unermeßlichen Schauplatz von Mannigfaltigkeit, Ordnung, Zweckmäßigkeit und Schönheit, man mag diese nun in der Unendlichkeit des Raumes, oder in der unbegrenzten Teilung desselben verfolgen, daß selbst nach den Kenntnissen, welche unser schwacher Verstand davon hat erwerben können, alle Sprache, über so viele und unabsehlichgroße Wunder, ihren Nachdruck, alle Zahlen ihre Kraft zu messen, und selbst unsere Gedanken alle Begrenzung vermissen, so, daß sich unser Urteil vom Ganzen in ein sprachloses, aber desto beredteres Erstaunen auflösen muß. Allerwärts sehen wir eine Kette von Wirkungen und Ursachen, von Zwecken und den Mitteln, Regelmä-ßigkeit im Entstehen oder Vergehen, und, indem nichts von selbst in den Zustand getreten ist, darin es sich befindet, so weiset er immer weiter hin nach einem anderen Dinge, als seiner Ursache, welche gerade eben dieselbe weitere Nachfrage notwendig macht, so, daß auf solche Weise das ganze All im Abgrunde des Nichts versinken müßte, nähme man nicht etwas an, das außerhalb diesem unendlichen Zufälligen, für sich selbst ursprünglich und unabhängig bestehend, dasselbe hielte, und als die Ursache seines Ursprungs ihm zugleich seine Fortdauer sicherte. Diese höchste Ursache (in Ansehung aller Dinge der Welt), wie groß soll man sie sich denken? Die Welt kennen wir nicht ihrem ganzen Inhalte nach, noch weniger wissen wir ihre Größe durch die Vergleichung mit allem, was möglich ist, zu schätzen. Was hindert uns aber, daß, da wir einmal in Absicht auf Kausalität ein äußerstes und oberstes Wesen bedürfen, wir es nicht zugleich dem Grade der Vollkommenheit nach ü b e r a l l e s a n d e r e M ö g l i c h e setzen sollten? welches wir leicht, obzwar freilich nur durch den zarten Umriß eines abstrakten Begriffs, bewerkstelligen können, wenn wir uns in ihm, als einer einigen Substanz, alle mögliche Vollkommenheit vereinigt vorstellen; welcher Begriff der Forderung unserer Vernunft in der Ersparung der Prinzipien günstig, in sich selbst keinen Widersprüchen unterworfen und selbst der Erweiterung des Vernunftgebrauchs mitten in der Erfahrung, durch die Leitung, welche eine solche Idee auf Ordnung und Zweckmäßigkeit gibt, zuträglich, nirgend aber einer Erfahrung auf entschiedene Art zuwider ist.

Dieser Beweis verdient jederzeit mit Achtung genannt zu werden. Er ist der älteste, kläreste und der gemeinen Menschenvernunft am meisten angemessene. Er belebt das Studium der Natur, so wie er selbst von diesem sein Dasein hat und dadurch immer neue Kraft bekommt. Er bringt Zwecke und Absichten dahin, wo sie unsere Beobachtung nicht von selbst entdeckt hätte, und erweitert unsere Naturkenntnisse durch den Leitfaden einer besonderen Einheit, deren Prinzip außer der Natur ist. Diese Kenntnisse wirken aber wieder auf ihre Ursache, nämlich die veranlassende Idee, zurück, und vermehren den Glauben an einen höchsten Urheber bis zu einer unwiderstehlichen Überzeugung.

Es würde daher nicht allein trostlos, sondern auch ganz umsonst sein, dem Ansehen dieses Beweises etwas entziehen zu wollen. Die Vernunft, die durch somächtige und unter ihren Händen immer wachsende, obzwar nur empirische Beweisgründe unablässig gehoben wird, kann durch keine Zweifel subtiler abgezogener Spekulation so niedergedrückt werden, daß sie nicht aus jeder grüblerischen Unentschlossenheit, gleich als aus einem Traume, durch einen Blick, den sie auf die Wunder der Natur und der Majestät des Weltbaues wirft, gerissen werden sollte, um sich von Größe zu Größe bis zur allerhöchsten, vom Bedingten zur Bedingung, bis zum obersten und unbedingten Urheber zu erheben.

Ob wir aber gleich wider die Vernunftmäßigkeit und Nützlichkeit dieses Verfahrens nichts einzuwenden, sondern es vielmehr zu empfehlen und aufzumuntern haben, so können wir darum doch die Ansprüche nicht billigen, welche diese Beweisart auf apodiktische Gewißheit und auf einen gar keiner Gunst oder fremden Unterstützung bedürftigen Beifallmachen möchte, und es kann der guten Sache keinesweges schaden, die dogmatische Sprache eines hohnsprechenden Vernünftlers auf den Ton der Mäßigung und Bescheidenheit, eines zur Beruhigung hinreichenden, obgleich eben nicht unbedingte Unterwerfung gebietenden Glaubens, herabzustimmen. Ich behaupte demnach, daß der physikotheologische Beweis das Dasein eines höchsten Wesens niemals allein dartun könne, sondern es jederzeit dem ontologischen (welchem er nur zur Introduktion dient) überlassen müsse, diesen Mangel zu ergänzen, mithin dieser immer noch den einzig möglichen Beweisgrund (wofern überall nur ein spekulativer Beweis stattfindet) enthalte, den keine menschliche Vernunft vorbeigehen kann.
Die Hauptmomente des gedachten physischtheologischen Beweises sind folgende.

1) In der Welt finden sich allerwärts deutliche Zeichen einer Anordnung nach bestimmter Absicht, mit großer Weisheit ausgeführt, und in einem Ganzen von unbeschreiblicher Mannigfaltigkeit des Inhalts sowohl, als auch unbegrenzter Größe des Umfangs.

2) Den Dingen der Welt ist diese zweckmäßige Anordnung ganz fremd, und hängt ihnen nur zufällig an, d.i. die Natur verschiedener Dinge konnte von selbst, durch so vielerlei sich vereinigende Mittel, zu bestimmten Endabsichten nicht zusammenstimmen, wären sie nicht durch ein anordnendes vernünftiges Prinzip, nach zum Grunde liegenden Ideen, dazu ganz eigentlich gewählt und angelegt worden.

3) Es existiert also eine erhabene und weise Ursache (oder mehrere), die nicht bloß, als blindwirkende allvermögende Natur, durch F r u c h t b a r keit, sondern, als Intelligenz, durch F r e i h e i t die Ursache der Welt sein muß.

4) Die Einheit derselben läßt sich aus der Einheit der wechselseitigen Beziehung der Teile der Welt, als Glieder von einem künstlichen Bauwerk, an demjenigen, wohin unsere Beobachtung reicht, mit Gewißheit, weiterhin aber, nach allen Grundsätzen der Analogie, mit Wahrscheinlichkeit schließen.


Ohne hier mit der natürlichen Vernunft über ihren Schluß zu schikanieren, da sie aus der Analogie einiger Naturprodukte mit demjenigen, was menschliche Kunst hervorbringt, wenn sie der Natur Gewalt tut, und sie nötigt, nicht nach ihren Zwecken zu verfahren, sondern sich in die unsrigen zu schmiegen (der Ähnlichkeit derselben mit Häusern, Schiffen, Uhren), schließt, es werde eben eine solche Kausalität, nämlich Verstand und Wille, bei ihr zum Grunde liegen, wenn sie die innere Möglichkeit der freiwirkenden Natur (die alle Kunst und vielleicht selbst sogar die Vernunft zuerst möglich macht), noch von einer anderen obgleich übermenschlichen Kunst ableitet, welche Schlußart vielleicht die schärfste transz. Kritik nicht aushalten dürfte: muß man doch gestehen, daß, wenn wir einmal eine Ursache nennen sollen, wir hier nicht sicherer, als nach der Analogie mit dergleichen zweckmäßigen Erzeugungen, die die einzigen sind, wovon uns die Ursachen und Wirkungsart völlig bekannt sind, verfahren können. Die Vernunft würde es bei sich selbst nicht verantworten können, wenn sie von der Kausalität, die sie kennt, zu dunkeln und unerweislichen Erklärungsgründen, die sie nicht kennt, übergehen wollte.

Nach diesem Schlusse müßte die Zweckmäßigkeit und Wohlgereimtheit so vieler Naturanstalten bloß die Zufälligkeit der Form, aber nicht der Materie, d.i. der Substanz in der Welt beweisen; denn zu dem letzteren würde noch erfordert werden, daß bewiesen werden könnte, die Dinge der Welt wären an sich selbst zu dergleichen Ordnung und Einstimmung, nach allgemeinen Gesetzen, untauglich, wenn sie nicht, selbst ihrer Substanz nach, das Produkt einer höchsten Weisheit wären; wozu aber ganz andere Beweisgründe, als die von der Analogie mit menschlicher Kunst, erfordert werden würden. Der Beweis könnte also höchstens einen Weltbaumeister, der durch die Tauglichkeit des Stoffs, den er bearbeitet, immer sehr eingeschränkt wäre, aber nicht einen Weltschöpfer, dessen Idee alles unterworfen ist, dartun, welches zu der großen Absicht, die man vor Augen hat, nämlich ein allgenugsames Urwesen zu beweisen, bei weitem nicht hinreichend ist. Wollten wir die Zufälligkeit der Materie selbst beweisen, so müßten wir zu einem transzendentalen Argumente unsere Zuflucht nehmen, welches aber hier eben hat vermieden werden sollen.

Der Schluß geht also von der in der Welt so durchgängig zu beobachtenden Ordnung und Zweckmäßigkeit, als einer durchaus zufälligen Einrichtung, auf das Dasein einer i h r p r o p o r t i o n i e r t e n Ursache. Der Begriff dieser Ursache aber muß uns etwas ganz Bestimmtes von ihr zu erkennen geben, und er kann also kein anderer sein, als der von einem Wesen, das alle Macht, Weisheit etc., mit einem Worte, alle Vollkommenheit, als ein allgenugsames Wesen, besitzt. Denn die Prädikate von s e h r g r o ß e r, von erstaunlicher, von unermeßlicher Macht und Trefflichkeit geben gar keinen bestimmten Begriff, und sagen eigentlich nicht, was das Ding an sich selbst sei, sondern sind nur Verhältnisvorstellungen von der Größe des Gegenstandes, den der Beobachter (der Welt) mit sich selbst und seiner Fassungskraft vergleicht, und die gleich hochpreisend ausfallen, man mag den Gegenstand vergrößern, oder das beobachtende Subjekt in Verhältnis auf ihn kleiner machen. Wo es auf Größe (der Vollkommenheit) eines Dinges überhaupt ankommt, da gibt es keinen bestimmten Begriff, als den, so die ganze mögliche Vollkommenheit begreift, und nur das All (omnitudo) der Realität ist im Begriffe durchgängig bestimmt.

Nun will ich nicht hoffen, daß sich jemand unterwinden sollte, das Verhältnis der von ihm beobachteten Weltgröße (nach Umfang sowohl als Inhalt) zur Allmacht, der Weltordnung zur höchsten Weisheit, der Welteinheit zur absoluten Einheit des Urhebers etc. einzusehen. Also kann die Physikotheologie keinen bestimmten Begriff von der obersten Weltursache geben, und daher zu einem Prinzip der Theologie, welche wiederum die Grundlage der Religion ausmachen soll, nicht hinreichend sein.

Der Schritt zu der absoluten Totalität ist durch den empirischen Weg ganz und gar unmöglich. Nun tut man ihn doch aber im physischtheologischen Beweise. Welches Mittels bedient man sich also wohl, über eine so weite Kluft zu kommen?

Nachdem man bis zur Bewunderung der Größe der Weisheit, der Macht etc. des Welturhebers gelangt ist, und nicht weiter kommen kann, so verläßt man auf einmal dieses durch empirische Beweisgründe geführte Argument, und geht zu der gleich anfangs aus der Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welt geschlossenen Zufälligkeit derselben. Von dieser Zufälligkeit allein geht man nun, lediglich durch transzendentale Begriffe, zum Dasein eines Schlechthinnotwendigen, und von dem Begriff der absoluten Notwendigkeit der ersten Ursache auf den durchgängig bestimmten oder bestimmenden Begriff desselben, nämlich einer allbefassenden Realität. Also blieb der physischtheologische Beweis in seiner Unternehmung stecken, sprang in dieser Verlegenheit plötzlich zu dem kosmologischen Beweise über, und da dieser nur ein versteckter ontologischer Beweis ist, so vollführte er seine Absicht wirklich bloß durch reine Vernunft, ob er gleich anfänglich alle Verwandtschaft mit dieser abgeleugnetund alles auf einleuchtende Beweise aus Erfahrung ausgesetzt hatte.

Die Physikotheologen haben also gar nicht Ursache, gegen die transzendentale Beweisart so spröde zutun, und auf sie mit dem Eigendünkel hellsehender Naturkenner, als auf das Spinnengewebe finsterer Grübler, herabzusehen. Denn, wenn sie sich nur selbst prüfen wollten, so würden sie finden, daß, nachdem sie eine gute Strecke auf dem Boden der Natur und Erfahrung fortgegangen sind, und sich gleichwohl immer noch eben so weit von dem Gegenstande sehen, der ihrer Vernunft entgegen scheint, sie plötzlich diesen Boden verlassen, und ins Reich bloßer Möglichkeiten übergehen, wo sie auf den Flügeln der Ideen demjenigen nahe zu kommen hoffen, was sich aller ihrer empirischen Nachsuchung entzogen hatte. Nachdem sie endlich durch einen so mächtigen Sprung festen Fuß gefaßt zu haben vermeinen, so verbreiten sie den nunmehr bestimmten Begriff (in dessen Besitz sie, ohne zu wissen wie, gekommen sind) über das ganze Feld der Schöpfung, und erläutern das Ideal, welches lediglich ein Produkt der reinen Vernunft war, obzwar kümmerlich genug, und weit unter der Würde seines Gegenstandes, durch Erfahrung, ohne doch gestehen zu wollen, daß sie zu dieser Kenntnis oder Voraussetzung durch einen andern Fußsteig, als den der Erfahrung, gelangt sind.

So liegt demnach dem physikotheologischen Beweise der kosmologische, diesem aber der ontologische Beweis, vom Dasein eines einigen Urwesens als höchsten Wesens, zum Grunde, und da außer diesen dreien Wegen keiner mehr der spekulativen Vernunft offen ist, so ist der ontologische Beweis, aus lauter reinen Vernunftbegriffen, der einzige mögliche, wenn überall nur ein Beweis von einem so weit über allen empirischen Verstandesgebrauch erhabenen Satze möglich ist.Des dritten Hauptstücks siebenter Abschnitt
Kritik aller Theologie aus spekulativen Prinzipen der Vernunft
Wenn ich unter Theologie die Erkenntnis des Urwesens verstehe, so ist sie entweder die aus bloßer Vernunft (theologia rationalis) oder aus Offenbarung (revelata). Die erstere denkt sich nun ihren Gegenstand entweder bloß durch reine Vernunft, vermittelst lauter transzendentaler Begriffe (ens originarium, realissimum, ens entium), und heißt die transzendentale Theologie, oder durch einen Begriff, den sie aus der Natur (unserer Seele) entlehnt, als die höchste Intelligenz, und müßte die natürliche Theologie heißen. Der, so allein eine transzendentale Theologie einräumt, wird Deist, der, so auch eine natürliche Theologie annimmt, Theist genannt. Der erstere gibt zu, daß wir allenfalls das Dasein eines Urwesens durch bloße Vernunft erkennen können, wovon aber unser Begriff bloß transzendental sei, nämlich nur als von einem Wesen, das alle Realität hat, die man aber nicht näher bestimmen kann. Der zweite behauptet, die Vernunft sei im Stande, den Gegenstand nach der Analogie mit der Natur näher zu bestimmen, nämlich als ein Wesen, das durch Verstand und Freiheit den Urgrund aller anderen Dinge in sich enthalte. Jener stellt sich also unter demselben bloß eine Weltursache (ob durch die Notwendigkeit seiner Natur, oder durch Freiheit, bleibt unentschieden), dieser einen Welturheber vor.

Die transzendentale Theologie ist entweder diejenige, welche das Dasein des Urwesens von einer Erfahrung überhaupt (ohne über die Welt, wozu sie gehört, etwas näher zu bestimmen) abzuleiten gedenkt, und heißt Kosmotheologie, oder glaubt durch bloße Begriffe, ohne Beihilfe der mindesten Erfahrung, sein Dasein zu erkennen, und wird Ontotheologie genannt.

Die natürliche Theologie schließt auf die Eigenschaften und das Dasein eines Welturhebers, aus der Beschaffenheit, der Ordnung und Einheit, die in dieser Welt angetroffen wird, in welcher zweierlei Kausalität und deren Regel angenommen werden muß, nämlich Natur und Freiheit. Daher steigt sie von dieser Welt zur höchsten Intelligenz auf, entweder als dem Prinzip aller natürlichen, oder aller sittlichen Ordnung und Vollkommenheit. Im ersteren Falle heißt sie Physikotheologie, im letzten Moraltheologie.

Da man unter dem Begriffe von Gott nicht etwa bloß eine blindwirkende ewige Natur, als die Wurzel der Dinge, sondern ein höchstes Wesen, das durch Verstand und Freiheit der Urheberder Dinge sein soll, zu verstehen gewohnt ist, und auch dieser Begriff allein uns interessiert, so könnte man, nach der Strenge, dem Deisten allen Glauben an Gott absprechen, und ihm lediglich die Behauptung eines Urwesens, oder obersten Ursache, übrig lassen. Indessen, da niemand darum, weil er etwas sich nicht zu behaupten getraut, beschuldigt werden darf, er wolle es gar leugnen, so ist es gelinder und billiger, zu sagen: der Deist glaube einen Gott, der Theist aber einen l e b e n d i g e n G o t t (summam intelligentiam). Jetzt wollen wir die möglichen Quellen aller dieser Versuche der Vernunft aufsuchen.

Ich begnüge mich hier, die theoretische Erkenntnis durch eine solche zu erklären, wodurch ich erkenne, was d a i s t, die praktische aber, dadurch ich mir vorstelle, was d a s e i n s o l l. Diesemnach ist der theoretische Gebrauch der Vernunft derjenige, durch den ich a priori (als notwendig) erkenne, daß etwas sei; der praktische aber, durch den a priori erkannt wird, was geschehen solle. Wenn nun entweder, daß etwas sei, oder geschehen solle, ungezweifelt gewiß, aber doch nur bedingt ist: so kann doch entweder eine gewisse bestimmte Bedingung dazu schlechthin notwendig sein, oder sie kann nur als beliebig und zufällig vorausgesetzt werden. Im ersteren Falle wird die Bedingung postuliert (per thesin), im zweiten supponiert [unterstellt] (per hypothesin). Da es praktische Gesetze gibt, die schlechthin notwendig sind (die moralische), so muß, wenn diese irgend ein Dasein, als die Bedingung der Möglichkeit ihrer v e r b i n d e n d e n Kraft, notwendig voraussetzen, dieses Dasein p o s t u l i e r t werden, darum, weil das Bedingte, von welchem der Schluß auf diese bestimmte Bedingung geht, selbst a priori als schlechterdingsnotwendig erkannt wird. Wir werden künftig von den moralischen Gesetzen zeigen, daß sie das Dasein eines höchsten Wesens nicht bloß voraussetzen, sondern auch, da sie in anderweitiger Betrachtung schlechterdings notwendig sind, es mit Recht, aber freilich nur praktisch, postulieren; jetzt setzen wir diese Schlußart noch bei Seite.

Da, wenn bloß von dem, was da ist (nicht, was sein soll), die Rede ist, das Bedingte, welches uns in der Erfahrung gegeben wird, jederzeit auch als zufällig gedacht wird, so kann die zu ihm gehörige Bedingung daraus nicht als schlechthinnotwendig erkannt werden, sondern dient nur als eine respektivnotwendige, oder vielmehr n ö t i g e, an sich selbst aber und a priori willkürliche Voraussetzung zum Vernunfterkenntnis des Bedingten. Soll also die absolute Notwendigkeit eines Dinges im theoretischen Erkenntnisse erkannt werden, so könnte dieses allein aus Begriffen a priori geschehen, niemals aber als einer Ursache, in Beziehung auf ein Dasein, das durch Erfahrung gegeben ist.

Eine theoretische Erkenntnis ist s p e k u l a t i v, wenn sie auf einen Gegenstand, oder solche Begriffe von einem Gegenstande, geht, wozu man in keiner Erfahrung gelangen kann. Sie wird der Naturerkenntnis entgegengesetzt, welche auf keine andere Gegenstände oder Prädikate derselben geht, als die in einer möglichen Erfahrung gegeben werden können.

Der Grundsatz, von dem, was geschieht (dem Empirischzufälligen), als Wirkung, auf eine Ursache zu schließen, ist ein Prinzip der N a t u r e r k e n n t n i s, aber nicht der spekulativen. Denn, wenn man von ihm, als einem Grundsatze, der die Bedingung möglicher Erfahrung überhaupt enthält, abstrahiert, und, indem man alles Empirische wegläßt, ihn vom Zufälligen überhaupt aussagen will, so bleibt nicht die mindeste Rechtfertigung eines solchen synthetischen Satzes übrig, um daraus zu ersehen, wie ich von etwas, was da ist, zu etwas davon ganz Verschiedenem (genannt Ursache) übergehen könne; ja der Begriff einer Ursache verliert eben so, wie des Zufälligen, in solchem bloß spekulativen Gebrauche, alle Bedeutung, deren objektive Realität sich in concreto begreiflich machen lasse.

Wenn man nun vom Dasein der D i n g e in der Welt auf ihre Ursache schließt, so gehört dieses nicht zum n a t ü r l i c h e n, sondern zum s p e k u l a t i v e n Vernunftgebrauch; weil jener nicht die Dinge selbst (Substanzen), sondern nur das, was geschieht, also ihre Zustände, als empirisch zufällig, auf irgendeine Ursache bezieht; daß die Substanz selbst (die Materie) dem Da. sein nach zufällig sei, würde ein bloß spekulatives Vernunfterkenntnis sein müssen. Wenn aber auch nur von der Form der Welt, der Art ihrer Verbindung und dem Wechsel derselben die Rede wäre, ich wollte aber daraus auf eine Ursache schließen, die von der Welt gänzlich unterschieden ist; so würde dieses wiederum ein Urteil der bloß spekulativen Vernunft sein, weil der Gegenstand hier gar kein Objekt einer möglichen Erfahrung ist. Aber alsdann würde der Grundsatz der Kausalität, der nur innerhalb dem Felde der Erfahrungen gilt, und außer demselben ohne Gebrauch, ja selbst ohne Bedeutung ist, von seiner Bestimmung gänzlich abgebracht.

Ich behaupte nun, daß alle Versuche eines bloß spekulativen Gebrauchs der Vernunft in Ansehung der Theologie gänzlich fruchtlos und ihrer inneren Beschaffenheit nach null und nichtig sind; daß aber die Prinzipien ihres Naturgebrauchs ganz und gar auf keine Theologie führen, folglich, wenn man nicht moralische Gesetze zum Grunde legt, oder zum Leitfaden braucht, es überall keine Theologie der Vernunft geben könne. Denn alle synthetischen Grundsätze des Verstandes sind von immanentem Gebrauch; zu der Erkenntnis eines höchsten Wesens aber wird ein transzendenter Gebrauch derselben erfordert, wozu unser Verstand gar nicht ausgerüstet ist. Soll das empirisch gültige Gesetz der Kausalität zu dem Urwesen führen, so müßte dieses in die Kette der Gegenstände der Erfahrung mitgehoren; alsdann wäre es aber, wie alle Erscheinungen, selbst wiederum bedingt. Erlaubte man aber auch den Sprung über die Grenze der Erfahrung hinaus, vermittelst des dynamischen Gesetzes der Beziehung der Wirkungen auf ihre Ursachen; welchen Begriff kann uns dieses Verfahren verschaffen? Bei weitem keinen Begriff von einem höchsten Wesen, uns Erfahrung niemals die größte aller möglichen Wirkungen (als welche das Zeugnis von ihrer Ursache ablegen soll) darreicht. Soll es uns erlaubt sein, bloß, um in unserer Vernunft nichts Leeres übrig zu lassen, diesen Mangel der völligen Bestimmung durch eine bloße Idee der höchsten Vollkommenheit und ursprünglichen Notwendigkeit auszufüllen: so kann dieses zwar aus Gunst eingeräumt, aber nicht aus dem Rechte eines unwiderstehlichen Beweises gefordert werden. Der physischtheologische Beweis könnte also vielleicht wohl anderen Beweisen (wenn solche zu haben sind) Nachdruck geben, indem er Spekulation mit Anschauung verknüpft; für sich selbst aber bereitet er mehr den Verstand zur theologischen Erkenntnis vor, und gibt ihm dazu eine gerade und natürliche Richtung, als daß er a l l e i n das Geschäft vollenden könnte.

Man sieht also hieraus wohl, daß transzendentale Fragen nur transzendentale Antworten, d.i. aus lauter Begriffen a priori ohne die mindeste empirische Beimischung, erlauben. Die Frage ist hier aber offenbar synthetisch und verlangt eine Erweiterung unserer Erkenntnis über alle Grenzen der Erfahrung hinaus, nämlich zu dem Dasein eines Wesens, das unserer bloßen Idee entsprechen soll, der niemals irgend eine Erfahrung gleichkommen kann. Nun ist, nach unseren obigen Beweisen, alle synthetische Erkenntnis a priori nur dadurch möglich, daß sie die formalen Bedingungen einer möglichen Erfahrung ausdrückt, und alle Grundsätze sind also nur von immanenter Gültigkeit, d.i. sie beziehen sich lediglich auf Gegenstände empi-rischer Erkenntnis, oder Erscheinungen. Also wird auch durch transzendentales Verfahren in Absicht auf die Theologie einer bloß spekulativen Vernunft nichts ausgerichtet.

Wollte man aber lieber alle obige Beweise der Analytik in Zweifel ziehen, als sich die Überredung von dem Gewichte der so lange gebrauchten Beweisgründe rauben lassen: so kann man sich doch nicht weigern, der Auffoderung ein Genüge zu tun, wenn ich verlange, man solle sich wenigstens darüber rechtfertigen, wie und vermittelst welcher Erleuchtung man sich denn getraue, alle mögliche Erfahrung durch die Macht bloßer Ideen zu überfliegen. Mit neuen Beweisen, oder ausgebesserter Arbeit alter Beweise, würde ich bitten, mich zu verschonen. Denn, ob man zwar hierin eben nicht viel zu wählen hat, indem endlich doch alle bloß spekulative Beweise auf einen einzigen, nämlich den ontologischen, hinauslaufen, und ich also eben nicht fürchten darf, sonderlich durch die Fruchtbarkeit der dogmatischen Verfechter jener sinnenfreien Vernunft belästigt zu werden; obgleich ich überdem auch, ohne mich darum sehr streitbar zu dünken, die Ausforderung nicht ausschlagen will, in jedem Versuche dieser Art den Fehlschluß aufzudecken, und dadurch seine Anmaßung zu vereiteln: so wird daher doch die Hoffnung besseren Glücks bei denen, welche einmal dogmatischer Überredungen gewohnt sind, niemals völlig aufgehoben, und ich halte mich daher an der einzigen billigen Forderung, daß man sich allgemein und aus der Natur des menschlichen Verstandes, samt allen übrigen Erkenntnisquellen, darüber rechtfertige, wie man es anfangen wolle, seine Erkenntnis ganz und gar a priori zu erweitern, und bis dahin zu erstrecken, wo keine mögliche Erfahrung und mithin kein Mittel hinreicht, irgend einem von uns selbst ausgedachten Begriffe seine objektive Realität zu versichern. Wie der Verstand auch zu diesem Begriffe gelanget sein mag, so kann doch das Dasein des Gegenstandes desselben nicht analytisch in demselben gefunden werden, weil eben darin die Erkenntnis der E x i s t e n z des Objekts besteht, daß dieses a u ß e r dem G e d a n k e n an sich selbst gesetzt ist. Es ist aber gänzlich unmöglich, aus einem Begriffe von selbst hinaus zu gehen, und, ohne daß man der empirischen Verknüpfung folgt (wodurch aber jederzeit nur Erscheinungen gegeben werden), zu Entdeckung neuer Gegenstände und überschwenglicher Wesen zu gelangen.

Ob aber gleich die Vernunft in ihrem bloß spekulativen Gebrauche zu dieser so großen Absicht bei weitem nicht zulänglich ist, nämlich zum Dasein eines obersten Wesens zu gelangen: so hat sie doch darin sehr großen Nutzen, die Erkenntnis desselben, im Fall sie anders woher geschöpft werden könnte, zu berichtigen, mit sich selbst und jeder intelligibelen Absicht einstimmig zu machen, und von allem, was dem Begriffe eines Urwesens zuwider sein möchte, und aller Beimischung empirischer Einschränkungen zu reinigen.

Die transzendentale Theologie bleibt demnach, aller ihrer Unzulänglichkeit ungeachtet, dennoch von wichtigem negativen Gebrauche, und ist eine beständige Zensur unserer Vernunft, wenn sie bloß mit reinen Ideen zu tun hat, die eben darum kein anderes, alstranszendentales Richtmaß zulassen. Denn, wenn ein-mal, in anderweitiger, vielleicht praktischer Beziehung, die V o r a u s s e t z u n g eines höchsten und allgenugsamen Wesens, als oberster Intelligenz, ihre Gültigkeit ohne Widerrede behauptete: so wäre es von der größten Wichtigkeit, diesen Begriff auf seiner transzendentalen Seite, als den Begriff eines notwendigen und allerrealesten Wesens, genau zu bestimmen, und, was der höchsten Realität zuwider ist, was zur bloßen Erscheinung (dem Anthropomorpahism im weiteren Verstande) gehört, wegzuschaffen, und zugleich alle entgegengesetzte Behauptungen, sie mögen nun atheistisch, oder deistisch, oder anthropomorphisch sein, aus dem Wege zu räumen; welches in einer solchen kritischen Behandlung sehr leicht ist, indem dieselben Gründe, durch welche das Unvermögen der menschlichen Vernunft, in Ansehung der Behauptung des Daseins eines dergleichen Wesens, vor Augen gelegt wird, notwendig auch zureichen, um die Untauglichkeit einer jeden Gegenbehauptung zu beweisen.

Denn, wo will jemand durch reine Spekulation der Vernunft die Einsicht hernehmen, daß es kein höchstes Wesen, als Urgrund von allem, gebe, oder daß ihm keine von den Eigenschaften zukomme, welche wir, ihren Folgen nach, als analogisch mit den dynamischen Realitäten eines denkenden Wesens, uns vorstellen, oder daß sie, in dem letzteren Falle, auch allen Einschränkungen unterworfen sein müßten, welche die Sinnlichkeit den Intelligenzen, die wir durch Erfahrung kennen, unvermeidlich auferlegt.

Das höchste Wesen bleibt also für den bloß spekulativen Gebrauch der Vernunft ein bloßes, aber doch fehlerfreies Ideal, ein Begriff, welcher die ganze menschliche Erkenntnis schließt und krönt, dessen objektive Realität auf diesem Wege zwar nicht bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden kann, und, wenn es eine Moraltheologie geben sollte, die diesen Mangel ergänzen kann, so beweiset alsdann die vorher nur problematische transzendentale Theologie ihre Unentbehrlichkeit, durch Bestimmung ihres Begriffs und unaufhörliche Zensur einer durch Sinnlichkeit oft genug getäuschten und mit ihren eigenen Ideen nicht immer einstimmigen Vernunft. Die Notwendigkeit, die Unendlichkeit, die Einheit, das Dasein außer der Welt (nicht als Weltseele), die Ewigkeit, ohne Bedingungen der Zeit, die Allgegenwart, ohne Bedingungen des Raumes, die Allmacht etc. sind lauter transzendentale Prädikate, und daher kann der gereinigte Begriff derselben, den eine jede Theologie so sehr nötig hat, bloß aus der transzendentalen gezogen werden. S.561-604
Aus: Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. Philosophische Bibliothek Band 37a, Felix Meiner Verlag, Hamburg

Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (1763)

Von dem schlechterdings notwendigen Dasein
1. Begriff der absolut notwendigen Existenz überhaupt
2. Es existiert ein schlechterdings notwendiges Wesen
3. Das notwendige Wesen ist einig
4. Das notwendige Wesen ist einfach
5. Das notwendige Wesen ist unveränderlich und ewig
6. Das notwendige Wesen enthält die höchste Realität

Beweisgrund zur Demonstration des Daseins Gottes
1. Das notwendige Wesen ist ein Geist
2. Es ist ein Gott
Der erhabenste Gedanke: Gott ist von Ewigkeit zu Ewigkeit . . .
Es ist nur ein Gott . . .
 

Dritte Betrachtung: Von dem schlechterdings notwendigen Dasein
1. Begriff der absolut notwendigen Existenz überhaupt
Schlechterdings notwendig ist, dessen Gegenteil an sich selbst unmöglich ist. [...] Wenn ich nun einen Augenblick nachdenke, weswegen dasjenige, was sich widerspricht, schlechterdings nichts und unmöglich sei, so bemerke ich: daß, weil dadurch der Satz des Widerspruchs, der letzte logische Grund alles Denklichen, aufgehoben wird, alle Möglichkeit verschwinde, und nichts dabei mehr zu denken sei. Ich nehme daraus alsbald ab, daß, wenn ich alles Dasein überhaupt aufhebe, und hiedurch der letzte Realgrund alles Denklichen wegfällt, gleichfalls alle Möglichkeit verschwindet, und nichts mehr zu denken bleibt. Demnach kann etwas schlechterdings notwendig sein, entweder wenn durch sein Gegenteil das Formale alles Denklichen aufgehoben wird, das ist, wenn es sich selbst widerspricht, oder auch, wenn sein Nichtsein das Materiale zu allem Denklichen, und alle Data dazu aufhebt. Das erste findet, wie gesagt, niemals beim Dasein statt, und weil kein Drittes möglich ist, so ist entweder der Begriff von der schlechterdings notwendigen Existenz gar eintäuschender und falscher Begriff, oder er muß darin beruhen, daß das Nichtsein eines Dinges zugleich die Verneinung von den Datis zu allen Denklichen sei. Daß aber dieser Begriff nicht erdichtet, sondern etwas Wahrhaftes sei, erhellet auf folgende Art. 2. Es existiert ein schlechterdings notwendiges Wesen
Alle Möglichkeit setzt etwas Wirkliches voraus, worin und wodurch alles Denkliche gegeben ist. Demnach ist eine gewisse Wirklichkeit, deren Aufhebung selbst alle innere Möglichkeit überhaupt aufheben würde. Dasjenige aber, dessen Aufhebung oder Verneinung alle Möglichkeit vertilgt, ist schlechterdings notwendig. Demnach existiert etwas absolut notwendiger Weise. Bis dahin erhellet, daß ein Dasein eines oder mehrerer Dinge selbst aller Möglichkeit zum Grunde liege, und daß dieses Dasein an sich selbst notwendig sei. Man kann hieraus auch leichtlich den Begriff der Zufälligkeit abnehmen. Zufällig ist nach der Worterklärung, dessen Gegenteil möglich ist. Um aber die Sacherklärung davon zu finden, so muß man auf folgende Art unterscheiden. Im logischen Verstande ist dasjenige, als ein Prädikat, an einem Subjekte zufällig, dessen Gegenteil demselben nicht widerspricht. Z. E. Einem Triangel überhaupt ist es zufällig, daß er rechtwinklich sei. Diese Zufälligkeit findet lediglich bei der Beziehung der Prädikate zu ihren Subjekten statt, und leidet, weil das Dasein kein Prädikat ist, auch gar keine Anwendung auf die Existenz. Dagegen ist im Realverstande zufällig dasjenige, dessen Nichtsein zu denken ist, das ist, dessen Aufhebung nicht alles Denkliche aufhebt. Wenn demnach die innere Möglichkeit der Dinge ein gewisses Dasein nicht voraussetzt, so ist dieses zufällig, weil sein Gegenteil die Möglichkeit nicht aufhebt. Oder: Dasjenige Dasein, wodurch nicht das Materiale zu allem Denklichen gegeben ist, ohne welches also noch etwas zu denken, das ist, möglich ist, dessen Gegenteil ist im Realverstande möglich, und das ist in eben demselben Verstande auch zufällig.3. Das notwendige Wesen ist einig
Weil das notwendige Wesen den letzten Realgrund aller andern Möglichkeit enthält, so wird ein jedes andere Ding nur möglich sein, in so fern es durch ihn alseinen Grund gegeben ist. Demnach kann ein jedes andere Ding nur als eine Folge von ihm statt finden, und ist also aller andern Dinge Möglichkeit und Dasein von ihm abhängend. Etwas aber, was selbst abhän-gend ist, enthält nicht den letzten Realgrund aller Möglichkeit, und ist demnach nicht schlechterdings notwendig. Mithin können nicht mehrere Dinge absolut notwendig sein.

Setzet, A sei ein notwendiges Wesen, und B ein anderes. So ist, vermöge der Erklärung, B nur in so fern möglich, als es durch einen andern Grund A, als die Folge desselben gegeben ist. Weil aber vermöge der Voraussetzung B selber notwendig ist, so ist seine Möglichkeit in ihm als ein Prädikat, und nicht als eine Folge aus einem andern, und doch nur als eine Folge laut dem vorigen gegeben, welches sich widerspricht.4. Das notwendige Wesen ist einfach
Daß kein Zusammengesetztes aus viel Substanzen ein schlechterdings notwendiges Wesen sein könne, erhellet auf folgende Art. Setzet, es sei nur eins seiner Teile schlechterdings notwendig, so sind die andern nur insgesamt als Folgen durch ihn möglich, und gehören nicht zu ihm als Nebenteile. Gedenket euch, es wären mehrere oder alle notwendig, so widerspricht dieses der vorigen Nummer. Es bleibt demnach nichts übrig, als sie müssen ein jedes besonders zufällig, alleaber zusammen schlechterdings notwendig existieren. Nun ist dieses aber unmöglich, weil ein Aggregat vonSubstanzen nicht mehr Notwendigkeit im Dasein haben kann, als denen Teilen zukommt, und da diesen gar keine zukommt, sondern ihre Existenz zufällig ist,so würde auch die des Ganzen zufällig sein. Wenn man gedächte, sich auf die Erklärung des notwendigen Wesens berufen zu können, so daß man sagte, in jeglichem derer Teile wären die letzten Data einiger innern Möglichkeit, in allen zusammen alles Mögliche gegeben, so würde man etwas ganz Ungereimtes, wenn man sich alsdenn die innere Möglichkeit so gedenket, daß einige können aufgehoben werden, doch so, daß übrigens, was durch die andere Teile noch Denkliches gegeben worden, bliebe, so müßte man sich vorstellen, es sei an sich möglich, daß die innere Möglichkeit verneinet oder aufgehoben werde. Es ist aber gänzlich undenklich und widersprechend, daß etwas nichts sei, und dieses will so viel sagen: eine innere Möglichkeit aufheben ist alles Denkliche vertilgen, woraus erhellet, daß die Data zu jedem Denklichen in demjenigen Dinge müssen gegeben sein, dessen Aufhebung auch das Gegenteil aller Möglichkeit ist, daß also, was den letzten Grund von einer innern Möglichkeit enthält, ihn auch von aller überhaupt enthalte, mithin dieser Grund nicht in verschiedenen Substanzen verteilt sein könne.5. Das notwendige Wesen ist unveränderlich und ewig
Weil selbst seine eigene Möglichkeit, und jede andere dieses Dasein voraussetzt, so ist keine andere Art der Existenz desselben möglich, das heißt, es kann das notwendige Wesen nicht auf vielerlei Art existieren. Nämlich alles, was da ist, ist durchgängig bestimmt, da dieses Wesen nun lediglich darum möglich ist, weil es existiert, so findet keine Möglichkeit des-selben statt, außer in so fern es in der Tat da ist; es ist also auf keine andere Art möglich, als wie es wirklich ist. Demnach kann es nicht auf andere Art bestimmt oder verändert werden. Sein Nichtsein ist schlechterdings unmöglich, mithin auch sein Ursprung und Untergang, demnach ist es ewig. 6. Das notwendige Wesen enthält die höchste Realität
Da die Data zu aller Möglichkeit in ihm anzutreffen sein müssen, entweder als Bestimmungen desselben, oder als Folgen, die durch ihn als den ersten Realgrund gegeben sein, so sieht man, daß alle Realität auf eine oder andere Art durch ihn begriffen sei. Allein eben dieselbe Bestimmungen, durch die dieses Wesen der höchste Grund ist von anderer möglichen Realität, setzen in ihm selber den größesten Grad realer Eigenschaften, der nur immer einem Dinge beiwohnen kann. Weil ein solches Wesen also das realste unter allen möglichen ist, indem so gar alle andere nur durch dasselbe möglich sein, so ist dieses nicht sozu verstehen, daß alle mögliche Realität zu seinen Bestimmungen gehöre. Dieses ist eine Vermengung der Begriffe, die bis dahin ungemein geherrscht hat. Man erteilt alle Realitäten Gott, oder dem notwendigen Wesen ohne Unterschied als Prädikate, ohne wahrzunehmen, daß sie nimmermehr in einem einzigen Subjekt als Bestimmungen neben einander können stattfinden. Die Undurchdringlichkeit der Körper, die Ausdehnung u.d.g. können nicht Eigenschaften von demjenigen sein, der da Verstand und Willen hat. Es ist auch umsonst, eine Ausflucht darin zu suchen, daß man die gedachte Beschaffenheiten nicht vor wahre Realität halte. Es ist ohne allen Zweifel der Stoß eines Körpers oder die Kraft des Zusammenhanges etwas wahrhaftig Positives. Eben so ist der Schmerz in den Empfindungen eines Geistes nimmermehr eine bloße Beraubung. Ein irriger Gedanke hat eine solche Vorstellung dem Scheine nach gerechtfertigt. Es heißt, Realität und Realität widersprechen einander niemals,weil beides wahre Bejahungen sein; demnach widerstreiten sie auch einander nicht in einem Subjekte. Ob ich nun gleich einräume, daß hier kein logischer Widerstreit sei, so ist dadurch doch nicht die Realrepugnanz gehoben. Diese findet jederzeit statt, wenn etwas als ein Grund die Folge von etwas anderndurch eine reale Entgegensetzung vernichtigt. Die Bewegungskraft eines Körpers nach einer Direktion, und die Tendenz mit gleichem Grade in entgegengesetzter stehen nicht im Widerspruche. Sie sind auch wirklich zugleich in einem Körper möglich. Aber eine vernichtigt die Realfolge aus der andern, und da sonst von jeder insbesondere die Folge eine wirkliche Bewegung sein würde, so ist sie jetzt von beiden zusammen in einem Subjekte 0, das ist, die Folge von diesen entgegen gesetzten Bewegungskräften ist die Ruhe. Die Ruhe aber ist ohne Zweifel möglich, woraus man denn auch sieht, daß die Realrepugnanz ganz was anders sei als die logische, oder der Widerspruch; denn das, was daraus folgt, ist schlechterdings unmöglich. Nun kann aber in dem allerrealsten Wesen keine Realrepugnanz oder positiver Widerstreit seiner eigenen Bestimmungen sein, weil die Folge davon eine Beraubung oder Mangel sein würde, welches seiner höchsten Realität widerspricht, und da, wenn alle Realitäten in demselben als Bestimmungen lägen, ein solcher Widerstreit entstehen müßte, so können sie nicht insgesamt als Prädikate in ihm sein, mithin weil sie alle durch ihn gegeben sein, so werden sie entweder zu seinen Bestimmungen oder Folgen gehören.

Es könnte auch beim ersten Anblick scheinen zu folgen: daß, weil das notwendige Wesen den letzten Realgrund aller andern Möglichkeit enthält, in ihm auch der Grund der Mängel und Verneinungen derer Wesen der Dinge liegen müsse, welches, wenn es zugelassen würde, auch den Schluß veranlassen dürfte, daß es selbst Negationen unter seinen Prädikaten haben müsse, und nimmermehr nichts als Realität. Allein man richte nur seine Augen auf den einmal festgesetzten Begriff desselben. In seinem Dasein ist seine eigene Möglichkeit ursprünglich gegeben. Dadurch, daß es nun andere Möglichkeiten sein, wovon es den Realgrund enthält, folgt nach dem Satze des Widerspruchs, daß es nicht die Möglichkeit des realsten Wesens selber, und daher solche Möglichkeiten, welche Verneinungen und Mängel enthalten, sein müssen.

Demnach beruhet die Möglichkeit aller andern Dinge, in Ansehung dessen, was in ihnen real ist, auf dem notwendigen Wesen, als einem Realgrunde, die Mängel aber darauf, weil es andere Dinge und nicht das Urwesen selber sind, als einem logischen Grunde.Die Möglichkeit des Körpers, in so fern er Ausdehnung, Kräfte u. d. g. hat, ist in dem obersten alle Wesen gegründet; in so ferne ihm die Kraft zu denken gebricht, so liegt diese Verneinung in ihm selbst, nach dem Satz des Widerspruchs.

In der Tat sind Verneinungen an sich selbst nicht etwas, oder denklich, welches man sich leichtlich auf folgende Art faßlich machen kann. Setzet nichts als Negationen, so ist gar nichts gegeben, und kein Etwas, das zu denken wäre. Verneinungen sind also nur durch die entgegengesetzte Positionen denklich, oder vielmehr, es sind Positionen möglich, die nicht die größte sein. Und hierin liegen schon, nach dem Satze der Identität die Verneinungen selber. Es fällt auch leicht in die Augen, daß alle den Möglichkeiten anderer Dinge beiwohnende Vereinigungen keinen Realgrund (weil sie nichts Positives sind), mithin lediglich einen logischen Grund voraussetzen.

Vierte Betrachtung: Beweisgrund zur Demonstration des Daseins Gottes
1. Das notwendige Wesen ist ein Geist
Es ist oben bewiesen, daß das notwendige Wesen eine einfache Substanz sei, imgleichen, daß nicht allein alle andere Realität durch dasselbe, als einen Grund gegeben sei, sondern auch die größest mögliche, die in einem Wesen als Bestimmung kann enthalten sein, ihm beiwohne. Nun können verschiedene Beweise geführt werden, daß hiezu auch die Eigenschaften des Verstandes und Willens gehören. Denn erstlich, beides ist wahre Realität und beides kann mit der größest möglichen in einem Dinge beisammen bestehn, welches letztere man durch ein unmittelbares Urteil des Verstandes einzuräumen sich gedrungen sieht, ob es zwar nicht füglich zu derjenigen Deutlic-keit gebracht werden kann, welche logisch vollkommene Beweise erfordern.

Zweitens sind die Eigenschaften eines Geistes, Verstand und Willen, von der Art, daß wir uns keine Realität denken können, die, in Ermangelung derselben, einem Wesen eine Ersetzung tun könnte, welche dem Abgang derselben gleich wäre. Und da diese Eigenschaften also diejenige sind, welche der höchsten Grade der Realität fähig sein, gleichwohl aber unter die möglichen gehören, so müßte durch das notwendige Wesen, als einen Grund, Verstand und Wille, und alle Realität der geistigen Natur an andern möglich sein, die gleichwohl in ihm selbst nicht als eine Bestimmung angetroffen würde. Es würde demnach die Folge größer sein als selbst der Grund. Denn es ist gewiß, daß, wenn das höchste Wesen nicht selbst Verstand und Willen hat, ein jedes andere, welches durch ihn mit diesen Eigenschaften gesetzt werde, ohnerachtet es abhängend wäre, und mancherlei andere Mängel der Macht u.s.w. hätte, gleichwohl in Ansehung dieser Eigenschaften von der höchsten Art jenem in Realität vorgehen müßte. Weil nun die Folgeden Grund nicht übertreffen kann, so müssen Verstand und Wille der notwendigen einfachen Substanz als Eigenschaften beiwohnen, das ist, sie ist ein Geist.

Drittens, Ordnung, Schönheit, Vollkommenheit in allem, was möglich ist, setzen ein Wesen voraus, in dessen Eigenschaften entweder diese Beziehungen gegründet sein, oder doch wenigstens durch welches Wesen die Dinge, diesen Beziehungen gemäß, als auseinem Hauptgrunde möglich sein. Nun ist das notwendige Wesen der hinlängliche Realgrund alles andern, was außer ihm möglich ist, folglich wird in ihm auch diejenige Eigenschaft, durch welche, diesen Beziehungen gemäß, alles außer ihm wirklich werden kann, anzutreffen sein. Es scheinet aber, daß der Grund der äußern Möglichkeit, der Ordnung, Schönheit und Vollkommenheit nicht zureichend ist, wofernnicht ein dem Verstande gemäßer Wille voraus gesetzt ist. Also werden diese Eigenschaften dem obersten Wesen müssen beigemessen werden.

Jedermann erkennet, daß, ungeachtet aller Gründe der Hervorbringung von Pflanzen und Bäumen, dennoch regelmäßige Blumenstücke, Alleen u. d. g. nur durch einen Verstand, der sie entwirft, und durch einen Willen, der sie ausführt, möglich sein. Alle Macht oder Hervorbringungskraft, imgleichen alle andere Data zur Möglichkeit ohne einen Verstand, sind unzulänglich, die Möglichkeit solcher Ordnung vollständig zu machen.
Aus einem dieser hier angeführten Gründe, oder aus ihnen insgesamt, wird der Beweis, daß das notwendige Wesen Willen und Verstand haben, mithin ein Geist sein müsse, hergeleitet werden können. Ich begnüge mich bloß, den Beweisgrund vollständig zu machen. Meine Absicht ist nicht, eine förmliche Demonstration darzulegen.

2. Es ist ein Gott
Es existiert etwas schlechterdings notwendig. Dieses ist einig in seinem Wesen, einfach in seiner Substanz, ein Geist nach seiner Natur, ewig in seiner Dauer, unveränderlich in seiner Beschaffenheit, allgenugsam in Ansehung alles Möglichen und Wirklichen. Es ist ein Gott. Ich gebe hier keine bestimmte Erklärung von dem Begriffe von Gott. Ich müßte dieses tun, wenn ich meinen Gegenstand systematisch betrachten wollte. Was ich hier darlege, soll die Analyse sein, dadurch man sich zur förmlichen Lehrverfassung tüchtig machen kann. Die Erklärung des Begriffs der Gottheit mag indessen angeordnet werden, wie man es vor gut findet, so bin ich doch gewiß, daß dasjenige Wesen, dessen Dasein wir nur eben bewiesen haben, eben dasjenige göttliche Wesen sei, dessen Unterscheidungszeichen man auf eine oder die andere Art in die kürzeste Benennung bringen wird.
(Suhrkamp stw 187, Kant: Vorkritische Schriften bis 1768 2, S.642-651 - Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseyns Gottes)


Der erhabenste Gedanke: Gott ist von Ewigkeit zu Ewigkeit . . .

Gott ist allgenugsam. Was da ist, es sei möglich oder wirklich, das ist nur etwas, in so ferne es durch ihn gegeben ist. Eine menschliche Sprache kann den Unendlichen so zu sich selbst reden lassen: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, außer mir ist nichts, ohne in so ferne es durch mich etwas ist. Dieser Gedanke, der erhabenste unter allen, ist noch sehr vernachlässigt, oder mehrenteils gar nicht berührt worden. Das, was sich in den Möglichkeiten der Dinge zu Vollkommenheit und Schönheit in vortrefflichen Planen darbietet, ist als ein vor sich notwendiger Gegenstand der göttlichen Weisheit, aber nicht selbst als eine Folge von diesem unbegreiflichen Wesen angesehen worden. Man hat die Abhängigkeit anderer Dinge bloß auf ihr Dasein eingeschränkt, wodurch ein großer Anteil von so viel Vollkommenheit jener obersten Natur entzogen, und ich weiß nicht welchem ewigen Undinge beigemessen wird.

Es ist nur ein Gott
. . .
Es ist nur ein Gott und nur ein Beweisgrund, durch welchen es möglich ist, sein Dasein mit der Wahrnehmung derjenigen Notwendigkeit einzusehen, die schlechterdings alles Gegenteil vernichtigt. Ein Urteil, darauf selbst die Beschaffenheit des Gegenstandes unmittelbar führen könnte. Alle andere Dinge, welche irgend da sein, könnten auch nicht sein. Die Erfahrung von zufälligen Dingen kann demnach keinen tüchtigen Beweisgrund abgeben, das Dasein desjenigen daraus zu erkennen, von dem es unmöglich ist, daß er nicht sei. Nur lediglich darin, daß die Verneinung der göttlichen Existenz völlig nichts ist, liegt der Unterschied seines Daseins von anderer Dinge ihrem. Die innere Möglichkeit, die Wesen der Dinge sind nun dasjenige, dessen Aufhebung alles Denkliche vertilgt. Hierin wird also das eigene Merkmal von dem Dasein des Wesens aller Wesen bestehen. Hierin sucht den Beweistum, und wenn ihr ihn nicht daselbst anzutreffen vermeint, so schlaget euch von diesem ungebähnten Fußsteige auf die große Heeresstraße der menschlichen Vernunft. Es ist durchaus nötig, daß man sich vom Dasein Gottes überzeuge; es ist aber nicht eben so nötig, daß man es demonstriere.
Aus: Immanuel Kant: Vorkritische Schriften bis 1768 2,. - Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (S.642ff.)
Werkausgabe Band II Herausgegeben von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Tachenbuch Wissenschaft stw 187

Gott ist ein Vernunftbegriff
Der Begriff von Gott, und selbst die Überzeugung von seinem Dasein, kann nur allein in der Vernunft angetroffen werden, von ihr allein ausgehen, und weder durch Eingebung, noch durch eine erteilte Nachricht, von noch so großer Auktorität, zuerst in uns kommen. Widerfährt mir eine unmittelbare Anschauung von einer solchen Art, als sie mir die Natur, so weit ich sie kenne, gar nicht liefern kann: so muß doch ein Begriff von Gott zur Richtschnur dienen, ob diese Erscheinung auch mit allen dem übereinstimme, was zu dem Charakteristischen einer Gottheit erforderlich ist. Ob ich gleich nun gar nicht einsehe, wie es möglich sei, daß irgend eine Erscheinung dasjenige auch nur der Qualität nach darstelle, was sich immer nur denken, niemals aber anschauen läßt: so ist doch wenigstens so viel klar, daß: um nur zu urteilen, ob das Gott sei, was mir erscheint, was auf mein Gefühl innerlich oder äußerlich wirkt, ich ihn an meinen Vernunftbegriff von Gott halten und darnach prüfen müsse, nicht ob er diesem adäquat sei, sondern bloß ob er ihm nicht widerspreche. Eben so: wenn auch bei allem, wodurch er sich mir unmittelbar entdeckte, nichts angetroffen würde, was jenem Begriffe widerspräche: so würde dennoch diese Erscheinung, Anschauung, unmittelbare Offenbarung, oder wie man sonst eine solche Darstellung nennen will, das Dasein eines Wesens niemals beweisen, dessen Begriff (wenn er nicht unsicher bestimmt, und daher der Beimischung alles möglichen Wahnes unterworfen werden soll), Unendlichkeit der Größe nach zur Unterscheidung von allem Geschöpfe fordert, welchem Begriffe aber gar keine Erfahrung oder Anschauung adäquat sein, mithin auch niemals das Dasein eines solchen Wesens unzweideutig beweisen, kann. Vom Dasein des höchsten Wesens kann also niemand durch irgend eine Anschauung zuerst überzeugt werden; der Vernunftglaube muß vorhergehen, und alsdann könnten allenfalls gewisse Erscheinungen oder Eröffnungen Anlaß zur Untersuchung geben, ob wir das, was zu uns spricht, oder sich uns darstellt, wohl befugt sind für eine Gottheit zu halten, und, nach Befinden, jenen Glauben bestätigen. (Suhrkamp stw 188, Kant: Schriften zur Metaphysik und Logik 1, S.277-278 - Was heißt: sich im Denken orientieren?)

Von dem moralischen Beweise des Dasein Gottes (§87 Kritik der Urteilskraft)
Es gibt eine physische Teleologie, welche einen für unsere theoretisch reflektierende Urteilskraft hinreichenden Beweisgrund an die Hand gibt, das Dasein einer verständigen Weltursache anzunehmen. Wir finden aber in uns selbst und noch mehr in dem Begriffe eines vernünftigen, mit Freiheit (seiner Kausalität) begabten Wesens überhaupt auch eine moralische Teleologie, die aber, weil die Zweckbeziehung in uns selbst a priori samt dem Gesetze derselben bestimmt, mithin als notwendig erkannt werden kann, zu diesem Behuf keiner verständigen Ursache außer uns für diese innere Gesetzmäßigkeit bedarf: so wenig als wir bei dem, was wir in den geometrischen Eigenschaften der Figuren (für allerlei mögliche Kunstausübung) Zweckmäßiges finden, auf einen ihnen dieses erteilenden höchsten Verstand hinaussehen dürfen. Aber diese moralische Teleologie betrifft doch uns als Weltwesen und also mit anderen Dingen in der Welt verbundene Wesen; auf welche letzteren entweder als Zwecke oder als Gegenstände, in Ansehung deren wir selbst Endzweck sind, unsere Beurteilung zu richten, eben dieselben moralischen Gesetze uns zur Vorschrift machen.

Von dieser moralischen Teleologie nun, welche die Beziehung unserer eigenen Kausalität auf Zwecke und sogar auf einen Endzweck, der von uns in der Welt beabsichtigt werden muß, imgleichen die wechselseitige Beziehung der Welt auf jenen sittlichen Zweck und die äußere Möglichkeit seiner Ausführung (wozu keine physische Teleologie uns Anleitung geben kann) betrifft, geht nun die notwendige Frage aus: ob sie unsere vernünftige Beurteilung nötige, über die Welt hinauszugehen und zu jener Beziehung der Natur auf das Sittliche in uns ein verständiges oberstes Prinzip zu suchen, um die Natur auch in Beziehung auf die moralische innere Gesetzgebung und deren mögliche Ausführung uns als zweckmäßig vorzustellen. Folglich gibt es allerdings eine moralische Teleologie, und diese hängt mit der Nomothetik der Freiheit einerseits und der der Natur anderseits ebenso notwendig zusammen, als bürgerliche Gesetzgebung mit der Frage, wo man die exekutive Gewalt suchen soll, und überhaupt in allem, worin die Vernunft ein Prinzip der Wirklichkeit einer gewissen gesetzmäßigen, nur nach Ideen möglichen Ordnung der Dinge angeben soll, Zusammenhang ist. — Wir wollen den Fortschritt der Vernunft von jener moralischen Teleologie und ihrer Beziehung auf die physische zur Theologie allererst vortragen und nachher über die Möglichkeit und Bündigkeit dieser Schlußart Betrachtungen anstellen.

Wenn man das Dasein gewisser Dinge (oder auch nur gewisser Formen der Dinge) als zufällig, mithin nur durch etwas anderes, als Ursache, möglich annimmt: so kann man zu dieser Kausalität den obersten und also zu dem Bedingten den unbedingten Grund entweder in der physischen oder teleologischen Ordnung suchen (nach dem nexu effectivo oder finali). D. i. man kann fragen: welches ist die oberste hervorbringende Ursache, oder was ist der oberste (schlechthin unbedingte) Zweck derselben, d. i. der Endzweck ihrer Hervorbringung dieser oder aller ihrer Produkte überhaupt? Wobei dann freilich vorausgesetzt wird, daß diese Ursache einer Vorstellung der Zwecke fähig, mithin ein verständiges Wesen sei, oder wenigstens von uns als nach den Gesetzen eines solchen Wesens handelnd gedacht werden müsse.

Nun ist, wenn man der letzteren Ordnung nachgeht, es ein Grundsatz, dem selbst die gemeinste Menschenvernunft unmittelbar Beifall zu geben genötigt ist: daß, wenn überall ein Endzweck, den die Vernunft a priori angeben muß, stattfinden soll, dieser kein anderer als der Mensch (ein jedes vernünftige Weltwesen) unter moralischen Gesetzen sein könne.*)
*Ich sage mit Fleiß: unter moralischen Gesetzen. Nicht der Mensch nach moralischen Gesetzen, d. i. ein solcher, der sich ihnen gemäß verhält, ist der Endzweck der Schöpfung. Denn mit dem letzteren Ausdrucke würden wir mehr sagen, als wir wissen: nämlich daß es in der Gewalt eines Welturhebers stehe, zu machen, daß der Mensch den moralischen Gesetzen jederzeit sich angemessen verhalte ; welches einen Begriff von Freiheit und der Natur (von welcher letzteren man allein einen äußeren Urheber denken kann) voraussetzt, der eine Einsicht in das über. sinnliche Substrat der Natur und dessen Einerleiheit mit dem, was die Kausalität durch Freiheit in der Welt möglich macht, enthalten müßte, die weit über unsere Vernunfteinsicht hinausgeht. Nur vom Menschen unter moralischen Gesetzen können wir, ohne die Schranken unserer Einsicht zu überschreiten, sagen: sein Dasein mache der Welt Endzweck aus. Dieses stimmt auch vollkommen mit dem Urteile der moralisch über den Weltlauf reflektierenden Menschenvernunft. Wir glauben die Spuren einer weisen Zweckbeziehung auch am Bösen wahrzunehmen, wenn wir nur sehen, daß der frevelhafte Bösewicht nicht eher stirbt, als bis er die wohlverschuldete Strafe seiner Untaten erlitten hat. Nach unseren Begriffen von freier Kausalität beruht das Wohl- oder Übelverhalten auf uns; die höchste Weisheit aber der Weltregierung setzen wir darin, daß zu den ersteren die Veranlassung, für beides aber der Erfolg nach moralischen Gesetzen verhängt sei. In dem letzteren besteht eigentlich die Ehre Gottes, welche daher von Theologen nicht unschicklich der letzte Zweck der Schöpfung genannt wird. — Noch ist anzumerken, daß wir unter dem Worte Schöpfung, wenn wir uns dessen bedienen, nichts anderes, als was hier gesagt worden ist, nämlich die Ursache vom Dasein einer Welt, oder der Dinge in ihr (der Substanzen) verstehen; wie das auch der eigentliche Begriff dieses Wortes mit sich bringt (actuatio substantiae est creatio): welches mithin nicht schon die Voraussetzung einer freiwirkenden, folglich verständigen Ursache (deren Dasein wir allererst beweisen wollen) bei sich führt.

Denn (so urteilt ein jeder) bestände die Welt aus lauter leblosen, oder zwar zum Teil aus lebenden, aber vernunftlosen Wesen, so würde das Dasein einer solchen Welt gar keinen Wert haben, weil in ihr kein Wesen existierte, das von einem Werte den mindesten Begriff hat. Wären dagegen auch vernünftige Wesen, deren Vernunft aber den Wert des Daseins der Dinge nur im Verhältnisse der Natur zu ihnen (ihrem Wohlbefinden) zu setzen, nicht aber sich einen solchen ursprünglich (in der Freiheit) selbst zu verschaffen imstande wäre: so wären zwar (relative) Zwecke in der Welt, aber kein (absoluter) Endzweck, weil das Dasein solcher vernünftigen Wesen doch immer zwecklos sein würde. Die moralischen Gesetze aber sind von der eigentümlichen Beschaffenheit, daß sie etwas als Zweck ohne Bedingung, mithin gerade so, wie der Begriff eines Endzwecks es bedarf, für die Vernunft vorschreiben; und die Existenz einer solchen Vernunft, die in der Zweckbeziehung ihr selbst das oberste Gesetz sein kann, mit anderen Worten die Existenz vernünftiger Wesen unter moralischen Gesetzen, kann also allein als Endzweck vom Dasein einer Welt gedacht werden. Ist dagegen dieses nicht so bewandt, so liegt dem Dasein derselben entweder gar kein Zweck in der Ursache, oder es liegen ihm Zwecke ohne Endzweck zum Grunde.

Das moralische Gesetz, als formale Vernunftbedingung des Gebrauchs unserer Freiheit, verbindet uns für sich allein, ohne von irgendeinem Zwecke als materialer Bedingung abzuhängen; aber es bestimmt uns doch auch, und zwar a priori, einen Endzweck, welchem nachzustreben es uns verbindlich macht, und dieser ist das höchste durch Freiheit mögliche Gut in der Welt.

Die subjektive Bedingung, unter welcher der Mensch (und nach allen unseren Begriffen auch jedes vernünftige endliche Wesen) sich unter dem obigen Gesetze einen Endzweck setzen kann, ist die Glückseligkeit. Folglich das höchste in der Welt mögliche und, soviel an uns ist, als Endzweck zu befördernde physische Gut ist Glückseligkeit, unter der objektiven Bedingung der Einstimmung des Menschen mit dem Gesetze der Sittlichkeit, als der Würdigkeit, glückselig zu sein.

Diese zwei Erfordernisse des uns durch das moralische Gesetz aufgegebenen Endzwecks können wir aber, nach allen unseren Vernunftvermögen, als durch bloße Naturursachen verknüpft und der Idee des gedachten Endzwecks angemessen unmöglich uns vorstellen. Also stimmt der Begriff von der praktischen Notwendigkeit eines solchen Zwecks durch die Anwendung unserer Kräfte nicht mit dem theoretischen Begriffe von der physischen Möglichkeit der Bewirkung desselben zusammen, wenn wir mit unserer Freiheit keine andere Kausalität (eines Mittels) als die der Natur verknüpfen.

Folglich müssen wir eine moralische Weltursache (einen Welturheber) annehmen, um uns gemäß dem moralischen Gesetze einen Endzweck vorzusetzen, und, soweit als das letztere notwendig ist, soweit (d. i. in demselben Grade und aus demselben Grunde) ist auch das erstere notwendig anzunehmen: nämlich es sei ein Gott.*)
*) Dieses moralische Argument soll keinen objektiv-gültigen Beweis vom Dasein Gottes an die Hand geben, nicht dem Zweifelgläubigen beweisen, daß ein Gott sei; sondern daß, wenn er moralisch konsequent denken will, er die Annehmung dieses Satzes unter die Maximen seiner praktischen Vernunft aufnehmen müsse. — Es soll damit auch nicht gesagt werden: es ist zur Sittlichkeit notwendig, die Glückseligkeit aller vernünftigen Weltwesen gemäß ihrer Moralität anzunehmen, sondern: es ist durch sie notwendig. Mithin ist es ein subjektiv, für moralische Wesen, hinreichendes Argument.Dieser Beweis, dem man leicht die Form der logischen Präzision anpassen kann, will nicht sagen: es ist ebenso notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen, als die Gültigkeit des moralischen Gesetzes anzuerkennen; mithin, wer sich vom ersteren nicht überzeugen kann, könne sich von den Verbindlichkeiten nach dem letzteren los zu sein urteilen. Nein! nur die Beabsichtigung des durch die Befolgung des letzteren zu bewirkenden Endzwecks in der Welt (einer mit der Befolgung moralischer Gesetze harmonisch zusammentreffenden Glückseligkeit vernünftiger Wesen, als des höchsten Weltbesten) müßte alsdann aufgegeben werden. Ein jeder Vernünftige würde sich an die Vorschrift der Sitten immer noch als strenge gebunden erkennen müssen; denn die Gesetze derselben sind formal und gebieten unbedingt, ohne Rücksicht auf Zwecke (als die Materie des Wollens). Aber das eine Erfordernis des Endzwecks, wie ihn die praktische Vernunft den Weltwesen vorschreibt, ist ein in sie durch ihre Natur (als endlicher Wesen) gelegter unwiderstehlicher Zweck, den die Vernunft nur dem moralischen Gesetze als unverletzliche Bedingung unterworfen oder auch nach demselben allgemein gemacht wissen will, und so die Beförderung der Glückseligkeit, in Einstimmung mit der Sittlichkeit, zum Endzwecke macht. Diesen nun, soviel (was die ersteren betrifft) in unserem Vermögen ist, zu befördern, wird uns durch das moralische Gesetz geboten; der Ausschlag, den diese Bemühung hat, mag sein, welcher er wolle. Die Erfüllung der Pflicht besteht in der Form des ernstlichen Willens, nicht in den Mittelursachen des Gelingens.

Gesetzt also, ein Mensch überredete sich, teils durch die Schwäche aller so sehr gepriesenen spekulativen Argumente, teils durch manche in der Natur und Sinnenwelt ihm vorkommende Unregelmäßigkeiten bewogen, von dem Satze: es sei kein Gott, so würde er doch in seinen eigenen Augen ein Nichtswürdiger sein, wenn er darum die Gesetze der Pflicht für bloß eingebildet, ungültig, unverbindlich halten und ungescheut zu übertreten beschließen wollte. Ein solcher würde auch alsdann noch, wenn er sich in der Folge von dem, was er anfangs bezweifelt hatte, überzeugen könnte, mit jener Denkungsart doch immer ein Nichtswürdiger bleiben, ob er gleich seine Pflicht, aber aus Furcht oder aus lohnsüchtiger Absicht, ohne pflichtverehrende Gesinnung, der Wirkung nach so pünktlich, wie es immer verlangt werden mag, erfüllte. Umgekehrt, wenn er sie als Gläubiger seinem Bewußtsein nach aufrichtig und uneigennützig befolgt, und gleichwohl, so oft er zum Versuche den Fall setzt, er könnte einmal überzeugt werden: es sei kein Gott, sich sogleich von aller sittlichen Verbindlichkeit frei glaubte, müßte es doch mit der inneren moralischen Gesinnung in ihm nur schlecht bestellt sein.

Wir können also einen rechtschaffenen Mann (wie etwa den Spinoza) annehmen, der sich fest überredet hält, es sei kein Gott und (weil es in Ansehung des Objekts der Moralität auf einerlei Folge hinausläuft) auch kein künftiges Leben; wie wird er seine eigene innere Zweckbestimmung durch das moralische Gesetz, welches er tätig verehrt, beurteilen?

Er verlangt von Befolgung desselben für sich keinen Vorteil, weder in dieser noch in einer anderen Welt; uneigennützig will er vielmehr nur das Gute stiften, wozu jenes heilige Gesetz allen seinen Kräften die Richtung gibt. Aber sein Bestreben ist begrenzt; und von der Natur kann er zwar hin und wieder einen zufälligen Beitritt, niemals aber eine gesetzmäßige und nach beständigen Regeln (so wie innerlich seine Maximen sind und sein müssen) eintreffende Zusammenstimmung zu dem Zwecke erwarten, welchen zu bewirken er sich doch verbunden und angetrieben fühlt.

Betrug, Gewalttätigkeit und Neid werden immer um ihn im Schwange gehen, ob er gleich selbst redlich, friedfertig und wohlwollend ist; und die Rechtschaffenen, die er außer sich noch antrifft, werden unangesehen aller ihrer Würdigkeit, glücklich zu sein, dennoch durch die Natur, die darauf nicht achtet, allen Übeln des Mangels, der Krankheiten und des unzeitigen Todes gleich den übrigen Tieren der Erde unterworfen sein und es auch immer bleiben, bis ein weites Grab sie insgesamt (redlich oder unredlich, das gilt hier gleichviel) verschlingt und sie, die da glauben konnten, Endzweck der Schöpfung zu sein, in den Schlund des zwecklosen Chaos der Materie zurückwirft, aus dem sie gezogen waren. —

Den Zweck also, den dieser Wohlgesinnte in Befolgung der moralischen Gesetze vor Augen hatte und haben sollte, müßte er allerdings als unmöglich aufgeben, oder will er auch hierin dem Rufe seiner sittlichen inneren Bestimmung anhänglich bleiben und die Achtung, welche das sittliche Gesetz ihm unmittelbar zum Gehorchen einflößt, nicht durch die Nichtigkeit des einzigen, ihrer hohen Forderung angemessenen idealischen Endzwecks schwächen (welches ohne einen der moralischen Gesinnung widerfahrenden Abbruch nicht geschehen kann): so muß er, welches er auch gar wohl tun kann, indem es an sich wenigstens nicht widersprechend ist, in praktischer Absicht, d. i. um sich wenigstens von der Möglichkeit des ihm moralisch vorgeschriebenen Endzwecks einen Begriff zu machen, das Dasein eines moralischen Welturhebers, d. i. Gottes annehmen. S.318ff.
Aus: Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Felix Meiner Verlag Hamburg Vom praktischen Glauben (§91 Kritik der Urteilskraft)
Gegenstände, die in Beziehung auf den pflichtmäßigen Gebrauch der reinen praktischen Vernunft (es sei als Folgen oder als Gründe) a priori gedacht werden müssen, aber für den theoretischen Gebrauch derselben überschwenglich sind, sind bloße Glaubenssachen. Dergleichen ist das höchste durch Freiheit zu bewirkende Gut in der Welt; dessen Begriff in keiner für uns möglichen Erfahrung, mithin für den theoretischen Vernunftgebrauch hinreichend, seiner objektiven Realität nach bewiesen werden kann, dessen Gebrauch aber zur bestmöglichen Bewirkung jenes Zweckes doch durch praktische reine Vernunft geboten ist, und mithin als möglich angenommen werden muß. Diese gebotene Wirkung, zusamt den einzigen für uns denkbaren Bedingungen ihrer Möglichkeit, nämlich dem Dasein Gottes und der Seelen-Unsterblichkeit, sind Glaubenssachen, und zwar die einzigen unter allen Gegenständen, die so genannt werden können. Denn, ob von uns gleich, was wir nur von der Erfahrung anderer durch Zeugnis lernen können, geglaubt werden muß, so ist es darum doch noch nicht an sich Glaubenssache; denn bei jener Zeugen einem war es doch eigene Erfahrung und Tatsache, oder wird als solche vorausgesetzt.

Zudem muß es möglich sein, durch diesen Weg (des historischen Glaubens) zum Wissen zu gelangen; und die Objekte der Geschichte und Geographie, wie alles überhaupt, was zu wissen nach der Beschaffenheit unserer Erkenntnisvermögen wenigstens möglich ist, gehören nicht zu Glaubenssachen sondern zu Tatsachen. Nur Gegenstände der reinen Vernunft können allenfalls Glaubenssachen sein, aber nicht als Gegenstände der bloßen reinen spekulativen Vernunft; denn da können sie gar nicht einmal mit Sicherheit zu den Sachen, d. i. Objekten jenes für uns möglichen Erkenntnisses, gezählt werden. Es sind Ideen, d. i. Begriffe, denen man die objektive Realität theoretisch nicht sichern kann. Dagegen ist der von uns zu bewirkende höchste Endzweck, das, wodurch wir allein würdig werden können, selbst Endzweck einer Schöpfung zu sein, eine Idee, die für uns in praktischer Beziehung objektive Realität hat, und Sache; aber darum, weil wir diesem Begriffe in theoretischer Absicht diese Realität nicht verschaffen können, bloße Glaubenssache der reinen Vernunft, mit ihm aber zugleich Gott und Unsterblichkeit, als die Bedingungen, unter denen allein wir, nach der Beschaffenheit unserer (der menschlichen) Vernunft, uns die Möglichkeit jenes Effekts des gesetzmäßigen Gebrauchs unserer Freiheit denken können. Das Fürwahrhalten aber in Glaubenssachen ist ein Fürwahrhalten in reiner praktischer Absicht, d. i. ein moralischer Glaube, der nichts für das theoretische, sondern bloß für das praktische, auf Befolgung seiner Pflichten gerichtete, reine Vernunfterkenntnis beweist, und die Spekulation oder die praktischen Klugheitsregeln nach dem Prinzip der Selbstliebe gar nicht erweitert.

Wenn das oberste Prinzip aller Sittengesetze ein Postulat ist, so wird zugleich die Möglichkeit ihres höchsten Objekts, mithin auch die Bedingung, unter der wir diese Möglichkeit denken können, dadurch zugleich mit postuliert. Dadurch wird nun das Erkenntnis der letzteren weder Wissen noch Meinung von dem Dasein und der Beschaffenheit dieser Bedingungen, als theoretische Erkenntnisart, sondern bloß Annahme, in praktischer und dazu gebotener Beziehung für den moralischen Gebrauch unserer Vernunft.

