Immanuel Kant (1724 - 1804)
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Deutscher
Philosoph; der Sohn eines Sattlers war und unter pietistischem Einfluss aufgewachsen ist. Mit 16 Jahren begann er an der Universität Köngsberg zu studieren. Das Studium finanzierte er u. a. durch Privatstunden und Gewinne
beim Billardspiel. Studienfächer sind - Mathematik,
Naturwissenschaften, Theologie, Philosophie und lateinische Philologie;seit 1770 Professor in Königsberg. Er entwickelte
mit seinem »kritischen Idealismus« eines der Grundsysteme der deutschen Philosophie. Insbesondere mit seiner
praktischen Philosophie, seiner Geschichts-, Rechts und Staatsphilosophie
stellte er den Anschluss an die westeuropäische Aufklärungsphilosophie (insbesondere David Hume) her, die er u. a. durch
seine Erkenntniskritik zugleich überwand. Er gründete das System strenger Wissenschaft auf die masthematisch-physikalische Naturwissenschaft und übte daher
grundsätzliche Kritik an der traditionellen Metaphysik.
Radikal trennte Kant die Philosophie von der Theologie.
Ein neues Fundament für Wissen, Sittlichkeit und Glauben suchte er
mit seiner Tranzendentalphilosophie zu schaffen.
In der »vorkritischen« Periode orientierte
er sich weitgehend er an der Metaphysik von G. W.
Leibniz und Christian Wolff und setzte
sich mit der Physik Isaac Newtons auseinander; an diese anschließend, entwickelte
er eine kosmologische
Theorie, die
früher zusammenfassend als »Kant-Laplace'sche
Theorie« bezeichnet wurde. Mit der »Kritik der reinen Vernunft« (1781) setzte seine kritische
Periode ein, in der er durch eine kritische Prüfung der Verstandeskräfte
in seiner Transzendentalphilosophie die Bedingungen der Möglichkeit und die Grenzen der Erkenntnis
zu bestimmen suchte (Kritizismus).
Neu in diesem Denken ist, dass er nicht das Bewusstsein von den Gegenständen, sondern die Gegenstände von der apriorischen
Struktur des Bewusstseins abhängig dachte: Die Erkenntnis erfasse niemals »Dinge
an sich«, sondern nur Erscheinungen, welche einzig in den
vor der Erfahrung liegenden und diese erst ermöglichenden Formen zugänglich
sind, die der Verstand an sie heranträgt. Zu den apriorischen
Erkenntnisformen rechnet er die Anschauungsformen von Raum
und Zeit und die reinen Verstandesbegriffe der Kategorien
(Quantität, Qualität, Relation, Modalität).
Im Unterschied zu den Verstandesbegriffen haben die Ideen (Gott,
Seele, Welt,
Freiheit, Unsterblichkeit,
absolute Persönlichkeit) als Vernunftbegriffe oder »Postulate der praktischen Vernunft« keine »konstitutive«
(gegenstandsetzende), sondern nur »regulative« (richtunggebende) Bedeutung und ordnen als solche lediglich die Erfahrung.In seiner praktischen
Philosophie (Ethik) entwarf Kant
eine Begründung der Sittenlehre, die sich nicht auf bestimmte
Inhalte (»materiale« Ethik), sondern
auf die apriorischen Formen des Handelns stützt
(»formale« Ethik). In der »Grundlegung
der Metaphysik der Sitten« (1785) und
der »Kritik der praktischen
Vernunft« (1788) entwickelte er eine
rigorose, autonome Pflicht-Ethik, derzufolge der Wille unmittelbar durch das moralische Gesetz bestimmbar ist und nur das von äußeren
Bestimmungen und inneren Neigungen freie Handeln »aus
Pflicht« als sittlich gilt. Sittliches Grundgesetz ist der »kategorische
Imperativ«. Die Religionslehre wird aus der praktischen Philosophie
entwickelt. Die »Religion innerhalb der Grenzen
der praktischen Vernunft« versteht wesentliche Teile der christlichen
Glaubenslehre allein in ethischem Sinn: Sie begründet die Befolgung
moralischer Normen, indem sie die Pflichten als göttliche Gebote erkennt und mit den Postulaten
(Glaubensforderungen) Gottes, der sittlichen
Weltordnung und der Unsterblichkeit der Seele das vom moralischen Bewusstsein geforderte »höchste
Gut« (die Vereinigung von Tugend und Glückseligkeit) als
Ziel aufzustellen vermag. Die Moral erweitert sich dann zur »Idee eines . . . moralischen
Gesetzgebers«. Eine objektive, also wissenschaftliche Gotteserkenntnis
gibt es nach den Prämissen seines Systems nicht. Die »Kritik der Urteilskraft« (1790) suchte die Begründung für den Gültigkeitsanspruch des ästhetischen
Geschmacksurteils zu liefern, das als subjektives Wohlgefallen am Objekt bezeichnet wird (subjektive Ästhetik), und die Art und die Grenzen des (heuristischen) Zweckmäßigkeitsbegriffs
(Teleologie) in der Betrachtung der organischen
Natur darzulegen. In seinem staatsphilosophischen Denken trat
Kant für einen Rechtsstaat in republikanischen Sinn, für
die Vernunftidee einer friedlichen Gemeinschaft aller Völker auf Erden
und für einen ewigen Frieden ein. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
||
Inhaltsverzeichnis
Gibt
es etwas von der Welt Unterschiedenes, das den Grund der Weltordnung und ihres
Zusammenhanges nach allgemeinen Gesetzen enthält?
Frägt
man denn also (in Absicht auf eine transzendentale
Theologie)
erstlich: ob es etwas
von der Welt
Unterschiedenes
gebe, was den Grund
der Weltordnung
und ihres Zusammenhanges
nach allgemeinen
Gesetzen enthalte,
so ist die Antwort: ohne
Zweifel.
Denn die Welt
ist eine Summe
von Erscheinungen,
es muß also irgend ein transzendentaler,
d.i. bloß dem reinen Verstande
denkbarer Grund
derselben sein.
Ist zweitens die Frage:
ob dieses Wesen
Substanz, von
der größten Realität,
notwendig
etc. sei: so antworte ich: daß
diese Frage gar keine
Bedeutung habe. Denn alle Kategorien,
durch welche ich mir einen Begriff
von einem solchen Gegenstande
zu machen versuche, sind von keinem anderen als
empirischen Gebrauche,
und haben gar keinen Sinn, wenn sie nicht auf Objekte
möglicher
Erfahrung, d.i.
auf die Sinnenwelt angewandt werden. Außer
diesem Felde sind sie bloß Titel zu Begriffen,
die man einräumen, dadurch man aber auch nichts
verstehen kann.
Ist endlich drittens die Frage:
ob wir nicht wenigstens dieses von der Welt unterschiedene
Wesen nach einer Analogie
mit den Gegenständen der Erfahrung denken
dürfen? so ist die Antwort:
allerdings, aber nur als Gegenstand in der Idee und nicht in der Realität, nämlich nur, so fern
er ein uns unbekanntes Substratum der systematischen Einheit, Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welteinrichtung ist, welche sich die Vernunft zum regulativen Prinzip ihrer Naturforschung machen muß. Noch mehr, wir können in dieser Idee gewisse Anthropomorphismen,
die dem gedachten regulativen Prinzip beförderlich
sind, ungescheut und ungetadelt erlauben. Denn es ist immer nur eine
Idee, die gar nicht direkt auf ein von der Welt unterschiedenes Wesen, sondern auf das regulative
Prinzip der systematischen Einheit der Welt, aber nur vermittelst
eines Schema derselben, nämlich einer obersten
Intelligenz,
die nach weisen Absichten Urheber derselben sei, bezogen
wird. Was dieser Ungrund der
Welteinheit an sich selbst sei, hat dadurch nicht gedacht werden sollen, sondern wie wir ihn, oder vielmehr seine
Idee, relativ auf den systematischen Gebrauch der Vernunft in
Ansehung der Dinge der Welt, brauchen sollen.
Auf solche Weise aber können wir doch (wird man fortfahren
zu fragen) einen einigen weisen und allgewaltigen
Welturheber annehmen? Ohne allen Zweifel; und nicht
allein dies, sondern wir müssen einen solchen voraussetzen. Aber
alsdenn erweitern wir doch unsere Erkenntnis über das Feld möglicher
Erfahrung? Keineswegs. Denn wir haben nur ein Etwas vorausgesetzt, wovon wir
gar keinen Begriff haben, was es an sich selbst sei (einen
bloß transzendentalen Gegenstand), aber, in Beziehung auf die systematische
und zweckmäßige Ordnung des Weltbaues, welche wir, wenn wir
die Natur studieren, voraussetzen müssen, haben wir jenes uns unbekannte
Wesen nur nach der Analogie mit einer Intelligenz (ein
empirischer Begriff) gedacht, d.i. es in Ansehung der Zwecke und der
Vollkommenheit, die sich auf demselben gründen, gerade mit denen Eigenschaften
begabt, die nach den Bedingungen unserer Vernunft den Grund einer solchen systematischen
Einheit enthalten können. Diese Idee ist also respektiv auf den Weltgebrauch
unserer Vernunft ganz gegründet. Wollten wir ihr aber schlechthin objektive
Gültigkeit erteilen, so würden wir vergessen, daß es lediglich
ein Wesen in der Idee sei, das wir denken, und, indem wir alsdenn von einem
durch die Weltbetrachtung gar nicht bestimmbaren Grunde anfingen, würden
wir dadurch außer Stand gesetzt, dieses Prinzip dem empirischen Vernunftgebrauch
angemessen anzuwenden.