Würden wir auch auf die Zwecke der Natur, die uns die physische Teleologie in so reichem Maße vorlegt, einen bestimmten Begriff von einer verständigen Weltursache scheinbar gründen können, so wäre das Dasein dieses Wesens doch nicht Glaubenssache. Denn da dieses nicht zum Behuf der Erfüllung meiner Pflicht, sondern nur zur Erklärung der Natur angenommen wird, so würde es bloß die unserer Vernunft angemessenste Meinung und Hypothese sein. Nun führt jene Teleologie keineswegs auf einen bestimmten Begriff von Gott, der hingegen allein in dem von einem moralischen Welturheber angetroffen wird, weil dieser allein den Endzweck angibt, zu welchem wir uns nur sofern zählen können, als wir dem, was uns das moralische Gesetz als Endzweck auferlegt, mithin uns verpflichtet, uns gemäß verhalten. Folglich bekommt der Begriff von Gott nur durch die Beziehung auf das Objekt unserer Pflicht, als Bedingung der Möglichkeit den Endzweck derselben zu erreichen, den Vorzug, in unserm Fürwahrhalten als Glaubenssache zu gelten; dagegen eben derselbe Begriff doch sein Objekt nicht als Tatsache geltend machen kann: weil, obzwar die Notwendigkeit der Pflicht für die praktische Vernunft wohl klar ist, doch die Erreichung des Endzwecks derselben, sofern er nicht ganz in unserer Gewalt ist, nur zum Behuf des praktischen Gebrauchs der Vernunft angenommen, also nicht so, wie die Pflicht selbst, praktisch notwendig ist.

Glaube (als habitus, nicht als actus) ist die moralische Denkungsart der Vernunft im Fürwahrhalten desjenigen, was für das theoretische Erkenntnis unzugänglich ist. Er ist also der beharrliche Grundsatz des Gemüts, das, was zur Möglichkeit des höchsten moralischen Endzwecks als Bedingung vorauszusetzen notwendig ist, wegen der Verbindlichkeit zu demselben als wahr anzunehmen (obzwar die Möglichkeit desselben, aber ebensowohl auch die Unmöglichkeit, von uns nicht eingesehen werden kann). Der Glaube (schlechthin so genannt) ist ein Vertrauen zu der Erreichung einer Absicht, deren Beförderung Pflicht, die Möglichkeit der Ausführung derselben aber für uns nicht einzusehen ist (folglich auch nicht die der einzigen für uns denkbaren Bedingungen). Der Glaube also, der sich auf besondere Gegenstände, die nicht Gegenstände des möglichen Wissens oder Meinens sind, bezieht (in welchem letzteren Falle er, vornehmlich im Historischen, Leichtgläubigkeit und nicht Glaube heißen müßte), ist ganz moralisch. Er ist ein freies Fürwahrhalten, nicht dessen, wozu dogmatische Beweise für die theoretisch bestimmende Urteilskraft anzutreffen sind, noch wozu wir uns verbunden halten, sondern dessen, was wir, zum Behuf einer Absicht nach Gesetzen der Freiheit, annehmen; aber doch nicht, wie etwa eine Meinung, ohne hing reichenden Grund, sondern als in der Vernunft (obwohl nur in Ansehung ihres praktischen Gebrauchs), für die Absicht derselben hinreichend, gegründet; denn ohne ihn hat die moralische Denkungsart bei dem Verstoß gegen die Aufforderung der theoretischen Vernunft zum Beweise (der Möglichkeit des Objekts der Moralität) keine feste Beharrlichkeit, sondern schwankt zwischen praktischen Geboten und theoretischen Zweifeln.

Ungläubisch
sein, heißt der Maxime nachhängen, Zeugnissen überhaupt nicht zu glauben; ungläubig aber ist der, welcher jenen Vernunftideen, weil es ihnen an theoretischer Begründung ihrer Realität fehlt, darum alle Gültigkeit abspricht. Er urteilt also dogmatisch. Ein dogmatischer Unglaube kann aber mit einer in der Denkungsart herrschenden sittlichen Maxime nicht zusammen bestehen (denn einem Zwecke, der für nichts als Hirngespinst erkannt wird, nachzugehen, kann die Vernunft nicht gebieten); wohl aber ein Zweifelglaube, dem der Mangel der Überzeugung durch Gründe der spekulativen Vernunft nur Hindernis ist, welchem eine kritische Einsicht in die Schranken der letzteren den Einfluß auf das Verhalten benehmen und ihm ein überwiegendes praktisches Fürwahrhalten zum Ersatz hinstellen kann.
S.342ff.
Aus: Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Felix Meiner Verlag Hamburg


Gott, Freiheit und Seelenunsterblichkeit (§91 Kritik der Urteilskraft)
Wenn man an die Stelle gewisser verfehlter Versuche in der Philosophie ein anderes Prinzip aufführen und ihm Einfluß verschaffen will, so gereicht es zu großer Befriedigung, einzusehen, wie jene und warum sie fehlschlagen mußten.

Gott, Freiheit und Seelenunsterblichkeit sind diejenigen Aufgaben, zu deren Auflösung alle Zurüstungen der Metaphysik, als ihrem letzten und alleinigen Zwecke, abzielen. Nun glaubte man, daß die Lehre von der Freiheit nur als negative Bedingung für die praktische Philosophie nötig sei, die Lehre von Gott und der Seelenbeschaffenheit hingegen, zur theoretischen gehörig, für sich und abgesondert dargetan werden müsse, um beide nachher mit dem, was das moralische Gesetz (das nur unter der Bedingung der Freiheit möglich ist) gebietet, zu verknüpfen und so eine Religion zustande zu bringen. Man kann aber bald einsehen, daß diese Versuche fehlschlagen mußten. Denn aus bloßen ontologischen Begriffen von Dingen überhaupt oder der Existenz eines notwendigen Wesens läßt sich schlechterdings kein, durch Prädikate, die sich in der Erfahrung geben lassen und also zum Erkenntnisse dienen könnten, bestimmter Begriff von einem Urwesen machen; der aber, welcher auf Erfahrung von der physischen Zweckmäßigkeit der Natur gegründet wurde, konnte wiederum keinen für die Moral, mithin - zur Erkenntnis eines Gottes, hinreichenden Beweis abgeben. Ebensowenig konnte auch die Seelenkenntnis durch Erfahrung (die wir nur in diesem Leben anstellen) einen Begriff von der geistigen, unsterblichen Natur derselben, mithin für die Moral zureichend, verschaffen. Theologie und Pneumatologie, als Aufgaben zum Behuf der Wissenschaften einer spekulativen Vernunft, weil deren Begriff für alle unsere Erkenntnisvermögen überschwenglich ist, können durch keine empirischen Data und Prädikate zustande kommen. — Die Bestimmung beider Begriffe, Gottes sowohl als der Seele (in Ansehung ihrer Unsterblichkeit), kann nur durch Prädikate geschehen, die, ob sie gleich selbst nur aus einem übersinnlichen Grunde möglich sind, dennoch in der Erfahrung ihre Realität beweisen müssen; denn so allein können sie von ganz übersinnlichen Wesen eine Erkenntnis möglich machen. — Dergleichen ist nun der einzige in der menschlichen Vernunft anzutreffende Begriff der Freiheit des Menschen unter moralischen Gesetzen, zusamt dem Endzwecke, den jene durch diese vorschreibt, wovon die erstem dem Urheber der Natur, der zweite dem Menschen diejenigen Eigenschaften beizulegen tauglich sind, welche zu der Möglichkeit beider die notwendige Bedingung enthalten, so daß eben aus dieser Idee auf die Existenz und die Beschaffenheit jener sonst gänzlich für uns verborgenen Wesen geschlossen werden kann.

Also liegt der Grund der auf dem bloß theoretischen Wege verfehlten Absicht, Gott und Unsterblichkeit zu beweisen, darin: daß von dem Übersinnnlichen auf diesem Wege (der Naturbegriffe) gar kein Erkenntnis möglich ist. Daß es dagegen auf dem moralischen (des Freiheitsbegriffs) gelingt, hat diesen Grund: daß hier das Übersinnliche, welches dabei zum Grunde liegt (die Freiheit), durch ein bestimmtes Gesetz der Kausalität, welches aus ihm entspringt, nicht allein Stoff zum Erkenntnis des andern Übersinnlichen (des moralischen Endzwecks und der Bedingungen seiner Ausführbarkeit) verschafft, sondern auch als Tatsache seine Realität in Handlungen dartut, aber eben darum auch keinen andern, als nur in praktischer Absicht (welche auch die einzige ist, deren die Religion bedarf) gültigen Beweisgrund abgeben kann.

Es bleibt hierbei immer sehr merkwürdig: daß unter den drei reinen Vernunftideen, Gott, Freiheit und Unsterblichkeit die der Freiheit der einzige Begriff des Übersinnlichen ist, welcher seine objektive Realität (vermittelst der Kausalität, die in ihm gedacht wird) an der Natur, durch ihre in derselben mögliche Wirkung, beweist, und eben dadurch die Verknüpfung der beiden andern mit der Natur, aller dreien aber untereinander zu einer Religion möglich macht; und daß wir also in uns ein Prinzip haben, welches die Idee des Übersinnlichen in uns, dadurch aber auch die desselben außer uns, zu einer, obgleich nur in praktischer Absicht möglichen, Erkenntnis zu bestimmen vermögend ist, woran die bloß spekulative Philosophie (die auch von der Freiheit einen bloß negativen Begriff geben konnte) verzweifeln mußte, mithin der Freiheitsbegriff (als Grundbegriff aller unbedingt praktischen Gesetze) die Vernunft über diejenigen Grenzen erweitern kann, innerhalb deren jeder Naturbegriff (theoretischer) ohne Hoffnung eingeschränkt bleiben müßte.
S.347ff.
Aus: Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Felix Meiner Verlag Hamburg

Das Credo der reinen praktischen Vernunft
Das Credo in den drei Artikeln des Bekenntnisses der reinen praktischen Vernunft:

- Ich glaube an den einen einigen Gott, als den Urquell alles Guten in der Welt, als seinen Endzweck; -

-
Ich glaube an die Möglichkeit, zu diesem Endzweck, dem höchsten Gut in dieser Welt, so fern es am Menschen liegt, zusammenzustimmen

-
Ich glaube an ein künftiges ewiges Leben, als der Bedingung einer immerwährenden Annäherung der Welt zum höchsten in ihr möglichen Gut;

- dieses Credo, sage ich, ist ein freies Fürwahrhalten, ohne welches es auch keinen moralischen Wert haben würde. Es verstattet also keinen Imperativ (kein Crede), und der Beweisgrund dieser seiner Richtigkeit ist kein Beweis von der Wahrheit dieser Sätze ...
Aus: Immanuel Kant: Schriften zur Metaphysik und Logik 2, - Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolf's Zeiten in Deutschland gemacht hat
Suhrkamp stw 189 (S.636)

Die unerforschliche Weisheit, durch die wir existieren . . .
Wenn die menschliche Natur zum höchsten Gute zu streben bestimmt ist, so muß auch das Maß ihrer Erkenntnisvermögen, vornehmlich ihr Verhältnis unter einander, als zu diesem Zwecke schicklich, angenommen werden. Nun beweiset aber die Kritik der reinen spekulativen Vernunft die größte Unzulänglichkeit derselben, um die wichtigsten Aufgaben, die ihr vorgelegt werden, dem Zwecke angemessen aufzulösen, ob sie zwar die natürlichen und nicht zu übersehenden Winke eben derselben Vernunft, imgleichen die großen Schritte, die sie tun kann, nicht verkennt, um sich diesem großen Ziele, das ihr ausgesteckt ist, zu näheren, aber doch, ohne es jemals für sich selbst, sogar mit Beihilfe der größten Naturkenntnis, zu erreichen. Also scheint die Natur hier uns nur stiefmütterlich mit einem zu unserem Zwecke benötigten Vermögen versorgt zu haben.

Gesetzt nun, sie wäre hierin unserem Wunsche willfährig gewesen, und hätte uns diejenige Einsichtsfähigkeit, oder Erleuchtung erteilt, die wir gerne besitzen möchten, oder in deren Besitz einige wohl gar wähnen sich wirklich zu befinden, was würde allem Ansehn nach wohl die Folge hievon sein? Wofern nicht zugleich unsere ganze Natur umgeändert wäre, so würden die Neigungen, die doch allemal das erste Wort haben, zuerst ihre Befriedigung, und, mit vernünftiger Überlegung verbunden, ihre größtmögliche und daurende Befriedigung, unter dem Namen der Glückseligkeit, verlangen; das moralische Gesetz würde nachher sprechen, um jene in ihren geziemenden Schranken zu halten, und sogar sie alle insgesamt einem höheren, auf keine Neigung Rücksicht nehmenden, Zwecke zu unterwerfen. Aber, statt des Streits, den jetzt die moralische Gesinnung mit den Neigungen zu führen hat, in welchem, nach einigen Niederlagen, doch allmählich moralische Stärke der Seele zu erwerben ist, würden Gott und Ewigkeit, mit ihrer furchtbaren Majestät, uns unablässig vor Augen liegen (denn, was wir vollkommen beweisen können, gilt, in Ansehung der Gewißheit, uns so viel, als wovon wir uns durch den Augenschein versichern). Die Übertretung des Gesetzes würde freilich vermieden, das Gebotene getan werden; weil aber die Gesinnung, aus welcher Handlungen geschehen sollen, durch kein Gebot mit eingeflößt werden kann, der Stachel der Tätigkeit hier aber sogleich bei Hand, und äußerlich ist, die Vernunft also sich nicht allererst empor arbeiten darf, um Kraft zum Widerstande gegen Neigungen durch lebendige Vorstellung der Würde des Gesetzes zu sammeln, so würden die mehresten gesetzmäßigen Handlungen aus Furcht, nur wenige aus Hoffnung und gar keine aus Pflicht geschehen, ein moralischer Wert der Handlungen aber, worauf doch allein der Wert der Person und selbst der der Welt, in den Augen der höchsten Weisheit, ankommt, würde gar nicht existieren. Das Verhalten der Menschen, so lange ihre Natur, wie sie jetzt ist, bliebe, würde also in einen bloßen Mechanismus verwandelt werden, wo, wie im Marionettenspiel, alles gut gestikulieren, aber in den Figuren doch kein Leben anzutreffen sein würde. Nun, da es mit uns ganz anders beschaffen ist, da wir, mit aller Anstrengung unserer Vernunft, nur eine sehr dunkele und zweideutige Aussicht in die Zukunft haben, der Weltregierer uns sein Dasein und seine Herrlichkeit nur mutmaßen, nicht erblicken, oder klar beweisen läßt, dagegen das moralische Gesetz in uns, ohne uns etwas mit Sicherheit zu verheißen, oder zu drohen, von uns uneigennützige Achtung fordert, übrigens aber, wenn diese Achtung tätig und herrschend geworden, allererst alsdenn und nur dadurch, Aussichten ins Reich des Übersinnlichen, aber auch nur mit schwachen Blicken erlaubt: so kann wahrhafte sittliche, dem Gesetze unmittelbar geweihete Gesinnung stattfinden und das vernünftige Geschöpf des Anteils am höchsten Gute würdig werden, das dem moralischen Werte seiner Person und nicht bloß seinen Handlungen angemessen ist. Also möchte es auch hier wohl damit seine Richtigkeit haben, was uns das Studium der Natur und des Menschen sonst hinreichend lehrt, daß die unerforschliche Weisheit, durch die wir existieren, nicht minder verehrungswürdig ist, in dem, was sie uns versagte, als in dem, was sie uns zu teil werden ließ.
Aus: Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Meiner Philosophische Bibliothek (S.168-169)

Der Wille Gottes
Wie soll ich es verstehen, daß, weil etwas ist, etwas anders sei? Eine logische Folge wird eigentlich nur darum gesetzt, weil sie einerlei ist mit dem Grunde. Allein der Wille Gottes enthält den Realgrund vom Dasein der Welt. Der göttliche Wille ist etwas. Die existierende Welt ist etwas ganz anderes. Indessen durch das eine wird das andre gesetzt. Der Zustand, in welchem ich den Namen Stagirit höre, ist etwas, dadurch wird etwas anders, nämlich mein Gedanke von einem Philosoph gesetzt. [...] Durch den allmächtigen Willen Gottes kann man ganz deutlich das Dasein der Welt verstehen. Allein hier bedeutet die Macht dasjenige Etwas in Gott, wodurch andre Dinge gesetzt werden. (Suhrkamp stw 187, Kant: Vorkritische Schriften bis 1768 2, S.817-818 Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen)

Von der Schöpfung in ihrem ganzen Umfang ihrer Unendlichkeit, sowohl dem Raume, als der Zeit nach
Das Weltgebäude setzet durch seine unermeßliche Größe, und durch die unendliche Mannigfaltigkeit und Schönheit, welche aus ihr von allen Seiten hervorleuchtet, in ein stilles Erstaunen. Wenn die Vorstellung aller dieser Vollkommenheit nun die Einbildungskraft rühret: so nimmt den Verstand anderer Seits eine andere Art der Entzückung ein, wenn er betrachtet, wie so viel Pracht, so viel Größe aus einer einzigen allgemeinen Regel, mit einer ewigen und richtigen Ordnung, abfließet. Der planetische Weltbau, indem die Sonne aus dem Mittelpunkte aller Kreise, mit ihrer mächtigen Anziehung, die bewohnte Kugeln ihres Systems in ewigen Kreisen umlaufend macht, ist gänzlich, wie wir gesehen haben, aus dem ursprünglich ausgebreiteten Grundstoff aller Weltmaterie gebildet worden. Alle Fixsterne, die das Auge an der hohlen Tiefe des Himmels entdecket, und die eine Art von Verschwendung anzuzeigen scheinen, sind Sonnen und Mittelpunkte von ähnlichen Systemen. Die Analogie erlaubt es also hier nicht, zu zweifeln, daß diese auf die gleiche Art, wie das, darin wir uns befinden, aus denen kleinsten Teilen der elementarischen Materie, die den leeren Raum, diesen unendlichen Umfang der göttlichen Gegenwart, erfüllete, gebildet und erzeuget worden.

Wenn nun alle Welten und Weltordnungen dieselbe Art ihres Ursprungs erkennen; wenn die Anziehung unbeschränkt und allgemein, die Zurückstoßung der Elemente aber ebenfalls durchgehends wirksam, wenn bei dem Unendlichen das Große und Kleine beiderseits klein ist: sollten nicht alle die Weltgebäude gleichermaßen eine beziehende Verfassung und systematische Verbindung unter einander angenommen haben, als die Himmelskörper unserer Sonnenwelt im Kleinen, wie Saturn, Jupiter und die Erde, die vor sich insonderheit Systeme sein, und dennoch unter ein
ander als Glieder in einem noch größern zusammen hängen? Wenn man in dem unermeßlichen Raume, darin alle Sonnen der Milchstraße sich gebildet haben, einen Punkt annimmt, um welchen durch ich weiß nicht was vor eine Ursache die erste Bildung der Natur aus dem Chaos angefangen hat: so wird daselbst die größte Masse, und ein Körper von der ungemeinsten Attraktion, entstanden sein, der dadurch fähig geworden, in einer ungeheuren Sphäre um sich alle in der Bildung begriffene Systeme zu nötigen, sich gegen ihn, als ihren Mittelpunkt, zu senken, und um ihn ein gleiches System im Ganzen zu errichten, als derselbe elementarische Grundstoff, der die Planeten bildete, um die Sonne im Kleinen gemacht hat. Die Beobachtung macht diese Mutmaßung beinahe ungezweifelt.

Das Heer der Gestirne macht, durch seine beziehende Stellung gegen einen gemeinschaftlichen Plan, eben sowohl ein System aus, als die Planeten unseres Sonnenbaues um die Sonne. Die Milchstraße ist der Zodiakus dieser höheren Weltordnungen, die von seiner Zone so wenig als möglich abweichen, und deren Streif immer von ihrem Lichte erleuchtet ist, so wie der Tierkreis der Planeten von dem Scheine dieser Kugeln, obzwar nur in sehr wenig Punkten, hin und wieder schimmert. Eine jede dieser Sonnen macht mit ihren umlaufenden Planeten vor sich ein besonderes System aus; allein dieses hindert nicht, Teile eines noch größeren Systems zu sein, so wie Jupiter oder Saturn, ungeachtet ihrer eigenen Begleitung, in der systematischen Verfassung eines noch größeren Weltbaues beschränkt sein. Kann man, an einer so genauen Übereinstimmung in der Verfassung nicht die gleiche Ursache und Art der Erzeugung erkennen?

Wenn nun die Fixsterne ein System ausmachen, dessen Umfang durch die Anziehungssphäre desjenigen Körpers, der im Mittelpunkte befindlich ist, bestimmet wird, werden nicht mehr Sonnensystemata, und, so zu reden, mehr Milchstraßen entstanden sein, die in dem grenzenlosen Felde des Weltraums erzeuget worden? Wir haben mit Erstaunen Figuren am Himmel erblickt, welche nichts anders, als solche auf einen gemeinschaftlichen Plan beschränkte Fixsternen systemata, solche Milchstraßen, wenn ich mich so ausdrücken darf, sein, die in verschiedenen Stellungen gegen das Auge, mit einem ihrem unendlichen Abstande gemäß geschwächten Schimmer, elliptische Gestalten darstellen; es sind Systemata von, so zu sagen, unendliche mal unendlich größerm Durchmesser, als der Diameter unseres Sonnenbaues ist; aber ohne Zweifel auf gleiche Art entstanden, aus gleichen Ursachen geordnet und eingerichtet, und erhalten sich durch ein gleiches Triebwerk, als dieses, in ihrer Verfassung.

Wenn man diese Sternensystemata wiederum als Glieder an der großen Kette der gesamten Natur ansiehet: so hat man eben so viel Ursache, wie vorher, sie in einer gegenseitigen Beziehung zu gedenken, und in Verbindungen, welche, kraft des durch die ganze Natur herrschenden Gesetzes der ersten Bildung, ein neues noch größeres System ausmachen, das durch die Anziehung eines Körpers von ungleich mächtigerer Attraktion, als alle die vorige waren, aus dem Mittelpunkte ihrer regelmäßigen Stellungen regieret wird. Die Anziehung, welche die Ursache der systematischen Verfassung unter den Fixsternen der Milchstraße ist, wirket auch noch in der Entfernung eben dieser Weltordnungen, um sie aus ihren Stellungen zu bringen, und die Welt in einem unvermeidlich bevorstehenden Chaos zu begraben, wenn nicht regelmäßig ausgeteilte Schwungskräfte der Attraktion das Gegengewicht leisten, und beiderseits in Verbindung diejenige Beziehung hervorbringen, die der Grund der systematischen Verfassung ist.

Die Anziehung ist ohne Zweifel eine eben so weit ausgedehnte Eigenschaft der Materie, als die Koexistenz, welche den Raum macht, indem sie die Substanzen durch gegenseitige Abhängigkeiten verbindet, oder, eigentlicher zu reden, die Anziehung ist eben diese allgemeine Beziehung, welche die Teile der Natur in einem Raume vereinigt: sie erstrecket sich also auf die ganze Ausdehnung desselben, bis in alle Weiten ihrer Unendlichkeit. Wenn das Licht von diesen entfernten Systemen zu uns gelanget, das Licht, welches nur eine eingedrückte Bewegung ist, muß nicht vielmehr die Anziehung, diese ursprüngliche Bewegungsquelle, welche eher, wie alle Bewegung ist, die keiner fremden Ursachen bedarf, auch durch keine Hindernis kann aufgehalten werden, weil sie in das Innerste der Materie, ohne einigen Stoß, selbst bei der allgemeinen Ruhe der Natur wirket, muß, sage ich, die Anziehung nicht diese Fixsternen-Systemata, ihrer unermeßlichen Entfernungen ungeachtet, bei der ungebildeten Zerstreuung ihres Stoffes, im Anfange der Regung der Natur, in Bewegungen versetzet haben, die eben so, wie wir im Kleinen gesehen haben, die Quelle der systematischen Verbindung, und der dauerhaften Beständigkeit ihrer Glieder ist, die sie vor den Verfall sichert?

Aber, welches wird denn endlich das Ende der systematischen Einrichtungen sein? wo wird die Schöpfung selber aufhören? Man merket wohl, daß, um sie in einem Verhältnisse mit der Macht des unendlichen Wesens zu gedenken, sie gar keine Grenzen haben müsse. Man kommt der Unendlichkeit der Schöpfungskraft Gottes nicht näher, wenn man den Raum ihrer Offenbarung in einer Sphäre, mit dem Radius der Milchstraße beschrieben, einschließet, als wenn man ihn in eine Kugel beschränken will, die einen Zoll im Durchmesser hat. Alles was endlich, was seine Schranken und ein bestimmtes Verhältnis zur Einheit hat, ist von dem Unendlichen gleich weit entfernet. Nun wäre es ungereimt, die Gottheit mit einem unendlich kleinen Teile ihres schöpferischen Vermögens in Wirksamkeit zu setzen, und ihre unendliche Kraft, den Schatz einer wahren Unermeßlichkeit von Naturen und Welten, untätig, und in einem ewigen Mangel der Ausübung verschlossen zu gedenken. Ist es nicht vielmehr anständiger, oder, besser zu sagen, ist es nicht notwendig, den Inbegriff der Schöpfung also anzustellen, als er sein muß, um ein Zeugnis von derjenigen Macht zu sein, die durch keinen Maßstab kann abgemessen werden? Aus diesem Grunde ist das Feld der Offenbarung göttlicher Eigenschaften eben so unendlich, als diese selber sind.*
* Der Begriff einer unendlichen Ausdehnung der Welt findet unter den Metaphysikkündigern Gegner, und hat nur neulich an dem Herrn M. Weitenkampf einen gefunden. Wenn diese Herren, wegen der angeblichen Unmöglichkeit einer Menge ohne Zahl und Grenzen, sich zu dieser Idee nicht bequemen können: so wollte ich nur vorläufig fragen: ob die künftige Folge der Ewigkeit nicht eine wahre Unendlichkeit von Mannigfaltigkeiten und Veränderungen in sich fassen wird? und ob diese unendliche Reihe nicht auf einmal schon jetzo dem göttlichen Verstande ganzlich gegenwärtig sei? Wenn es nun möglich war, daß Gott den Begriff der Unendlichkeit, der seinem Verstande auf einmal darstehet, in einer auf einander folgenden Reihe würklich machen kann: warum sollte derselbe nicht den Begriff einer andern Unendlichkeit in einem, dem Raume nach, verbundenen Zusammenhange darstellen, und dadurch den Umfang der Welt ohne Grenzen machen können? Indessen, daß man diese Frage wird zu beantworten suchen, so werde mich der Gelegenheit, die sich darbieten wird, bedienen, durch eine aus der Natur der Zahlen gezolgene Erläuterung, die vermeinte Schwierigkeit zu heben, woferne man, bei genauer Erwägung, es noch als eine einer Erörterung bedürftige Frage ansehen kann: ob dasjenige, was eine durch die höchste Weisheit begleitete Macht hervorgebracht hat, sich zu offenbaren, zu demjenigen, was sie hat hervorbringen können, sich wie eine Differentialgröße verhalte?

Die Ewigkeit ist nicht hinlängjlich, die Zeugnisse des höchsten Wesens zu fassen, wo sie nicht mit der Unendlichkeit des Raumes verbunden wird. Es ist wahr, die Ausbildung, die Form, die Schönheit und Vollkommenheit sind Beziehungen der Grundstücke und der Substanzen, die den Stoff des Weltbaues ausmachen; und man bemerket es an den Anstalten, die die Weisheit Gottes noch zu aller Zeit trifft; es ist ihr auch am gemäßesten, daß sie sich, aus dieser ihren eingepflanzten allgemeinen Gesetzen, durch eine ungezwungene Folge herauswickeln. Und daher kann man mit gutem Grunde setzen, daß die Anordnung und Einrichtung der Weltgebäude, aus dem Vorrate des erschaffenen Naturstoffes, in einer Folge der Zeit, nach und nach geschehe; allein, die Grundmaterie selber, deren Eigenschaften und Kräfte allen Veränderungen zum Grunde liegen, ist eine unmittelbare Folge des göttlichen Daseins: selbige muß also auf einmal so reich, so vollständig sein, daß die Entwickelung ihrer Zusammensetzungen in dem Abflusse der Ewigkeit sich über einen Plan ausbreiten könne, der alles in sich schließet, was sein kann, der kein Maß annimmt, kurz, der unendlich ist.

Wenn nun also die Schöpfung, der Räume nach, unendlich ist, oder es wenigstens, der Materie nach, wirklich von Anbeginn her schon gewesen ist, der Form, oder der Ausbildung nach aber es bereit ist zu werden: so wird der Weltraum mit Welten ohne Zahl und ohne Ende belebet werden. Wird denn nun jene systematische Verbindung, die wir vorher bei allen Teilen insonderheit erwogen haben, auch aufs Ganze gehen, und das gesamte Universum, das All der Natur, in einem einigen System, durch die Verbindung der Anziehung und der fliehenden Kraft, zusammen fassen? Ich sage ja; wenn nur lauter abgesonderte Weltgebäude, die unter einander keine vereinte Beziehung zu einem Ganzen hätten, vorhanden wären, so könnte man wohl, wenn man diese Kette von Gliedern als wirklich unendlich annähme, gedenken, daß eine genaue Gleichheit der Anziehung ihrer Teile von allen Seiten diese Systemata von dem Verfall, den ihnen die innere Wechselanziehung drohet, sicher halten könne. Allein hiezu gehöret eine so genaue abgemessene Bestimmung in denen nach der Attraktion abgewogenen Entfernungen, daß auch die geringste Verrückung dem U n i v e r s o den Untergang zuziehen, und sie in langen Perioden, die aber doch endlich zu Ende laufen müssen, dem Umsturze überliefern würde. Eine Weltverfassung, die sich ohne ein Wunder nicht erhielt, hat nicht den Charakter der Beständigkeit, die das Merkmal der Wahl Gottes ist; man trifft es also dieser weit anständiger, wenn man der gesamten Schöpfung ein einziges System machet, welches alle Welten und Weltordnungen, die den ganzen unendlichen Raum ausfüllen, auf einen einigen Mittelpunkt beziehend macht. Ein zerstreuetes Gewimmel von Weltgebäuden, sie möchten auch durch noch so weite Entfernungen von einander getrennet sein, würde mit einem unverhinderten Hang zum Verderben und zur Zerstörung eilen, wenn nicht eine gewisse beziehende Einrichtung gegen einen allgemeinen Mittelpunkt, das Zentrum der Attraktion des Universi und den Unterstützungspunkt der gesamten Natur, durch systematische Bewegungen getroffen wäre -

Um diesen allgemeinen Mittelpunkt der Senkung der ganzen Natur, sowohl der gebildeten, als der rohen, in welchem sich ohne Zweifel der Klumpen von der ausnehmendsten Attraktion befindet, der in seine Anziehungssphäre alle Welten und Ordnungen, die die Zeit hervorgebracht hat, und die Ewigkeit hervorbringen wird, begreifet, kann man mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die Natur den Anfang ihrer Bildung gemacht, und daselbst auch die Systemen am dichtesten gehäufet seien; weiter von demselben aber in der Unendlichkeit des Raumes sich, mit immer größeren Graden der Zerstreuung verlieren. Man könnte diese Regel aus der Analogie unseres Sonnenbaues abnehmen, und diese Verfassung kann ohnedem dazu dienen, daß in großen Entfernungen nicht allein der allgemeine Zentralkörper, sondern auch alle um ihn zunächst laufende Systemata ihre Anziehung zusammen vereinigen, und sie gleichsam aus einem Klumpen gegen die Systemata des noch weiteren Abstandes ausüben. Dieses wird alsdenn mit dazu behülflich sein, die ganze Natur in der ganzen Unendlichkeit ihrer Erstreckung, in einem einzigen Systema, zu begreifen.

Um nun der Errichtung dieses allgemeinen Systems der Natur, aus den mechanischen Gesetzen der zur Bildung strebenden Materie, nachzuspüren: so muß in dem unendlichen Raume des ausgebreiteten elementarischen Grundstoffes, an irgend einem Orte, dieser Grundstoff die dichteste Häufung gehabt haben, um, durch die daselbst geschehende vorzügliche Bildung, dem gesamten Universo eine Masse verschaffet zu haben, die ihm zum Unterstützungspunkte dienete. Es ist zwar an dem, daß in einem unendlichen Raume kein Punkt eigentlich das Vorrecht haben kann, der Mittelpunkt zu heißen; aber, vermittelst einer gewissen Verhältnis, die sich auf die wesentliche Grade der Dichtigkeit des Urstoffes gründet, nach welcher diese zugleich mit ihrer Schöpfung an einem gewissen Orte vorzüglich dichter gehäufet, und mit den Weiten von demselben in der Zerstreuung zunimmt, kann ein solcher Punkt das Vorrecht haben, der Mittelpunkt zu heißen, und er wird es auch wirklich, durch die Bildung der Zentralmasse von der kräftigsten Anziehung in demselben, zu dem sich alle übrige, in Partikularbildungen begriffene elementarische Materie senket, und dadurch, so weit sich auch die Auswickelung der Natur erstrecken mag, in der unendlichen Sphäre der Schöpfung, aus dem ganzen All nur ein einziges System macht.

Das ist aber was Wichtiges, und welches, woferne es Beifall erlanget, der größesten Aufmerksamkeit würdig ist, daß, der Ordnung der Natur in diesem unserm System zu Folge, die Schöpfung, oder vielmehr die Ausbildung der Natur, bei diesem Mittelpunkte zuerst anfängt, und mit stetiger Fortschreitung nach und nach in alle fernere Weiten ausgebreitet wird, um den unendlichen Raum in dem Fortgange der Ewigkeit mit Welten und Ordnungen zu erfüllen. Lasset uns dieser Vorstellung einen Augenblick mit stillem Vergnügen nachhängen. Ich finde nichts, das den Geist des Menschen zu einem edleren Erstaunen erheben kann, indem es ihm eine Aussicht in das unendliche Feld der Allmacht eröffnet, als diesen Teil der Theorie, der die sukzessive Vollendung der Schöpfung betrifft. Wenn man mir zugibt, daß die Materie, die der Stoff zu Bildung aller Welten ist, in dem ganzen unendlichen Raume der göttlichen Gegenwart nicht gleichförmig, sondern nach einem gewissen Gesetze ausgebreitet gewesen, das sich vielleicht auf die Dichtigkeit der Partikeln bezog, und nach welchem von einem gewissen Punkte, als dem Orte der dichtesten Häufung, mit den Weiten von diesem Mittelpunkte die Zerstreuung des Urstoffes zunahm: so wird, in der ursprünglichen Regung der Natur, die Bildung zunächst diesem Centro angefangen, und denn, in fortschreitender Zeitfolge, der weitere Raum nach und nach Welten und Weltordnungen, mit einer gegen diesen sich beziehenden systematischen Verfassung, gebildet haben.

Ein jeder endlicher Periodus, dessen Länge zu der Größe des zu vollbringenden Werks ein Verhältnis hat, wird immer nur eine endliche Sphäre, von diesem Mittelpunkte an, zur Ausbildung bringen; der übrige unendliche Teil wird indessen noch mit der Verwirrung und dem Chaos streiten, und um so viel weiter von dem Zustande der vollendeten Bildung entfernet sein, je weiter dessen Abstand von der Sphäre der schon ausgebildeten Natur entfernet ist. Diesem zu Folge, ob wir gleich von dem Orte unseres Aufenthalts in dem Universo eine Aufsicht in eine, wie es scheinet, völlig vollendete Welt, und, so zu reden, in ein unendliches Heer von Weltordnungen, die systematisch verbunden sind, haben: so befinden wir uns doch eigentlich nur in einer Naheit zum Mittelpunkte der ganzen Natur, wo diese sich schon aus dem Chaos ausgewickelt, und ihre gehörige Vollkommenheit erlanget hat.

Wenn wir eine gewisse Sphäre überschreiten könnten: würden wir daselbst das Chaos und die Zerstreuung der Elemente erblicken, die nach dem Maße, als sie sich diesem Mittelpunkte näher befinden, den rohen Zustand zum Teil verlassen, und der Vollkommenheit der Ausübung näher sind, mit den Graden der Entfernung aber sich nach und nach in einer völligen Zerstreuung verlieren. Wer würde sehen, wie der unendliche Raum der göttlichen Gegenwart, darin der Vorrat zu allen möglichen Naturbildungen anzutreffen ist, in einer stillen Nacht begraben, voll von Materie, den künftig zu erzeugenden Welten zum Stoffe zu dienen, und von Triebfedern, sie in Bewegung zu bringen, die, mit einer schwachen Regung, diejenige Bewegungen anfangen, womit die Unermeßlichkeit dieser öden Räume dereinst noch soll belebet werden.

Es ist vielleicht eine Reihe von Millionen Jahren und Jahrhunderten verflossen, ehe die Sphäre der gebildeten Natur, darin wir uns befinden, zu der Vollkommenheit gediehen ist, die ihr jetzt beiwohnet; und es wird vielleicht ein eben so langer Periodus vergehen, bis die Natur einen eben so weiten Schritt in dem Chaos tut: allein die Sphäre der ausgebildeten Natur ist unaufhörlich beschäftiget, sich auszubreiten.

Die Schöpfung ist nicht das Werk von einem Augenblicke. Nachdem sie mit der Hervorbringung einer Unendlichkeit von Substanzen und Materie den Anfang gemachet hat: so ist sie mit immer zunehmenden Graden der Fruchtbarkeit, die ganze Folge der Ewigkeit hindurch, wirksam. Es werden Millionen, und ganze Gebürge von Millionen Jahrhunderten verfließen, binnen welchen immer neue Welten und Welt­ordnungen nach einander, in denen entfernten Weiten von dem Mittelpunkte der Natur, sich bilden, und zur Vollkommenheit gelangen werden; sie werden, ohnerachtet der systematischen Verfassung, die unter ihren Teilen ist, eine allgemeine Beziehung auf den Mittelpunkt erlangen, welcher der erste Bildungspunkt, und das Zentrum der Schöpfung durch das Anziehungsvermögen seiner vorzüglichen Masse worden ist.

Die Unendlichkeit der künftigen Zeitfolge, womit die Ewigkeit unerschöpflich ist, wird alle Räume der Gegenwart Gottes ganz und gar beleben, und in die Regelmäßigkeit, die der Trefflichkeit seines Entwurfes gemäß ist, nach und nach versetzen, und wenn man mit einer kühnen Vorstellung die ganze Ewigkeit, so zu sagen, in einem Begriffe zusammen fassen könnte: so würde man auch den ganzen unendlichen Raum mit Weltordnungen angefüllet, und die Schöpfung vollendet ansehen können.
Weil aber in der Tat von der Zeitfolge der Ewigkeit der rückständige Teil allemal unendlich, und der abgeflossene endlich ist: so ist die Sphäre der ausgebildeten Natur allemal nur ein unendlich kleiner Teil desjenigen Inbegriffs, der den Samen zukünftiger Welten in sich hat, und sich aus dem rohen Zustande des Chaos, in längern oder kürzern Perioden, auszuwickeln trachtet. Die Schöpfung ist niemals vollendet. Sie hat zwar einmal angefangen, aber sie wird niemals aufhören. Sie ist immer geschäftig, mehr Auftritte der Natur, neue Dinge und neue Welten hervor zu bringen. Das Werk, welches sie zu Stande bringet, hat ein Verhältnis zu der Zeit, die sie darauf anwendet. Sie braucht nichts weniger, als eine Ewigkeit, um die ganze grenzenlose Weite der unendlichen Räume, mit Welten ohne Zahl und ohne Ende, zu beleben. Man kann von ihr dasjenige sagen, was der erhabenste unter den deutschen Dichtern von der Ewigkeit schreibet:

Unendlichkeit!
wer misset dich?
Vor dir sind Weiten Tag, und Menschen Augenblicke;
Vielleicht die tausendste der Sonnen wälzt jetzt sich,
Und tausend bleiben noch zurücke.
Wie eine Uhr, beseelt durch ein Gewicht,
Eilt eine Sonn‘, aus Gottes Kraft bewegt:
Ihr Trieb läuft ab, und eine andre schlägt,
Du aber bleibst, und zählst sie nicht.

v. Haller.

Es ist ein nicht geringes Vergnügen, mit seiner Einbildungskraft über die Grenze der vollendeten Schöpfung, in den Raum des Chaos, auszuschweifen, und die halb rohe Natur, in der Naheit zur Sphäre der ausgebildeten Welt, sich nach und nach durch alle Stufen und Schattierungen der Unvollkommenheit, in dem ganzen ungebildeten Raume, verlieren zu sehen. Aber ist es nicht eine tadelnswürdige Kühnheit, wird man sagen, eine Hypothese aufzuwerfen, und sie, als einen Vorwurf der Ergötzung des Verstandes, anzupreisen, welche vielleicht nur gar zu willkürlich ist, wenn man behauptet, daß die Natur nur einem unendlich kleinen Teile nach ausgebildet sei, und unendliche Räume noch mit dem Chaos streiten, um in der Folge künftiger Zeiten ganze Heere von Welten und Weltordnungen, in aller gehörigen Ordnung und Schönheit, darzustellen? Ich bin den Folgen, die meine Theorie darbietet, nicht so sehr ergeben, daß ich nicht erkennen sollte, wie die Mutmaßung von der sukzessiven Ausbreitung der Schöpfung durch die unendliche Räume, die den Stoff dazu in sich fassen, den Einwurf der Unerweislichkeit nicht völlig ablehnen könne. Indessen verspreche ich mir doch von denenjenigen, welche die Grade der Wahrscheinlichkeit zu schätzen im Stande sind, daß eine solche Karte der Unendlichkeit, ob sie gleich einen Vorwurf begreifet, der bestimmt zu sein scheinet, dem menschlichen Verstande auf ewig verborgen zu sein, nicht um deswillen sofort als ein Hirngespinste werde angesehen werden, vornehmlich, wenn man die Analogie zu Hülle nimmt, welche uns allemal, in solchen Fällen, leiten muß, wo dem Verstande der Faden der untrüglichen Beweise mangelt.

Man kann aber auch die Analogie noch durch annehmungswürdige Gründe unterstützen, und die Einsicht des Lesers, wofern ich mich solches Beifalls schmeicheln darf, wird sie vielleicht mit noch wichtigem vermehren können. Denn wenn man erwäget, daß die Schöpfung den Charakter der Beständigkeit nicht mit sich führet, wofern sie der allgemeinen Bestrebung der Anziehung, die durch alle ihre Teile wirket, nicht eine eben so durchgängige Bestimmung entgegen setzet, die dem Hange der ersten zum Verderben und zur Unordnung gnugsam widerstehen kann, wenn sie nicht Schwungskräfte ausgeteilet hat, die in der Verbindung mit der Zentralneigung eine allgemeine systematische Verfassung festsetzen: so wird man genötiget, einen allgemeinen Mittelpunkt des ganzen Welt-Alls anzunehmen, die alle Teile desselben in verbundener Beziehung zusammen hält, und aus dem ganzen Inbegriff der Natur nur ein System machet.

Wenn man hiezu den Begriff von der Bildung der Weltkörper aus der zerstreueten elementarischen Materie füget, wie wir ihn in den vorhergehenden entworfen haben, jedoch ihn allhier nicht auf ein absonderliches System einschränkt, sondern über die ganze Natur ausdehnet: so wird man genötiget, eine solche Austeilung des Grundstoffes, in dem Raume des ursprünglichen Chaos, zu gedenken, die natürlicher Weise einen Mittelpunkt der ganzen Schöpfung mit sich bringet, damit in diesen die wirksame Masse, die in ihrer Sphäre die gesamte Natur begreift, zusammengebracht, und die durchgängige Beziehung bewirket werden könne, wodurch alle Welten nur ein einziges Gebäude ausmachen.

Es kann aber in dem unendlichen Raume kaum eine Art der Austeilung des ursprünglichen Grundstoffes gedacht werden, die einen wahren Mittel- und Senkungspunkt der gesamten Natur setzen sollte, als wenn sie nach einem Gesetze der zunehmenden Zerstreuung, von diesem Punkte an, in alle ferne Weiten eingerichtet ist. Dieses Gesetze aber setzet zugleich einen Unterscheid in der Zeit, die ein System in den verschiedenen Gegenden des unendlichen Raumes gebrauchet, zur Reife seiner Ausbildung zu kommen, so, daß diese Periode desto kürzer ist, je näher der Bildungsplatz eines Weltbaues sich dem Centro der Schöpfung befindet, weil daselbst die Elemente des Stoffes dichter gehäufet sind, und dagegen um desto länger Zeit erfordert, je weiter der Abstand ist, weil die Partikeln daselbst zerstreueter sind, und später zur Bildung zusammen kommen.

Wenn man die ganze Hypothese, die ich entwerfe, in dem ganzen Umfange sowohl dessen, was ich gesagt habe, als was ich noch eigentlich darlegen werde, erwäget: so wird man die Kühnheit ihrer Forderungen wenigstens nicht vor unfähig halten, eine Entschuldigung anzunehmen. Man kann den unvermeidlichen Hang, den ein jegliches zur Vollkommenheit gebrachtes Weltgebäude nach und nach zu seinem Untergange hat, unter die Gründe rechnen, die es bewähren können, daß das Universum dagegen in andern Gegenden an Welten fruchtbar sein werde, um den Mangel zu ersetzen, den es an einem Orte erlitten hat. Das ganze Stück der Natur, das wir kennen, ob es gleich nur ein Atomus in Ansehung dessen ist, was über oder unter unserem Gesichtskreise verborgen bleibt, bestätiget doch diese Fruchtbarkeit der Natur, die ohne Schranken ist, weil sie nicht anders, als die Ausübung der göttlichen Allmacht selber ist.

Unzählige Tiere und Pflanzen werden täglich zerstöret, und sind ein Opfer der Vergänglichkeit; aber nicht weniger bringet die Natur, durch ein unerschöpftes Zeugungsvermögen, an andern Orten wiederum hervor, und füllet das Leere aus. Beträchtliche Stücke des Erdbodens, den wir bewohnen, werden wiederum in dem Meere begraben, aus dem sie ein günstiger Periodus hervorgezogen hatte; aber an anderen Orten ergänzet die Natur den Mangel, und bringet andere Gegenden hervor, die in der Tiefe des Wesens verborgen waren, um neue Reichtümer ihrer Fruchtbarkeit über dieselbe auszubreiten. Auf die gleiche Art vergehen Welten und Weltordnungen, und werden von dem Abgrunde der Ewigkeiten verschlungen; dagegen ist die Schöpfung immerfort geschäftig, in andern Himmelsgegenden neue Bildungen zu verrichten, und den Abgang mit Vorteile zu ergänzen.

Man darf nicht erstaunen, selbst in dem Großen der Werke Gottes, eine Vergänglichkeit zu verstatten. Alles, was endlich ist, was einen Anfang und Ursprung hat, hat das Merkmal seiner eingeschränkten Natur in sich; es muß vergehen, und ein Ende haben. Die Dauer eines Weltbaues hat, durch die Vortrefflichkeit ihrer Errichtung, eine Beständigkeit in sich, die, unsern Begriffen nach, einer unendlichen Dauer nahe kommt. Vielleicht werden tausend, vielleicht Millionen Jahrhunderte sie nicht vernichten; allein, weil die Eitelkeit, die an denen endlichen Naturen haftet, beständig an ihrer Zerstörung arbeitet: so wird die Ewigkeit alle mögliche Perioden in sich halten, um durch einen allmählichen Verfall den Zeitpunkt ihres Unterganges doch endlich herbei zu führen. Newton, dieser große Bewunderer der Eigenschaften Gottes aus der Vollkommenheit seiner Werke, der mit der tiefsten Einsicht in die Trefflichkeit der Natur die größte Ehrfurcht gegen die Offenbarung der göttlichen Allmacht verband, sahe sich genötiget, der Natur ihren Verfall durch den natürlichen Hang, den die Mechanik der Bewegungen dazu hat, vorher zu verkündigen. Wenn eine systematische Verfassung, durch die wesentliche Folge der Hinfälligkeit, in großen Zeitläuften auch den allerkleinsten Teil, den man sich nur gedenken mag, dem Zustande ihrer Verwirrung nähert: so muß in dem unendlichen Ablaufe der Ewigkeit doch ein Zeitpunkt sein, da diese allmähliche Verminderung alle Bewegung erschöpfet hat.

Wir dürfen aber den Untergang eines Weltgebäudes nicht als einen wahren Verlust der Natur bedauren. Sie beweiset ihren Reichtum in einer Art von Verschwendung, welche, indem einige Teile der Vergänglichkeit den Tribut bezahlen, sich durch unzählige neue Zeugungen in dem ganzen Umfange ihrer Vollkommenheit unbeschadet erhält. Welch eine unzählige Menge Blumen und Insekten zerstöret ein einziger kalter Tag; aber wie wenig vermisset man sie, ohnerachtet es herrliche Kunstwerke der Natur und Beweistümer der göttlichen Allmacht sein; an einem andern Orte wird dieser Abgang mit Überfluß wiederum ersetzet.

Der Mensch, der das Meisterstück der Schöpfung zu sein scheinet, ist selbst von diesem Gesetze nicht ausgenommen. Die Natur beweiset, daß sie eben so reich, eben so unerschöpfet, in Hervorbringung des Trefflichsten unter den Kreaturen, als des Geringschätzigsten, ist, und daß selbst deren Untergang eine notwendige Schattierung in der Mannigfaltigkeit ihrer Sonnen ist, weil die Erzeugung derselben ihr nichts kostet. Die schädlichen Wirkungen der angesteckten Luft, die Erdbeben, die Überschwemmungen vertilgen ganze Völker von dem Erdboden; allein es scheinet nicht, daß die Natur dadurch einigen Nachteil erlitten habe. Auf gleiche Weise verlassen ganze Welten und Systemen den Schauplatz, nachdem sie ihre Rolle ausgespielet haben.

Die Unendlichkeit der Schöpfung ist groß genug, um eine Welt, oder eine Milchstraße von Welten, gegen sie anzusehen, wie man eine Blume, oder ein Insekt, in Vergleichung gegen die Erde, ansiehet. Indessen, daß die Natur mit veränderlichen Auftritten die Ewigkeit auszieret, bleibt Gott in einer unaufhörlichen Schöpfung geschäftig, den Zeug zur Bildung noch größerer Welten zu formen.

Der stets mit einem gleichen Auge, weil er der Schöpfer ja von allen,
Sieht einen Helden untergehn, und einen kleinen Sperling fallen,
Sieht eine Wasserblase springen, und eine ganze Welt vergehn.
Pope, nach Brockes‘ Übersetzung.


Laßt uns also unser Auge an diese erschreckliche Umstürzungen als an die gewöhnlichen Wege der Vorsehung gewöhnen, und sie sogar mit einer Art von Wohlgefallen ansehen. Und in der Tat ist dem Reichtume der Natur nichts anständiger als dieses. Denn wenn ein Weltsystem in der langen Folge seiner Dauer alle Mannigfaltigkeit erschöpfet, die seine Einrichtung fassen kann, wenn es nun ein überflüssiges Glied in der Kette der Wesen geworden: so ist nichts geziemender, als daß es in dem Schauspiele der ablaufenden Veränderungen des Universi die letzte Rolle spielet, die jedem endlichen Dinge gebühret, nämlich der Vergänglichkeit ihr Gebühr abtrage.

Die Natur zeiget, wie gedacht, schon in dem kleinen Teile ihres Inbegriffes, diese Regel ihres Verfahrens, die das ewige Schicksal ihr im Ganzen vorgeschrieben hat, und ich sage es nochmals, die Größe desjenigen, was untergehen soll, ist hierin nicht im geringsten hinderlich; denn alles, was groß ist, wird klein, ja es wird gleichsam nur ein Punkt, wenn man es mit dem Unendlichen vergleicht, welches die Schöpfung in dem unbeschränkten Raume, die Folge der Ewigkeit hindurch, darstellen wird.

Es scheinet, daß dieses denen Welten so wie allen Naturdingen verhängte Ende einen gewissen Gesetze unterworfen sei, dessen Erwägung der Theorie einen neuen Zug der Anständigkeit gibet. Nachdemselben hebt es bei denen Weltkörpern an, die sich dem Mittelpunkte des Welt-Alls am nächsten befinden, so wie die Erzeugung und Bildung neben diesem Centro zuerst angefangen: von da breitet sich das Verderben und die Zerstörung nach und nach in die weiteren Entfernungen aus, um alle Welt, welche ihre Periode zurück geleget hat, durch einen allmählichen Verfall der Bewegungen, zuletzt in einem einzigen Chaos zu begraben.

Andererseits ist die Natur, auf der entgegengesetzten Grenze der ausgebildeten Welt, unablässig beschäftiget, aus dem rohen Zeuge der zerstreueten Elemente Welten zu bilden, und, indem sie an der einen Seite neben dem Mittelpunkte veraltet, so ist sie auf der andern jung und an neuen Zeugungen fruchtbar. Die ausgebildete Welt befindet sich diesem nach zwischen den Ruinen der zerstörten, und zwischen dem Chaos der ungebildeten Natur mitten inne beschränket, und wenn man, wie es wahrscheinlich ist, sich vorstellet, daß eine schon zur Vollkommenheit gediehene Welt eine längere Zeit dauren könne, als sie bedurft hat, gebildet zu werden: so wird ungeachtet aller der Verheerungen, die die Vergänglichkeit unaufhörlich anrichtet, der Umfang des Universi dennoch überhaupt zunehmen.

Will man aber noch zuletzt einer Idee Platz lassen, die eben so wahrscheinlich, als der Verfassung der göttlichen Werke wohlanständig ist: so wird die Zufriedenheit, welche eine solche Abschilderung der Veränderungen der Natur erreget, bis zum höchsten Grade des Wohlgefallens erhoben. Kann man nicht glauben, die Natur, welche vermögend war, sich aus dem Chaos in eine regelmäßige Ordnung und in ein geschicktes System zu setzen, sei ebenfalls im Stande, aus dem neuen Chaos, darin sie die Verminderung ihrer Bewegungen versenket hat, sich wiederum eben so leicht herzustellen, und die erste Verbindung zu erneuren? Können die Federn, welche den Stoff der zerstreuten Materie in Bewegung und Ordnung brachten, nachdem sie der Stillstand der Maschine zur Ruhe gebracht hat, durch erweiterte Kräfte nicht wiederum in Wirksamkeit gesetzt werden, und sich nach eben denselben allgemeinen Regeln zur Übereinstimmung einschränken, wodurch die ursprüngliche Bildung zuwege gebracht worden ist?

Man wird nicht lange Bedenken tragen, dieses zuzugeben, wenn man erwäget, daß, nachdem die endliche Mattigkeit der Umlaufs-Bewegungen in dem Weltgebäude die Planeten und Kometen insgesamt auf die Sonne niedergestürzt hat, dieser ihre Glut einen unermeßlichen Zuwachs durch die Vermischung so vieler und großer Klumpen bekommen muß, vornehmlich da die entfernete Kugeln des Sonnensystems, unserer vorher erwiesenen Theorie zufolge, den leichtesten und im Feuer wirksamsten Stoff der ganzen Natur in sich enthalten. Dieses durch neue Nahrung und die flüchtigste Materie in die größte Heftigkeit versetzte Feuer wird ohne Zweifel nicht allein alles wiederum in die kleinsten Elemente auflösen, sondern auch dieselbe in dieser Art, mit einer der Hitze gemäßen Ausdehnungskraft, und mit einer Schnelligkeit, welche durch keinen Widerstand des Mittelraums geschwächet wird, in dieselben weiten Räume wiederum ausbreiten und zerstreuen, welche sie vor der ersten Bildung der Natur eingenommen hatten, um, nachdem die Heftigkeit des Zentralfeuers durch eine beinahe gänzliche Zerstreuung ihrer Masse gedämpfet werden, durch Verbindung der Attraktions- und Zurückstoßungskräfte, die alten Zeugungen und systematisch beziehende Bewegungen, mit nicht minderer Regelmäßigkeit zu wiederholen und ein neues Weltgebäude darzustellen. Wenn denn ein besonderes Planetensystem auf diese Weise in Verfall geraten und durch wesentliche Kräfte sich daraus wiederum hergestellet hat, wenn es wohl gar dieses Spiel mehr wie einmal wiederholet: so wird endlich die Periode herannahen, die auf gleiche Weise das große System, darin die Fixsterne Glieder sein, durch den Verfall ihrer Bewegungen, in einem Chaos versammlen wird.

Man wird hier noch weniger zweifeln, daß die Vereinigung einer so unendlichen Menge Feuerschätze, als diese brennenden Sonnen sind, zusamt dem Gefolge ihrer Planeten den Stoff ihrer Massen, durch die unnennbare Glut aufgelöset, in den alten Raum ihrer Bildungssphäre zerstreuen und daselbst die Materialien zu neuen Bildungen durch dieselbe mechanische Gesetze hergeben werden, woraus wiederum der öde Raum mit Welten und Systemen kann belebet werden. Wenn wir denn diesen Phönix der Natur, der sich nur darum verbrennet, um aus seiner Asche wiederum verjüngt aufzuleben, durch alle Unendlichkeit der Zeiten und Räume hindurch folgen; wenn man siehet, wie sie sogar in der Gegend, da sie verfällt und veraltet, an neuen Auftritten unerschöpft und auf der anderen Grenze der Schöpfung in dem Raum der ungebildeten rohen Materie mit stetigen Schritten zur Ausdehnung des Plans der göttlichen Offenbarung fortschreitet, um die Ewigkeit sowohl, als alle Räume mit ihren Wundern zu füllen: so versenket sich der Geist, der alles dieses überdenket, in ein tiefes Erstaunen; aber annoch mit diesem so großen Gegenstande unzufrieden, dessen Vergänglichkeit die Seele nicht gnugsam zufrieden stellen kann, wünschet er dasjenige Wesen von nahem kennen zu lernen, dessen Verstand, dessen Größe die Quelle desjenigen Lichtes ist, das sich über die gesamte Natur, gleichsam als aus einem Mittelpunkte, ausbreitet. Mit welcher Art der Ehrfurcht muß nicht die Seele so gar ihr eigen Wesen ansehen, wenn sie betrachtet, daß sie noch alle diese Veränderungen überleben soll, sie kann zu sich selber sagen, was der philosophische Dichter von der Ewigkeit saget:

Wenn denn ein zweites Nichts wird diese Welt begraben;
Wenn von dem Alles selbst nichts bleibet als die Stelle;
Wenn mancher Himmel noch, von andern Sternen helle,
Wird seinen Lauf vollendet haben:
Wirst du so jung als jetzt, von deinem Tod gleich weit,
Gleich ewig künftig sein, wie heut.
v. Haller.


O glücklich, wenn sie unter dem Tumult der Elemente und den Träumen der Natur jederzeit auf eine Höhe gesetzet ist, von da sie die Verheerungen, die die Hinfälligkeit den Dingen der Welt verursacht, gleichsam unter ihren Füßen kann vorbei rauschen sehen. Eine Glückseligkeit, welche die Vernunft nicht einmal zu erwünschen sich erkühnen darf, lehret uns die Offenbarung mit Überzeugung hoffen. Wenn denn die Fesseln, welche uns an die Eitelkeit der Kreaturen geknüpft halten, in dem Augenblicke, welcher zu der Verwandelung unsers Wesens bestimmt worden, abgefallen sein, so wird der unsterbliche Geist, von der Abhängigkeit der endlichen Dinge befreiet, in der Gemeinschaft mit dem unendlichen Wesen, den Genuß der wahren Glückseligkeit finden. Die ganze Natur, welche eine allgemeine harmonische Beziehung zu dem Wohlgefallen der Gottheit hat, kann diejenige vernünftige Kreatur nicht anders als mit Immerwährender Zufriedenheit erfüllen, die sich mit dieser Urquelle aller Vollkommenheit vereint befindet. Die Natur, von diesem Mittelpunkte aus gesehen, wird von allen Seiten lauter Sicherheit, lauter Wohlanständigkeit zeigen. Die veränderlichen Szenen der Natur vermögen nicht, den Ruhestand der Glückseligkeit eines Geistes zu verrücken, der einmal zu solcher Höhe erhoben ist. Indem er diesen Zustand, mit einer süßen Hoffnung, schon zum voraus kostet: kann er seinen Mund in denjenigen Lobgesängen üben, davon dereinst alle Ewigkeiten erschallen sollen.

Wenn dereinst der Bau der Welt in sein Nichts zurück geeilet
Und sich deiner Hände Werk nicht durch Tag und Nacht mehr teilet:
Denn soll mein gerührt Gemüte sich durch dich gestärkt bemühn,
In Verehrung deiner Allmacht, stets vor deinen Thron zu ziehn;
Mein von Dank erfüllter Mund soll durch alle Ewigkeiten
Dir und deiner Majestät ein unendlich Lob bereiten;
Ist dabei gleich kein vollkommnes, denn o Herr! so groß bist du,
Dich nach Würdigkeit zu loben, reicht die Ewigkeit nicht zu.

Addison Nach Gottscheds Übersetzung

Aus Immanuel Kant, Vorkritische Schriften 1, Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels . . .(S.326ff.)
Werkausgabe Band I Herausgegeben von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Tachenbuch Wissenschaft stw 186
Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus (1759)
Seitdem man sich von Gott einen geziemenden Begriff gemacht hat, ist vielleicht kein Gedanke natürlicher gewesen, als dieser daß wenn er wählt er nur das Beste wähle.
Wenn man vom Alexander sagte: Daß er glaubte nichts getan zu haben, so lange vor ihn noch etwas zu tun übrig war, so wird sich dieses mit einer unendlich größeren Richtigkeit von dem gütigsten und mächtigsten unter allen Wesen sagen lassen. Leibniz hat auch damit nichts Neues vorzutragen geglaubt, wenn er sagte: Diese Welt sei unter allen möglichen die beste, oder welches eben so viel ist: der Inbegriff alles dessen, was Gott außer sich hervor gebracht hat, ist das Beste, was nur hervor zu bringen möglich war; sondern das Neue bestand nur in der Anwendung, um bei den Schwierigkeiten, die man von dem Ursprunge des Bösen macht, den Knoten abzuhauen, der so schwer aufzulösen ist. Ein Gedanke, der so leicht, so natürlich ist, den man endlich so oft sagt, daß er gemein wird, und Leute von zärtlichem Geschmacke verekelt, kann sich nicht lange im Ansehen erhalten. Was hat man denn vor Ehre davon, mit dem großen Haufen mit zu denken und einen Satz zu behaupten, der so leicht zu beweisen ist? Subtile Irrtümer sind ein Reiz vor die Eigenliebe, welche die eigene Stärke gerne fühlt; offenbare Wahrheiten hingegen werden so leicht und durch einen so gemeinen Verstand eingesehen, daß es ihnen endlich so geht wie jenen Gesängen, welche man nicht mehr ertragen kann, so bald sie aus dem Munde des Pöbels erschallen. Mit einem Worte: Man schätzt gewisse Erkenntnisse öfters nicht darum hoch weil sie richtig sind, sondern weil sie uns was kosten, und man hat nicht gerne die Wahrheit gutes Kaufs. Diesem nach hat man es erstlich außerordentlich, dann schön und endlich richtig gefunden, zu behaupten, daß es Gott beliebt habe, unter allen möglichen Welten diese zu wählen, nicht weil sie besser war als die übrige die in seiner Gewalt waren, sondern weil es kurzum ihm so beliebte. Und warum beliebte es denn dir, du Ewiger, frage ich mit Demut, das Schlechtere dem Bessern vorzuziehen? und Menschen legen dem Allerhöchsten die Antwort in den Mund: Es gefiel mir also, und das ist genug.Ich entwerfe jetzt mit einiger Eilfertigkeit Anmerkungen, die das Urteil über die Streitigkeit erleichtern können, welche sich hierüber erhoben hat. Meine Herren Zuhörer werden sie vielleicht dienlich finden, den Vortrag, den ich über diesen Artikel in den Vorlesungen tue, in seinem Zusammenhange besser einzusehen. Ich fange demnach also an zu schließen.

Wenn keine Welt gedacht werden kann, über die sich nicht noch eine bessere denken ließe, so hat der höchste Verstand unmöglich die Erkenntnis aller möglichen Welten haben können; nun ist das letztere falsch, also auch des erstere. Die Richtigkeit des Obersatzes erhellet also: wenn ich es von einer jeden einzelnen Idee, die man sich nur von einer Welt machen mag, sagen kann, daß die Vorstellung einer noch bessern möglich sei, so kann dieses auch von allen Ideen der Welten im göttlichen Verstande gesagt werden; also sind bessere Welten möglich als alle, die so von Gott erkannt werden, und Gott hat nicht von allen möglichen Welten Kenntnis gehabt. Ich bilde mir ein, daß der Untersatz von jedem Rechtgläubigen werde eingeräumt werden, und schließe, daß es falsch sei zu behaupten, es könne keine Welt gedacht werden, über die sich nicht noch eine bessere denken ließe, oder welches einerlei ist, es ist eine Welt möglich, über die sich keine bessere denken läßt. Hieraus folgt nur zwar freilich nicht, daß eine unter allen möglichen Welten müsse die vollkommenste sein, denn wenn zwei oder mehrere derselben an Vollkommenheit gleich wären, so würde, wenn gleich keine bessere als eine von beiden könnte gedacht werden, doch keine die beste sein, weil beide einerlei Grad der Güte haben.

Um diesen zweiten Schluß machen zu können, stelle ich folgende Betrachtung an, die mir neu zu sein scheinet. Man erlaube mir zuvörderst, daß ich die absolute Vollkommenheit* eines Dinges, wenn man sie ohne irgend eine Absicht
vor sich selbst betrachtet, in dem Grade der Realität setze. Ich habe in dieser Voraussetzung die Beistimmung der meisten Weltweisen auf meiner Seite, und könnte sehr leicht diesen Begriff rechtfertigen. Nun behaupte ich, daß Realität und Realität niemals als solche können unterschieden sein. Denn wenn sich Dinge von einander unterscheiden, so geschieht es durch dasjenige, was in dem einen ist. und in dem andern nicht ist. Wenn aber Realitäten als solche betrachtet werden, so ist ein jedes Merkmal in ihnen positiv, sollten sich nun dieselbe von einander als Realitäten unterscheiden, so müsse in der einen etwas Positives sein, was in der andern nicht wäre, also würde in der einen etwas Negatives gedacht werden, wodurch sie sich von der andern unterscheiden ließe, das heißt sie werden nicht als Realitäten mit einander verglichen, welches doch gefordert wurde. Demnach unterscheiden sich Realität und Realität von einander durch nichts als durch die einer von beiden anhängende Negationen, Abwesenheiten, Schranken, das ist nicht in Ansehung ihrer Beschaffenheit (qualitate) sondern Größe (gradu).
* Die Vollkommenheit im respektiven Verstande ist die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu einer gewissen Regel, diese mag sein welche sie wolle. So ist mancher Betrug, manche Räuberrotte vollkommen in ihrer Art. Allein im absoluten Verstande ist etwas nur vollkommen, in so ferne das Mannigfaltige in demselben den Grund einer Realität in sich enthält. Die Größe dieser Realität bestimmt den Grad der Vollkommenheit. Und weil Gott die höchste Realität ist, so würde dieser Begriff mit demjenigen übereintreffen, da man sagte, es ist etwas vollkommen, in so ferne es mit den göttlichen Eigenschaften zusammenstimmt.

Demnach wenn Dinge von einander unterschieden sind, so unterscheiden sie sich jederzeit nur durch den Grad ihrer Realität, und unterschiedliche Dinge können nie einerlei Grad der Realität haben. Also können ihn auch niemalen zwei unterschiedene Welten haben; das heißt es sind nicht zwei Welten möglich, welche gleich gut, gleich vollkommen wären. Herr Reinhard sagt in seiner Preisschrift vom Optimismus: Eine Welt könne wohl eben die Summe von Realitäten, aber anderer Art haben als die andere, und alsdenn wären es verschiedene Welten und doch von gleicher Vollkommenheit. Allein er irret in dem Gedanken, als wenn Realitäten von gleichem Grad doch konnten in ihrer Beschaffenheit (qualitate) von einander unterschieden sein. Denn, um es nochmals zu sagen, man setze daß sie es wären, so würde in einer etwas sein, was in der andern nicht ist, also würden sie sich durch die Bestimmungen A und non A unterscheiden, wovon die eine allemal eine wahrhafte Verneinung ist, mithin durch die Schranken derselben und den Grad, nicht aber durch ihre Beschaffenheit; denn die Verneinungen können niemalen zu den Qualitäten einer Realität gezählt werden, sondern sie schränken sie ein und bestimmen ihren Grad. Diese Betrachtung ist abstrakt, und würde wohl einiger Erläuterungen bedürfen, welche ich aber anderer Gelegenheit vorbehalte.

Wir sind so weit gekommen, gründlich einzusehen, daß unter allen möglichen Welten eine die vollkommenste sei, so daß ihr weder eine an Trefflichkeit vorgehet noch eine andere ihr gleichkommt. Ob dieses nun die wirkliche Welt sei oder nicht, wollen wir bald erwägen; jetzt wollen wir das Abgehandelte in ein größeres Licht zu setzen suchen.

Es gibt Größen, von denen sich keine denken läßt, daß nicht eine noch größere könnte gedacht werden. Die größeste unter allen Zahlen, die geschwindeste unter allen Bewegungen sind von dieser Art. Selbst der göttliche Verstand denket sie nicht, denn sie sind wie Leibniz anmerkt betrügliche Begriffe (notiones deceptrices), von denen es scheinet, daß man etwas durch sie denket, die aber in der Tat nichts vorstellen. Nun sagen die Gegner des Optimismus: eine vollkommenste unter allen Welten sei so wie die größeste unter allen Zahlen ein widersprechender Begriff; denn man könne eben so wohl zu einer Summe der Realität in einer Welt einige mehrere hinzutun, wie zu der Summe der Einheiten in einer Zahl andere Einheiten können hinzugetan werden, ohne daß jemals was Größtes herauskommt.

Ohne hier zu erwähnen: daß man nicht füglich den Grad der Realität eines Dinges in Vergleichung der kleinem als eine Zahl in Vergleichung mit ihren Einheiten ansehen kann, so führe ich nur folgendes an, um zu zeigen, daß die angeführte Instanz nicht wohl passe. Es ist gar keine größeste Zahl möglich, es ist aber ein größter Grad der Realität möglich, und dieser befindet sich in Gott. Sehet da den ersten Grund, warum man hier sich fälschlich der Zahlbegriffe bedienet. Der Begriff einer größesten endlichen Zahl ist ein abstrakter Begriff der Vielheit schlechthin, welche endlich ist, zu welcher aber gleichwohl mehr hinzugedacht werden kann, ohne daß sie aufhöret endlich zu sein; in welcher also die Endlichkeit der Größe keine bestimmte sondern nur allgemeine Schranken setzt, weswegen keiner von solchen Zahlen das Prädikat der größten zukommen kann; denn man mag eine bestimmte Menge gedenken wie man will, so kann diese eine jede endliche Zahl ohne Nachteil der Endlichkeit durch die Hinzutuung vermehren. Der Grad der Realität einer Welt ist hingegen etwas durchgängig Bestimmtes; die Schranken, die der möglich größten Vollkommenheit einer Welt gesetzt sein, sind nicht bloß allgemein, sondern durch einen Grad, der notwendig in ihr fehlen muß, festgesetzt. Die Unabhängigkeit, die Selbstgenugsamkeit, die Gegenwart an allen Orten, die Macht zu erschaffen, u. s. w. sind Vollkommenheiten die keine Welt haben kann. Hier ist es nicht so wie bei der mathematischen Unendlichkeit, daß das Endliche durch eine beständig fortgesetzte und immer mögliche Steigerung mit dem Unendlichen nach dem Gesetze der Kontinuität zusammenhängt. Hier ist der Abstand der unendlichen Realität und der endlichen durch eine bestimmte Größe, die ihren Unterscheid ausmacht, festgesetzt. Und die Welt, die sich auf derjenigen Sprosse von der Leiter der Wesen befindet, wo die Kluft anhebt, die die unermeßlichen Grade der Vollkommenheit enthält, welche den Ewigen über jedes Geschöpf erheben, diese Welt, sage ich, ist das Vollkommenste unter allem was endlich ist.

Mich deucht, man könne anjetzt mit einer Gewißheit, welcher die Gegner wenigstens nichts Größeres entgegen zu setzen haben, einsehen: es sei unter allem Endlichen was möglich war eine Welt von der größten Vortrefflichkeit, das höchste endliche Gut, allein würdig, von dem obersten unter allen Wesen gewählt zu werden, um mit dem Unendliche zusammengenommen die größte Summe, die sein kann, auszumachen.

Wenn man mir das oben Bewiesene zugibt, wenn man mit mir einstimmig ist: Daß unter allen möglichen Welten eine notwendig die vollkommenste sei, so verlange ich nicht ferner zu streiten. Nicht alle Ausschweifung in Meinungen kann uns zu der Bemühung verbindlich machen, sie mit Sorgfalt zu beantworten. Wenn sich jemand aufwirft zu behaupten: Die höchste Weisheit habe das Schlechtere besser finden können als das Beste, oder die höchste Güte habe sich ein kleiner Gut mehr belieben lassen als ein größeres, welches eben so wohl in ihrer Gewalt war, so halte ich mich nicht länger auf. Man bedienet sich der Weltweisheit sehr schlecht, wenn man sie dazu gebraucht, die Grundsätze der gesunden Vernunft umzukehren, und man tut ihr wenig Ehre an, wenn man, um solche Bemühungen zu widerlegen, es noch nötig findet, ihre Waffen aufzubieten.

Derjenige, welchem es zu weitläuftig wäre, sich in alle die feine Fragen, die wir bis daher aufgeworfen und beantwortet haben, stückweise einzulassen, würde zwar mit etwas weniger Schulgelehrsamkeit, aber vielleicht mit eben so bündigem Urteil eines richtigen Verstandes von derselben Wahrheit weit leichter können überzeugt werden. Er würde so schließen: Eine vollkommenste Welt ist möglich, weil sie wirklich ist, und, und sie ist wirklich, weil sie durch den weisesten und gütigsten Ratschluß ist hervorgebracht worden. Entweder ich kann mir gar keinen Begriff von einer Wahl machen, oder man wählt nach Belieben, was aber beliebt das gefällt, gefallen aber und vor gut halten, vorzüglich belieben, sich vorzüglich gefallen lassen, und vor vorzüglich gut halten, sind meiner Meinung nach nur Unterschiede der Worte. Darum weil Gott diese Welt unter allen möglichen, die er kannte, allein wählete, muß er sie vor die beste gehalten haben, und weil sein Urteil niemals fehlt, so ist sie es auch in der Tat. Wenn es auch möglich wäre, das höchste Wesen könnte nach der erdichteten Art von Freiheit, die einige auf die Bahn gebracht haben, wählen, und unter viel Besserem das Schlechtere vorziehen, durch ich weiß nicht was vor ein unbedingtes Belieben, so würde es doch dieses nimmer getan haben. Man mag sich so etwas von irgend einer Untergottheit der Fabel träumen lassen, aber dem Gott der Götter geziemet kein Werk, als welches seiner würdig ist, d. i., welches unter allem Möglichen das Beste ist.

Vielleicht ist die größere Übereinstimmung mit den göttlichen Eigenschaften der Grund des Ratschlusses, der dieser Welt, ohne ihren besondern inneren Vorzug in Betrachtung zu ziehen, das Dasein gab. Wohlan, auch denn ist noch gewiß, daß sie vollkommener sei als alle andere mögliche. Denn weil aus der Wirkung zu sehen ist, daß alle andere in geringerer Übereinstimmung mit den Eigenschaften des Willens Gottes gewesen, in Gott aber alles Realität ist, mit dieser aber nichts in größerer Harmonie ist, als worin selbst eine größere Realität anzutreffen, so muß die größeste Realität, die einer Welt zukommen kann, in keiner als in der gegenwärtigen befindlich sein. Es ist ferner dieses vielleicht ein Zwang des Willens und eine Notwendigkeit, welche die Freiheit aufhebt, nicht umhin zu können, das jenige zu wählen, was man deutlich und richtig vors Beste erkennt. Gewiß, wenn das Gegenteil hievon Freiheit ist, wenn hier zwei Scheidewege in einem Labyrinth von Schwierigkeiten sein, wo ich auf die Gefahr zu irren mich zu einem entschließen soll, so besinne ich mich nicht lange. Dank vor eine solche Freiheit, die das Beste unter dem, was zu schaffen möglich war, ins ewige Nichts verbannet, um trotz allem Ausspruche der Weisheit dem Übel zu gebieten daß es etwas sei. Wenn ich durchaus unter Irrtümern wählen soll, so lobe ich mir lieber jene gütige Notwendigkeit, wobei man sich so wohl befindet, und woraus nichts anders als das Beste entspringen kann. Ich bin demnach, und vielleicht ein Teil meiner Leser mit mir, überzeugt, ich bin zugleich erfreut, mich als einen Bürger in einer Welt zu sehen, die nicht besser möglich war. Von dem besten unter allen Wesen zu dem vollkommensten unter allen möglichen Entwürfen als ein geringes Glied, an mir selbst unwürdig, und um des Ganzen willen auserlesen, schätze ich mein Dasein desto höher, weil ich erkoren ward, in dem besten Plane eine Stelle einzunehmen. Ich rufe allem Geschöpfe zu, welches sich nicht selbst unwürdig macht, so zu heißen: Heil uns, wir sind! und der Schöpfer hat an uns Wohlgefallen. Unermeßliche Räume und Ewigkeiten werden wohl nur vor dem Auge des Allwissenden die Reichtümer der Schöpfung in ihrem ganzen Umfange eröffnen, ich aber, aus dem Gesichtspunkte worin ich mich befinde, bewaffnet durch die Einsicht die meinem schwachen Verstande verliehen ist, werde um mich schauen, so weit ich kann, und immer mehr einsehen lernen: daß das Ganze das Beste sei, und alles um des Ganzen willen gut sei.
Aus Immanuel Kant, Vorkritische Schriften 2, Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus (S.587ff.)
Werkausgabe Band II Herausgegeben von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Tachenbuch Wissenschaft stw 187


Über das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee (1791)
Unter einer Theodizee versteht man die Verteidigung der höchsten Weisheit des Welturhebers gegen die Anklage, welche die Vernunft aus dem Zweckwidrigen in der Welt gegen jene erhebt. — Man nennt dieses, die Sache Gottes verfechten; ob es gleich im Grunde nichts mehr als die Sache unserer anmaßenden, hiebei aber ihre Schranken verkennenden, Vernunft sein möchte, welche zwar nicht eben die beste Sache ist, insofern aber doch gebilligt werden kann, als (jenen Eigendünkel bei Seite gesetzt) der Mensch als ein vernünftiges Wesen berechtigt ist, alle Behauptungen, alle Lehre, welche ihm Achtung auferlegt, zu prüfen, ehe er sich ihr unterwirft, damit diese Achtung aufrichtig und nicht erheuchelt sei.

Zu dieser Rechtfertigung wird nun erfordert, daß der vermeintliche Sachwalter Gottes entweder beweise: daß das, was wir in der Welt als zweckwidrig beurteilen, es nicht sei; oder: daß, wenn es auch dergleichen wäre, es doch gar nicht als Faktum, sondern als unvermeidliche Folge aus der Natur der Dinge beurteilt werden müsse; oder endlich: daß es wenigstens nicht als Faktum des höchsten Urhebers aller Dinge, sondern bloß der Weltwesen, denen etwas zugerechnet werden kann, d. i. der Menschen (allenfalls auch höherer, guter oder böser, geistiger Wesen angesehen werden müsse.

Der Verfasser einer Theodizee willigt also ein: daß dieser Rechtshandel vor dem Gerichtshofe der Vernunft anhängig gemacht werde; und macht sich anheischig, den angeklagten Teil, als Sachwalter, durch förmliche Widerlegung aller Beschwerden des Gegners zu vertreten: darf letztern also während des Rechtsganges nicht durch einen Machtspruch der Unstatthaftigkeit des Gerichtshofes der menschlichen Vernunft (exceptionem fori) abweisen, d. i. die Beschwerden nicht durch ein dem Gegner auferlegtes Zugeständnis der höchsten Weisheit des Welturhebers, welches sofort alle Zweifel, die sich dagegen regen möchten, auch ohne Untersuchung für grundlos erklärt, abfertigen; sondern muß sich auf die Einwürfe einlassen, und, wie sie dem Begriff der höchsten Weisheit* keinesweges Abbruch tun, durch Beleuchtung und Tilgung derselben begreiflich machen. — Doch auf Eines hat er nicht nötig sich einzulassen: nämlich, daß er die höchste Weisheit Gottes aus dem, was die Erfahrung an dieser Welt lehrt, auch sogar beweise; denn hiermit würde es ihm auch schlechterdings nicht gelingen, weil Allwissenheit dazu erforderlich ist, um an ein er gegebnen Welt (wie sie sich in der Erfahrung zu erkennen gibt) diejenige Vollkommenheit zu erkennen, von der man mit Gewißheit sagen könne, es sei überall keine größere in der Schöpfung und Regierung derselben möglich.
* Obgleich der eigentümliche Begriff einer Weisheit nur die Eigenschaft eines Willens vorstellt, zum höchsten Gut, als dem Endzweck aller Dinge, zusammen zu stimmen; hingegen Kunst nur das Vermögen im Gebrauch der tauglichsten Mittel zu beliebigen Zwecken: so wird doch Kunst, wenn sie sich als eine solche beweiset, welche Ideen adäquat ist, deren Möglichkeit alle Einsicht der menschlichen Vernunft über­steigt (z. B. wenn Mittel und Zwecke, wie in organischen Körpern, ein­ander wechselseitig hervorbringen), als eine göttliche Kunst, nicht unrecht auch mit dem Namen der Weisheit belegt werden können; doch, um die Begriffe nicht zu verwechseln, mit dem Namen einer Kunstweisheit des Welturhebers, zum Unterschiede von der moralischen Weisheit desselben. Die Teleologie (auch durch sie die Physikotheologie) gibt reichliche Beweise der erstem in der Erfahrung. Aber von ihr gilt kein Schluß auf die moralische Weisheit des Welturhebers, weil Naturgesetz und Sittengesetz ganz ungleichartige Prinzipien erfordern, und der Beweis der letztem Weisheit gänzlich a priori geführt, also schlechterdings nicht auf Erfahrung von dem, was in der Welt vorgeht, gegründet werden muß. Da nun der Begriff von Gott, der für die Religion tauglich sein soll (denn zum Behuf der Naturerklärung, mithin in spekulativer Absicht, brauchen wir ihn nicht) ein Begriff von ihm als einem moralischen Wesen sein muß; da dieser Begriff, so wenig als er auf Erfahrung gegründet, eben so wenig aus bloß transzendentalen Begriffen eines schlechthin notwendigen Wesens, der gar für uns überschwenglich ist, herausgebracht werden kann: so leuch­tet genugsam ein, daß der Beweis des Daseins eines solchen Wesens kein andrer als ein moralischer sein könne.

Das Zweckwidrige in der Welt aber, was der Weisheit ihres Urhebers entgegengesetzt werden könnte, ist nun dreifacher Art:

I. Das schlechthin Zweckwidrige, was weder als Zweck, noch als Mittel, von einer Weisheit gebilligt und begehrt werden kann;

II. Das bedingt Zweckwidrige, welches zwar nie als Zweck, aber doch als Mittel, mit der Weisheit eines Willens zusammen besteht.

Das erste ist das moralische Zweckwidrige, als das eigentliche Böse (die Sünde); das zweite das physische Zweckwidrige, das Übel (der Schmerz). — Nun gibt es aber noch eine Zweckmäßigkeit in dem Verhältnis der Übel zu dem moralischen Bösen, wenn das letztere einmal da ist und nicht verhindert werden konnte oder sollte: nämlich in der Verbindung der Übel und Schmerzen, als Strafen, mit dem Bösen, als Verbrechen; und von dieser Zweckmäßigkeit in der Welt fragt es sich, ob jedem in der Welt hierin sein Recht widerfährt. Folglich muß auch noch eine

Ill. Art des Zweckwidrigen in der Welt gedacht werden können, nämlich das Mißverhältnis der Verbrechen und Strafen in der Welt.

Die Eigenschaften der höchsten Weisheit des Welturhebers, wogegen jene Zweckwidrigkeiten als Einwürfe auftreten, sind also auch drei:

Erstlich die Heiligkeit desselben, als Gesetzgebers (Schöpfers), im Gegensatze mit dem moralisch Bösen in der Welt.

Zweitens die Gütigkeit desselben, als Regierers (Erhalters), im Kontraste mit den zahllosen Übeln und Schmerzen der vernünftigen Weltwesen.

Drittens die Gerechtigkeit desselben, als Richters, in Vergleichung mit dem Übelstande, den das Mißverhältnis zwischen der Straflosigkeit der Lasterhaften und ihren Verbrechen in der Welt sich zu zeigen scheint. *
* Diese drei Eigenschaften zusammen, deren eine sich keineswegs auf die andre, wie etwa die Gerechtigkeit auf Güte, und so das Ganze auf eine kleinere Zahl, zurückführen läßt, machen den moralischen Begriff von Gott aus. Es läßt sich auch die Ordnung derselben nicht verändern (wie etwa die Gütigkeit zur obersten Bedingung der Weltschöpfung machen, der die Heiligkeit der Gesetzgebung untergeordnet sei), ohne der Religion Abbruch zu tun, welcher eben dieser moralische Begriff zum Grunde liegt. Unsre eigene reine (und zwar praktische) Vernunft bestimmt diese Rangordnung, indem, wenn sogar die Gesetzgebung sich nach der Güte bequemt, es keine Würde derselben und keinen festen Begriff von Pflichten mehr gibt. Der Mensch wünscht zwar zuerst glücklich zu sein; siebt aber doch ein, und bescheidet sich (obzwar ungern), daß die Würdigkeit glücklich zu sein, d. i. die Übereinstimmung des Gebrauchs seiner Freiheit mit dem heiligen Gesetze, in dem Ratschluß des Urhebers die Bedingung seiner Gütigkeit sein und also notwendig vorhergehen müsse. Denn der Wunsch, welcher den subjektiven Zweck (der Selbstliebe) zum Grunde hat, kann nicht den objektiven Zweck (der Weisheit), den das Gesetz vorschreibt, bestimmen, welches dem Willen unbedingt die Regel gibt. - Auch ist die Strafe in der Ausübung der Gerechtigkeit keineswegs als bloßes Mittel, sondern als Zweck in der gesetzgebenden Weisheit gegründet: die Übertretung wird mit Übeln verbunden, nicht damit ein anderes Gute herauskomme, sondern weil diese Verbindung an sich selbst, d. i. moralisch und notwendig gut ist. Die Gerechtigkeit setzt zwar Güte des Gesetzgebers voraus (denn wenn sein Willen nicht auf das Wohl seiner Untertanen ginge, so würde dieser sie auch nicht verpflichten können, ihm zu gehorchen); aber sie ist nicht Güte, sondern als Gerechtigkeit von dieser wesentlich unterschieden, obgleich im allgemeinen Begriffe der Weisheit enthalten. Daher geht auch die Klage über den Mangel einer Gerechtigkeit, die sich im Lose, welches den Menschen hier in der Welt zu Teil wird, zeige, nicht darauf, daß es den Guten hier nicht wohl, sondern daß es den Bösen nicht übel geht (ob zwar, wenn das erstere zu dem letztern hinzu kommt, der Kontrast diesen Anstoß noch vergrößert). Denn in einer göttlichen Regierung kann auch der beste Mensch seinen Wunsch zum Wohlergehen nicht auf die göttliche Gerechtigkeit, sondern muß ihn jederzeit auf seine Güte gründen: weil der, welcher bloß seine Schuldigkeit tut, keinen Rechtsanspruch auf das Wohltun Gottes haben kann.

Es wird also gegen jene drei Klagen die Verantwortung auf die oben erwähnte dreifach verschiedene Art vorgestellt, und ihrer Gültigkeit nach geprüft, werden müssen.

I . Wider die Beschwerde gegen die Heiligkeit des göttlichen Willens aus dem Moralischbösen, welches die Welt, sein Werk, verunstaltet, besteht die erste Rechtfertigung darin:

a) Daß es ein solches schlechterdings Zweckwidrige, als wofür wir die Übertretung der reinen Gesetze unserer Ver­nunft nehmen, gar nicht gebe, sondern daß es nur Verstoße wider die menschliche Weisheit seien; daß die göttliche sie nach ganz andern uns unhegreiflichen Regeln beurteile, wo, was wir zwar beziehungsweise auf unsre praktische Vernunft und deren Bestimmung mit Recht verwerflich finden, doch in Verhältnis auf göttliche Zwecke und die höchste Weisheit vielleicht gerade das schicklichste Mittel, sowohl für unser besonderes Wohl, als das Weltbeste überhaupt sein mag; daß die Wege des Höchsten nicht unsre Wege sein (sunt Superis sua sura), und wir darin irren, wenn, was nur relativ für Menschen in diesem Leben Gesetz ist, wir für schlechthin als ein solches beurteilen, und so das, was unsrer Betrachtung der Dinge aus so niedrigem Standpunkte als zweckwidrig erscheint, dafür auch, aus dem höchsten Standpunkte betrachtet, halten. — Diese Apologie, in welcher die Verantwortung ärger ist als die Beschwerde, bedarf keiner Widerlegung; und kann sicher der Verabscheuung jedes Menschen, der das mindeste Gefühl für Sittlichkeit hat, frei überlassen werden.

b) Die zweite vorgebliche Rechtfertigung würde zwar die Wirklichkeit des Moralischbösen in der Welt einräumen, den Welturheber aber damit entschuldigen, daß es nicht zu verhindern möglich gewesen; weil es sich auf den Schranken der Natur der Menschen, als endlicher Wesen, gründe. — Aber dadurch würde jenes Böse selbst gerechtfertigt werden; und man müßte, da es nicht als die Schuld der Menschen ihnen zugerechnet werden kann, aufhören, es ein moralisches Böse zu nennen.

c ) Die dritte Beantwortung: daß, gesetzt auch, es ruhe wirklich mit dem, was wir moralisch böse nennen, eine Schuld auf dem Menschen, doch Gott keine beigemessen werden müsse, weil er jenes als Tat der Menschen aus wessen Ursachen bloß zugelassen, keineswegs aber für sich gebilligt und gewollt oder veranstaltet hat; — läuft (wenn man auch an dem Begriffe des bloßen Zulassens eines Wesens, welches ganz und alleiniger Urheber der Welt ist, keinen Anstoß nehmen will) doch mit der vorigen Apologie (b) auf einerlei Folge hinaus: nämlich daß, da es selbst Gott unmöglich war, dieses Böse zu verhindern, ohne anderweitigen höhern und selbst moralischen Zwecken Abbruch zu tun, der Grund dieses Übels (denn so müßte man es eigentlich nun nennen) unvermeidlich in dem Wesen der Dinge, nämlich den notwendigen Schranken der Menschheit als endlicher Natur, zu suchen sein müsse, mithin ihr auch nicht zugerechnet werden könne.II. Auf die Beschwerde, die wider die göttliche Gütigkeit aus den Übeln, nämlich Schmerzen, in dieser Welt erhoben wird, besteht nun die Rechtfertigung derselben gleichfalls

a) darin: Daß in den Schicksalen der Menschen ein Übergewicht des Übels über den angenehmen Genuß des Lebens fälschlich angenommen werde, weil doch ein jeder, so schlimm es ihm auch ergeht, lieber leben als tot sein will, und diejenigen wenigen, die das letztere beschließen, so lange sie es selbst aufgehoben, selbst dadurch noch immer jenes Übergewicht eingestehen, und wenn sie zum letztern töricht genug sind, auch alsdann bloß in den Zustand der Nichtempfindung übergehen, in welchem ebenfalls kein Schmerz gefühlt werden könne. — Allein, man kann die Beantwortung dieser Sophisterei sicher dem Ausspruche eines jeden Menschen von gesundem Verstande, der lange genug gelebt und über den Wert des Lebens nachgedacht hat, um hierüber ein Urteil fällen zu können, überlassen, wenn man ihn fragt: ob er wohl, ich will nicht sagen auf dieselbe, sondern auf jede andre ihm beliebige Bedingungen (nur nicht etwa einer Feen - sondern dieser unserer Erdenwelt), das Spiel des Lebens noch einmal durchzuspielen Lust hätte.

b) Auf die zweite Rechtfertigung: daß nämlich das Übergewicht der schmerzhaften Gefühle über die angenehmen von der Natur eines tierischen Geschöpfes, wie der Mensch ist, nicht könne getrennt werden (wie etwa Graf Veri, in dem Buche über die Natur des Vergnügens, behauptet) — würde man erwidern: daß, wenn dem also ist, sich eine andre Frage einfinde, woher nämlich der Urheber unsers Daseins uns überhaupt ins Leben gerufen, wenn es nach unserm richtigen Überschlage für uns nicht wünschenswert ist. Der Unmut würde hier, wie jene indianische Frau dem Dschingiskhan, der ihr wegen erlittener Gewalttätigkeit keine Genugtuung, noch wegen der künftigen Sicherheit verschaffen konnte, antworten: »Wenn du uns nicht schützen willst, warum eroberst du uns denn ?«

c) Die dritte Auflösung des Knotens soll diese sein: daß uns Gott um einer künftigen Glückseligkeit willen, also doch aus Güte, in die Welt gesetzet habe, daß aber vor jener zu hoffenden überschwenglich großen Seligkeit durchaus ein mühe- und trübsalvoller Zustand des gegenwärtigen Lebens vorhergehen müsse, wo wir eben durch den Kampf mit Widerwärtigkeiten jener künftigen Herrlichkeit würdig werden sollten. — Allein, daß diese Prüfungszeit (der die meisten unterliegen, und in welcher auch der Beste seines Lebens nicht froh wird) vor der höchsten Weisheit durchaus die Bedingung der dereinst von uns zu genießenden Freuden sein müsse, und daß es nicht tunlich gewesen, das Geschöpf mit jeder Epoche seines Lebens zufrieden werden zu lassen: kann zwar vorgegeben, aber schlechterdings nicht eingesehen werden, und man kann also freilich diesen Knoten durch Berufung auf die höchste Weisheit, die es so gewollt hat, abhauen, aber nicht auflösen: welches doch die Theodizee verrichten zu können sich anheischig macht.

III. Auf die letzte Anklage, nämlich wider die Gerechtigkeit des Weltrichters * wird geantwortet:
* Es ist merkwürdig, daß unter allen Schwierigkeiten, den Lauf der Weltbegebenheiten mit der Göttlichkeit ihres Urhebers zu vereinigen, keine sich dem Gemüt so heftig aufdringt, als die von dem Anschein einer darin mangelnden Gerechtigkeit. Trägt es sich zu (ob es zwar selten geschieht), daß ein ungerechter, vornehmlich Gewalt habender, Bösewicht nicht ungestraft aus der Welt entwischt: so frohlockt der mit dem Himmel gleichsam versöhnte, sonst parteilose Zuschauer. Keine Zweckmäßigkeit der Natur wird ihn durch Bewunderung derselben so in Affekt setzen, und die Hand Gottes gleichsam daran vernehmen lassen. Warum? Sie ist hier moralisch, und einzig von der Art, die man in der Welt einigermaßen wahrzunehmen hoffen kann.

a) Daß das Vorgehen von der Straflosigkeit der Lasterhaften in der Welt keinen Grund habe; weil jedes Verbrechen, seiner Natur gemäß, schon hier die ihm angemessene Strafe bei sich führe, indem die innern Vorwürfe des Gewissens den Lasterhaften ärger noch als Furien plagen. — Allein in diesem Urteile liegt offenbar ein Mißverstand. Denn der tugendhafte Mann leihet hierbei dem Lasterhaften seinen Gemütscharakter, nämlich die Gewissenhaftigkeit in ihrer ganzen Strenge, welche, je tugendhafter der Mensch ist, ihn desto härter wegen der geringsten Übereilung, welche das sittliche Gesetz in ihm mißbilligt, bestraft. Allein, wo diese Denkungsart und mit ihr die Gewissenhaftigkeit gar fehlt, da fehlt auch der Peiniger für begangene Verbrechen; und der Lasterhafte, wenn er nur der äußern Züchtigungen wegen seiner Freveltaten entschlüpfen kann, lacht über die Ängstlichkeit der Redlichen, sich mit selbsteigenen Verweisen innerlich zu plagen; die kleinen Vorwürfe aber, die er sich bisweilen machen mag, macht er sich entweder gar nicht durchs Gewissen, oder, hat er davon noch etwas in sich, so werden sie durch das Sinnenvergnügen, als woran er allein Geschmack findet, reichlich aufgewogen und vergütet. — — Wenn jene Anklage ferner

b) dadurch widerlegt werden soll: Daß zwar nicht zu leugnen sei, es finde sich schlechterdings kein der Gerechtigkeit gemäßes Verhältnis zwischen Schuld und Strafen in der Welt, und man müsse im Laufe derselben oft ein mit schreiender Ungerechtigkeit geführtes und gleichwohl bis ans Ende glückliches Leben mit Unwillen wahrnehmen; daß dieses aber in der Natur liegende und nicht absichtlich veranstaltete, mithin nicht moralische Mißhelligkeit sei, weil es eine Eigenschaft der Tugend sei, mit Widerwärtigkeit zu ringen (wozu der Schmerz, den der Tugendhafte durch die Vergleichung seines eigenen Unglücks mit dem Glück des Lasterhaften leiden muß, mitgehört), und die Leiden den Wert der Tugend nur zu erheben dienen, mithin vor der Vernunft diese Dissonanz der unverschuldeten Übel des Lebens doch in den herrlichsten sittlichen Wohllaut aufgelöset werde: — so steht dieser Auflösung entgegen: daß, obgleich diese Übel, wenn sie als Wetzstein der Tugend vor ihr vorhergehen oder sie begleiten, zwar mit ihr als in moralischer Übereinstimmung stehend vorgestellt werden können, wenn wenigstens das Ende des Lebens noch die letztere krönt und das Laster bestraft; daß aber, wenn selbst dieses Ende, wie doch die Erfahrung davon viele Beispiele gibt, widersinnig ausfällt, dann das Leiden dem Tugendhaften, nicht damit seine Tugend rein sei, sondern weil sie es gewesen ist (dagegen aber den Regeln der klugen Selbstliebe zuwider war), zugefallen zu sein scheine: welches gerade das Gegenteil der Gerechtigkeit ist, wie sich der Mensch einen Begriff von ihr machen kann. Denn was die Möglichkeit betrifft: daß das Ende dieses Erdenlebens doch vielleicht nicht das Ende alles Lebens sein möge: so kann diese Möglichkeit nicht für Rechtfertigung der Vorsehung gelten, sondern ist bloß ein Machtspruch der moralisch-gläubigen Vernunft, wodurch der Zweifelnde zur Geduld verwiesen, aber nicht befriedigt wird.

c) Wenn endlich die dritte Auflösung dieses unharmonischen Verhältnisses zwischen dem moralischen Wert der Menschen und dem Lose, das ihnen zu Teil wird, dadurch versucht werden will, daß man sagt: In dieser Welt müsse alles Wohl oder Übel bloß als Erfolg aus dem Gebrauche der Vermögen der Menschen nach Gesetzen der Natur, proportioniert ihrer angewandten Geschicklichkeit und Klugheit, zugleich auch den Umständen, darein sie zufälliger Weise geraten, nicht aber nach ihrer Zusammenstimmung zu übersinnlichen Zwecken, beurteilt werden; in einer künftigen Welt dagegen werde sich eine andere Ordnung der Dinge hervortun, und jedem zu Teil werden, wessen seine Taten hienieden nach moralischer Beurteilung wert sind: — so ist diese Voraussetzung auch willkürlich. Vielmehr muß die Vernunft, wenn sie nicht als moralisch gesetzgebendes Vermögen diesem ihren Interesse gemäß einen Machtspruch tut, nach bloßen Regeln des theoretischen Erkenntnisses es wahrscheinlich finden: daß der Lauf der Welt nach der Ordnung der Natur, so wie hier, also auch fernerhin, unsre Schicksale bestimmen werde. Denn was hat die Vernunft für ihre theoretische Vermutung anders zum Leitfaden, als das Naturgesetz? und, ob sie sich gleich, wie ihr vorher (Nr. b) zugemutet worden, zur Geduld und Hoffnung eines künftig bessern verweisen ließe: wie kann sie erwarten, daß, da der Lauf der Dinge nach der Ordnung der Natur hier auch für sich selbst weise ist, er nach eben demselben Gesetze in einer künftigen Welt unweise sein würde? Da also, nach derselben, zwischen den innern Bestimmungsgründen des Willens (nämlich der moralischen Denkungsart) nach Gesetzen der Freiheit, und zwischen den (größtenteils äußern) von unserm Willen unabhängigen Ursachen unsers Wohlergehens nach Naturgesetzen, gar kein begreifliches Verhältnis ist: so bleibt die Vermutung, daß die Übereinstimmung des Schicksals der Menschen mit einer göttlichen Gerechtigkeit, nach den Begriffen, die wir uns von ihr machen, so wenig dort wie hier zu erwarten sei.

Der Ausgang dieses Rechtshandels vor dem Gerichtshofe der Philosophie ist nun: daß alle bisherige Theodizee das nicht leiste was sie verspricht, nämlich die moralische Weisheit in der Weltregierung gegen die Zweifel, die dagegen aus dem, was die Erfahrung an dieser Welt zu erkennen gibt, gemacht werden, zu rechtfertigen; obgleich freilich diese Zweifel als Einwürfe, so weit unsre Einsicht in die Beschaffenheit unsrer Vernunft in Ansehung der letztern reicht, auch das Gegenteil nicht beweisen können. Ob aber nicht noch etwa mit der Zeit tüchtigere Gründe der Rechtfertigung derselben erfunden werden könnten, die angeklagte Weisheit nicht (wie bisher) bloß ab instantia zu absolvieren: das bleibt dabei doch noch immer unentschieden; wenn wir es nicht dahin bringen, mit Gewißheit darzutun: daß unsre Vernunft zur Einsicht des Verhältnisses, in welchem eine Welt, so wie wir sie durch Erfahrung immer kennen mögen, zu der höchsten Weisheit stehe, schlechterdings unvermögend sei; denn alsdann sind alle fernere Versuche vermeintlichen menschlicher Weisheit, die Wege der göttlichen einzusehen, völlig abgewiesen. Daß also wenigstens eine negative Weisheit, nämlich die Einsicht der notwendigen Beschränkung unsrer Anmaßungen in Ansehung dessen, was uns zu hoch ist, für uns erreichbar sei: das muß noch bewiesen werden, um diesen Prozeß für immer zu endigen; und dieses läßt sich gar wohl tun.

Wir haben nämlich von einer Kunstweisheit in der Einrichtung dieser Welt einen Begriff, dem es für unser spekulatives Vernunftvermögen nicht an objektiver Realität mangelt, um zu einer Physikotheologie zu gelangen. Eben so haben wir auch einen Begriff von einer moralischen Weisheit, die in eine Welt überhaupt durch einen vollkommensten Urheber gelegt werden könnte, an der sittlichen Idee unserer eigenen praktischen Vernunft. — Aber von der Einheit in der Zusammenstimmung jener Kunstweisheit mit der moralischen Weisheit in einer Sinnenwelt haben wir keinen Begriff; und können auch zu demselben nie zu gelangen hoffen. Denn, ein Geschöpf zu sein, und, als Naturwesen, bloß dem Willen seines Urhebers zu folgen; dennoch aber, als freihandelndes Wesen (welches seinen vom äußern Einfluß unabhängigen Willen hat, der dem erstem vielfältig zuwider sein kann), der Zurechnung fähig zu sein; und seine eigne Tat doch auch zugleich als die Wirkung eines höhern Wesens anzusehen: ist eine Vereinbarung von Begriffen, die wir zwar in der Idee einer Welt, als des höchsten Guts, zusammen denken müssen; die aber nur der einsehen kann, welcher bis zur Kenntnis der übersinnlichen (intelligiblen) Welt durchdringt, und die Art einsieht, wie sie der Sinnenwelt zum Grunde liegt: auf welche Einsicht allein der Beweis der moralischen Weisheit des Welturhebers in der letztern gegründet werden kann, da diese doch nur die Erscheinung jener erstem Welt darbietet, — eine Einsicht, zu der kein Sterblicher gelangen kann.

Alle Theodizee soll eigentlich Auslegung der Natur sein, sofern Gott durch dieselbe die Absicht seines Willens kund macht. Nun ist jede Auslegung des deklarierten Willens eines Gesetzgebers entweder doktrinal oder authentisch. Die erste ist diejenige, welche jenen Willen aus den Ausdrücken, deren sich dieser bedient hat, in Verbindung mit den sonst bekannten Absichten des Gesetzgebers, herausvernünftelt; die zweite macht der Gesetzgeber selbst..

Die Welt, als ein Werk Gottes, kann von uns auch als eine göttliche Bekanntmachung der Absichten seines Willens betrachtet werden. Allein hierin ist sie für uns oft ein verschlossenes Buch; jederzeit aber ist sie dies, wenn es darauf angesehen ist, sogar die Endabsicht Gottes (welche jederzeit moralisch ist) aus ihr, obgleich einem Gegenstande der Erfahrung, abzunehmen. Die philosophischen Versuche dieser Art Auslegung sind doktrinal, und machen die eigentliche Theodizee aus, die man daher die doktrinale nennen kann. — Doch kann man auch der bloßen Abfertigung aller Einwürfe wider die göttliche Weisheit den Namen einer Theodizee nicht versagen, wenn sie ein göttlicher Machtspruch. oder (welches in diesem Falle auf eins hinausläuft) wenn sie ein Ausspruch der selben Vernunft ist, wodurch wir uns den Begriff von Gott als einem moralischen und weisen Wesen notwendig und vor aller Erfahrung machen. Denn da wird Gott durch unsre Vernunft selbst der Ausleger seines durch die Schöpfung verkündigten Willens; und diese Auslegung können wir eine authentische Theodizee nennen. Das ist aber alsdann nicht Auslegung einer vernünftelnden (spekulativen), sondern einer machtbabenden praktischen Vernunft, die, so wie sie ohne weitere Gründe im Gesetzgeben schlechthin gebietend ist, als die unmittelbare Erklärung und Stimme Gottes angesehen werden kann, durch die er dem Buchstaben seiner Schöpfung einen Sinn gibt. Eine solche authentische Interpretation finde ich nun in einem alten heiligen Buche allegorisch ausgedrückt.

Hiob wird als ein Mann vorgestellt, zu dessen Lebensgenuß sich alles vereinigt hatte, was man, um ihn vollkommen zu machen, nur immer ausdenken mag. Gesund, wohlhabend, frei, ein Gebietet über andre, die er glücklich machen kann, im Schoße einer glücklichen Familie, unter geliebten Freunden; und über das alles (was das Vornehmste ist) mit sich selbst zufrieden in einem guten Gewissen. Alle diese Güter, das letzte ausgenommen, entriß ihm plötzlich ein schweres über ihn zur Prüfung verhängtes Schicksal. Von der Betäubung über diesen unerwarteten Umsturz allmählich zum Besinnen gelangt, bricht er nun in Klagen über seinen Unstern aus; worüber zwischen ihm und seinen vorgeblich sich zum Trösten einfindenden Freunden es bald zu einer Disputation kommt, worin beide Teile, jeder nach seiner Denkungsart (vornehmlich aber nach seiner Lage), seine besondere Theodizee, zur moralischen Erklärung jenes schlimmen Schicksals, aufstellt. Die Freunde Hiobs bekennen sich zu dem System der Erklärung aller Übel in der Welt aus der göttlichen Gerechtigkeit,als so vieler Strafen für begangene Verbrechen; und, ob sie zwar keine zu nennen wußten, die dem unglücklichen Mann zu Schulden kommen sollten, so glaubten sie doch a priori urteilen zu können, er müßte deren auf sich ruhen haben, weil es sonst nach der göttlichen Gerechtigkeit nicht möglich wäre, daß er unglücklich sei. Hiob dagegen der mit Entrüstung beteuert, daß ihm sein Gewissen seines ganzen Lebens halber keinen Vorwurf mache; was aber menschliche unvermeidliche Fehler betrifft, Gott selbst wissen werde, daß er ihn als ein gebrechliches Geschöpf gemacht habe, — erklärt sich für das System des unbedingten göttlichen Ratschlusses. »Er ist einig«, sagt er, »Er macht‘s wie er will«. (Hiob XXIII, 13)

In dem, was beide Teile vernünfteln oder übervernünfteln, ist wenig Merkwürdiges; aber der Charakter, in welchem sie es tun, verdient desto mehr Aufmerksamkeit. Hiob spricht, wie er denkt, und wie ihm zu Mute ist, auch wohl jedem Menschen in seiner Lage zu Mute sein würde; seine Freunde sprechen dagegen, wie wenn sie in Geheim von dem Mächtigem, über dessen Sache sie Recht sprechen, und bei dem sich durch ihr Urteil in Gunst zu setzen ihnen mehr am Herzen liegt als an der Wahrheit, behorcht würden. Diese ihre Tücke, Dinge zum Schein zu behaupten, von denen sie doch gestehen mußten, daß sie sie nicht einsahen, und eine Überzeugung zu heucheln, die sie in der Tat nicht hatten: sticht gegen Hiobs gerade Freimütigkeit, die sieh so weit von falscher Schmeichelei entfernt, daß sie fast an Vermessenheit grenzt, sehr zum Vorteil des letztem ab. »Wollt ihr«, sagt er (Hiob XIII 7-11, 16), »Gott verteidigen mit Unrecht? Wollt ihr seine Person ansehen? Wollt ihr Gott vertreten? Er wird euch strafen, wenn ihr Person anseht heimlich! — Es kommt kein Heuchler vor Ihm.«

Das letztere bestätigt der Ausgang der Geschichte wirklich. Denn Gott würdigt Hiob, ihm die Weisheit seiner Schöpfung, vornehmlich von Seiten ihrer Unerforschlichkeit, vor Augen zu stellen. Er läßt ihn Blicke auf die schöne Seite der Schöpfung tun, wo dem Menschen begreifliche Zwecke die Weisheit und gütige Vorsorge des Welturhebers in ein unzweideutiges Licht stellen; dagegen aber auch auf die abschreckende, indem er ihm Produkte seiner Macht und darunter auch schädliche furchtbare Dinge hernennt, deren jedes für sich und seine Spezies zwar zweckmäßig eingerichtet, in Ansehung anderer aber und selbst der Menschen zerstörend, zweckwidrig, und mit einem allgemeinen durch Güte und Weisheit angeordneten Plane nicht zusammenstimmend zu sein scheint; wobei er aber doch die den weisen Welturheber verkündigende Anordnung und Erhaltung des Ganzen beweiset, obzwar zugleich seine für uns unerforschliche Wege, selbst schon in der physischen Ordnung der Dinge, wie vielmehr denn in der Verknüpfung derselben mit der moralischen (die unsrer Vernunft noch undurchdringlicher ist?) verborgen sein müssen. — Der Schluß ist dieser: daß, indem Hiob gesteht, nicht etwa frevelhaft, denn er ist sich seiner Redlichkeit bewußt, sondern nur unweislich über Dinge abgesprochen zu haben, die ihm zu hoch sind, und die er nicht versteht: Gott das Verdammungsurteil wider seine Freunde fället, weil sie nicht so gut (der Gewissenhaftigkeit nach) von Gott geredet hätten als sein Knecht hob. Betrachtet man nun die Theorie, die jeder von beiden Seiten behauptete: so möchte die seiner Freunde eher den Anschein mehrerer spekulativen Vernunft und frommer Demut bei sich führen; und Hiob würde wahrscheinlicher Weise vor einem jeden Gerichte dogmatischer Theologen, vor einer Synode, einer Inquisition, einer ehrwürdigen Classis, oder einem jeden Oberkonsistorium unserer Zeit (ein einziges ausgenommen), ein schlimmes Schicksal erfahren haben. Also nur die Aufrichtigkeit des Herzens, nicht der Vorzug der Einsicht, die Redlichkeit, seine Zweifel unverhohlen zu gestehen, und der Abscheu, Überzeugung zu heucheln, wo man sie doch nicht fühlt, vornehmlich nicht vor Gott (wo diese List ohnedas ungereimt ist): diese Eigenschaften sind es, welche den Vorzug des redlichen Mannes, in der Person Hiobs, vor dem religiösen Schmeichler im göttlichen Richterausspruch entschieden haben.

Der Glauben aber, der ihm durch eine so befremdliche Auflösung seiner Zweifel, nämlich bloß die Überführung von seiner Unwissenheit, entsprang, konnte auch nur in die Seele eines Mannes kommen, der mitten unter seinen lebhaftesten Zweifeln sagen konnte (XXVII, 5, 6): »Bis daß mein Ende kommt, will ich nicht weichen von meiner Frömmigkeit, u.s.w.« Denn mit dieser Gesinnung bewies er, daß er nicht seine Moralität auf den Glauben, sondern den Glauben auf die Moralität gründete: in welchem Falle dieser, so schwach er auch sein mag, doch allein lauter und echter Art, d. i. von derjenigen Art ist, welche eine Religion, nicht der Gunstbewerbung, sondern des guten Lebenswandels, gründet.SCHLUSSANMERKUNG
Die Theodizee hat es, wie hier gezeigt worden, nicht sowohl mit einer Aufgabe zum Vorteil der Wissenschaft, als vielmehr mit einer Glaubenssache zu tun. Aus der authentischen sahen wir: daß es in solchen Dingen nicht so viel aufs Vernünfteln ankomme, als auf Aufrichtigkeit in Bemerkung des Unvermögens unserer Vernunft, und auf die Redlichkeit, seine Gedanken nicht in der Aussage zu verfälschen, geschehe dies auch in noch so frommer Absicht als es immer wolle. — Dieses veranlaßt noch folgende kurze Betrachtung über einen reichhaltigen Stoff, nämlich über die Aufrichtigkeit als das Haupterfordernis in Glaubenssachen, im Widerstreite mit dem Hange zur Falschheit und Unlauterkeit, als dem Hauptgebrechen in der menschlichen Natur.

Daß das, was jemand sich selbst oder einem andern sagt, wahr sei: dafür kann er nicht jederzeit stehen (denn er kann irren); dafür aber kann und muß er stehen, daß sein Bekenntnis oder Geständnis wahrhaft sei: denn dessen ist er sich unmittelbar bewußt. Er vergleicht nämlich im erstern Falle seine Aussage mit dem Objekt im logischen Urteile (durch den Verstand); im zweiten Fall aber, da er sein Fürwahrhalten bekennt, mit dem Subjekt (vor dem Gewissen). Tut er das Bekenntnis in Ansehung des erstem, ohne sich des letztern bewußt zu sein: so lügt er, weil er etwas anders vorgibt, als wessen er sich bewußt ist. — Die Bemerkung, daß es solche Unlauterkeit im menschlichen Herzen gebe, ist nicht neu (denn Hiob hat sie schon gemacht); aber fast sollte man glauben, daß die Aufmerksamkeit auf dieselbe für Sitten- und Religionslehrer neu sei: so wenig findet man, daß sie, ungeachtet der Schwierigkeit, welche eine Läuterung der Gesinnungen der Menschen, selbst wenn sie pflichtmäßig handeln wollen, bei sich führt, von jener Bemerkung genugsamen Gebrauch gemacht hätten. — Man kann diese Wahrhaftigkeit die formale Gewissenhaftigkeit nennen; die materiale besteht in der Behutsamkeit, nichts auf die Gefahr, daß es unrecht sei, zu wagen: da hingegen jene in dem Bewußtsein besteht, diese Behutsamkeit im gegebnen Falle angewandt zu haben. — Moralisten reden von einem irrenden Gewissen. Aber ein irrendes Gewissen ist ein Unding; und, gäbe es ein solches, so könnte man niemals sicher sein, recht gehandelt zu haben, weil selbst der Richter in der letzten Instanz noch irren könnte. Ich kann zwar in dem Urteile irren, in welchem ich glaube Recht zu haben: denn das gehört dem Verstande zu, der allein (wahr oder falsch) objektiv urteilt; aber in dem Bewußtsein: ob ich in der Tat glaube Recht zu haben (oder es bloß vorgebe), kann ich schlechterdings nicht irren, weil dieses Urteil oder vielmehr dieser Satz bloß sagt: daß ich den Gegenstand so beurteile.In der Sorgfalt, sich dieses Glaubens (oder Nichtglaubens) bewußt zu werden, und kein Fürwahrhalten vorzugeben, dessen man sich nicht bewußt ist: besteht nun eben die formale Gewissenhaftigkeit, welche der Grund der Wahrhaftigkeit ist. Derjenige also, welcher sich selbst (und, welches in den Religionsbekenntnissen einerlei ist, vor Gott) sagt: er glaube, ohne vielleicht auch nur einen Blick in sich selbst getan zu haben, ob er sich in der Tat dieses Fürwahrhaltens oder auch eines solchen Grades desselben bewußt sei:* der lügt nicht bloß die ungereimteste Lüge (vor einem Herzenskündiger), sondern auch die frevelhafteste, weil sie den Grund jedes tugendhaften Vorsatzes, die Aufrichtigkeit, untergräbt.
* Das Erpressungsmittel der Wahrhaftigkeit in äußern Aussagen, der Eid (tortura spiritualis) wird vor einem menschlichen Gerichtshofe nicht bloß für erlaubt, sondern auch für unentbehrlich gehalten: ein trauriger Beweis von der geringen Achtung der Menschen für die Wahrheit, selbst im Tempel der öffentlichen Gerechtigkeit, wo die bloße ldee von ihr schon für sich die grüßte Achtung einflößen sollte! Aber die Menschen lügen auch Überzeugung, die sie wenigstens nicht von der Art, oder in dem Grade haben, als sie vorgeben, selbst in ihrem innern Bekenntnisse; und, da diese Unredlichkeit (weil sie nach und nach in wirkliche Überredung ausschlägt) auch äußere schädliche Folgen haben kann, so kann jenes Erpressungsmittel der Wahrhaftigkeit, der Eid (aber freilich nur ein innerer, d. i. der Versuch, ob das Fürwahrhalten auch die Probe einer innern eidlichen Abhörung des Bekenntnisses aushalte), dazu gleichfalls sehr wohl gebraucht werden, die Vermessenheit dreister, zuletzt auch wohl äußerlich gewaltsames Behauptungen, wo nicht abzuhalten, doch wenigstens stutzig zu machen. Von einem menschlichen Gerichtshofe wird dem Gewissen des Schwörenden nichts weiter zugemutet, als die Anheischigmachung: daß, wenn es einen künftigen Weltrichter (mithin Gott und ein künftiges Leben) gibt, er ihm für die Wahrheit seines äußern Bekenntnisses verantwortlich sein wolle; daß es einen solchen Weltrichter gebe, davon hat er nicht nötig ihm ein Bekenntnis abzufordern, weil, wenn die erstere Beteurung die Lüge nicht abhalten kann, das zweite falsche Bekenntnis eben so wenig Bedenken erregen würde. Nach dieser innern Eidesdelation würde man sich also selbst fragen: Getrauest du dir wohl, bei allem was dir teuer und heilig ist, dich für die Wahrheit jenes wichtigen oder eines andern dafür gehaltenen Glaubenssatzes zu verbürgen? Bei einer solchen Zumutung wird das Gewissen aufgeschreckt, durch die Gefahr, der man sich aussetzt, mehr vorzugeben, als man mit Gewißheit bebaupten kann, wo das Dafürhalten einen Gegenstand betrifft, der auf dein Wege des Wissens (theoretischer Einsicht) gar nicht erreichbar ist, dessen Annehmung aber dadurch, daß sie allein den Zusammenhang der höchsten praktischen Vernunftprinzipien mit denen der theoretischen Naturerkenntnis in einem System möglich (und also die Vernunft mit sich selbst zusammenstimmend) macht, über alles empfehlbar, aber immer doch frei ist. — Noch mehr aber müssen Glaubensbekenntnisse, deren Quelle historisch ist, dieser Feuerprobe der Wahrhaftigkeit unterworfen werden, wenn sie andern gar als Vorschriften auferlegt werden: weil hier die Unlauterkeit und geheuchelte Überzeugung auf mehrere verbreitet wird, und die Schuld davon dem, der sich für anderer Gewissen gleichsam verbürgt (denn die Menschen sind mit ihrem Gewissen gerne passiv), zur Last fällt.

Wie bald solche blinde und äußere Bekenntnisse (welche sehr leicht mit einem eben so unwahren innern vereinbart werden), wenn sie Erwerbmittel abgeben, allmählich eine gewisse Falschheit in die Denkungsart selbst des gemeinen Wesens bringen können, ist leicht abzusehen. — Während indes diese öffentliche Läuterung der Denkungsart wahrscheinlicher Weise auf entfernte Zeiten ausgesetzt bleibt, bis sie vielleicht einmal unter dem Schutze der Denkfreiheit ein allgemeines Erziehungs- und Lehrprinzip werden wird: mögen hier noch einige Zeilen auf die Betrachtung jener Unart, welche in der menschlichen Natur tief gewurzelt zu sein scheint, verwandt werden.

Es liegt etwas Rührendes und Seelenerhebendes in der Aufstellung eines aufrichtigen, von aller Falschheit und positiven Verstellung entfernten, Charakters; da doch die Ehrlichkeit, eine bloße Einfalt und Geradheit der Denkungsart (vornehmlich wenn man ihr die Offenherzigkeit erläßt) das kleinste ist, was man zu einem guten Charakter nur immer fordern kann, und daher nicht abzusehen ist, worauf sich denn jene Bewunderung gründe, die wir einem solchen Gegenstande widmen: es müßte denn sein, daß die Aufrichtigkeit die Eigenschaft wäre, von der die menschliche Natur gerade am weitesten entfernt ist. Eine traurige Bemerkung! Indem eben durch jene alle übrige Eigenschaften, sofern sie auf Grundsätzen beruhen, allein einen innern wahren Wert haben können. Ein kontemplativer Misanthrop (der keinem Menschen Böses wünscht, wohl aber geneigt ist, von ihnen alles Böse zu glauben) kann nur zweifelhaft sein, ob er die Menschen hassens- oder ob er sie eher verachtungswürdig finden solle. Die Eigenschaften, um derentwillen er sie für die erste Begegnung qualifiziert zu sein urteilen würde, sind die, durch welche sie vorsätzlich schaden. Diejenige Eigenschaft aber, welche sie ihm eher der letztem Abwürdigung auszusetzen scheint, könnte keine andere sein, als ein Hang, der an sich böse ist, ob er gleich niemanden schadet: ein Hang zu demjenigen, was zu keiner Absicht als Mittel gebraucht werden soll; was also objektiv zu nichts gut ist. Das erstere Böse wäre wohl kein anderes, als das der Feindseligkeit (gelinder gesagt, Lieblosigkeit); das zweite kann kein anderes sein als Lügenhaftigkeit (Falschheit, selbst ohne alle Absicht zu schaden). Die erste Neigung hat eine Absicht, deren Gebrauch doch in gewissen andern Beziehungen erlaubt und gut sein kann, z. B. die Feindseligkeit gegen unbesserliche Friedensstörer. Der zweite Hang aber ist der zum Gebrauch eines Mittels (der Lüge), das zu nichts gut ist, zu welcher Absicht es auch sei, weil es an sich selbst böse und verwerflich ist. In der Beschaffenheit des Menschen von der ersten Art ist Bosheit, womit sich doch noch Tüchtigkeit zu guten Zwecken in gewissen äußern Verhältnissen verbinden läßt, und sie sündigt nur in den Mitteln, die doch auch nicht in aller Absicht verwerflich sind. Das Böse von der letztern Art ist Nichtswürdigkeit, wodurch dem Menschen aller Charakter abgesprochen wird. — Ich halte mich hier hauptsächlich an der tief im Verborgnen liegenden Unlauterkeit, da der Mensch sogar die innern Aussagen vor seinem eignen Gewissen zu verfälschen weiß. Um destoweniger darf die äußere Betrugsneigung befremden; es müßte denn dieses sein, daß, obzwar ein jeder von der Falschheit der Münze belehrt ist, mit der er Verkehr treibt, sie sich dennoch immer so gut im Umlaufe erhalten kann.

In Herrn de Luc Briefen über die Gebirge, die Geschichte der Erde und Menschen, erinnere ich mich folgendes Resultat seiner zum Teil anthropologischen Reise gelesen zu haben. Der menschenfreundliche Verfasser war mit der Voraussetzung der ursprünglichen Gutartigkeit unserer Gattung ausgegangen, und suchte die Bestätigung derselben da, wo städtische Üppigkeit nicht solchen Einfluß haben kann, Gemüter zu verderben: in Gebirgen, von den schweizerischen an bis zum Harze; und, nachdem sein Glauben an uneigennützig hilfleistende Neigung durch eine Erfahrung in den erstem etwas wankend geworden, so bringt er doch am Ende diese Schlußfolge heraus: Daß der Mensch, was das Wohlwollen betrifft, gut genug sei (kein Wunder! denn dieses beruht auf eingepflanzter Neigung, wovon Gott der Urheber ist); wenn ihm nur nicht ein schlimmer Hang zur feinen Betrügerei beiwohnte (welches auch nicht zu verwundern ist; denn diese abzuhalten beruht auf dem Charakter, welchen der Mensch selber in sich bilden muß)! — Ein Resultat der Untersuchung, welches ein jeder, auch ohne in Gebirge gereist zu sein, unter seinen Mitbürgern, ja noch näher, in seinem eignen Busen, hatte antreffen können.
Königsberg. I. Kant. S.105-124
Aus: Immanuel Kant, Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1 Werkausgabe Band XI. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel.
Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft stw 192


Das Ende aller Dinge
Es ist ein, vornehmlich in der frommen Sprache, üblicher Ausdruck, einen sterbenden Menschen sprechen zu lassen; er gehe aus der Zeit in die Ewigkeit.

Dieser Ausdruck würde in der Tat nichts sagen, wenn hier unter der Ewigkeit eine ins Unendliche fortgehende Zeit verstanden werden sollte; denn da käme ja der Mensch nie aus der Zeit heraus, sondern ginge nur immer aus einer in die andre fort. Also muß damit ein Ende aller Zeit, bei ununterbrochener Fortdauer des Menschen, diese Dauer aber (sein Dasein als Größe betrachtet) doch auch als eine mit der Zeit ganz unvergleichbare Größe (duratio noumenon) gemeint sein, von der wir uns freilich keinen (als bloß negativen) Begriff machen können. — Dieser Gedanke hat etwas Grausendes in sich: weil er gleichsam an den Rand eines Abgrunds führt, aus welchem für den, der darin versinkt, keine Wiederkehr möglich ist (»Ihn aber hält am ernsten Orte, der nichts zurücke lässt, Die Ewigkeit mit starken Armen fest.« Haller); und doch auch etwas Anziehendes: denn man kann nicht aufhören, sein zurückgeschrecktes Auge immer wiederum darauf zu wenden (nequeunt expleri corda tuendo. »sie können des Anschauens nicht satt werden« Virgil). Er ist furchtbar - erhaben : zum Teil wegen seiner Dunkelheit, in der die Einbildungskraft mächtiger als beim hellen Licht zu wirken pflegt. Endlich muß er doch auch mit der allgemeinen Menschenvernunft auf wundersame Weise verweht sein: weil er unter allen vernünftelnden Völkern, zu allen Zeiten, auf eine oder andre Art eingekleidet, angetroffen wird. — Indem wir nun den Übergang aus der Zeit in die Ewigkeit (diese Idee mag, theoretisch, als Erkenntnis-Erweiterung, betrachtet, objektive Realität haben oder nicht), so wie ihn sich die Vernunft in moralischer Rücksicht selbst macht, verfolgen: stoßen wir auf das Ende aller Dinge, als Zeitwesen und als Gegenstände möglicher Erfahrung: welches Ende aber in der moralischen Ordnung der Zwecke zugleich der Anfang einer Fortdauer eben dieser als übersinnlicher, folglich nicht unter Zeitbedingungen stehender, Wesen ist, die also und deren Zustand keiner andern als moralischer Bestimmung ihrer Beschaffenheit fähig sein wird.

Tage sind gleichsam Kinder der Zeit, weil der folgende Tag, mit dem was er enthält, das Erzeugnis des vorigen ist. Wie nun das letzte Kind seiner Eltern jüngstes Kind genannt wird: so hat unsre Sprache beliebt den letzten Tag (den Zeitpunkt, der alle Zeit beschließt) den jüngsten Tag zu nennen. Der jüngste Tag gehört also noch zur Zeit; denn es geschieht an ihm noch irgend etwas (nicht zur Ewigkeit, wo nichts mehr geschieht, weil das Zeitfortsetzung sein würde, Gehöriges): nämlich Ablegung der Rechnung der Menschen von ihrem Verhalten in ihrer ganzen Lebenszeit. Er ist ein Gerichtstag; das Begnadigungs- oder Verdammungs-Urteil des Weltrichters ist also das eigentliche Ende aller Dinge in der Zeit, und zugleich der Anfang der (seligen oder unseligen) Ewigkeit, in welcher das jedem zugefallne Los so bleibt, wie es in dem Augenblick des Ausspruchs (der Sentenz) ihm zu Teil ward. Also enthält der jüngste Tag auch das jüngste Gericht zugleich in sich. — Wenn nun zu den letzten Dingen noch das Ende der Welt, so wie sie in ihrer jetzigen Gestalt erscheint, nämlich das Abfallen der Sterne vom Himmel als einem Gewölbe, der Einsturz dieses Himmels selbst (oder das Entweichen desselben als eines eingewickelten Buchs), das Verbrennen beider, die Schöpfung eines neuen Himmels und einer neuen Erde zum Sitz der Seligen, und der Hölle zu dem der Verdammten, gezählt werden sollten: so würde jener Gerichtstag freilich nicht der jüngste Tag sein; sondern es würden noch verschiedne andre auf ihn folgen. Allein, da die Idee eines Ende aller Dinge ihren Ursprung nicht von dem Vernünfteln über den physischen, sondern über den moralischen, Lauf der Dinge in der Welt hernimmt, und dadurch allein veranlaßt wird; der letztere auch allein auf das Übersinnliche (welches nur am Moralischen verständlich ist), dergleichen die Idee der Ewigkeit ist, bezogen werden kann: so muß die Vorstellung jener letzten Dinge, die nach dem jüngsten Tage kommen sollen, nur als eine Versinnlichung des letztem samt seinen moralischen, uns übrigens nicht theoretisch begreiflichen, Folgen angesehen werden.

Es ist aber anzumerken, daß es von den ältesten Zeiten her zwei, die künftige Ewigkeit betreffende, Systeme gegeben hat: eines das der Unitarier derselben, welche allen Menschen (durch mehr oder weniger lange Büßungen gereinigt) die ewige Seligkeit, das andre das der Dualisten*, welche einigen Auserwählten die Seligkeit, allen übrigen aber die ewige Verdammnis zusprechen. Denn ein System, wornach alle verdammt zu sein bestimmt wären, konnte wohl nicht Platz finden, weil sonst kein rechtfertigender Grund da wäre, warum sie überhaupt wären erschaffen worden; die Vernichtung aller aber eine verfehlte Weisheit anzeigen würde, die, mit ihrem eignem Werk unzüfrieden, kein ander Mittel weiß, den Mängeln desselben abzuhelfen, als es zu zerstören. — Den Dualisten steht indes immer eben dieselbe Schwierigkeit, welche hinderte, sich eine ewige Verdammung aller zu denken, im Wege: denn wozu, könnte man fragen, waren auch die wenigen, warum auch nur ein einziger geschaffen, wenn er nur dasein sollte, um ewig verworfen zu werden? welches doch ärger ist als gar nicht sein.
*Ein solches System war in der altpersischen Religion (des Zoroaster) auf der Voraussetzung zweier im ewigen Kampf mit einander begriffenen Urwesen, dem Guten Prinzip, Ormuzd, und dem Bösen, Ahriman, gegründet. — Sonderbar ist es: daß die Sprache zweier weit von einander, noch weiter aber von dem jetzigen Sitz der deutschen Sprache, entfernten Länder, in der Benennung dieser beiden Urwesen, deutsch ist. Ich erinnere mich bei Sonnerat gelesen zu haben, daß in Ava (dem Lande der Burachmanen) das gute Prinzip Godeman (welches Wort in dem Namen Darius Codomannus auch zu liegen scheint) genannt werde; und, da das Wort Ahriman mit dem arge Mann sehr gleich lautet, das jetzige Persische auch eine Menge ursprünglich deutscher Wörter enthält: so mag es eine Aufgabe für den Altertumsforscher sein, auch an dem Leitfaden der Sprachverwandtschaft dem Ursprunge der jetzigen Religionsbegriffe mancher Völker nachzugehn.Zwar, soweit wir es einsehn, soweit wir uns selbst erforschen können, hat das dualistische System (aber nur unter einem höchstguten Urwesen), in praktischer Absicht, für jeden Menschen wie er sich selbst zu richten hat (ob gleich nicht wie er andre zu richten befugt ist), einen überwiegenden Grund in sich: denn, so viel er sich kennt, läßt ihm die Vernunft keine andre Aussicht in die Ewigkeit übrig, als die ihm aus seinem bisher geführten Lebenswandel sein eignes Gewissen am Ende des Lebens eröffnet. Aber zum Dogma , mithin um einen an sich selbst (objektiv) gültigen theoretischen Satz daraus zu machen, dazu ist es, als bloßes Vernunfturteil, bei weitem nicht hinreichend. Denn welcher Mensch kennt sich selbst, wer kennt andre so durch und durch, um zu entscheiden: ob, wenn er von den Ursachen seines vermeintlich wohlgeführten Lebenswandels alles, was man Verdienst des Glücks nennt, als sein angebornes gutartiges Temperament, die natürliche größere Stärke seiner obern Kräfte (des Verstandes und der Vernunft, um seine Triebe zu zähmen), überdem auch noch die Gelegenheit, wo ihm der Zufall glücklicher weise viele Versuchungen ersparte, die einen andern trafen; wenn er dies alles von seinem wirklichen Charakter absonderte (wie er das denn, um diesen gehörig zu würdigen, notwendig abrechnen muß, weil er es, als Glücksgeschenk, seinem eignen Verdienst nicht zuschreiben kann): wer will dann entscheiden, sage ich, ob vor dem allsehenden Auge eines Weltrichters ein Mensch, seinem innern moralischen Werte nach, überall noch irgend einen Vorzug vor dem andern habe, und es so vielleicht nicht ein ungereimter Eigendünkel sein dürfte, bei dieser oberflächlichen Selbsterkenntnis, zu seinem Vorteil über den moralischen Wert (und das verdiente Schicksal) seiner selbst so wohl als anderer irgend ein Urteil zu sprechen. — Mithin scheint das System des Unitariers sowohl als des Dualisten, beides als Dogma betrachtet, das spekulative Vermögen der menschlichen Vernunft gänzlich zu übersteigen, und alles uns dahin zurückzuführen, jene Vernunftideen schlechterdings nur auf die Bedingungen des praktischen Gebrauchs einzuschränken. Denn wir sehen doch nichts vor uns, das uns von unserm Schicksal in einer künftigen Welt jetzt schon belehren könnte, als das Urteil unsers eignen Gewissens, d. i. was unser gegenwärtiger moralischer Zustand, soweit wir ihn kennen, uns darüber vernünftiger weise urteilen läßt: daß nämlich, welche Prinzipien unsers Lebenswandels wir bis zu dessen Ende in uns herrschend gefunden haben (sie seien die des Guten oder des Bösen), auch nach dem Tode fortfahren werden, es zu sein; ohne daß wir eine Abänderung derselben in jener Zukunft anzunehmen den mindesten Grund haben. Mithin müßten wir uns auch der jenem Verdienst oder dieser Schuld angemessenen Folgen, unter der Herrschaft des guten oder des bösen Prinzips, für die Ewigkeit gewärtigen; in welcher Rücksicht es folglich weise ist, so zu handeln, als ob ein andres Leben, und der moralische Zustand, mit dem wir das gegenwärtige endigen, samt seinen Folgen, beim Eintritt in dasselbe unabänderlich sei. In praktischer Absicht wird also das anzunehmende System das dualistische sein müssen; ohne doch ausmachen zu wollen, welches von beiden, in theoretischer und bloß spekulativer, den Vorzug verdiene: zumal da das unitarische zu sehr in gleichgültige Sicherheit einzuwiegen scheint.

Warum erwarten aber die Menschen überhaupt ein Ende der Welt? und, wenn dieses ihnen auch eingeräumt wird, warum eben ein Ende mit Schrecken (für den größten Teil des menschlichen Geschlechts)? . . . Der Grund des erstern scheint darin zu liegen, weil die Vernunft ihnen sagt, daß die Dauer der Welt nur sofern einen Wert hat, als die vernünftigen Wesen in ihr dem Endzweck ihres Daseins gemäß sind, wenn dieser aber nicht erreicht werden sollte, die Schöpfung selbst ihnen zwecklos zu sein scheint: wie ein Schauspiel, das gar keinen Ausgang hat, und keine vernünftige Absicht zu erkennen gibt. Das letztere gründet sich auf der Meinung von der verderbten Beschaffenheit des menschlichen Geschlechts,* die bis zur Hoffnungslosigkeit groß sei; welchem ein Ende und zwar ein schreckliches Ende zu machen die einzige der höchsten Weisheit und Gerechtigkeit (dem größten Teil der Menschen nach) anständige Maßregel sei. — Daher sind auch die Vorzeichen des jüngsten Tages (denn wo läßt es eine durch große Erwartungen erregte Einbildungskraft wohl an Zeichen und Wundern fehlen?) alle von der schrecklichen Art. Einige sehen sie in der überhandnehmenden Ungerechtigkeit, Unterdrückung der Armen durch übermütige Schwelgerei der Reichen, und dem allgemeinen Verlust von Treu und Glauben; oder in den an allen Erdenden sich entzündenden blutigen Kriegen, u.s.w.: mit einem Worte, an dem moralischen Verfall und der schnellen Zunahme aller Laster, samt den sie begleitenden Übeln, dergleichen, wie sie wähnen, die vorige Zeit nie sah. Andre dagegen in ungewöhnlichen Naturveränderungen, an den Erdbeben, Stürmen und Überschwemmungen, oder Kometen und Luftzeichen.*Zu allen Zeiten haben sich dünkende Weise (oder Philosophen), ohne die Anlage zum Guten in der menschlichen Natur einiger Aufmerksamkeit zu würdigen, sich in widrigen, zum Teil ekelhaften, Gleichnissen erschöpft, um unsre Erdenwelt, den Aufenthalt für Menschen, recht verächtlich vorzustellen.
1) Als ein Wirtshaus (Karavanserai), wie jener Derwisch sie ansieht: wo jeder auf seiner Lebensreise Einkehrende gefaßt sein muß, von einem folgenden bald verdrängt zu werden.
2) Als ein Zuchthaus; welcher Meinung die brahmanischen, tibetanischen und andre Weisen des Orients (auch sogar Plato) zugetan sind: ein Ort der Züchtigung und Reinigung gefallner, aus dem Himmel verstoßner, Geister, jetzt menschlicher oder Tier-Seelen.
3) Als ein Tollhaus: wo nicht allein jeder für sich seine eignen Absichten vernichtet, sondern einer dem andern alles erdenkliche Herzeleid zufügt, und obenein, die Geschicklichkeit und Macht, das tun zu können, für die größte Ehre hält. Endlich
4) Als ein Kloak, wo aller Unrat aus andern Welten hingebannt worden. Der letztere Einfall ist auf gewisse Art originell, und einem persischen Witzling zu verdanken, der das Paradies, den Aufenthalt des ersten Menschenpaars, in den Himmel versetzte, in welchem Garten Bäume genug, mit herrlichen Früchten reichlich versehen, anzutreffen waren, deren Überschuß, nach ihrem Genuß, sich durch unmerkliche Ausdünstung verlor; einen einzigen Baum mitten im Garten ausgenommen, der zwar eine reizende aber solche Frucht trug, die sich nicht ausschwitzen ließ. Da unsre ersten Eltern sich nun gelüsten ließen, ungeachtet des Verbots, dennoch davon zu kosten: so. war, damit sie den Himmel nicht beschmutzten, kein andrer Rat, als daß einer der Engel ihnen die Erde in weiter Ferne zeigte, mit den Worten: »Das ist der Abtritt für das ganze Universum«, sie sodann dahinführte, um das Benötigte zu verrichten, und darauf mit Hinterlassung derselben zum Himmel zurückflog. Davon sei nun das menschliche Geschlecht auf Erden entsprungen.
In der Tat fühlen, nicht ohne Ursache, die Menschen die Last ihrer Existenz, ob sie gleich selbst die Ursache derselben sind. Der Grund davon scheint mir hierin zu liegen. —Natürlicherweise eilt, in den Fortschritten des menschlichen Geschlechts, die Kultur der Talente, der Geschicklichkeit und des Geschmacks (mit ihrer Folge, der Üppigkeit) der Entwicklung der Moralität vor; und dieser Zustand ist gerade der lästigste und gefährlichste für Sittlichkeit so wohl als physisches Wohl: weil die Bedürfnisse viel stärker anwachsen, als die Mittel, sie zu befriedigen. Aber die sittliche Anlage der Menschheit, die (wie Horazens poena, pede claudo; »die Strafe mit hinkendem Fuß«.) ihr immer nachhinkt, wird sie, die in ihrem eilfertigen Lauf sich selbst verfängt und oft stolpert, (wie man unter einem weisen Weltregierer wohl hoffen darf) dereinst überholen; und so sollte man, selbst nach den Erfahrungsbeweisen des Vorzugs der Sittlichkeit in unserm Zeitalter, in Vergleichung mit allen vorigen, wohl die Hoffnung nähren können, daß der jüngste Tag eher mit einer Eliasfahrt, als mit einer der Rotte Korah ähnlichen Höllenfahrt eintreten, und das Ende aller Dinge auf Erden herbeiführen dürfte. Allein dieser heroische Glauben an die Tugend scheint doch, subjektiv, keinen so allgemeinkräftigen Einfluß auf die Gemüter zur Bekehrung zu haben, als der an einen mit Schrecken begleiteten Auftritt, der vor den letzten Dingen als vorhergehend gedacht wird.Anmerkung. Da wir es hier bloß mit Ideen zu tun haben (oder damit spielen), die die Vernunft sich selbst schafft, wovon die Gegenstände (wenn sie deren haben) ganz über unsern Gesichtskreis hinausliegen, die indes, obzwar für das spekulative Erkenntnis überschwenglich, darum doch nicht in aller Beziehung für leer zu halten sind, sondern in praktischer Absicht uns von der gesetzgebenden Vernunft selbst an die Hand gegeben werden, nicht etwa um über ihre Gegenstände, was sie an sich und ihrer Natur nach sind, nachzugrübeln, sondern wie wir sie zum Behuf der moralischen, auf den Endzweck aller Dinge gerichteten, Grundsätze zu denken haben (wodurch sie, die sonst gänzlich leer wären, objektive praktische Realität bekommen): — so haben wir ein freies Feld vor uns, dieses Produkt unsrer eignen Vernunft: den allgemeinen Begriff von einem Ende aller Dinge, nach dem Verhältnis, das er zu unserm Erkenntnisvermögen hat, einzuteilen, und die unter ihm stehenden zu klassifizieren.
Diesem nach wird das Ganze
1) in das natürliche* Ende aller Dinge, nach der Ordnung moralischer Zwecke göttlicher Weisheit, welches wir also (in praktischer Absicht) wohl verstehen können,
*Natürlich (formaliter) heißt, was nach Gesetzen einer gewissen Ordnung, welche es auch sei, mithin auch der moralischen (also nicht immer bloß der physischen), notwendig folgt. Ihm ist das Nichtnatürliche, welches entweder das Übernatürliche, oder das Widernatürliche sein kann, entgegengesetzt. Das Notwendige aus Naturursachen würde auch als materialiter-natürlich (physisch-notwendig) vorgestellt werden.

2) in das mystische (übernatürliche) Ende derselben, in der Ordnung der wirkenden Ursachen, von welchen wir nichts verstehen,

3) in das widernatürliche (verkehrte) Ende aller Dinge, welches von uns selbst, dadurch daß wir den Endzweck mißverstehen, herbeigeführt wird, eingeteilt, und in drei Abteilungen vorgestellt werden: wovon die erste so eben abgehandelt worden, und nun die zwei noch übrigen folgen.In der Apokalypse (X, 5, 6) »hebt ein Engel seine Hand auf gen Himmel, und schwört bei dem Lebendigen von Ewigkeit zu Ewigkeit, der den Himmel erschaffen hat u.s.w.: daß hinfort keine Zeit mehr sein soll«.
Wenn man nicht annimmt, daß dieser Engel »mit seiner Stimme von sieben Donnern« (V. 3) habe Unsinn schreien wollen, so muß er damit gemeint haben, daß hinfort keine Veränderung sein soll; denn wäre in der Welt noch Veränderung, so wäre auch die Zeit da, weil jene nur in dieser Statt finden kann, und, ohne ihre Voraussetzung, gar nicht denkbar ist.

Hier wird nun ein Ende aller Dinge, als Gegenstände der Sinne, vorgestellt, wovon wir uns gar keinen Begriff machen können: weil wir uns selbst unvermeidlich in Widersprüche verfangen, wenn wir einen einzigen Schritt aus der Sinnenwelt in die intelligible tun wollen; welches hier dadurch geschieht, daß der Augenblick, der das Ende der erstern ausmacht, auch der Anfang der andern sein soll, mithin diese mit jener in eine und dieselbe Zeitreihe gebracht wird, welches sich widerspricht.

Aber wir sagen auch, daß wir uns eine Dauer als unendlich (als Ewigkeit) denken: nicht darum weil wir etwa von ihrer Größe irgend einen bestimmbaren Begriff haben — denn das ist unmöglich, da ihr die Zeit, als Maß derselben gänzlich fehlt —; sondern jener Begriff ist, weil, wo es keine Zeit gibt, auch kein Ende Statt hat, bloß ein negativer von der ewigen Dauer, wodurch wir in unserm Erkenntnis nicht um einen Fußbreit weiter kommen, sondern nur gesagt werden will, daß der Vernunft, in (praktischer) Absicht auf den Endzweck, auf dem Wege beständiger Veränderungen nie Genüge getan werden kann: ob zwar auch, wenn sie es mit dem Prinzip des Stillstandes und der Unveränderlichkeit des Zustands der Weltwesen versucht, sie sich eben so wenig in Ansehung ihres theoretischen Gebrauchs genug tun, sondern vielmehr in gänzliche Gedankenlosigkeit geraten würde; da ihr dann nichts übrig bleibt, als sich eine ins Unendliche (in der Zeit) fortgehende Veränderung, im beständigen Fortschreiten zum Endzweck, zu denken, bei welchem die Gesinnung (welche nicht, wie jenes, ein Phänomen, sondern etwas Übersinnliches, mithin nicht in der Zeit veränderlich ist) bleibt und beharrlich dieselbe ist. Die Regel des praktischen Gebrauchs der Vernunft dieser Idee gemäß will also nichts weiter sagen, als: wir müssen unsre Maxime so nehmen, als ob, bei allen ins Unendliche gehenden Veränderungen vom Guten zum Bessern, unser moralische Zustand, der Gesinnung nach, (der homo noumenon, »dessen Wandel im Himmel ist«) gar keinem Zeitwechsel unterworfen wäre.

Daß aber einmal ein Zeitpunkt eintreten wird, da alle Veränderung (und mit ihr die Zeit selbst) aufhört, ist eine die Einbildungskraft empörende Vorstellung. Alsdann wird nämlich die ganze Natur starr und gleichsam versteinert: der letzte Gedanken, das letzte Gefühl bleiben alsdann in dem denkenden Subjekt stehend und ohne Wechsel immer dieselben. Für ein Wesen, welches sich seines Daseins und der Größe desselben (als Dauer) nur in der Zeit bewußt werden kann, muß ein solches Leben, wenn es anders Leben heißen mag, der Vernichtung gleich scheinen: weil es, um sich in einen solchen Zustand hineinzudenken, doch überhaupt etwas denken muß; Denken aber ein Reflektieren enthält, welches selbst nur in der Zeit geschehen kann. — Die Bewohner der andern Welt werden daher so vorgestellt, wie sie, nach Verschiedenheit ihres Wohnorts (dem Himmel oder der Hölle), entweder immer dasselbe Lied, ihr Halleluja, oder ewig eben dieselben Jammertöne anstimmen (XIX, 1—6; XX, 15): wodurch der gänzliche Mangel alles Wechsels in ihrem Zustände angezeigt werden soll.

Gleichwohl ist diese Idee, so sehr sie auch unsre Fassungskraft übersteigt, doch mit der Vernunft in praktischer Beziehung nahe verwandt. Wenn wir den moralisch-physischen Zustand des Menschen hier im Leben auch auf dem besten Fuß annehmen, nämlich eines beständigen Fortschreitens und Annäherns zum höchsten (ihm zum Ziel ausgesteckten) Gut: so kann er doch (selbst im Bewußtsein der Unveränderlichkeit seiner Gesinnung) mit der Aussicht in eine ewig dauernde Veränderung seines Zustandes (des sittlichen sowohl als physischen) die Zufriedenheit nicht verbinden. Denn der Zustand, in welchem er jetzt ist, bleibt immer doch ein Übel, vergleichungsweise gegen den bessern, in den zu treten er in Bereitschaft steht; und die Vorstellung eines unendlichen Fortschreitens zum Endzweck ist doch zugleich ein Prospekt in eine unendliche Reihe von Übeln, die, ob sie zwar von dem größern Guten überwogen werden, doch die Zufriedenheit nicht Statt finden lassen, die er sich nur dadurch, daß der Endzweck endlich einmal erreicht wird, denken kann.

Darüber gerät nun der nachgrübelnde Mensch in die Mystik (denn die Vernunft, weil sie sich nicht leicht mit ihrem immanenten, d. i. praktischen Gebrauch begnügt, sondern gern im Transzendenten etwas wagt, hat auch ihre Geheimnisse), wo seine Vernunft sich selbst, und was sie will, nicht versteht, sondern lieber schwärmt, als sich, wie es einem intellektuellen Bewohner einer Sinnenwelt geziemt, innerhalb den Grenzen dieser eingeschränkt zu halten. Daher kommt das Ungeheuer von System des Laokiun von dem höchsten Gut, das im Nichts bestehen soll: d.i. im Bewußtsein, sich in den Abgrund der Gottheit, durch das Zusammenfließen mit derselben und also durch Vernichtung seiner Persönlichkeit, verschlungen zu fühlen; von welchem Zustande die Vorempfindung zu haben, sinesische Philosophen sich in dunkeln Zimmern, mit geschlossenen Augen, anstrengen, dieses ihr Nichts zu denken und zu empfinden. Daher der Pantheismus (der Tibetaner und andrer östlichen Völker); und der aus der metaphysischen Sublimierung desselben in der Folge erzeugte Spinozismus: welche beide mit dem uralten Emanationssystem aller Menschenseelen aus der Gottheit (und ihrer endlichen Resorption [Wiederauflösung] in eben dieselbe) nahe verschwistert sind. Alles lediglich darum, damit die Menschen sich endlich doch einer ewigen Ruhe zu erfreuen haben möchten, welche denn ihr vermeintes seliges Ende aller Dinge ausmacht; eigentlich ein Begriff, mit dem ihnen zugleich der Verstand ausgeht und alles Denken selbst ein Ende hat.Das Ende aller Dinge, die durch der Menschen Hände gehen, ist, selbst bei ihren guten Zwecken, Torheit: das ist, Gebrauch solcher Mittel zu ihren Zwecken, die diesen gerade zuwider sind. Weisheit, d. i. praktische Vernunft in der Angemessenheit ihrer dem Endzweck aller Dinge, dem höchsten Gut, völlig entsprechenden Maßregeln, wohnt allein bei Gott; und ihrer Idee nur nicht sichtbarlich entgegen zu handeln, ist das, was man etwa menschliche Weisheit nennen könnte. Diese Sicherung aber wider Torheit, die der Mensch nur durch Versuche und öftere Veränderung seiner Pläne zu erlangen hoffen darf, ist mehr »ein Kleinod, welchem auch der beste Mensch nur nachjagen kann, ob er es etwa ergreifen möchte«; wovon er aber niemal sich die eigenliebige Überredung darf anwandeln lassen, vielweniger darnach verfahren, als ob er es ergriffen habe. — Daher auch die von Zeit zu Zeit veränderten, oft widersinnigen, Entwürfe zu schicklichen Mitteln, um Religion in einem ganzen Volk lauter und zugleich kraftvoll zu machen; so, daß man wohl ausrufen kann: Arme Sterbliche, bei euch ist nichts beständig, als die Unbeständigkeit!