Aber (wird man ferner fragen) auf solche Weise kann ich doch von dem
Begriffe und der Voraussetzung eines höchsten Wesens in der vernünftigen
Weltbetrachtung Gebrauch machen? Ja, dazu war auch eigentlich diese Idee von
der Vernunft zum Grunde gelegt. Allein darf ich nun zweckähnliche Anordnungen
als Absichten ansehen, indem ich sie vom göttlichen
Willen, obzwar vermittelst besonderer dazu in der Welt darauf gestellten
Anlagen, ableite? Ja, das könnt ihr auch tun, aber so, daß es euch
gleich viel gelten muß, ob jemand sage, die göttliche Weisheit hat
alles so zu seinen obersten Zwecken geordnet, oder die Idee der höchsten
Weisheit ist ein Regulativ in der Nachforschung der Natur und ein Prinzip der
systematischen und zweckmäßigen Einheit derselben nach allgemeinen
Naturgesetzen, auch selbst da, wo wir jene nicht gewahr werden, d.i. es muß
euch da, wo ihr sie wahrnehmt, völlig einerlei sein, zu sagen: Gott hat
es weislich so gewollt, oder die Natur hat es also weislich
geordnet. Denn die größte systematische
und zweckmäßige Einheit, welche eure Vernunft aller Naturforschung
als regulatives Prinzip zum Grunde zu legen verlangte, war eben das, was euch
berechtigte, die Idee einer höchsten Intelligenz als ein Schema des regulativen
Prinzips zum Grunde zu legen, und, so viel ihr nun, nach demselben, Zweckmäßigkeit
in der Welt antrefft, so viel habt ihr Bestätigung der Rechtmäßigkeit
eurer Idee; da aber gedachtes Prinzip nichts andres zur Absicht hatte, als notwendige
und größtmögliche Natureinheit zu suchen, so werden wir diese
zwar, so weit als wir sie erreichen, der Idee eines höchsten Wesens zu
danken haben, können aber die allgemeinen Gesetze der Natur, als in Absicht
auf welche die Idee nur zum Grunde gelegt wurde, ohne mit uns selbst in Widerspruch
zu geraten, nicht vorbei gehen, um diese Zweckmäßigkeit
der Natur als zufällig und hyperphysisch ihrem Ursprunge nach anzusehen,
weil wir nicht berechtigt waren, ein Wesen über die Natur von den gedachten
Eigenschaften anzunehmen, sondern nur die Idee desselben zum Grunde zu legen,
um nach der Analogie einer Kausalbestimmung der Erscheinungen als systematisch
unter einander verknüpft anzusehen.
Eben daher sind wir auch berechtigt, die Weltursache in
der Idee nicht allein nach einem subtileren Anthropomorphism (ohne welchen sich
gar nichts von ihm denken lassen würde), nämlich als ein Wesen, das
Verstand, Wohlgefallen und Mißfallen, imgleichen eine demselben gemäße
Begierde und Willen hat etc., zu denken, sondern demselben unendliche Vollkommenheit
beizulegen, die also diejenige weit übersteigt, dazu wir durch empirische
Kenntnis der Weltordnung berechtigt sein können. Denn das regulative
Gesetz der systematischen Einheit will, daß wir die Natur so studieren
sollen, als ob allenthalben ins Unendliche systematische und zweckmäßige
Einheit, bei der größtmöglichen Mannigfaltigkeit, angetroffen
würde. Denn, wiewohl wir nur wenig von dieser Weltvollkommenheit
ausspähen, oder erreichen werden, so gehört es doch zur Gesetzgebung
unserer Vernunft, sie allerwärts zu suchen und zu vermuten, und es muß
uns jederzeit vorteilhaft sein, niemals aber kann es nachteilig werden, nach
diesem Prinzip die Naturbetrachtung anzustellen. Es ist aber, unter dieser Vorstellung,
der zum Grunde gelegten Idee eines höchsten Urhebers, auch klar: daß
ich nicht das Dasein und die Kenntnis eines solchen Wesens, sondern nur die
Idee desselben zum Grunde lege, und also eigentlich nichts von diesem Wesen,
sondern bloß von der Idee desselben, d.i. von der Natur der Dinge der
Welt, nach einer solchen Idee, ableite. Auch scheint ein gewisses, obzwar unentwickeltes
Bewußtsein, des echten Gebrauchs dieses unseren Vernunftbegriffs, die
bescheidene und billige Sprache der Philosophen alle Zeiten veranlaßt
zu haben, da sie von der Weisheit und Vorsorge der Natur, und der göttlichen
Weisheit, als gleichbedeutenden Ausdrücken reden, ja den ersteren
Ausdruck, so lange es um bloß spekulative Vernunft zu tun ist, vorziehen,
weil er die Anmaßung einer größeren Behauptung, als die ist,
wozu wir befugt sind, zurück hält, und zugleich die Vernunft auf ihr
eigentümliches Feld, die Natur, zurück weist.
So enthält die reine Vernunft, die uns anfangs nichts Geringeres, als Erweiterung
der Kenntnisse über alle Grenzen der Erfahrung, zu versprechen schiene,
wenn wir sie recht verstehen, nichts als regulative Prinzipien, die zwar größere
Einheit gebieten, als der empirische Verstandesgebrauch erreichen kann, aber
eben dadurch, daß sie das Ziel der Annäherung desselben so weit hinaus
rücken, die Zusammenstimmung desselben mit sich selbst durch systematische
Einheit zum höchsten Grade bringen, wenn man sie aber mißversteht,
und sie für konstitutive Prinzipien transzendenter Erkenntnisse hält,
durch einen zwar glänzenden, aber trüglichen Schein, Überredung
und eingebildetes Wissen, hiemit aber ewige Widersprüche und Streitigkeiten
hervorbringen. S.644-649
Aus: Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft , Philosophische
Bibliothek Band 37a, Felix Meiner Verlag, Hamburg
Das
Urwesen
Vermögen
und Beschaffenheit des Urwesens
Das
Wesenseigenschaften des Urwesens sind unerkennbar
Annahme einer
höchsten Vernunft als eine Ursache aller Verknüpfungen in der Welt
Von dem transzendenten Ideal
Vermögen
und Beschaffenheit des Urwesens
Natureinrichtungen, oder deren Veränderung zu erklären,
wenn man da zu Gott,
als dem Urheber aller Dinge,
seine Zuflucht nimmt, ist wenigstens keine physische
Erklärung, und überall ein Geständnis, man sei mit seiner Philosophie
zu Ende; weil man genötigt ist, etwas, wovon man sonst für sich keinen
Begriff hat, anzunehmen, um sich von der Möglichkeit
dessen, was man vor Augen sieht, einen Begriff machen zu können.
Durch Metaphysik
aber von der Kenntnis dieser Welt
zum Begriffe von Gott und dem
Beweise seiner
Existenz durch sichere Schlüsse zu gelangen, ist darum unmöglich, weil wir diese Welt als das vollkommenste
mögliche Ganze, mithin, zu diesem Behuf, alle mögliche Welten (um
sie mit dieser vergleichen zu können) erkennen, mithin allwissend
sein müßten, um zu sagen, daß sie nur durch einen
Gott (wie wir uns diesen Begriff denken
müssen) möglich
war.
Vollends aber die Existenz dieses Wesens aus bloßen Begriffen zu erkennen,
ist schlechterdings unmöglich, weil ein jeder Existentialsatz, d.i. der,
so von einem Wesen,
von dem ich mir einen Begriff mache, sagt, daß es existiere, ein synthetischer
Satz ist, d.i. ein solcher, dadurch ich über jenen Begriff hinausgehe und
mehr von ihm sage, als im Begriffe gedacht war: nämlich daß diesem
Begriffe im Verstande noch ein
Gegenstand außer dem Verstande korrespondierend gesetzt sei, welches offenbar unmöglich ist durch irgend
einen Schluss herauszubringen. Also bleibt nur ein einziges Verfahren für die Vernunft
übrig, zu diesem Erkenntnisse zu gelangen, da sie nämlich, als reine
Vernunft, von
dem obersten Prinzip
ihres reinen praktischen Gebrauchs ausgehend (indem dieser
ohnedem bloß auf die Existenz von Etwas,
als Folge der Vernunft, gerichtet ist), ihr Objekt
bestimmt.
Und da zeigt sich, nicht allein in ihrer unvermeidlichen Aufgabe, nämlich
der notwendigen Richtung des Willens
auf das höchste Gut, die Notwendigkeit,
ein solches Urwesen, in Beziehung auf die Möglichkeit dieses Guten in der Welt, anzunehmen, sondern, was
das Merkwürdigste ist, etwas, was dem Fortgange der Vernunft auf dem Naturwege
ganz mangelte, nämlich ein genau bestimmter
Begriff dieses Urwesens. Da wir diese Welt nur zu einem kleinen Teile kennen, noch weniger sie mit allen
möglichen Welten vergleichen können, so können wir von ihrer
Ordnung, Zweckmäßigkeit und Größe
wohl auf einen weisen, gütigen, mächtigen etc. Urheber derselben schließen, aber nicht
auf seine Allwissenheit, Allgütigkeit, Allmacht,
u.s.w.
Man kann auch gar wohl einräumen: dass man diesen unvermeidlichen
Mangel durch eine erlaubte ganz vernünftige Hypothese zu ergänzen
wohl befugt sei; daß nämlich, wenn in so viel Stücken, als sich
unserer näheren Kenntnis darbieten, Weisheit, Gütigkeit etc. hervorleuchtet,
in allen übrigen es eben so sein werde, und es also vernünftig sei,
dem Welturheber alle mögliche Vollkommenheit beizulegen; aber das sind keine Schlüsse, wodurch wir uns auf unsere Einsicht
etwas dünken, sondern nur Befugnisse, die man uns nachsehen kann, und doch
noch einer anderweitigen Empfehlung bedürfen, um davon Gebrauch zu machen.
Der Begriff von
Gott bleibt also
auf dem empirischen
Wege (der Physik)
immer ein nicht genau bestimmter
Begriff von der Vollkommenheit
des ersten Wesens,
um ihn dem Begriffe einer Gottheit für
angemessen zu halten (mit der Metaphysik
aber in ihrem transzendentalen
Teile ist gar nichts auszurichten).
Ich versuche nun, diesen Begriff an das Objekt der praktischen Vernunft zu halten, und da finde ich, dass der moralische Grundsatz ihn
nur als möglich,
unter Voraussetzung eines Welturhebers von höchster
Vollkommenheit, zulasse. Er muß allwissend sein, um mein Verhalten bis zum Innersten meiner Gesinnung in allen möglichen
Fällen und in alle Zukunft zu erkennen; allmächtig,
um ihm die angemessenen Folgen zu erteilen; eben so allgegenwärtig,
ewig, usw. Mithin
bestimmt das moralische Gesetz durch den Begriff des höchsten
Guts, als Gegenstandes einer reinen praktischen Vernunft, den Begriff des
Urwesens
als höchsten Wesens, welches
der physische (und höher fortgesetzt der metaphysische), mithin der ganze spekulative Gang der Vernunft nicht bewirken konnte. Also ist
der Begriff von Gott ein ursprünglich nicht
zur Physik, d.i. für die spekulative Vernunft,
sondern zur Moral gehöriger Begriff, und eben das kann man auch von den übrigen Vernunftbegriffen
sagen, von denen wir, als Postulaten
derselben in ihrem praktischen Gebrauche, oben gehandelt haben.