Wenn es indes mit diesen Versuchen doch endlich einmal soweit gediehen ist, daß das Gemeinwesen fähig und geneigt ist, nicht bloß den hergebrachten frommen Lehren, sondern auch der durch sie erleuchteten praktischen Vernunft (wie es zu einer Religion auch schlechterdings notwendig ist) Gehör zu geben; wenn die (auf menschliche Art) Weisen unter dem Volk nicht durch unter sich genommene Abreden (als ein Klerus), sondern als Mitbürger, Entwürfe machen und darin größtenteils übereinkommen, welche auf unverdächtige Art beweisen, daß ihnen um Wahrheit zu tun sei; und das Volk wohl auch im ganzen (wenn gleich noch nicht im kleinsten Detail), durch das allgemein gefühlte nicht auf Auktorität gegründete Bedürfnis der notwendigen Anbauung seiner moralischen Anlage, daran Interesse nimmt: so scheint nichts ratsamer zu sein, als jene nur machen und ihren Gang fortsetzen zu lassen, da sie einmal, was die Idee betrifft der sie nachgehn, auf gutem Wege sind: was aber den Erfolg aus den zum besten Endzweck gewählten Mitteln betrifft, da dieser, wie er nach dem Laufe der Natur ausfallen dürfte, immer ungewiß bleibt, ihn der Vorsehung zu überlassen. Denn, man mag so schwergläubig sein wie man will, so muß man doch, wo es schlechterdings unmöglich ist, den Erfolg aus gewissen nach aller menschlichen Weisheit (die, wenn sie ihren Namen verdienen soll, lediglich auf das Moralische gehen muß) genommenen Mitteln mit Gewißheit voraus zu sehn, eine Konkurrenz göttlicher Weisheit zum Laufe der Natur auf praktische Art glauben, wenn man seinen Endzweck nicht lieber gar aufgeben will. —

Zwar wird man einwenden: Schon oft ist gesagt worden, der gegenwärtige Plan ist der beste; bei ihm muß es von nun an auf immer bleiben; das ist jetzt ein Zustand für die Ewigkeit. »Wer (nach diesem Begriffe) gut ist, der ist immerhin gut, und wer (ihm zuwider) böse ist, ist immerhin böse« (Apokal. XXII, 11): gleich als ob die Ewigkeit, und mit ihr das Ende aller Dinge, schon jetzt eingetreten sein könne; — und gleichwohl sind seitdem immer neue Pläne, unter welchen der neueste oft nur die Wiederherstellung eines alten war, auf die Bahn gebracht worden, und es wird auch an mehr letzten Entwürfen fernerhin nicht fehlen.

Ich bin mir so sehr meines Unvermögens, hierin einen neuen und glücklichen Versuch zu machen, bewußt, daß ich, wozu freilich keine große Erfindungskraft gehört, lieber raten möchte: die Sachen so zu lassen, wie sie zuletzt standen, und beinahe ein Menschenalter hindurch sich als erträglich gut in ihren Folgen bewiesen hatten. Da das aber wohl nicht die Meinung der Männer von entweder großem oder doch unternehmendem Geiste sein möchte: so sei es mir erlaubt, nicht sowohl, was sie zu tun, sondern wogegen zu verstoßen sie sich ja in Acht zu nehmen hätten, weil sie sonst ihrer eignen Absicht (wenn sie auch die beste wäre) zuwider handeln würden, bescheidentlich anzumerken.Das Christentum hat, außer der größten Achtung, welche die Heiligkeit seiner Gesetze unwiderstehlich einflößt, noch etwas Liebenswürdiges in sich. (Ich meine hier nicht die Liebenswürdigkeit der Person, die es uns mit großen Aufopferungen erworben hat, sondern der Sache selbst: nämlich der sittlichen Verfassung, die Er stiftete; denn jene läßt sich nur aus dieser folgern.) Die Achtung ist ohne Zweifel das Erste, weil ohne sie auch keine wahre Liebe Statt findet; ob man gleich ohne Liebe doch große Achtung gegen jemand hegen kann. Aber wenn es nicht bloß auf Pflichtvorstellung sondern auch auf Pflichtbefolgung ankommt, wenn man nach dem subjektiven Grunde der Handlungen fragt, aus welchem, wenn man ihn voraussetzen darf, am ersten zu erwarten ist, was der Mensch tun werde, nicht bloß nach dem objektiven, was er tun soll: so ist doch die Liebe, als freie Aufnahme des Willens eines andern unter seine Maximen, ein unentbehrliches Ergänzungsstück der Unvollkommenheit der menschlichen Natur (zu dem, was die Vernunft durchs Gesetz vorschreibt, genötigt werden zu müssen): denn was einer nicht gern tut, das tut er so kärglich, auch wohl mit sophistischen Ausflüchten vom Gebot der Pflicht, daß auf diese, als Triebfeder, ohne den Beitritt jener, nicht sehr viel zu rechnen sein möchte.

Wenn man nun, um es recht gut zu machen, zum Christentum noch irgend eine Auktorität (wäre es auch die göttliche) hinzutut, die Absicht derselben mag auch noch so wohlmeinend und der Zweck auch wirklich noch so gut sein: so ist doch die Liebenswürdigkeit desselben verschwunden: denn es ist ein Widerspruch, jemanden zu gebieten, daß er etwas nicht allein tue, sondern es auch gern tun solle.

Das Christentum hat zur Absicht: Liebe, zu dem Geschäft der Beobachtung seiner Pflicht überhaupt, zu befördern, und bringt sie auch hervor; weil der Stifter desselben nicht in der Qualität eines Befehlshabers, der seinen Gehorsam-fordernden Willen, sondern in der eines Menschenfreundes redet, der seinen Mitmenschen ihren eignen wohlverstandnen Willen, d. i. wornach sie von selbst freiwillig handeln würden, wenn sie sich selbst gehörig prüften, ans Herz legt.

Es ist also die liberale Denkungsart — gleichweit entfernt vom Sklavensinn, und von Bandenlosigkeit — wovon das Christentum für seine Lehre Effekt erwartet, durch die es die Herzen der Menschen für sich zu gewinnen vermag, deren Verstand schon durch die Vorstellung des Gesetzes ihrer Pflicht erleuchtet ist. Das Gefühl der Freiheit in der Wahl des Endzweckes ist das, was ihnen die Gesetzgebung liebenswürdig macht. — Obgleich also der Lehrer desselben auch Strafen ankündigt, so ist das doch nicht so zu verstehen, wenigstens ist es der eigentümlichen Beschaffenheit des Christentums nicht angemessen, es so zu erklären, als sollten diese die Triebfedern werden, seinen Geboten Folge zu leisten: denn sofern würde es aufhören liebenswürdig zu sein. Sondern, man darf dies nur als liebreiche, aus dem Wohlwollen des Gesetzgebers entspringende, Warnung, sich vor dem Schaden zu hüten, welcher unvermeidlich aus der Übertretung des Gesetzes entspringen müßte (denn: lex est res surda et inexorabilis. »das Gesetz ist eine taube und unerbittliche Sache.« Livius.), auslegen; weil nicht das Christentum, als freiwillig angenommene Lebensmaxime, sondern das Gesetz hier droht: welches, als unwandelbar in der Natur der Dinge liegende Ordnung, selbst nicht der Willkür des Schöpfers, die Folge derselben so oder anders zu entscheiden, überlassen ist.

Wenn das Christentum Belohnungen verheißt (z. B. »Seid fröhlich und getrost, es wird j euch im Himmel alles wohl vergolten werden«): so muß das nach der liberalen Denkungsart nicht so ausgelegt werden, als wäre es ein Angebot, um dadurch den Menschen zum guten Lebenswandel gleichsam zu dingen: denn da würde das Christentum wiederum für sich selbst nicht liebenswürdig sein. Nur ein Ansinnen solcher Handlungen, die aus uneigennützigen Beweggründen entspringen, kann gegen den, welcher das Ansinnen tut, dem Menschen Achtung einflößen; ohne Achtung aber gibt es keine wahre Liebe. Also muß man jener Verheißung nicht den Sinn beilegen, als sollten die Belohnungen für die Triebfedern der Handlungen genommen werden. Die Liebe, wodurch eine liberale Denkart an einen Wohltäter gefesselt wird, richtet sich nicht nach dem Guten, was der Bedürftige empfängt, sondern bloß nach der Gütigkeit des Willens dessen, der geneigt ist, es zu erteilen: sollte er auch etwa nicht dazu vermögend sein, oder durch andre Beweggründe, welche die Rücksicht auf das allgemeine Weltbeste mit sich bringt, an der Ausführung gehindert werden.

Das ist die moralische Liebenswürdigkeit, welche das Christentum bei sich führt, die durch manchen äußerlich ihm beigefügten Zwang, bei dem öfteren Wechsel der Meinungen, immer noch durchgeschimmert, und es gegen die Abneigung erhalten hat, die es sonst hätte treffen müssen; und welche (was merkwürdig ist) zur Zeit der größten Aufklärung, die je unter Menschen war, sich immer in einem nur desto hellem Lichte zeigt.

Sollte es mit dem Christentum einmal dahin kommen, daß es aufhörte liebenswürdig zu sein (welches sich wohl zutragen könnte, wenn es, statt seines sanften Geistes, mit gebieterischer Auktorität bewaffnet würde): so müßte, weil in moralischen Dingen keine Neutralität (noch weniger Koalition entgegengesetzter Prinzipien) Statt findet, eine Abneigung und Widersetzlichkeit gegen dasselbe die herrschende Denkart der Menschen werden; und der Antichrist, der ohnehin für den Vorläufer des jüngsten Tages gehalten wird, würde sein (vermutlich auf Furcht und Eigennutz gegründetes) obzwar kurzes Regiment anfangen: alsdann aber, weil das Christentum allgemeine Weltreligion zu sein zwar bestimmt, aber es zu werden von dem Schicksal nicht begünstigt sein würde, das (verkehrte) Ende aller Dinge in moralischer Rücksicht eintreten.
Königsberg. I. Kant
Aus: Immanuel Kant, Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1 S.175-190
Werkausgabe Band XI. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft stw 192

Die Ethik Kants
Die immense Bedeutung des guten Willens
Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille. Verstand, Witz, Urteilskraft, und wie die Talente des Geistes sonst heißen mögen, oder Mut, Entschlossenheit, Beharrlichkeit im Vorsatze, als Eigenschaften des Temperaments, sind ohne Zweifel in mancher Absicht gut und wünschenswert; aber sie können auch äußerst böse und schädlich werden, wenn der Wille, der von diesen Naturgaben Gebrauch machen soll und dessen eigentümliche Beschaffenheit darum Charakter heißt, nicht gut ist. Mit den Glücksgaben ist es eben so bewandt. Macht, Reichtum, Ehre, selbst Gesundheit, und das ganze Wohlbefinden und Zufriedenheit mit seinem Zustande, unter dem Namen der Glückseligkeit, machen Mut und hiedurch öfters auch Übermut, wo nicht ein guter Wille da ist, der den Einfluß derselben aufs Gemüt, und hiemit auch das ganze Prinzip zu handeln, berichtige und allgemein-zweckmäßig mache; ohne zu erwähnen, daß ein vernünftiger unparteiischer Zuschauer sogar am Anblicke eines ununterbrochenen Wohlergehens eines Wesens, das kein Zug eines reinen und guten Willens ziert, nimmermehr ein Wohlgefallen haben kann, und so der gute Wille die unerläßliche Bedingung selbst der Würdigkeit, glücklich zu sein, auszumachen scheint.

Einige Eigenschaften sind sogar diesem guten Willen selbst beförderlich und können sein Werk sehr erleichtern, haben aber dem ungeachtet keinen innern unbedingten Wert, sondern setzen immer noch einen guten Willen voraus, der die Hochschätzung, die man übrigens mit Recht für sie trägt, einschränkt, und es nicht erlaubt, sie für schlechthin gut zu halten. Mäßigung in Affekten und Leidenschaften, Selbstbeherrschung und nüchterne Überlegung sind nicht allein in vielerlei Absicht gut, sondern scheinen sogar einen Teil vom innern Werte der Person auszumachen; allein es fehlt viel daran, um sie ohne Einschränkung für gut zu erklären (so unbedingt sie auch von den Alten gepriesen worden). Denn ohne Grundsätze eines guten Willens können sie höchst böse werden, und das kalte Blut eines Bösewichts macht ihn nicht allein weit gefährlicher, sondern auch unmittelbar in unsern Augen noch verabscheuungswürdiger, als er ohne dieses dafür würde gehalten werden.

Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt, oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zu Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d.i. an sich, gut, und, für sich selbst betrachtet, ohne Vergleich weit höher zu schätzen, als alles, was durch ihn zu Gunsten irgend einer Neigung, ja, wenn man will, der Summe aller Neigungen, nur immer zu Stande gebracht werden könnte. Wenn gleich durch eine besondere Ungunst des Schicksals, oder durch kärgliche Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur, es diesem Willen gänzlich an Vermögen fehlte, seine Absicht durchzusetzen; wenn bei seiner größten Bestrebung dennoch nichts von ihm ausgerichtet würde, und nur der gute Wille (freilich nicht etwa ein bloßer Wunsch, sondern als die Aufbietung aller Mittel, so weit sie in unserer Gewalt sind) übrig bliebe: so würde er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen, als etwas, das seinen vollen Wert in sich selbst hat. Die Nützlichkeit oder Fruchtlosigkeit kann diesem Werte weder etwas zusetzen, noch abnehmen. Sie würde gleichsam nur die Einfassung sein, um ihn im gemeinen Verkehr besser handhaben zu können, oder die Aufmerksamkeit derer, die noch nicht genug Kenner sind, auf sich zu ziehen, nicht aber, um ihn Kennern zu empfehlen, und seinen Wert zu bestimmen.

Es liegt gleichwohl in dieser Idee von dem absoluten Werte des bloßen Willens, ohne einigen Nutzen bei Schätzung desselben in Anschlag zu bringen, etwas so Befremdliches, daß unerachtet aller Einstimmung selbst der gemeinen Vernunft mit derselben dennoch ein Verdacht entspringen muß, daß vielleicht bloß hochfliegende Phantasterei insgeheim zum Grunde liege, und die Natur in ihrer Absicht, warum sie unserm Willen Vernunft zur Regiererin beigelegt habe, falsch verstanden sein möge. Daher wollen wir diese Idee aus diesem Gesichtspunkte auf die Prüfung stellen.

In den Naturanlagen eines organisierten, d. i. zweckmäßig zum Leben eingerichteten Wesens nehmen wir es als Grundsatz an, daß kein Werkzeug zu irgend einem Zwecke in demselben angetroffen werde, als was auch zu demselben das schicklichste und ihm am meisten angemessen ist. Wäre nun an einem Wesen, das Vernunft und einen Willen hat, seine Erhaltung, sein Wohlergehen, mit einem Worte seine Glückseligkeit, der eigentliche Zweck der Natur, so hätte sie ihre Veranstaltung dazu sehr schlecht getroffen, sich die Vernunft des Geschöpfs zur Ausrichterin dieser ihrer Absicht zu ersehen. Denn alle Handlungen, die es in dieser Absicht auszuüben hat, und die ganze Regel seines Verhaltens würden ihm weit genauer durch Instinkt vor­gezeichnet und jener Zweck weit sicherer dadurch haben erhalten werden können, als es jemals durch Vernunft geschehen kann, und sollte diese ja obenein dem begünstigten Geschöpf erteilt worden sein, so würde sie ihm nur dazu haben dienen müssen, um über die glückliche Anlage seiner Natur Betrachtungen anzustellen, sie zu bewundern, sich ihrer zu erfreuen und der wohltätigen Ursache dafür dankbar zu sein;nicht aber, um sein Begehrungsvermögen jener schwachen und trüglichen Leitung zu unter­werfen und in der Naturabsicht zu pfuschen; mit einem Worte, sie würde verhütet haben, daß Vernunft nicht in praktischen Gebrauch ausschlüge und die Vermessenheit hätte, mit ihren schwachen Einsichten ihr selbst den Entwurf der Glückseligkeit und der Mittel, dazu zu gelangen, auszudenken; die Natur würde nicht allein die Wahl der Zwecke, sondern auch der Mittel selbst übernommen und beide mit weiser Vorsorge lediglich dem Instinkte anvertraut haben.

In der Tat finden wir auch, daß, je mehr eine kultivierte Vernunft sich mit der Absicht auf den Genuß des Lebens und der Glückseligkeit abgibt, desto weiter der Mensch von der wahren Zufriedenheit abkomme, woraus bei vielen, und zwar den Versuchtesten im Gebrauche derselben, wenn sie nur aufrichtig genug sind, es zu gestehen, ein gewisser Grad von Misologie, d.i. Haß der Vernunft entspringt, weil sie nach dem Überschlage alles Vorteils, den sie, ich will nicht sagen von der Erfindung aller Künste des gemeinen Luxus, sondern so gar von den Wissenschaften (die ihnen am Ende auch ein Luxus des Verstandes zu sein scheinen) ziehen, dennoch finden, daß sie sich in der Tat nur mehr Mühseligkeit auf den Hals gezogen, als an Glückseligkeit gewonnen haben, und darüber endlich den gemeinern Schlag der Menschen, welcher der Leitung des bloßen Naturinstinkts näher ist, und der seiner Vernunft nicht viel Einfluß auf sein Tun und Lassen verstattet, eher beneiden, als geringschätzen. Und so weit muß man gestehen, daß das Urteil derer, die die ruhmredige Hochpreisungen der Vorteile, die uns die Vernunft in Ansehung der Glückseligkeit und Zufriedenheit des Lebens verschaffen sollte, sehr mäßigen und sogar unter Null herabsetzen, keinesweges grämisch, oder gegen die Güte der Weltregierung undankbar sei, sondern daß diesen Urteilen ingeheim die Idee von einer andern und viel würdigern Absicht ihrer Existenz zum Grunde liege, zu welcher, und nicht der Glückseligkeit, dieVernunft ganz eigentlich bestimmt sei, und welcher darum, als oberster Bedingung, die Privatabsicht des Menschen größtenteils nachstehen muß.

Denn da die Vernunft dazu nicht tauglich genug ist, um den Willen in Ansehung der Gegenstände desselben und der Befriedigung aller unserer Bedürfnisse (die sie zum Teil selbst vervielfältigt) sicher zu leiten, als zu welchem Zwecke ein eingepflanzter Naturinstinkt viel gewisser geführt haben würde, gleichwohl aber uns Vernunft als praktisches Vermögen, d.i. als ein solches, das Einfluß auf den Willen haben soll, dennoch zugeteilt ist: so muß die wahre Bestimmung derselben sein, einen, nicht etwa in anderer Absicht als Mittel, sondern an sich selbst guten Willen hervorzubringen, wozu schlechterdings Vernunft nötig war, wo anders die Natur überall in Austeilung ihrer Anlagen zweckmäßig zu Werke gegangen ist. Dieser Wille darf also zwar nicht das einzige und das ganze, aber er muß doch das höchste Gut, und zu allem übrigen, selbst allem Verlangen nach Glückseligkeit, die Bedingung sein, in welchem Falle es sich mit der Weisheit der Natur gar wohl vereinigen läßt, wenn man wahrnimmt, daß die Kultur der Vernunft, die zur erstern und unbedingten Absicht erforderlich ist, die Erreichung der zweiten, die jederzeit bedingt ist, nämlich der Glückseligkeit, wenigstens in diesem Leben, auf mancherlei Weise einschränke, ja sie selbst unter nichts herabbringen könne, ohne daß die Natur darin unzweckmäßig verfahre, weil die Vernunft, die ihre höchste praktische Bestimmung in der Gründung eines guten Willens erkennt, bei Erreichung dieser Absicht nur einer Zufriedenheit nach ihrer eigenen Art, nämlich aus der Erfüllung eines Zwecks, den wiederum nur Vernunft bestimmt, fähig ist, sollte dieses auch mit manchem Abbruch, der den Zwecken der Neigung geschieht, verbunden sein. S. 28-33
Aus: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Herausgegeben von Theodor Valentiner, Einleitung von Hans Ebeling Reclams Universalbibliothek Nr. 4507 © 1961, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart

Begriff und Wesen der Pflicht

Definiton
Lebenserhaltung ist Pflicht
Wohltätigkeit ist Pflicht
Sicherung der eigenen Glückseligkeit ist Pflicht
Liebe kann nicht befohlen werden
Der moralische Wert einer Handlung
Der Wille ist praktische Vernunft
 

Definiton
Um aber den Begriff eines an sich selbst hochzuschätzenden und ohne weitere Absicht guten Willens, so wie er schon dem natürlichen gesunden Verstande beiwohnt und nicht so wohl gelehrt als vielmehr nur aufgeklärt zu werden bedarf, diesen Begriff, der in der Schätzung des ganzen Werts unserer Handlungen immer obenan steht und die Bedingung alles übrigen ausmacht, zu entwickeln: wollen wir den Begriff der Pflicht vor uns nehmen, der den eines guten Willens, obzwar unter gewissen subjektiven Einschränkungen und Hindernissen, enthält, die aber doch, weit gefehlt, daß sie ihn verstecken und unkenntlich machen sollten, ihn vielmehr durch Abstechung heben und desto heller hervorscheinen lassen.

Ich übergehe hier alle Handlungen, die schon als pflichtwidrig erkannt werden, ob sie gleich in dieser oder jener Absicht nützlich sein mögen; denn bei denen ist gar nicht einmal die Frage, ob sie aus Pflicht geschehen sein mögen, da sie dieser sogar widerstreiten. Ich setze auch die Handlungen bei Seite, die wirklich pflichtmäßig sind, zu denen aber Menschen unmittelbar keine Neigung haben, sie aber dennoch ausüben, weil sie durch eine andere Neigung dazu getrieben werden. Denn da läßt sich leicht unterscheiden, ob die pflichtmäßige Handlung aus Pflicht oder aus selbstsüchtiger Absicht geschehen sei. Weit schwerer ist dieser Unterschied zu bemerken, wo die Handlung pflichtmäßig ist und das Subjekt noch überdem unmittelbare Neigung zu ihr hat. Z.B. es ist allerdings pflichtmäßig, daß der Krämer seinen unerfahrenen Käufer nicht überteure, und, wo viel Verkehr ist, tut dieses auch der kluge Kaufmann nicht, sondern hält einen festgesetzten allgemeinen Preis für jedermann, so daß ein Kind eben so gut bei ihm kauft, als jeder anderer. Man wird also ehrlich bedient; allein das ist lange nicht genug, um deswegen zu glauben, der Kaufmann habe aus Pflicht und Grundsätzen der Ehrlichkeit so verfahren; sein Vorteil erforderte es; daß er aber überdem noch eine unmittelbare Neigung zu den Käufern haben sollte, um gleichsam aus Liebe keinem vor dem andern im Preise den Vorzug zu geben, läßt sich hier nicht annehmen. Also war die Handlung weder aus Pflicht, noch aus unmittelbarer Neigung, sondern bloß in eigennütziger Absicht geschehen.Lebenserhaltung ist Pflicht
Dagegen, sein Leben zu erhalten, ist Pflicht, und überdem hat jedermann dazu noch eine unmittelbare Neigung. Aber um deswillen hat die oft ängstliche Sorgfalt, die der größte Teil der Menschen dafür trägt, doch keinen innern Wert, und die Maxime derselben keinen moralischen Gehalt. Sie bewahren ihr Leben zwar pflichtmäßig, aber nicht aus Pflicht. Dagegen, wenn Widerwärtigkeiten und hoffnungsloser Gram den Geschmack am Leben gänzlich weggenommen haben; wenn der Unglückliche, stark an Seele, über sein Schicksal mehr entrüstet, als kleinmütig oder niedergeschlagen, den Tod wünscht, und sein Leben doch erhält, ohne es zu lieben, nicht aus Neigung, oder Furcht, sondern aus Pflicht: alsdann hat seine Maxime einen moralischen Gehalt.Wohltätigkeit ist Pflicht
Wohltätig sein, wo man kann, ist Pflicht, und überdem gibt es manche so teilnehmend gestimmte Seelen, daß sie, auch ohne einen andern Bewegungsgrund der Eitelkeit, oder des Eigennutzes, ein inneres Vergnügen daran finden, Freude um sich zu verbreiten, und die sich an der Zufriedenheit anderer, so fern sie ihr Werk ist, ergötzen können. Aber ich behaupte, daß in solchem Falle dergleichen Handlung, so pflichtmäßig, so liebenswürdig sie auch ist, dennoch keinen wahren sittlichen Wert habe, sondern mit andern Neigungen zu gleichen Paaren gehe, z. E. der Neigung nach Ehre,die, wenn sie glücklicherweise auf das trifft, was in der Tat gemeinnützig und pflichtmäßig, mithin ehrenwert ist, Lob und Aufmunterung, aber nicht Hochschätzung verdient; denn der Maxime fehlt der sittliche Gehalt, nämlich solche Handlungen nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht zu tun. Gesetzt also, das Gemüt jenes Menschenfreundes wäre vom eigenen Gram umwölkt, der alle Teilnehmung an anderer Schicksal auslöscht, er hätte immer noch Vermögen, andern Notleidenden wohlzutun, aber fremde Not rührte ihn nicht, weil er mit seiner eigenen genug beschäftigt ist, und nun, da keine Neigung ihn mehr dazu anreizt, risse er sich doch aus dieser tödlichen Unempfindlichkeit heraus, und täte die Handlung ohne alle Neigung, lediglich aus Pflicht, alsdann hat sie allererst ihren echten moralischen Wert. Noch mehr: wenn die Natur diesem oder jenem überhaupt wenig Sympathie ins Herz gelegt hätte, wenn er (übrigens ein ehrlicher Mann) von Temperament kalt und gleichgültig gegen die Leiden anderer wäre, vielleicht, weil er, selbst gegen seine eigene mit der besondern Gabe der Geduld und aushaltenden Stärke versehen, dergleichen bei jedem andern auch voraussetzt, oder gar fordert; wenn die Natur einen solchen Mann (welcher wahrlich nicht ihr schlechtestes Produkt sein würde) nicht eigentlich zum Menschenfreunde gebildet hätte, würde er denn nicht noch in sich einen Quell finden, sich selbst einen weit höhern Wert zu geben, als der eines gutartigen Temperaments sein mag? Allerdings! gerade da hebt der Wert des Charakters an, der moralisch und ohne alle Vergleichung der höchste ist, nämlich daß er wohltue, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht.Sicherung der eigenen Glückseligkeit ist Pflicht
Seine eigene Glückseligkeit sichern, ist Pflicht (wenigstens indirekt), denn der Mangel der Zufriedenheit mit seinem Zustande, in einem Gedränge von vielen Sorgen und mitten unter unbefriedigten Bedürfnissen, könnte leicht eine große Versuchung zu Übertretung der Pflichten werden. Aber, auch ohne hier auf Pflicht zu sehen, haben alle Menschen schon von selbst die mächtigste und innigste Neigung zur Glückseligkeit, weil sich gerade in dieser Idee alle Neigungen zu einer Summe vereinigen. Nur ist die Vorschrift der Glückseligkeit mehrenteils so beschaffen, daß sie einigen Neigungen großen Abbruch tut und doch der Mensch sich von der Summe der Befriedigung aller unter dem Namen der Glückseligkeit keinen bestimmten und sichern Begriff machen kann; daher nicht zu verwundern ist, wie eine einzige, in Ansehung dessen, was sie verheißt, und der Zeit, worin ihre Befriedigung erhalten werden kann, bestimmte Neigung eine schwankende Idee überwiegen könne, und der Mensch, z.B. ein Podagrist [einer, der an Fußgicht leidet] wählen könne, zu genießen was ihm schmeckt, und zu leiden, was er kann, weil er, nach seinem Überschlage, hier wenigstens, sich nicht durch vielleicht grundlose Erwartungen eines Glücks, das in der Gesundheit stecken soll, um den Genuß des gegenwärtigen Augenblicks gebracht hat. Aber auch in diesem Falle, wenn die allgemeine Neigung zur Glückseligkeit seinen Willen nicht bestimmte, wenn Gesundheit für ihn wenigstens nicht so notwendig in diesen Überschlag gehörete, so bleibt noch hier, wie in allen andern Fällen, ein Gesetz übrig, nämlich seine Glückseligkeit zu befördern, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht, und da hat sein Verhalten allererst den eigentlichen moralischen Wert.Liebe kann nicht befohlen werden, aber Wohltun aus Pflicht
So sind ohne Zweifel auch die Schriftstellen zu verstehen, darin geboten wird, seinen Nächsten, selbst unsern Feind, zu lieben. Denn Liebe als Neigung kann nicht geboten werden, aber Wohltun aus Pflicht, selbst, wenn dazu gleich gar keine Neigung treibt, ja gar natürliche und unbezwingliche Abneigung widersteht, ist praktische und nicht pathologische Liebe, die im Willen liegt und nicht im Hange der Empfindung, in Grundsätzen der Handlung und nicht schmelzender Teilnehmung; jene aber allein kann geboten werden.Der moralische Wert einer Handlung
Der zweite Satz ist: eine Handlung aus Pflicht hat ihren moralischen Wert nicht in der Absicht, welche dadurch erreicht werden soll, sondern in der Maxime, nach der sie beschlossen wird, hängt also nicht von der Wirklichkeit des Gegenstandes der Handlung ab, sondern bloß von dem Prinzip des Wollens, nach welchem die Handlung, unangesehen aller Gegenstände des Begehrungsvermögens, geschehen ist. Daß die Absichten, die wir bei Handlungen haben mögen, und ihre Wirkungen, als Zwecke und Triebfedern des Willens, den Handlungen keinen unbedingten und moralischen Wert erteilen können, ist aus dem Vorigen klar. Worin kann also dieser Wert liegen, wenn er nicht im Willen, in Beziehung auf deren verhoffte Wirkung, bestehen soll? Er kann nirgend anders liegen, als im Prinzip des Willens, unangesehen der Zwecke, die durch solche Handlung bewirkt werden können; denn der Wille ist mitten inne zwischen seinem Prinzip a priori, welches formell ist, und zwischen seiner Triebfeder a posteriori, welche materiell ist, gleichsam auf einem Scheidewege, und, da er doch irgend wodurch muß bestimmt werden, so wird er durch das formelle Prinzip des Wollens überhaupt bestimmt werden müssen, wenn eine Handlung aus Pflicht geschieht, daihm alles materielle Prinzip entzogen worden.

Den dritten Satz, als Folgerung aus beiden vorigen, würde ich so ausdrücken: Pflicht ist die Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz. Zum Objekte als Wirkung meiner vorhabenden Handlung kann ich zwar Neigung haben, aber niemals Achtung, eben darum, weil sie bloß eine Wirkung und nicht Tätigkeit eines Willens ist. Eben so kann ich für Neigung überhaupt, sie mag nun meine oder eines andern seine sein, nicht Achtung haben, ich kann sie höchstens im ersten Falle billigen, im zweiten bisweilen selbst lieben, d.i. sie als meinem eigenen Vorteile günstig ansehen. Nur das, was bloß als Grund, niemals aber als Wirkung mit meinem Willen verknüpft ist, was nicht meiner Neigung dient, sondern sie überwiegt, wenigstens diese von deren Überschlage bei der Wahl ganz ausschließt, mithin das bloße Gesetz für sich, kann ein Gegenstand der Achtung und hiemit ein Gebot sein. Nun soll eine Handlung aus Pflicht den Einfluß der Neigung, und mit ihr jeden Gegenstand des Willens ganz absondern, also bleibt nichts für den Willen übrig, was ihn bestimmen könne, als, objektiv, das Gesetz, und, subjektiv, reine Achtung für dieses praktische Gesetz, mithin die Maxime*, einem solchen Gesetze, selbst mit Abbruch aller meiner Neigungen, Folge zu leisten.
*Maxime ist das subjektive Prinzip des Wollens; das objektive Prinzip (d.i. dasjenige, was allen vernünftigen Wesen auch subjektiv zum praktischen Prinzip dienen würde, wenn Vernunft volle Gewalt über das Begehrungsvermögen hätte) ist das praktische Gesetz.Es liegt also der moralische Wert der Handlung nicht in der Wirkung, die daraus erwartet wird, also auch nicht in irgend einem Prinzip der Handlung, welches seinen Bewegungsgrund von dieser erwarteten Wirkung zu entlehnen bedarf. Denn alle diese Beförderung fremder Glückseligkeit) konnten auch durch andere Ursachen zu Stande gebracht werden, und es brauchte also dazu nicht des Willens eines vernünftigen Wesens; worin gleichwohl das höchste und unbedingte Gute allein angetroffen werden kann. Es kann daher nichts anders als die Vorstellung des Gesetzes an sich selbst, die freilich nur im vernünftigen Wesen stattfindet, so fern sie, nicht aber die verhoffte Wirkung, der Bestimmungsgrund des Willens ist, das so vorzügliche Gute, welches wir sittlich nennen, ausmachen, welches in der Person selbst schon gegenwärtig ist, die darnach handelt, nicht aber allererst aus der Wirkung erwartet werden darf.*
*Man könnte mir vorwerfen, als suchte ich hinter dem Worte Achtung nur Zuflucht in einem dunkelen Gefühle, anstatt durch einen Begriff der Vernunft in der Frage deutliche Auskunft zu geben. Allein wenn Achtung gleich ein Gefühl ist, so ist es doch kein durch Einfluß empfangenes, sondern durch einen Vernunftbegriff selbstgewirktes Gefühl und daher von allen Gefühlen der ersteren Art, die sich auf Neigung oder Furcht bringen lassen, spezifisch unterschieden. Was ich unmittelbar als Gesetz für mich erkenne, erkenne ich mit Achtung, welche bloß das Bewußtsein der Unterordnung meines Willens unter einem Gesetze, ohne Vermittelung anderer Einflüsse auf meinen Sinn, bedeutet. Die unmittelbare Bestimmung des Willens durchs Gesetz und das Bewußtsein derselben heißt Achtung, so daß diese als Wirkung des Gesetzes aufs Subjekt und nicht als Ursache desselben angesehen wird. Eigentlich ist Achtung die Vorstellung von einem Werte, der meiner Selbstliebe Abbruch tut. Also ist es etwas, was weder als Gegenstand der Neigung, noch der Furcht, betrachtet wird, obgleich es mit beiden zugleich etwas Analogisches hat. Der Gegenstand der Achtung ist also lediglich das Gesetz, und zwar dasjenige, das wir uns selbst und doch als an sich notwendig auferlegen. Als Gesetz sind wir ihm unterworfen, ohne die Selbstliebe zu befragen; als uns von uns selbst auferlegt ist es doch eine Folge unsers Willens, und hat in der ersten Rücksicht Analogie mit Furcht, in der zweiten mit Neigung. Alle Achtung für eine Person ist eigentlich nur Achtung fürs Gesetz (der Rechtschaffenheit etc.), wovon jene uns das Beispiel gibt. Weil wir Erweiterung unserer Talente auch als Pflicht ansehen, so stellen wir uns an einer Person von Talenten auch gleichsam das Beispiel eines Gesetzes vor (ihr durch Übung hierin ähnlich zu werden) und das macht unsere Achtung aus. Alles moralische so genannte Interesse besteht lediglich in der Achtung fürs Gesetz.

Was kann das aber wohl für ein Gesetz sein, dessen Vorstellung, auch ohne auf die daraus erwartete Wirkung Rücksicht zu nehmen, den Willen bestimmen muß, damit dieser schlechterdings und ohne Einschränkung gut heißen könne? Da ich den Willen aller Antriebe beraubet habe, die ihm aus der Befolgung irgend eines Gesetzes entspringen könnten, so bleibt nichts als die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Handlungen überhaupt übrig, welche allein dem Willen zum Prinzip dienen soll, d.i. ich soll niemals anders verfahren, als so, daß ich auch wollen könne, meine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden. Hier ist nun die bloße Gesetzmäßigkeit überhaupt (ohne irgend ein auf gewisse Handlungen bestimmtes Gesetz zum Grunde zu legen) das, was dem Willen zum Prinzip dient, und ihm auch dazu dienen muß, wenn Pflicht nicht überall ein leerer Wahn und chimärischer Begriff sein soll; hiemit stimmt die gemeine Menschenvernunft in ihrer praktischen Beurteilung auch vollkommen überein, und hat das gedachte Prinzip jederzeit vor Augen. [...]Was ich also zu tun habe, damit mein Wollen sittlich gut sei, darzu brauche ich gar keine weit ausholende Scharfsinnigkeit. Unerfahren in Ansehung des Weltlaufs, unfähig, auf alle sich ereignenden Vorfälle desselben gefaßt zu sein, frage ich mich nur: Kannst du auch wollen, daß deine Maxime ein allgemeines Gesetz werde? wo nicht, so ist sie verwerflich, und das zwar nicht um eines dir, oder auch anderen, daraus bevorstehenden Nachteils willen, sondern weil sie nicht als Prinzip in eine mögliche allgemeine Gesetzgebung passen kann, für diese aber zwingt mir die Vernunft unmittelbare Achtung ab, von der ich zwar jetzt noch nicht einsehe, worauf sie sich gründe (welches der Philosoph untersuchen mag), wenigstens aber doch so viel verstehe: daß es eine Schätzung des Wertes sei, welcher allen Wert dessen, was durch Neigung angepriesen wird, weit überwiegt, und daß die Notwendigkeit meiner Handlungen aus reiner Achtung fürs praktische Gesetz dasjenige sei, was die Pflicht ausmacht, der jeder andere Bewegungsgrund weichen muß, weil sie die Bedingung eines an sich guten Willens ist, dessen Wert über alles geht. S.33-43 [...]
Aus: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Herausgegeben von Theodor Valentiner, Einleitung von Hans Ebeling Reclams Universalbibliothek Nr. 4507 © 1961, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart

Der Wille ist praktische Vernunft
Ein jedes Ding der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernünftiges Wesen hat das Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, d.i. nach Prinzipien, zu handeln, oder einen Willen. Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Vernunft erfordert wird, so ist der Wille nichts anders, als praktische Vernunft. Wenn die Vernunft den Willen unausbleiblich bestimmt, so sind die Handlungen eines solchen Wesens, die als objektiv notwendig erkannt werden, auch subjektiv notwendig, d.i. der Wille ist ein Vermögen, nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft, unabhängig von der Neigung, als praktisch notwendig, d.i. als gut erkennt. Bestimmt aber die Vernunft für sich allein den Willen nicht hinlänglich, ist dieser noch subjektiven Bedingungen (gewissen Triebfedern) unterworfen, die nicht immer mit den objektiven übereinstimmen; mit einem Worte, ist der Wille nicht an sich völlig der Vernunft gemäß (wie es bei Menschen wirklich ist): so sind die Handlungen, die objektiv als notwendig erkannt werden, subjektiv zufällig, und die Bestimmung eines solchen Willens, objektiven Gesetzen gemäß, ist Nötigung; d.i. das Verhältnis der objektiven Gesetze zu einem nicht durchaus guten Willen wird vorgestellt als die Bestimmung des Willens eines vernünftigen Wesens zwar durch Gründe der Vernunft, denen aber dieser Wille seiner Natur nach nicht notwendig folgsam ist. S. 56
Aus: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Herausgegeben von Theodor Valentiner, Einleitung von Hans Ebeling Reclams Universalbibliothek Nr. 4507 © 1961, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart

Begriff und Bedeutung von Imperativen

Die Formel des Gebots der Vernunft heißt Imperativ
Imperative drücken ein Sollen aus
Für den göttlichen oder heiligen Willen gelten keine Imperative
Imperative gebieten entweder hypothetisch oder kategorisch
Imperative der Geschicklichkeit
Der kategorische Imperativ ist der Imperativ der Sittlichkeit

Wie sind alle diese Imperative möglich?

Die Formel des Gebots der Vernunft heißt Imperativ
Die Vorstellung eines objektiven Prinzips, sofern es für einen Willen nötigend ist, heißt ein Gebot (der Vernunft) und die Formel des Gebots heißt IMPERATIV.Imperative drücken ein Sollen aus
Alle Imperative werden durch ein Sollen ausgedrückt, und zeigen dadurch das Verhältnis eines objektiven Gesetzes der Vernunft zu einem Willen an, der seiner subjektiven Beschaffenheit nach dadurch nicht notwendig bestimmt wird (eine Nötigung). Sie sagen, daß etwas zu tun oder zu unterlassen gut sein würde, allein sie sagen es einem Willen, der nicht immer darum etwas tut, weil ihm vorgestellt wird, daß es zu tun gut sei. Praktisch gut ist aber, was vermittelst der Vorstellungen der Vernunft, mithin nicht aus subjektiven Ursachen, sondern objektiv, d.i. aus Gründen, die für jedes vernünftige Wesen, als ein solches, gültig sind, den Willen bestimmt. Es wird vom Angenehmen unterschieden, als demjenigen, was nur vermittelst der Empfindung aus bloß subjektiven Ursachen, die nur für dieses oder jenes seinen Sinn gelten, und nicht als Prinzip der Vernunft, das für jedermann gilt, auf den Willen Einfluß hat.*
*Die Abhängigkeit des Begehrungsvermögens von Empfindungen heißt Neigung, und diese beweiset also jederzeit ein Bedürfnis. Die Abhängigkeit eines zufällig bestimmbaren Willens aber von Prinzipien der Vernunft heißt ein Interesse. Dieses findet also nur bei einem abhängigen Willen statt, der nicht von selbst jederzeit der Vernunft gemäß ist; beim göttlichen Willen kann man sich kein Interesse gedenken. Aber auch der menschliche Wille kann woran ein Interesse nehmen, ohne darum aus Interesse zu handeln. Das erste bedeutet das praktische Interesse an der Handlung, das zweite das pathologische Interesse am Gegenstande der Handlung. Das erste zeigt nur Abhängigkeit des Willens von Prinzipien der Vernunft an sich selbst, das zweite von den Prinzipien derselben zum Behuf der Neigung an, da nämlich die Vernunft nur die praktische Regel angibt, wie dem Bedürfnisse der Neigung abgeholfen werde. Im ersten Falle interessiert mich die Handlung, im zweiten der Gegenstand der Handlung (so fern er mir angenehm ist). Wir haben im ersten Abschnitte gesehen: daß bei einer Handlung aus Pflicht nicht auf das Interesse am Gegenstande, sondern bloß an der Handlung selbst und ihrem Prinzip in der Vernunft (dem Gesetz) gesehen werden müsse.

Für den göttlichen oder heiligen Willen gelten keine Imperative
Ein vollkommen guter Wille würde also eben sowohl unter objektiven Gesetzen (des Guten) stehen, aber nicht dadurch als zu gesetzmäßigen Handlungen genötigt vorgestellt werden können, weil er von selbst, nach seiner subjektiven Beschaffenheit, nur durch die Vorstellung des Guten bestimmt werden kann. Daher gelten für den göttlichen und überhaupt für einen heiligen Willen keine Imperativen; das Sollen ist hier am unrechten Orte, weil das Wollen schon von selbst mit dem Gesetz notwendig einstimmig ist. Daher sind Imperativen nur Formeln, das Verhältnis objektiver Gesetze des Wollens überhaupt zu der subjektiven Unvollkommenheit des Willens dieses oder jenes vernünftigen Wesens, z.B. des menschlichen Willens, auszudrücken.Imperative gebieten entweder hypothetisch oder kategorisch
Alle Imperative nun gebieten entweder hypothetisch, oder kategorisch. Jene stellen die praktische Notwendigkeit einer möglichen Handlung als Mittel, zu etwas anderem, was man will (oder doch möglich ist, daß man es wolle), zu gelangen, vor. Der kategorische Imperativ würde der sein, welcher eine Handlung als für sich selbst, ohne Beziehung auf einen andern Zweck, als objektiv-notwendig vorstellte.

Weil jedes praktische Gesetz eine mögliche Handlung als gut und darum, für ein durch Vernunft praktisch bestimmbares Subjekt, als notwendig vorstellt, so sind alle Imperativen Formeln der Bestimmung der Handlung, die nach dem Prinzip eines in irgend einer Art guten Willens notwendig ist. Wenn nun die Handlung bloß wozu anderes, als Mittel, gut sein würde, so ist der Imperativ hypothetisch; wird sie als an sich gut vorgestellt, mithin als notwendig in einem an sich der Vernunft gemäßen Willen, als Prinzip desselben, so ist er kategorisch.

Der Imperativ sagt also, welche durch mich mögliche Handlung gut wäre, und stellt die praktische Regel in Verhältnis auf einen Willen vor, der darum nicht sofort eine Handlung tut, weil sie gut ist, teils weil das Subjekt nicht immer weiß, daß sie gut sei, teils weil, wenn es dieses auch wüßte, die Maximen desselben doch den objektiven Prinzipien einer praktischen Vernunft zuwider sein könnten.

Der hypothetische Imperativ sagt also nur, daß die Handlung zu irgend einer möglichen oder wirklichen Absicht gut sei. Im erstern Falle ist er ein PROBLEMATISCH-, im zweiten ASSERTORISCH-praktisches Prinzip. Der kategorische Imperativ, der die Handlung ohne Beziehung auf irgend eine Absicht, d.i. auch ohne irgend einen andern Zweck für sich als objektiv notwendig erklärt, gilt als ein APODIKTISCH-praktisches Prinzip.Imperative der Geschicklichkeit
Man kann sich das, was nur durch Kräfte irgend eines vernünftigen Wesens möglich ist, auch für irgend einen Willen als mögliche Absicht denken, und daher sind der Prinzipien der Handlung, so fern diese als notwendig vorgestellt wird, um irgend eine dadurch zu bewirkende mögliche Absicht zu erreichen, in der Tat unendlich viel. Alle Wissenschaften haben irgend einen praktischen Teil, der aus Aufgaben besteht, daß irgend ein Zweck für uns möglich sei, und aus Imperativen, wie er erreicht werden könne. Diese können daher überhaupt Imperative der Geschicklichkeit heißen. Ob der Zweck vernünftig und gut sei, davon ist hier gar nicht die Frage, sondern nur, was man tun müsse, um ihn zu erreichen. Die Vorschriften für den Arzt, um seinen Mann auf gründliche Art gesund zu machen, und für einen Giftmischer, um ihn sicher zu töten, sind in so fern von gleichem Wert, als eine jede dazu dient, ihre Absicht vollkommen zu bewirken. Weil man in der frühen Jugend nicht weiß, welche Zwecke uns im Leben aufstoßen dürften, so suchen Eltern vornehmlich ihre Kinderrecht vielerlei lernen zu lassen, und sorgen für die Geschicklichkeit im Gebrauch der Mittel zu allerlei beliebigen Zwecken, von deren keinem sie bestimmen können, ob er nicht etwa wirklich künftig eine Absicht ihres Zöglings werden könne, wovon es indessen doch möglich ist, daß er sie einmal haben möchte, und diese Sorgfalt ist so groß, daß sie darüber gemeiniglich verabsäumen, ihnen das Urteil über den Wert der Dinge, die sie sich etwa zu Zwecken machen möchten, zu bilden und zu berichtigen.

Es ist gleichwohl ein Zweck, den man bei allen vernünftigen Wesen (so fern Imperative auf sie, nämlich als abhängige Wesen, passen) als wirklich voraussetzen kann, und also eine Absicht, die sie nicht etwa bloß haben können, sondern von der man sicher voraussetzen kann, daß sie solche insgesamt nach einer Naturnotwendigkeit haben, und das ist die Absicht auf Glückseligkeit. Der hypothetische Imperativ, der die praktische Notwendigkeit der Handlung, als Mittel zur Beförderung der Glückseligkeit, vorstellt, ist assertorisch. Man darf ihn nicht bloß als notwendig, zu einer Ungewissen, bloß möglichen Absicht, vortragen, sondern zu einer Absicht, die man sicher und a priori bei jedem Menschen voraussetzen kann, weil sie zu seinem Wesen gehört. Nun kann man die Geschicklichkeit in der Wahl der Mittel zu seinem eigenen größten Wohlsein Klugheit* im engsten Verstande nennen. Also ist der Imperativ, der sich auf die Wahl der Mittel zur eigenen Glückseligkeit bezieht, d.i. die Vorschrift der Klugheit, noch immer hypothetisch; die Handlung wird nicht schlechthin, sondern nur als Mittel zu einer andern Absicht geboten.
*Das Wort Klugheit wird in zwiefachem Sinn genommen, einmal kann es den Namen Weltklugheit, im zweiten den der Privatklugheit führen. Die erste ist die Geschicklichkeit eines Menschen, auf andere Einfluß zu haben, um sie zu seinen Absichten zu gebrauchen. Die zweite die Einsicht, alle diese Absichten zu seinem eigenen daurenden Vorteil zu vereinigen. Die letztere ist eigentlich diejenige, worauf selbst der Wert der erstern zurückgeführt wird, und wer in der erstern Art klug ist, nicht aber in der zweiten, von dem könnte man besser sagen: er ist gescheut und verschlagen, im ganzen aber doch unklug.

Der kategorische Imperativ ist der Imperativ der Sittlichkeit
Endlich gibt es einen Imperativ, der, ohne irgend eine andere durch ein gewisses Verhalten zu erreichende Absicht als Bedingung zum Grunde zu legen, dieses Verhalten unmittelbar gebietet. Dieser Imperativ ist kategorisch. Er betrifft nicht die Materie der Handlung und das, was aus ihr erfolgen soll, sondern die Form und das Prinzip, woraus sie selbst folgt, und das Wesentlich-Gute derselben besteht in der Gesinnung, der Erfolg mag sein, welcher er wolle. Dieser Imperativ mag der der Sittlichkeit heißen.

Das Wollen nach diesen dreierlei Prinzipien wird auch durch die Ungleichheit der Nötigung des Willens deutlich unterschieden. Um diese nun auch merklich zu machen, glaube ich, daß man sie in ihrer Ordnung am angemessensten so benennen würde, wenn man sagte: sie wären entweder Regeln der Geschicklichkeit, oder Ratschläge der Klugheit, oder Gebote (Gesetze) der Sittlichkeit. Denn nur das Gesetz führt den Begriff einer unbedingten und zwar objektiven und mithin allgemein gültigen Notwendigkeit bei sich, und Gebote sind Gesetze, denen gehorcht, d.i. auch wider Neigung Folge geleistet werden muß. Die Ratgebung enthält zwar Notwendigkeit, die aber bloß unter subjektiver gefälliger Bedingung, ob dieser oder jener Mensch dieses oder jenes zu seiner Glückseligkeit zähle, gelten kann; dagegen der kategorische Imperativ durch keine Bedingung eingeschränkt wird, und als absolut- obgleich praktisch-notwendig ganz eigentlich ein Gebot heißen kann. Man könnte die ersteren Imperative auch technisch (zur Kunst gehörig),die zweiten pragmatisch* (zur Wohlfahrt), die dritten moralisch (zum freien Verhalten überhaupt, d.i. zu den Sitten gehörig) nennen.
*Mich deucht, die eigentliche Bedeutung des Worts pragmatisch könne so am genauesten bestimmt werden. Denn pragmatisch werden die Sanktionen genannt, welche eigentlich nicht aus dem Rechte der Staaten, als notwendige Gesetze, sondern aus der Vorsorge für die allgemeine Wohlfahrt fließen. Pragmatisch ist eine Geschichte abgefaßt, wenn sie klug macht, d.i. die Welt belehrt, wie sie ihren Vorteil besser, oder wenigstens eben so gut, als die Vorwelt, besorgen könne.

Wie sind alle diese Imperative möglich?
Nun entsteht die Frage: wie sind alle diese Imperative möglich? Diese Frage verlangt nicht zu wissen, wie die Vollziehung der Handlung, welche der Imperativ gebietet, sondern wie bloß die Nötigung des Willens, die der Imperativ in der Aufgabe ausdrückt, gedacht werden könne. Wie ein Imperativ der Geschicklichkeit möglich sei, bedarf wohl keiner besondern Erörterung. Wer den Zweck will, will (so fern die Vernunft auf seine Handlungen entscheidenden Einfluß hat) auch das dazu unentbehrlich notwendige Mittel, das in seiner Gewalt ist. Dieser Satz ist, was das Wollen betrifft, analytisch; denn in dem Wollen eines Objekts, als meiner Wirkung, wird schon meine Kausalität, als handelnder Ursache, d.i. der Gebrauch der Mittel, gedacht, und der Imperativ zieht den Begriff notwendiger Handlungen zu diesem Zwecke schon aus dem Begriff eines Wollens dieses Zwecks heraus (die Mittel selbst zu einer vorgesetzten Absicht zu bestimmen, dazu gehören allerdings synthetische Sätze, die aber nicht den Grund betreffen, den Aktus des Willens, sondern das Objekt wirklich zu machen). Daß, um eine Linie nach einem sichern Prinzip in zwei gleiche Teile zu teilen, ich aus den Enden derselben zwei Kreuzbogen machen müsse, das lehrt die Mathematik freilich nur durch synthetische Sätze; aber daß, wenn ich weiß, durch solche Handlung allein könne die gedachte Wirkung geschehen, ich, wenn ich die Wirkung vollständig will, auch die Handlung wolle, die dazu erforderlich ist, ist ein analytischer Satz; denn etwas als eine auf gewisse Artdurch mich mögliche Wirkung, und mich, in Ansehung ihrer, auf dieselbe Art handelnd vorstellen, ist ganz einerlei.

Die Imperativen der Klugheit würden, wenn es nur so leicht wäre, einen bestimmten Begriff von Glückseligkeit zu geben, mit denen der Geschicklichkeit ganz und gar übereinkommen und eben sowohl analytisch sein. Denn es würde eben sowohl hier, als dort, heißen: wer den Zweck will, will auch (der Vernunft gemäß notwendig) die einzigen Mittel, die dazu in seiner Gewalt sind. Allein es ist ein Unglück, daß der Begriff der Glückseligkeit ein so unbestimmter Begriff ist, daß, obgleich jeder Mensch zu dieser zu gelangen wünscht, er doch niemals bestimmt und mit sich selbst einstimmig sagen kann, was er eigentlich wünsche und wolle. Die Ursache davon ist: daß alle Elemente, die zum Begriff der Glückseligkeit gehören, insgesamt empirisch sind, d.i. aus der Erfahrung müssen entlehnt werden, daß gleichwohl zur Idee der Glückseligkeit ein absolutes Ganze, ein Maximum des Wohlbefindens, in meinem gegenwärtigen und jedem zukünftigen Zustande erforderlich ist.

Nun ist's unmöglich, daß das einsehendste und zugleich allervermögendste, aber doch endliche Wesen sich einen bestimmten Begriff von dem mache, was er hier eigentlich wolle. Will er Reichtum, wie viel Sorge, Neid und Nachstellung könnte er sich dadurch nicht auf den Hals ziehen. Will er viel Erkenntnis und Einsicht, vielleicht könnte das ein nur um desto schärferes Auge werden, um die Übel, die sich für ihn jetzt noch verbergen und doch nicht vermieden werden können, ihm nur um desto schrecklicher zu zeigen, oder seinen Begierden, die ihm schon genug zu schaffen machen, noch mehr Bedürfnisse aufzubürden. Will er ein langes Leben, wer steht ihm dafür, daß es nicht ein langes Elend sein würde? Will er wenigstens Gesundheit, wie oft hat noch Ungemächlichkeit des Körpers von Ausschweifung abgehalten, darein unbeschränkte Gesundheit würde haben fallen lassen, u.s.w.

Kurz, er ist nicht vermögend, nach irgend einem Grundsatze, mit völliger Gewißheit zu bestimmen, was ihn wahrhaftig glücklich machen werde, darum, weil hiezu Allwissenheit erforderlich sein würde. Man kann also nicht nach bestimmten Prinzipien handeln, um glücklich zu sein, sondern nur nach empirischen Ratschlägen, z.B. der Diät, der Sparsamkeit, der Höflichkeit, der Zurückhaltung u.s.w., von welchen die Erfahrung lehrt, daß sie das Wohlbefinden im Durchschnitt am meisten befördern. Hieraus folgt, daß die Imperativen der Klugheit, genau zu reden, gar nicht gebieten, d.i. Handlungen objektiv als praktisch-notwendig darstellen können, daß sie eher für Anratungen (consilia) als Gebote (praecepta) der Vernunft zu halten sind, daß die Aufgabe: sicher und allgemein zu bestimmen, welche Handlung die Glückseligkeit eines vernünftigen Wesens befördern werde, völlig unauflöslich, mithin kein Imperativ in Ansehung derselben möglich sei, der im strengen Verstande geböte, das zu tun, was glücklich macht, weil Glückseligkeit nicht ein Ideal der Vernunft, sondern der Einbildungskraft ist, was bloß auf empirischen Gründen beruht, von denen man vergeblich erwartet, daß sie eine Handlung bestimmen sollten, dadurch dieTotalität einer in der Tat unendlichen Reihe von Folgen erreicht würde.

Dieser Imperativ der Klugheit würde indessen, wenn man annimmt, die Mittel zur Glückseligkeit ließen sich sicher angeben, ein analytisch-praktischer Satz sein; denn er ist von dem Imperativ der Geschicklichkeit nur darin unterschieden, daß bei diesem der Zweck bloß möglich, bei jenem aber gegeben ist; da beide aber bloß die Mittel zu demjenigen gebieten, von dem man voraussetzt, daß man es als Zweck wollte: so ist der Imperativ, der das Wollen der Mittel für den, der den Zweck will, gebietet, in beiden Fällen analytisch. Es ist also in Ansehung der Möglichkeit eines solchen Imperativs auchkeine Schwierigkeit.

Dagegen, wie der Imperativ der Sittlichkeit möglich sei, ist ohne Zweifel die einzige einer Auflösung bedürftige Frage, da er gar nicht hypothetisch ist und also die objektiv vorgestellte Notwendigkeit sich auf keine Voraussetzung stützen kann, wie bei den hypothetischen Imperativen. Nur ist immer hiebei nicht aus der Acht zu lassen, daß es durch kein Beispiel, mithin empirisch auszumachen sei, ob es überall irgend einen dergleichen Imperativ gebe, sondern zu besorgen, daß alle, die kategorisch scheinen, doch versteckter Weise hypothetisch sein mögen. Z.B. wenn es heißt: du sollst nichts betrüglich versprechen; und man nimmt an, daß die Notwendigkeit dieser Unterlassung nicht etwa bloße Ratgebung zu Vermeidung irgend eines andern Übels sei, so daß es etwa hieße: du sollst nicht lügenhaft versprechen, damit du nicht, wenn es offenbar wird, dich um den Kredit bringest; sondern eine Handlung dieser Art müsse für sich selbst als böse betrachtet werden, der Imperativ des Verbots sei also kategorisch: so kann man doch in keinem Beispiel mit Gewißheit dartun, daß der Wille hier ohne andere Triebfeder, bloß durchs Gesetz, bestimmt werde, ob es gleich so scheint; denn es ist immer möglich, daß ingeheim Furcht für Beschämung, vielleicht auch dunkle Besorgnis anderer Gefahren, Einfluß auf den Willen haben möge. Wer kann das Nichtsein einer Ursache durch Erfahrung beweisen, da diese nichts weiter lehrt, als daß wir jene nicht wahrnehmen? Auf solchen Fall aber würde der sogenannte moralische Imperativ, der als ein solcher kategorisch und unbedingt erscheint, in der Tat nur eine pragmatische Vorschrift sein, die uns auf unsern Vorteil aufmerksam macht, und uns bloß lehrt, diesen Acht zu nehmen.

Wir werden also die Möglichkeit eines kategorischen Imperativs gänzlich a priori zu untersuchen haben, da uns hier der Vorteil nicht zu statten kommt, daß die Wirklichkeit desselben in der Erfahrung gegeben, und also die Möglichkeit nicht zur Festsetzung, sondern bloß zur Erklärung nötig wäre. So viel ist in-dessen vorläufig einzusehen: daß der kategorische Imperativ allein als ein praktisches Gesetz laute, die übrigen insgesamt zwar Prinzipien des Willens, aber nicht Gesetze heißen können; weil, was bloß zur Erreichung einer beliebigen Absicht zu tun notwendig ist, an sich als zufällig betrachtet werden kann, und wir von der Vorschrift jederzeit los sein können, wenn wir die Absicht aufgeben, dahingegen das unbedingte Gebot dem Willen kein Belieben in Ansehung des Gegenteils frei läßt, mithin allein diejenige Notwendigkeit bei sich führt, welche wir zum Gesetze verlangen.

Zweitens ist bei diesem kategorischen Imperativ oder Gesetze der Sittlichkeit der Grund der Schwierigkeit (die Möglichkeit desselben einzusehen) auch sehr groß. Er ist ein synthetisch-praktischer Satz a priori, und da die Möglichkeit der Sätze dieser Art einzusehen so viel Schwierigkeit im theoretischen Erkenntnisse hat, so läßt sich leicht abnehmen, daß sie im praktischen nicht weniger haben werde.

Bei dieser Aufgabe wollen wir zuerst versuchen, ob nicht vielleicht der bloße Begriff eines kategorischen Imperativs auch die Formel desselben an die Hand gebe, die den Satz enthält, der allein ein kategorischer Imperativ sein kann; denn wie ein solches absolutes Gebot möglich sei, wenn wir auch gleich wissen, wie es lautet, wird noch besondere und schwere Bemühung erfordern, die wir aber zum letzten Abschnitte aussetzen.

Wenn ich mir einen hypothetischen Imperativ überhaupt denke, so weiß ich nicht zum voraus, was er enthalten werde: bis mir die Bedingung gegeben ist. Denke ich mir aber einen kategorischen Imperativ, so weiß ich sofort, was er enthalte. Denn da der Imperativ außer dem Gesetze nur die Notwendigkeit der Maxime enthält, diesem Gesetze gemäß zu sein, das Gesetz aber keine Bedingung enthält, auf die es eingeschränkt war, so bleibt nichts, als die Allgemeinheit eines Gesetzes überhaupt übrig, welchem die Maxime der Handlung gemäß sein soll, und welche Gemäßheit allein den Imperativ eigentlich als notwendig vorstellt.
Aus: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Herausgegeben von Theodor Valentiner, Einleitung von Hans Ebeling Reclams Universalbibliothek Nr. 4507 © 1961, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart

Der kategorische Imperativ

Definition
Beispiele für Pfichten nach dem Kategorischen Imperativ
Herleitung und Begründung des praktischen Imperativs
Der praktische Imperativ
 

Definition
Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger, und zwar dieser:

handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.


Wenn nun aus diesem einigen Imperativ alle Imperativen der Pflicht, als aus ihrem Prinzip, abgeleitet werden können, so werden wir, ob wir es gleich unausgemacht lassen, ob nicht überhaupt das, was man Pflicht nennt, ein leerer Begriff sei, doch wenigstens anzeigen können, was wir dadurch denken und was dieser Begriff sagen wolle.

Weil die Allgemeinheit des Gesetzes, wonach Wirkungen geschehen, dasjenige ausmacht, was eigentlich Natur im allgemeinsten Verstande (der Form nach), d.i. das Dasein der Dinge, heißt, so fern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist, so könnte der allgemeine Imperativ der Pflicht auch so lauten:

handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum ALLGEMEINEN NATURGESETZE werden sollte.
Beispiele für Pflichten, die sich aus dem Kategorischen Imperativ ergeben
Nun wollen wir einige Pflichten herzählen, nach der gewöhnlichen Einteilung derselben, in Pflichten gegen uns selbst und gegen andere Menschen, in vollkommene und unvollkommene Pflichten.*
*Man muß hier wohl merken, daß ich die Einteilung der Pflichten für eine künftige Metaphysik der Sitten mir gänzlich vorbehalte, diese hier also nur als beliebig (um meine Beispiele zu ordnen) dastehe. Übrigens verstehe ich hier unter einer vollkommenen Pflicht diejenige, die keine Ausnahme zum Vorteil der Neigung verstattet, und da habe ich nicht bloß äußere, sondern auch innere vollkommene Pflichten, welches dem in Schulen angenommenen Wortgebrauch zuwider läuft, ich aber hier nicht zu verantworten gemeinet bin, weil es zu meiner Absicht einerlei ist, ob man es mir einräumt, oder nicht.

1) Einer, der durch eine Reihe von Übeln, die bis zur Hoffnungslosigkeit angewachsen ist, einen Überdruß am Leben empfindet, ist noch so weit im Besitze seiner Vernunft, daß er sich selbst fragen kann, ob es auch nicht etwa der Pflicht gegen sich selbst zuwider sei, sich das Leben zu nehmen. Nun versucht er: ob die Maxime seiner Handlung wohl ein allgemeines Naturgesetz werden könne. Seine Maxime aber ist: ich mache es mir aus Selbstliebe zum Prinzip, wenn das Leben bei seiner langem Frist mehr Übel droht, als es Annehmlichkeit verspricht, es mir abzukürzen. Es frägt sich nur noch, ob dieses Prinzip der Selbstliebe ein allgemeines Naturgesetz werden könne. Da sieht man aber bald, daß eine Natur, deren Gesetz es wäre, durch dieselbe Empfindung, deren Bestimmung es ist, zur Beförderung des Lebens anzutreiben, das Leben selbst zu zerstören, ihr selbst widersprechen und also nicht als Natur bestehen würde, mithin jene Maxime unmöglich als allgemeines Naturgesetz stattfinden könne, und folglich dem obersten Prinzip aller Pflicht gänzlich widerstreite.

2) Ein anderer sieht sich durch Not gedrungen, Geld zu borgen. Er weiß wohl, daß er nicht wird bezahlen können, sieht aber auch, daß ihm nichts geliehen werden wird, wenn er nicht festiglich verspricht, es zu einer bestimmten Zeit zu bezahlen. Er hat Lust, ein solches Versprechen zu tun; noch aber hat er so viel Gewissen, sich zu fragen: ist es nicht unerlaubt und pflichtwidrig, sich auf solche Art aus Not zu helfen? Gesetzt, er beschlösse es doch, so würde seine Maxime der Handlung so lauten: wenn ich mich in Geldnot zu sein glaube, so will ich Geld borgen, und versprechen, es zu bezahlen, ob ich gleich weiß, es werde niemals geschehen. Nun ist dieses Prinzip der Selbstliebe, oder der eigenen Zuträglichkeit, mit meinem ganzen künftigen Wohlbefinden vielleicht wohl zu vereinigen, allein jetzt ist die Frage: ob es recht sei? Ich verwandle also die Zumutung der Selbstliebe in ein allgemeines Gesetz, und richte die Frage so ein: wie es dann stehen würde, wenn meine Maxime ein allgemeines Gesetz würde. Da sehe ich nun sogleich, daß sie niemals als allgemeines Natur-gesetz gelten und mit sich selbst zusammenstimmen könne, sondern sich notwendig widersprechen müsse. Denn die Allgemeinheit eines Gesetzes, daß jeder, nachdem er in Not zu sein glaubt, versprechen könne, was ihm einfällt, mit dem Vorsatz, es nicht zu halten, würde das Versprechen und den Zweck, den man damit haben mag, selbst unmöglich machen, indem niemand glauben würde, daß ihm was versprochen sei, sondern über alle solche Äußerung, als eitles Vorgeben, lachen würde.

3) Ein dritter findet in sich ein Talent, welches vermittelst einiger Kultur ihn zu einem in allerlei Absicht brauchbaren Menschen machen könnte. Er sieht sich aber in bequemen Umständen, und zieht vor, lieber dem Vergnügen nachzuhängen, als sich mit Erweiterung und Verbesserung seiner glücklichen Naturanlagen zu bemühen. Noch frägt er aber: ob, außer der Übereinstimmung, die seine Maxime der Verwahrlosung seiner Naturgaben mit seinem Hange zur Ergötzlichkeit an sich hat, sie auch mit dem, was man Pflicht nennt, übereinstimme. Da sieht er nun, daß zwar eine Natur nach einem solchen allgemeinen Gesetze immer noch bestehen könne, obgleich der Mensch (so wie die Südsee-Einwohner) sein Talent rosten ließe, und sein Leben bloß auf Müßiggang, Ergötzlichkeit, Fortpflanzung, mit einem Wort, auf Genuß zu verwenden bedacht wäre; allein er kann unmöglich wollen, daß dieses ein allgemeines Naturgesetz werde, oder als ein solches in uns durch Naturinstinkt gelegt sei. Denn als ein vernünftiges Wesen will er notwendig, daß alle Vermögen in ihm entwickelt werden, weil sie ihm doch zu allerlei möglichen Absichten dienlich und gegeben sind.

4) Noch denkt ein vierter, dem es wohl geht, indessen er sieht, daß andere mit großen Mühseligkeiten zu kämpfen haben (denen er auch wohl helfen könnte): was geht's mich an? mag doch ein jeder so glücklich sein, als es der Himmel will, oder er sich selbst machen kann, ich werde ihm nichts entziehen, ja nicht einmal beneiden; nur zu seinem Wohlbefinden, oder seinem Beistande in der Not, habe ich nicht Lust, etwas beizutragen! Nun könnte allerdings, wenn eine solche Denkungsart ein allgemeines Naturgesetz würde, das menschliche Geschlecht gar wohl bestehen, und ohne Zweifel noch besser, als wenn jedermann Von Teilnehmung und Wohlwollen schwatzt, auch sich beeifert, gelegentlich dergleichen auszuüben, dagegen aber auch, wo er nur kann, betrügt, das Recht der Menschen verkauft, oder ihm sonst Abbruch tut. Aber, obgleich es möglich ist, daß nach jener Maxime ein allgemeines Naturgesetz wohl bestehen könnte: so ist es doch unmöglich, zu wollen,daß ein solches Prinzip als Naturgesetz allenthalben gelte. Denn ein Wille, der dieses beschlösse, würde sich selbst widerstreiten, indem der Fälle sich doch manche ereignen können, wo er anderer Liebe und Teilnehmung bedarf, und wo er, durch ein solches ausseinem eigenen Willen entsprungenes Naturgesetz, sich selbst alle Hoffnung des Beistandes, den er sich wünscht, rauben würde.

Dieses sind nun einige von den vielen wirklichen oder wenigstens von uns dafür gehaltenen Pflichten, deren Abteilung aus dem einigen angeführten Prinzip klar in die Augen fällt. Man muß wollen können, daß eine Maxime unserer Handlung ein allgemeines Gesetz werde: dies ist der Kanon der moralischen Beurteilung derselben überhaupt. Einige Handlungen sind so beschaffen, daß ihre Maxime ohne Widerspruch nicht einmal als allgemeines Naturgesetz gedacht werden kann; weit gefehlt, daß man noch wollen könne, es sollte ein solches werden. Bei andern ist zwar jene innere Unmöglichkeit nicht anzutreffen, aber es ist doch unmöglich, zu wollen, daß ihre Maxime zur Allgemeinheit eines Naturgesetzes erhoben werde, weil ein solcher Wille sich selbst widersprechen würde. Man sieht leicht: daß die erstere der strengen oder engeren (unnachläßlichen) Pflicht, die zweite nur der weiteren (verdienstlichen) Pflicht widerstreite, und so alle Pflichten, was die Art der Verbindlichkeit (nicht das Objekt ihrer Handlung) betrifft, durch diese Beispiele in ihrer Abhängigkeit von dem einigen Prinzip vollständig aufgestellt worden. S. 56-72 [...]
Aus: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Herausgegeben von Theodor Valentiner, Einleitung von Hans Ebeling Reclams Universalbibliothek Nr. 4507 © 1961, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Herleitung und Begründung des praktischen Imperativs
Der Wille wird als ein Vermögen gedacht, der Vorstellung gewisser Gesetze gemäß sich selbst zum Handeln zu bestimmen. Und ein solches Vermögen kann nur in vernünftigen Wesen anzutreffen sein. Nun ist das, was dem Willen zum objektiven Grunde seiner Selbstbestimmung dient, der Zweck, und dieser, wenn er durch bloße Vernunft gegeben wird, muß für alle vernünftige Wesen gleich gelten. Was dagegen bloß den Grund der Möglichkeit der Handlung enthält, deren Wirkung Zweck ist, heißt das Mittel. Der subjektive Grund des Begehrens ist die Triebfeder, der objektive des Wollens der Bewegungsgrund; daher der Unterschied zwischen subjektiven Zwecken,die auf Triebfedern beruhen, und objektiven, die auf Bewegungsgründe ankommen, welche für jedes vernünftige Wesen gelten. Praktische Prinzipien sind formal, wenn sie von allen subjektiven Zwecken abstrahieren; sie sind aber material, wenn sie diese, mithin gewisse Triebfedern, zum Grunde legen. Die Zwecke, die sich ein vernünftiges Wesen als Wirkungen seiner Handlung nach Belieben vorsetzt (materiale Zwecke), sind insgesamt nur relativ; denn nur bloß ihr Verhältnis auf ein besonders geartetes Begehrungsvermögen des Subjekts gibt ihnen den Wert, der daher keine allgemeine für alle vernünftige Wesen, und auch nicht für jedes Wollen gültige und notwendige Prinzipien, d.i. praktische Gesetze, an die Hand geben kann. Daher sind alle diese relative Zwecke nur der Grund von hypothetischen Imperativen.

Gesetzt aber, es gäbe etwas, dessen Dasein an sich selbst einen absoluten Wert hat, was, als Zweck an sich selbst, ein Grund bestimmter Gesetze sein könnte, so würde in ihm, und nur in ihm allein, der Grund eines möglichen kategorischen Imperativs, d.i. praktischen Gesetzes, liegen.

Nun sage ich: der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen, sondern muß in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden. Alle Gegenstände der Neigungen haben nur einen bedingten Wert; denn, wenn die Neigungen und darauf gegründete Bedürfnisse nicht wären, so würde ihr Gegenstand ohne Wert sein. Die Neigungen selber aber, als Quellen der Bedürfnis, haben so wenig einen absoluten Wert, um sie selbst zu wünschen, daß vielmehr, gänzlich davon frei zu sein, der allgemeine Wunsch eines jeden vernünftigen Wesens sein muß. Also ist der Wert aller durch unsere Handlung zu erwerbenden Gegenstände jederzeit bedingt. Die Wesen, deren Dasein zwar nicht auf unserm Willen, sondern der Natur beruht, haben dennoch, wenn sie vernunftlose Wesen sind, nur einen relativen Wert, als Mittel, und heißen daher Sachen, dagegen vernünftige Wesen Personen genannt werden, weil ihre Natur sie schon als Zwecke an sich selbst, d.i. als etwas, das nicht bloß als Mittel gebraucht werden darf, auszeichnet, mithin so fern alle Willkür einschränkt (und ein Gegenstand der Achtung ist). Dies sind also nicht bloß subjektive Zwecke, deren Existenz, als Wirkung unserer Handlung, für uns einen Wert hat; sondern objektive Zwecke, d.i. Dinge, deren Dasein an sich selbst Zweck ist, und zwar einen solchen, an dessen Statt kein anderer Zweck gesetzt werden kann, dem sie bloß als Mittel zu Diensten stehen sollten, weil ohne dieses überall gar nichts von absolutem Werte würde angetroffen werden; wenn aber aller Wert bedingt, mithin zufällig wäre, so könnte für die Vernunft überall kein oberstes praktisches Prinzip angetroffen werden.Der praktische Imperativ
Wenn es denn also ein oberstes praktisches Prinzip, und, in Ansehung des menschlichen Willens, einen kategorischen Imperativ geben soll, so muß es ein solches sein, das aus der Vorstellung dessen, was notwendig für jedermann Zweck ist, weil es Zweck an sich selbst ist, ein objektives Prinzip des Willens ausmacht, mithin zum allgemeinen praktischen Gesetz dienen kann. Der Grund dieses Prinzips ist: die vernünftige Natur existiert als Zweck an sich selbst. So stellt sich notwendig der Mensch sein eignes Dasein vor; so fern ist es also ein subjektives Prinzip menschlicher Handlungen. So stellt sich aber auch jedes andere vernünftige Wesen sein Dasein, zufolge eben desselben Vernunftgrundes, der auch für mich gilt, vor; also ist es zugleich ein objektives Prinzip,woraus, als einem obersten praktischen Grunde, alle Gesetze des Willens müssen abgeleitet werden können. Der praktische Imperativ wird also folgender sein:

Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.
S.77-79
Aus: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Herausgegeben von Theodor Valentiner, Einleitung von Hans Ebeling Reclams Universalbibliothek Nr. 4507 © 1961, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Begründung und Herleitung der Willensfreiheit
Der Begriff der Freiheit ist der Schlüssel zur Erklärung der Autonomie des Willens
Der Wille ist eine Art von Kausalität lebender Wesen, so fern sie vernünftig sind, und Freiheit würde diejenige Eigenschaft dieser Kausalität sein, da sie unabhängig von fremden sie bestimmenden Ursachen wirkend sein kann; so wie Naturnotwendigkeit die Eigenschaft der Kausalität aller vernunftlosen Wesen, durch den Einfluß fremder Ursachen zur Tätigkeit bestimmt zu werden.