Wenn man in der Geschichte
der griechischen Philosophie über den Anaxagoras
hinaus keine deutliche Spuren einer reinen Vernunfttheologie antrifft, so ist
der Grund nicht darin gelegen, daß es den
älteren Philosophen an Verstande und Einsicht fehlte, um durch den Weg
der Spekulation,
wenigstens mit Beihilfe einer ganz vernünftigen Hypothese, sich dahin zu
erheben; was konnte leichter, was natürlicher sein, als der sich von selbst
jedermann darbietende Gedanke, statt unbestimmter Grade der Vollkommenheit verschiedener
Weltursachen, eine einzige vernünftige anzunehmen, die alle
Vollkommenheit hat? Aber die Übel in der Welt schienen
ihnen viel zu wichtige Einwürfe zu sein, um zu einer solchen Hypothese
sich für berechtigt zu halten.
Mithin zeigten sie darin eben Verstand und Einsicht, daß sie sich jene
nicht erlaubten, und vielmehr in den Naturursachen herum suchten, ob sie unter
ihnen nicht die zu Urwesen erfoderliche
Beschaffenheit und Vermögen antreffen möchten. Aber nachdem dieses
scharfsinnige Volk so weit in Nachforschungen fortgerückt war, selbst sittliche
Gegenstände, darüber andere Völker niemals mehr als geschwatzt
haben, philosophisch zu behandeln: da fanden sie allererst ein neues Bedürfnis,
nämlich ein praktisches, welches nicht ermangelte, ihnen den Begriff
des Urwesens bestimmt anzugeben, wobei die spekulative Vernunft
das Zusehen hatte, höchstens noch das Verdienst, einen Begriff, der nicht
auf ihrem Boden erwachsen war, auszuschmücken, und mit einem Gefolge von
Bestätigungen aus der Naturbetrachtung, die nun allererst hervortraten,
wohl nicht das Ansehen desselben (ewlches schon gegründet
war), sondern vielmehr nur das Gepränge
mit vermeinter theoretischer Vernunfteinsicht zu befördern.
S.159-161
Aus: Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft,
Felix Meiner Verlag, Hamburg
Das
Wesenseigenschaften des Urwesens sind unerkennbar
Das Urwesen, als das höchste
Wesen (realissimum) kann
entweder als ein solches gedacht werden, dass es alle Realität
als Bestimmung
in sich enthalte. -
Dies ist für uns nicht wirklich, denn wir kennen nicht
alle Realität rein, wenigstens können wir nicht einsehen, dass
sie bei ihrer großen Verschiedenheit allein in einem Wesen angetroffen
werden könne. Wir werden also annehmen, dass es
ens realissimum als Grund sei, und dadurch kann es als Wesen, was uns gänzlich, nach dem, was es
enthält, unerkennbar ist,
vorgestellt werden. S.673
Aus: Immanuel Kant: Schriften zur Metaphysik und Logik
2, - Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens
und Wolf's Zeiten in Deutschland gemacht hat SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft
stw 189
Annahme
einer höchsten Vernunft als eine Ursache aller Verknüpfungen in der
Welt
Die Einwürfe des Hume wider den Deismus sind schwach, und treffen niemals etwas mehr als die Beweistümer, niemals
aber den Satz der deistischen Behauptung selbst. Aber in Ansehung des Theismus,
der durch eine nähere Bestimmung unseres dort bloß transzendenten
Begriffs vom höchsten
Wesen zu Stande kommen soll, sind sie sehr stark, und, nachdem
man diesen Begriff einrichtet, in gewissen (in der Tat,
allen gewöhnlichen) Fällen unwiderleglich.
Hume hält sich immer daran: dass durch den bloßen
Begriff eines Urwesens, dem wir
keine andere als ontologische
Prädikate
(Ewigkeit, Allgegenwart,
Allmacht) beilegen, wir wirklich
gar nichts Bestimmtes denken, sondern es müßten Eigenschaften hinzukommen, die einen Begriff in concreto abgeben können: es sei nicht
genug, zu sagen: er sei Ursache,
sondern wie seine Kausalität
beschaffen sei, etwa durch Verstand
und Willen; und
da fangen seine Angriffe der Sache selbst, nämlich des Theismus an, da er vorher nur die Beweisgründe des Deismus gestürmt hatte, welches keine sonderliche Gefahr nach sich zieht. Seine
gefährlichen Argumente beziehen sich insgesamt auf den Anthropomorphismus,
von dem er davor hält, er sei von dem Theismus unabtrennlich, und mache ihn in sich selbst widersprechend, ließe man
ihn aber weg, so fiele dieser hiemit auch, und es bliebe nichts
als ein Deismus übrig, aus
dem man nichts machen, der uns zu nichts nützen und zu gar keinen Fundamenten der Religion
und Sitten dienen
kann.
Wenn diese Unvermeidlichkeit des Anthropomorphismus gewiss wäre, so möchten die Beweise
vom Dasein eines
höchsten Wesens sein, welche
sie wollen, und alle eingeräumt werden, der Begriff von diesem Wesen würde
doch niemals von uns bestimmt
werden können, ohne uns in Widersprüche
zu verwickeln.
Wenn wir mit dem Verbot, alle transzendente Urteile
der reinen Vernunft zu vermeiden, das damit, dem Anschein nach, streitende Gebot, bis zu Begriffen,
die außerhalb dem Felde des immanenten (empirischen
Gebrauchs) liegen, hinauszugehen, verknüpfen, so werden wir inne,
daß beide zusammen bestehen können, aber nur gerade auf der Grenze alles erlaubten Vernunftgebrauchs; denn diese gehöret eben so wohl zum
Felde der Erfahrung,
als dem der Gedankenwesen, und wir werden dadurch zugleich belehrt, wie jene
so merkwürdige Ideen lediglich zur Grenzbestimmung der menschlichen Vernunft
dienen, nämlich, einerseits Erfahrungserkenntnis nicht unbegrenzt auszudehnen,
so daß gar nichts mehr als bloß Welt von uns zu erkennen übrig bliebe, und andererseits dennoch nicht über
die Grenze der Erfahrung hinauszugehen, und von Dingen außerhalb derselben,
als Dingen an sich
selbst, urteilen zu wollen.
Wir halten uns aber auf dieser Grenze, wenn wir unser Urteil bloß auf das Verhältnis einschränken, welches die Welt
zu einem Wesen haben
mag, dessen Begriff selbst außer aller Erkenntnis liegt, deren wir innerhalb der Welt fähig sein. Denn alsdenn eignen wir
dem höchsten Wesen keine
von den Eigenschaften
an sich selbst zu, durch die wir uns Gegenstände der Erfahrung
denken, und vermeiden dadurch den dogmatischen Anthropomorphismus,
wir legen sie aber dennoch dem Verhältnisse desselben zur
Welt bei, und erlauben uns einen symbolischen
Anthropomorphismus, der in der
Tat nur die Sprache
und nicht das Objekt
selbst angeht.
Wenn ich sage, wir sind genötigt, die Welt so
anzusehen, als ob sie das Werk eines höchsten
Verstandes und Willens sei, so sage ich wirklich nichts mehr,
als: wie sich verhält eine Uhr, ein Schiff, ein Regiment, zum Künstler,
Baumeister, Befehlshaber, so die Sinnenwelt (oder alles
das, was die Grundlage dieses Inbegriffs von Erscheinungen ausmacht) zu
dem Unbekannten, das ich also hiedurch zwar nicht nach dem, was es an sich selbst
ist, aber doch nach dem, was es vor mich ist, nämlich in Ansehung der Welt,
davon ich ein Teil bin, erkenne. §. 58 Eine solche
Erkenntnis ist die nach der Analogie,
welche nicht etwa, wie man das Wort gemeiniglich
nimmt, eine unvollkommene Ähnlichkeit
zweier Dinge, sondern
eine vollkommne Ähnlichkeit zweier Verhältnisse
zwischen ganz unähnlichen Dingen bedeutet.*
*So ist eine Analogie zwischen dem
rechtlichen Verhältnisse menschlicher Handlungen, und dem mechanischen
Verhältnisse der bewegenden Kräfte: ich kann gegen einen andern niemals
etwas tun, ohne ihm ein Recht zu geben, unter den nämlichen Bedingungen
eben dasselbe gegen mich zu tun; eben so wie kein Körper auf einen andern
mit seiner bewegenden Kraft wirken kann, ohne dadurch zu verursachen, daß
der andre ihm eben so viel entgegen wirke. Hier sind Recht und bewegende Kraft
ganz unähnliche Dinge, aber in ihrem Verhältnisse ist doch völlige
Ähnlichkeit. Vermittelst einer solchen Analogie kann ich daher einen Verhältnisbegriff
von Dingen, die mir absolut unbekannt sind, geben. Z.B. wie sich verhält
die Beförderung des Glücks der Kinder = a zu
der Liebe der Eltern = b, so die Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts = c
zu dem Unbekannten in Gott = x, welches wir Liebe
nennen; nicht als wenn es die mindeste Ähnlichkeit mit irgend einer menschlichen
Neigung hätte, sondern, weil wir das Verhältnis derselben zur Welt
demjenigen ähnlich setzen können, was Dinge der Welt unter einander
haben. Der Verhältnisbegriff aber ist hier eine bloße Kategorie,
nämlich der Begriff der Ursache, der nichts mit Sinnlichkeit zu tun hat.