Die angeführte Erklärung der Freiheit ist negativ, und daher, um ihr Wesen einzusehen, unfruchtbar; allein es fließt aus ihr ein positiver Begriff derselben, der desto reichhaltiger und fruchtbarer ist. Da der Begriff einer Kausalität den von Gesetzen bei sich führt, nach welchen durch etwas, was wir Ursache nennen, etwas anderes, nämlich die Folge, gesetzt werden muß: so ist die Freiheit, ob sie zwar nicht eine Eigenschaft des Willens nach Naturgesetzen ist, darum doch nicht gar gesetzlos, sondern muß vielmehr eine Kausalität nach unwandelbaren Gesetzen, aber von besonderer Art, sein; denn sonst wäre ein freier Wille ein Unding. Die Naturnotwendigkeit war eine Heteronomie der wirkenden Ursachen; denn jede Wirkung war nur nach dem Gesetze möglich, daß etwas anderes die wirkende Ursache zur Kausalität bestimmte; was kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein, als Autonomie, d.i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein? Der Satz aber: der Wille ist in allen Handlungen sich selbst ein Gesetz, bezeichnet nur das Prinzip, nach keiner anderen Maxime zu handeln, als die sich selbst auch als ein allgemeines Gesetz zum Gegenstande haben kann. Dies ist aber gerade die Formel des kategorischen Imperativs und das Prinzip der Sittlichkeit: also ist ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei.

Wenn also Freiheit des Willens vorausgesetzt wird, so folgt die Sittlichkeit samt ihrem Prinzip daraus, durch bloße Zergliederung ihres Begriffs. Indessen ist das letztere doch immer ein synthetischer Satz: ein schlechterdings guter Wille ist derjenige, dessen Maxime jederzeit sich selbst, als allgemeines Gesetz betrachtet, in sich enthalten kann; denn durch Zergliederung des Begriffs von einem schlechthin guten Willen kann jene Eigenschaft der Maxime nicht gefunden werden. Solche synthetische Sätze sind aber nur dadurch möglich, daß beide Erkenntnisse durch die Verknüpfung mit einem dritten, darin sie beiderseits anzutreffen sind, unter einander verbunden werden. Der positive Begriff der Freiheit schafft dieses dritte, welches nicht, wie bei den physischen Ursachen, die Natur der Sinnenwelt sein kann (in deren Begriff die Begriffe von etwas als Ursache, in Verhältnis auf etwas anderes als Wirkung, zusammenkommen). Was dieses dritte sei, worauf uns die Freiheit weist, und von dem wir a priori eine Idee haben, läßt sich hier sofort noch nicht anzeigen, und die Deduktion des Begriffs der Freiheit aus der reinen praktischen Vernunft, mit ihr auch die Möglichkeit eines kategorischen Imperativs, begreiflich machen, sondern bedarf noch einiger Vorbereitung.

Freiheit muß als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden
Es ist nicht genug, daß wir unserem Willen, es sei aus welchem Grunde, Freiheit zuschreiben, wenn wir nicht ebendieselbe auch allen vernünftigen Wesen beizulegen hinreichenden Grund haben. Denn da Sittlichkeit für uns bloß als für vernünftige Wesen zum Gesetze dient, so muß sie auch für alle vernünftige Wesen gelten, und da sie lediglich aus der Eigenschaft der Freiheit abgeleitet werden muß, so muß auch Freiheit als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen bewiesen werden, und es ist nicht genug, sie aus gewissen vermeintlichen Erfahrungen von der menschlichen Natur darzutun (wiewohl dieses auch schlechterdings unmöglich ist und lediglich a priori dargetan werden kann), sondern man muß sie als zur Tätigkeit vernünftiger und mit einem Willen begabter Wesen überhaupt beweisen. Ich sage nun: Ein jedes Wesen, das nicht anders als unter der Idee der Freiheit handeln kann, ist eben darum, in praktischer Rücksicht, wirklich frei, d.i. es gelten für dasselbe alle Gesetze, die mit der Freiheit unzertrennlich verbunden sind, eben so, als ob sein Wille auch an sich selbst, und in der theoretischen Philosophie gültig, für frei erklärt würde. Nun behaupte ich: daß wir jedem vernünftigen Wesen, das einen Willen hat, notwendig auch die Idee der Freiheit leihen müssen, unter der es allein handle. Denn in einem solchen Wesen denken wir uns eine Vernunft, die praktisch ist, d.i. Kausalität in Ansehung ihrer Objekte hat. Nun kann man sich unmöglich eine Vernunft denken, die mit ihrem eigenen Bewußtsein in Ansehung ihrer Urteile anderwärts her eine Lenkung empfinge, denn alsdann würde das Subjekt nicht seiner Vernunft, sondern einem Antriebe, die Bestimmung der Urteilskraft zuschreiben. Sie muß sich selbst als Urheberin ihrer Prinzipien ansehen, unabhängig von fremden Einflüssen, folglich muß sie als praktische Vernunft, oder als Wille eines vernünftigen Wesens, von ihr selbst als frei angesehen werden; d.i. der Wille desselben kann nur unter der Idee der Freiheit ein eigener Wille sein, und muß also in praktischer Absicht allen vernünftigen Wesen beigelegt werden. S.103-106
Aus: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Herausgegeben von Theodor Valentiner, Einleitung von Hans Ebeling Reclams Universalbibliothek Nr. 4507 © 1961, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart

Das Moral- oder Sittengesetz

Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft
Von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft
Vernünftige Selbstliebe
Das moralische Gefühl
Achtung fürs moralische Gesetz ist die einzige moralische Triebfeder
Für Menschen: Gesetz der Pflicht - für Gott: Gesetz der Heiligkeit
Pflicht und Schuldigkeit

Tugend ist moralische Gesinnung im Kampfe
Die Erhabenheit der Pflicht
Die echte Triebfeder der praktischen Vernunft ist das moralische Gesetz

Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft

Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.

Anmerkung

Die reine Geometrie hat Postulate als praktische Sätze, die aber nichts weiter enthalten, als die Voraussetzung, daß man etwas tun könne, wenn etwa gefordert würde, man solle es tun, und diese sind die einzigen Sätze derselben, die ein Dasein betreffen. Es sind also praktische Regeln unter einer problematischen Bedingung des Willens. Hier aber sagt die Regel: man solle schlechthin auf gewisse Weise verfahren. Die praktische Regel ist also unbedingt, mithin, als kategorisch praktischer Satz, a priori vorgestellt, wodurch der Wille schlechterdings und unmittelbar (durch die praktische Regel selbst, die also hier Gesetz ist) objektiv bestimmt wird. Denn reine, an sich praktische Vernunft ist hier unmittelbar gesetzgebend. Der Wille wird als unabhängig von empirischen Bedingungen, mithin, als reiner Wille, durch die bloße Form des Gesetzes als bestimmt gedacht, und dieser Bestimmungsgrund als die oberste Bedingung aller Maximen angesehen. Die Sache ist befremdlich genug, und hat ihres gleichen in der ganzen übrigen praktischen Erkenntnis nicht. Denn der Gedanke a priori von einer möglichen allgemeinen Gesetzgebung, der also bloß problematisch ist, wird, ohne von der Erfahrung oder irgend einem äußeren Willen etwas zu entlehnen, als Gesetz unbedingt geboten. Es ist aber auch nicht eine Vorschrift, nach welcher eine Handlung geschehen soll, dadurch eine begehrte Wirkung möglich ist (denn da wäre die Regel immer physisch bedingt), sondern eine Regel, die bloß den Willen, in Ansehung der Form seiner Maximen, a priori bestimmt, und da ist ein Gesetz, welches bloß zum Behuf der subjektiven Form der Grundsätze dient, als Bestimmungsgrund durch die objektive Form eines Gesetzes überhaupt, wenigstens zu denken, nicht unmöglich. Man kann das Bewußtsein dieses Grundgesetzes ein Faktum der Vernunft nennen, weil man es nicht aus vorhergehenden Datis der Vernunft, z.B. dem Bewußtsein der Freiheit (denn dieses ist uns nicht vorher gegeben), herausvernünfteln kann, sondern weil es sich für sich selbst uns aufdringt als synthetischer Satz a priori, der auf keiner, weder reinen noch empirischen Anschauung gegründet ist, ob er gleich analytisch sein würde, wenn man die Freiheit des Willens voraussetzte, wozu aber, als positivem Begriffe, eine intellektuelle Anschauung erfordert werden würde, die man hier gar nicht annehmen darf. Doch muß man, um dieses Gesetz ohne Mißdeutung als gegeben anzusehen, wohl bemerken: daß es kein empirisches, sondern das einzige Faktum der reinen Vernunft sei, die sich dadurch als ursprünglich gesetzgebend (sic volo, sic iubeo) ankündigt.

Folgerung
Reine Vernunft ist für sich allein praktisch, und gibt (dem Menschen) ein allgemeines Gesetz, welches wir das Sittengesetz nennen. S. 36f.
Aus: Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft , Philosophische Bibliothek Band 38, Felix Meiner Verlag, Hamburg

Drittes Hauptstück.
Von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft
Das Wesentliche alles sittlichen Werts der Handlungen kommt darauf an, daß das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimme. Geschieht die Willensbestimmung zwar gemäß dem moralischen Gesetze, aber nur vermittelst eines Gefühls, welcher Art es auch sei, das vorausgesetzt werden muß, damit jenes ein hinreichender Bestimmungsgrund des Willens werde, mithin nicht um des Gesetzes willen: so wird die Handlung zwar Legalität, aber nicht Moralität enthalten. Wenn nun unter Triebfeder (elater animi) der subjektive Bestimmungsgrund des Willens eines Wesens verstanden wird, dessen Vernunft nicht, schon vermöge seiner Natur, dem objektiven Gesetze notwendig gemäß ist, so wird erstlich daraus folgen: daß man dem göttlichen Willen gar keine Triebfedern beilegen könne, die Triebfeder des menschlichen Willens aber (und des von jedem erschaffenen vernünftigen Wesen) niemals etwas anderes, als das moralische Gesetz sein könne, mithin der objektive Bestimmungsgrund jederzeit und ganz allein zugleich der subjektiv-hinreichende Bestimmungsgrund der Handlung sein müsse, wenn diese nicht bloß den Buchstaben des Gesetzes, ohne den Geist* desselben zu enthalten, erfüllen soll.
* Man kann von jeder gesetzmäßigen Handlung, die doch nicht um des Gesetzes willen geschehen ist, sagen: sie sei bloß dem Buchstaben, aber nicht dem Geiste (der Gesinnung) nach moralisch gut.

Da man also zum Behuf des moralischen Gesetzes, und um ihm Einfluß auf den Willen zu verschaffen, keine anderweitige Triebfeder, dabei die des moralischen Gesetzes entbehrt werden könnte, suchen muß, weil das alles lauter Gleisnerei, ohne Bestand, bewirken würde, und so gar es bedenklich ist, auch nur neben dem moralischen Gesetze noch einige andere Triebfedern (als die des Vorteils) mitwirken zu lassen: so bleibt nichts übrig, als bloß sorgfältig zu bestimmen, auf welche Art das moralische Gesetz Triebfeder werde, und was, indem sie es ist, mit dem menschlichen Begehrungsvermögen, als Wirkung jenes Bestimmungsgrundes auf dasselbe vorgehe. Denn wie ein Gesetz für sich und unmittelbar Bestimmungsgrund des Willens sein könne (welches doch das Wesentliche aller Moralität ist), das ist ein für die menschliche Vernunft unauflösliches Problem und mitdem einerlei: wie ein freier Wille möglich sei. Also werden wir nicht den Grund, woher das moralische Gesetz in sich eine Triebfeder abgebe, sondern was, so fern es eine solche ist, sie im Gemüte wirkt (besser zu sagen, wirken muß), a priori anzuzeigen haben.

Vernünftige Selbstliebe
Das Wesentliche aller Bestimmung des Willens durchs sittliche Gesetz ist: daß er als freier Wille, mithin nicht bloß ohne Mitwirkung sinnlicher Antriebe, sondern selbst, mit Abweisung aller derselben, und mit Abbruch aller Neigungen, so fern sie jenem Gesetze zuwider sein könnten, bloß durchs Gesetz bestimmt werde. So weit ist also die Wirkung des moralischen Gesetzes als Triebfeder nur negativ, und als solche kann diese Triebfeder a priori erkannt werden. Denn alle Neigung und jeder sinnliche Antrieb ist auf Gefühl gegründet, und die negative Wirkung aufs Gefühl (durch den Abbruch, der den Neigungen geschieht) ist selbst Gefühl. Folglich können wir a priori einsehen, daß das moralische Gesetz als Bestimmungsgrund des Willens dadurch, daß es allen unseren Neigungen Eintrag tut, ein Gefühl bewirken müsse, welches Schmerz genannt werden kann, und hier haben wir nun den ersten, vielleicht auch einzigen Fall, da wir aus Begriffen a priori das Verhältnis eines Erkenntnisses (hier ist es einer reinen praktischen Vernunft) zum Gefühl der Lust oder Unlust bestimmen konnten. Alle Neigungen zusammen (die auch wohl in ein erträgliches System gebracht werden können, und deren Befriedigung alsdenn eigene Glückseligkeit heißt) machen die Selbstsucht (solipsimus) aus. Diese ist entweder die der Selbstliebe, eines über alles gehenden Wohlwollens gegen sich selbst (philautia), oder die des Wohlgefallens an sich selbst (arrogantia). Jene heißt besonders Eigenliebe, diese Eigendünkel. Die reine praktische Vernunft tut der Eigenliebe bloß Abbruch, indem sie solche, als natürlich, und noch vor dem moralischen Gesetze, in uns rege, nur auf die Bedingung der Einstimmung mit diesem Gesetze einschränkt; da sie alsdenn vernünftige Selbstliebe genannt wird. Aber den Eigendünkel schlägt sie gar nieder, indem alle Ansprüche der Selbstschätzung, die vor der Übereinstimmung mit dem sittlichen Gesetze vorhergehen, nichtig und ohne alle Befugnis sind, indem eben die Gewißheit einer Gesinnung, die mit diesem Gesetze übereinstimmt, die erste Bedingung alles Werts der Person ist (wie wir bald deutlicher machen werden) und alle Anmaßung vor derselben falsch und gesetzwidrig ist. Nun gehört der Hang zur Selbstschätzung mit zu den Neigungen, denen das moralische Gesetz Abbruch tut, so fern jene bloß auf der Sittlichkeit beruht. Also schlägt das moralische Gesetz den Eigendünkel nieder. Da dieses Gesetz aber doch etwas an sich Positives ist, nämlich die Form einer intellektuellen Kausalität, d.i. der Freiheit, so ist es, indem es im Gegensatze mit dem subjektiven Widerspiele, nämlich den Neigungen in uns, den Eigendünkel schwächt, zugleich ein Gegenstand der Achtung, und, indem es ihn sogar niederschlägt, d.i. demütigt, ein Gegenstand der größten Achtung, mithin auch der Grund eines positiven Gefühls, das nicht empirischen Ursprungs ist, und a priori erkannt wird. Also ist Achtung fürs moralische Gesetz ein Gefühl, welches durch einen intellektuellen Grund gewirkt wird, und dieses Gefühl ist das einzige, welches wir völlig a priori erkennen, und dessen Notwendigkeit wir einsehen können.

Wir haben im vorigen Hauptstücke gesehen: daß alles, was sich als Objekt des Willens vor dem moralischen Gesetze darbietet, von den Bestimmungsgründen des Willens, unter dem Namen des unbedingt-Guten, durch dieses Gesetz selbst, als die oberste Bedingung der praktischen Vernunft, ausgeschlossen werde, und daß die bloße praktische Form, die in der Tauglichkeit der Maximen zur allgemeinen Gesetzgebung besteht, zuerst das, was an sich und schlechterdings-gut ist, bestimme, und die Maxime eines reinen Willens gründe, der allein in aller Absicht gut ist. Nun finden wir aber unsere Natur, als sinnlicher Wesen so beschaffen, daß die Materie des Begehrungsvermögens (Gegenstände der Neigung, es sei der Hoffnung, oder Furcht) sich zuerst aufdringt, und unser pathologisch bestimmbares Selbst, ob es gleich durch seine Maximen zur allgemeinen Gesetzgebung ganz untauglich ist, dennoch, gleich als ob es unser ganzes Selbst ausmachte, seine Ansprüche vorher und als die ersten und ursprünglichen geltend zu machen bestrebt sei. Man kann diesen Hang, sich selbst nach den subjektiven Bestimmungsgründen seiner Willkür zum objektiven Bestimmungsgrunde des Willens überhaupt zu machen, die Selbstliebe nennen,welche, wenn sie sich gesetzgebend und zum unbedingten praktischen Prinzip macht, Eigendünkel heißen kann. Nun schließt das moralische Gesetz, welches allein wahrhaftig (nämlich in aller Absicht) objektiv ist, den Einfluß der Selbstliebe auf das oberste praktische Prinzip gänzlich aus, und tut dem Eigendünkel, der die subjektiven Bedingungen des ersteren als Gesetze vorschreibt, unendlichen Abbruch. Was nun unserem Eigendünkel in unserem eigenen Urteil Abbruch tut, das demütigt. Also demütigt das moralische Gesetz unvermeidlich jeden Menschen, indem dieser mit demselben den sinnlichen Hang seiner Natur vergleicht. Dasjenige, dessen Vorstellung, als Bestimmungsgrund unseres Willens, uns in unserem Selbstbewußtsein demütigt, erweckt, so fern als es positiv und Bestimmungsgrund ist, für sich Achtung. Also ist das moralische Gesetz auch subjektiv ein Grund der Achtung. Da nun alles, was in der Selbstliebe angetroffen wird, zur Neigung gehört, alle Neigung aber auf Gefühlen beruht, mithin, was allen Neigungen insgesamt in der Selbstliebe Abbruch tut, eben dadurch notwendig auf das Gefühl Einfluß hat, so begreifen wir, wie es möglich ist, a priori einzusehen, daß das moralische Gesetz, indem es die Neigun-gen und den Hang, sie zur obersten praktischen Bedingung zu machen, d.i. die Selbstliebe, von allem Beitritte zur obersten Gesetzgebung ausschließt, eine Wirkung aufs Gefühl ausüben könne, welche einerseits bloß negativ ist, andererseits und zwar in Ansehung des einschränkenden Grundes der reinen praktischen Vernunft positiv ist, und wozu gar keine besondere Art von Gefühle, unter dem Namen eines praktischen, oder moralischen, als vor dem moralischen Gesetze vorhergehend und ihm zum Grunde liegend, angenommen werden darf.

Das moralische Gefühl ist das Gefühl der Achtung vor dem moralischenGesetz
Die negative Wirkung auf Gefühl (der Unannehmlichkeit) ist, so wie aller Einfluß auf dasselbe, und wie jedes Gefühl überhaupt, pathologisch. Als Wirkung aber vom Bewußtsein des moralischen Gesetzes, folglich in Beziehung auf eine intelligibele Ursache, nämlich das Subjekt der reinen praktischen Vernunft, als obersten Gesetzgeberin, heißt dieses Gefühl eines vernünftigen von Neigungen affizierten Subjekts zwar Demütigung (intellektuelle Verachtung), aber in Beziehung auf den positiven Grund derselben, das Gesetz, zugleich Achtung für dasselbe, für welches Gesetz gar kein Gefühl stattfindet, sondern im Urteile der Vernunft, indem es den Widerstand aus dem Wege schafft, die Wegräumung eines Hindernisses einer positiven Beförderung der Kausalität gleichgeschätzt wird. Darum kann dieses Gefühl nun auch ein Gefühl der Achtung fürs moralische Gesetz, aus beiden Gründen zusammen aber ein moralisches Gefühl genannt werden.

Das moralische Gesetz also, so wie es formaler Bestimmungsgrund der Handlung ist, durch praktische reine Vernunft, so wie es zwar auch materialer, aber nur objektiver Bestimmungsgrund der Gegenstände der Handlung, unter dem Namen des Guten und Bösen, ist, so ist es auch subjektiver Bestimmungsgrund, d.i. Triebfeder, zu dieser Handlung, indem es auf die Sittlichkeit des Subjekts Einfluß hat, und ein Gefühl bewirkt, welches dem Einflusse des Gesetzes auf den Willen beförderlich ist. Hier geht kein Gefühl im Subjekt vorher, das auf Moralität gestimmt wäre. Denn das ist unmöglich, weil alles Gefühl sinnlich ist; die Triebfeder der sittlichen Gesinnung aber muß von aller sinnlichen Bedingung frei sein. Vielmehr ist das sinnliche Gefühl, was allen unseren Neigungen zum Grunde liegt, zwar die Bedingung derjenigen Empfindung, die wir Achtung nennen, aber die Ursache der Bestimmung desselben liegt in der reinen praktischen Vernunft, und diese Empfindung kann daher, ihres Ursprunges wegen, nicht pathologisch, sondern muß praktisch gewirkt heißen; indem dadurch, daß die Vorstellung des moralischen Gesetzes der Selbstliebe den Einfluß, und dem Eigendünkel den Wahn benimmt, das Hindernis der reinen praktischen Vernunft vermindert, und die Vorstellung des Vorzuges ihres objektiven Gesetzes vor den Antrieben der Sinnlichkeit, mithin das Gewicht des ersteren relativ (in Ansehung eines durch die letztere affizierten Willens) durch die Wegschaffung des Gegengewichts, im Urteile der Vernunft, hervorgebracht wird. Und so ist die Achtung fürs Gesetz nicht Triebfeder zur Sittlichkeit, sondern sie ist die Sittlichkeit selbst, subjektiv als Triebfeder betrachtet, indem die reine praktische Vernunft dadurch, daß sie der Selbstliebe, im Gegensatze mit ihr, alle Ansprüche abschlägt, dem Gesetze, das jetzt allein Einfluß hat, Ansehen verschafft. Hiebei ist nun zu bemerken: daß, so wie die Achtung eine Wirkung aufs Gefühl, mithin auf die Sinnlichkeit eines vernünftigen Wesens ist, es diese Sinnlichkeit, mithin auch die Endlichkeit solcher Wesen, denen das moralische Gesetz Achtung auferlegt, voraussetze, und daß einem höchsten, oder auch einem von aller Sinnlichkeit freien Wesen, welchem diese also auch kein Hindernis der praktischen Vernunft sein kann, Achtung fürs Gesetz nicht beigelegt werden könne.

Dieses Gefühl (unter dem Namen des moralischen) ist also lediglich durch Vernunft bewirkt. Es dient nicht zu Beurteilung der Handlungen, oder wohl gar zur Gründung des objektiven Sittengesetzes selbst, sondern bloß zur Triebfeder, um dieses in sich zur Maxime zu machen. Mit welchem Namen aber könnteman dieses sonderbare Gefühl, welches mit keinem pathologischen in Vergleichung gezogen werden kann, schicklicher belegen? Es ist so eigentümlicher Art, daß es lediglich der Vernunft, und zwar der praktischen reinen Vernunft, zu Gebote zu stehen scheint.

Achtung geht jederzeit nur auf Personen, niemals auf Sachen. Die letztere können Neigung, und, wenn es Tiere sind (z.B. Pferde, Hunde etc.), so gar Liebe, oder auch Furcht, wie das Meer, ein Vulkan, ein Raubtier, niemals aber Achtung in uns erwecken. Etwas, was diesem Gefühl schon näher tritt, ist Bewunderung, und diese, als Affekt, das Erstaunen, kann auch auf Sachen gehen, z.B. himmelhohe Berge, die Größe, Menge und Weite der Weltkörper, die Stärke und Geschwindigkeit mancher Tiere, u.s.w. Aber alles dieses ist nicht Achtung. Ein Mensch kann mir auch ein Gegenstand der Liebe, der Furcht, oder der Bewunderung, so gar bis zum Erstaunen und doch darum kein Gegenstand der Achtung sein. Seine scherzhafte Laune, sein Mut und Stärke, seine Macht, durch seinen Rang, den er unter anderen hat, können mir dergleichen Empfindungen einflößen, es fehlt aber immer noch an innerer Achtung gegen ihn. Fontenelle sagt: vor einem Vornehmen bücke ich mich, aber mein Geist bückt sich nicht. Ich kann hinzu setzen: vor einem niedrigen, bürgerlich-gemeinen Mann, an dem ich eine Rechtschaffenheit des Charakters in einem gewissen Maße, als ich mir von mir selbst nicht bewußt bin, wahrnehme, bückt sich mein Geist, ich mag wollen oder nicht, und den Kopf noch so hoch tragen, um ihn meinen Vorrang nicht übersehen zu lassen.Warum das? Sein Beispiel hält mir ein Gesetz vor, das meinen Eigendünkel niederschlägt, wenn ich es mit meinem Verhalten vergleiche, und dessen Befolgung, mithin die Tunlichkeit desselben, ich durch die Tat bewiesen vor mir sehe. Nun mag ich mir sogar eines gleichen Grades der Rechtschaffenheit bewußt sein, und die Achtung bleibt doch. Denn, da beim Menschen immer alles Gute mangelhaft ist, so schlägtdas Gesetz, durch ein Beispiel anschaulich gemacht, doch immer meinen Stolz nieder, wozu der Mann, den ich vor mir sehe, dessen Unlauterkeit, die ihm immer noch anhängen mag, mir nicht so, wie mir die meinige, bekannt ist, der mir also in reinerem Lichte erscheint, einen Maßstab abgibt. Achtung ist ein Tribut, den wir dem Verdienste nicht verweigern können, wir mögen wollen oder nicht; wir mögen allenfalls äußerlich damit zurückhalten, so können wir doch nicht verhüten, sie innerlich zu empfinden.

Die Achtung ist so wenig ein Gefühl der Lust, daß man sich ihr in Ansehung eines Menschen nur ungern überläßt. Man sucht etwas ausfindig zu machen, was uns die Last derselben erleichtern könne, irgend einen Tadel, um uns wegen der Demütigung, die uns durch ein solches Beispiel widerfährt, schadlos zu halten. Selbst Verstorbene sind, vornehmlich wenn ihr Beispiel unnachahmlich scheint, vor dieser Kritik nicht immer gesichert. So gar das moralische Gesetz selbst, in seiner feierlichen Majestät, ist diesem Bestreben, sich der Achtung dagegen zu erwehren, ausgesetzt. Meint man wohl, daß es einer anderen Ursache zuzuschreiben sei, weswegen man es gern zu unserer vertraulichen Neigung herabwürdigen möchte, und sich aus anderen Ursachen alles so bemühe, um es zur beliebten Vorschrift unseres eigenen wohlverstandenen Vorteils zu machen, als daß man der abschreckenden Achtung, die uns unsere eigene Unwürdigkeit so strenge vorhält, loswerden möge? Gleichwohl ist darin doch auch wiederum so wenig Unlust: daß, wenn man einmal den Eigendünkel abgelegt, und jener Achtung praktischen Einfluß verstattet hat, man sich wiederum an der Herrlichkeit dieses Gesetzes nicht satt sehen kann, und die Seele sich in dem Maße selbst zu erheben glaubt, als sie das heilige Gesetz über sich und ihre gebrechliche Natur erhaben sieht. Zwar können große Talente und eine ihnen proportionierte Tätigkeit auch Achtung, oder ein mit derselben analogisches Gefühl, bewirken, es ist auch ganz anständig, es ihnen zu widmen, und da scheint es, als ob Bewunderung mit jener Empfindung einerlei sei. Allein, wenn man näher zusieht, so wird man bemerken, daß, da es immer ungewiß bleibt, wie viel das angeborne Talent und wie viel Kultur durch eigenen Fleiß an der Geschicklichkeit Teil habe, so stellt uns die Vernunft die letztere mutmaßlich als Frucht der Kultur, mithin als Verdienst vor, welches unseren Eigendünkel merklich herabstimmt, und uns darüber entweder Vorwürfe macht, oder uns die Befolgung eines solchen Beispiels, in der Art, wie es uns angemessen ist, auferlegt. Sie ist also nicht bloße Bewunderung, diese Achtung, die wir einer solchen Person (eigentlich dem Gesetze, was uns sein Beispiel vorhält) beweisen; welches sich auch dadurch bestätigt, daß der gemeine Haufe der Liebhaber, wenn er das Schlechte des Charakters eines solchen Mannes (wie etwa Voltaire) sonst woher erkundigt zu haben glaubt, alle Achtung gegen ihn aufgibt, der wahre Gelehrte aber sie noch immer wenigstens im Gesichtspunkte seiner Talente fühlt, weil er selbst in einem Geschäfte und Berufe verwickelt ist, welches die Nachahmung desselben ihm gewissermaßen zum Gesetze macht.

Achtung fürs moralische Gesetz ist die einzige moralische Triebfeder
Achtung fürs moralische Gesetz ist also die einzige und zugleich unbezweifelte moralische Triebfeder, so wie dieses Gefühl auch auf kein Objekt anders, als lediglich aus diesem Grunde gerichtet ist. Zuerst bestimmt das moralische Gesetz objektiv und unmittelbar den Willen im Urteile der Vernunft; Freiheit, deren Kausalität bloß durchs Gesetz bestimmbar ist, besteht aber eben darin, daß sie alle Neigungen, mithin die Schätzung der Person selbst auf die Bedingung der Befolgung ihres reinen Gesetzes einschränkt. Diese Einschränkung tut nun eine Wirkung aufs Gefühl, und bringt Empfindung der Unlust hervor, die aus dem moralischen Gesetze a priori erkanntwerden kann. Da sie aber bloß so fern eine negative Wirkung ist, die, als aus dem Einflusse einer reinen praktischen Vernunft entsprungen, vornehmlich der Tätigkeit des Subjekts, so fern Neigungen die Bestimmungsgründe desselben sind, mithin der Meinung seines persönlichen Werts Abbruch tut (der ohne Einstimmung mit dem moralischen Gesetze auf nichts herabgesetzt wird), so ist die Wirkung dieses Gesetzes aufs Gefühl bloß Demütigung, welches wir also zwar a priori einsehen, aber an ihr nicht die Kraft des reinen praktischen Gesetzes als Triebfeder, sondern nur den Widerstand gegen Triebfedern der Sinnlichkeit erkennen können. Weil aber dasselbe Gesetz doch objektiv, d.i. in der Vorstellung der reinen Vernunft, ein unmittelbarer Bestimmungsgrund des Willens ist, folglich diese Demütigung nur relativ auf die Reinigkeit des Gesetzes stattfindet, so ist die Herabsetzung der Ansprüche der moralischen Selbstschätzung, d.i. die Demütigung auf der sinnlichen Seite, eine Erhebung der moralischen, d.i. der praktischen Schätzung des Gesetzes selbst, auf der intellektuellen,mit einem Worte Achtung fürs Gesetz, also auch ein, seiner intellektuellen Ursache nach, positives Gefühl, das a priori erkannt wird. Denn eine jede Verminderung der Hindernisse einer Tätigkeit ist Beförderung dieser Tätigkeit selbst. Die Anerkennung des moralischen Gesetzes aber ist das Bewußtsein einer Tätigkeit der praktischen Vernunft aus objektiven Gründen, die bloß darum nicht ihre Wirkung in Handlungen äußert, weil subjektive Ursachen (pathologische) sie hindern. Also muß die Achtung fürs moralische Gesetz auch als positive aber indirekte Wirkung desselben aufs Gefühl, so fern jenes den hindernden Einfluß der Neigungen durch Demütigung des Eigendünkels schwächt, mithin als subjektiver Grund der Tätigkeit, d.i. als Triebfeder zu Befolgung desselben, und als Grund zu Maximen eines ihm gemäßen Lebenswandels angesehen werden. Aus dem Begriffe einer Triebfeder entspringt der eines Interesse; welches niemals einem Wesen, als was Vernunft hat, beigelegt wird, und eine Triebfeder des Willens bedeutet, so fern sie durch Vernunft vorgestellt wird. Da das Gesetz selbst in einem moralisch-guten Willen die Triebfeder sein muß, so ist das moralische Interesse ein reines sinnenfreies Interesse der bloßen praktischen Vernunft. Auf dem Begriffe eines Interesse gründet sich auch der einer Maxime. Diese ist also nur alsdenn moralisch echt, wenn sie auf dem bloßen Interesse, das man an der Befolgung des Gesetzes nimmt, beruht. Alle drei Begriffe aber, der einer Triebfeder, eines Interesse und einer Maxime, können nur auf endliche Wesen angewandt werden. Denn sie setzen insgesamt eine Eingeschränktheit der Natur eines Wesens voraus, da die subjektive Beschaffenheit seiner Willkür mit dem objektiven Gesetze einer praktischen Vernunft nicht von selbst übereinstimmt; ein Bedürfnis, irgend wodurch zur Tätigkeit angetrieben zu werden, weil ein inneres Hindernis derselben entgegensteht. Auf den göttlichen Willen können sie also nicht angewandt werden.

Es liegt so etwas Besonderes in der grenzenlosen Hochschätzung des reinen, von allem Vorteil entblößten, moralischen Gesetzes, so wie es praktische Vernunft uns zur Befolgung vorstellt, deren Stimme auch den kühnsten Frevler zittern macht, und ihn nötigt, sich vor seinem Anblicke zu verbergen: daß man sich nicht wundern darf, diesen Einfluß einer bloß intellektuellen Idee aufs Gefühl für spekulative Vernunft unergründlich zu finden, und sich damit begnügen zu müssen, daß man a priori doch noch so viel einsehen kann: ein solches Gefühl sei unzertrennlich mit der Vorstellung des moralischen Gesetzes in jedem endlichen vernünftigen Wesen verbunden. Wäre dieses Gefühl der Achtung pathologisch und also ein auf dem inneren Sinne gegründetes Gefühl der Lust, so würde es vergeblich sein, eine Verbindung derselben mit irgend einer Idee a priori zu entdecken. Nun aber ist ein Gefühl, was bloß aufs Praktische geht, und zwar der Vorstellung eines Gesetzes lediglich seiner Form nach, nicht irgend eines Objekts desselben wegen, anhängt, mithin weder zum Vergnügen, noch zum Schmerze gerechnet werden kann, und dennoch ein Interesse an der Befolgung desselben hervorbringt, welches wir das moralische nennen; wie denn auch die Fähigkeit, ein solches Interesse am Gesetze zu nehmen (oder die Achtung fürs moralische Gesetz selbst) eigentlich das moralische Gefühl ist.

Das Bewußtsein einer freien Unterwerfung des Willens unter das Gesetz, doch als mit einem unvermeidlichen Zwange, der allen Neigungen, aber nur durch eigene Vernunft angetan wird, verbunden, ist nun die Achtung fürs Gesetz. Das Gesetz, was diese Achtung fordert und auch einflößt, ist, wie man sieht, kein anderes, als das moralische (denn kein anderes schließt alle Neigungen von der Unmittelbarkeit ihres Einflusses auf den Willen aus). Die Handlung, die nach diesem Gesetze, mit Ausschließung aller Bestimmungsgründe aus Neigung, objektiv praktisch ist,heißt Pflicht, welche, um dieser Ausschließung willen, in ihrem Begriffe praktische Nötigung, d.i. Bestimmung zu Handlungen, so ungerne, wie sie auch geschehen mögen, enthält. Das Gefühl, das aus dem Bewußtsein dieser Nötigung entspringt, ist nicht pathologisch, als ein solches, was von einem Gegenstande der Sinne gewirkt würde, sondern allein praktisch, d.i. durch eine vorhergehende (objektive) Willensbestimmung und Kausalität der Vernunft, möglich. Es enthält also, als Unterwerfung unter ein Gesetz, d.i. als Gebot (welches für das sinnlich-affizierte Subjekt Zwang ankündigt), keine Lust, sondern, so fern, vielmehr Unlust an der Handlung in sich. Dagegen aber, da dieser Zwang bloß durch Gesetzgebung der eigenen Vernunft ausgeübt wird, enthält es auch Erhebung, und die subjektive Wirkung aufs Gefühl, so fern davon reine praktische Vernunft die alleinige Ursache ist, kann also bloß Selbstbilligung in Ansehung der letzteren heißen, indem man sich dazu, ohne alles Interesse, bloß durchs Gesetz bestimmt erkennt, und sich nunmehro eines ganz anderen, dadurch subjektiv hervorgebrachten, Interesse, welches rein praktisch und frei ist, bewußt wird, welches an einer pflichtmäßigen Handlung zu nehmen nicht etwa eine Neigung anrätig ist, sondern die Vernunft durchs praktische Gesetz schlechthin gebietet und auch wirklich hervorbringt, darum aber einen ganz eigentümlichen Namen, nämlich den der Achtung, führt.

Der Begriff der Pflicht fordert also an der Handlung, objektiv, Übereinstimmung mit dem Gesetze, an der Maxime derselben aber, subjektiv, Achtung fürs Gesetz, als die alleinige Bestimmungsart des Willens durch dasselbe. Und darauf beruht der Unterschied zwischen dem Bewußtsein, pflichtmäßig und aus Pflicht, d.i. aus Achtung fürs Gesetz, gehandelt zu haben, davon das erstere (die Legalität) auch möglich ist, wenn Neigungen bloß die Bestimmungsgründe des Willens gewesen wären, das zweite aber (die Moralität), der moralische Wert, lediglich darin gesetzt werden muß, daß die Handlung aus Pflicht, d.i. bloß um des Gesetzes willen geschehe.*
*Wenn man den Begriff der Achtung für Personen, so wie er vorher dargelegt worden, genau erwägt, so wird man gewahr, daß sie immer auf dem Bewußtsein einer Pflicht beruhe, die uns ein Beispiel vorhält, und, daß also Achtung niemals einen andern als moralischen Grund haben könne, und es sehr gut, so gar in psychologischer Absicht zur Menschenkenntnis sehr nützlich sei, allerwärts, wo wir diesen Ausdruck brauchen, auf die geheime und wundernswürdige, dabei aber oft vorkommende Rücksicht, die der Mensch in seinen Beurteilungen aufs moralische Gesetz nimmt, Acht zu haben.

Für Menschen: Gesetz der Pflicht - für Gott: Gesetz der Heiligkeit
Es ist von der größten Wichtigkeit in allen moralischen Beurteilungen, auf das subjektive Prinzip aller Maximen mit der äußersten Genauigkeit Acht zu haben, damit alle Moralität der Handlungen in der Notwendigkeit derselben aus Pflicht und aus Achtung fürs Gesetz, nicht aus Liebe und Zuneigung zu dem, was die Handlungen hervorbringen sollen, gesetzt werde. Für Menschen und alle erschaffene vernünftige Wesen ist die moralische Notwendigkeit Nötigung, d.i. Verbindlichkeit, und jede darauf gegründete Handlung als Pflicht, nicht aber als eine uns von selbst schon beliebte, oder beliebt werden könnende Verfahrungsart vorzustellen. Gleich als ob wir es dahin jemals bringen könnten, daß ohne Achtung fürs Gesetz, welche mit Furcht oder wenigstens Besorgnis vor Übertretung verbunden ist, wir, wie die über alle Abhängigkeit erhabene Gottheit, von selbst, gleichsam durch eine uns zur Natur gewordene, niemals zu verrückende Übereinstimmung des Willens mit dem reinen Sittengesetze (welches also, da wir niemals versucht werden können, ihm untreu zu werden, wohl endlich gar aufhören könnte, für uns Gebot zu sein), jemals in den Besitz einer Heiligkeit des Willens kommen könnten.

Das moralische Gesetz ist nämlich für den Willen eines allervollkommensten Wesens ein Gesetz der Heiligkeit, für den Willen jedes endlichen vernünftigen Wesens aber ein Gesetz der Pflicht, der moralischen Nötigung und der Bestimmung der Handlungen desselben durch Achtung für dies Gesetz und aus Ehrfurcht für seine Pflicht. Ein anderes subjektives Prinzip muß zur Triebfeder nicht angenommen werden, denn sonst kann zwar die Handlung, wie das Gesetz sie vorschreibt, ausfallen, aber, da sie zwar pflichtmäßig ist, aber nicht aus Pflicht geschieht, so ist die Gesinnung dazu nicht moralisch, auf die es doch in dieser Gesetzgebung eigentlich ankommt.

Pficht und Schuldigkeit
Es ist sehr schön, aus Liebe zu Menschen und teilnehmendem Wohlwollen ihnen Gutes zu tun, oder aus Liebe zur Ordnung gerecht zu sein, aber das ist noch nicht die echte moralische Maxime unsers Verhaltens, die unserm Standpunkte, unter vernünftigen Wesen, als Menschen, angemessen ist, wenn wir uns anmaßen, gleichsam als Volontäre, uns mit stolzer Einbildung über den Gedanken von Pflicht wegzusetzen, und uns, als vom Gebote unabhängig, bloß aus eigener Lust das tun zu wollen, wozu für uns kein Gebot nötig wäre. Wir stehen unter einer Disziplin der Vernunft, und müssen in allen unseren Maximen der Unterwürfigkeit unter derselben nicht vergessen, ihr nichts zu entziehen, oder dem Ansehen des Gesetzes (ob es gleich unsere eigene Vernunft gibt) durch eigenliebigen Wahn dadurch etwas abkürzen, daß wir den Bestimmungsgrund unseres Willens, wenn gleich dem Gesetze gemäß, doch worin anders, als im Gesetze selbst, und in der Achtung für dieses Gesetz setzten. Pflicht und Schuldigkeit sind die Benennungen, die wir allein unserem Verhältnisse zum moralischen Gesetze geben müssen. Wir sind zwar gesetzgebende Glieder eines durch Freiheit möglichen, durch praktische Vernunft uns zur Achtung vorgestellten Reichs der Sitten, aber doch zugleich Untertanen, nicht das Oberhaupt desselben, und die Verkennung unserer niederen Stufe, als Geschöpfe, und Weigerung des Eigendünkels gegen das Ansehen des heiligen Gesetzes,ist schon eine Abtrünnigkeit von demselben, dem Geiste nach, wenn gleich der Buchstabe desselben erfüllt würde.

Hiemit stimmt aber die Möglichkeit eines solchen Gebots, als: Liebe Gott über alles und deinen Nächsten als dich selbst*, ganz wohl zusammen.
*
Mit diesem Gesetze macht das Prinzip der eigenen Glückseligkeit, welches einige zum obersten Grundsatze der Sittlichkeit machen wollen, einen seltsamen Kontrast. Dieses würde so lauten: Liebe dich selbst über alles, Gott aber und deinen Nächsten um dein selbst willen.

Denn es fordert doch, als Gebot, Achtung für ein Gesetz, das Liebe befiehlt, und überläßt es nicht der beliebigen Wahl, sich diese zum Prinzip zu machen. Aber Liebe zu Gott als Neigung (pathologische Liebe) ist unmöglich; denn er ist kein Gegenstand der Sinne. Eben dieselbe gegen Menschen ist zwar möglich, kann aber nicht geboten werden; denn es steht in keines Menschen Vermögen, jemanden bloß auf Befehl zu lieben. Also ist es bloß die praktische Liebe, die in jenem Kern aller Gesetze verstanden wird. Gott lieben, heißt in dieser Bedeutung, seine Gebote gerne tun; den Nächsten lieben, heißt, alle Pflicht gegen ihn gerne ausüben. Das Gebot aber, das dieses zur Regel macht, kann auch nicht diese Gesinnung in pflichtmäßigen Handlungen zu haben, sondern bloß darnach zu streben gebieten. Denn ein Gebot, daß man etwas gerne tun soll, ist in sich widersprechend, weil, wenn wir, was uns zu tun obliege, schon von selbst wissen, wenn wir uns überdem auch bewußt wären, es gerne zu tun, ein Gebot darüber ganz unnötig, und, tun wir es zwar, aber eben nicht gerne, sondern nur aus Achtung fürs Gesetz, ein Gebot, welches diese Achtung eben zur Triebfeder der Maxime macht, gerade der gebotenen Gesinnung zuwider wirken würde.

Jenes Gesetz aller Gesetze stellt also, wie alle moralische Vorschrift des Evangelii, die sittliche Gesinnung in ihrer ganzen Vollkommenheit dar, so wie sie als ein Ideal der Heiligkeit von keinem Geschöpfe erreichbar, dennoch das Urbild ist, welchem wir uns zu näheren, und, in einem ununterbrochenen, aber unendlichen Progressus, gleich zu werden streben sollen. Könnte nämlich ein vernünftig Geschöpf jemals dahin kommen, alle moralische Gesetze völlig gerne zu tun, so würde das so viel bedeuten, als, es fände sich in ihm auch nicht einmal die Möglichkeit einer Begierde, die ihn zur Abweichung von ihnen reizte; denn die Überwindung einer solchen kostet dem Subjekt immer Aufopferung, bedarf also Selbstzwang, d.i. innere Nötigung zu dem, was man nicht ganz gern tut. Zu dieser Stufe der moralischen Gesinnung aber kann es ein Geschöpf niemals bringen.

Denn da es ein Geschöpf, mithin in Ansehung dessen, was er zur gänzlichen Zufriedenheit mit seinem Zustande fodert, immer abhängig ist, so kann es niemals von Begierden und Neigungen ganz frei sein, die, weil sie auf physischen Ursachen beruhen, mit dem moralischen Gesetze, das ganz andere Quellen hat, nicht von selbst stimmen, mithin es jederzeit notwendig machen, in Rücksicht auf dieselbe, die Gesinnung seiner Maximen auf moralische Nötigung, nicht auf bereitwillige Ergebenheit, sondern auf Achtung, welche die Befolgung des Gesetzes, obgleich sie ungerne geschähe, fordert, nicht auf Liebe, die keine innere Weigerung des Willens gegen das Gesetz besorgt, zu gründen, gleichwohl aber diese letztere, nämlich die bloße Liebe zum Gesetze (da es alsdenn aufhören würde, Gebot zu sein, und Moralität, die nun subjektiv in Heiligkeit überginge, aufhören würde, Tugend zu sein) sich zum beständigen, obgleich unerreichbaren Ziele seiner Bestrebung zu machen. Denn an dem, was wir hochschätzen, aber doch (wegen des Bewußtseins unserer Schwächen) scheuen, verwandelt sich, durch die mehrere Leichtigkeit, ihm Gnüge zu tun, die ehrfurchtsvolle Scheu in Zuneigung, und Achtung in Liebe, wenigstens würde es die Vollendung einer dem Gesetze gewidmeten Gesinnung sein, wenn es jemals einem Geschöpfe möglich wäre, sie zu erreichen.

Tugend ist moralische Gesinnung im Kampfe
Diese Betrachtung ist hier nicht so wohl dahin abgezweckt, das angeführte evangelische Gebot auf deutliche Begriffe zu bringen, um der Religionsschwärmerei in Ansehung der Liebe Gottes, sondern die sittliche Gesinnung, auch unmittelbar in Ansehung der Pflichten gegen Menschen, genau zu bestimmen, und einer bloß moralischen Schwärmerei, welche viel Köpfe ansteckt, zu steuren, oder, wo möglich, vorzubeugen. Die sittliche Stufe, worauf der Mensch (aller unserer Einsicht nach auch jedes vernünftige Geschöpf) steht, ist Achtung fürs moralische Gesetz. Die Gesinnung, die ihm, dieses zu befolgen, obliegt, ist, es aus Pflicht, nicht aus freiwilliger Zuneigung und auch allenfalls unbefohlener von selbst gern unternommener Bestrebung zu befolgen, und sein moralischer Zustand, darin er jedesmal sein kann, ist Tugend, d.i. moralische Gesinnung im Kampfe, und nicht Heiligkeit im vermeinten Besitze einer völligen Reinigkeit der Gesinnungen des Willens. Es ist lauter moralische Schwärmerei und Steigerung des Eigendünkels, wozu man die Gemüter durch Aufmunterung zu Handlungen, als edler, erhabener und großmütiger, stimmt, dadurch man sie in den Wahn versetzt, als wäre es nicht Pflicht, d.i. Achtung fürs Gesetz, dessen Joch (das gleichwohl, weil es uns Vernunft selbst auferlegt, sanft ist) sie, wenn gleich ungern, tragen müßten, was den Bestimmungsgrund ihrer Handlungen ausmachte, und welches sie immer noch demütigt, indem sie es befolgen (ihm gehorchen), sondern als ob jene Handlungen nicht aus Pflicht, sondern als barer Verdienst von ihnen erwartet würde. Denn nicht allein, daß sie durch Nachahmung solcher Taten, nämlich aus solchem Prinzip, nicht im mindesten dem Geiste des Gesetzes ein Genüge getan hätten, welcher in der dem Gesetze sich unterwerfenden Gesinnung, nicht in der Gesetzmäßigkeit der Handlung (das Prinzip möge sein, welches auch wolle), besteht, und die Triebfeder pathologisch (in der Sympathie oder auch Philautie), nicht moralisch (im Gesetze) setzen, so bringen sie auf diese Art eine windige, überfliegende, phantastische Denkungsart hervor, sich mit einer freiwilligen Gutartigkeit ihres Gemüts, das weder Sporns noch Zügel bedürfe, für welches gar nicht einmal ein Gebot nötig sei, zu schmeicheln, und darüber ihrer Schuldigkeit, an welche sie doch eher denken sollten, als an Verdienst, zu vergessen. Es lassen sich wohl Handlungen anderer, die mit großer Aufopferung, und zwar bloß um der Pflicht willen, geschehen sind, unter dem Namen edler und erhabener Taten preisen, und doch auch nur so fern Spuren da sind, welche vermuten lassen, daß sie ganz aus Achtung für seine Pflicht, nicht aus Herzensaufwallungen geschehen sind. Will man jemanden aber sie als Beispiele der Nachfolge vorstellen, so muß durchaus die Achtung für Pflicht (als das einzige echte, moralische Gefühl) zur Triebfeder gebraucht werden: diese ernste, heilige Vorschrift, die es nicht unserer eitelen Selbstliebe überläßt, mit pathologischen Antrieben (so fern sie der Moralität analogisch sind) zu tändeln, und uns auf verdienstlichen Wert was zu Gute zu tun. Wenn wir nur wohl nachsuchen, so werden wir zu allen Handlungen, die anpreisungswürdig sind, schon ein Gesetz der Pflicht finden, welches gebietet und nicht auf unser Belieben ankommen läßt, was unserem Hange gefällig sein möchte. Das ist die einzige Darstellungsart, welche die Seele moralisch bildet, weil sie allein fester und genau bestimmter Grundsätze fähig ist.

Wenn Schwärmerei in der allergemeinsten Bedeutung eine nach Grundsätzen unternommene Überschreitung der Grenzen der menschlichen Vernunft ist, so ist moralische Schwärmerei diese Überschreitung der Grenzen, die die praktische reine Vernunft der Menschheit setzt, dadurch sie verbietet, den subjektiven Bestimmungsgrund pflichtmäßiger Handlungen, d.i. die moralische Triebfeder derselben, irgend worin anders, als im Gesetze selbst, und die Gesinnung, die dadurch in die Maximen gebracht wird, irgend anderwärts, als in der Achtung für dies Gesetz, zu setzen, mithin den alle Arroganz sowohl als eitele Philautie niederschlagenden Gedanken von Pflicht zum obersten Lebensprinzip aller Moralität im Menschen zu machen gebietet.

Wenn dem also ist, so haben nicht allein Romanschreiber, oder empfindelnde Erzieher (ob sie gleich noch so sehr wider Empfindelei eifern), sondern bisweilen selbst Philosophen, ja die strengsten unter allen, die Stoiker, moralische Schwärmerei, statt nüchterner, aber weiser Disziplin der Sitten, eingeführt, wenn gleich die Schwärmerei der letzteren mehr heroisch, der ersteren von schaler und schmelzender Beschaffenheit war, und man kann es, ohne zu heucheln, der moralischen Lehre des Evangelii mit aller Wahrheit nachsagen: daß es zuerst, durch die Reinigkeit des moralischen Prinzips, zugleich aber durch die Angemessenheit desselben mit den Schranken endlicher Wesen, alles Wohlverhalten des Menschen der Zucht einer ihnen vor Augen gelegten Pflicht, die sie nicht unter moralischen geträumten Vollkommenheiten schwärmen läßt, unterworfen und dem Eigendünkel sowohl als der Eigenliebe, die beide gerne ihre Grenzen verkennen, Schranken der Demut (d.i. der Selbsterkenntnis) gesetzt habe.

Erhabenheit der Pflicht
Pflicht! du erhabener großer Name, der du nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst, doch auch nichts drohest, was natürliche Abneigung im Gemüte erregte und schreckte, um den Willen zu bewegen, sondern bloß ein Gesetz aufstellst, welches von selbst im Gemüte Eingang findet, und doch sich selbst wider Willen Verehrung (wenn gleich nicht immer Befolgung) erwirbt, vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie gleich in Geheim ihm entgegen wirken, welches ist der deiner würdige Ursprung, und wo findet man die Wurzel deiner edlen Abkunft, welche alle Verwandtschaft mit Neigungen stolz ausschlägt, und von welcher Wurzel abzustammen die unnachlaßliche Bedingung desjenigen Werts ist, den sich Menschen allein selbst geben können?

Es kann nichts Minderes sein, als was den Menschen über sich selbst (als einen Teil der Sinnenwelt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der Dinge knüpft, die nur der Verstand denken kann, und die zugleich die ganze Sinnenwelt, mit ihr das empirisch-bestimmbare Dasein des Menschen in der Zeit und das Ganze aller Zwecke (welches allein solchen unbedingten praktischen Gesetzen, als das moralische, angemessen ist) unter sich hat. Es ist nichts anders als die Persönlichkeit, d.i. die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanismus der ganzen Natur, doch zugleich als ein Vermögen eines Wesens betrachtet, welches eigentümlichen, nämlich von seiner eigenen Vernunft gegebenen reinen praktischen Gesetzen, die Person also, als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen ist, so fern sie zugleich zur intelligibelen Welt gehört; da es denn nicht zu verwundern ist, wenn der Mensch, als zu beiden Welten gehörig, sein eigenes Wesen, in Beziehung auf seine zweite und höchste Bestimmung, nicht anders, als mit Verehrung und die Gesetze derselben mit der höchsten Achtung betrachten muß.

Auf diesen Ursprung gründen sich nun manche Ausdrücke, welche den Wert der Gegenstände nach moralischen Ideen bezeichnen. Das moralische Gesetz ist heilig (unverletzlich). Der Mensch ist zwar unheilig genug, aber die Menschheit in seiner Person muß ihm heilig sein. In der ganzen Schöpfung kann alles, was man will, und worüber man etwas vermag, auch bloß als Mittel gebraucht werden; nur der Mensch, und mit ihm jedes vernünftige Geschöpf, ist Zweck an sich selbst. Er ist nämlich das Subjekt des moralischen Gesetzes, welches heilig ist, vermöge der Autonomie seiner Freiheit. Eben um dieser willen ist jeder Wille, selbst jeder Person ihr eigener, auf sie selbst gerichteter Wille, auf die Bedingung der Einstimmung mit der Autonomie des vernünftigen Wesens eingeschränkt, es nämlich keiner Absicht zu unterwerfen, die nicht nach einem Gesetze, welches aus dem Willen des leidenden Subjekts selbst entspringen könnte, möglich ist; also dieses niemals bloß als Mittel, sondern zugleich selbst als Zweck zu gebrauchen. Diese Bedingung legen wir mit Recht sogar dem göttlichen Willen, in Ansehung der vernünftigen Wesen in der Welt, als seiner Geschöpfe, bei, indem sie auf der Persönlichkeit derselben beruht, dadurch allein sie Zwecke an sich selbst sind.

Diese Achtung erweckende Idee der Persönlichkeit, welche uns die Erhabenheit unserer Natur (ihrer Bestimmung nach) vor Augen stellt, indem sie uns zugleich den Mangel der Angemessenheit unseres Verhaltens in Ansehung derselben bemerken läßt, und dadurch den Eigendünkel niederschlägt, ist selbst der gemeinsten Menschenvernunft natürlich und leicht bemerklich. Hat nicht jeder auch nur mittelmäßig ehrlicher Mann bisweilen gefunden, daß er eine sonst unschädliche Lüge, dadurch er sich entweder selbst aus einem verdrießlichen Handel ziehen, oder wohl gar einem geliebten und verdienstvollen Freunde Nutzen schaffen konnte, bloß darum unterließ, um sich in Geheim in seinen eigenen Augen nicht verachten zu dürfen? Hält nicht einen rechtschaffenen Mann im größten Unglücke des Lebens, das er vermeiden konnte, wenn er sich nur hätte über die Pflicht wegsetzen können, noch das Bewußtsein aufrecht, daß er die Menschheit in seiner Person doch in ihrer Würde erhalten und geehrt habe, daß er sich nicht vor sich selbst zu schämen und den inneren Anblick der Selbstprüfung zu scheuen Ursache habe? Dieser Trost ist nicht Glückseligkeit, auch nicht der mindeste Teil derselben. Denn niemand wird sich die Gelegenheit dazu, auch vielleicht nicht einmal ein Leben in solchen Umständen wünschen. Aber er lebt, und kann es nicht erdulden, in seinen eigenen Augen des Lebens unwürdig zu sein. Diese innere Beruhigung ist also bloß negativ, in Ansehung alles dessen, was das Leben angenehm machen mag; nämlich sie ist die Abhaltung der Gefahr, im persönlichen Werte zu sinken, nachdem der seines Zustandes von ihm schon gänzlich aufgegeben worden. Sie ist die Wirkung von einer Achtung für etwas ganz anderes, als das Leben, womit in Vergleichung und Entgegensetzung das Leben vielmehr, mit aller seiner Annehmlichkeit, gar keinen Wert hat. Er lebt nur noch aus Pflicht, nicht weil er am Leben den mindesten Geschmack findet.

Die echte Triebfeder der praktischen Vernunft ist das moralische Gesetz
So ist die echte Triebfeder der reinen praktischen Vernunft beschaffen; sie ist keine andere, als das reine moralische Gesetz selber, so fern es uns die Erhabenheit unserer eigenen übersinnlichen Existenz spüren läßt, und subjektiv, in Menschen, die sich zugleich ihres sinnlichen Daseins und der damit verbundenen Abhängigkeit von ihrer so fern sehr pathologisch affizierten Natur bewußt sind, Achtung für ihre höhere Bestimmung wirkt. Nun lassen sich mit dieser Triebfeder gar wohl so viele Reize und Annehmlichkeiten des Lebens verbinden, daß auch um dieser willen allein schon die klügste Wahl eines vernünftigen und über das größte Wohl des Lebens nachdenkenden Epikureers sich für das sittliche Wohlverhalten erklären würde, und es kann auch ratsam sein, diese Aussicht auf einen fröhlichen Genuß des Lebens mit jener obersten und schon für sich allein hinlänglich-bestimmenden Bewegursache zu verbinden; aber nur um den Anlockungen, die das Laster auf der Gegenseite vorzuspiegeln nicht ermangelt, das Gegengewicht zu halten, nicht um hierin die eigentliche bewegende Kraft, auch nicht dem mindesten Teile nach, zu setzen, wenn von Pflicht die Rede ist. Denn das würde so viel sein, als die moralische Gesinnung in ihrer Quelle verunreinigen wollen. Die Ehrwürdigkeit der Pflicht hat nichts mit Lebensgenuß zu schaffen; sie hat ihr eigentümliches Gesetz, auch ihr eigentümliches Gericht, und wenn man auch beide noch so sehr zusammenschütteln wollte, um sie vermischt, gleichsam als Arzeneimittel, der kranken Seele zuzureichen, so scheiden sie sich doch alsbald von selbst, und, tun sie es nicht, so wirkt das erste gar nicht, wenn aber auch das physische Leben hiebei einige Kraft gewönne, so würde doch das moralische ohne Rettung dahin schwinden.
S. 84-105
Aus: Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft , Philosophische Bibliothek Band 38, Felix Meiner Verlag, Hamburg

Moralische Grundlagen des allgemeinen Rechtsgesetzes

Allgemeines Prinzip des Rechts
Das Recht ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden
Striktes Recht als wechselseitiger Zwang  

Allgemeines Prinzip des Rechts. ( § C.)
»Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.«

Wenn also meine Handlung oder überhaupt mein Zustand mir der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, so tut der mir unrecht, der mich daran hindert; denn dieses Hindernis (dieser Widerstand) kann mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen nicht bestehen.

Es folgt hieraus auch: daß nicht verlangt werden kann, daß dieses Prinzip aller Maximen selbst wiederum meine Maxime sei, d. i. daß ich es mir zur Maxime meiner Handlung mache; denn ein jeder kann frei sein, obgleich seine Freiheit mir gänzlich indifferent wäre, oder ich im Herzen derselben gerne Abbruch tun möchte, wenn ich nur durch meine äußere Handlung ihr nicht Eintrag tue. Das Rechthandeln mir zur Maxime zu machen, ist eine Forderung, die die Ethik an mich tut.

Also ist das allgemeine Rechtsgesetz: Handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne, zwar ein Gesetz, welches mir eine Verbindlichkeit auferlegt, aber ganz und gar nicht erwartet, noch weniger fordert, daß ich ganz um dieser Verbindlichkeit willen meine Freiheit auf jene Bedingungen selbst einschränken solle; sondern die Vernunft sagt nur, daß sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt sei und von anderen auch tätlich eingeschränkt werden dürfe; und dieses sagt sie als ein Postulat, welches gar keines Beweises weiter fähig ist. — Wenn die Absicht nicht ist, Tugend zu lehren, sondern nur, was recht sei, vorzutragen, so darf und soll man selbst nicht jenes Rechtsgesetz als Triebfeder der Handlung vorstellig machen.Das Recht ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden. ( § D.)
Der Widerstand, der dem Hindernisse einer Wirkung entgegengesetzt wird, ist eine Beförderung dieser Wirkung und stimmt mit ihr zusammen. Nun ist alles, was unrecht ist, ein Hindernis der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen; der Zwang aber ist ein Hindernis oder Widerstand, der der Freiheit geschieht. Folglich: wenn ein gewisser Gebrauch der Freiheit selbst ein Hindernis der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen (d. i. unrecht) ist, so ist der Zwang, der diesem entgegengesetzt wird, als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmend, d. i. recht; mithin ist mit dem Rechte zugleich eine Befugnis, den, der ihm Abbruch tut, zu zwingen, nach dem Satze des Widerspruchs verknüpft. Das strikte Recht kann auch als die Möglichkeit eines mit jedermanns Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmenden durchgängigen wechselseitigen Zwanges vorgestellt werden. ( § E.)
Dieser Satz will soviel sagen als: das Recht darf nicht als aus zwei Stücken, nämlich der Verbindlichkeit nach einem Gesetze und der Befugnis dessen, der durch seine Willkür den anderen verbindet, diesen dazu zu zwingen, zusammengesetzt gedacht werden, sondern man kann den Begriff des Rechts in der Möglichkeit der Verknüpfung des allgemeinen wechselseitigen Zwanges mit jedermanns Freiheit unmittelbar setzen. Sowie nämlich das Recht überhaupt nur das zum Objekte hat, was in Handlungen äußerlich ist, so ist das strikte Recht, nämlich das, dem nichts Ethisches beigemischt ist, dasjenige, welches keine anderen Bestimmungsgründe der Willkür als bloß die äußeren fordert; denn alsdann ist es rein und mit keinen Tugendvorschriften vermengt. Ein striktes (enges) Recht kann man also nur das völlig äußere nennen. Dieses gründet sich nun zwar auf das Bewußtsein der Verbindlichkeit eines jeden nach dem Gesetze; aber die Willkür danach zu bestimmen, darf und kann es, wenn es rein sein soll, sich auf dieses Bewußtsein als Triebfeder nicht berufen, sondern fußt sich deshalb auf dem Prinzip der Möglichkeit eines äußeren Zwanges, der mit der Freiheit von jedermann nach allgemeinen Gesetzen zusammen bestehen kann. — Wenn also gesagt wird: ein Gläubiger hat ein Recht, von dem Schuldner die Bezahlung seiner Schuld zu fordern, so bedeutet das nicht: er kann ihm zu Gemüte führen, daß ihn seine Vernunft selbst zu dieser Leistung verbinde; sondern ein Zwang, der jedermann nötigt, dieses zu tun, kann gar wohl mit jedermanns Freiheit, also auch mit der seinigen, nach einem allgemeinen äußeren Gesetze zusammen bestehen: Recht und Befugnis zu zwingen bedeuten also einerlei.

Das Gesetz eines mit jedermanns Freiheit notwendig zusammenstimmenden wechselseitigen Zwanges unter dem Prinzip der allgemeinen Freiheit, ist gleichsam die Konstruktion jenes Begriffs, d. i. Darstellung desselben in einer reinen Anschauung a priori, nach der Analogie der Möglichkeit freier Bewegungen der Körper unter dem Gesetze der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung. Sowie wir nun in der reinen Mathematik die Eigenschaften ihres Objekts nicht unmittelbar vom Begriffe ableiten, sondern nur durch die Konstruktion des Begriffs entdecken können, so ist‘s nicht sowohl der Begriff des Rechts als vielmehr der unter allgemeine Gesetze gebrachte, mit ihm zusammenstimmende, durchgängig wechselseitige und gleiche Zwang, der die Darstellung jenes Begriffs möglich macht. Dieweil aber diesem dynamischen Begriffe noch ein bloß formaler in der reinen Mathematik (z. B. der Geometrie) zum Grunde liegt: so hat die Vernunft dafür gesorgt, den Verstand auch mit Anschauungen a priori zum Behuf der Konstruktion des Rechtsbegriffs soviel möglich zu versorgen. Das Rechte (rectum) wird als das Gerade teils dem Krummen teils dem Schiefen entgegengesetzt. Das erste ist die innere Beschaffenheit einer Linie von der Art, daß es zwischen zweien gegebenen Punkten nur eine einzige, das zweite aber die Lage zweier einander durchschneidenden oder zusammenstoßenden Linien, von deren Art es auch nur eine einzige (die senkrechte) geben kann, die sich nicht mehr nach einer Seite als der anderen hinneigt, und die den Raum von beiden Seiten gleich abteilt, nach welcher Analogie auch die Rechtslehre das Seine einem jeden (mit mathematischer Genauigkeit) bestimmt wissen will, welches in der Tugendlehre nicht erwartet werden darf, als welche einen gewissen Raum zu Ausnahmen (latitudinem) nicht verweigern kann. — Aber, ohne ins Gebiet der Ethik einzugreifen, gibt es zwei Fälle, die auf Rechtsentscheidung Anspruch machen, für die aber keiner, der sie entscheide, ausgefunden werden kann, und die gleichsam in Epikurs intermundia hingehören. — Diese müssen wir zuvörderst aus der eigentlichen Rechtslehre, zu der wir bald schreiten wollen, aussondern, damit ihre schwankenden Prinzipien nicht auf die festen Grundsätze der erstern Einfluß bekommen. (S.67-70)
Aus: Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten . Mit einer Einleitung herausgegeben von Hans Ebeling Reclams Universalbibliothek Nr. 4508. © 1990 Philipp Reclam jun., Stuttgart

Über die Lüge
Über ein vermeintliches Recht aus Menschenliebe zu lügen
In der Schrift: Frankreich im Jahr 1797, Sechstes Stück, Nr. I: Von den politischen Gegenwirkungen, von Benjamin Constant, ist Folgendes S. 123 enthalten.

»Der sittliche Grundsatz: es sei eine Pflicht, die Wahrheit zu sagen, würde, wenn man ihn unbedingt und vereinzelt nähme, jede Gesellschaft zur Unmöglichkeit machen. Den Beweis davon haben wir in den sehr unmittelbaren Folgerungen, die ein deutscher Philosoph [Kant] aus diesem Grundsatze gezogen hat, der so weit geht zu behaupten: daß die Lüge gegen einen Mörder, der uns fragte, ob unser von ihm verfolgter Freund sich nicht in unser Haus geflüchtet, ein Verbrechen sein würde.«Der französische Philosoph widerlegt S. 124 diesen Grundsatz auf folgende Art.

»Es ist eine Pflicht, die Wahrheit zu sagen. Der Begriff von Pflicht ist unzertrennbar von dem Begriff des Rechts. Eine Pflicht ist, was bei einem Wesen den Rechten eines anderen entspricht. Da, wo es keine Rechte gibt, gibt es keine Pflichten. Die Wahrheit zu sagen, ist also eine Pflicht; aber nur gegen denjenigen, welcher ein Recht auf die Wahrheit hat. Kein Mensch aber hat Recht auf eine Wahrheit, die anderen schadet.«

Das prôton pseudos liegt hier in dem Satze: »Die Wahrheit zu sagen ist eine Pflicht, aber nur gegen denjenigen, welcher ein Recht auf die Wahrheit hat«.

Zuerst ist anzumerken, daß der Ausdruck: ein Recht auf die Wahrheit haben, ein Wort ohne Sinn ist. Man muß vielmehr sagen: der Mensch habe ein Recht auf seine eigene Wahrhaftigkeit (veracitas), d.i. auf die subjektive Wahrheit in seiner Person. Denn objektiv auf eine Wahrheit ein Recht haben, würde soviel sagen als: es komme, wie überhaupt beim Mein und Dein, auf seinen Willen an, ob ein gegebener Satz wahr oder falsch sein solle; welches dann eine seltsame Logik abgeben würde.

Nun ist die erste Frage: ob der Mensch, in Fällen, wo er einer Beantwortung mit Ja oder Nein nicht ausweichen kann, die Befugnis (das Recht) habe, unwahrhaft zu sein. Die zweite Frage ist: ob er nicht gar verbunden sei, in einer gewissen Aussage, wozu ihn ein ungerechter Zwang nötigt, unwahrhaft zu sein, um eine ihn bedrohende Missetat an sich oder einem anderen zu verhüten.

Wahrhaftigkeit in Aussagen, die man nicht umgehen kann, ist formale Pflicht des Menschen gegen jeden, es mag ihm oder einem andern daraus auch noch so großer Nachteil erwachsen; und, ob ich zwar dem, welcher mich ungerechter weise zur Aussage nötigt, nicht Unrecht tue, wenn ich sie verfälsche, so tue ich doch durch eine solche Verfälschung, die darum auch (obzwar nicht im Sinn des Juristen) Lüge genannt werden kann, im wesentlichsten Stücke der Pflicht überhaupt Unrecht: d.i. ich mache, so viel an mir ist, daß Aussagen (Deklarationen) überhaupt keinen Glauben finden, mithin auch alle Rechte, die auf Verträgen gegründet werden, wegfallen und ihre Kraft einbüßen; welches ein Unrecht ist, das der Menschheit überhaupt zugefügt wird.

Die Lüge also, bloß als vorsätzlich unwahre Deklaration gegen einen andern Menschen definiert, bedarf nicht des Zusatzes, daß sie einem anderen schaden müsse; wie die Juristen es zu ihrer Definition verlangen (mendacium est falsiloquium in praeiudicium alterius). Denn sie schadet jederzeit einem anderen, wenn gleich nicht einem andern Menschen, doch der Menschheit überhaupt, indem sie die Rechtsquelle unbrauchbar macht.

Diese gutmütige Lüge kann aber auch durch einen Zufall (casus) strafbar werden, nach bürgerlichen Gesetzen; was aber bloß durch den Zufall der Straffälligkeit entgeht, kann auch nach äußeren Gesetzen als Unrecht abgeurteilt werden. Hast du nämlich einen eben jetzt mit Mordsucht Umgehenden durch eine Lüge an der Tat verhindert, so bist du für alle Folgen, die daraus entspringen möchten, auf rechtliche Art verantwortlich. Bist du aber strenge bei der Wahrheit geblieben, so kann dir die öffentliche Gerechtigkeit nichts anhaben; die unvorhergesehene Folge mag sein welche sie wolle. Es ist doch möglich, daß, nachdem du dem Mörder, auf die Frage, ob der von ihm Angefeindete zu Hause sei, ehrlicherweise mit Ja geantwortet hast, dieser doch unbemerkt ausgegangen ist, und so dem Mörder nicht in den Wurf gekommen, die Tat also nicht geschehen wäre; hast du aber gelogen, und gesagt, er sei nicht zu Hause, und er ist auch wirklich (obzwar dir unbewußt) ausgegangen, wo denn der Mörder ihm im Weggehen begegnete und seine Tat an ihm verübte: so kannst du mit Recht als Urheber des Todes desselben angeklagt werden. Denn hättest du die Wahrheit, so gut du sie wußtest, gesagt: so wäre vielleicht der Mörder über dem Nachsuchen seines Feindes im Hause von herbeigelaufenen Nachbarn ergriffen, und die Tat verhindert worden. Wer also lügt, so gutmütig er dabei auch gesinnt sein mag, muß die Folgen davon, selbst vor dem bürgerlichen Gerichtshofe, verantworten und dafür büßen: so unvorhergesehen sie auch immer sein mögen; weil Wahrhaftigkeit eine Pflicht ist, die als die Basis aller auf Vertrag zu gründenden Pflichten angesehn werden muß, deren Gesetz, wenn man ihr auch nur die geringste Ausnahme einräumt, schwankend und unnütz gemacht wird.

Es ist also ein heiliges, unbedingt gebietendes, durch keine Konvenienzen einzuschränkendes Vernunftgebot; in allen Erklärungen wahrhaft (ehrlich) zu sein.

Wohldenkend und zugleich richtig ist hiebei Hrn. Constants Anmerkung über die Verschreiung solcher strenger und sich vorgeblich in unausführbare Ideen verlierender, hiemit aber verwerflicher Grundsätze. -
»Jedesmal (sagt er S. 123 unten) wenn ein als wahr bewiesener Grundsatz unanwendbar scheint, so kommt es daher, daß wir den mittlern Grundsatz nicht kennen, der das Mittel der Anwendung enthält.« Er führt (S. 121) die Lehre von der Gleichheit als den ersten die gesellschaftliche Kette bildenden Ring an:

»Daß (S. 122) nämlich kein Mensch anders als durch solche Gesetze gebunden werden kann, zu deren Bildung er mit beigetragen hat. In einer sehr ins Enge zusammengezogenen Gesellschaft kann dieser Grundsatz auf unmittelbare Weise angewendet werden, und bedarf, um ein gewöhnlicher zu werden, keines mittleren Grundsatzes. Aber in einer sehr zahlreichen Gesellschaft muß man einen neuen Grundsatz zu demjenigen noch hinzufügen, den wir hier anführen. Dieser mittlere Grundsatz ist: daß die einzelnen zur Bildung der Gesetze entweder in eigener Person oder durch Stellvertreter beitragen können. Wer den ersten Grundsatz auf eine zahlreiche Gesellschaft anwenden wollte, ohne den mittleren dazu zu nehmen, würde un-
fehlbar ihr Verderben zuwege bringen. Allein dieser Umstand, der nur von der Unwissenheit oder Ungeschicklichkeit des Gesetzgebers zeugte, würde nichts gegen den Grundsatz beweisen.«
- Er beschließt S. 125 hiemit: »Ein als wahr anerkannter Grundsatz muß also niemal verlassen werden: wie anscheinend auch Gefahr dabei sich befindet«. (Und doch hatte der gute Mann den unbedingten Grundsatz der Wahrhaftigkeit, wegen der Gefahr, die er für die Gesellschaft bei sich führe, selbst verlassen; weil er keinen mittleren Grundsatz entdecken konnte, der diese Gefahr zu verhüten diente, und hier auch wirklich keiner einzuschieben ist.)

Wenn man die Namen der Personen, sowie sie hier aufgeführt werden, beibehalten will: so verwechselte »der französische Philosoph« die Handlung, wodurch jemand einem anderen schadet (nocet), indem er die Wahrheit, deren Geständnis er nicht umgehen kann, sagt, mit derjenigen, wodurch er diesem Unrecht tut (laedit). Es war bloß ein Zufall (casus), daß die Wahrhaftigkeit der Aussage dem Einwohner des Hauses schadete, nicht eine freie Tat (in juridischer Bedeutung). Denn aus seinem Rechte, von einem anderen zu fordern, daß er ihm zum Vorteil lügen solle, würde ein aller Gesetzmäßigkeit widerstreitender Anspruch folgen. Jeder Mensch aber hat nicht allein ein Recht, sondern sogar die strengste Pflicht zur Wahr-haftigkeit in Aussagen, die er nicht umgehen kann: sie mag nun ihm selbst oder andern schaden. Er selbst tut also hiemit dem, der dadurch leidet, eigentlich nicht Schaden, sondern diesen verursacht der Zufall. Denn jener ist hierin gar nicht frei, um zu wählen; weil die Wahrhaftigkeit (wenn er einmal sprechen muß) unbedingte Pflicht ist. - Der »deutsche Philosoph« wird also den Satz (S. 124): »Die Wahrheit zu sagen ist eine Pflicht, aber nur gegen denjenigen, welcher ein Recht auf die Wahrheit hat«, nicht zu seinem Grundsatze annehmen: erstlich wegen der undeutlichen Formel desselben, indem Wahrheit kein Besitztum ist, auf welchen dem einen das Recht verwilligt, anderen aber verweigert werden könne; dann aber vornehmlich, weil die Pflicht der Wahrhaftigkeit (als von welcher hier allein die Rede ist) keinen Unterschied zwischen Personen macht, gegen die man diese Pflicht haben, oder gegen die man sich auch von ihr lossagenkönne, sondern weil es unbedingte Pflicht ist, die in allen Verhältnissen gilt.

Um nun von einer Metaphysik des Rechts (welche von allen Erfahrungsbedingungen abstrahiert) zu einem Grundsatze der Politik (welcher diese Begriffe auf Erfahrungsfälle anwendet), und vermittelst dieses zur Auflösung einer Aufgabe der letzteren, dem allgemeinen Rechtsprinzip gemäß, zu gelangen: wird der Philosoph [Kant]

1) ein Axiom, d.i. einen apodiktisch-gewissen Satz, der unmittelbar aus der Definition des äußern Rechts (Zusammenstimmung der Freiheit eines jeden mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze) hervorgeht,

2) ein Postulat (des äußeren öffentlichen Gesetzes, als vereinigten Willens aller nach dem Prinzip der Gleichheit, ohne welche keine Freiheit von jedermann Statt haben würde),

3) ein Problem geben, wie es anzustellen sei, daß in einer noch so großen Gesellschaft dennoch Eintracht nach Prinzipien der Freiheit und Gleichheit erhalten werde (nämlich vermittelst eines repräsentativen Systems); welches dann ein Grundsatz der Politik sein wird, deren Veranstaltung und Anordnung nun Dekrete enthalten wird, die, aus der Erfahrungserkenntnis der Menschen gezogen, nur den Mechanismus der Rechtsverwaltung, und wie dieser zweckmäßig einzurichten sei, beabsichtigen. - -

Das Recht muß nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Recht angepaßt werden.


»Ein als wahr anerkannter
(ich setze hinzu: a priori anerkannter, mithin apodiktischer) Grundsatz muß niemal verlassen werden, wie anscheinend auch Gefahr sich dabei befindet«, sagt der Verfasser. Nur muß man hier nicht die Gefahr (zufälligerweise) zu schaden, sondern überhaupt Unrecht zu tun verstehen: welches geschehen würde, wenn ich die Pflicht der Wahrhaftigkeit, die gänzlich unbedingt ist und in Aussagen die oberste rechtliche Bedingung ausmacht, zu einer bedingten und noch andern Rücksichten untergeordneten mache; und, obgleich ich durch eine gewisse Lüge in der Tat niemanden Unrecht tue, doch das Prinzip des Rechts in Ansehung aller unumgänglich notwendigen Aussagen überhaupt verletze (formaliter, obgleich nicht materialiter, Unrecht tue): welches viel schlimmer ist als gegen irgend jemanden eine Ungerechtigkeit begehn, weil eine solche Tat nicht eben immer einen Grundsatz dazu im Subjekte voraussetzt.

Der, welcher die Anfrage, die ein anderer an ihn ergehen läßt: ob er in seiner Aussage, die er jetzt tun soll, wahrhaft sein wolle oder nicht? nicht schon mit Unwillen über den gegen ihn hiemit geäußerten Verdacht, er möge auch wohl ein Lügner sein, aufnimmt, sondern sich die Erlaubnis ausbittet, sich erst auf mögliche Ausnahmen zu besinnen, ist schon ein Lügner (in potentia); weil er zeigt, daß er die Wahrhaftigkeit nicht für Pflicht an sich selbst anerkenne, sondern sich Ausnahmen vorhält von einer Regel, die ihrem Wesen nach keiner Ausnahme fähig ist, weil sie sich in dieser geradezu selbst widerspricht.

Alle rechtlich-praktische Grundsätze müssen strenge Wahrheit enthalten, und die hier sogenannten mittleren können nur die nähere Bestimmung ihrer Anwendung auf vorkommende Fälle (nach Regeln der Politik), aber niemal Ausnahmen von jenen enthalten; weil diese die Allgemeinheit vernichten, derentwegen allein sie den Namen der Grundsätze führen.
Königsberg. I. Kant.
Aus: Immanuel Kant: Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen. S. 2-11 Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie von Platon bis Nietzsche
Veröffentlichung auf Philo-Website mit freundlicher Erlaubnis des Verlages der Directmedia Publishing GmbH, Berlin


Das Gebot der Wahrheit verbietet auch die Notlüge

Die Frage sei z.B.: darf ich, wenn ich im Gedränge bin, nicht ein Versprechen tun, in der Absicht, es nicht zu halten? Ich mache hier leicht den Unterschied, den die Bedeutung der Frage haben kann, ob es klüglich, oder ob es pflichtmäßig sei, ein falsches Versprechen zu tun. Das erstere kann ohne Zweifel öfters stattfinden. Zwar sehe ich wohl, daß es nicht genug sei, mich vermittelst dieser Ausflucht aus einer gegenwärtigen Verlegenheit zu ziehen, sondern wohl überlegt werden müsse, ob mir aus dieser Lüge nicht hinterher viel größere Ungelegenheit entspringen könne, als die sind, von denen ich mich jetzt befreie, und, da die Folgen bei aller meiner vermeinten Schlauigkeit nicht so leicht vorauszusehen sind, daß nicht ein einmal verlorenes Zutrauen mir weit nachteiliger werden könnte, als alles Übel, das ich jetzt zu vermeiden gedenke, ob es nicht klüglicher gehandelt sei, hiebei nach einer allgemeinen Maxime zu verfahren, und es sich zur Gewohnheit zu machen, nichts zu versprechen, als in der Absicht, es zu halten. Allein es leuchtet mir hier bald ein, daß eine solche Maxime doch immer nur die besorglichen Folgen zum Grunde habe. Nun ist es doch etwas ganz anderes, aus Pflicht wahrhaft zu sein, als aus Besorgnis der nachteiligen Folgen; indem, im ersten Falle, der Begriff der Handlung an sich selbst schon ein Gesetz für mich enthält, im zweiten ich mich allererst anderwärtsher umsehen muß, welche Wirkungen für mich wohl damit verbunden sein möchten. Denn, wenn ich von dem Prinzip der Pflicht abweiche, so ist es ganz gewiß böse; werde ich aber meiner Maxime der Klugheit abtrünnig, so kann das mir doch manchmal sehr vorteilhaft sein, wiewohl es freilich sicherer ist, bei ihr zu bleiben. Um indessen mich in Ansehung der Beantwortung dieser Aufgabe, ob ein lügenhaftes Versprechen pflichtmäßig sei, auf die allerkürzeste und doch untrügliche Art zu belehren, so frage ich mich selbst: würde ich wohl damit zufrieden sein, daß meine Maxime (mich durch ein unwahres Versprechen aus Verlegenheit zu ziehen) als ein allgemeines Gesetz (sowohl für mich als andere) gelten solle, und würde ich wohl zu mir sagen können: es mag jedermann ein unwahres Versprechen tun, wenn er sich in Verlegenheit befindet, daraus er sich auf andere Art nicht ziehen kann? So werde ich bald inne, daß ich zwar die Lüge, aber ein allgemeines Gesetz zu lügen gar nicht wollen könne; denn nach einem solchen würde es eigentlich gar kein Versprechen geben, weil es vergeblich wäre, meinen Willen in Ansehung meiner künftigen Handlungen andern vorzugeben, die diesem Vorgeben doch nicht glauben, oder, wenn sie es übereilter Weise täten, mich doch mit gleicher Münze bezahlen würden, mithin meine Maxime, so bald sie zum allgemeinen Gesetze gemacht würde, sich selbst zerstören müsse. S. 41f.
Aus: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Herausgegeben von Theodor Valentiner, Einleitung von Hans Ebeling Reclams Universalbibliothek Nr. 4507 © 1961, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart

Die Lüge ist der eigentliche faule Fleck
Es kann sein, daß nicht alles wahr ist, was ein Mensch dafür hält (denn er kann irren); aber in allem was er sagt, muß er wahrhaft sein (er soll nicht täuschen): es mag nun sein, daß sein Bekenntnis bloß innerlich (vor Gott) oder auch ein äußeres sei. — Die Übertretung dieser Pflicht der Wahrhaftigkeit heißt die Lüge; weshalb es äußere aber auch eine innere Lüge geben kann: so daß beide zusammen vereinigt, oder auch einander widersprechend, sich ereignen können.

Eine Lüge aber, sie mag innerlich oder äußerlich sein, ist zwiefacher Art:

1) wenn man das für wahr ausgibt, dessen man sich doch als unwahr bewußt ist,
2) wenn man etwas für gewiß ausgibt, wovon man sich doch bewußt ist, subjektiv ungewiß zu sein.


Die Lüge (»vom Vater der Lügen, durch den alles Böse in die Welt gekommen ist«) ist der eigentliche faule Fleck in der menschlichen Natur; so sehr auch zugleich der Ton der Wahrhaftigkeit (nach, dem Beispiel mancher chinesischen Krämer, die über ihre Laden die Aufschrift mit goldenen Buchstaben setzen: »allhier betrügt man nicht«), vornehmlich in dem was das Ubersinnliche betrifft, der gewöhnliche Ton ist. — Das Gebot: du sollst (und wenn es auch in der frömmsten Absicht wäre) nicht lügen, zum Grundsatz in die Philosophie als eine Weisheitslehre innigst aufgenommen, würde allein den ewigen Frieden in ihr nicht nur bewirken, sondern auch in alle Zukunft sichern können.
Königsberg. I. Kant.
S. 415f.
Aus: Immanuel Kant: Schriften zur Metaphysik und Logik 2, Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie. Werkausgabe Band VI.
Herausgegeben von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft stw 189
Das Gewissen
Das Gewissen ist ein Bewußtsein, das für sich selbst Pflicht ist. Wie ist es aber möglich, sich ein solches zu denken, da das Bewußtsein aller unserer Vorstellungen nur in logischer Absicht, mithin bloß bedingter Weise, wenn wir unsere Vorstellung klar machen wollen, notwendig zu sein scheint, mithin nicht unbedingt Pflicht sein kann?

Es ist ein moralischer Grundsatz, der keines Beweises bedarf: man soll nichts auf die Gefahr wagen, daß es unrecht sei (quod dubitas, ne feceris! Plin.). [Was du für zweifelhaft hältst, das tue nicht]. Das Bewußtsein also, daß eine Handlung, die ich unternehmen will, recht sei, ist unbedingte Pflicht. Ob eine Handlung überhaupt recht oder unrecht sei, darüber urteilt der Verstand, nicht das Gewissen. Es ist auch nicht schlechthin notwendig, von allen möglichen Handlungen zu wissen, ob sie recht oder unrecht sind. Aber von der, die ich unternehmen will, muß ich nicht allein urteilen, und meinen, sondern auch gewiß sein, daß sie nicht unrecht sei, und diese Forderung ist ein Postulat des Gewissens, welchem der Probabilismus, d.i. der Grundsatz entgegengesetzt ist: daß die bloße Meinung, eine Handlung könne wohl recht sein, schon hinreichend sei, sie zu unternehmen. -

Man könnte das Gewissen auch so definieren: es ist die sich selbst richtende moralische Urteilskraft; nur würde diese Definition noch einer vorhergehenden Erklärung der darin enthaltenen Begriffe gar sehr bedürfen. Das Gewissen richtet nicht die Handlungen als Kasus, die unter dem Gesetz stehen; denn das tut die Vernunft, so fern sie subjektiv-praktisch ist (daher die casus conscientiae und die Kasuistik, als eine Art von Dialektik des Gewissens): sondern hier richtet die Vernunft sich selbst, ob sie auch wirklich jene Beurteilung der Handlungen mit aller Behutsamkeit (ob sie recht oder unrecht sind) übernommen habe, und stellt den Menschen, wider oder für sich selbst, zum Zeugen auf, daß dieses geschehen, oder nicht geschehen sei.

Man nehme z.B. einen Ketzerrichter an, der an der Alleinigkeit seines statutarischen Glaubens, bis allenfalls zum Märtyrertume, fest hängt, und der einen des Unglaubens verklagten sogenannten Ketzer (sonst guten Bürger) zu richten hat, und nun frage ich: ob, wenn er ihn zum Tode verurteilt, man sagen könne, er habe seinem (obzwar irrenden) Gewissen gemäß gerichtet, oder ob man ihm vielmehr schlechthin Gewissenlosigkeit schuld geben könne? er mag geirret oder mit Bewußtsein unrecht getan haben, weil man es ihm auf den Kopf zusagen kann, daß er in einem solchen Falle nie ganz gewiß sein konnte, er tue hierunter nicht völlig unrecht.

Er war zwar vermutlich des festen Glaubens, daß ein übernatürlich-geoffenbarter göttlicher Wille (vielleicht nach dem Spruch: compellite intrare) [zwingt sie zum Eintritt] es ihm erlaubt, wo nicht gar zur Pflicht macht, den vermeinten Unglauben zusamt den Ungläubigen auszurotten. Aber war er denn wirklich von einer solchen geoffenbarten Lehre, und auch diesem Sinne derselben so sehr überzeugt, als erfordert wird, um es darauf zu wagen, einen Menschen umzubringen? Daß einem Menschen, seines Religionsglaubens wegen, das Leben zu nehmen unrecht sei, ist gewiß: wenn nicht etwa (um das Äußerste einzuräumen) ein göttlicher, außerordentlich ihm bekannt gewordener Wille es anders verordnet hat. Daß aber Gott diesen fürchterlichen Willen jemals geäußert habe, beruht auf Geschichtsdokumenten, und ist nie apodiktisch gewiß.

Die Offenbarung ist ihm doch nur durch Menschen zugekommen, und von diesen ausgelegt, und schiene sie ihm auch von Gott selbst gekommen zu sein (wie der an Abraham ergangene Befehl, seinen eigenen Sohn wie ein Schaf zu schlachten), so ist es wenigstens doch möglich, daß hier ein Irrtum vorwalte. Alsdann aber würde er es auf die Gefahr wagen, etwas zu tun, was höchst unrecht sein würde, und hierin eben handelt er gewissenlos. - So ist es nun mit allem Geschichts- und Erscheinungsglauben bewandt: daß nämlich die Möglichkeit immer übrig bleibt, es sei darin ein Irrtum anzutreffen, folglich ist es gewissenlos, ihm bei der Möglichkeit, daß vielleicht dasjenige, was er fordert, oder erlaubt, unrecht sei, d.i. auf die Gefahr der Verletzung einer an sich gewissen Menschenpflicht, Folge zu leisten.

Noch mehr: eine Handlung, die ein solches positives (dafür gehaltenes) Offenbarungsgesetz gebietet, sei auch an sich erlaubt, so fragt sich, ob geistliche Obere oder Lehrer es, nach ihrer vermeinten Überzeugung dem Volke als Glaubensartikel (bei Verlust ihres Standes) zu bekennen auferlegen dürfen? Da die Überzeugung keine andere als historische Beweisgründe für sich hat, in dem Urteile dieses Volks aber (wenn es sich selbst nur im mindesten prüft) immer die absolute Möglichkeit eines vielleicht damit, oder bei ihrer klassischen Auslegung vorgegangenen Irrtums übrig bleibt, so würde der Geistliche das Volk nötigen, etwas, wenigstens innerlich, für so wahr, als es einen Gott glaubt, d.i. gleichsam im Angesichte Gottes, zu bekennen, was es, als ein solches, doch nicht gewiß weiß, z.B. die Einsetzung eines gewissen Tages zur periodischen öffentlichen Beförderung der Gottseligkeit, als ein von Gott unmittelbar verordnetes Religionsstück, anzuerkennen, oder ein Geheimnis, als von ihm festiglich geglaubt zu bekennen, was es nicht einmal versteht. Sein geistlicher Oberer würde hiebei selbst wider Gewissen verfahren, etwas, wovon er selbst nie völlig überzeugt sein kann, andern zum Glauben aufzudringen, und sollte daher billig wohl bedenken, was er tut, weil er allen Mißbrauch aus einem solchen Fronglauben verantworten muß. - Es kann also vielleicht Wahrheit im Geglaubten, aber doch zugleich Unwahrhaftigkeit im Glauben (oder dessen selbst bloß innerem Bekenntnisse) sein, und diese ist an sich verdammlich.

Obzwar, wie oben angemerkt worden, Menschen, die nur den mindesten Anfang in der Freiheit zu denken gemacht haben,* da sie vorher unter einem Sklavenjoche des Glaubens waren (z.B. die Protestanten), sich sofort gleichsam für veredelt halten, je weniger sie (Positives und zur Priestervorschrift Gehöriges) zu glauben nötig haben, so ist es doch bei denen, die noch keinen Versuch dieser Art haben machen können, oder wollen, gerade umgekehrt; denn dieser ihr Grundsatz ist: es ist ratsam, lieber zuviel, als zu wenig zu glauben.
*Ich gestehe, daß ich mich in den Ausdruck, dessen sich auch wohl kluge Männer bedienen, nicht wohl finden kann: Ein gewisses Volk (was in der Bearbeitung einer gesetzlichen Freiheit begriffen ist) ist zur Freiheit nicht reif; die Leibeigenen eines Gutseigentümers sind zur Freiheit noch nicht reif; und so auch, die Menschen überhaupt sind zur Glaubensfreiheit noch nicht reif. Nach einer solchen Voraussetzung aber wird die Freiheit nie eintreten; denn man kann zu dieser nicht reifen, wenn man nicht zuvor in Freiheit gesetzt worden ist (man muß frei sein, um sich seiner Kräfte in der Freiheit zweckmäßig bedienen zu können). Die ersten Versuche werden freilich roh, gemeiniglich auch mit einem beschwerlicheren und gefährlicheren Zustande verbunden sein, als da man noch unter den Befehlen, aber auch der Vorsorge anderer stand; allein man reift für die Vernunft nie anders, als durch eigene Versuche (welche machen zu dürfen man frei sein muß). Ich habe nichts dawider, daß die, welche die Gewalt in Händen haben, durch Zeitumstände genötigt, die Entschlagung von diesen drei Fesseln noch weit, sehr weit aufschieben. Aber es zum Grundsatze machen, daß denen, die ihnen einmal unterworfen sind, überhaupt die Freiheit nicht tauge, und man berechtigt sei, sie jederzeit davon zu entfernen, ist ein Eingriff in die Regalien der Gottheit selbst, der den Menschen zur Freiheit schuf. Bequemer ist es freilich, im Staat, Hause und Kirche zu herrschen, wenn man einen solchen Grundsatz durchzusetzen vermag. Aber auch gerechter?

Denn, was man mehr tut, als man schuldig ist, schade wenigstens nicht, könne aber doch vielleicht wohl gar helfen. - Auf diesen Wahn, der die Unredlichkeit in Religionsbekenntnissen zum Grundsatze macht (wozu man sich desto leichter entschließt, weil die Religion jeden Fehler, folglich auch den der Unredlichkeit wieder gut macht), gründet sich die sogenannte Sicherheitsmaxime in Glaubenssachen (argumentum a tuto): Ist das wahr, was ich von Gott bekenne, so habe ich's getroffen; ist es nicht wahr, übrigens auch nichts an sich Unerlaubtes: so habe ich es bloß überflüssig geglaubt, was zwar nicht nötig war, mir aber nur etwa eine Beschwerde, die doch kein Verbrechen ist, aufgeladen.

Die Gefahr aus der Unredlichkeit seines Vorgebens, die Verletzung des Gewissens, etwas selbst vor Gott für gewiß auszugeben, wovon er sich doch bewußt ist, daß es nicht von der Beschaffenheit sei, es mit unbedingtem Zutrauen zu beteuern, dieses alles hält der Heuchler für nichts. -

Die echte mit der Religion allein vereinbarte Sicherheitsmaxime ist gerade die umgekehrte: Was, als Mittel, oder als Bedingung der Seligkeit, mir nicht durch meine eigene Vernunft, sondern nur durch Offenbarung bekannt, und vermittelst eines Geschichtsglaubens allein in meine Bekenntnisse aufgenommen werden kann, übrigens aber den reinen moralischen Grundsätzen nicht widerspricht, kann ich zwar nicht für gewiß glauben und beteuern, aber auch eben so wenig als gewiß falsch abweisen. Gleichwohl, ohne etwas hierüber zu bestimmen, rechne ich darauf, daß, was darin Heilbringendes enthalten sein mag, mir, sofern ich mich nicht etwa durch den Mangel der moralischen Gesinnung in einem guten Lebenswandel dessen unwürdig mache, zu gut kommen werde. In dieser Maxime ist wahrhafte moralische Sicherheit, nämlich vor dem Gewissen (und mehr kann von einem Menschen nicht verlangt werden), dagegen ist die höchste Gefahr und Unsicherheit bei dem vermeinten Klugheitsmittel, die nachteiligen Folgen, die mir aus dem Nichtbekennen entspringen dürften, listiger Weise zu umgehen, und dadurch, daß man es mit beiden Parteien hält, es mit beiden zu verderben. -

Wenn sich der Verfasser eines Symbols, wenn sich der Lehrer einer Kirche, ja jeder Mensch, sofern er innerlich sich selbst die Überzeugung von Sätzen als göttlichen Offenbarungen gestehen soll, fragte: getrauest du dich wohl in Gegenwart des Herzenskündigers mit Verzichttuung auf alles, was dir wert und heilig ist, dieser Sätze Wahrheit zu beteuren? so müßte ich von der menschlichen (des Guten doch wenigstens nicht ganz unfähigen) Natur einen sehr nachteiligen Begriff haben, um nicht vorauszusehen, daß auch der kühnste Glaubenslehrer hiebei zittern müßte.*
*Der nämliche Mann, der so dreist ist zu sagen: wer an diese oder jene Geschichtslehre als eine teure Wahrheit nicht glaubt, der ist verdammt, der müßte doch auch sagen können: »wenn das, was ich euch hier erzähle, nicht wahr ist, so will ich verdammt sein!« - Wenn es jemand gäbe, der einen solchen schrecklichen Ausspruch tun konnte, so würde ich raten, sich in Ansehung seiner nach dem persischen Sprichwort von einem Hadgi zu richten: ist jemand einmal (als Pilgrim) in Mekka gewesen, so ziehe aus dem Hause, worin er mit dir wohnt; ist er zweimal da gewesen, so ziehe aus derselben Straße, wo er sich befindet; ist er aber dreimal da gewesen, so verlasse die Stadt, oder gar das Land, wo er sich aufhält.

Wenn das aber so ist, wie reimt es sich mit der Gewissenhaftigkeit zusammen, gleichwohl auf eine solche Glaubenserklärung, die keine Einschränkung zuläßt, zu dringen, und die Vermessenheit solcher Beteurungen sogar selbst für Pflicht und gottesdienstlich auszugeben, dadurch aber die Freiheit der Menschen, die zu allem, was moralisch ist (dergleichen die Annahme einer Religion), durchaus erfordert wird, gänzlich zu Boden zu schlagen, und nicht einmal dem guten Willen Platz einzuräumen, der da sagt: »Ich glaube, lieber Herr, hilf meinem Unglauben!«*
**O Aufrichtigkeit! du Asträa, die du von der Erde zum Himmel entflohen bist, wie zieht man dich (die Grundlage des Gewissens, mithin aller inneren Religion) von da zu uns wieder herab? Ich kann es einräumen, wiewohl es sehr zu bedauren ist, daß Offenherzigkeit (die ganze Wahrheit, die man weiß, zu sagen) in der menschlichen Natur nicht angetroffen wird. Aber Aufrichtigkeit (daß alles, was man sagt, mit Wahrhaftigkeit gesagt sei) muß man von jedem Menschen fordern können, und, wenn auch selbst dazu keine Anlage in unserer Natur wäre, deren Kultur nur vernachlässigt wird, so würde die Menschenrasse in ihren eigenen Augen ein Gegenstand der tiefsten Verachtung sein müssen. - Aber jene verlangte Gemütseigenschaft ist eine solche, die vielen Versuchungen ausgesetzt ist, und manche Aufopferung kostet, daher auch moralische Stärke, d.i. Tugend (die erworben werden muß) fordert, die aber früher als jede andere bewachet und kultiviert werden muß, weil der entgegengesetzte Hang, wenn man ihn hat einwurzeln lassen, am schwersten auszurotten ist. - Nun vergleiche man damit unsere Erziehungsart, vornehmlich im Punkte der Religion, oder, besser, der Glaubenslehren, wo die Treue des Gedächtnisses, in Beantwortung der sie betreffenden Fragen, ohne auf die Treue des Bekenntnisses zu sehen (worüber nie eine Prüfung angestellt wird), schon für hinreichend angenommen wird, einen Gläubigen zu machen, der das, was er heilig beteuert, nicht einmal versteht, und man wird sich über den Mangel der Aufrichtigkeit, der lauter innere Heuchler macht, nicht mehr wundern. S.209-215
Aus: Immanuel Kant: Die Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft, Meiner Philosophische Bibliothek Band 45



Zum ewigen Frieden

Zweiter Definitivartikel zum ewigen Frieden
Das Völkerrecht soll auf einen FörderaIismus freier Staaten gegründet sein.
Völker als Staaten können wie einzelne Menschen beurteilt werden, die sich in ihrem Naturzustande (d. i. in der Unabhängigkeit von äußern Gesetzen) schon durch ihr Nebeneinandersein lädieren, und deren jeder um seiner Sicherheit willen von dem andern fordern kann und soll, mit ihm in eine der bürgerlichen ähnliche Verfassung zu treten, wo jedem sein Recht gesichert werden kann. Dies wäre ein Völkerbund, der aber gleichwohl kein Völkerstaat sein müßte. Darin aber wäre ein Widerspruch: weil ein jeder Staat das Verhältnis eines Oberen (Gesetzgebenden) zu einem Unteren (Gehorchenden, nämlich dem Volk) enthält, viele Völker aber in einem Staate nur ein Volk ausmachen würden, welches (da wir hier das Recht der Völker gegeneinander zu erwägen haben, sofern sie so viel verschiedene Staaten ausmachen und nicht in einem Staat zusammenschmelzen sollen) der Voraussetzung widerspricht.

Gleichwie wir nun die Anhänglichkeit der Wilden an ihre gesetzlose Freiheit, sich lieber unaufhörlich zu balgen, als sich einem gesetzlichen, von ihnen selbst zu konstituierenden Zwange zu unterwerfen, mithin die tolle Freiheit der vernünftigen vorzuziehen, mit tiefer Verachtung ansehen und als Rohigkeit, Ungeschliffenheit und viehische Abwürdigung der Menschheit betrachten, so, sollte man denken, mußten gesittete Völker (jedes für sich zu einem Staat vereinigt) eilen, aus einem so verworfenen Zustande je eher desto lieber herauszukommen: statt dessen aber setzt vielmehr jeder Staat seine Majestät (denn Volksmajestät ist ein ungereimter Ausdruck) gerade darin, gar keinem äußeren gesetzlichen Zwange unterworfen zu sein, und der Glanz seines Oberhaupts besteht darin, daß ihm, ohne daß er sich eben selbst in Gefahr setzen darf, viele Tausende zu Gebot stehen, sich für eine Sache, die sie nichts angeht, aufopfern zu lassen,* und der Unterschied der europäischen Wilden von den amerikanischen besteht hauptsächlich darin, daß, da manche Stämme der letzteren von ihren Feinden gänzlich sind gegessen worden, die ersteren ihre Überwundene besser zu benutzen wissen, als sie zu verspeisen, und lieber die Zahl ihrer Untertanen, mithin auch die Menge der Werkzeuge zu noch ausgebreitetern Kriegen durch sie zu vermehren wissen.
* So gab ein bulgarischer Fürst den griechischen Kaiser, der gutmütigerweise seinen Streit mit ihm durch einen Zweikampf ausmachen wollte, zur Antwort: »Ein Schmied, der Zangen hat, wird das glühende Eisen aus den Kohlen nicht mit seinen Händen herauslangen.«

Bei der Bösartigkeit der menschlichen Natur, die sich im freien Verhältnis der Völker unverhohlen blicken läßt
(indessen daß sie im bürgerlich-gesetzlichen Zustande durch den Zwang der Regierung sich sehr verschleiert), ist es doch zu verwundern, daß das Wort Recht aus der Kriegspolitik noch nicht als pedantisch ganz hat verwiesen werden können, und sich noch kein Staat erkühnt hat, sich für die letztere Meinung öffentlich zu erklären; denn noch werden Hugo Grotius, Pufendorf, Vattel u. a. m. (lauter leidige Tröster), obgleich ihr Kodex, philosophisch oder diplomatisch abgefaßt, nicht die mindeste gesetzliche Kraft hat, oder auch nur haben kann (weil Staaten als solche nicht unter einem gemeinschaftlichen äußeren Zwange stehen), immer treuherzig zur Rechtfertigung eines Kriegsangriffs angeführt, ohne daß es ein Beispiel gibt, daß jemals ein Staat durch mit Zeugnissen so wichtiger Männer bewaffnete Argumente wäre bewogen worden, von seinem Vorhaben abzustehen. —

Diese Huldigung, die jeder Staat dem Rechtsbegriffe (wenigstens den Worten nach) leistet, beweist doch, daß eine noch größere, obzwar zur Zeit schlummernde, moralische Anlage im Menschen anzutreffen sei, über das böse Prinzip in ihm (was er nicht ableugnen kann) doch einmal Meister zu werden und dies auch von andern zu hoffen; denn sonst würde das Wort Recht den Staaten, die sich einander befehden wollen, nie in den Mund kommen, es sei denn, bloß um seinen Spott damit zu treiben, wie jener gallische Fürst es erklärte: »Es ist der Vorzug, den die Natur dem Stärkern über den Schwachem gegeben hat, daß dieser ihm gehorchen soll.«

Da die Art, wie Staaten ihr Recht verfolgen, nie wie bei einem äußern Gerichtshofe der Prozeß, sondern nur der Krieg sein kann, durch diesen aber und seinen günstigen Ausschlag, den Sieg, das Recht nicht entschieden wird, und durch den Friedensvertrag zwar wohl dem diesmaligen Kriege, aber nicht dem Kriegszustande (immer zu einem neuen Vorwand zu finden) ein Ende gemacht wird (den man auch nicht geradezu für ungerecht erklären kann, weil in diesem Zustande jeder in seiner eigenen Sache Richter ist), gleichwohl aber von Staaten nach dem Völkerrecht nicht eben das gelten kann, was von Menschen im gesetz-losen Zustande nach dem Naturrecht gilt, »aus diesem Zustande herausgehen zu sollen« (weil sie als Staaten innerlich schon eine rechtliche Verfassung haben und also dem Zwange anderer, sie nach ihren Rechtsbegriffen unter eine erweiterte gesetzliche Verfassung zu bringen, entwachsen sind), indessen daß doch die Vernunft vom Throne der höchsten moralisch gesetzgebenden Gewalt herab den Krieg als Rechtsgang schlechterdings verdammt, den Friedenszustand dagegen zur unmittelbaren Pflicht macht, welcher doch ohne einen Vertrag der Völker unter sich nicht gestiftet oder gesichert werden kann: — so muß es einen Bund von besonderer Art geben, den man den Friedensbund (foedus pacificum) nennen kann, der vom Friedensvertrag (pactum pacis) darin unterschieden sein würde, daß dieser bloß einen Krieg, jener aber alle Kriege auf immer zu endigen suchte. Dieser Bund geht auf keinen Erwerb irgend einer Macht des Staats, sondern lediglich auf Erhaltung und Sicherung der Freiheit eines Staats für sich selbst und zugleich anderer verbündeten Staaten, ohne daß diese doch sich deshalb (wie Menschen im Naturzustande) öffentlichen Gesetzen und einem Zwange unter denselben unterwerfen dürfen. —

Die Ausführbarkeit (objektive Realität) dieser Idee der FörderaIität, die sich allmählich über alle Staaten erstrecken soll und so zum ewigen Frieden hinführt, läßt sich darstellen. Denn wenn das Glück es so fügt: daß ein mächtiges und aufgeklärtes Volk sich zu einer Republik (die ihrer Natur nach zum ewigen Frieden geneigt sein muß) bilden kann, so gibt diese einen Mittelpunkt der förderativen Vereinigung für andere Staaten ab, um sich an sie anzuschließen und so den Freiheitszustand der Staaten gemäß der Idee des Völkerrechts zu sichern und sich durch mehrere Verbindungen dieser Art nach und nach immer weiter auszubreiten.

Daß ein Volk sagt: »Es soll unter uns kein Krieg sein; denn wir wollen uns in einem Staat formieren, d. i. uns selbst eine oberste gesetzgebende, regierende und richtende Gewalt setzen, die unsere Streitigkeiten friedlich ausgleicht« — das läßt sich verstehen. ——

Wenn aber dieser Staat sagt: »Es soll kein Krieg zwischen mir und andern Staaten sein, obgleich ich keine oberste gesetzgebende Gewalt erkenne, die mir mein und der ich ihr Recht sichere«, so ist es gar nicht zu verstehen, worauf ich dann das Vertrauen zu meinem Rechte gründen wolle, wenn es nicht das Surrogat des bürgerlichen Gesellschaftbundes, nämlich der freie Förderalismus, ist, den die Vernunft mit dem Begriffe des Völkerrechts notwendig verbinden muß, wenn überall etwas dabei zu denken übrig bleiben soll.

Bei dem Begriffe des Völkerrechts, als eines Rechts zum Kriege, läßt sich eigentlich gar nichts denken (weil es ein Recht sein soll, nicht nach allgemein gültigen äußern, die Freiheit jedes einzelnen einschränkenden Gesetzen, sondern nach einseitigen Maximen durch Gewalt, was Recht sei, zu bestimmen), es müßte denn darunter verstanden werden: daß Menschen, die so gesinnt sind, ganz recht geschieht, wenn sie sich untereinander aufreiben und also den ewigen Frieden in dem weiten Grabe finden, das alle Greuel der Gewalttätigkeit samt ihren Urhebern bedeckt. —

Für Staaten im Verhältnisse untereinander kann es nach der Vernunft keine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustande, der lauter Krieg enthält, herauszukommen, als daß sie ebenso wie einzelne Menschen ihre wilde (gesetzlose) Freiheit aufgeben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen und so einen (freilich immer wachsenden) Völkerstaat (civitas gentium), der zuletzt alle Völker der Erde befassen würde, bilden. Da sie dieses aber nach ihrer Idee vom Völkerrecht durchaus nicht wollen, mithin, was in thesi richtig ist, in hypothesi verwerfen, so kann an die Stelle der positiven Idee einer Weltrepublik (wenn nicht alles verloren werden soll) nur das negative Surrogat eines den Krieg abwehrenden, bestehenden und sich immer ausbreitenden Bundes den Strom der rechtscheuenden, feindseligen Neigung aufhalten, doch mit beständiger Gefahr ihres Ausbruchs (Furor impius intus — fremit horridus ore cruento. Virgil).Nach einem beendigten Kriege, beim Friedensschlusse, möchte es wohl für ein Volk nicht unschicklich sein, daß nach dem Dankfeste ein Bußtag ausgeschrieben würde, den Himmel im Namen des Staats um Gnade für die große Versündigung anzurufen, die das menschliche Geschlecht sich noch immer zuschulden kommen läßt, sich keiner gesetzlichen Verfassung im Verhältnis auf andere Völker fügen zu wollen, sondern stolz auf seine Unabhängigkeit lieber das barbarische Mittel des Krieges (wodurch doch das, was gesucht wird, nämlich das Recht eines jeden Staats, nicht ausgemacht wird) zu gebrauchen. —

Die Dankfeste während dem Kriege über einen erfochtenen Sieg, die Hymnen, die (auf gut israelitisch) dem Herrn der Heerscharen gesungen werden, stehen mit der moralischen Idee des Vaters der Menschen in nicht minder starkem Kontrast: weil sie außer der Gleichgültigkeit wegen der Art, wie Völker ihr gegenseitiges Recht suchen (die traurig genug ist), noch eine Freude hineinbringen, recht viel Menschen oder ihr Glück vernichtet zu haben. S.16ff.
Aus: Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Herausgegeben von Rudolf Malter . Reclams Universalbibliothek Nr. 1501. © 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart

Erfordernisse, Zwecke, Aufgaben der Philosophie
Das Feld der Philosophie in der weltbürgerlichen Bedeutung
läßt sich auf folgende Fragen bringen:

1) Was kann ich wissen? –
2) Was soll ich tun? –
4) Was ist der Mensch?

Die erste Frage beantwortet die Metaphysik, die zweite die Moral, die dritte die Religion, und die vierte die Anthropologie.Im Grunde könnte man aber alles dieses zur Anthropologie rechnen, weil sich die drei ersten Fragen auf die letzte beziehen.

Der Philosoph muß also bestimmen können

1) die Quellen des menschlichen Wissens,
2) den Umfang des möglichen und nützlichen Gebrauchs alles Wissens, und endlich
3) Die Grenzen der Vernunft. —

Das letztere ist das Nötigste aber auch das Schwerste, um das sich aber der Philodox nicht bekümmert. Zu einem Philosophen gehören hauptsächlich zwei Dinge:

1) Kultur des Talents und der Geschicklichkeit um sie zu allerlei Zwecken zu gebrauchen.
2) Fertigkeit im Gebrauch aller Mittel zu beliebigen Zwecken.

Beides muß vereiniget sein; denn ohne Kenntnisse wird man nie ein Philosoph werden, aber nie werden auch Kenntnisse allein den Philosophen ausmachen, wofern nicht zweckmäßige Verbindung aller Erkenntnisse und Geschicklichkeiten zur Einheit hinzukommt, und eine Einsicht in die Übereinstimmung derselben mit den höchsten Zwecken der menschlichen Vernunft.

Es kann sich überhaupt keiner einen Philosophen nennen, der nicht philosophieren kann. Philosophieren läßt sich aber nur durch Übung und selbsteigenem Gebrauch der Vernunft lernen.

Wie sollte sich auch Philosophie eigentlich lernen lassen?

— Jeder philosophische Denker baut, so zu sagen, auf den Trümmern eines andern sein Werk; nie aber ist eines zu Stande gekommen, das in allen seinen Teilen beständig gewesen wäre. Man kann daher schon aus dem Grunde Philosophie nicht lernen, weil sie noch nicht gegeben ist. Gesetzt aber auch, es wäre eine wirklich vorhanden: so würde doch keiner, der sie auch lernte, von sich sagen können, daß er ein Philosoph sei; denn seine Kenntnis davon wäre doch immer nur subjektiv-historisch.

In der Mathematik verhält sich die Sache anders. Diese Wissenschaft kann man wohl gewissermaßen lernen; denn die Beweise sind hier so evident, daß ein jeder davon überzeugt werden kann; auch kann sie ihrer Evidenz wegen, als eine gewisse und beständige Lehre, gleichsam aufbehalten werden.

Der philosophieren lernen will, darf dagegen alle Systeme der Philosophie nur als Geschichte des Gebrauchs der Vernunft ansehen und als Objekte der Übung seines philosophischen Talents.

Der wahre Philosoph muß also als Selbstdenker einen freien und selbsteigenen, keinen sklavisch nachahmenden Gebrauch seiner Vernunft machen. Aber auch keinen dialektischen, d. i. keinen solchen Gebrauch, der nur darauf abzweckt, den Erkenntnissen einen Schein von Wahrheit und Weisheit zu geben. Dieses ist das Geschäft des bloßen Sophisten; aber mit der Würde des Philosophen, als eines Kenners und Lehrers der Weisheit, durchaus unverträglich.

Denn Wissenschaft hat einen innern wahren Wert nur als Organ der Weisheit. Als solches ist sie ihr aber auch unentbehrlich, so daß man wohl behaupten darf: Weisheit ohne Wissenschaft sei ein Schattenriß von einer Vollkommenheit, zu der wir nie gelangen werden.

Der die Wissenschaft hasset, um desto mehr aber die Weisheit liebet, den nennt man einen Misologen. Die Misologie entspringt gemeiniglich aus einer Leerheit von wissenschaftlichen Kenntnissen und einer gewissen damit verbundenen Art von Eitelkeit. Zuweilen verfallen aber auch die¬jenigen in den Fehler der Misologie, welche anfangs mit großem Fleiße und Glücke den Wissenschaften nachgegangen waren, am Ende aber in ihrem ganzen Wissen keine Befriedigung fanden.

Philosophie ist die einzige Wissenschaft, die uns diese innere Genugtuung zu verschaffen weiß; denn sie schließt gleichsam den wissenschaftlichen Zirkel und durch sie erhalten sodann erst die Wissenschaften Ordnung und Zusammenhang.

Wir werden also, zum Behuf der Übung im Selbstdenken oder Philosophieren, mehr auf die Methode unseres Vernunftgebrauchs zu sehen haben, als auf die Sätze selbst, zu denen wir durch dieselbe gekommen sind. S. 447-450
Aus: Immanuel Kant: Schriften zur Metaphysik und Logik 2, Logik.. Werkausgabe Band VI. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft stw 189
Was ist Philosophie, als Lehre, die unter allen Wissenschaften das größte Bedürfnis der Menschen ausmacht?
Sie ist das, was schon ihr Name anzeigt: Weisheitsforschung. Weisheit aber ist die Zusammenstimmung des Willens zum Endzweck ( dem höchsten Gut), und da dieses, sofern es erreichbar ist, auch Pflicht ist, und umgekehrt, wenn er Pflicht ist, auch erreichbar sein muß, ein solches Gesetz der Handlungen aber moralisch heißt: so wird Weisheit für den Menschen nichts anders als das innere Prinzip des Willens der Befolgung moralischer Gesetze sein, welcherlei Art auch der Gegenstand der selben sein mag, der jederzeit übersinnlich sein wird: weil ein durch einen empirischen Gegenstand bestimmter Wille wohl eine technisch-praktische Befolgung einer Regel, aber keine Pflicht (die ein nicht physisches Verhältnis ist) begründen kann. S. 410
Aus: Immanuel Kant: Schriften zur Metaphysik und Logik 2, Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie. Werkausgabe Band VI. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft stw 189
Die Metaphysik hat zum eigentlichen Zwecke, ihrer Nachforschung nur drei Ideen: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, so daß der zweite Begriff, mit dem ersten verbunden, auf den dritten, als einen notwendigen Schlußsatz, führen soll. Alles, womit sich diese Wissenschaft sonst beschäftigt, dient ihr bloß zum Mittel, um zu diesen Ideen und ihrer Realität zu gelangen.
Aus: Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (S.367), Philosophische Bibliothek Band 37a, Felix Meiner Verlag, HamburgVon den übersinnlichen Gegenständen unserer Erkenntnis
Die übersinnlichen Gegenstände unserer Erkenntnis sind Gott, Freiheit, und Unsterblichkeit. –

1) Gott, als das allverpflichtende Wesen;

2) Freiheit, als Vermögen des Menschen, die Befolgung seiner Pflichten (gleich als göttlicher Gebote) gegen alle Macht der Natur zu behaupten;

3) Unsterblichkeit, als ein Zustand, in welchem dem Menschen sein Wohl oder Weh in Verhältnis auf seinen moralischen Wert zu Teil werden soll. -

Man sieht, daß sie zusammen gleichsam in der Verkettung der drei Sätze eines zurechnenden Vernunftschlusses stehen; und da ihnen, eben darum weil sie Ideen des Übersinnlichen sind, keine objektive Realität in theoretischer Rücksicht gegeben werden kann, so wird, wenn ihnen gleichwohl eine solche verschafft werden soll, sie ihnen nur in praktischer Rücksicht, als Postulaten* der moralisch-praktischen Vernunft, zugestanden werden können.
*Postulat ist ein apriori gegebener, keiner Erklärung seiner Möglichkeit (mithin auch keines Beweises) fähiger, praktischer Imperativ. Man postuliert also nicht Sachen, oder überhaupt das Dasein irgend eines Gegenstandes, sondern nur eine Maxime (Regel) der Handlung eines Subjekts. — Wenn es nun Pflicht ist, zu einem gewissen Zweck (dem höchsten Gut) hinzuwirken, so muß ich auch berechtigt sein anzunehmen: daß die Bedingungen da sind, unter denen allein diese Leistung der Pflicht möglich ist, obzwar dieselben übersinnlich sind, und wir (in theoretischer Rücksicht) kein Erkenntnis derselben zu erlangen vermögend sind.


Unter diesen Ideen führt also die mittlere, nämlich die der Freiheit, weil die Existenz derselben in dem kategorischen Imperativ enthalten ist, der keinem Zweifel Raum läßt, die zwei übrigen in ihrem Gefolge bei sich; indem er, das oberste Prinzip der Weisheit, folglich auch den Endzweck des vollkommensten Willens (die höchste mit der Moralität zusammenstimmende Glückseligkeit) voraussetzend, bloß die Bedingungen enthält, unter welchen allein diesem Genüge geschehen kann. Denn das Wesen, welches diese proportionierte Austeilung allein zu vollziehen vermag, ist Gott; und der Zustand, in welchem diese Vollziehung an vernünftigen Weltwesen allein jenem Endzweck völlig angemessen verrichtet werden kann, die Annahme einer schon in ihrer Natur begründeten Fortdauer des Lebens, d. i. die Unsterblichkeit. Denn wäre die Fortdauer des Lebens darin nicht begründet, so würde sie nur Hoffnung eines künftigen, nicht aber ein durch Vernunft (im Gefolge des moralischen Imperativs) notwendig vorauszusetzendes künftiges Leben bedeuten.

RESULTAT

Es ist also bloßer Mißverstand, oder Verwechselung moralisch-praktischer Prinzipien der Sittlichkeit mit theoretischen, unter denen nur die ersteren in Ansehung des Übersinnlichen Erkenntnis verschaffen können, wenn noch ein Streit über das, was Philosophie als Weisheitslehre sagt, erhoben wird; und man kann von dieser, weil wider sie nichts Erhebliches mehr eingewandt wird und werden kann, mit gutem Grunde den nahen Abschluß eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie verkündigen. S. 411f.
Aus: Immanuel Kant: Schriften zur Metaphysik und Logik 2, Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie. Werkausgabe Band VI.
Herausgegeben von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft stw 189


Über Geisterseher
Kant an Fräulein Charlotte von Knobloch
Ich würde mich der Ehre und des Vergnügens nicht so lange beraubt haben, dem Befehl einer Dame, die die Zierde ihres Geschlechts ist, durch die Abstattung des erforderten Berichts nachzukommen, wenn ich‘s nicht für nötig erachtet hätte, zuvor eine vollständigere Erkundigung in dieser Sache einzuziehen. Der Inhalt der Erzählung, zu der ich mich anschicke, ist von ganz anderer Art, als diejenigen gewöhnlich sein müssen, denen es erlaubt sein soll, mit allen Grazien umgeben, in die Zimmer der Schönen einzudringen. Ich würde es auch zu verantworten haben, wenn bei Durchlesung derselben irgend feierlicher Ernst einen Augenblick die Miene der Fröhlichkeit auslöschen sollte, womit zufriedene Unschuld die ganze Schöpfung anzublicken berechtigt ist, wenn ich nicht versichert wäre, daß, obgleich dergleichen Bilder einerseits denjenigen Schauder rege machen, der eine Wiederholung alter Erziehungseindrücke ist, dennoch die erleuchtete Dame, die dieses lieset, die Annehmlichkeit nicht vermissen werde, die eine richtige Anwendung dieser Vorstellung liefern kann. Erlauben Sie mir gnädiges Fräulein, daß ich mein Verfahren in dieser Sache rechtfertige, da es scheinen könnte, daß ein gemeiner Wahn mich etwa möchte vorbereitet haben, die dahin einschlagenden Erzählungen aufzusuchen und ohne sorgfältige Prüfung gerne anzunehmen.

Ich weiß nicht, ob jemand an mir eine Spur von einer zum Wunderbaren geneigten Gemütsart oder von einer Schwäche, die leicht zum Glauben bewogen wird, sollte jemals haben wahrnehmen können. So viel ist gewiß, daß ungeachtet aller Geschichten von Erscheinungen und Handlungen des Geisterreichs, davon mir eine große Menge der wahrscheinlichsten bekannt ist, ich doch jederzeit der Regel der gesunden Vernunft am gemäßesten zu sein erachtet habe, sich auf die verneinende Seite zu lenken; nicht als ob ich vermeinet, die Unmöglichkeit davon eingesehen zu haben, (denn, wie wenig ist uns doch von der Natur eines Geistes bekannt?) sondern, weil sie insgesamt nicht genugsam bewiesen sind; übrigens auch, was die Unbegreiflichkeit dieser Art Erscheinungen, imgleichen ihre Unnützlichkeit anlangt, der Schwierigkeiten so viele sind, dagegen aber des entdeckten Betruges und auch der Leichtigkeit betrogen zu werden, so mancherlei. daß ich, der ich mir überhaupt nicht gerne Ungelegenheiten mache, nicht für ratsam hielt, mir deswegen auf Kirchhöfen oder ·in einer Finsternis bange werden zu lassen. Dieses ist die Stellung, in welcher sich mein Gemüt von langer Zeit her befand, bis die Geschichte des Herrn Swedenborg mir bekannt gemacht wurde.

Diese Nachricht hatte ich durch einen dänischen Offizier, der mein Freund und ehemaliger Zuhörer war, welcher an der Tafel des österreichischen Gesandten Dietrichstein in Kopenhagen den Brief, den dieser Herr zu derselben. Zeit von dem Baron von Lützow, mecklenburgischem Gesandten in Stockholm, bekam, selbst nebst andern Gästen gelesen hatte, wo gedachter von Lützow ihm meldet, daß er in Gesellschaft des holländischen Gesandten bei der Königin von Schweden der sonderbaren Geschichte, die Ihnen, gnädiges Fräulein, vom Herrn von Swedenborg schon bekannt sein wird, selbst beigewohnet habe. Die Glaubwürdigkeit einer solchen Nachricht machte mich stutzig. Denn, man kann es schwerlich annehmen, daß ein Gesandter an einen andern Gesandten eine Nachricht zum öffentlichen Gebrauch überschreiben sollte, welche von der Königin des Hofes, wo er sich befindet, etwas melden sollte, welches unwahr wäre und wobei er doch, nebst einer ansehnlichen Gesellschaft zugegen wollte gewesen sein. Um nun das Vorurteil von Erscheinungen und Gesichtern nicht durch ein neues Vorurteil blindlings zu verwerfen, fand ich es vernünftig, mich nach dieser Geschichte näher zu erkundigen. Ich schrieb an gedachten Offizier nach Kopenhagen und gab ihm allerlei Erkundigungen auf. Er antwortete, daß er nochmals desfalls den Grafen von Dietrichstein gesprochen hätte, daß die Sache sich wirklich so verhielte, daß der Professor Schlegel ihm bezeuget habe, es wäre gar nicht daran zu zweifein.

Er riet mir, weil er damals zur Armee unter dem General St. Germain abging, an den von Swedenborg selbst zu schreiben, um nähere Umstände davon zu erfahren. Ich schrieb demnach an diesen seltsamen Mann und der Brief wurde ihm von einem englischen Kaufmann in Stockholm eingehändiget. Man berichtete hieher, der Herr von Swedenborg habe den Brief geneigt aufgenommen und versprochen, ihn zu beantworten. Allein diese Antwort blieb aus. Mittlerweile machte ich Bekanntschaft mit einem feinen Manne, einem Engländer, der sich verwichenen Sommer hier aufhielt, welchem ich, kraft der Freundschaft, die wir zusammen aufgerichtet hatten, auftrug, bei seiner Reise nach Stockholm genauere Kundschaft wegen der Wundergabe des Herrn von Swedenborg einzuziehen. Laut seinem ersten Berichte verhielt es sich mit der schon erwähnten Historie nach der Aussage der angesehensten Leute in Stockholm genau so, wie ich es Ihnen sonst erzählt habe. Er hatte damals den Herrn von Swedenborg nicht gesprochen, hoffete aber ihn zu sprechen, wie wohl es ihm schwer ankam, sich zu überreden, daß dasjenige alles richtig sein sollte, was die vernünftigsten Personen dieser Stadt von seinem geheimen Umgange mit der unsichtbaren Geisterwelt erzählen. Seine folgenden Briefe aber lauten ganz anders. Er hat den Herrn von Swedenborg nicht allein gesprochen, sondern auch in seinem Hause besucht und ist in der äußersten Verwunderung über die ganze so seltsame Sache. Swedenborg ist ein vernünftiger, gefälliger und offenherziger Mann; er ist ein Gelehrter und mein erwähnter Freund hat mir versprochen, einige seiner Schriften mir in Kurzem zu überschicken. Er sagte diesem ohne Zurückhaltung, daß Gott ihm die sonderbare Eigenschaft gegeben habe, mit den abgeschiedenen Seelen nach seinem Belieben umzugehen. Er berief sich auf ganz notorische Beweistümer. Als er an meinen Brief erinnert wurde, antwortete er, er habe ihn wohl aufgenommen und würde ihn schon beantwortet haben, wenn er sich nicht vorgesetzt hätte, diese ganze sonderbare Sache vor den Augen der Welt öffentlich bekannt zu machen. Er würde im Mai dieses Jahres nach London gehen, wo er sein Buch herausgeben würde, darin auch die Beantwortung meines Briefes nach allen Artikeln sollte anzutreffen sein.

Um Ihnen, gnädiges Fräulein, ein paar Beweistümer zu geben, wo das ganze noch lebende Publikum Zeuge ist und der Mann, welcher es mir berichtet, es unmittelbar an Stelle und Ort hat untersuchen können, so belieben Sie nur folgende zwei Begebenheiten zu vernehmen.

Madame Harteville
(!) die Witwe des holländischen Envoyé in Stockholm, wurde einige Zeit nach dem Tode ihres Mannes von dem Goldschmied Croon um die Bezahlung des Silberservices gemahnt, welches ihr Gemahl bei ihm hatte machen lassen. Die Witwe war zwar überzeugt, daß ihr verstorbener Gemahl viel zu genau und ordentlich gewesen war, als daß er diese Schuld nicht sollte bezahlt haben, allein sie konnte keine Quittung aufweisen. In dieser Bekümmernis und weil der Wert ansehnlich war, bat sie den Herrn von Swedenborg zu sich. Nach einigen Entschuldigungen trug sie ihm vor, daß, wenn er die außerordentliche Gabe hätte, wie alle Menschen sagten, mit den abgeschiedenen Seelen zu reden, er die Gütigkeit haben möchte, bei ihrem Manne Erkundigungen einzuziehen, wie es mit der Forderung wegen des Silberservices stünde. Swedenborg war gar nicht schwierig, ihr in diesem Ersuchen zu willfahren. Drei Tage hernach hatte die gedachte Dame eine Gesellschaft bei sich zum Kaffee. Herr von Swedenborg kam hin und gab ihr mit seiner kaltblütigen Art Nachricht, daß er ihren Mann gesprochen habe. Die Schuld war sieben Monate vor seinem Tode bezahlt worden und die Quittung sei in einem Schranke, der sich im obern Zimmer befände. Die Dame erwiderte, daß dieser Schrank ganz ausgeräumet sei und daß man unter allen Papieren diese Quittung nicht gefunden hätte. Swedenborg sagte, ihr Gemahl hätte ihm beschrieben, daß, wenn man an der linken Seite eine Schublade herauszöge, ein Brett zum Vorschein käme, welches weggeschoben werden müßte, da sich dann eine verborgene Schublade finden würde, worin seine geheim gehaltene holländische Korrespondenz verwahrt wäre und auch die Quittung anzutreffen sei. Auf diese Anzeige begab sich die Dame in Begleitung der ganzen Gesellschaft in das obere Zimmer. Man eröffnet den Schrank, man verfuhr ganz nach der Beschreibung und fand die Schublade, von der sie nichts gewußt hatte und die angezeigten Papiere darinnen, zum größten Erstaunen Aller, die gegenwärtig waren.

Die folgende Begebenheit aber scheint mir unter allen die größte Beweiskraft zu haben und benimmt wirklich allem erdenklichen Zweifel die Ausflucht. Es war im Jahre 1756, als Herr von Swedenborg gegen Ende des Septembermonats am Sonnabend um 4 Uhr Nachmittags aus England ankommend, zu Gothenburg ans Land stieg. Herr William Castel bat ihn zu sich und zugleich eine Gesellschaft von fünfzehn Personen. Des Abends um 6 Uhr war Herr von Swedenborg herausgegangen und kam entfärbt und bestürzt ins Gesellschaftszimmer zurück. Er sagte, es sei eben jetzt ein gefährlicher Brand in Stockholm am Südermalm (Gothenburg liegt von Stockholm über 50 Meilen weit ab) und das Feuer griffe sehr um sich. Er war unruhig und ging oft heraus. Er sagte, daß das Haus eines seiner Freunde, den er nannte, schon in der Asche läge und sein eigenes Haus in Gefahr sei. Um 8 Uhr, nachdem er wieder herausgegangen war, sagte er freudig:
Gottlob, der Brand ist gelöschet, die dritte Türe von meinem Hause! — Diese Nachricht brachte die ganze Stadt und besonders die Gesellschaft in starke Bewegung und man gab noch denselben Abend dem Gouverneur davon Nachricht. Sonntags des Morgens ward Swedenborg zum Gouverneur gerufen. Dieser befrug ihn um die Sache. Swedenborg beschrieb den Brand genau, wie er angefangen, wie er aufgehört hätte und die Zeit seiner Dauer. Desselben Tages lief die Nachricht durch die ganze Stadt, wo es nun, weil der Gouverneur darauf geachtet hatte, eine noch stärkere Bewegung verursachte, da Viele wegen ihrer Freunde oder wegen ihrer Güter in Besorgnis waren. Am. Montage Abends kam eine Estafette, die von der Kaufmannschaft in Stockholm während des Brandes abgeschickt war, in Gothenburg an. In den Briefen ward der Brand ganz auf die erzählte Art beschrieben. Dienstag Morgens kam ein königlicher Kurier an den Gouverneur mit dem Berichte von dem Brande, vom Verluste, den er verursachet, und den Häusern, die er betroffen, an; nicht im mindesten von der Nachricht unterschieden, die Swedenborg zur selbigen Zeit gegeben hatte, denn der Brand war um 8 Uhr gelöschet worden.

Was kann man wider die Glaubwürdigkeit dieser Begebenheit anführen? Der Freund, der mir dieses schreibt, hat alles das nicht allein in Stockholm, sondern vor ungefähr 2 Monaten in Gothenburg selbst untersucht, wo er die ansehnlichsten Häuser sehr wohl kennt und wo er sich von einer ganzen Stadt, in der seit der kurzen Zeit von 1756 doch die meisten Augenzeugen noch leben, hat vollständig belehren können. Er hat mir zugleich einigen Bericht von der Art gegeben, wie nach der Aussage des Herrn von Swedenborg diese seine Gemeinschaft mit andern Geistern zugehe, imgleichen seine Ideen, die er vom Zustande abgeschiedener Seelen gibt. Dieses Porträt ist seltsam: aber es gebricht mir die Zeit, davon einige Beschreibung zu geben. Wie sehr wünsche ich, daß ich diesen sonderbaren Mann selbst hätte fragen können: denn mein Freund ist der Methoden nicht so wohl kundig, dasjenige abzufragen, was in einer solchen Sache das meiste Licht geben kann. Ich warte mit Sehnsucht auf das Buch, das Swedenborg in London herausgeben will. Es sind alle Anstalten gemacht, daß ich es so bald bekomme, als es die Presse verlassen haben wird.

So viel ist desjenigen, was ich vorjetzt zur Befriedigung Ihrer edlen Wißbegierde melden kann. Ich weiß nicht, gnädiges Fräulein! ob Sie das Urteil zu wissen verlangen möchten, was ich mich unterfangen dürfte, über diese schlüpfrige Sache zu fällen. Viel größere Talente, als der kleine Grad, der mir zu Teil geworden, werden hierüber wenig Zuverlässiges ausmachen können. Allein von welcher Bedeutung mein Urteil auch sei, so wird Ihr Befehl mich verbinden, dasselbe, daferne Sie noch lange auf dem Lande verharren und ich mich nicht mündlich darüber erklären könnte, schriftlich mitzuteilen. Ich besorge, die Erlaubnis, an Sie zu schreiben, schon gemißbraucht zu haben, indem ich Sie mit einer eilfertigen und ungeschickten Feder wirklich schon viel zu lange unterhielt. Ich bin mit der tiefsten Verehrung usw.
S. 107-117
Aus: Geist und Geisterwelt, Fragmente aus der Literatur des Übersinnlichen von Thomas Wandler, Rudolf Kaemmerer Verlag, Berlin-Dresden 1923

Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik
velut aegri somnia, vanae Finguntur species. Horaz »wie Träume eines Kranken werden Wahngebilde erdichtet«

Ein Vorbericht der sehr wenig vor die Ausführung verspricht
Der erste Teil welcher dogmatisch ist
Ein verwickelter metaphysischer Knoten
Ein Fragment der geheimen Philosophie
Antikabbala
Theoretischer Schluß aus den gesamten Betrachtungen des ersten Teils

Der zweite Teil welcher historisch ist
Eine Erzählung, deren Wahrheit der Erkundigung des Lesers empfohlen wird
Ekstatische Reise eines Schwärmers durch die Geisterwelt
Praktischer Schluß aus der ganzen Abhandlung

Ein Vorbericht der sehr wenig vor die Ausführung verspricht
Das Schattenreich ist das Paradies der Phantasten. Hier finden sie ein unbegrenztes Land, wo sie sich nach Belieben anbauen können. Hypochondrische Dünste, Ammenmärchen und Klosterwunder lassen es ihnen an Bauzeug nicht ermangeln. Die Philosophen zeichnen den Grundriß und andern ihn wiederum, oder verwerfen ihn, wie ihre Gewohnheit ist. Nur das heilige Rom hat daselbst einträgliche Provinzen; die zwei Kronen des unsichtbaren Reichs stützen die dritte, als das hinfällige Diadem seiner irdischen Hoheit, und die Schlüssel, welche die beide Pforten der andern Welt auftun, öffnen zugleich sympathetisch die Kasten der gegenwärtigen. Dergleichen Rechtsame des Geisterreichs, in so fern es durch die Gründe der Staatsklugheit bewiesen ist, erheben sich weit über alle ohnmächtige Einwürfe der Schulweisen, und ihr Gebrauch oder Mißbrauch ist schon zu ehrwürdig, als daß er sich einer so verworfenen Prüfung auszusetzen nötig hätte. Allein die gemeine Erzählungen, die so viel Glauben finden und wenigstens so schlecht bestritten sind, weswegen laufen die so ungenützt oder ungeahndet umher, und schleichen sich selbst in die Lehrverfassungen ein, ob sie gleich den Beweis vom Vorteil hergenommen (argumentum ab utili) nicht vor sich haben, welcher der überzeugendste unter allen ist? Welcher Philosoph hat nicht einmal, zwischen den Beteurungen eines vernünftigen und festüberredeten Augenzeugen und der inneren Gegenwehr eines unüberwindlichen Zweifels, die einfältigste Figur gemacht, die man sich vorstellen kann? Soll er die Richtigkeit aller solcher Geistererscheinungen gänzlich ableugnen? Was kann er vor Gründe anführen, sie zu widerlegen?

Soll er auch nur eine einzige dieser Erzählungen als wahrscheinlich einräumen? wie wichtig wäre ein solches Geständnis, und in welche erstaunliche Folgen sieht man hinaus, wenn auch nur eine solche Begebenheit als bewiesen vorausgesetzet werden könnte? Es ist wohl noch ein dritter Fall übrig, nämlich sich mit dergleichen vorwitzigen oder müßigen Fragen gar nicht zu bemengen und sich an das Nützliche zu halten. Weil dieser Anschlag aber vernünftig ist, so ist er jederzeit von gründlichen Gelehrten durch die Mehrheit der Stimmen verworfen worden.

Da es eben so wohl ein dummes Vorurteil ist, von vielem, das mit einigem Schein der Wahrheit erzählt wird, ohne Grund nichts zu glauben, als von dem, was das gemeine Gerüchte sagt, ohne Prüfung alles zu glauben, so ließ sich der Verfasser dieser Schrift, um dem ersten Vorurteile auszuweichen, zum Teil von dem letzteren fortschleppen. Er bekennet mit einer gewissen Demütigung, daß er so treuherzig war, der Wahrheit einiger Erzählungen von der erwähnten Art nachzuspüren. Er fand - - - wie gemeiniglich, wo man nichts zu suchen hat - - - er fand nichts. Nun ist dieses wohl an sich selbst schon eine hinlängliche Ursache, ein Buch zu schreiben; allein es kam noch dasjenige hinzu, was bescheidenen Verfassern schon mehrmalen Bücher abgedrungen hat, das ungestüme Anhalten bekannter und unbekannter Freunde. Überdem war ein großes Werk gekauft, und, welches noch schlimmer ist, gelesen worden, und diese Mühe sollte nicht verloren sein. Daraus entstand nun die gegenwärtige Abhandlung, welche, wie man sich schmeichelt, den Leser nach der Beschaffenheit der Sache völlig befriedigen soll, indem er das Vornehmste nicht verstehen, das andere nicht glauben, das übrige aller belachen wird.

Der erste Teil, welcher dogmatisch ist
Erstes Hauptstück.
Ein verwickelter metaphysischer Knoten, den man nach Belieben auflösen oder abhauen kann
Wenn alles dasjenige, was von Geistern der Schulknabe herbetet, der große Haufe erzählt, und der Philosoph demonstriert, zusammen genommen wird, so scheinet es keinen kleinen Teil von unserm Wissen auszumachen. Nichts destoweniger getraue ich mich zu behaupten, daß, wenn es jemand einfiele, sich bei der Frage etwas zu verweilen: was denn das eigentlich vor ein Ding sei, wovon man unter dem Namen eines Geistes so viel zu verstehen glaubt, er alle diese Vielwisser in die beschwerlichste Verlegenheit versetzen würde. Das methodische Geschwätz der hohen Schulen ist oftmals nur ein Einverständnis, durch veränderliche Wortbedeutungen einer schwer zu lösenden Frage auszuweichen, weil das bequeme und mehrenteils vernünftige: Ich weiß nicht, auf Akademien nicht leichtlich gehöret wird. Gewisse neuere Weltweisen, wie sie sich gerne nennen lassen, kommen sehr leicht über diese Frage hinweg. Ein Geist, heißt es, ist ein Wesen, welches Vernunft hat. So ist es denn also keine Wundergabe, Geister zu sehen; denn wer Menschen sieht, der sieht Wesen, die Vernunft haben. Allein, fährt man fort, dieses Wesen, was im Menschen Vernunft hat, ist nur ein Teil vom Menschen, und dieser Teil, der ihn belebt, ist ein Geist. Wohlan denn: ehe ihr also beweiset, daß nur ein geistiges Wesen Vernunft haben könne, so sorget doch, daß ich zuvörderst verstehe, was ich mir unter einem geistigen Wesen vor einen Begriff zu machen habe. Diese Selbsttäuschung, ob sie gleich grob genug ist, um mit halb offenen Augen bemerkt zu werden, ist doch von sehr begreiflichem Ursprunge. Denn wovon man frühzeitig als ein Kind sehr viel weiß, davon ist man sicher, später hin und im Alter nichts zu wissen, und der Mann der Gründlichkeit wird zuletzt höchstens der Sophiste seines Jugendwahnes.

Ich weiß also nicht, ob es Geister gebe, ja, was noch mehr ist, ich weiß nicht einmal, was das Wort Geist bedeute. Da ich es indessen oft selbst gebraucht oder andere habe brauchen hören, so muß doch etwas darunter verstanden werden, es mag nun dieses Etwas ein Hirngespinst oder was Wirkliches sein. Um diese versteckte Bedeutung auszuwickeln, so halte ich meinen schlecht verstandenen Begriff an allerlei Fälle der Anwendung, und dadurch, daß ich bemerke, auf welchen er trifft und welchem er zuwider ist, verhoffe ich, dessen verborgenen Sinn zu entfalten.*
*Wenn der Begriff eines Geistes von unsern eignen Erfahrungsbegriffen abgesondert wäre, so würde das Verfahren, ihn deutlich zu machen, leicht sein, indem man nur diejenigen Merkmale anzuzeigen hätte, welche uns die Sinne an dieser Art Wesen offenbareten, und wodurch wir sie von materiellen Dingen unterscheiden. Nun aber wird von Geistern geredet, selbst alsdenn, wenn man zweifelt, ob es gar dergleichen Wesen gebe. Also kann der Begriff von der geistigen Natur nicht als ein von der Erfahrung abstrahierter behandelt werden. Fragt ihr aber: wie ist man denn zu diesem Begriff überhaupt gekommen, wenn es nicht durch Abstraktion geschehen ist? Ich antworte: viele Begriffe entspringen durch geheime und dunkele Schlüsse bei Gelegenheit der Erfahrungen, und pflanzen sich nachher auf andere fort ohne Bewußtsein der Erfahrung selbst oder des Schlusses, welcher den Begriff über dieselbe errichtet hat. Solche Begriffe kann man erschlichene nennen. Dergleichen sind viele, die zum Teil nichts als ein Wahn der Einbildung, zum Teil auch wahr sein, indem auch dunkele Schlüsse nicht immer irren. Der Redegebrauch und die Verbindung eines Ausdrucks mit verschiedenen Erzählungen, in denen jederzeit einerlei Hauptmerkmal anzutreffen ist, geben ihm eine bestimmte Bedeutung, welche folglich nur dadurch kann entfalten werden, daß man diesen versteckten Sinn durch eine Vergleichung mit allerlei Fällen der Anwendung, die mit ihm einstimmig sein oder ihm widerstreiten, aus seiner Dunkelheit hervorzieht. Nehmet etwa einen Raum von einem Kubikfuß und setzet, es sei etwas, das diesen Raum erfüllt, d.i. dem Eindringen jedes andern Dinges widerstehet, so wird niemand das Wesen, was auf solche Weise im Raum ist, geistig nennen. Es würde offenbar materiell heißen, weil es ausgedehnt, undurchdringlich und, wie alles Körperliche, der Teilbarkeit und den Gesetzen des Stoßes unterworfen ist. Bis dahin sind wir noch auf dem gebähnten Gleise anderer Philosophen. Allein denket euch ein einfaches Wesen, und gebet ihm zugleich Vernunft; wird dies alsdenn die Bedeutung des Wortes Geist gerade ausfüllen? Damit ich dieses entdecke, so will ich die Vernunft dem besagten einfachen Wesen als eine innere Eigenschaft lassen, vorjetzo es aber nur in äußeren Verhältnissen betrachten. Und nunmehro frage ich: wenn ich diese einfache Substanz in jenen Raum vom Kubikfuß, der voll Materie ist, setzen will, wird alsdenn ein einfaches Element derselben den Platz räumen müssen, damit ihn dieser Geist erfülle? Meinet ihr, ja? wohlan, so wird der gedachte Raum, um einen zweiten Geist einzunehmen, ein zweites Elementarteilchen verlieren müssen und so wird endlich, wenn man fortfährt, ein Kubikfuß Raum von Geistern erfüllet sein, deren Klumpe eben so wohl durch Undurchdringlichkeit widerstehet, als wenn er voll Materie wäre, und, eben so wie diese, der Gesetze des Stoßes fähig sein muß. Nun würden aber dergleichen Substanzen, ob sie gleich in sich Vernunftkraft haben mögen, doch äußerlich von den Elementen der Materie gar nicht unterschieden sein, bei denen man auch nur die Kräfte ihrer äußeren Gegenwart kennet und, was zu ihren inneren Eigenschaften gehören mag, gar nicht weiß. Es ist also außer Zweifel, daß eine solche Art einfacher Substanzen nicht geistige Wesen heißen würden, davon Klumpen zusammengeballet werden könnten. Ihr werdet also den Begriff eines Geistes nur beibehalten können, wenn ihr euch Wesen gedenkt, die so gar in einem von Materie erfüllten Raume gegenwärtig sein können;* Wesen also, welche die Eigenschaft der Undurchdringlichkeit nicht an sich haben, und deren so viele, als man auch will, vereinigt niemals ein solides Ganze ausmachen. Einfache Wesen von dieser Art werden immaterielle Wesen und, wenn sie Vernunft haben, Geister genannt werden. Einfache Substanzen aber, deren Zusammensetzung ein undurchdringliches und ausgedehntes Ganze gibt, werden materielle Einheiten, ihr Ganzes aber Materie heißen. Entweder der Name eines Geistes ist ein Wort ohne allen Sinn, oder seine Bedeutung ist die angezeigte.
*Man wird hier leichtlich gewahr: daß ich nur von Geistern, die als Teile zum Weltganzen gehören, und nicht von dem unendlichen Geiste rede, der der Urheber und Erhalter desselben ist. Denn der Begriff von der geistigen Natur des letzteren ist leicht, weil er lediglich negativ ist, und darin besteht, daß man die Eigenschaften der Materie an ihm verneinet, die einer unendlichen und schlechterdings notwendigen Substanz widerstreiten. Dagegen bei einer geistigen Substanz, die mit der Materie in Vereinigung sein soll, wie z. E. der menschlichen Seele, äußert sich die Schwierigkeit: daß ich eine wechselseitige Verknüpfung derselben mit körperlichen Wesen zu einem Ganzen denken, und dennoch die einzige bekannte Art der Verbindung, welche unter materiellen Wesen statt findet, aufheben soll.

Von der Erklärung, was der Begriff eines Geistes enthalte, ist der Schritt noch ungemein weit zu dem Satze, daß solche Naturen wirklich, ja auch nur möglich sein. Man findet in den Schriften der Philosophen recht gute Beweise, darauf man sich verlassen kann: daß alles, was da denkt, einfach sein müsse, daß eine jede vernünftigdenkende Substanz eine Einheit der Natur sei, und das unteilbare Ich nicht könne in einem Ganzen von viel verbundenen Dingen verteilt sein. Meine Seele wird also eine einfache Substanz sein. Aber es bleibt durch diesen Beweis noch immer unausgemacht, ob sie von der Art derjenigen sei, die in dem Raume vereinigt ein ausgedehntes und undurchdringliches Ganze geben und also materiell, oder ob sie immateriell und folglich ein Geist sei, ja so gar, ob eine solche Art Wesen als diejenige, so man geistige nennet, nur möglich sei.