Vermittelst dieser Analogie bleibt
doch ein vor uns hinlänglich bestimmter Begriff von dem höchsten
Wesen übrig, ob wir gleich alles weggelassen haben, was
ihn schlechthin und an sich selbst bestimmen könnte; denn wir bestimmen
ihn doch respektiv auf die Welt und mithin auf
uns, und mehr ist uns auch nicht nötig. Die Angriffe, welche Hume
auf diejenigen tut, welche diesen Begriff absolut bestimmen wollen, indem sie die Materialien dazu von sich selbst und der Welt
entlehnen, treffen uns nicht; auch kann er uns nicht vorwerfen, es bleibe uns
gar nichts übrig, wenn man uns den objektiven Anthropomorphismus
von dem Begriffe des höchsten Wesens wegnähme.
Denn wenn man uns nur anfangs (wie es auch Hume
in der Person des Philo gegen den Kleanthes
in seinen Dialogen tut), als eine notwendige Hypothese,
den deistischen Begriff des
Urwesens einräumt, in welchem man sich das Urwesen
durch lauter ontologische Prädikate, der
Substanz, Ursache
etc. denkt (welches man tun muss, weil
die Vernunft, in der Sinnenwelt durch lauter Bedingungen,
die immer wiederum bedingt sind, getrieben, ohne das gar keine Befriedigung
haben kann, und welches man auch füglich tun kann, ohne
in den Anthropomorphismus zu geraten, der Prädikate aus der Sinnenwelt auf ein von der Welt ganz unterschiedenes Wesen überträgt,
indem jene Prädikate bloße Kategorien sind, die zwar keinen bestimmten,
aber auch eben dadurch keinen auf Bedingungen der Sinnlichkeit eingeschränkten
Begriff desselben geben): so kann uns nichts hindern, von diesem Wesen
eine Kausalität durch Vernunft in Ansehung der Welt zu prädizieren, und so zum Theismus überzuschreiten, ohne eilen genötigt zu sein, ihm diese Vernunft an
ihm selbst, als eine ihm anklebende Eigenschaft, beizulegen.
Denn, was das erste betrifft,
so ist es der einzige mögliche Weg, den Gebrauch der Vernunft, in Ansehung
aller möglichen Erfahrung, in der Sinnenwelt durchgängig mit sich
einstimmig auf den höchsten Grad
zu treiben, wenn man selbst wiederum eine höchste
Vernunft als eine Ursache aller Verknüpfungen in der Welt annimmt: ein solches Prinzip muß ihr durchgängig vorteilhaft sein, kann
ihr aber nirgend in ihrem Naturgebrauche schaden.
Zweitens aber wird dadurch doch die Vernunft nicht
als Eigenschaft auf das Urwesen an
sich selbst übertragen, sondern nur auf das
Verhältnis desselben zur Sinnenwelt und also der Anthropomorphismus gänzlich vermieden. Denn hier wird nur die Ursache der Vernunftform betrachtet,
die in der Welt allenthalben angetroffen wird, und dem höchsten
Wesen, so fern es den Grund dieser Vernunftform der Welt enthält, zwar Vernunft beigelegt, aber nur
nach der Analogie, d.i. so fern
dieser Ausdruck nur das Verhältnis anzeigt, was die uns unbekannte oberste
Ursache zur Welt hat, um darin alles im höchsten Grade
vernunftmäßig zu bestimmen. Dadurch wird nun verhütet, daß
wir uns der Eigenschaft der Vernunft nicht bedienen, um Gott, sondern um die
Welt vermittelst derselben so zu denken, als es notwendig ist, um den größtmöglichen
Vernunftgebrauch in Ansehung dieser nach einem Prinzip zu haben.
Wir gestehen dadurch: daß uns das höchste
Wesen nach demjenigen, was es an sich selbst sei, gänzlich
unerforschlich und auf bestimmte Weise
so gar undenkbar sei, und werden dadurch abgehalten, nach unseren Begriffen,
die wir von der Vernunft als einer wirkenden Ursache (vermittelst
des Willens) haben, keinen transzendenten
Gebrauch zu machen, um die göttliche
Natur durch Eigenschaften, die
doch immer nur von der menschlichen Natur entlehnt
sind, zu bestimmen und uns in grobe oder schwärmerische Begriffe zu verlieren,
anderer Seits aber auch nicht die Weltbetrachtung, nach unseren auf Gott übertragenden
Begriffen von der menschlichen Vernunft, mit hyperphysischen Erklärungsarten zu überschwemmen und von ihrer eigentlichen Bestimmung
abzubringen, nach der sie ein Studium der bloßen Natur durch die Vernunft
und nicht eine vermessene Ableitung ihrer Erscheinungen
von einer höchsten Vernunft sein
soll. Der unseren schwachen Begriffen angemessene Ausdruck wird sein: dass wir uns die Welt so denken, als ob sie von einer höchsten
Vernunft ihrem Dasein
und inneren Bestimmung nach abstamme, wodurch wir teils die Beschaffenheit, die ihr, der Welt, selbst
zukommt, erkennen, ohne uns doch anzumaßen, die ihrer Ursache an sich
selbst bestimmen zu wollen, teils anderer Seits in das Verhältnis der
obersten Ursache zur Welt den Grund dieser Beschaffenheit
(der Vernunftform in der Welt) legen, ohne die Welt dazu vor sich selbst
zureichend zu finden.*
*Ich werde sagen: die Kausalität
der obersten Ursache ist dasjenige in Ansehung der Welt, was menschliche Vernunft
in Ansehung ihrer Kunstwerke ist. Dabei bleibt mir die Natur der obersten Ursache
selbst unbekannt: ich vergleiche nur ihre mir bekannte Wirkung (die
Weltordnung) und deren Vernunftmäßigkeit mit den mir bekannten
Wirkungen menschlicher Vernunft, und nenne daher jene eine Vernunft, ohne darum
eben dasselbe, was ich am Menschen unter diesem Ausdruck verstehe, oder sonst
etwas mir Bekanntes ihr als ihre Eigenschaft beizulegen.
Auf solche Weise verschwinden die Schwierigkeiten, die dem Theismus zu widerstehen scheinen, dadurch: daß man mit dem Grundsatze
des Hume, den Gebrauch der Vernunft
nicht über das Feld aller möglichen Erfahrung dogmatisch hinaus zu
treiben, einen anderen Grundsatz verbindet, den Hume gänzlich
übersah, nämlich: das Feld möglicher Erfahrung nicht vor dasjenige,
was in den Augen unserer Vernunft sich selbst begrenzte, anzusehen. Kritik
der Vernunft bezeichnet hier den wahren Mittelweg zwischen dem Dogmatismus,
den Hume bekämpfte, und dem Skeptizismus,
den er dagegen einführen wollte, einen Mittelweg, der nicht, wie andere
Mittelwege, die man gleichsam mechanisch (etwas von einem,
und etwas von dem andern) sich selbst zu bestimmen anrät, und wodurch
kein Mensch eines Besseren belehrt wird, sondern einen solchen, den man nach Prinzipien genau
bestimmen kann. S. 122-128
Aus: Immanuel
Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik §. 58, Felix
Meiner Verlag, Hamburg (PhB Bd.
40)
Des dritten Hauptstücks
zweiter Abschnitt
Von
dem transzendentalen Ideal
(prototypon transscendentale)
Ein jeder Begriff
ist in Ansehung dessen, was in ihm selbst nicht
enthalten ist, unbestimmt, und steht unter dem Grundsatze der Bestimmbarkeit:
daß nur eines, von jeden zweien
einander kontradiktorisch-entgegengesetzten
Prädikaten,
ihm zukommen könne, welcher auf dem Satze
des Widerspruchs beruht, und daher ein bloß logisches
Prinzip ist, das
von allem Inhalte
der Erkenntnis
abstrahiert,
und nichts, als die logische Form
derselben vor Augen hat.
Ein jedes Ding
aber, seiner Möglichkeit nach, steht noch unter dem Grundsatze
der durchgängigen Bestimmung,
nach welchem ihm von allen möglichen
Prädikaten der Dinge, so
fern sie mit ihren Gegenteilen verglichen werden, eines zukommen muß.
Dieses beruht nicht bloß auf dem Satze des Widerspruchs; denn es betrachtet,
außer dem Verhältnis zweier einander widerstreitenden Prädikate,
jedes Ding noch im Verhältnis auf die gesamte
Möglichkeit, als den Inbegriff aller Prädikate der
Dinge überhaupt, und, indem es solche als Bedingung
a priori voraussetzt,
so stellt es ein jedes Ding so vor, wie es von dem Anteil, den es an jener gesamten
Möglichkeit hat, seine eigene Möglichkeit ableite.*
*Es wird also durch diesen Grundsatz
jedes Ding auf ein gemeinschaftliches Correlatum, nämlich die gesamte Möglichkeit,
bezogen, welche, wenn sie (d.i. der Stoff zu allen möglichen
Prädikaten) in der Idee eines einzigen Dinges angetroffen würde,
eine Affinität alles Möglichen durch die Identität des Grundes
der durchgängigen Bestimmung desselben beweisen würde. Die Bestimmbarkeit
eines jeden Begriffs
ist der Allgemeinheit (universalitas)
des Grundsatzes der Ausschließung eines Mittleren zwischen zweien entgegengesetzten
Prädikaten, die Bestimmung aber eines Dinges der Allheit
(universitas) der dem Inbegriffe
aller möglichen Prädikate untergeordnet.
Das Principium der durchgängigen Bestimmung betrifft also den Inhalt und
nicht bloß die logische Form. Es ist der Grundsatz der Synthesis
aller Prädikate, die den vollständigen Begriff von einem Dinge machen
sollen, und nicht bloß der analytischen Vorstellung, durch eines zweier
entgegengesetzten Prädikate, und enthält eine transzendentale
Voraussetzung, nämlich die der Materie zu aller Möglichkeit, welche
a priori die Data zur besonderen Möglichkeit jedes Dinges enthalten soll.
Der Satz: alles Existierende ist durchgängig
bestimmt, bedeutet nicht allein, daß von jedem Paare einander
entgegengesetzter gegebenen,
sondern auch von allen möglichen Prädikaten
ihm immer eines zukomme; es werden durch diesen Satz nicht bloß Prädikate
unter einander logisch, sondern das Ding selbst, mit dem Inbegriffe aller möglichen
Prädikate, transzendental verglichen. Er will so viel sagen, als: um ein
Ding vollständig zu erkennen, muß man alles Mögliche erkennen,
und es dadurch, es sei bejahend oder verneinend, bestimmen. Die durchgängige
Bestimmung ist folglich ein Begriff, den wir niemals in concreto seiner Totalität
nach darstellen können, und gründet sich also auf einer Idee,
welche lediglich in der Vernunft ihren Sitz hat, die dem Verstande
die Regel seines vollständigen Gebrauchs vorschreibt.
Ob nun zwar diese Idee von dem Inbegriffe aller
Möglichkeit, so fern er als Bedingung der durchgängigen
Bestimmung eines jeden Dinges zum Grunde liegt, in Ansehung der Prädikate,
die denselben ausmachen mögen, selbst noch unbestimmt ist, und wir dadurch
nichts weiter als einen Inbegriff aller möglichen Prädikate überhaupt
denken, so finden wir doch bei näherer Untersuchung, daß diese Idee,
als Urbegriff, eine Menge von Prädikaten ausstoße, die als abgeleitet
durch andere schon gegeben sind, oder neben einander nicht stehen können,
und daß sie sich bis zu einem durchgängig a priori bestimmten Begriffe
läutere, und dadurch der Begriff von einem einzelnen Gegenstande werde,
der durch die bloße Idee durchgängig bestimmt ist, mithin ein Ideal
der reinen Vernunft
genannt werden muß.
Wenn wir alle mögliche Prädikate nicht bloß logisch, sondern
transzendental, d.i. nach ihrem Inhalte, der an ihnen a priori gedacht werden
kann, erwägen, so finden wir, daß durch einige derselben ein Sein,
durch andere ein bloßes Nichtsein vorgestellet wird. Die logische Verneinung,
die lediglich durch das Wörtchen: Nicht, angezeigt wird, hängt eigentlich
niemals einem Begriffe, sondern nur dem Verhältnisse desselben zu einem
andern im Urteile an, und kann also dazu bei weitem nicht hinreichend sein,
einen Begriff in Ansehung seines Inhalts zu bezeichnen. Der Ausdruck: Nichtsterblich,
kann gar nicht zu erkennen geben, daß dadurch ein bloßes Nichtsein
am Gegenstande vorgestellet werde, sondern läßt allen Inhalt unberührt.
Eine transzendentale Verneinung bedeutet dagegen das Nichtsein an sich selbst,
dem die transzendentale Bejahung entgegengesetzt wird, welche ein Etwas
ist, dessen Begriff an sich selbst schon ein Sein
ausdrückt, und daher Realität
(Sachheit) genannt wird, weil durch sie allein,
und so weit sie reichet, Gegenstände Etwas (Dinge)
sind, die entgegenstehende Negation hingegen einen bloßen Mangel bedeutet,
und, wo diese allein gedacht wird, die Aufhebung alles Dinges vorgestellt wird.
Nun kann sich niemand eine Verneinung bestimmt denken, ohne daß er die
entgegengesetzte Bejahung zum Grunde liegen habe. Der Blindgeborne kann sich
nicht die mindeste Vorstellung von Finsternis machen, weil er keine vom Lichte
hat, der Wilde nicht von der Armut, weil er den Wohlstand nicht kennt.**
**Die Beobachtungen und Berechnungen
der Sternkundiger haben uns viel Bewundernswürdiges gelehrt, aber das Wichtigste
ist wohl, daß sie uns den Abgrund der Unwissenheit
aufgedeckt haben, den die menschliche Vernunft, ohne diese Kenntnisse,
sich niemals so groß hätte vorstellen können, und worüber
das Nachdenken eine große Veränderung in der Bestimmung der Endabsichten
unseres Vernunftgebrauchs hervorbringen muß.
Der Unwissende hat keinen Begriff von seiner Unwissenheit, weil er keinen von
der Wissenschaft hat, u.s.w. Es sind also auch alle Begriffe der Negationen
abgeleitet, und die Realitäten enthalten die Data und so zu sagen die Materie,
oder den transzendentalen Inhalt, zu der Möglichkeit und durchgängigen
Bestimmung aller Dinge.
Wenn also der durchgängigen Bestimmung in unserer Vernunft ein transzendentales
Substratum zum Grunde gelegt wird, welches gleichsam den ganzen Vorrat des Stoffes,
daher alle mögliche Prädikate der Dinge genommen werden können,
enthält, so ist dieses Substratum nichts anders, als die Idee von einem
All der Realität (omnitudo realitatis).
Alle wahre Verneinungen sind alsdenn nichts als Schranken,
welches sie nicht genannt werden könnten, wenn nicht das Unbeschränkte
(das All) zum Grunde läge.
Es ist aber auch durch diesen Allbesitz der Realität der Begriff eines
Dinges an sich selbst, als durchgängig
bestimmt, vorgestellt, und der Begriff eines entis realissimi ist der Begriff
eines einzelnen Wesens, weil von allen möglichen entgegengesetzten Prädikaten
eines, nämlich das, was zum Sein schlechthin gehört, in seiner Bestimmung
angetroffen wird. Also ist es ein transzendentales Ideal,
welches der durchgängigen Bestimmung, die notwendig bei allem, was existiert,
angetroffen wird, zum Grunde liegt, und die oberste und vollständige materiale
Bedingung seiner Möglichkeit ausmacht, auf welcher alles Denken der Gegenstände
überhaupt ihrem Inhalte nach zurückgeführt werden muss.
Es ist aber auch das einzige eigentliche Ideal, dessen die menschliche Vernunft
fähig ist; weil nur in diesem einzigen Falle ein an sich allgemeiner Begriff
von einem Dinge durch sich selbst durchgängig bestimmt, und als die Vorstellung
von einem Individuum erkannt wird.
Die logische Bestimmung eines Begriffs durch die Vernunft beruht auf einem disjunktiven
Vernunftschlusse, in welchem der Obersatz eine logische Einteilung (die
Teilung der Sphäre eines allgemeinen Begriffs) enthält, der
Untersatz diese Sphäre bis auf einen Teil einschränkt und der Schlußsatz
den Begriff durch diesen bestimmt. Der allgemeine Begriff einer Realität
überhaupt kann a priori nicht eingeteilt werden, weil man ohne Erfahrung
keine bestimmte Arten von Realität kennt, die unter jener Gattung enthalten
wären. Also ist der transzendentale Obersatz der durchgängigen Bestimmung
aller Dinge nichts anders, als die Vorstellung des Inbegriffs aller Realität,
nicht bloß ein Begriff, der alle Prädikate ihrem transzendentalen
Inhalte nach unter sich, sondern
der sie in sich begreift, und
die durchgängige Bestimmung eines jeden Dinges beruht auf der Einschränkung
dieses All der Realität, indem einiges derselben dem Dinge beigelegt, das
übrige aber ausgeschlossen wird, welches mit dem Entweder
und Oder des disjunktiven
Obersatzes und der Bestimmung des Gegenstandes, durch eins der Glieder dieser
Teilung im Untersatze, übereinkommt. Demnach ist der Gebrauch der Vernunft,
durch den sie das transzendentale Ideal zum Grunde ihrer Bestimmung aller möglichen
Dinge legt, demjenigen analogisch,
nach welchem sie in disjunktiven Vernunftschlüssen verfährt; welches
der Satz war, den ich oben zum Grunde der systematischen
Einteilung
aller transzendentalen Ideen legte, nach welchem sie den drei Arten von Vernunftschlüssen
parallel und korrespondierend erzeugt werden.
Es versteht sich von selbst, daß die Vernunft zu dieser ihrer Absicht,
nämlich sich lediglich die notwendige durchgängige Bestimmung der
Dinge vorzustellen, nicht die Existenz eines solchen Wesens, das dem Ideale
gemäß ist, sondern nur die Idee desselben voraussetze, um von einer
unbedingten Totalität der durchgängigen Bestimmung die bedingte, d.i.
die des Eingeschränkten abzuleiten. Das Ideal ist ihr also das Urbild
(prototypon) aller Dinge, welche insgesamt, als mangelhafte Kopien
(ectypa), den Stoff zu ihrer Möglichkeit
daher nehmen, und, indem sie demselben mehr oder weniger nahe kommen, dennoch
jederzeit unendlich weit daran fehlen, es zu erreichen.
So wird denn alle Möglichkeit der Dinge (der Synthesis
des Mannigfaltigen ihrem Inhalte nach) als abgeleitet und nur allein
die desjenigen, was alle Realität in sich schließt, als ursprünglich
angesehen. Denn alle Verneinungen (welche doch die einzigen
Prädikate sind, wodurch sich alles andere vom realesten Wesen unterscheiden
läßt) sind bloße Einschränkungen einer größeren
und endlich der höchsten Realität, mithin setzen sie diese voraus,
und sind dem Inhalte nach von ihr bloß abgeleitet. Alle Mannigfaltigkeit
der Dinge ist nur eine eben so vielfältige Art, den Begriff der höchsten
Realität, der ihr gemeinschaftliches Substratum ist, einzuschränken,
so wie alle Figuren nur als verschiedene Arten, den unendlichen Raum einzuschränken,
möglich sind. Daher wird der bloß in der Vernunft befindliche Gegenstand
ihres Ideals auch das Urwesen
(ens originarium), so fern es keines über
sich hat, das höchste Wesen
(ens summum), und, so fern alles, als
bedingt, unter ihm steht, das Wesen aller Wesen
(ens entium) genannt. Alles dieses aber
bedeutet nicht das objektive Verhältnis eines wirklichen Gegenstandes zu
andern Dingen, sondern der Idee zu Begriffen,
und läßt uns wegen der Existenz eines Wesens von so ausnehmendem
Vorzuge in völliger Unwissenheit.
Weil man auch nicht sagen kann, daee ein
Urwesen aus viel abgeleiteten Wesen bestehe, indem ein jedes
derselben jenes voraussetzt, mithin es nicht ausmachen kann, so wird das Ideal
des Urwesens auch als einfach gedacht werden müssen.
Die Ableitung aller anderen Möglichkeit von diesem Urwesen
wird daher, genau zu reden, auch nicht
als eine Einschränkung
seiner höchsten Realität und gleichsam als eine Teilung
derselben angesehen werden können; denn alsdenn würde
das Urwesen als ein bloßes
Aggregat von abgeleiteten Wesen angesehen werden, welches nach dem Vorigen unmöglich
ist, ob wir es gleich anfänglich im ersten rohen Schattenrisse so vorstelleten.