Und hiebei kann ich nicht umhin, vor übereilte Entscheidungen zu warnen, welche in den tiefsten und dunkelsten Fragen sich am leichtesten eindringen. Was nämlich zu den gemeinen Erfahrungsbegriffen gehört, das pflegt man gemeiniglich so anzusehen, als ob man auch seine Möglichkeit einsehe. Dagegen was von ihnen abweicht und durch keine Erfahrung auch nicht einmal der Analogie nach verständlich gemacht werden kann, davon kann man sich freilich keinen Begriff machen, und darum pflegt man es gerne als unmöglich sofort zu verwerfen. Alle Materie widerstehet in dem Raume ihrer Gegenwart und heißt darum undurchdringlich. Daß dieses geschehe, lehrt die Erfahrung, und die Abstraktion von dieser Erfahrung bringt in uns auch den allgemeinen Begriff der Materie hervor. Dieser Widerstand aber, den etwas in dem Raume seiner Gegenwart leistet, ist auf solche Weise wohl erkannt, allein darum nicht begriffen. Denn es ist derselbe, so wie alles, was einer Tätigkeit entgegenwirkt, eine wahre Kraft, und, da ihre Richtung derjenigen entgegen steht, wornach die fortgezogne Linien der Annäherung zielen, so ist sie eine Kraft der Zurückstoßung, welche der Materie und folglich auch ihren Elementen muß beigeleget werden. Nun wird sich ein jeder Vernünftiger bald bescheiden, daß hier die menschliche Einsicht zu Ende sei. Denn nur durch die Erfahrung kann man inne werden, daß Dinge der Welt, welche wir materiell nennen, eine solche Kraft haben, niemals aber die Möglichkeit derselben begreifen. Wenn ich nun Substanzen anderer Art setze, die mit andern Kräften im Raume gegenwärtig sein als mit jener treibenden Kraft, deren Folge die Undurchdringlichkeit ist, so kann ich freilich eine Tätigkeit derselben, welche keine Analogie mit meinen Erfahrungsvorstellungen hat, gar nicht in concreto denken, und indem ich ihnen die Eigenschaft nehme, den Raum, in dem sie wirken, zu erfüllen, so stehet mir ein Begriff ab, wodurch mir sonsten die Dinge denklich sein, welche in meine Sinne fallen, und es muß daraus notwendig eine Art von Undenklichkeit entspringen. Allein diese kann darum nicht als eine erkannte Unmöglichkeit angesehen werden, eben darum, weil das Gegenteil seiner Möglichkeit nach gleichfalls uneingesehen bleiben wird, ob zwar dessen Wirklichkeit in die Sinne fällt.

Man kann demnach die Möglichkeit immaterieller Wesen annehmen ohne Besorgnis widerlegt zu werden, wiewohl auch ohne Hoffnung, diese Möglichkeit durch Vernunftgründe beweisen zu können. Solche geistige Naturen würden im Raume gegenwärtig sein, so daß derselbe dem ungeachtet vor körperliche Wesen immer durchdringlich bliebe, weil ihre Gegenwart wohl eine Wirksamkeit im Raume, aber nicht dessen Erfüllung, d.i. einen Widerstand als den Grund der Solidität enthielte. Nimmt man nun eine solche einfache geistige Substanz an, so würde man unbeschadet ihrer Unteilbarkeit sagen können: daß der Ort ihrer unmittelbaren Gegenwart nicht ein Punkt, sondern selbst ein Raum sei. Denn um die Analogie zu Hülfe zu rufen, so müssen notwendig selbst die einfachen Elemente der Körper ein jegliches ein Räumchen in dem Körper erfüllen, der ein proportionierter Teil seiner ganzen Ausdehnung ist, weil Punkte gar nicht Teile sondern Grenzen des Raumes sind. Da diese Erfüllung des Raumes vermittelst einer wirksamen Kraft (der Zurückstoßung) geschieht und also nur einen Umfang der größeren Tätigkeit, nicht aber eine Vielheit der Bestandteile des wirksamen Subjekts anzeigt, so widerstreitet sie gar nicht der einfachen Natur derselben, obgleich freilich die Möglichkeit hievon nicht weiter kann deutlich gemacht werden, welches niemals bei den ersten Verhältnissen der Ursachen und Wirkungen angeht.

Eben so wird mir zum wenigsten keine erweisliche Unmöglichkeit entgegen stehen, obschon die Sache selbst unbegreiflich bleibt, wenn ich behaupte: daß eine geistige Substanz, ob sie gleich einfach ist, dennoch einen Raum einnehme (d.i. in ihm unmittelbar tätig sein könne), ohne ihn zu erfüllen (d.i. materiellen Substanzen darin Widerstand zu leisten). Auch würde eine solche immaterielle Substanz nicht ausgedehnt genannt werden müssen, so wenig wie es die Einheiten der Materie sind; denn nur dasjenige, was abgesondert von allem und vor sich allein existierend einen Raum einnimmt, ist ausgedehnt; die Substanzen aber, welche Elemente der Materie sind, nehmen einen Raum nur durch die äußere Wirkung in andere ein, vor sich besonders aber, wo keine andre Dinge in Verknüpfung mit ihnen gedacht werden, und da in ihnen selbst auch nichts außereinander Befindliches anzutreffen ist, enthalten sie keinen Raum. Dieses gilt von Körperelementen. Dieses würde auch von geistigen Naturen gelten. Die Grenzen der Ausdehnung bestimmen die Figur. An ihnen würde also keine Figur gedacht werden können. Dieses sind schwer einzusehende Gründe der vermuteten Möglichkeit immaterieller Wesen in dem Weltganzen. Wer im Besitze leichterer Mittel ist, die zu dieser Einsicht führen können, der versage seinen Unterricht einem Lehrbegierigen nicht, vor dessen Augen im Fortschritt der Untersuchung sich öfters Alpen erheben, wo andere einen ebenen und gemächlichen Fußsteig vor sich sehen, den sie fortwandern oder zu wandern glauben.

Gesetzt nun, man hätte bewiesen, die Seele des Menschen sei ein Geist (wiewohl aus dem vorigen zu sehen ist, daß ein solcher Beweis noch niemals geführet worden), so würde die nächste Frage die man tun könnte etwa diese sein: Wo ist der Ort dieser menschlichen Seele in der Körperwelt? Ich würde antworten: derjenige Körper, dessen Veränderungen meine Veränderungen sein, dieser Körper ist mein Körper, und der Ort desselben ist zugleich mein Ort. Setzet man die Frage weiter fort, wo ist denn dein Ort (der Seele) in diesem Körper? so würde ich etwas Verfängliches in dieser Frage vermuten. Denn man bemerkt leicht, daß darin etwas schon vorausgesetzet werde, was nicht durch Erfahrung bekannt ist, sondern vielleicht auf eingebildeten Schlüssen beruhet: nämlich daß mein denkendes Ich in einem Orte sei, der von den Örtern anderer Teile desjenigen Körpers, der zu meinem Selbst gehöret, unterschieden wäre. Niemand aber ist sich eines besondern Orts in seinem Körper unmittelbar bewußt, sondern desjenigen, den er als Mensch in Ansehung der Welt umher einnimmt. Ich würde mich also an der gemeinen Erfahrung halten und vorläufig sagen: wo ich empfinde, da bin ich. Ich bin eben so unmittelbar in der Fingerspitze wie in dem Kopfe. Ich bin es selbst, der in der Ferse leidet und welchem das Herz im Affekte klopft. Ich fühle den schmerzhaften Eindruck nicht an einer Gehirnnerve, wenn mich mein Leichdorn peinigt, sondern am Ende meiner Zehen.

Keine Erfahrung lehrt mich, einige Teile meiner Empfindung von mir vor entfernt zu halten, mein unteilbares Ich in ein mikroskopisch kleines Plätzchen des Gehirnes zu versperren, um von da aus den Hebezeug meiner Körpermaschine in Bewegung zu setzen, oder dadurch selbst getroffen zu werden. Daher würde ich einen strengen Beweis verlangen, um dasjenige ungereimt zu finden, was die Schullehrer sagten: meine Seele ist ganz im ganzen Körper und ganz in jedem seiner Teile. Der gesunde Verstand bemerkt oft die Wahrheit eher, als er die Gründe einsiehet, dadurch er sie beweisen oder erläutern kann. Der Einwurf würde mich auch nicht gänzlich irre machen, wenn man sagte, daß ich auf solche Art die Seele ausgedehnt und durch den ganzen Körper verbreitet gedächte, so ohngefähr wie sie den Kindern in der gemalten Welt abgebildet wird. Denn ich würde diese Hindernis dadurch wegräumen, daß ich bemerkte: die unmittelbare Gegenwart in einem ganzen Raume beweise nur eine Sphäre der äußeren Wirksamkeit, aber nicht eine Vielheit innerer Teile, mithin auch keine Ausdehnung oder Figur, als welche nur statt finden, wenn in einem Wesen vor sich allein gesetzt ein Raum ist, d.i. Teile anzutreffen sind, die sich außerhalb einander befinden. Endlich würde ich entweder dieses wenige von der geistigen Eigenschaft meiner Seele wissen, oder, wenn man es nicht einwilligte, auch zufrieden sein, davon gar nichts zu wissen.

Wollte man diesen Gedanken die Unbegreiflichkeit, oder, welches bei den meisten vor einerlei gilt, ihre Unmöglichkeit vorrücken, so könnte ich es auch geschehen lassen. Alsdenn würde ich mich zu den Füßen dieser Weisen niederlassen, um sie also reden zu hören. Die Seele des Menschen hat ihren Sitz im Gehirne, und ein unbeschreiblich kleiner Platz in demselben ist ihr Aufenthalt.*
*Man hat Beispiele von Verletzungen, dadurch ein guter Teil des Gehirns verloren worden, ohne daß es dem Menschen das Leben oder die Gedanken gekostet hat. Nach der gemeinen Vorstellung, die ich hier anführe, würde ein Atomus desselben haben dürfen entführt, oder aus der Stelle gerückt werden, um in einem Augenblick den Menschen zu entseelen. Die herrschende Meinung: der Seele einen Platz im Gehirne anzuweisen, scheinet hauptsächlich ihren Ursprung darin zu haben, daß man bei starkem Nachsinnen deutlich fühlt, daß die Gehirnnerven angestrengt werden. Allein wenn dieser Schluß richtig wäre, so würde er auch noch andere Örter der Seele beweisen. In der Bangigkeit oder der Freude scheint die Empfindung ihren Sitz im Herzen zu haben. Viele Affekten, ja die mehresten, äußern ihre Hauptstärke im Zwerchfell. Das Mitleiden bewegt die Eingeweide und andre Instinkte äußern ihren Ursprung und Empfindsamkeit in andern Organen. Die Ursache, die da macht, daß man die nachdenkende Seele vornehmlich im Gehirne zu empfinden glaubt, ist vielleicht diese. Alles Nachsinnen erfordert die Vermittelung der Zeichen vor die zu erweckende Ideen, um in deren Begleitung und Unterstützung dessen den erforderlichen Grad Klarheit zu geben. Die Zeichen unserer Vorstellungen aber sind vornehmlich solche, die entweder durchs Gehör oder das Gesicht empfangen sind, welche beide Sinne durch die Eindrücke im Gehirne bewegt werden, indem ihre Organen auch diesem Teile am nächsten liegen. Wenn nun die Erweckung dieser Zeichen, welche Cartesius ideas materiales nennt, eigentlich eine Reizung der Nerven zu einer ähnlichen Bewegung mit derjenigen ist, welche die Empfindung ehedem hervorbrachte, so wird das Gewebe des Gehirns im Nachdenken vornehmlich genötiget werden, mit vormaligen Eindrücken harmonisch zu beben, und dadurch ermüdet werden. Denn wenn das Denken zugleich affektvoll ist, so empfindet man nicht allein Anstrengungen des Gehirnes, sondern zugleich Angriffe der reizbaren Teile, welche sonst mit den Vorstellungen der in Leidenschaft versetzten Seele in Sympathie stehen.

Daselbst empfindet sie wie die Spinne im Mittelpunkte ihres Gewebes. Die Nerven des Gehirnes stoßen oder erschüttern sie, dadurch verursachen sie aber, daß nicht dieser unmittelbare Eindruck, sondern der, so auf ganz entlegene Teile des Körpers geschieht, jedoch als ein außerhalb dem Gehirne gegenwärtiges Objekt vorgestellet wird. Aus diesem Sitze bewegt sie auch die Seile und Hebel der ganzen Maschine, und verursacht willkürliche Bewegungen nach ihrem Belieben. Dergleichen Sätze lassen sich nur sehr seichte, oder gar nicht beweisen, und, weil die Natur der Seele im Grunde nicht bekannt gnug ist, auch nur eben so schwach widerlegen.

Ich würde also mich in keine Schulgezänke einlassen, wo gemeiniglich beide Teile alsdenn am meisten zu sagen haben, wenn sie von ihrem Gegenstande gar nichts verstehen; sondern ich würde lediglich den Folgerungen nachgehen, auf die mich eine Lehre von dieser Art leiten kann. Weil also nach denen mir angepriesenen Sätzen meine Seele, in der Art wie sie im Raume gegenwärtig ist, von jedem Element der Materie nicht unterschieden wäre, und die Verstandeskraft eine innere Eigenschaft ist, welche ich in diesen Elementen doch nicht wahrnehmen könnte, wenn gleich selbige in ihnen allen angetroffen würde, so könnte kein tauglicher Grund angeführet werden, weswegen nicht meine Seele eine von den Substanzen sei, welche die Materie ausmachen, und warum nicht ihre besondere Erscheinungen lediglich von dem Orte herrühren sollten, den sie in einer künstlichen Maschine, wie der tierische Körper ist, einnimmt, wo die Nervenvereinigung der inneren Fähigkeit des Denkens und der Willkür zu statten kommt.

Alsdenn aber würde man kein eigentümliches Merkmal der Seele mehr mit Sicherheit erkennen, welches sie von dem rohen Grundstoffe der körperlichen Naturen unterschiede, und Leibnizens scherzhafter Einfall, nach welchem wir vielleicht im Kaffee Atomen verschluckten, woraus Menschenseelen werden sollen, wäre nicht mehr ein Gedanke zum Lachen. Würde aber auf solchen Fall dieses denkende Ich nicht dem gemeinen Schicksale materieller Naturen unterworfen sein, und, wie es durch den Zufall aus dem Chaos aller Elemente gezogen worden, um eine tierische Maschine zu beleben, warum sollte es, nachdem diese zufällige Vereinigung aufgehöret hat, nicht auch künftig dahin wiederum zurückkehren? Es ist bisweilen nötig, den Denker, der auf unrechtem Wege ist, durch die Folgen zu erschrecken, damit er aufmerksamer auf die Grundsätze werde, durch welche er sich gleichsam träumend hat fortführen lassen.

Ich gestehe, daß ich sehr geneigt sei, das Dasein immaterieller Naturen in der Welt zu behaupten, und meine Seele selbst in die Klasse dieser Wesen zu versetzen.*
*Der Grund hievon, der mir selbst sehr dunkel ist und wahrscheinlicher Weise auch wohl so bleiben wird, trifft zugleich auf das empfindende Wesen in den Tieren. Was in der Welt ein Principium des Lebens enthält, scheint immaterieller Natur zu sein. Denn alles Leben beruhet auf dem inneren Vermögen, sich selbst nach Willkür zu bestimmen. Da hingegen das wesentliche Merkmal der Materie in der Erfüllung des Raumes durch eine notwendige Kraft bestehet, die durch äußere Gegenwirkung beschränkt ist; daher der Zustand alles dessen, was materiell ist, äußerlich abhangend und gezwungen ist, diejenige Naturen aber, die selbst tätig und aus ihrer innern Kraft wirksam den Grund des Lebens enthalten sollen, kurz diejenige, deren eigene Willkür sich von selber zu bestimmen und zu verändern vermögend ist, schwerlich materieller Natur sein können. Man kann vernünftiger Weise nicht verlangen, daß eine so unbekannte Art Wesen, die man mehrenteils nur hypothetisch erkennt, in den Abteilungen ihrer verschiedenen Gattungen sollte begriffen werden; zum wenigsten sind diejenige immaterielle Wesen, die den Grund des tierischen Lebens enthalten, von denenjenigen unterschieden, die in ihrer Selbsttätigkeit Vernunft begreifen und Geister genannt werden.

Alsdenn aber: wie geheimnisvoll wird nicht die Gemeinschaft zwischen einem Geiste und einem Körper? aber wie natürlich ist nicht zugleich diese Unbegreiflichkeit, da unsere Begriffe äußerer Handlungen von denen der Materie abgezogen worden und jederzeit mit den Bedingungen des Druckes oder Stoßes verbunden sein, die hier nicht statt finden? Denn wie sollte wohl eine immaterielle Substanz der Materie im Wege liegen, damit diese in ihrer Bewegung auf einen Geist stoße, und wie können körperliche Dinge Wirkungen auf ein fremdes Wesen ausüben, das ihnen nicht Undurchdringlichkeit entgegen stellet, oder welches sie auf keine Weise hindert, sich in demselben Raume, darin es gegenwärtig ist, zugleich zu befinden? Es scheinet, ein geistiges Wesen sei der Materie innigst gegenwärtig, mit der es verbunden ist, und würke nicht auf diejenige Kräfte der Elemente, womit diese untereinander in Verhältnissen sein. sondern auf das innere Principium ihres Zustandes. Denn eine jede Substanz, selbst ein einfaches Element der Materie muß doch irgend eine innere Tätigkeit als den Grund der äußerlichen Wirksamkeit haben, wenn ich gleich nicht anzugeben weiß, worin solche bestehe.*
*Leibniz sagte, dieser innere Grund aller seiner äußeren Verhältnisse und ihrer Veränderungen sei eine Vorstellungskraft, und spätere Philosophen empfingen diesen unausgeführten Gedanken mit Gelächter. Sie hätten aber nicht übel getan, wenn sie vorhero bei sich überlegt hätten, ob denn eine Substanz, wie ein einfacher Teil der Materie ist, ohne allem inneren Zustande möglich sei, und wenn sie denn diesen etwa nicht ausschließen wollten, so würde ihnen obgelegen haben, irgend einen andern möglichen innern Zustand zu ersinnen, als den der Vorstellungen und der Tätigkeiten, die von ihnen abhängend sein. Jedermann sieht von selber, daß, wenn man auch den einfachen Elementarteilen der Materie ein Vermögen dunkler Vorstellungen zugesteht, daraus noch keine Vorstellungskraft der Materie selbst erfolge, weil viel Substanzen von solcher Art, in einem Ganzen verbunden, doch niemals eine denkende Einheit ausmachen können.

Anderer Seits würde bei solchen Grundsätzen die Seele auch in diesen inneren Bestimmungen als Wirkungen den Zustand des Universum anschauend erkennen, der die Ursache derselben ist. Welche Notwendigkeit aber verursache, daß ein Geist und ein Körper zusammen Eines ausmache, und welche Gründe bei gewissen Zerstörungen diese Einheit wiederum aufheben, diese Fragen übersteigen nebst verschiedenen andern sehr weit meine Einsicht, und wie wenig ich auch sonst dreiste bin, meine Verstandesfähigkeit an den Geheimnissen der Natur zu messen, so bin ich gleichwohl zuversichtlich gnug, keinen noch so fürchterlich ausgerüsteten Gegner zu scheuen (wenn ich sonsten einige Neigung zum Streiten hätte), um in diesem Falle mit ihm den Versuch der Gegengründe im Widerlegen zu machen, der bei den Gelehrten eigentlich die Geschicklichkeit ist, einander das Nichtwissen zu demonstrieren.Zweites Hauptstück.
Ein Fragment der geheimen Philosophie, die Gemeinschaft mit der Geisterwelt zu eröffnen
Der Initiat hat schon den groben und an den äußerlichen Sinnen klebenden Verstand zu höhern und abgezogenen Begriffen gewöhnt, und nun kann er geistige und von körperlichen Zeuge enthüllete Gestalten in derjenigen Dämmerung sehen, womit das schwache Licht der Metaphysik das Reich der Schatten sichtbar macht. Wir wollen daher, nach der beschwerlichen Vorbereitung welche überstanden ist, uns auf den gefährlichen Weg wagen.

Ibant obscuri sola sub nocte per umbras,
Perque domos Ditis vacuas et inania regna. Virgilius.


Sie gingen im Dunkeln in einsamer Nacht durch die Schatten;
durch die öden Behausungen Plutos und die leeren Reiche.
Die tote Materie, welche den Weltraum erfüllet, ist ihrer eigentümlichen Natur nach im Stande der Trägheit und der Beharrlichkeit in einerlei Zustande, sie hat Solidität, Ausdehnung und Figur, und ihre Erscheinungen, die auf allen diesen Gründen beruhen, lassen eine physische Erklärung zu, die zugleich mathematisch ist und zusammen mechanisch genannt wird. Wenn man anderer Seits seine Achtsamkeit auf diejenige Art Wesen richtet, welche den Grund des Lebens in dem Weltganzen enthalten, die um deswillen nicht von der Art sein, daß sie als Bestandteile den Klumpen und die Ausdehnung der leblosen Materie vermehren, noch von ihr nach den Gesetzen der Berührung und des Stoßes leiden, sondern vielmehr durch innere Tätigkeit sich selbst und überdem den toten Stoff der Natur rege machen, so wird man, wo nicht mit der Deutlichkeit einer Demonstration, doch wenigstens mit der Vorempfindung eines nicht ungeübten Verstandes, sich von dem Dasein immaterieller Wesen überredet finden, deren besondere Wirkungsgesetze pneumatisch, und, so ferne die körperliche Wesen Mittelursachen ihrer Wirkungen in der materiellen Welt sein, organisch genannt werden. Da diese immaterielle Wesen selbsttätige Prinzipien sind, mithin Substanzen und vor sich bestehende Naturen, so ist diejenige Folge, auf die man zunächst gerät, diese: daß sie untereinander unmittelbar vereinigt vielleicht ein großes Ganze ausmachen mögen, welches man die immateriale Welt (mundus intelligibilis) nennen kann. Denn mit welchem Grunde der Wahrscheinlichkeit wollte man wohl behaupten, daß dergleichen Wesen von einander ähnlicher Natur nur vermittelst anderer (körperlichen Dinge) von fremder Beschaffenheit in Gemeinschaft stehen könnten, indem dieses letztere noch viel rätselhafter als das erste ist?

Diese immaterielle Welt kann also als ein vor sich bestehendes Ganze angesehen werden, deren Teile untereinander in wechselseitiger Verknüpfung und Gemeinschaft stehen, auch ohne Vermittelung körperlicher Dinge, so daß dieses letztere Verhältnis zufällig ist und nur einigen zukommen darf, ja, wo sie auch angetroffen wird, nicht hindert, daß nicht eben die immaterielle Wesen, welche durch die Vermittelung der Materie ineinander wirken, außer diesem noch in einer besondern und durchgängigen Verbindung stehen, und jederzeit untereinander als immaterielle Wesen wechselseitige Einflüsse ausüben, so daß das Verhältnis derselben vermittelst der Materie nur zufällig und auf einer besonderen göttlichen Anstalt beruhet, jene hingegen natürlich und unauflöslich ist.

Indem man denn auf solche Weise alle Prinzipien des Lebens in der ganzen Natur, als so viel unkörperliche Substanzen untereinander in Gemeinschaft, aber auch zum Teil mit der Materie vereinigt, zusammennimmt, so gedenkt man sich ein großes Ganze der immateriellen Welt; eine unermeßliche aber unbekannte Stufenfolge von Wesen und tätigen Naturen, durch welche der tote Stoff der Körperwelt allein belebt wird. Bis auf welche Glieder aber der Natur Leben ausgebreitet sei, und welche diejenigen Grade desselben sein, die zunächst an die völlige Leblosigkeit grenzen, ist vielleicht unmöglich jemals mit Sicherheit auszumachen.

Der Hylozoismus belebt alles, der Materialismus dagegen, wenn er genau erwogen wird, tötet alles. Maupertuis maß den organischen Nahrungsteilchen aller Tiere den niedrigsten Grad Leben bei; andere Philosophen sehen an ihnen nichts als tote Klumpen, welche nur dienen, den Hebezeug der tierischen Maschinen zu vergrößern. Das ungezweifelte Merkmal des Lebens an dem, was in unsere äußere Sinne fällt, ist wohl die freie Bewegung, die da blicken läßt, daß sie aus Willkür entsprungen sei; allein der Schluß ist nicht sicher, daß, wo dieses Merkmal nicht angetroffen wird, auch kein Grad des Lebens befindlich sei. Boerhaave sagt an einem Orte: Das Tier ist eine Pflanze, die ihre Wurzel im Magen (inwendig) hat. Vielleicht könnte ein anderer eben so ungetadelt mit diesen Begriffen spielen und sagen: Die Pflanze ist ein Tier, das seinen Magen in der Wurzel (äußerlich) hat. Daher auch den letzteren die Organen der willkürlichen Bewegung und mit ihnen die äußerliche Merkmale des Lebens fehlen können, die doch den ersteren notwendig sind, weil ein Wesen, welches die Werkzeuge seiner Ernährung in sich hat, sich selbst seiner Bedürfnis gemäß muß bewegen können, dasjenige aber, an welchem dieselbe außerhalb und in dem Elemente seiner Unterhaltung eingesenkt sind, schon gnugsam durch äußere Kräfte erhalten wird, und, wenn es gleich ein Principium des inneren Lebens in der Vegetation enthält, doch keine organische Einrichtung zur äußerlichen willkürlichen Tätigkeit bedarf. Ich verlange nichts von allem diesen auf Beweisegründen, denn außerdem, daß ich sehr wenig zum Vorteil von dergleichen Mutmaßungen würde zu sagen haben, so haben sie noch als bestäubte veraltete Grillen den Spott der Mode wider sich.

Die Alten glaubten nämlich dreierlei Art vom Leben annehmen zu können, das pflanzenartige, das tierische und das vernünftige. Wenn sie die drei immaterielle Prinzipien derselben in dem Menschen vereinigten, so möchten sie wohl Unrecht haben, wenn sie aber solche unter die dreierlei Gattungen der wachsenden und ihres Gleichen erzeugenden Geschöpfe verteileten, so sagten sie freilich wohl etwas Unerweisliches, aber darum noch nicht Ungereimtes, vornehmlich in dem Urteile desjenigen, der das besondere Leben der von einigen Tieren abgetrenneten Teile, die Irritabilität [Empfindlichkeit, Reizbarkeit], diese so wohl erwiesene, aber auch zugleich so unerklärliche Eigenschaft der Fasern eines tierischen Körpers und einiger Gewächse, und endlich die nahe Verwandtschaft der Polypen und anderer Zoophyten mit den Gewächsen in Betracht ziehen wollte. Übrigens ist die Berufung auf immaterielle Prinzipien eine Zuflucht der faulen Philosophie, und darum auch die Erklärungsart in diesem Geschmacke nach aller Möglichkeit zu vermeiden, damit diejenigen Gründe der Welterscheinungen, welche auf den Bewegungsgesetzen der bloßen Materie beruhen, und welche auch einzig und allein der Begreiflichkeit fähig sein, in ihrem ganzen Umfange erkannt werden. Gleichwohl bin ich überzeugt, daß Stahl, welcher die tierische Veränderungen gerne organisch erklärt, oftmals der Wahrheit näher sei, als Hofmann, Boerhaave u.a.m., welche die immaterielle Kräfte aus dem Zusammenhange lassen, sich an die mechanische Gründe halten, und hierin einer mehr philosophischen Methode folgen, die wohl bisweilen fehlt, aber mehrmalen zutrifft, und die auch allein in der Wissenschaft von nützlicher Anwendung ist, wenn anderseits von dem Einflusse der Wesen von unkörperlicher Natur höchstens nur erkannt werden kann, daß er da sei, niemals aber, wie er zugehe und wie weit sich seine Wirksamkeit erstrecke.

So würde denn also die immaterielle Welt zuerst alle erschaffene Intelligenzen, deren einige mit der Materie zu einer Person verbunden sein andere aber nicht, in sich befassen, überdem die empfindende Subjekte in allen Tierarten, und endlich alle Prinzipien des Lebens, welche sonst noch in der Natur wo sein mögen, ob dieses sich gleich durch keine äußerliche Kennzeichen der willkürlichen Bewegung offenbarete. Alle diese immaterielle Naturen, sage ich, sie mögen nun ihre Einflüsse in der Körperwelt ausüben oder nicht, alle vernünftige Wesen, deren zufälliger Zustand tierisch ist, es sei hier auf der Erde oder in andern Himmelskörpern, sie mögen den rohen Zeug der Materie jetzt oder künftig beleben, oder ehedem belebt haben, würden nach diesen Begriffen in einer ihrer Natur gemäßen Gemeinschaft stehen, die nicht auf den Bedingungen beruht, wodurch die Verhältnis der Körper eingeschränkt ist, und wo die Entfernung der Örter oder der Zeitalter, welche in der sichtbaren Welt die große Kluft ausmacht, die alle Gemeinschaft aufhebt, verschwindet. Die menschliche Seele würde daher schon in dem gegenwärtigen Leben als verknüpft mit zweien Welten zugleich müssen angesehen werden, von welchen sie, so ferne sie zu persönlicher Einheit mit einem Körper verbunden ist, die materielle allein klar empfindet, dagegen als ein Glied der Geisterwelt die reine Einflüsse immaterieller Naturen empfängt und erteilet, so daß, so bald jene Verbindung aufgehört hat, die Gemeinschaft, darin sie jederzeit mit geistigen Naturen stehet, allein übrig bleibt, und sich ihrem Bewußtsein zum klaren Anschauen eröffnen müßte.
*Wenn man von dem Himmel als dem Sitze der Seligen redet, so setzt die gemeine Vorstellung ihn gerne über sich, hoch in dem unermeßlichen Weltraume. Man bedenket aber nicht, daß unsre Erde, aus diesen Gegenden gesehen, auch als einer von den Sternen des Himmels erscheine, und daß die Bewohner anderer Welten mit eben so gutem Grunde nach uns hin zeigen könnten, und sagen: sehet da den Wohnplatz ewiger Freuden und einen himmlischen Aufenthalt, welcher zubereitet ist, uns dereinst zu empfangen. Ein wunderlicher Wahn nämlich macht, daß der hohe Flug, den die Hoffnung nimmt, immer mit dem Begriffe des Steigens verbunden ist, ohne zu bedenken, daß, so hoch man auch gestiegen ist, man doch wieder sinken müsse, um allenfalls in einer andern Welt festen Fuß zu fassen. Nach den angeführten Begriffen aber würde der Himmel eigentlich die Geisterwelt sein, oder, wenn man will, der selige Teil derselben, und diese würde man weder über sich noch unter sich zu suchen haben, weil ein solches immaterielle Ganze nicht nach den Entfernungen oder Naheiten gegen körperliche Dinge, sondern in geistigen Verknüpfungen seiner Teile untereinander vorgestellt werden muß, wenigstens die Glieder derselben sich nur nach solchen Verhältnissen ihrer selbst bewußt sein.

Es wird mir nach gerade beschwerlich, immer die behutsame Sprache der Vernunft zu führen. Warum sollte es mir nicht auch erlaubt sein, im akademischen Tone zu reden, der entscheidender ist, und so wohl den Verfasser als den Leser des Nachdenkens überhebt, welches über lang oder kurz beide nur zu einer verdrießlichen Unentschlossenheit führen muß. Es ist demnach so gut als demonstriert, oder, es könnte leichtlich bewiesen werden, wenn man weitläuftig sein wollte, oder noch besser, es wird künftig, ich weiß nicht wo oder wenn, noch bewiesen werden: daß die menschliche Seele auch in diesem Leben in einer unauflöslich verknüpften Gemeinschaft mit allen immateriellen Naturen der Geisterwelt stehe, daß sie wechselweise in diese wirke und von ihnen Eindrücke empfange, deren sie sich aber als Mensch nicht bewußt ist, so lange alles wohl steht. Andererseits ist es auch wahrscheinlich, daß die geistige Naturen unmittelbar keine sinnliche Empfindung von der Körperwelt mit Bewußtsein haben können, weil sie mit keinem Teil der Materie zu einer Person verbunden sein, um sich vermittelst desselben ihres Orts in dem materiellen Weltganzen, und durch künstliche Organen der Verhältnis der ausgedehnten Wesen, gegen sich und gegen einander bewußt zu werden, daß sie aber wohl in die Seelen der Menschen als Wesen von einerlei Natur einfließen können, und auch wirklich jederzeit mit ihr in wechselseitiger Gemeinschaft stehen, doch so, daß in der Mitteilung der Vorstellungen diejenige, welche die Seele als ein von der Körperwelt abhängendes Wesen in sich enthält, nicht in andern geistigen Wesen, und die Begriffe der letzteren, als anschauende Vorstellungen von immateriellen Dingen, nicht in das klare Bewußtsein des Menschen übergehen können, wenigstens nicht in ihrer eigentlichen Beschaffenheit, weil die Materialien zu beiderlei Ideen von verschiedener Art sind.

Es würde schön sein, wenn eine dergleichen systematische Verfassung der Geisterwelt, als wir sie vorstellen, nicht lediglich aus dem Begriffe von der geistigen Natur überhaupt, der gar zu sehr hypothetisch ist, sondern aus irgend einer wirklichen und allgemein zugestandenen Beobachtung könnte geschlossen, oder auch nur wahrscheinlich vermutet werden. Daher wage ich es, auf die Nachsicht des Lesers einen Versuch von dieser Art hier einzuschalten, der zwar etwas außer meinem Wege liegt, und auch von der Evidenz weit gnug entfernet ist, gleichwohl aber zu nicht unangenehmen Vermutungen Anlaß zu geben scheinet.

* * *

Unter den Kräften, die das menschliche Herz bewegen, scheinen einige der mächtigsten außerhalb demselben zu liegen, die also nicht etwa als bloße Mittel sich auf die Eigennützigkeit und Privatbedürfnis, als auf ein Ziel, das innerhalb dem Menschen selbst liegt, beziehen, sondern welche machen, daß die Tendenzen unserer Regungen den Brennpunkt ihrer Vereinigung außer uns in andere vernünftige Wesen versetzen; woraus ein Streit zweier Kräfte entspringt, nämlich der Eigenheit, die alles auf sich beziehet, und der Gemeinnützigkeit, dadurch das Gemüt gegen andere außer sich getrieben oder gezogen wird. Ich halte mich bei dem Triebe nicht auf, vermöge dessen wir so stark und so allgemein am Urteile anderer hängen, und fremde Billigung oder Beifall zur Vollendung des unsrigen von uns selbst so nötig zu sein erachten, woraus, wenn gleich bisweilen ein übelverstandener Ehrenwahn entspringt, dennoch selbst in der uneigennützigsten und wahrhaftesten Gemütsart ein geheimer Zug verspürt wird, dasjenige, was man vor sich selbst als gut oder wahr erkennt, mit dem Urteil anderer zu vergleichen, um beide einstimmig zu machen, imgleichen eine jede menschliche Seele auf dem Erkenntniswege gleichsam anzuhalten, wenn sie einen andern Fußsteig zu gehen scheint, als den wir eingeschlagen haben, welches alles vielleicht eine empfundene Abhängigkeit unserer eigenen Urteile vom allgemeinen menschlichen Verstande ist, und ein Mittel wird, dem Ganzen denkender Wesen eine Art von Vernunfteinheit zu verschaffen.

Ich übergehe aber diese sonst nicht unerhebliche Betrachtung, und halte mich vor itzt an eine andere, welche einleuchtender und beträchtlicher ist, so viel es unsere Absicht betrifft. Wenn wir äußere Dinge auf unsere Bedürfnis beziehen, so können wir dieses nicht tun, ohne uns zugleich durch eine gewisse Empfindung gebunden und eingeschränkt zu fühlen, die uns merken läßt, daß in uns gleichsam ein fremder Wille wirksam sei, und unser eigen Belieben die Bedingung von äußerer Beistimmung nötig habe.

Eine geheime Macht nötiget uns, unsere Absicht zugleich auf anderer Wohl oder nach fremder Willkür zu richten, ob dieses gleich öfters ungern geschieht, und der eigennützigen Neigung stark widerstreitet, und der Punkt, wohin die Richtungslinien unserer Triebe zusammenlaufen, ist also nicht bloß in uns, sondern es sind noch Kräfte, die uns bewegen, in dem Wollen anderer außer uns. Daher entspringen die sittlichen Antriebe, die uns oft wider den Dank des Eigennutzes fortreißen, das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwächere der Gütigkeit, deren jede uns manche Aufopferung abdringt, und ob gleich beide dann und wann durch eigennützige Neigungen überwogen werden, doch nirgend in der menschlichen Natur ermangeln, ihre Wirklichkeit zu äußern. Dadurch sehen wir uns in den geheimsten Beweggründen abhängig von der Regel des allgemeinen Willens, und es entspringt daraus in der Welt aller denkenden Naturen eine moralische Einheit und systematische Verfassung nach bloß geistigen Gesetzen. Will man diese in uns empfundene Nötigung unseres Willens zur Einstimmung mit dem allgemeinen Willen das sittliche Gefühl nennen, so redet man davon nur als von einer Erscheinung dessen, was in uns wirklich vorgeht, ohne die Ursachen derselben auszumachen.

So nannte Newton das sichere Gesetz der Bestrebungen aller Materie, sich einander zu nähern, die Gravitation derselben, indem er seine mathematische Demonstrationen nicht in eine verdrießliche Teilnehmung an philosophischen Streitigkeiten verflechten wollte, die sich über die Ursache derselben eräugnen könnten. Gleichwohl trug er kein Bedenken, diese Gravitation als eine wahre Wirkung einer allgemeinen Tätigkeit der Materie ineinander zu behandeln, und gab ihr daher auch den Namen der Anziehung. Sollte es nicht möglich sein, die Erscheinung der sittlichen Antriebe in den denkenden Naturen, wie solche sich auf einander wechselsweise beziehen, gleichfalls als die Folge einer wahrhaftig tätigen Kraft, dadurch geistige Naturen ineinander einfließen, vorzustellen, so daß das sittliche Gefühl diese empfundene Abhängigkeit des Privatwillens vom allgemeinen Willen wäre, und eine Folge der natürlichen und allgemeinen Wechselwirkung, dadurch die immaterielle Welt ihre sittliche Einheit erlangt, indem sie sich nach den Gesetzen dieses ihr eigenen Zusammenhanges zu einem System von geistiger Vollkommenheit bildet? Wenn man diesen Gedanken so viel Scheinbarkeit zugesteht als erforderlich ist, um die Mühe zu verdienen, sie an ihren Folgen zu messen, so wird man vielleicht durch den Reiz derselben unvermerkt in einige Parteilichkeit gegen sie verflochten werden. Denn es scheinen in diesem Falle die Unregelmäßigkeiten mehrenteils zu verschwinden, die sonsten bei dem Widerspruch der moralischen und physischen Verhältnisse der Menschen hier auf der Erde so befremdlich in die Augen fallen.

Alle Moralität der Handlungen kann nach der Ordnung der Natur niemals ihre vollständige Wirkung in dem leiblichen Leben des Menschen haben, wohl aber in der Geisterwelt nach pneumatischen Gesetzen. Die wahre Absichten, die geheime Beweggründe vieler aus Ohnmacht fruchtlosen Bestrebungen, der Sieg über sich selbst, oder auch bisweilen die verborgene Tücke bei scheinbarlich guten Handlungen, sind mehrenteils vor den physischen Erfolg in dem körperlichen Zustande verloren, sie würden aber auf solche Weise in der immateriellen Welt als fruchtbare Gründe angesehen werden müssen, und in Ansehung ihrer nach pneumatischen [geistgewirkten] Gesetzen zu Folge der Verknüpfung des Privatwillens und des allgemeinen Willens, d.i. der Einheit und des Ganzen der Geisterwelt, eine der sittlichen Beschaffenheit der freien Willkür angemessene Wirkung ausüben oder auch gegenseitig empfangen. Denn weil das Sittliche der Tat den inneren Zustand des Geistes betrifft, so kann es auch natürlicher Weise nur in der unmittelbaren Gemeinschaft der Geister die der ganzen Moralität adäquate Wirkung nach sich ziehen. Dadurch würde es nun geschehen, daß die Seele des Menschen schon in diesem Leben, dem sittlichen Zustande zufolge, ihre Stelle unter den geistigen Substanzen des Universum einnehmen müßte, so wie nach den Gesetzen der Bewegung die Materie des Weltraums sich in solche Ordnung gegeneinander setzen, die ihren Körperkräften gemäß ist.*
*Die aus dem Grunde der Moralität entspringende Wechselwirkungen des Menschen und der Geisterwelt, nach den Gesetzen des pneumatischen Einflusses, könnte man darin setzen, daß daraus natürlicher Weise eine nähere Gemeinschaft einer guten oder bösen Seele mit guten und bösen Geistern entspringe, und jene dadurch sich selbst dem Teile der geistigen Republik zugeselleten, der ihrer sittlichen Beschaffenheit gemäß ist, mit der Teilnehmung an allen Folgen, die daraus nach der Ordnung der Natur entstehen mögen.

Wenn denn endlich durch den Tod die Gemeinschaft der Seele mit der Körperwelt aufgehoben worden, so würde das Leben in der andern Welt nur eine natürliche Fortsetzung derjenigen Verknüpfung sein, darin sie mit ihr schon in diesem Leben gestanden war, und die gesamte Folgen der hier ausgeübten Sittlichkeit würden sich dort in denen Wirkungen wieder finden, die ein mit der ganzen Geisterwelt in unauflöslicher Gemeinschaft stehendes Wesen schon vorher daselbst nach pneumatischen Gesetzen ausgeübt hat. Die Gegenwart und die Zukunft würden also gleichsam aus einem Stücke sein, und ein stetiges Ganze ausmachen, selbst nach der Ordnung der Natur. Dieser letztere Umstand ist von besonderer Erheblichkeit. Denn in einer Vermutung nach bloßen Gründen der Vernunft ist es eine große Schwierigkeit, wenn man, um den Übelstand zu heben, der aus der unvollendeten Harmonie zwischen der Moralität und ihren Folgen in dieser Welt entspringt, zu einem außerordentlichen göttlichen Willen seine Zuflucht nehmen muß; weil, so wahrscheinlich auch das Urteil über denselben nach unseren Begriffen von der göttlichen Weisheit sein mag, immer ein starker Verdacht übrig bleibt, daß die schwache Begriffe unseres Verstandes vielleicht auf den Höchsten sehr verkehrt übertragen worden, da des Menschen Obliegenheit nur ist, von dem göttlichen Willen zu urteilen aus der Wohlgereimtheit, die er wirklich in der Welt wahrnimmt, oder welche er nach der Regel der Analogie, gemäß der Naturordnung, darin vermuten kann, nicht aber nach dem Entwurfe seiner eigenen Weisheit, den er zugleich dem göttlichen Willen zur Vorschrift macht, befugt ist, neue und willkürliche Anordnungen in der gegenwärtigen oder künftigen Welt zu ersinnen.

* * *

Wir lenken nunmehr unsere Betrachtung wiederum in den vorigen Weg ein, und nähern uns dem Ziele, welches wir uns vorgesetzt hatten. Wenn es sich mit der Geisterwelt und dem Anteile, den unsere Seele an ihr hat, so verhält, wie der Abriß, den wir erteilten, ihn vorstellt: so scheinet fast nichts befremdlicher zu sein, als daß die Geistergemeinschaft nicht eine ganz allgemeine und gewöhnliche Sache ist, und das Außerordentliche betrifft fast mehr die Seltenheit der Erscheinungen, als die Möglichkeit derselben. Diese Schwierigkeit läßt sich indessen ziemlich gut heben, und ist zum Teil auch schon gehoben worden. Denn die Vorstellung, die die Seele des Menschen von sich selbst als einem Geiste durch ein immaterielles Anschauen hat, indem sie sich in Verhältnis gegen Wesen von ähnlicher Natur betrachtet, ist von derjenigen ganz verschieden, da ihr Bewußtsein sich selbst als einen Menschen vorstellt, durch ein Bild, das seinen Ursprung aus dem Eindrucke körperlicher Organen hat, und welches in Verhältnis gegen keine andere als materielle Dinge vorgestellt wird. Es ist demnach zwar einerlei Subjekt, was der sichtbaren und unsichtbaren Welt zugleich als ein Glied angehört, aber nicht eben dieselbe Person, weil die Vorstellungen der einen, ihrer verschiedenen Beschaffenheit wegen, keine begleitende Ideen von denen der andern Welt sind, und daher, was ich als Geist denke, von mir als Mensch nicht erinnert wird, und, umgekehrt, mein Zustand als eines Menschen in die Vorstellung meiner selbst als eines Geistes gar nicht hinein kommt. Übrigens mögen die Vorstellungen von der Geisterwelt so klar und anschauend sein wie man will,* so ist dieses doch nicht hinlänglich, um mich deren als Mensch bewußt zu werden; wie denn so gar die Vorstellung seiner selbst (d.i. der Seele) als eines Geistes wohl durch Schlüsse erworben wird, bei keinem Menschen aber ein anschauender und Erfahrungsbegriff ist.
* Man kann dieses durch eine gewisse Art von zwiefacher Persönlichkeit, die der Seele selbst in Ansehung dieses Lebens zukommt, erläutern. Gewisse Philosophen glauben, sich ohne den mindesten besorglichen Einspruch auf den Zustand des festen Schlafes berufen zu können, wenn sie die Wirklichkeit dunkeler Vorstellungen beweisen wollen, da sich doch nichts weiter hievon mit Sicherheit sagen läßt, als daß wir uns im Wachen keiner von denenjenigen erinnern, die wir im festen Schlafe etwa mochten gehabt haben, und daraus nur so viel folgt, daß sie beim Erwachen nicht klar vorgestellt worden, nicht aber, daß sie auch damals als wir schliefen dunkel waren. Ich vermute vielmehr, daß dieselbe klärer und ausgebreiteter sein mögen, als selbst die kläresten im Wachen; weil dieses bei der völligen Ruhe äußerer Sinne von einem so tätigen Wesen als die Seele ist, zu erwarten ist, wiewohl, da der Körper des Menschen zu der Zeit nicht mit empfunden ist, beim Erwachen die begleitende Idee desselben ermangelt, welche den vorigen Zustand der Gedanken, als zu eben derselben Person gehörig, zum Bewußtsein verhelfen könnte. Die Handlungen einiger Schlafwanderer, welche bisweilen in solchem Zustande mehr Verstand als sonsten zeigen, ob sie gleich nichts davon beim Erwachen erinnern, bestätigt die Möglichkeit dessen, was ich vom festen Schlafe vermute. Die Träume dagegen, das ist, die Vorstellungen des Schlafenden, deren er sich beim Erwachen erinnert, gehören nicht hieher. Denn alsdenn schläft der Mensch nicht völlig; er empfindet in einem gewissen Grade klar und webt seine Geisteshandlungen in die Eindrücke der äußeren Sinne. Daher er sich ihrer zum Teil nachhero erinnert, aber auch an ihnen lauter wilde und abgeschmackte Chimären antrifft, wie sie es denn notwendig sein müssen, da in ihnen Ideen der Phantasie und die der äußeren Empfindung untereinander geworfen wird.

Diese Ungleichartigkeit der geistigen Vorstellungen und derer, die zum leiblichen Leben des Menschen gehören, darf indessen nicht als eine so große Hindernis angesehen werden, daß sie alle Möglichkeit aufhebe, sich bisweilen der Einflüsse von Seiten der Geisterwelt so gar in diesem Leben bewußt zu werden. Denn sie können in das persönliche Bewußtsein des Menschen zwar nicht unmittelbar, aber doch so übergehen, daß sie nach dem Gesetz der vergesellschafteten Begriffe diejenige Bilder rege machen, die mit ihnen verwandt sein, und analogische Vorstellungen unserer Sinne erwecken, die wohl nicht der geistige Begriff selber, aber doch deren Symbolen sind. Denn es ist doch immer eben dieselbe Substanz, die zu dieser Welt so wohl als zu der andern wie ein Glied gehöret, und beiderlei Art von Vorstellungen gehören zu demselben Subjekte und sind mit einander verknüpft. Die Möglichkeit hievon können wir einiger maßen dadurch faßlich machen, wenn wir betrachten, wie unsere höhere Vernunftbegriffe, welche sich den geistigen ziemlich nähern, gewöhnlicher maßen gleichsam ein körperlich Kleid annehmen, um sich in Klarheit zu setzen.

Daher die moralische Eigenschaften der Gottheit unter den Vorstellungen des Zorns, der Eifersucht, der Barmherzigkeit, der Rache, u. d. g. vorgestellt werden; daher personifizieren Dichter die Tugenden, Laster oder andere Eigenschaften der Natur, doch so, daß die wahre Idee des Verstandes hindurchscheinet; so stellt der Geometra die Zeit durch eine Linie vor, obgleich Raum und Zeit nur eine Übereinkunft in Verhältnissen haben und also wohl der Analogie nach, niemals aber der Qualität nach mit einander übereintreffen; daher nimmt die Vorstellung der göttlichen Ewigkeit selbst bei Philosophen den Schein einer unendlichen Zeit an, so sehr wie man sich auch hütet, beide zu vermengen; und eine große Ursache; weswegen die Mathematiker gemeiniglich abgeneigt sein, die Leibnizische Monaden einzuräumen, ist wohl diese, daß sie nicht umhin können, sich an ihnen kleine Klümpchen vorzustellen. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, daß geistige Empfindungen in das Bewußtsein übergehen könnten, wenn sie Phantasien erregen, die mit ihnen verwandt sein. Auf diese Art würden Ideen, die durch einen geistigen Einfluß mitgeteilt sind, sich in die Zeichen derjenigen Sprache einkleiden, die der Mensch sonsten im Gebrauch hat, die empfundene Gegenwart eines Geistes in das Bild einer menschlichen Figur, Ordnung und Schönheit der immateriellen Welt in Phantasien, die unsere Sinne sonst im Leben vergnügen, u.s.w.

Diese Art der Erscheinungen kann gleichwohl nicht etwas Gemeines und Gewöhnliches sein, sondern sich nur bei Personen eräugnen, deren Organen* eine ungewöhnlich große Reizbarkeit haben, die Bilder der Phantasie dem innern Zustande der Seele gemäß durch harmonische Bewegung mehr zu verstärken, als gewöhnlicher Weise bei gesunden Menschen geschieht und auch geschehen soll.
*Ich verstehe hierunter nicht die Organen der äußeren Empfindung, sondern das Sensorium der Seele, wie man es nennt, d.i. denjenigen Teil des Gehirnes, dessen Bewegung die mancherlei Bilder und Vorstellungen der denkenden Seele zu begleiten pflegt, wie die Philosophen davor halten.

Solche seltsame Personen würden in gewissen Augenblicken mit der Apparenz [Anschein] mancher Gegenstände als außer ihnen angefochten sein, welche sie vor eine Gegenwart von geistigen Naturen halten würden, die auf ihre körperliche Sinne fiele, ob gleich hiebei nur ein Blendwerk der Einbildung vorgeht, doch so, daß die Ursache davon ein wahrhafter geistiger Einfluß ist, der nicht unmittelbar empfunden werden kann, sondern sich nur durch verwandte Bilder der Phantasie, welche den Schein der Empfindungen annehmen, zum Bewußtsein offenbaret.

Die Erziehungsbegriffe, oder auch mancherlei sonst eingeschlichene Wahn, würden hiebei ihre Rolle spielen, wo Verblendung mit Wahrheit untermengt wird, und eine wirkliche geistige Empfindung zwar zum Grunde liegt, die doch in Schattenbilder der sinnlichen Dinge umgeschaffen worden. Man wird aber auch zugeben, daß die Eigenschaft, auf solche Weise die Eindrücke der Geisterwelt in diesem Leben zum klaren Anschauen auszuwickeln, schwerlich wozu nützen könne; weil dabei die geistige Empfindung notwendig so genau in das Hirngespenst der Einbildung verwebt wird, daß es unmöglich sein muß, in derselben das Wahre von den groben Blendwerken, die es umgeben, zu unterscheiden. Imgleichen würde ein solcher Zustand, da er ein verändertes Gleichgewicht in den Nerven voraussetzt, welche so gar durch die Wirksamkeit der bloß geistig empfindenden Seele in unnatürliche Bewegung versetzet werden, eine wirkliche Krankheit anzeigen. Endlich würde es gar nicht befremdlich sein, an einem Geisterseher zugleich einen Phantasten anzutreffen, zum wenigsten in Ansehung der begleitenden Bilder von diesen seinen Erscheinungen, weil Vorstellungen, die ihrer Natur nach fremd, und mit denen im leiblichen Zustande des Menschen unvereinbar sind, sich hervordrängen, und übelgepaarte Bilder in die äußere Empfindung hereinziehen, wodurch wilde Chimären und wunderliche Fratzen ausgeheckt werden, die in langem Geschleppe den betrogenen Sinnen vorgaukeln, ob sie gleich einen wahren geistigen Einfluß zum Grunde haben mögen.

Nunmehro kann man nicht verlegen sein, von denen Gespenstererzählungen, die den Philosophen so oft in den Weg kommen, imgleichen allerlei Geistereinflüssen, von denen hie oder da die Rede geht, scheinbare Vernunftgründe anzugeben. Abgeschiedene Seelen und reine Geister können zwar niemals unsern äußeren Sinnen gegenwärtig sein, noch sonst mit der Materie in Gemeinschaft stehen, aber wohl auf den Geist des Menschen, der mit ihnen zu einer großen Republik gehört, wirken, so, daß die Vorstellungen, welche sie in ihm erwecken, sich nach dem Gesetze seiner Phantasei in verwandte Bilder einkleiden, und die Apparenz der ihnen gemäßen Gegenstände als außer ihm erregen. Diese Täuschung kann einen jeden Sinn betreffen, und so sehr dieselbe auch mit ungereimten Hirngespinsten untermengt wäre, so dürfte man sich dieses nicht abhalten lassen, hierunter geistige Einflüsse zu vermuten. Ich würde der Scharfsichtigkeit des Lesers zu nahe treten, wenn ich mich bei der Anwendung dieser Erklärungsart noch aufhalten wollte. Denn metaphysische Hypothesen haben eine so ungemeine Biegsamkeit an sich, daß man sehr ungeschickt sein müßte, wenn man die gegenwärtige nicht einer jeden Erzählung bequemen könnte, so gar ehe man ihre Wahrhaftigkeit untersucht hat, welches in vielen Fällen unmöglich und in noch mehreren sehr unhöflich ist.

Wenn indessen die Vorteile und Nachteile in einander gerechnet werden, die demjenigen erwachsen können, der nicht allein vor die sichtbare Welt, sondern auch vor die unsichtbare in gewissem Grade organisiert ist (wofern es jemals einen solchen gegeben hat), so scheint ein Geschenk von dieser Art demjenigen gleich zu sein, womit Juno den Tiresias beehrte, die ihn zuvor blind machte, damit sie ihm die Gabe zu weissagen erteilen könnte. Denn, nach den obigen Sätzen zu urteilen, kann die anschauende Kenntnis der andern Welt allhier nur erlangt werden, indem man etwas von demjenigen Verstande einbüßt, welchen man vor die gegenwärtige nötig hat. Ich weiß auch nicht, ob selbst gewisse Philosophen gänzlich von dieser harten Bedingung frei sein sollten, welche so fleißig und vertieft ihre metaphysische Gläser nach jenen entlegenen Gegenden hinrichten und Wunderdinge von daher zu erzählen wissen, zum wenigsten mißgönne ich ihnen keine von ihren Entdeckungen; nur besorge ich: daß ihnen irgend ein Mann von gutem Verstande und wenig Feinigkeit eben dasselbe dürfte zu verstehen geben, was dem Tycho de Brahe sein Kutscher antwortete, als jener meinte, zur Nachtzeit nach den Sternen den kürzesten Weg fahren zu können: Guter Herr, auf den Himmel mögt ihr euch wohl verstehen, hier aber auf der Erde seid ihr ein Narr.

Drittes Hauptstück.
Antikabbala. Ein Fragment der gemeinen Philosophie, die Gemeinschaft mit der Geisterwelt aufzuheben
Aristoteles sagt irgendwo: Wenn wir wachen, so haben wir eine gemeinschaftliche Welt, träumen wir aber, so hat ein jeder seine eigne. Mich dünkt, man sollte wohl den letzteren Satz umkehren und sagen können: wenn von verschiedenen Menschen ein jeglicher seine eigene Welt hat, so ist zu vermuten, daß sie träumen. Auf diesen Fuß, wenn wir die Luftbaumeister der mancherlei Gedankenwelten betrachten, deren jeglicher die seinige mit Ausschließung anderer ruhig bewohnt, denjenigen etwa, welcher die Ordnung der Dinge, so wie sie von Wolffen aus wenig Bauzeug der Erfahrung aber mehr erschlichenen Begriffen gezimmert, oder die, so von Crusius durch die magische Kraft einiger Sprüche vom Denklichen und Undenklichen aus nichts hervorgebracht worden, bewohnen, so werden wir uns bei dem Widerspruche ihrer Visionen gedulden, bis diese Herren ausgeträumet haben. Denn wenn sie einmal, so Gott will, völlig wachen, d.i. zu einem Blicke, der die Einstimmung mit anderem Menschenverstande nicht ausschließt, die Augen auftun werden, so wird niemand von ihnen etwas sehen, was nicht jedem andern gleichfalls bei dem Lichte ihrer Beweistümer augenscheinlich und gewiß erscheinen sollte, und die Philosophen werden zu derselbigen Zeit eine gemeinschaftliche Welt bewohnen, dergleichen die Größenlehrer schon längst inne gehabt haben, welche wichtige Begebenheit nicht lange mehr anstehen kann, woferne gewissen Zeichen und Vorbedeutungen zu trauen ist, die seit einiger Zeit über dem Horizonte der Wissenschaften erschienen sind.

In gewisser Verwandtschaft mit den Träumern der Vernunft stehen die Träumer der Empfindung, und unter dieselbe werden gemeiniglich diejenige, so bisweilen mit Geistern zu tun haben, gezählt, und zwar aus dem nämlichen Grunde, wie die vorigen, weil sie etwas sehen, was kein anderer gesunder Mensch sieht, und ihre eigene Gemeinschaft mit Wesen haben, die sich niemanden sonst offenbaren, so gute Sinne er auch haben mag. Es ist auch die Benennung der Träumereien, wenn man voraussetzt, daß die gedachte Erscheinungen auf bloße Hirngespenster auslaufen, in so ferne passend, als die eine so gut wie die andere selbst ausgeheckte Bilder sind, die gleichwohl als wahre Gegenstände die Sinne betrügen; allein wenn man sich einbildet, daß beide Täuschungen übrigens in ihrer Entstehungsart sich ähnlich gnug wären, um die Quelle der einen auch zur Erklärung der andern zureichend zu finden, so betrügt man sich sehr. Derjenige, der im Wachen sich in Erdichtungen und Chimären, welche seine stets fruchtbare Einbildung ausheckt, dermaßen vertieft, daß er auf die Empfindung der Sinne wenig Acht hat, die ihm jetzt am meisten angelegen sein, wird mit Recht ein wachender Träumer genannt.

Denn es dürfen nur die Empfindungen der Sinne noch etwas mehr in ihrer Starke nachlassen, so wird er schlafen und die vorige Chimären werden wahre Träume sein. Die Ursache, weswegen sie es nicht schon im Wachen sind, ist diese, weil er sie zu der Zeit als in sich, andere Gegenstände aber die er empfindet als außer sich vorstellt, folglich jene zu Wirkungen seiner eignen Tätigkeit, diese aber zu demjenigen zählet, was er von außen empfängt und erleidet. Denn hiebei kommt es alles auf das Verhältnis an, darin die Gegenstände auf ihn selbst als einen Menschen, folglich auch auf seinen Körper gedacht werden. Daher können die nämliche Bilder ihn im Wachen wohl sehr beschäftigen, aber nicht betrügen, so klar sie auch sein mögen. Denn ob er gleich alsdenn eine Vorstellung von sich selbst und seinem Körper auch im Gehirne, hat, gegen die er seine phantastische Bilder in Verhältnis setzt, so macht doch die wirkliche Empfindung seines Körpers durch äußere Sinne gegen jene Chimären einen Kontrast oder Abstechung, um jene als von sich ausgeheckt, diese aber als empfunden anzusehen. Schlummert er hiebei ein, so erlischt die empfundene Vorstellung seines Körpers, und es bleibt bloß die selbstgedichtete übrig, gegen welche die andre Chimären als in äußerer Verhältnis gedacht werden, und auch so lange man schläft den Träumenden betrügen müssen, weil keine Empfindung da ist, die in Vergleichung mit jener das Urbild vom Schattenbilde, nämlich das Äußere vom Innern unterscheiden ließe.

Von wachenden Träumern sind demnach die Geisterseher nicht bloß dem Grade, sondern der Art nach gänzlich unterschieden. Denn diese referieren im Wachen und oft bei der größten Lebhaftigkeit anderer Empfindungen gewisse Gegenstände unter die äußerliche Stellen der andern Dinge, die sie wirklich um sich wahrnehmen, und die Frage ist hie nur, wie es zugehe, daß sie das Blendwerk ihrer Einbildung außer sich versetzen, und zwar in Verhältnis auf ihren Körper, den sie auch durch äußere Sinne empfinden. Die große Klarheit ihres Hirngespinstes kann hievon nicht die Ursache sein, denn es kommt hier auf den Ort an, wohin es als ein Gegenstand versetzt ist, und daher verlange ich, daß man zeige, wie die Seele ein solches Bild, was sie doch, als in sich enthalten, vorstellen sollte, in ein ganz ander Verhältnis, nämlich in einen Ort äußerlich und unter die Gegenstände versetze, die sich ihrer wirklichen Empfindung darbieten. Auch werde ich mich durch die Anführung anderer Fälle, die einige Ähnlichkeit mit solcher Täuschung haben und etwa im fieberhaften Zustande vorfallen, nicht abfertigen lassen; denn gesund oder krank, wie der Zustand des Betrogenen auch sein mag, so will man nicht wissen, ob dergleichen auch sonsten geschehe, sondern wie dieser Betrug möglich sei.

Wir finden aber bei dem Gebrauch der äußeren Sinne, daß über die Klarheit, darin die Gegenstände vorgestellt werden, man in der Empfindung auch ihren Ort mit begreife, vielleicht bisweilen nicht allemal mit gleicher Richtigkeit, dennoch als eine notwendige Bedingung der Empfindung, ohne welche es unmöglich wäre, die Dinge als außer uns vorzustellen. Hierbei wird es sehr wahrscheinlich: daß unsere Seele das empfundene Objekt dahin in ihrer Vorstellung versetze, wo die verschiedene Richtungslinien des Eindrucks, die dasselbe gemacht hat, wenn sie fortgezogen werden, zusammenstoßen. Daher sieht man einen strahlenden Punkt an demjenigen Orte, wo die von dem Auge in der Richtung des Einfalls der Lichtstrahlen zurückgezogene Linien sich schneiden. Dieser Punkt, welchen man den Sehepunkt nennt, ist zwar in der Wirkung der Zerstreuungspunkt, aber in der Vorstellung der Sammlungspunkt der Direktionslinien, nach welchen die Empfindung eingedrückt wird (focus imaginarius). So bestimmt man selbst durch ein einziges Auge einem sichtbaren Objekte den Ort, wie unter andern geschieht, wenn das Spektrum eines Körpers vermittelst eines Hohlspiegels in der Luft gesehen wird, gerade da, wo die Strahlen, welche aus einem Punkte des Objekts ausfließen, sich schneiden, ehe sie ins Auge fallen.*
*So wird das Urteil, welches wir von dem scheinbaren Orte naher Gegenstände fällen, in der Sehekunst gemeiniglich vorgestellt, und es stimmt auch sehr gut mit der Erfahrung. Indessen treffen eben dieselbe Lichtstrahlen, die aus einem Punkte auslaufen, vermöge der Brechung in den Augenfeuchtigkeiten nicht divergierend auf den Sehenerven, sondern vereinigen sich daselbst in einem Punkte. Daher, wenn die Empfindung lediglich in diesem Nerven vorgeht, der focus imaginarius nicht außer dem Körper sondern im Boden des Auges gesetzt weiden müßte, welches eine Schwierigkeit macht, die ich jetzt nicht auflösen kann, und die mit den obigen Sätzen so wohl als mit der Erfahrung unvereinbar scheint.

Vielleicht kann man eben so bei den Eindrücken des Schalles, weil dessen Stöße auch nach geraden Linien geschehen, annehmen: daß die Empfindung desselben zugleich mit der Vorstellung eines foci imaginarii begleitet sei, der dahin gesetzt wird, wo die gerade Linien des in Bebung gesetzten Nervengebäudes im Gehirne äußerlich fortgezogen zusammenstoßen. Denn man bemerkt die Gegend und Weite eines schallenden Objekts einigermaßen, wenn der Schall gleich leise ist und hinter uns geschieht, ob schon die gerade Linien, die von da gezogen werden können, eben nicht die Eröffnung des Ohrs treffen, sondern auf andere Stellen des Haupts fallen, so daß man glauben muß, die Richtungslinien der Erschütterung werden in der Vorstellung der Seele äußerlich fortgezogen, und das schallende Objekt in den Punkt ihres Zusammenstoßes versetzt. Eben dasselbe kann, wie mich dünkt, auch von den übrigen drei Sinnen gesagt werden, welche sich darin von dem Gesichte und dem Gehör unterscheiden, daß der Gegenstand der Empfindung mit den Organen in unmittelbarer Berührung stehet, und die Richtungslinien des sinnlichen Reizes daher in diesen Organen selbst ihren Punkt der Vereinigung haben.

Um dieses auf die Bilder der Einbildung anzuwenden, so erlaube man mir, dasjenige, was Cartesius annahm und die mehresten Philosophen nach ihm billigten, zum Grunde zu legen: nämlich, daß alle Vorstellungen der Einbildungskraft zugleich mit gewissen Bewegungen in dem Nervengewebe oder Nervengeiste des Gehirnes begleitet sind, welche man ideas materiales nennt, d.i. vielleicht mit der Erschütterung oder Bebung des feinen Elements, welches von ihnen abgesondert wird, und die derjenigen Bewegung ähnlich ist, welche der sinnliche Eindruck machen könnte, wovon er die Kopie ist. Nun verlange ich aber, mir einzuräumen: daß der vornehmste Unterscheid der Nervenbewegung in den Phantasien von der in der Empfindung darin bestehe, daß die Richtungslinien der Bewegung bei jenem sich innerhalb dem Gehirne, bei diesem aber außerhalb schneiden; daher, weil der focus imaginarius, darin das Objekt vorgestellt wird, bei den klaren Empfindungen des Wachens außer mir, der von den Phantasien aber, die ich zu der Zeit etwa habe, in mir gesetzt wird, ich, so lange ich wache, nicht fehlen kann, die Einbildungen als meine eigene Hirngespinste von dem Eindruck der Sinne zu unterscheiden.

Wenn man dieses einräumt, so dünkt mich, daß ich über diejenige Art von Störung des Gemüts, die man den Wahnsinn und im höhern Grade die Verrückung nennt, etwas Begreifliches zur Ursache anführen könne. Das Eigentümliche dieser Krankheit bestehet darin: daß der verworrene Mensch bloße Gegenstände seiner Einbildung außer sich versetzt, und als wirklich vor ihm gegenwärtige Dinge ansieht. Nun habe ich gesagt: daß nach der gewöhnlichen Ordnung die Direktionslinien der Bewegung, die in dem Gehirne als materielle Hülfsmittel die Phantasie begleiten, sich innerhalb demselben durchschneiden müssen, und mithin der Ort, darin er sich seines Bildes bewußt ist, zur Zeit des Wachens in ihm selbst gedacht werde. Wenn ich also setze: daß, durch irgend einen Zufall oder Krankheit, gewisse Organen des Gehirnes so verzogen und aus ihrem gehörigem Gleichgewicht gebracht sein, daß die Bewegung der Nerven, die mit einigen Phantasien harmonisch beben, nach solchen Richtungslinien geschieht, welche fortgezogen sich außerhalb dem Gehirne durchkreuzen würden, so ist der focus imaginarius außerhalb dem denkendes Subjekt gesetzt* und das Bild, welches ein Werk der bloßen Einbildung ist, wird als ein Gegenstand vorgestellt, der den äußeren Sinnen gegenwärtig wäre.
*Man könnte, als eine entfernte Ähnlichkeit mit dem angeführten Zufalle, die Beschaffenheit der Trunkenen anführen, die in diesem Zustande mit beiden Augen doppelt sehen; darum, weil durch die Anschwellung der Blutgefäße eine Hindernis entspringt, die Augenachsen so zu richten, daß ihre verlängerte Linien sich im Punkte, worin das Objekt ist, schneiden. Eben so mag die Verziehung der Hirngefäße, die vielleicht nur vorübergehend ist, und so lange sie dauert nur einige Nerven betrifft, dazu dienen, daß gewisse Bilder der Phantasie selbst im Wachen als außer uns erscheinen. Eine sehr gemeine Erfahrung kann mit dieser Täuschung verglichen werden. Wenn man nach vollbrachten Schlafe mit einer Gemächlichkeit, die einem Schlummer nahe kommt, und gleichsam mit gebrochnen Augen die mancherlei Fäden der Bettvorhänge oder des Bezuges oder die kleinen Flecken einer nahen Wand ansieht, so macht man sich daraus leichtlich Figuren von Menschengesichtern und dergleichen. Das Blendwerk hört auf, so bald man will und die Aufmerksamkeit anstrengt. Hier ist die Versetzung des foci imaginarii der Phantasien der Willkür einigermaßen unterworfen, da sie bei der Verrückung durch keine Willkür kann gehindert werden.

Die Bestürzung über die vermeinte Erscheinung einer Sache, die nach der natürlichen Ordnung nicht zugegen sein sollte, wird, obschon auch anfangs ein solches Schattenbild der Phantasie nur schwach wäre, bald die Aufmerksamkeit rege machen, und der Scheinempfindung eine so große Lebhaftigkeit geben, die den betrogenen Menschen an der Wahrhaftigkeit nicht zweifeln läßt. Dieser Betrug kann einen jeden äußeren Sinn betreffen, denn von jeglichem haben wir kopierte Bilder in der Einbildung, und die Verrückung des Nervengewebes kann die Ursache werden, den focum imaginarium dahin zu versetzen, von wo der sinnliche Eindruck eines wirklich vorhandenen körperlichen Gegenstandes kommen würde. Es ist alsdenn kein Wunder, wenn der Phantast manches sehr deutlich zu sehen oder zu hören glaubt, was niemand außer ihm wahrnimmt, imgleichen wenn diese Hirngespenster ihm erscheinen und plötzlich verschwinden, oder, indem sie etwa einem Sinne, z. E. dem Gesichte vorgaukeln, durch keinen andern, wie z. E. das Gefühl können empfunden werden, und daher durchdringlich scheinen. Die gemeine Geistererzählungen laufen so sehr auf dergleichen Bestimmungen hinaus, daß sie den Verdacht ungemein rechtfertigen, sie könnten wohl aus einer solchen Quelle entsprungen sein. Und so ist auch der gangbare Begriff von geistigen Wesen, den wir oben aus dem gemeinen Redegebrauche herauswickelten, dieser Täuschung sehr gemäß, und verleugnet seinen Ursprung nicht; weil die Eigenschaft einer durchdringlichen Gegenwart im Raume das wesentliche Merkmal dieses Begriffes ausmachen soll.

Es ist auch sehr wahrscheinlich, daß die Erziehungsbegriffe von Geistergestalten dem kranken Kopfe die Materialien zu den täuschenden Einbildungen geben, und daß ein von allen solchen Vorurteilen leeres Gehirne, wenn ihm gleich eine Verkehrtheit anwandelte, wohl nicht so leicht Bilder von solcher Art aushecken würde. Ferner siehet man daraus auch, daß, da die Krankheit des Phantasten nicht eigentlich den Verstand, sondern die Täuschung der Sinne betrifft, der Unglückliche seine Blendwerke durch kein Vernünfteln heben könne; weil die wahre oder scheinbare Empfindung der Sinne selbst vor allem Urteil des Verstandes vorhergeht, und eine unmittelbare Evidenz hat, die alle andre Überredung weit übertrifft.

Die Folge, die sich aus diesen Betrachtungen ergibt, hat dieses Ungelegene an sich, daß sie die tiefe Vermutungen des vorigen Hauptstücks ganz entbehrlich macht, und daß der Leser, so bereitwillig er auch sein mochte, denen idealischen Einwürfen desselben einigen Beifall einzuräumen, dennoch den Begriff vorziehen wird, welcher mehr Gemächlichkeit und Kürze im Entscheiden bei sich führet, und sich einen allgemeineren Beifall versprechen kann. Denn außer dem, daß es einer vernünftigen Denkungsart gemäßer zu sein scheint, die Gründe der Erklärung aus dem Stoffe herzunehmen, den die Erfahrung uns darbietet, als sich in schwindlichten Begriffen einer halb dichtenden halb schließenden Vernunft zu verlieren, so äußert sich noch dazu auf dieser Seite einiger Anlaß zum Gespötte, welches, es mag nun gegründet sein oder nicht, ein kräftigeres Mittel ist als irgend ein anderes, eitele Nachforschungen zurückzuhalten.

Denn auf eine ernsthafte Art über die Hirngespenster der Phantasten Auslegungen machen zu wollen, gibt schon eine schlimme Vermutung, und die Philosophie setzt sich in Verdacht, welche sich in so schlechter Gesellschaft betreffen läßt. Zwar habe ich oben den Wahnsinn in dergleichen Erscheinung nicht bestritten, vielmehr ihn, zwar nicht als die Ursache einer eingebildeten Geistergemeinschaft, doch als eine natürliche Folge derselben damit verknüpfet; allein was vor eine Torheit gibt es doch, die nicht mit einer bodenlosen Weltweisheit könnte in Einstimmung gebracht werden?

Daher verdenke ich es dem Leser keinesweges, wenn er, anstatt die Geisterseher vor Halbbürger der andern Welt anzusehen, sie kurz und gut als Kandidaten des Hospitals abfertigt, und sich dadurch alles weiteren Nachforschens überhebt. Wenn nun aber alles auf solchen Fuß genommen wird, so muß auch die Art, dergleichen Adepten des Geisterreichs zu behandeln, von derjenigen nach den obigen Begriffen sehr verschieden sein, und da man es sonst nötig fand, bisweilen einige derselben zu brennen, so wird es itzt gnug sein, sie nur zu purgieren [reinigen]. Auch wäre es bei dieser Lage der Sachen eben nicht nötig gewesen, so weit auszuholen und in dem fieberhaften Gehirne betrogener Schwärmer durch Hülfe der Metaphysik Geheimnisse aufzusuchen. Der scharfsichtige Hudibras hätte uns allein das Rätsel auflösen können, denn nach seiner Meinung: wenn ein hypochondrischer Wind in den Eingeweiden tobet, so kommt es darauf an, welche Richtung er nimmt, geht er abwärts, so wird daraus ein F-, steigt er aber aufwärts, so ist es eine Erscheinung oder eine heilige Eingebung.Viertes Hauptstück.
Theoretischer Schluß aus den gesamten Betrachtungen des ersten Teils
Die Trüglichkeit einer Waage, die nach bürgerlichen Gesetzen ein Maß der Handlung sein soll, wird entdeckt, wenn man Ware und Gewichte ihre Schalen vertauschen läßt, und die Parteilichkeit der Verstandeswaage offenbaret sich durch eben denselben Kunstgriff, ohne welchen man auch in philosophischen Urteilen nimmermehr ein einstimmiges Fazit aus den verglichenen Abwiegungen herausbekommen kann. Ich habe meine Seele von Vorurteilen gereinigt, ich habe eine jede blinde Ergebenheit vertilgt, welche sich jemals einschlich, um manchem eingebildeten Wissen in mir Eingang zu verschaffen. Jetzo ist mir nichts angelegen, nichts ehrwürdig, als was durch den Weg der Aufrichtigkeit in einem ruhigen und vor alle Gründe zugänglichem Gemüte Platz nimmt; es mag mein voriges Urteil bestätigen oder aufheben, mich bestimmen oder unentschieden lassen.