Vielmehr würde der Möglichkeit aller Dinge die höchste Realität
als ein Grund und nichts als Inbegriff
zum Grunde liegen, und die Mannigfaltigkeit der ersteren nicht
auf der Einschränkung des Urwesens selbst, sondern seiner vollständigen
Folge beruhen, zu welcher denn auch unsere ganze Sinnlichkeit, samt aller Realität
in der Erscheinung, gehören würde, die zu der Idee des höchsten
Wesens, als ein Ingrediens, nicht gehören kann.
Wenn wir nun dieser unserer Idee, indem wir sie hypostasieren,
so ferner nachgehen, so werden wir das Urwesen
durch den bloßen Begriff der höchsten Realität
als ein einiges, einfaches, allgenugsames, ewiges etc., mit einem Worte, es
in seiner unbedingten Vollständigkeit durch alle Prädikamente bestimmen
können. Der Begriff eines solchen Wesens ist der von Gott,
in transzendentalem Verstande gedacht, und so ist das Ideal der reinen Vernunft
der Gegenstand einer transzendentalen Theologie,
so wie ich es auch oben angeführt habe.
Indessen würde dieser Gebrauch der transzendentalen Idee doch schon die
Grenzen ihrer Bestimmung und Zulässigkeit überschreiten. Denn die
Vernunft legte sie nur, als den Begriff
von aller Realität, der durchgängigen Bestimmung der Dinge überhaupt
zum Grunde, ohne zu verlangen, daß alle diese Realität objektiv gegeben
sei und selbst ein Ding ausmache. Dieses letztere ist eine bloße Erdichtung,
durch welche wir das Mannigfaltige unserer Idee in einem Ideale, als einem besonderen
Wesen, zusammenfassen und realisieren, wozu wir keine Befugnis haben, so gar
nicht einmal, die Möglichkeit einer solchen Hypothese
geradezu anzunehmen, wie denn auch alle Folgerungen, die aus einem solchen Ideale
abfließen, die durchgängige Bestimmung der Dinge überhaupt,
als zu deren Behuf die Idee allein nötig war, nichts angehen, und darauf
nicht den mindesten Einfluß haben.
Es ist nicht genug, das Verfahren unserer Vernunft und ihre Dialektik
zu beschreiben, man muß auch die Quellen derselben zu entdecken suchen,
um diesen Schein
selbst, wie ein Phänomen
des Verstandes, erklären zu können; denn das Ideal, wovon wir reden,
ist auf einer natürlichen und nicht bloß willkürlichen Idee
gegründet. Daher frage ich: wie kommt die Vernunft dazu, alle Möglichkeit
der Dinge als abgeleitet
von einer einzigen, die zum Grunde liegt, nämlich der der höchsten
Realität, anzusehen, und diese sodann, als in einem besonderen Urwesen
enthalten, vorauszusetzen ?
Die Antwort bietet sich aus den Verhandlungen der transzendentalen
Analytik von
selbst dar. Die Möglichkeit der Gegenstände der Sinne ist ein Verhältnis
derselben zu unserm Denken, worin etwas (nämlich
die empirische Form) a priori gedacht werden kann, dasjenige aber, was
die Materie ausmacht,
die Realität in der Erscheinung
(was der Empfindung
entspricht), gegeben sein muß, ohne welches es auch gar nicht gedacht
und mithin seine Möglichkeit nicht vorgestellet werden könnte. Nun
kann ein Gegenstand der Sinne nur durchgängig bestimmt werden, wenn er
mit allen Prädikaten der Erscheinung verglichen und durch dieselbe bejahend
oder verneinend vorgestellet wird. Weil aber darin dasjenige, was das Ding selbst
(in der Erscheinung) ausmacht, nämlich das
Reale, gegeben sein muß, ohne welches es auch gar nicht gedacht werden
könnte; dasjenige aber, worin das Reale aller Erscheinungen gegeben ist,
die einige allbefassende Erfahrung ist: so muss die Materie zur Möglichkeit
aller Gegenstände der Sinne, als in einem Inbegriffe gegeben, vorausgesetzt
werden, auf dessen Einschränkung allein alle Möglichkeit empirischer
Gegenstände, ihr Unterschied von einander und ihre durchgängige Bestimmung,
beruhen kann. Nun können uns in der Tat keine andere Gegenstände,
als die der Sinne, und nirgend, als in dem Kontext einer möglichen Erfahrung
gegeben werden, folglich ist nichts für uns
ein Gegenstand, wenn es nicht den Inbegriff aller empirischen Realität
als Bedingung seiner Möglichkeit voraussetzt. Nach einer natürlichen
Illusion sehen
wir nun das für einen Grundsatz an, der von allen Dingen überhaupt
gelten müsse, welcher eigentlich nur von denen gilt, die als Gegenstände
unserer Sinne gegeben werden. Folglich werden wir das empirische Prinzip unserer
Begriffe der Möglichkeit der Dinge, als Erscheinungen, durch Weglassung
dieser Einschränkung, für ein transzendentales Prinzip der Möglichkeit
der Dinge überhaupt halten.
Daß wir aber hernach diese Idee vom Inbegriffe aller Realität hypostasieren,
kommt daher: weil wir die distributive
Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes in die kollektive
Einheit eines Erfahrungsganzen dialektisch verwandeln, und an diesem Ganzen
der Erscheinung uns ein einzelnes Ding denken, was alle empirische Realität
in sich enthält, welches denn, vermittelst der schon gedachten transzendentalen
Subreption [Erschleichung],
mit dem Begriffe eines Dinges verwechselt wird, was an der Spitze der Möglichkeit
aller Dinge steht, zu deren durchgängiger Bestimmung es die realen Bedingungen
hergibt.***
***Dieses Ideal des allerrealesten
Wesens wird also, ob es zwar eine bloße Vorstellung ist, zuerst realisiert,
d.i. zum Objekt gemacht, darauf hypostasiert,
endlich, durch einen natürlichen Fortschritt der Vernunft zur Vollendung
der Einheit, so gar personifiziert,
wie wir bald anführen werden; weil die regulative Einheit der Erfahrung
nicht auf den Erscheinungen selbst (der Sinnlichkeit allein),
sondern auf der Verknüpfung ihres Mannigfaltigen durch den Verstand
(in einer Apperzeption)
beruht, mithin die Einheit der höchsten Realität und die durchgängige
Bestimmbarkeit (Möglichkeit) aller Dinge in
einem höchsten Verstande, mithin in einer Intelligenz zu liegen scheint.
S. 551-560
Aus: Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. Philosophische
Bibliothek Band 37a, Felix Meiner Verlag, Hamburg
Analyse
der Gottesbeweise
Von
den Beweisgründen der spekulativen Vernunft, auf das Dasein eines höchsten
Wesens zu schließen
Es sind
nur drei Beweisarten vom Dasein Gottes aus spekulativer Vernunft möglich.
Von
der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises vom Dasein Gottes
Von
der Unmöglichkeit eines kosmologischen Beweises vom Dasein Gottes
Der wahre
Abgund für die menschliche Vernunft
Entdeckung
und Erklärung des dialektischen Scheins
in allen transzendentalen Beweisen vom Dasein eines notwendigen
Wesens
Von
der Unmöglichkeit des physikotheologischen Beweises
Kritik
aller Theologie aus spekulativen Prinzipen der Vernunft
Des dritten Hauptstücks Dritter Abschnitt
Von
den Beweisgründen der spekulativen Vernunft, auf das Dasein eines höchsten
Wesens zu schließen
Ungeachtet dieser dringenden Bedürfnis der Vernunft, etwas vorauszusetzen,
was dem Verstande zu der durchgängigen Bestimmung seiner Begriffe vollständig
zum Grunde liegen könne, so bemerkt sie doch das Idealische und bloß
Gedichtete einer solchenVoraussetzung viel zu leicht, als daß sie dadurch
allein überredet werden sollte, ein bloßes Selbstgeschöpf ihres
Denkens sofort für ein wirkliches Wesen anzunehmen, wenn sie nicht wodurch
anders gedrungen würde, irgendwo ihren Ruhestand, in dem Regressus vom
Bedingten, das gegeben ist, zum Unbedingten, zu suchen, das zwar an sich und
seinem bloßen Begriff nach nicht als wirklich gegeben ist, welches aber
allein die Reihe der zu ihren Gründen hinausgeführten Bedingungen
vollenden kann. Dieses ist nun der natürliche Gang, den jede menschliche
Vernunft, selbst die gemeineste, nimmt, obgleich nicht eine jede in demselben
aushält. Sie fängt nicht von Begriffen, sondern von der gemeinen Erfahrung
an, und legt also etwas Existierendes zum Grunde. Dieser Boden aber sinkt, wenn
er nicht auf dem unbeweglichen Felsen des Absolutnotwendigen ruhet. Dieser selber
aber schwebt ohne Stütze, wenn noch außer und unter ihm leerer Raum
ist, und er nicht selbst alles erfüllet und dadurch keinen Platz zum Warum
mehr übrig läßt, d.i. der Realität nach unendlich ist.
Wenn etwas,
was es auch sei, existiert, so muß auch eingeräumt werden, daß
irgend etwas n o
t w e n d i g e r w e i s e existiere.
Denn das Zufällige existiert nur unter der Bedingung eines anderen, als
seiner Ursache, und von dieser gilt der Schluß fernerhin, bis zu einer
Ursache, die nicht zufällig und eben darum
ohne Bedingung notwendigerweise da ist. Das ist das Argument, worauf die Vernunft
ihren Fortschritt zum Urwesen gründet.
Nun sieht sich die Vernunft nach dem Begriffe eines Wesens um, das sich zu einem
solchen Vorzuge der Existenz, als die unbedingte Notwendigkeit, schicke, nicht
so wohl, um alsdenn von dem Begriffe desselben a priori auf sein Dasein zu schließen
(denn, getrauete sie sich dieses, so dürfte sie überhaupt nur unter
bloßen Begriffen forschen, und hätte nicht nötig,ein gegebenes
Dasein zum Grunde zu legen), sondern nur, um unter allen Begriffen möglicher
Dinge denjenigen zu finden, der nichts der absoluten Notwendigkeit Widerstreitendes
in sich hat. Denn, daß doch irgend etwas schlechthin notwendig existieren
müsse, hält sie nach dem ersteren Schlusse schon für ausgemacht.
Wenn sie nun alles wegschaffen kann, was sich mit dieser Notwendigkeit nicht
verträgt, außer einem: so ist dieses das schlechthinnotwendige
Wesen, man mag nun die Notwendigkeit desselben begreifen, d.i. aus seinem
Begriffe allein ableiten können, oder nicht.
Nun scheint dasjenige, dessen Begriff zu allem Warum das Darum in sich enthält,
das in keinem Stücke und in keiner Absicht defekt ist, welches allerwärts
als Bedingung hinreicht, eben darum das zur absoluten Notwendigkeit schickliche
Wesen zu sein, weil es, bei dem Selbstbesitz aller Bedingungen zu allem Möglichen,
selbst keiner Bedingung bedarf, ja derselben nicht einmal fähig ist, folglich,
wenigstens in einem Stücke, dem Begriffe der unbedingten Notwendigkeit
ein Genüge tut, darin es kein anderer Begriff ihm gleichtun kann, der,
weil er mangelhaft und der Ergänzung bedürftig ist, kein solches Merkmal
der Unabhängigkeit von allen ferneren Bedingungen an sich zeigt. Es ist
wahr, daß hieraus noch nicht sicher gefolgert werden könne, daß,
was nicht die höchste und in aller Absicht vollständige Bedingung
in sich enthält, darum selbst seiner Existenz nach bedingt sein müsse;
aber es hat denn doch das einzige Merkzeichen des unbedingten Daseins nicht
an sich, dessen die Vernunft mächtig ist, um durch einen Begriff a priori
irgend ein Wesen als unbedingt zu erkennen.
Der Begriff eines Wesens von der höchsten Realität
würde sich also unter allen Begriffen möglicher Dinge zu dem Begriffe
eines unbedingtnotwendigen Wesens am besten schicken, und, wenn er diesem
auch nicht völlig genugtut, so haben wir doch keine Wahl, sondern sehen
uns genötigt, uns an ihn zu halten, weil wir die Existenz eines notwendigen
Wesens nicht in den Wind schlagen dürfen, geben wir sie aber zu, doch in
dem ganzen Felde der Möglichkeit nichts finden können, was auf einen
solchen Vorzug im Dasein einen gegründetem Anspruch machen könnte.
So ist also der natürliche Gang der menschlichen
Vernunft beschaffen. Zuerst überzeugt sie sich
vom Dasein i r g e n d e i n e s notwendigen
Wesens. In diesem erkennt sie eine unbedingte Existenz. Nun sucht sie
den Begriff des Unabhängigen von aller Bedingung, und findet ihn in dem,
was selbst die zureichende Bedingung zu allem andern ist, d.i. in demjenigen,
was alle Realität enthält. Das All aber
ohne Schranken ist absolute Einheit, und führt den
Begriff eines einigen, nämlich des höchsten Wesens bei sich, und
so schließt sie, daß das höchste Wesen,
als Urgrund aller Dinge, schlechthin notwendiger Weise da sei.
Diesem Begriffe kann eine gewisse Gründlichkeit nicht gestritten werden,
wenn von E n t s c h l i e ß u n g e n die
Rede ist, nämlich, wenn einmal das Dasein irgend eines notwendigen Wesens
zugegeben wird, und man darin übereinkommt, daß man seine Partei
ergreifen müsse, worin man dasselbe setzen wolle; denn alsdann kann man
nicht schicklicher wählen, oder man hat vielmehr keine Wahl, sondern ist
genötigt, der absoluten Einheit der vollständigen Realität, als
dem Urquelle der Möglichkeit, seine Stimme zu geben. Wenn uns aber nichts
treibt, uns zu entschließen, und wir lieber diese ganze Sache dahin gestellt
sein ließen, bis wir durch das volle Gewicht der Beweisgründe zum
Beifalle gezwungen würden, d.i. wenn es bloß um B
e u r t e i l u n g zu tun ist, wie viel wir von dieser Aufgabe
wissen, und was wir uns nur zu wissen schmeicheln: dann erscheint obiger Schluß
bei weitem nicht in so vorteilhafter Gestalt, und bedarf Gunst, um den Mangel
seiner Rechtsansprüche zu ersetzen.
Denn, wenn wir alles so gut sein lassen, wie es hier vor uns liegt, daß
nämlich erstlich von irgend einer gegebenen Existenz (allenfalls auch bloß
meiner eigenen) ein richtiger Schluß auf die Existenz eines unbedingt
notwendigen Wesens stattfinde; zweitens daß ich ein Wesen, welches alle
Realität, mithin auch alle Bedingung enthält, als schlechthin unbedingt
ansehen müsse, folglich der Begriff des Dinges, welches sich zur absoluten
Notwendigkeit schickt, hiedurch gefunden sei: so kann daraus doch gar nicht
geschlossen werden, daß der Begriff eines eingeschränkten Wesens,
das nicht die höchste Realität hat, darum der absoluten Notwendigkeit
widerspreche. Denn, ob ich gleich in seinem Begriffe nicht das Unbedingte antreffe,
was das All der Bedingungen schon bei sich führt, so kann daraus doch gar
nicht gefolgert werden, daß sein Dasein eben darum bedingt sein müsse;
so wie ich in einem hypothetischen Vernunftschlusse nicht sagen kann: wo eine
gewisse Bedingung (nämlich hier der Vollständigkeit nach Begriffen)
nicht ist, da ist auch das Bedingte nicht. Es wird uns vielmehr unbenommen bleiben,
alle übrige eingeschränkte Wesen eben so wohl für unbedingt notwendig
gelten zu lassen, ob wir gleich ihre Notwendigkeit aus dem allgemeinen Begriffe,
den wir von ihnen haben, nicht schließen können. Auf diese Weise
aber hätte dieses Argument uns nicht den mindesten Begriff von Eigenschaften
eines notwendigen Wesens verschafft, und überall gar nichts geleistet.
Gleichwohl bleibt diesem Argumente eine gewisse Wichtigkeit, und ein Ansehen,
das ihm, wegen dieser objektiven Unzulänglichkeit, noch nicht sofort genommen
werden kann. Denn setzt, es gebe Verbindlichkeiten, die in der Idee der Vernunft
ganz richtig, aber ohne alle Realität der Anwendung auf uns selbst, d.i.
ohne Triebfedern sein würden, wo nicht ein höchstes Wesen vorausgesetzt
würde, das den praktischen Gesetzen Wirkung und Nachdruck geben könnte:
so würden wir auch eine Verbindlichkeit haben, den Begriffen zu folgen,
die, wenn sie gleich nicht objektiv zulänglich sein möchten, doch
nach dem Maße unserer Vernunft überwiegend sind, und in Vergleichung
mit denen wir doch nichts Besseres und Überführenderes erkennen. Die
Pflicht, zu wählen, würde hier die Unschliessigkeit der Spekulation
durch einen praktischen Zusatz aus dem Gleichgewichte bringen, ja die Vernunft
würde bei ihr selbst, als dem nachsehendsten Richter, keine Rechtfertigung
finden, wenn sie unter dringenden Bewegursachen, obzwar nur mangelhafter Einsicht,
diesen Gründen ihres Urteils, über die wir doch wenigstens keine bessere
kennen, nicht gefolgt wäre.
Dieses Argument, ob es gleich in der Tat transzendental ist, indem es auf der
inneren Unzulänglichkeit des Zufälligen beruht, ist doch so einfältig
und natürlich, daß es dem gemeinesten Menschensinne angemessen ist,
so bald dieser nur einmal darauf geführt wird. Man sieht Dinge sich verändern,
entstehen und vergehen; sie müssen also, oder wenigstens ihr Zustand, eine
Ursache haben. Von jeder Ursache aber, die jemals in der Erfahrung gegeben werden
mag, lässt sich eben dieses wiederum fragen. Wohin sollen wir nun die
o b e r s t e Kausalität billiger verlegen, als dahin,
wo auch die höchste Kausalität ist, d.i. in dasjenige Wesen, was zu
der möglichen Wirkung die Zulänglichkeit in sich selbst ursprünglich
enthält, dessen Begriff auch durch den einzigen Zug einer allbefassenden
Vollkommenheit sehr leicht zu Stande kommt. Diese höchste Ursache halten
wir denn für schlechthin notwendig, weil wir es schlechterdings notwendig
finden, bis zu ihr hinaufzusteigen, und keinen Grund, über sie noch weiter
hinaus zu gehen. Daher sehen wir bei allen Völkern durch ihre blindeste
Vielgötterei doch einige Funken des Monotheismus durchschimmern, wozu nicht
Nachdenken und tiefe Spekulation, sondern nur ein nach und nach verständlich
gewordener natürlicher Gang des gemeinen Verstandes geführt hat.Es
sind nur drei Beweisarten vom Dasein Gottes aus spekulativer Vernunft möglich.
Alle Wege, die man in dieser Absicht einschlagen mag, fangen entweder von der
bestimmten Erfahrung und der dadurch erkannten besonderen Beschaffenheit unserer
Sinnenwelt an, und steigen von ihr nach Gesetzen der Kausalität bis zur
höchsten Ursache außer der Welt hinauf; oder sie legen nur unbestimmte
Erfahrung, d.i. irgend ein Dasein, empirisch zum Grunde; oder sie abstrahieren
endlich von aller Erfahrung, und schließen gänzlich a priori aus
bloßen Begriffen auf das Dasein einer höchsten Ursache.
Der erste Beweis ist der physikotheologische,
der zweite der kosmologische,
der dritte der ontologische Beweis.
Mehr gibt es ihrer nicht, und mehr kann es auch nicht geben.