Wo ich etwas antreffe, das mich belehrt, da eigne ich es mir zu. Das Urteil desjenigen, der meine Gründe widerlegt, ist mein Urteil, nachdem ich es vorerst gegen die Schale der Selbstliebe und nachher in derselben gegen meine vermeintliche Gründe abgewogen und in ihm einen größeren Gehalt gefunden habe. Sonst betrachtete ich den allgemeinen menschlichen Verstand bloß aus dem Standpunkte des meinigen: jetzt setze ich mich in die Stelle einer fremden und äußeren Vernunft, und beobachte meine Urteile samt ihren geheimsten Anlässen aus dem Gesichtspunkte anderer. Die Vergleichung beider Beobachtungen gibt zwar starke Parallaxen, aber sie ist auch das einzige Mittel, den optischen Betrug zu verhüten, und die Begriffe an die wahre Stellen zu setzen, darin sie in Ansehung der Erkenntnisvermögen der menschlichen Natur stehen. Man wird sagen, daß dieses eine sehr ernsthafte Sprache sei, vor eine so gleichgültige Aufgabe, als wir abhandeln, die mehr ein Spielwerk als eine ernstliche Beschäftigung genannt zu werden verdient, und man hat nicht Unrecht, so zu urteilen. Allein, ob man zwar über eine Kleinigkeit keine große Zurüstung machen darf, so kann man sie doch gar wohl bei Gelegenheit derselben machen, und die entbehrliche Behutsamkeit beim Entscheiden in Kleinigkeiten kann zum Beispiele in wichtigen Fällen dienen.

Ich finde nicht, daß irgend eine Anhänglichkeit, oder sonst eine vor der Prüfung eingeschlichene Neigung meinem Gemüte die Lenksamkeit nach allerlei Gründen vor oder dawider benehme, eine einzige ausgenommen. Die Verstandeswaage ist doch nicht ganz unparteiisch, und eine Arm derselben, der die Aufschrift führet: Hoffnung der Zukunft, hat einen mechanischen Vorteil, welcher macht, daß auch leichte Gründe, welche in die ihm angehörige Schale fallen, die Spekulationen von an sich größeren Gewichte auf der andern Seite in die Höhe ziehen. Dieses ist die einzige Unrichtigkeit, die ich nicht wohl heben kann, und die ich in der Tat auch niemals heben will. Nun gestehe ich, daß alle Erzählungen vom Erscheinen abgeschiedener Seelen oder von Geistereinflüssen, und alle Theorien von der mutmaßlichen Natur geistiger Wesen und ihrer Verknüpfung mit uns, nur in der Schale der Hoffnung merklich wiegen; dagegen in der der Spekulation aus lauter Luft zu bestehen scheinen. Wenn die Ausmittelung der aufgegebenen Frage nicht mit einer vorher schon entschiedenen Neigung in Sympathie stände, welcher Vernünftige würde wohl unschlüssig sein, ob er mehr Möglichkeit darin finden sollte, eine Art Wesen anzunehmen, die mit allem, was ihm die Sinne lehren, gar nichts Ähnliches haben, als einige angebliche Erfahrungen dem Selbstbetruge und der Erdichtung beizumessen, die in mehreren Fällen nicht ungewöhnlich sind?

Ja dieses scheint auch überhaupt von der Beglaubigung der Geistererzählungen, welche so allgemeinen Eingang finden, die vornehmste Ursache zu sein, und selbst die ersten Täuschungen von vermeinten Erscheinungen abgeschiedener Menschen sind vermutlich aus der schmeichelhaften Hoffnung entsprungen, daß man noch auf irgend eine Art nach dem Tode übrig sei, da denn bei nächtlichen Schatten oftmals der Wahn die Sinne betrog, und aus zweideutigen Gestalten Blendwerke schuf, die der vorhergehenden Meinung gemäß waren, woraus denn endlich die Philosophen Anlaß nahmen, die Vernunftidee von Geistern auszudenken und sie in Lehrverfassung zu bringen. Man sieht es auch wohl meinem anmaßlichen Lehrbegriff von der Geistergemeinschaft an, daß er eben dieselbe Richtung nehme, in den die gemeine Neigung einschlägt. Denn die Sätze vereinbaren sich sehr merklich nur dahin, um einen Begriff zu geben, wie der Geäst des Menschen aus dieser Welt herausgehe*,d.i. vom Zustande nach dem Tode; wie er aber hineinkomme, d.i. von der Zeugung und Fortpflanzung, davon erwähne ich nichts; ja so gar nicht einmal, wie er in dieser Welt gegenwärtig sei, d.i. wie eine immaterielle Natur in einem Körper und durch denselben wirksam sein könne; alles um einer sehr gültigen Ursache willen, welche diese ist, daß ich hievon insgesamt nichts verstehe, und folglich mich wohl hätte bescheiden können, eben so unwissend in Ansehung des künftigen Zustandes zu sein, wofern nicht die Parteilichkeit einer Lieblingsmeinung denen Gründen die sich darboten, so schwach sie auch sein mochten, zur Empfehlung gedienet hätte.
*Das Sinnbild der alten Ägypter vor die Seele war ein Papillon [Schmetterling], und die griechische Benennung bedeutete eben dasselbe. Man siehet leicht, daß die Hoffnung, welche aus dem Tode nur eine Verwandlung macht, eine solche Idee samt ihren Zeichen veranlaßt habe. Indessen hebt dieses keinesweges das Zutrauen zu der Richtigkeit der hieraus entsprungenen Begriffe. Unsere innere Empfindung und die darauf gegründete Urteile des Vernunftähnlichen führen, so lange sie unverderbt sind, eben dahin, wo die Vernunft hin leiten würde, wenn sie erleuchteter und ausgebreiteter wäre.

Eben dieselbe Unwissenheit macht auch, daß ich mich nicht unterstehe, so gänzlich alle Wahrheit an den mancherlei Geistererzählungen abzuleugnen, doch mit dem gewöhnlichen obgleich wunderlichen Vorbehalt, eine jede einzelne derselben in Zweifel zu ziehen, allen zusammen genommen aber einigen Glauben beizumessen. Dem Leser bleibt das Urteil frei; was mich aber anlangt, so ist zum wenigsten der Ausschlag auf die Seite der Gründe des zweiten Hauptstücks bei mir groß gnug, mich bei Anhörung der mancherlei befremdlichen Erzählungen dieser Art ernsthaft und unentschieden zu erhalten. Indessen da es niemals an Gründen der Rechtfertigung fehlt, wenn das Gemüt vorher eingenommen ist, so will ich dem Leser mit keiner weiteren Verteidigung dieser Denkungsart beschwerlich fallen.

Da ich mich itzt beim Schlusse der Theorie von Geistern befinde, so unterstehe ich mir noch zu sagen: daß diese Betrachtung, wenn sie von dem Leser gehörig genutzt wird, alle philosophische Einsicht von dergleichen Wesen vollende, und daß man davon vielleicht künftighin noch allerlei meinen, niemals aber mehr wissen könne. Dieses Vorgeben klingt ziemlich ruhmrätig. Denn es ist gewiß kein den Sinnen bekannter Gegenstand der Natur, von dem man sagen könnte, man habe ihn durch Beobachtung oder Vernunft jemals erschöpft, wenn es auch ein Wassertropfen, ein Sandkorn, oder etwas noch Einfacheres wäre; so unermeßlich ist die Mannigfaltigkeit desjenigen, was die Natur in ihren geringsten Teilen einem so eingeschränkten Verstande, wie der menschliche ist, zur Auflösung darbietet. Allein mit dem philosophischen Lehrbegriff von geistigen Wesen ist es ganz anders bewandt. Er kann vollendet sein, aber im negativem Verstande, indem er nämlich die Grenzen unserer Einsicht mit Sicherheit festsetzt, und uns überzeugt: daß die verschiedene Erscheinungen des Lebens in der Natur und deren Gesetze alles sein, was uns zu erkennen vergönnet ist, das Principium dieses Lebens aber, d.i. die geistige Natur, welche man nicht kennet, sondern vermutet, niemals positiv könne gedacht werden, weil keine Data hiezu in unseren gesamten Empfindungen anzutreffen sein, und daß man sich mit Verneinungen behelfen müsse, um etwas von allem Sinnlichen so sehr Unterschiedenes zu denken, daß aber selbst die Möglichkeit solcher Verneinungen weder auf Erfahrung, noch auf Schlüssen, sondern auf einer Erdichtung beruhe, zu denen eine von allen Hülfsmitteln entblößte Vernunft ihre Zuflucht nimmt. Auf diesen Fuß kann die Pneumatologie der Menschen ein Lehrbegriff ihrer notwendigen Unwissenheit, in Absicht auf eine vermutete Art Wesen genannt werden, und als ein solcher der Aufgabe leichtlich adäquat sein.

Nunmehro lege ich die ganze Materie von Geistern, ein weitläuftig Stück der Metaphysik, als abgemacht und vollendet bei Seite. Sie geht mich künftig nichts mehr an. Indem ich den Plan meiner Nachforschung auf diese Art besser zusammenziehe, und mich einiger gänzlich vergeblichen Untersuchungen entschlage, so hoffe ich meine geringe Verstandesfähigkeit auf die übrige Gegenstände vorteilhafter anlegen zu können. Es ist mehrenteils umsonst, das kleine Maß seiner Kraft auf alle windichte Entwürfe ausdehnen zu wollen. Daher gebeut die Klugheit, sowohl in diesem als in andern Fällen, den Zuschnitt der Entwürfe den Kräften angemessen zu machen, und, wenn man das Große nicht füglich erreichen kann, sich auf das Mittelmäßige einzuschränken.Der zweite Teil welcher historisch ist
Erstes Hauptstück.
Eine Erzählung, deren Wahrheit der beliebigen Erkundigung des Lesers empfohlen wird
Sit mihi fas audita loqui. - - - Virg.
Es sei mir gestattet, von dem zu sprechen, was ich gehört habe.
Die Philosophie, deren Eigendünkel macht, daß sie sich selbst allen eiteln Fragen bloß stellet, siehet sich oft bei dem Anlasse gewisser Erzählungen in schlimmer Verlegenheit, wenn sie entweder an einigem in demselben ungestraft nicht zweifeln oder manches davon unausgelacht nicht glauben darf. Beide Beschwerlichkeiten finden sich in gewisser Maße bei den herumgehenden Geistergeschichten zusammen, die erste bei Anhörung desjenigen, der sie beteurt, und die zweite in Betracht derer, auf die man sie weiter bringt. In der Tat ist auch kein Vorwurf dem Philosophen bitterer, als der der Leichtgläubigkeit und der Ergebenheit in den gemeinen Wahn, und da diejenigen, welche sich darauf verstehen, gutes Kaufs klug zu scheinen, ihr spöttisches Gelächter auf alles werfen, was die Unwissenden und die Weisen gewisser maßen gleich macht, indem es beiden unbegreiflich ist: so ist kein Wunder, daß die so häufig vorgegebene Erscheinungen großen Eingang finden, öffentlich aber entweder abgeleugnet oder doch verhehlet werden.

Man kann sich daher darauf verlassen: daß niemals eine Akademie der Wissenschaften diese Materie zur Preisfrage machen werde; nicht als wenn die Glieder derselben gänzlich von aller Ergebenheit in die gedachte Meinung frei wären, sondern weil die Regel der Klugheit denen Fragen, welche der Vorwitz und die eitle Wißbegierde ohne Unterscheid aufwirft, mit Recht Schranken setzet. Und so werden die Erzählungen von dieser Art wohl jederzeit nur heimliche Gläubige haben, öffentlich aber durch die herrschende Mode des Unglaubens verworfen werden.

Da mir indessen diese ganze Frage weder wichtig noch vorbereitet gnug scheint, um über dieselbe etwas zu entscheiden, so trage ich kein Bedenken, hier eine Nachricht der erwähnten Art anzuführen, und sie mit völliger Gleichgültigkeit dem geneigten oder ungeneigten Urteile der Leser preis zu geben.

Es lebt zu Stockholm ein gewisser Herr Schwedenberg, ohne Amt oder Bedienung, von seinem ziemlich ansehnlichen Vermögen. Seine ganze Beschäftigung besteht darin, daß er, wie er selbst sagt, schon seit mehr als zwanzig Jahren mit Geistern und abgeschiedenen Seelen im genauesten Umgange stehet, von ihnen Nachrichten aus der andern Welt einholet und ihnen dagegen welche aus der gegenwärtigen erteilt, große Bände über seine Entdeckungen abfaßt und bisweilen nach London reiset, um die Ausgabe derselben zu besorgen. Er ist eben nicht zurückhaltend mit seinen Geheimnissen, spricht mit jedermann frei davon, scheint vollkommen von dem, was er vorgibt, überredet zu sein, ohne einigen Anschein eines angelegten Betruges oder Scharlatanerei. So wie er, wenn man ihm selbst glauben darf, der Erzgeisterseher unter allen Geistersehern ist, so ist er auch sicherlich der Erzphantast unter allen Phantasten, man mag ihn nun aus der Beschreibung derer, welche ihn kennen, oder aus seinen Schriften beurteilen. Doch kann dieser Umstand diejenige, welche den Geistereinflüssen sonst günstig sein, nicht abhalten, hinter solcher Phantasterei noch etwas Wahres zu vermuten. Weil indessen das Kreditiv aller Bevollmächtigten aus der andern Welt in den Beweistümern besteht, die sie durch gewisse Proben in der gegenwärtigen von ihrem außerordentlichen Beruf ablegen, so muß ich von demjenigen, was zur Beglaubigung der außerordentlichen Eigenschaft des gedachten Mannes herumgetragen wird, wenigstens dasjenige anführen, was noch bei den meisten einigen Glauben findet.

Gegen das Ende des Jahres 1761 wurde Herr Schwedenberg zu einer Fürstin gerufen, deren großer Verstand und Einsicht es beinahe unmöglich machen sollte, in dergleichen Fällen hintergangen zu werden. Die Veranlassung dazu gab das allgemeine Gerüchte von denen vorgegebenen Visionen dieses Mannes. Nach einigen Fragen, die mehr darauf abzielten, sich mit seinen Einbildungen zu belustigen, als wirkliche Nachrichten aus der andern Welt zu vernehmen, verabscheidete ihn die Fürstin, indem sie ihm vorher einen geheimen Auftrag tat, der in seine Geistergemeinschaft einschlug. Nach einigen Tagen erschien Herr Schwedenberg mit der Antwort, welche von der Art war, daß solche die Fürstin, ihrem eigenen Geständnisse nach, in das größeste Erstaunen versetzte, indem sie solche wahr befand, und ihm gleichwohl solche von keinem lebendigen Menschen konnte erteilt sein. Diese Erzählung ist aus dem Berichte eines Gesandten an dem dortigen Hofe, der damals zugegen war, an einen andern fremden Gesandten in Kopenhagen gezogen worden, stimmt auch genau mit dem, was die besondere Nachfrage darüber hat erkundigen können, zusammen.

Folgende Erzählungen haben keine andere Gewährleistung als die gemeine Sage, deren Beweis sehr mißlich ist. Madame Marteville, die Witwe eines holländischen Envoyé an dem schwedischen Hofe, wurde von den Angehörigen eines Goldschmiedes um die Bezahlung des Rückstandes vor ein verfertigtes Silberservice gemahnet. Die Dame, welche die regelmäßige Wirtschaft ihres verstorbenen Gemahls kannte, war überzeugt, daß diese Schuld schon bei seinem Leben abgemacht sein müßte; allein sie fand in seinen hinterlassenen Papieren gar keinen Beweis. Das Frauenzimmer ist vorzüglich geneigt, den Erzählungen der Wahrsagerei, der Traumdeutung und allerlei anderer wunderbarer Dinge Glauben beizumessen. Sie entdeckte daher ihr Anliegen dem Herren Schwedenberg mit dem Ersuchen, wenn es wahr wäre, was man von ihm sagte, daß er mit abgeschiedenen Seelen im Umgange stehe, ihr aus der andern Welt von ihrem verstorbenen Gemahl Nachricht zu verschaffen, wie es mit der gedachten Anforderung bewandt sei. Herr Schwedenberg versprach, solches zu tun, und stellte der Dame nach wenig Tagen in ihrem Hause den Bericht ab, daß er die verlangte Kundschaft eingezogen habe, daß in einem Schrank, den er anzeigte und der ihrer Meinung nach völlig ausgeräumt war, sich noch ein verborgenes Fach befinde, welches die erforderliche Quittungen enthielte. Man suchte sofort seiner Beschreibung zufolge und fand nebst der geheimen holländischen Correspondence die Quittungen, wodurch alle gemachte Ansprüche völlig getilgt wurden.

Die dritte Geschichte ist von der Art, daß sich sehr leicht ein vollständiger Beweis ihrer Richtigkeit oder Unrichtigkeit muß geben lassen. Es war, wo ich recht berichtet bin, gegen das Ende des 1759ten Jahres, als Herr Schwedenberg, aus England kommend, an einem Nachmittage zu Gotenburg ans Land trat. Er wurde denselben Abend zu einer Gesellschaft bei einem dortigen Kaufmann gezogen, und gab ihr nach einigem Aufenthalt mit allen Zeichen der Bestürzung die Nachricht, daß eben itzt in Stockholm im Südermalm eine erschreckliche Feuersbrunst wüte. Nach Verlauf einiger Stunden, binnen welchen er sich dann und wann entfernte, berichtete er der Gesellschaft, daß das Feuer gehemmet sei, imgleichen wie weit es um sich gegriffen habe. Eben denselben Abend verbreitete sich schon diese wunderliche Nachricht, und war den andern Morgen in der ganzen Stadt herumgetragen; allein nach zwei Tagen allererst kam der Bericht davon aus Stockholm in Gotenburg an, völlig einstimmig, wie man sagt, mit Schwedenbergs Visionen.

Man wird vermutlich fragen, was mich doch immer habe bewegen können, ein so verachtetes Geschäfte zu übernehmen, als dieses ist, Märchen weiter zu bringen, die ein Vernünftiger Bedenken trägt mit Geduld anzuhören, ja solche gar zum Text philosophischer Untersuchungen zu machen. Allein da die Philosophie, welche wir voranschickten, eben so wohl ein Märchen war aus dem Schlaraffenlande der Metaphysik, so sehe ich nichts Unschickliches darin, beide in Verbindung auftreten zu lassen; und warum sollte es auch eben rühmlicher sein, sich durch das blinde Vertrauen in die Scheingründe der Vernunft, als durch unbehutsamen Glauben an betrügliche Erzählungen, hintergehen zu lassen?

Torheit und Verstand haben so unkenntlich bezeichnete Grenzen, daß man schwerlich in dem einen Gebiete lange fortgeht, ohne bisweilen einen kleinen Streif in das andre zu tun; aber was die Treuherzigkeit anlangt, die sich bereden läßt, vielen festen Beteurungen selbst wider die Gegenwehr des Verstandes bisweilen etwas einzuräumen, so scheint sie ein Rest der alten Stammehrlichkeit zu sein, die freilich auf den jetzigen Zustand nicht recht paßt, und daher oft zur Torheit wird, aber darum doch eben nicht als ein natürliches Erbstück der Dummheit angesehen werden muß. Daher überlasse ich es dem Belieben des Lesers, bei der wunderlichen Erzählung, mit welcher ich mich bemenge, jene zweideutige Mischung von Vernunft und Leichtgläubigkeit in ihre Elemente aufzulösen, und die Proportion beider Ingredienzien vor meine Denkungsart auszurechnen. Denn da es bei einer solchen Kritik doch nur um die Anständigkeit zu tun ist, so halte ich mich gnugsam vor den Spott gesichert, dadurch, daß ich mit dieser Torheit, wenn man sie so nennen will, mich gleichwohl in recht guter und zahlreicher Gesellschaft befinde, welches schon gnug ist, wie Fontenelle glaubt, um wenigstens nicht vor unklug gehalten zu werden. Denn es ist zu allen Zeiten so gewesen und wird auch wohl künftighin so bleiben, daß gewisse widersinnige Dinge, selbst bei Vernünftigen Eingang finden, bloß darum, weil allgemein davon gesprochen wird. Dahin gehören die Sympathie, die Wünschelrute, die Ahndungen, die Wirkung der Einbildungskraft schwangerer Frauen, die Einflüsse der Mondwechsel auf Tiere und Pflanzen u. d. g. Ja hat nicht vor kurzem das gemeine Landvolk denen Gelehrten die Spötterei gut vergolten, welche sie gemeiniglich auf dasselbe der Leichtgläubigkeit wegen zu werfen pflegen? Denn durch vieles Hörensagen brachten Kinder und Weiber endlich einen großen Teil kluger Männer dahin, daß sie einen gemeinen Wolf vor eine Hyäne hielten, obgleich itzo ein jeder Vernünftiger leicht einsieht, daß in den Wäldern von Frankreich wohl kein afrikanisches Raubtier herumlaufen werde. Die Schwäche des menschlichen Verstandes in Verbindung mit seiner Wißbegierde macht, daß man anfänglich Wahrheit und Betrug ohne Unterschied aufraffet. Aber nach und nach läutern sich die Begriffe, ein kleiner Teil bleibt, das übrige wird als Auskehricht weggeworfen.

Wem also jene Geistererzählungen eine Sache von Wichtigkeit zu sein scheinen, der kann immerhin, in Fall er Geld gnug und nichts Besseres zu tun hat, eine Reise auf eine nähere Erkundigung derselben wagen, so wie Artemidor zum Besten der Traumdeutung in Kleinasien herumzog. Es wird ihm auch die Nachkommenschaft von ähnlicher Denkungsart davor höchlich verbunden sein, daß er verhütete, damit nicht dereinst ein anderer Philostrat aufstände, der nach Verlauf vieler Jahre aus unserm Schwedenberg einen neuen Apollonius von Tyane machete, wenn das Hörensagen zu einem förmlichen Beweise wird gereifet sein, und das ungelegene obzwar höchstnötige Verhör der Augenzeugen dereinst unmöglich geworden sein wird.Zweites Hauptstück.
Ekstatische Reise eines Schwärmers durch die Geisterwelt
Somnia, terrores magicos, miracula, sagas,
Nocturnos lemures, portentaque Thessala. Horatius.
(Lachst du über) Träüme, magische Schrecken, Wunder, Zauberinnen, nächtliche Gespenster und thessalische Ungeheuer
Ich kann es dem behutsamen Leser auf keinerlei Weise übel nehmen, wenn sich im Fortgange dieser Schrift einiges Bedenken bei ihm gereget hätte über das Verfahren, das der Verfasser vor gut gefunden hat darin zu beobachten. Denn da ich den dogmatischen Teil vor dem historischen, und also die Vernunftgründe vor der Erfahrung voranschickte, so gab ich Ursache zu dem Argwohn, als wenn ich mit Hinterlist umginge, und, da ich die Geschichte schon vielleicht zum voraus im Kopfe gehabt haben mochte, mich nur so angestellet hätte, als wüßte ich von nichts, als von reinen abgesonderten Betrachtungen, damit ich den Leser, der sich nichts dergleichen besorgt, am Ende mit einer erfreulichen Bestätigung aus der Erfahrung überraschen könnte. Und in der Tat ist dieses auch ein Kunstgriff, dessen die Philosophen sich mehrmalen sehr glücklich bedient haben. Denn man muß wissen, daß alle Erkenntnis zwei Enden habe, bei denen man sie fassen kann, das eine a priori das andere a posteriori. Zwar haben verschiedene Naturlehrer neuerer Zeiten vorgegeben, man müsse es bei dem letzteren anfangen, und glauben den Aal der Wissenschaft beim Schwanze zu erwischen, indem sie sich gnugsamer Erfahrungskenntnisse versichern, und denn so allmählich zu allgemeinen und höheren Begriffen hinaufrücken. Allein ob dieses zwar nicht unklug gehandelt sein möchte: so ist es doch bei weitem nicht gelehrt und philosophisch gnug, denn man ist auf diese Art bald bei einem Warum, worauf keine Antwort gegeben werden kann, welches einem Philosophen gerade so viel Ehre macht als einem Kaufmann, der bei einer Wechselzahlung freundlich bittet, ein andermal wieder anzusprechen. Daher haben scharfsinnige Männer, um diese Unbequemlichkeit zu vermeiden, von der entgegengesetzten äußersten Grenze, nämlich dem obersten Punkte der Metaphysik angefangen.

Es findet sich aber hiebei eine neue Beschwerlichkeit, nämlich daß man anfängt, ich weiß nicht wo, und kömmt, ich weiß nicht wohin, und daß der Fortgang der Gründe nicht auf die Erfahrung treffen will, ja daß es scheinet, die Atomen des Epikurs dürften eher, nachdem sie von Ewigkeit her immer gefallen, einmal von ungefähr zusammenstoßen, um eine Welt zu bilden, als die allgemeinsten und abstraktesten Begriffe, um sie zu erklären. Da also der Philosoph wohl sahe, daß seine Vernunftgründe einer Seits, und die wirkliche Erfahrung oder Erzählung anderer Seits, wie ein paar Parallellinien wohl ins Undenkliche neben einander fortlaufen würden, ohne jemals zusammenzutreffen, so ist er mit den übrigen, gleich als wenn sie darüber Abrede genommen hätten, übereingekommen, ein jeder nach seiner Art den Anfangspunkt zu nehmen und darauf, nicht in der geraden Linie der Schlußfolge, sondern mit einem unmerklichen Clinamen der Beweisgründe, dadurch daß sie nach dem Ziele gewisser Erfahrungen oder Zeugnisse verstohlen hinschieleten, die Vernunft so zu lenken, daß sie gerade dahin treffen mußte, wo der treuherzige Schüler sie nicht vermutet hatte, nämlich dasjenige zu beweisen, wovon man schon vorher wußte, daß es sollte bewiesen werden.

Diesen Weg nannten sie alsdenn noch den Weg a priori, ob er wohl unvermerkt durch ausgesteckte Stäbe nach dem Punkte a posteriori gezogen war, wobei aber billiger maßen der, so die Kunst versteht, den Meister nicht verraten muß. Nach dieser sinnreichen Lehrart haben verschiedene verdienstvolle Männer auf dem bloßen Wege der Vernunft so gar Geheimnisse der Religion ertappt, so wie Romanschreiber die Heldin der Geschichte in entfernete Länder fliehen lassen, damit sie ihrem Anbeter durch ein glückliches Abenteuer von ungefähr aufstoße:

et fugit ad salices et se cupit ante videri. Virgil
(sie) flieht zu den Weiden und wünscht, vorher gesehen zu werden.

Ich würde mich also bei so gepriesenen Vorgängern in der Tat nicht zu schämen Ursache haben, wenn ich gleich wirklich eben dasselbe Kunststück gebraucht hätte, um meine Schrift zu einem erwünschten Ausgange zu verhelfen. Allein ich bitte den Leser gar sehr, dergleichen nicht von mir zu glauben. Was würde es mir auch itzo helfen, da ich keinen mehr hintergehen kann, nachdem ich das Geheimnis schon ausgeplaudert habe?

Zudem habe ich das Unglück, daß das Zeugnis, worauf ich stoße und was meiner philosophischen Hirngeburt so ungemein ähnlich ist, verzweifelt mißgeschaffen und albern aussieht, so daß ich viel eher vermuten muß, der Leser werde, um der Verwandtschaft mit solchen Beistimmungen willen, meine Vernunftgründe vor ungereimt, als jene um dieser willen vor vernünftig halten. Ich sage demnach ohne Umschweif, daß, was solche anzügliche Vergleichungen anlangt, ich keinen Spaß verstehe, und erkläre kurz und gut, daß man entweder in Schwedenbergs Schriften mehr Klugheit und Wahrheit vermuten müsse, als der erste Anschein blicken läßt, oder daß es nur so von ohngefähr komme, wenn er mit meinem System zusammentrifft, wie Dichter bisweilen, wenn sie rasen, weissagen, wie man glaubt, oder wenigstens wie sie selbst sagen, wenn sie dann und wann mit dem Erfolge zusammentreffen.

Ich komme zu meinem Zwecke, nämlich zu den Schriften meines Helden. Wenn manche jetzt vergessene, oder dereinst doch namenlose Schriftsteller kein geringes Verdienst haben, daß sie in der Ausarbeitung großer Werke den Aufwand ihres Verstandes nicht achteten, so gebühret dem Herren Schwedenberg ohne Zweifel die größeste Ehre unter allen. Denn gewiß, seine Flasche in der Mondenwelt ist ganz voll, und weicht keiner einzigen unter denen, die Ariosto dort mit der hier verlornen Vernunft angefüllet gesehen hat, und die ihre Besitzer dereinst werden wiedersuchen müssen, so völlig entleert ist das große Werk von einem jeden Tropfen desselben. Nichts destoweniger herrscht darinnen eine so wundersame Übereinkunft mit demjenigen, was die feineste Ergrübelung der Vernunft über den ähnlichen Gegenstand herausbringen kann, daß der Leser mir es verzeihen wird, wenn ich hier diejenige Seltenheit in den Spielen der Einbildung finde, die so viel andere Sammler in denen Spielen der Natur angetroffen haben, als wenn sie etwa im fleckichten Marmor die heilige Familie, oder, in Bildungen von Tropfstein, Mönche, Taufstein und Orgeln, oder sogar wie der Spötter Liscow auf einer gefrorenen Fensterscheibe die Zahl des Tieres und die dreifache Krone entdecken; lauter Dinge, die niemand sonsten sieht, als dessen Kopf schon vorher damit angefüllet ist.

Das große Werk dieses Schriftstellers enthält acht Quartbände voll Unsinn, welche er unter dem Titel: Arcana caelestia, der Welt als eine neue Offenbarung vorlegt, und wo seine Erscheinungen mehrenteils auf die Entdeckung des geheimen Sinnes in den zwei ersten Büchern Mosis und eine ähnliche Erklärungsart der ganzen H. Schrift angewendet werden. Alle diese schwärmende Auslegungen gehen mich hier nichts an; man kann aber, wenn man will, einige Nachrichten von denenselben in des Herrn Doktor Ernesti Theol. Bibliothek im ersten Bande aufsuchen. Nur die audita et visa, d.i. was seine eigne Augen sollen gesehen und eigene Ohren gehört haben, sind alles, was wir vornehmlich aus denen Beilagen zu seinen Kapiteln ziehen wollen, weil sie allen übrigen Träumereien zum Grunde liegen, und auch ziemlich in das Abenteuer einschlagen, das wir oben auf dem Luftschiffe der Metaphysik gewagt haben.

Der Stil des Verfassers ist platt. Seine Erzählungen und ihre Zusammenordnung scheinen in der Tat aus fanatischem Anschauen entsprungen zu sein, und geben gar wenig Verdacht, daß spekulative Hirngespinste einer verkehrtgrüblenden Vernunft ihn bezogen haben sollten, dieselbe zu erdichten und zum Betruge anzulegen. In so ferne haben sie also einige Wichtigkeit, und verdienen wirklich, in einem kleinen Auszuge vorgestellet zu werden, vielleicht mehr, als so manche Spielwerke hirnloser Vernünftler, welche unsere Journale anschwellen, weil eine zusammenhängende Täuschung der Sinne überhaupt ein viel merkwürdiger Phaenomenon ist, als der Betrug der Vernunft, dessen Gründe bekannt genug sind, und der auch großen Teils durch willkürliche Richtung der Gemütskräfte und etwas mehr Bändigung eines leeren Vorwitzes könnte verhütet werden, da hingegen jene das erste Fundament aller Urteile betrifft, dawider, wenn es unrichtig ist, die Regeln der Logik wenig vermögen!

Ich sondere also bei unserm Verfasser den Wahnsinn vom Wahnwitze ab, und übergehe dasjenige, was er auf eine verkehrte Weise klügelt, indem er nicht bei seinen Visionen stehen bleibt, eben so wie man sonst vielfältig bei einem Philosophen dasjenige, was er beobachtet, von dem absondern muß, was er vernünftelt und so gar Scheinerfahrungen mehrenteils lehrreicher sind, als die Scheingründe aus der Vernunft. Indem ich also dem Leser einige von denen Augenblicken raube, die er sonst vielleicht mit nicht viel größerem Nutzen auf die Lesung gründlicher Schriften von eben der Materie würde verwandt haben, so sorge ich zugleich vor die Zärtlichkeit seines Geschmacks, da ich, mit Weglassung vieler wilden Chimären, die Quintessenz des Buchs auf wenig Tropfen bringe, wovor ich mir von ihm eben so viel Dank verspreche, als ein gewisser Patient glaubte den Ärzten schuldig zu sein, daß sie ihn nur die Rinde von der Quinquina verzehren ließen, da sie ihn leichtlich hätten nötigen können, den ganzen Baum aufzuessen.

Herr Schwedenberg teilet seine Erscheinungen in drei Arten ein, davon die erste ist, vom Körper befreiet zu werden; ein mittlerer Zustand zwischen Schlafen und Wachen, worin er Geister gesehen, gehört, ja gefühlt hat. Dergleichen ist ihm nur drei- oder viermal begegnet. Die zweite ist, vom Geiste weggeführt zu werden, da er etwa auf der Straße geht, ohne sich zu verwirren, indessen daß er im Geiste in ganz anderen Gegenden ist, und anderwärts Häuser, Menschen, Wälder u.d.g. deutlich sieht, und dieses wohl einige Stunden lang, bis er sich plötzlich wiederum an seinem rechten Orte gewahr wird. Dieses ist ihm zwei- bis dreimal zugestoßen. Die dritte Art der Erscheinungen ist die gewöhnliche, welche er täglich im völligen Wachen hat, und davon auch hauptsächlich diese seine Erzählungen hergenommen sind.

Alle Menschen stehen seiner Aussage nach in gleich inniglicher Verbindung mit der Geisterwelt; nur sie empfinden es nicht, und der Unterscheid zwischen ihm und den andern besteht nur darin, daß sein Innerstes aufgetan ist, von welchem Geschenke er jederzeit mit Ehrerbietigkeit redet (datum mihi est ex divina Domini misericordia: es ist mir aus dr göttlichen Barmherzigkeit des Herrn gegeben).

Man siehet aus dem Zusammenhange, daß diese Gabe darin bestehen soll, sich derer dunkelen Vorstellungen bewußt zu werden, welche die Seele durch ihre beständige Verknüpfung mit der Geisterwelt empfängt. Er unterscheidet daher an dem Menschen das äußere und innere Gedächtnis. Jenes hat er als eine Person, die zu der sichtbaren Welt gehört, dieses aber kraft seines Zusammenhanges mit der Geisterwelt. Darauf gründet sich auch der Unterschied des äußeren und inneren Menschen, und sein eigener Vorzug besteht darin, daß er schon in diesem Leben als eine Person sich in der Gesellschaft der Geister sieht, und von ihnen auch als eine solche erkannt wird. In diesem innern Gedächtnis wird auch alles aufbehalten, was aus dem äußeren verschwunden war, und es geht nichts von allen Vorstellungen eines Menschen jemals verloren. Nach dem Tode ist die Erinnerung alles desjenigen, was jemals in seine Seele kam und was ihm selbst ehedem verborgen blieb, das vollständige Buch seines Lebens.

Die Gegenwart der Geister trifft zwar nur seinen innern Sinn. Dieses erregt ihm aber die Apparenz derselben als außer ihm, und zwar unter einer menschlichen Figur. Die Geistersprache ist eine unmittelbare Mitteilung der Ideen, sie ist aber jederzeit mit der Apparenz derjenigen Sprache verbunden, die er sonst spricht, und wird vorgestellt als außer ihm. Ein Geist liest in eines andern Geistes Gedächtnis die Vorstellungen, die dieser darin mit Klarheit enthält. So sehen die Geister in Schwedenbergen seine Vorstellungen, die er von dieser Welt hat, mit so klarem Anschauen, daß sie sich dabei selbst hintergehen und sich öfters einbilden, sie sehen unmittelbar die Sachen, welches doch unmöglich ist, denn kein reiner Geist hat die mindeste Empfindung von der körperlichen Welt; allein durch die Gemeinschaft mit andern Seelen lebender Menschen können sie auch keine Vorstellung davon haben, weil ihr Innerstes nicht aufgetan ist, d.i. ihr innerer Sinn gänzlich dunkele Vorstellungen enthält.

Daher ist Schwedenberg das rechte Orakel der Geister, welche eben so neugierig sein, in ihm den gegenwärtigen Zustand der Welt zu beschauen, als er es ist, in ihrem Gedächtnis wie in einem Spiegel die Wunder der Geisterwelt zu betrachten. Obgleich diese Geister mit allen andern Seelen lebender Menschen gleichfalls in der genauesten Verbindung stehen, und in dieselbe wirken oder von ihnen leiden, so wissen sie doch dieses eben so wenig, als es die Menschen wissen, weil dieser ihr innerer Sinn, welcher zu ihrer geistigen Persönlichkeit gehört, ganz dunkel ist. Es meinen also die Geister: daß dasjenige, was aus dem Einflusse der Menschenseelen in ihnen gewirkt worden, von ihnen allein gedacht sei, so wie auch die Menschen in diesem Leben nicht anders glauben, als daß alle ihre Gedanken und Willensregungen aus ihnen selbst entspringen, ob sie gleich in der Tat oftmals aus der unsichtbaren Welt in sie übergehen. Indessen hat eine jede menschliche Seele schon in diesem Leben ihre Stelle in der Geisterwelt, und gehört zu einer gewissen Sozietät, die jederzeit ihrem innern Zustande des Wahren und Guten, d.i. des Verstandes und Willens gemäß ist.

Es haben aber die Stellen der Geister untereinander nichts mit dem Raume der körperlichen Welt gemein; daher die Seele eines Menschen in Indien mit der eines andern in Europa, was die geistige Lagen betrifft, oft die nächste Nachbaren sein, und dagegen die, so dem Körper nach in einem Hause wohnen, nach jenen Verhältnissen weit gnug voneinander entfernet sein können. Stirbt der Mensch, so verändert die Seele nicht ihre Stelle, sondern empfindet sich nur in derselben, darin sie in Ansehung anderer Geister schon in diesem Leben war. Übrigens, obgleich die Verhältnis der Geister untereinander kein wahrer Raum ist, so hat dieselbe doch bei ihnen die Apparenz desselben, und ihre Verknüpfungen werden unter der begleitenden Bedingung der Naheiten, ihre Verschiedenheiten aber als Weiten vorgestellt, so wie die Geister selber wirklich nicht ausgedehnt sein, einander aber doch die Apparenz einer menschlichen Figur geben. In diesem eingebildetem Raume ist eine durchgängige Gemeinschaft der geistigen Naturen.

Schwedenberg spricht mit abgeschiedenen Seelen, wenn es ihm beliebt, und liest in ihrem Gedächtnis (Vorstellungskraft) denjenigen Zustand, darin sie sich selbst beschauen, und siehet diesen eben so klar als mit leiblichen Augen. Auch ist die ungeheure Entfernung der vernünftigen Bewohner der Welt, in Absicht auf das geistige Weltganze, vor nichts zu halten, und mit einem Bewohner des Saturns zu reden, ist ihm eben so leicht, als eine abgeschiedene Menschenseele zu sprechen. Alles kommt auf das Verhältnis des innern Zustandes und auf die Verknüpfung an, die sie untereinander nach ihrer Übereinstimmung im Wahren und im Guten haben; die entferntere Geister aber können leichtlich durch Vermittelung anderer in Gemeinschaft kommen. Daher braucht der Mensch auch nicht in den übrigen Weltkörpern wirklich gewohnt zu haben, um dieselbe dereinst mit allen ihren Wundern zu kennen. Seine Seele lieset in dem Gedächtnisse anderer abgeschiedenen Weltbürger ihre Vorstellungen, die diese von ihrem Leben und Wohnplatze haben, und siehet darin die Gegenstände so gut wie durch ein unmittelbares Anschauen.

Ein Hauptbegriff in Schwedenbergs Phantasterei ist dieser: Die körperliche Wesen haben keine eigene Subsistenz, sondern bestehen lediglich durch die Geisterwelt; wiewohl ein jeder Körper nicht durch einen Geist allein, sondern durch alle zusammengenommen. Daher hat die Erkenntnis der materiellen Dinge zweierlei Bedeutung, einen äußerlichen Sinn, in Verhältnis der Materie aufeinander, und einen innern, in so ferne sie als Wirkungen die Kräfte der Geisterwelt bezeichnen, die ihre Ursachen sind. So hat der Körper des Menschen eine Verhältnis der Teile untereinander nach materiellen Gesetzen; aber, in so ferne er durch den Geist, der in ihm lebt, erhalten wird, haben seine verschiedene Gliedmaßen und ihre Funktionen einen bezeichnenden Wert vor diejenige Seelenkräfte, durch deren Wirkung sie ihre Gestalt, Tätigkeit und Beharrlichkeit haben. Dieser innere Sinn ist den Menschen unbekannt, und den hat Schwedenberg, dessen Innerstes aufgetan ist, den Menschen bekanntmachen wollen. Mit allen andern Dingen der sichtbaren Welt ist es eben so bewandt, sie haben, wie gesagt, eine Bedeutung als Sachen, welches wenig ist, und eine andere als Zeichen, welches mehr ist.

Dieses ist auch der Ursprung der neuen Auslegungen, die er von der Schritt hat machen wollen. Denn der innere Sinn, nämlich die symbolische Beziehung aller darin erzählten Dinge auf die Geisterwelt, ist, wie er schwärmet, der Kern ihres Werts, das übrige ist nur die Schale. Was aber wiederum in dieser symbolischen Verknüpfung körperlicher Dinge als Bilder mit dem innern geistigen Zustande wichtig ist, besteht darin: Alle Geister stellen sich einander jederzeit unter dem Anschein ausgedehnter Gestalten vor, und die Einflüsse aller dieser geistigen Wesen untereinander erregt ihnen zugleich die Apparenz von noch andern ausgedehnten Wesen, und gleichsam von einer materialen Welt, deren Bilder doch nur Symbolen ihres inneren Zustandes sein, aber gleichwohl eine so klare und dauerhafte Täuschung des Sinnes verursachen, daß solche der wirklichen Empfindung solcher Gegenstände gleich ist. (Ein künftiger Ausleger wird daraus schließen: daß Schwedenborg ein Idealist sei; weil er der Materie dieser Welt auch die eigne Subsistenz abspricht, und sie daher vielleicht nur vor eine zusammenhängende Erscheinung halten mag, welche aus der Verknüpfung der Geisterwelt entspringt.)

Er redet also von Gärten, weitläuftigen Gegenden, Wohnplätzen, Galerien und Arkaden der Geister, die er mit eigenen Augen in dem kläresten Lichte sähe, und versichert: daß, da er mit allen seinen Freunden nach ihrem Tode vielfältig gesprochen, er an denen, die nur kürzlich gestorben, fast jederzeit gefunden hätte, daß sie sich kaum hätten überreden können gestorben zu sein, weil sie eine ähnliche Welt um sich sähen; imgleichen, daß Geistergesellschaften von einerlei innerem Zustande einerlei Apparenz der Gegend und anderer daselbst befindlichen Dinge hätten, die Veränderung ihres Zustandes aber sei mit dem Schein der Veränderung des Orts verbunden. Weil nun jederzeit, wenn die Geister den Menschenseelen ihre Gedanken mitteilen, diese mit der Apparenz materieller Dinge verbunden sind, welche im Grunde nur kraft einer Beziehung auf den geistigen Sinn, doch mit allem Schein der Wirklichkeit sich demjenigen vormalen, der solche empfängt, so ist daraus der Vorrat der wilden und unausprechlich albernen Gestalten herzuleiten, welche unser Schwärmer bei seinem täglichen Geisterumgange in aller Klarheit zu sehen glaubt.

Ich habe schon angeführt, daß, nach unserm Verfasser, die mancherlei Kräfte und Eigenschaften der Seele mit denen ihrer Regierung untergeordneten Organen des Körpers in Sympathie stehen. Der ganze äußere Mensch korrespondiert also dem ganzen innern Menschen, und wenn daher ein merklicher geistiger Einfluß aus der unsichtbaren Welt eine oder andere dieser seiner Seelenkräfte vorzüglich trifft, so empfindet er auch harmonisch die apparente Gegenwart desselben an denen Gliedmaßen seines äußeren Menschen, die diesen korrespondieren. Dahin bezieht er nun eine große Mannigfaltigkeit von Empfindungen an seinem Körper, die jederzeit mit der geistigen Beschauung verbunden sein, deren Ungereimtheit aber zu groß ist, als daß ich es wagen dürfte, nur eine einzige derselben anzuführen.

Hieraus kann man sich nun, wofern man es der Mühe wert hält, einen Begriff von der abenteurlichsten und seltsamsten Einbildung machen, in welche sich alle seine Träumereien vereinbaren. So wie nämlich verschiedene Kräfte und Fähigkeiten diejenige Einheit ausmachen, welche die Seele oder der innere Mensch ist, so machen auch verschiedene Geister (deren Hauptcharaktere sich ebenso aufeinander beziehen, wie die mancherlei Fähigkeiten eines Geistes untereinander) eine Sozietät aus, welche die Apparenz eines großen Menschen an sich zeigt, und in welchem Schattenbilde ein jeder Geist sich an demjenigen Orte und in den scheinbaren Gliedmaßen sieht, die seiner eigentümlichen Verrichtung in einem solchen geistigen Körper gemäß ist. Alle Geistersozietäten aber zusammen, und die ganze Welt aller dieser unsichtbaren Wesen, erscheinet zuletzt selbst wiederum in der Apparenz des größesten Menschen. Eine ungeheure und riesenmäßige Phantasie, zu welcher sich vielleicht eine alte kindische Vorstellung ausgedehnt hat, wenn etwa in Schulen, um dem Gedächtnis zu Hülfe zu kommen, ein ganzer Weltteil unter dem Bilde einer sitzenden Jungfrau u.d.g. den Lehrlingen vorgemalt wird. In diesem unermeßlichen Menschen ist eine durchgängige innigste Gemeinschaft eines Geistes mit allem und aller mit einem, und, wie auch immer die Lage der lebenden Wesen gegeneinander in dieser Welt, oder deren Veränderung beschaffen sein mag, so haben sie doch eine ganz andere Stelle im größesten Menschen, welche sie niemals verändern und welche nur dem Scheine nach ein Ort in einem unermeßlichen Raume, in der Tat aber eine bestimmte Art ihrer Verhältnisse und Einflüsse ist.

Ich bin es müde, die wilden Hirngespinste des ärgsten Schwärmers unter allen zu kopieren, oder solche bis zu seinen Beschreibungen vom Zustande nach dem Tode fortzusetzen. Ich habe auch noch andere Bedenklichkeiten. Denn ob gleich ein Natursammler unter den präparierten Stücken tierischer Zeugungen nicht nur solche, die in natürlicher Form gebildet sein, sondern auch Mißgeburten in seinem Schranke aufstellt, so muß er doch behutsam sein, sie nicht jedermann und nicht gar zu deutlich sehen zu lassen. Denn es könnten unter den Vorwitzigen leichtlich schwangere Personen sein, bei denen es einen schlimmen Eindruck machen dürfte. Und da unter meinen Lesern einige in Ansehung der idealen Empfängnis eben sowohl in andern Umständen sein mögen, so würde mir es leid tun, wenn sie sich hier etwa woran sollten versehen haben. Indessen, weil ich sie doch gleich anfangs gewarnet habe, so stehe ich vor nichts, und hoffe, man werde mir die Mondkälber nicht aufbürden, die bei dieser Veranlassung von ihrer fruchtbaren Einbildung möchten geboren werden.

Übrigens habe ich den Träumereien unseres Verfassers keine eigene unterschoben, sondern solche durch einen getreuen Auszug dem bequemen und wirtschaftlichen Leser (der einem kleinen Vorwitze nicht so leicht 7 Pfund Sterlinge aufopfern möchte) dargeboten. Zwar sind die unmittelbare Anschauungen mehrenteils von mir weggelassen worden, weil dergleichen wilde Hirngespinste nur den Nachtschlaf des Lesers stören würden; auch ist der verworrene Sinn seiner Eröffnungen hin und wieder in eine etwas gangbare Sprache eingekleidet worden; allein die Hauptzüge des Abrisses haben dadurch in ihrer Richtigkeit nicht gelitten. Gleichwohl ist es nur umsonst, es verhehlen zu wollen, weil es jedermann doch so in die Augen fällt, daß alle diese Arbeit am Ende auf nichts herauslaufe. Denn da die vorgegebene Privaterscheinungen des Buchs sich selbst nicht beweisen können, so konnte der Bewegungsgrund, sich mit ihnen abzugeben, nur in der Vermutung liegen, daß der Verfasser zur Beglaubigung derselben sich vielleicht auf Vorfälle von der oben erwähnten Art, die durch lebende Zeugen bestätigt werden könnten, berufen würde. Dergleichen aber findet man nirgend. Und so ziehen wir uns mit einiger Beschämung von einem törichten Versuche zurück, mit der vernünftigen obgleich etwas späten Anmerkung: daß das Klugdenken mehrenteils eine leichte Sache sei, aber leider, nur nachdem man sich eine Zeitlang hat hintergehen lassen.

* * *

Ich habe einen undankbaren Stoff bearbeitet, den mir die Nachfrage und Zudringlichkeit vorwitziger und müßiger Freunde unterlegte. Indem ich diesem Leichtsinn meine Bemühung unterwarf, so habe ich zugleich dessen Erwartung betrogen, und, weder dem Neugierigen durch Nachrichten, noch dem Forschenden durch Vernunftgründe, etwas zur Befriedigung ausgerichtet. Wenn keine andre Absicht diese Arbeit beseelte, so habe ich meine Zeit verloren; ich habe das Zutrauen des Lesers verloren, dessen Erkundigung und Wißbegierde ich durch einen langweiligen Umweg zu demselben Punkte der Unwissenheit geführet habe, aus welchem er herausgegangen war. Allein ich hatte in der Tat einen Zweck vor Augen, der mir wichtiger scheint, als der, welchen ich vorgab, und diesen meine ich erreicht zu haben. Die Metaphysik, in welche ich das Schicksal habe verliebt zu sein, ob ich mich gleich von ihr nur selten einiger Gunstbezeugungen rühmen kann, leistet zweierlei Vorteile. Der erste ist, denen Aufgaben ein Gnüge zu tun, die das forschende Gemüt aufwirft, wenn es verborgenem Eigenschaften der Dinge durch Vernunft nachspähet. Aber hier täuscht der Ausgang nur gar zu oft die Hoffnung, und ist diesmal auch unsern begierigen Händen entgangen.

Ter, frustra comprensa manus, effugit imago,
Par levibus ventis volucrique simillima somno. Virgil.


Den Händen, die dreimal vergeblich nach ihm griffen, entkam der Schatten,
leichten Winden gleich und sehr ähnlich dem flüchtigen Schlaf.

Der andre Vorteil ist der Natur des menschlichen Verstandes mehr angemessen und besteht darin: einzusehen, ob die Aufgabe aus demjenigen, was man wissen kann, auch bestimmt sei und welches Verhältnis die Frage zu denen Erfahrungsbegriffen habe, darauf sich alle unsre Urteile jederzeit stützen müssen. In so ferne ist die Metaphysik eine Wissenschaft von den Grenzen der menschlichen Vernunft, und da ein kleines Land jederzeit viel Grenze hat, überhaupt auch mehr daran liegt, seine Besitzungen wohl zu kennen und zu behaupten, als blindlings auf Eroberungen auszugehen, so ist dieser Nutze der erwähnten Wissenschaft der unbekannteste und zugleich der wichtigste, wie er denn auch nur ziemlich spät und nach langer Erfahrung erreichet wird. Ich habe diese Grenze hier zwar nicht genau bestimmt, aber doch in so weit angezeigt, daß der Leser bei weiterem Nachdenken finden wird, er könne sich aller vergeblichen Nachforschung überheben, in Ansehung einer Frage, wozu die Data in einer andern Welt, als in welcher er empfindet, anzutreffen sind. Ich habe also meine Zeit verloren, damit ich sie gewönne. Ich habe meinen Leser hintergangen, damit ich ihm nützete, und wenn ich ihm gleich keine neue Einsicht darbot, so vertilgte ich doch den Wahn und das eitele Wissen, welches den Verstand aufblähet und in seinem engen Raume den Platz ausfüllt, den die Lehren der Weisheit und der nützlichen Unterweisung einnehmen könnten.

Wen die bisherigen Betrachtungen ermüdet haben, ohne ihn zu belehren, dessen Ungeduld kann sich nunmehro damit aufrichten, was Diogenes, wie man sagt, seinen gähnenden Zuhörern zusprach, als er das letzte Blatt einiges langweiligen Buchs sahe: Courage, meine Herren, ich sehe Land. Vorher wandelten wir wie Demokrit im leeren Raume, wohin uns die Schmetterlingsflügel der Metaphysik gehoben hatten, und unterhielten uns daselbst mit geistigen Gestalten. Itzt, da die stiptische Kraft der Selbsterkenntnis die seidene Schwingen zusammenzogen hat, sehen wir uns wieder auf dem niedrigen Boden der Erfahrung und des gemeinen Verstandes; glücklich! wenn wir denselben als unseren angewiesenen Platz betrachten, aus welchem wir niemals ungestraft hinausgehen, und der auch alles enthält, was uns befriedigen kann, so lange wir uns am Nützlichen halten.Drittes Hauptstück.
Praktischer Schluß aus der ganzen Abhandlung
Einem jeden Vorwitze nachzuhängen, und der Erkenntnissucht keine andre Grenzen zu verstatten, als das Unvermögen, ist ein Eifer, welcher der Gelehrsamkeit nicht übel ansteht. Allein unter unzähligen Aufgaben, die sich selbst darbieten, diejenige auswählen, deren Auflösung dem Menschen angelegen ist, ist das Verdienst der Weisheit. Wenn die Wissenschaft ihren Kreis durchlaufen hat, so gelanget sie natürlicher Weise zu dem Punkte eines bescheidenen Mißtrauens, und sagt, unwillig über sich selbst, wie viel Dinge gibt es doch, die ich nicht einsehe. Aber die durch Erfahrung gereifte Vernunft, welche zur Weisheit wird, spricht in dem Munde des Sokrates, mitten unter den Waren eines Jahrmarkts, mit heiterer Seele: Wie viel Dinge gibt es doch, die ich alle nicht brauche. Auf solche Art fließen endlich zwei Bestrebungen von so unähnlicher Natur in eine zusammen, ob sie gleich anfangs nach sehr verschiedenen Richtungen ausgingen, indem die erste eitel und unzufrieden, die zweite aber gesetzt und gnügsam ist. Denn um vernünftig zu wählen, muß man vorher selbst das Entbehrliche, ja das Unmögliche kennen; aber endlich gelangt die Wissenschaft zu der Bestimmung der ihr durch die Natur der menschlichen Vernunft gesetzten Grenzen; alle bodenlose Entwürfe aber, die vielleicht an sich selbst nicht unwürdig sein mögen, nur daß sie außer der Sphäre des Menschen liegen, fliehen auf den Limbus der Eitelkeit. Alsdenn wird selbst die Metaphysik dasjenige, wovon sie itzo noch ziemlich weit entfernet ist, und was man von ihr am wenigsten vermuten sollte, die Begleiterin der Weisheit. Denn so lange die Meinung einer Möglichkeit, zu so entfernten Einsichten zu gelangen, übrig bleibt, so ruft die weise Einfalt vergeblich, daß solche große Bestrebungen entbehrlich sein. Die Annehmlichkeit, welche die Erweiterung des Wissens begleitet, wird sehr leicht den Schein der Pflichtmäßigkeit annehmen, und aus jener vorsetzlichen und überlegten Gnügsamkeit eine dumme Einfalt machen, die sich der Veredelung unserer Natur entgegensetzen will.

Die Fragen von der geistigen Natur, von der Freiheit und Vorherbestimmung, dem künftigen Zustande u.d.g. bringen anfänglich alle Kräfte des Verstandes in Bewegung, und ziehen den Menschen durch ihre Vortrefflichkeit in den Wetteifer der Spekulation, welche ohne Unterschied klügelt und entscheidet, lehret oder widerlegt, wie es die Scheineinsicht jedesmal mit sich bringt. Wenn diese Nachforschung aber in Philosophie ausschlägt, die über ihr eigen Verfahren urteilt, und die nicht die Gegenstände allein, sondern deren Verhältnis zu dem Verstande des Menschen kennt, so ziehen sich die Grenzen enger zusammen, und die Marksteine werden gelegt, welche die Nachforschung aus eigentümlichen Bezirke niemals mehr ausschweifen lassen.

Wir haben einige Philosophie nötig gehabt, um die Schwierigkeit zu kennen, welche einen Begriff umgeben, den man gemeiniglich als sehr bequem und alltägig behandelt. Etwas mehr Philosophie entfernet dieses Schattenbild der Einsicht noch mehr, und überzeugt uns, daß es gänzlich außer dem Gesichtskreise der Menschen liege. Denn in den Verhältnissen der Ursache und Wirkung, der Substanz und der Handlung dient anfänglich die Philosophie dazu, die verwickelte Erscheinungen aufzulösen und solche auf einfachere Vorstellungen zu bringen. Ist man aber endlich zu den Grundverhältnissen gelangt, so hat das Geschäfte der Philosophie ein Ende, und: wie etwas könne eine Ursache sein oder eine Kraft haben, ist unmöglich jemals durch Vernunft einzusehen, sondern diese Verhältnisse müssen lediglich aus der Erfahrung genommen werden. Denn unsere Vernunftregel gehet nur auf die Vergleichung nach der Identität und dem Widerspruche. So ferne aber etwas eine Ursache ist, so wird durch etwas etwas anders gesetzt, und es ist also kein Zusammenhang vermöge der Einstimmung anzutreffen; wie denn auch, wenn ich eben dasselbe nicht als eine Ursache ansehen will, niemals ein Widerspruch entspringt, weil es sich nicht kontradizieret: wenn etwas gesetzt ist, etwas anderes aufzuheben.

Daher die Grundbegriffe der Dinge als Ursachen, die der Kräfte und Handlungen, wenn sie nicht aus der Erfahrung hergenommen sind, gänzlich willkürlich sein und weder bewiesen noch widerlegt werden können. Ich weiß wohl: daß das Denken und Wollen meinen Körper bewege, aber ich kann diese Erscheinung, als eine einfache Erfahrung, niemals durch Zergliederung auf eine andere bringen und sie daher wohl erkennen, aber nicht einsehen. Daß mein Wille meinen Arm bewegt, ist mir nicht verständlicher, als wenn jemand sagte, daß derselbe auch den Mond in seinem Kreise zurückhalten könnte; der Unterschied ist nur dieser: daß ich jenes erfahre, dieses aber niemals in meine Sinne gekommen ist. Ich erkenne in mir Veränderungen als in einem Subjekte was lebt, nämlich Gedanken, Willkür etc. etc. und, weil diese Bestimmungen von anderer Art sein, als alles, was zusammengenommen meinen Begriff vom Körper macht, so denke ich mir billiger maßen ein unkörperliches und beharrliches Wesen. Ob dieses auch ohne Verbindung mit dem Körper denken werde, kann vermittelst dieser aus Erfahrung erkannten Natur niemals geschlossen werden.

Ich bin mit meiner Art Wesen durch Vermittelung körperlicher Gesetze in Verknüpfung, ob ich aber auch sonst nach andern Gesetzen welche ich pneumatisch nennen will, ohne die Vermittelung der Materie in Verbindung stehe, oder jemals stehen werde, kann ich auf keinerlei Weise aus demjenigen schließen, was mir gegeben ist. Alle solche Urteile, wie diejenige von der Art, wie meine Seele den Körper bewegt, oder mit andern Wesen ihrer Art jetzt oder künftig in Verhältnis steht, können niemals etwas mehr als Erdichtungen sein, und zwar bei weitem nicht einmal von demjenigen Werte, als die in der Naturwissenschaft, welche man Hypothesen nennt, bei welchen man keine Grundkräfte ersinnt, sondern diejenige, welche man durch Erfahrung schon kennt, nur auf eine den Erscheinungen angemessene Art verbindet, und deren Möglichkeit sich also jederzeit muß können beweisen lassen; dagegen im ersten Falle selbst neue Fundamentalverhältnisse von Ursache und Wirkung angenommen werden, in welchen man niemals den mindesten Begriff ihrer Möglichkeit haben kann, und also nur schöpferisch oder chimärisch, wie man es nennen will, dichtet.

Die Begreiflichkeit verschiedener wahren, oder angeblichen Erscheinungen, aus dergleichen angenommenen Grundideen, dienet diesen zu gar keinem Vorteile. Denn man kann leicht von allem Grund angeben, wenn man berechtigt ist, Tätigkeiten und Wirkungsgesetze zu ersinnen, wie man will. Wir müssen also warten, bis wir vielleicht in der künftigen Welt durch neue Erfahrungen neue Begriffe von denen uns noch verborgenen Kräften in unserm denkenden Selbst werden belehrt werden. So haben uns die Beobachtungen späterer Zeiten, nachdem sie durch Mathematik aufgelöset worden, die Kraft der Anziehung an der Materie offenbaret, von deren Möglichkeit (weil sie eine Grundkraft zu sein scheint) man sich niemals einigen ferneren Begriff wird machen können. Diejenige, welche, ohne den Beweis aus der Erfahrung in Händen zu haben, vorher sich eine solche Eigenschaft hätten ersinnen wollen, würden als Toren mit Recht verdienet haben ausgelacht zu werden.

Da nun die Vernunftgründe in dergleichen Fällen weder zur Erfindung noch zur Bestätigung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit von der mindesten Erheblichkeit sein: so kann man nur den Erfahrungen das Recht der Entscheidung einräumen, so wie ich es auch der Zeit, welche Erfahrung bringt, überlasse, etwas über die gepriesene Heilkräfte des Magnets in Zahnkrankheiten auszumachen, wenn sie eben so viel Beobachtungen wird vorzeigen können, daß magnetische Stäbe auf Fleisch und Knochen wirken, als wir schon vor uns haben, daß es auf Eisen und Stahl geschehe. Wenn aber gewisse angebliche Erfahrungen sich in kein unter den meisten Menschen einstimmiges Gesetz der Empfindung bringen lassen, und also nur eine Regellosigkeit in den Zeugnissen der Sinne beweisen würden (wie es in der Tat mit den herumgehenden Geistererzählungen bewandt ist), so ist ratsam, sie nur abzubrechen; weil der Mangel der Einstimmung und Gleichförmigkeit alsdenn der historischen Erkenntnis alle Beweiskraft nimmt, und sie untauglich macht, ein Fundament zu irgend einem Gesetze der Erfahrung zu dienen, worüber der Verstand urteilen könnte.

So wie man einer Seits durch etwas tiefere Nachforschung eingehen lernet: daß die überzeugende und philosophische Einsicht in dem Falle, wovon wir reden, unmöglich sei, so wird man auch anderer Seits bei einem ruhigen und vorurteilfreien Gemüte gestehen müssen, daß sie entbehrlich und unnötig sei. Die Eitelkeit der Wissenschaft entschuldigt gerne ihre Beschäftigung mit dem Vorwande der Wichtigkeit, und so gibt man auch hier gemeiniglich vor, daß die Vernunfteinsicht von der geistigen Natur der Seele zu der Überzeugung von dem Dasein nach dem Tode, diese aber zum Bewegungsgrunde eines tugendhaften Lebens sehr nötig sei; die müßige Neubegierde aber setzt hinzu, daß die Wahrhaftigkeit der Erscheinungen abgeschiedener Seelen von allem diesen so gar einen Beweis aus der Erfahrung abgeben könne.

Allein die wahre Weisheit ist die Begleiterin der Einfalt, und, da bei ihr das Herz dem Verstande die Vorschrift gibt, so macht sie gemeiniglich die große Zurüstungen der Gelehrsamkeit entbehrlich, und ihre Zwecke bedürfen nicht solcher Mittel, die nimmermehr in aller Menschen Gewalt sein können. Wie? ist es denn nur darum gut tugendhaft zu sein, weil es eine andre Welt gibt, oder werden die Handlungen nicht vielmehr dereinst belohnt werden, weil sie an sich selbst gut und tugendhaft waren? Enthält das Herz des Menschen nicht unmittelbare sittliche Vorschriften, und muß man, um ihn allhier seiner Bestimmung gemäß zu bewegen, durchaus die Maschinen an eine andere Welt ansetzen? Kann derjenige wohl redlich, kann er wohl tugendhaft heißen, welcher sich gern seinen Lieblingslastern ergeben würde, wenn ihm nur keine künftige Strafe schreckte, und wird man nicht vielmehr sagen müssen, daß er zwar die Ausübung der Bosheit scheue, die lasterhafte Gesinnung aber in seiner Seele nähre, daß er den Vorteil der tugendähnlichen Handlungen liebe, die Tugend selbst aber hasse?

Und in der Tat lehret die Erfahrung auch: daß so viele, welche von der künftigen Welt belehrt und überzeugt sind, gleichwohl dem Laster und der Niederträchtigkeit ergeben, nur auf Mittel sinnen, den drohenden Folgen der Zukunft arglistig auszuweichen; aber es hat wohl niemals eine rechtschaffene Seele gelebt, welche den Gedanken hätte ertragen können, daß mit dem Tode alles zu Ende sei, und deren edle Gesinnung sich nicht zur Hoffnung der Zukunft erhoben hätte. Daher scheint es der menschlichen Natur und der Reinigkeit der Sitten gemäßer zu sein: die Erwartung der künftigen Welt auf die Empfindungen einer wohlgearteten Seele, als umgekehrt ihr Wohlverhalten auf die Hoffnung der andern Welt zu gründen.

So ist auch der moralische Glaube bewandt, dessen Einfalt mancher Spitzfindigkeit des Vernünftelns überhoben sein kann, und welcher einzig und allein dem Menschen in jeglichem Zustande angemessen ist, indem er ihn ohne Umschweif zu seinen wahren Zwecken führet. Laßt uns demnach alle lärmende Lehrverfassungen von so entfernten Gegenständen der Spekulation und der Sorge müßiger Köpfe überlassen. Sie sind uns in der Tat gleichgültig, und der augenblickliche Schein der Gründe vor oder dawider mag vielleicht über den Beifall der Schulen, schwerlich aber etwas über das künftige Schicksal der Redlichen entscheiden. Es war auch die menschliche Vernunft nicht gnugsam dazu beflügelt, daß sie so hohe Wolken teilen sollte, die uns die Geheimnisse der andern Welt aus den Augen ziehen, und denen Wißbegierigen, die sich nach derselben so angelegentlich erkundigen, kann man den einfältigen aber sehr natürlichen Bescheid geben: daß es wohl am ratsamsten sei, wenn sie sich zu gedulden beliebten, bis sie werden dahin kommen. Da aber unser Schicksal in der künftigen Welt vermutlich sehr darauf ankommen mag, wie wir unsern Posten in der gegenwärtigen verwaltet haben, so schließe ich mit demjenigen, was Voltaire seinen ehrlichen Candide, nach so viel unnützen Schulstreitigkeiten, zum Beschlusse sagen läßt: Laßt uns unser Glück besorgen, in den Garten gehen, und arbeiten. S.922-989
Aus Immanuel Kant, Vorkritische Schriften 2, Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik
Werkausgabe Band II Herausgegeben von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Tachenbuch Wissenschaft stw 186


Aus den Vorlesungen über Psychologie
Würde Gott auf einmal unmittelbar Licht in unsere Seele bringen, daß wir uns aller unserer Vorstellungen könnten bewußt sein, so würden wir alle Weltkörper ganz klar und deutlich sehen, ebenso als wenn wir sie vor Augen hätten. Wenn demnach im künftigen Leben unsere Seele sich aller dunkeln Vorstellungen bewußt sein wird, so wird der Gelehrteste nicht weiter kommen als der Ungelehrteste; nur daß sich der Gelehrte schon hier etwas mehreren bewußt ist. Wenn aber in beider Seelen ein Licht aufgehen wird, so sind sie beide gleich klar und deutlich. Es liegt also im Felde der dunkeln Vorstellungen ein Schatz, der den tiefen Abgrund der menschlichen Erkenntnisse ausmacht, den wir nicht erreichen können.Da wir nun unsere Seele verglichen haben mit Wesen, die unter ihr sind (den Tieren), so wollen wir sie jetzt auch mit Wesen vergleichen, die über ihr sind. Da wir einen äußern und innern Sinn haben und wir uns Wesen denken können, die bloß einen äußern Sinn haben, so können wir uns auf der andern Seite auch Wesen denken, die gar keinen äußern Sinn haben, die gar nicht in die Sinne fallen, und die also immateriell [unkörperlich] sind. Demnach können wir uns immaterielle Wesen vorstellen, die mit Bewußtsein ihrer selbst begabt sind. Ein immateriell denkendes Wesen, das mit Bewußtsein begabt ist (woraus denn schon folgt, daß es auch ein vernünftiges Wesen ist), ist ein Geist. Vom Geiste muß unterschieden werden dasjenige, was geistig ist. Geistige Wesen sind die, die mit dem Körper zwar verbunden sind, die aber ihre Vorstellungen, ihr Denken und Wollen kontinuieren [fortsetzen] können, wenn sie auch vom Körper abgesondert werden.

Nun fragt es sich: Ist die Seele des Menschen ein geistiges Wesen? — Wenn sie auch ohne Körper zu leben kontinuieren [fortdauern] kann, dann ist sie geistig, und wenn die Seelen der Tiere solches auch können, so sind sie auch geistiger Natur. Ein Geist ist aber, der wirklich separiert ist vom Körper, der, ohne ein Gegenstand des äußern Sinnes zu sein, dennoch denken und wollen kann. Was können wir nun von den Geistern a priori erkennen? Wir können uns Geister nur problematisch denken, das heißt es kann kein Grund a priori angeführet werden, dieselben zu verwerfen. Die Erfahrung lehrt uns, daß, wenn wir denken, unser Körper dabei ins Spiel kommt; wir sehen aber nicht ein, daß es notwendig ist. Wir können uns recht gut Wesen vorstellen, die gar keinen Körper haben und dennoch denken und wollen können. Demnach können wir problematisch denkende vernünftige Wesen, mit Bewußtsein ihrer selbst, die immateriell sind, annehmen. Problematisch kann etwas angenommen werden, wenn es schlechthin klar ist, daß es möglich ist. Apodiktisch können wir es nicht beweisen, aber es kann uns auch keiner widerlegen, daß solche Geister nicht existieren sollten. Ebenso können wir das Dasein Gottes nicht apodiktisch demonstrieren; aber es ist auch keiner imstande, uns das Gegenteil zu beweisen, denn wo will er das hernehmen?

Nun können wir von diesen Geistern nichts mehr sagen, als was ein Geist, der abgesondert vom Körper ist, tun kann. Sie sind kein Gegenstand des äußern Sinnes; also sind sie nicht im Raume. Weiter können wir hier nichts sagen; sonst verfallen wir in Hirngespinste. Der Begriff von tierischen Seelen und höheren Geistern ist nur ein Spiel unserer Begriffe.
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1. Man kann sich entweder eine Restitution des tierischen Lebens denken, welche entweder von irdischer oder überirdischer Art sein kann. Nach der irdischen Art müßte meine Seele diesen oder einen anderen Körper annehmen; nach der überirdischen Art. welches ein Übergang aus diesem in ein anderes tierisches Leben wäre, müßte die Seele einen verklärten Körper annehmen. Oder man kann sich auch

2. ein ganz reines geistiges Leben, wo die Seele gar keinen Körper haben wird, denken.

Diese letzte Meinung ist der Philosophie am allerangemessensten. Denn wenn der Körper ein Hindernis des Lebens ist, das künftige aber vollkommen sein soll, so muß es völlig geistig sein. Wenn wir nun aber ein völlig geistiges Leben annehmen, so kann man hier wieder fragen: Wo ist Himmel? Wo ist Hölle? Und welches ist unser künftiger Bestimmungsort?

Die Trennung der Seele vorn Körper ist nicht in eine Veränderung des Orts zu setzen. Die Gegenwart des Geistes kann nicht lokaliter erklärt werden. Denn wenn sie lokaliter erklärt wird, so kann ich, wenn der Mensch tot ist, fragen: Sitzt die Seele noch lange im Körper? Oder geht sie gleich heraus? Ist sie demnach in der Stube oder im Hause? Und wie lange mag sie wohl auf ihrer Reise, es sei zum Himmel oder zur Hölle, zubringen? Oder wo ist sie sonst? Alle diese Fragen aber fallen weg, wenn man die Gegenwart des Geistes nicht lokaliter annimmt und erklärt. Örter sind nur Verhältnisse körperlicher, aber nicht geistiger Dinge. Demnach ist die Seele, weil sie keinen Ort einnimmt, in der ganzen Körperwelt nicht zu sehen; sie hat keinen bestimmten Ort in der Körperwelt, sondern sie ist in der Geisterwelt; sie steht in Verbindung und im Verhältnis mit andern Geistern.

Wenn nun diese Geister wohldenkende und heilige Wesen sind und die Seele in ihrer Gemeinschaft ist, so ist sie im Himmel.

Ist die Gemeinschaft der Geister aber bösartig, in der sie sich befindet, so ist die Seele in der Hölle.

Der Himmel ist also allerwärts, wo solche Gemeinschaft heiliger geistiger Wesen ist; er ist aber nirgends. weil er keinen Ort in der Welt einnimmt, indem die Gemeinschaft nicht in der Körperwelt errichtet ist. Demnach wird der Himmel nicht der unermeßliche Raum sein, den die Weltkörper einnehmen, und der sich in blauer Farbe zeigt, wo man durch die Luft hinfahren müßte, wenn man hinkommen wollte; sondern die Geisterwelt ist der Himmel; und in dem Verhältnis und der Gemeinschaft mit der Geisterwelt stehen, heißt: im Himmel sein . . .

Der Gedanke des Swedenborg ist hierin sehr erhaben.

Eine Frage bleibt noch übrig: Ob die Seele, die sich schön geistig in der andern Welt sieht, in der sichtbaren Welt durch sichtbare Wirkungen erscheinen werde und könne? Dieses ist nicht möglich: denn Materie kann nur sinnlich angeschaut werden und in die äußeren Sinne fallen, aber nicht ein Geist. Oder könnte ich nicht die Gemeinschaft der abgeschiedenen Seelen mit meiner Seele, die noch nicht abgeschieden ist, die aber in ihrer Gemeinschaft als ein Geist steht, schon einigermaßen hier anschauen? Z. E. wie Swedenborg will? Dieses ist kontradiktorisch; denn alsdann müßte sich schon in dieser Welt die geistige Anschauung anfangen. Da ich aber in dieser Welt noch eine sinnliche Anschauung habe, so kann ich nicht zugleich eine geistige Anschauung haben. Ich kann nicht zugleich in dieser und auch in jener Welt sein; denn wenn ich eine sinnliche Anschauung habe, so bin ich in dieser, und wenn ich eine geistige Anschauung habe, so bin ich in der andern Welt; dieses kann aber nicht zugleich stattfinden. Gesetzt aber, es wäre möglich, daß die Seele noch in dieser Welt erscheinen könnte, oder daß eine solche geistige Anschauung schon hier möglich wäre, indem wir doch die Unmöglichkeit davon nicht beweisen können, so muß doch hier die Maxime der gesunden Vernunft entgegengesetzt werden. Die Maxime der gesunden Vernunft ist aber diese: alle solche Erfahrungen und Erscheinungen nicht zu erlauben, sondern zu verwerfen die so beschaffen sind, daß, wenn ich sie annehme, sie den Gebrauch einer Vernunft unmöglich machen und die Bedingungen, unter denen ich meine Vernunft allein gebrauchen kann, aufheben. Würde dieses angenommen werden, so hörte der Gebrauch meiner Vernunft in dieser Welt gänzlich auf; dann könnten viele Handlungen auf Rechnung der Geister geschehen. S. 134-140
Aus: Geist und Geisterwelt, Fragmente aus der Literatur des Übersinnlichen von Thomas Wandler, Rudolf Kaemmerer Verlag, Berlin-Dresden 1923