Ich werde dartun: daß die Vernunft, auf dem einen Wege
(dem empirischen) so wenig, als auf dem anderen (dem
transzendentalen), etwas ausrichte, und daß sie vergeblich ihre
Flügel ausspanne, um über die Sinnenwelt durch die bloße Macht
der Spekulation hinaus zu kommen. Was aber die Ordnung betrifft, in welcher
diese Beweisarten der Prüfung vorgelegt werden müssen, so wird sie
gerade die umgekehrte von derjenigen sein, welche die sich nach und nach erweiternde
Vernunft nimmt, und in der wir sie auch zuerst gestellt haben. Denn es wird
sich zeigen: daß, obgleich Erfahrung den ersten Anlaß dazu gibt,
dennoch bloß der transzendentale Begriff die Vernunft in dieser ihrer
Bestrebung leite und in allen solchen Versuchen das Ziel ausstecke, das sie
sich vorgesetzt hat. Ich werde also von der Prüfung des transzendentalen
Beweises anfangen, und nachher sehen, was der Zusatz des Empirischen zur Vergrößerung
seiner Beweiskraft tun könne.Des dritten
Hauptstücks vierter Abschnitt
Von der Unmöglichkeit eines
ontologischen Beweises vom Dasein Gottes
Man sieht aus dem Bisherigen leicht: daß der Begriff eines absolutnotwendigen
Wesens ein reiner Vernunftbegriff, d.i. eine bloße Idee sei, deren objektive
Realität dadurch, daß die Vernunft ihrer bedarf, noch lange nicht
bewiesen ist, welche auch nur auf eine gewisse obzwar unerreichbare Vollständigkeit
Anweisung gibt, und eigentlich mehr dazu dient, den Verstand zu begrenzen, als
ihn auf neue Gegenstände zu erweitern. Es findet sich hier nun das Befremdliche
und Widersinnische, daß der Schluß von einem gegebenen Dasein überhaupt,
auf irgend ein schlechthinnotwendiges Dasein, dringend und richtig zu sein scheint,
und wir gleichwohl alle Bedingungen des Verstandes, sich einen Begriff von einer
solchen Not-wendigkeit zu machen, gänzlich wider uns haben.
Man hat zu aller Zeit von dem absolut notwendigen
Wesen geredet, und sich nicht so wohl Mühe gegeben, zu verstehen,
ob und wie man sich ein Ding von dieser Art auch nur denken könne, als
vielmehr, dessen Dasein zu beweisen. Nun ist zwar eine Namenerklärung von
diesem Begriffe ganz leicht, daß es nämlich so etwas sei, dessen
Nichtsein unmöglich ist; aber man wird hiedurch um nichts klüger,
in Ansehung der Bedingungen, die es unmöglich machen, das Nichtsein eines
Dinges als schlechterdings undenklich anzusehen, und die eigentlich dasjenige
sind, was man wissen will, nämlich, ob wir uns durch diesen Begriff überall
etwas denken, oder nicht. Denn alle Bedingungen, die der Verstand jederzeit
bedarf, um etwas als notwendig anzusehen, vermittelst des Worts: Unbedingt,
wegwerfen, macht mir noch lange nicht verständlich, ob ich alsdann durch
einen Begriff eines Unbedingtnotwendigen noch etwas, oder vielleicht gar nichts
denke.
Noch mehr: diesen auf das bloße Geratewohl gewagten und endlich ganz geläufig
gewordenen Begriff hat man noch dazu durch eine Menge Beispiele zu erklären
geglaubt, so, daß alle weitere Nachfrage wegen seiner Verständlichkeit
ganz unnötig geschienen. Ein jeder Satz der Geometrie, z.B. daß ein
Triangel drei Winkel habe, ist schlechthin notwendig, und so redete man von
einem Gegenstande, der ganz außerhalb der Sphäre unseres Verstandes
liegt, als ob man ganz wohl verstände, was man mit dem Begriffe von ihm
sagen wolle.
Alle vorgegebene Beispiele sind ohne Ausnahme nur von U
r t e i l e n , aber nicht von
D i n g e n und deren Dasein hergenommen.
Die unbedingte Notwendigkeit der Urteile aber ist nicht eine absolute Notwendigkeit
der Sachen. Denn die absolute Notwendigkeit des Urteils ist nur eine bedingte
Notwendigkeit der Sache, oder des Prädikats im Urteile. Der vorige Satz
sagte nicht, daß drei Winkel schlechterdings notwendig sein, sondern,
unter der Bedingung, daß ein Triangel da ist (gegeben
ist), sind auch drei Winkel (in ihm) notwendiger
Weise da. Gleichwohl hat diese logische Notwendigkeit eine so große Macht
ihrer Illusion bewiesen, daß, indem man sich einen Begriff a priori von
einem Dinge gemacht hatte, der so gestellt war, daß man seiner Meinung
nach das Dasein mit in seinen Umfang begriff, man daraus glaubte sicher schließen
zu können, daß, weil dem Objekt dieses Begriffs das Dasein notwendig
zukommt, d.i. unter der Bedingung, daß ich dieses Ding als gegeben (existierend)
setze, auch sein Dasein notwendig (nach der Regel der
Identität) gesetzt werde, und dieses Wesen daher selbst schlechterdingsnotwendig
sei, weil sein Dasein in einem nach Belieben angenommenen Begriffe und unter
der Bedingung, daß ich den Gegenstand desselben setze, mit gedacht wird.
Wenn ich das Prädikat in einem identischen Urteile aufhebe und behalte
das Subjekt, so entspringt ein Widerspruch, und daher sage ich: jenes kommt
diesem notwendiger Weise zu. Hebe ich aber das Subjekt zusamt dem Prädikate
auf, so entspringt kein Widerspruch; denn e s
i s t n i c h t s m e h r, welchem widersprochen werden könnte.
Einen Triangel setzen und doch die drei Winkel desselben aufheben, ist widersprechend;
aber den Triangel samt seinen drei Winkeln aufheben, ist kein Widerspruch. Gerade
ebenso ist es mit dem Begriffe eines absolut notwendigen Wesens bewandt. Wenn
ihr das Dasein desselben aufhebt, so hebt ihr das Ding selbst mit allen seinen
Prädikaten auf; wo soll alsdenn der Widerspruch herkommen? Äußerlich
ist nichts, dem widersprochen würde, denn das Ding soll nicht äußerlich
notwendig sein; innerlich auch nichts, denn ihr habt, durch Aufhebung des Dinges
selbst, alles Innere zugleich aufgehoben. Gott ist allmächtig; das ist
ein notwendiges Urteil. Die Allmacht kann nicht aufgehoben werden, wenn ihr
eine Gottheit, d.i. ein unendliches Wesen, setzt, mit dessen Begriff jener identisch
ist. Wenn ihr aber sagt: Gott ist nicht,
so ist weder die Allmacht, noch irgend ein anderes seiner Prädikate gegeben;
denn sie sind alle zusamt dem Subjekte aufgehoben, und es zeigt sich in diesem
Gedanken nicht der mindeste Widerspruch.
Ihr habt also gesehen, daß, wenn ich das Prädikat eines Urteils zusamt
dem Subjekte aufhebe, niemals ein innerer Widerspruch entspringen könne,
das Prädikat mag auch sein, welches es wolle. Nun bleibt euch keine Ausflucht
übrig, als, ihr müßt sagen: es gibt Subjekte, die gar nicht
aufgehoben werden können, die also bleiben müssen. Das würde
aber eben soviel sagen, als: es gibt schlechterdingsnotwendige Subjekte; eine
Voraussetzung, an deren Richtigkeit ich eben gezweifelt habe, und deren Möglichkeit
ihr mir zeigen wolltet. Denn ich kann mir nicht den geringsten Begriff von einem
Dinge machen, welches, wenn es mit allen seinen Prädikaten aufgehoben würde,
einen Widerspruch zurück ließe, und ohne den Widerspruch habe ich,
durch bloße reine Begriffe a priori, kein Merkmal der Unmöglichkeit.
Wider alle diese allgemeine Schlüsse (deren sich
kein Mensch weigern kann) fordert ihr mich durch einen Fall auf, den
ihr, als einen Beweis durch die Tat, aufstellet: daß es doch einen und
zwar nur diesen Einen Begriff gebe, da das Nichtsein oder das Aufheben seines
Gegenstandes in sich selbst widersprechend sei, und dieses ist der Begriff des
allerrealesten Wesens. Es hat, sagt ihr, alle Realität, und ihr seid berechtigt,
ein solches Wesen als möglich anzunehmen (welches
ich vorjetzt einwillige, obgleich der sich nicht widersprechende Begriff noch
lange nicht die Möglichkeit des Gegenstandes beweist).*
*Der Begriff ist allemal möglich,
wenn er sich nicht widerspricht. Das ist das logische Merkmal der Möglichkeit,
und dadurch wird sein Gegenstand vom nihil negativum unterschieden.
Allein er kann nichts destoweniger ein leerer Begriff sein, wenn die objektive
Realität der Synthesis, dadurch der Begriff erzeugt wird, nicht besonders
dargetan wird; welches aber jederzeit, wie oben gezeigt worden, auf Prinzipien
möglicher Erfahrung und nicht auf dem Grundsatze der Analysis (dem
Satze des Widerspruchs)
beruht. Das ist eine Warnung, von der Möglichkeit der Begriffe (logische)
nicht sofort auf die Möglichkeit der Dinge (reale) zu schließen.
Nun ist unter aller Realität auch das Dasein mit begriffen: Also liegt
das Dasein in dem Begriffe von einem Möglichen. Wird dieses Ding nun aufgehoben,
so wird die innere Möglichkeit des Dinges aufgehoben, welches widersprechend
ist.
Ich antworte: Ihr habt schon einen Widerspruch begangen, wenn ihr in den Begriff
eines Dinges, welches ihr lediglich seiner Möglichkeit nach denken wolltet,
es sei unter welchem versteckten Namen, schon den Begriff seiner Existenz hinein
brachtet. Räumt man euch dieses ein, so habt ihr dem Scheine nach gewonnen
Spiel, in der Tat aber nichts gesagt; denn ihr habt eine bloße Tautologie
begangen. Ich frage euch, ist der Satz: d i e
s e s oder j e n e s D i n g
(welches ich euch als möglich einräume, es mag
sein, welches es wolle) e x i s t i e r
t, ist, sage ich, dieser Satz ein analytischer oder synthetischer
Satz? Wenn er das erstere ist, so tut ihr durch das Dasein des Dinges zu eurem
Gedanken von dem Dinge nichts hinzu, aber alsdann müßte entweder
der Gedanke, der in euch ist, das Ding selber sein, oder ihr habt ein Dasein,
als zur Möglichkeit gehörig, vorausgesetzt, und alsdann das Dasein
dem Vorgeben nach aus der inneren Möglichkeit geschlossen, welches nichts
als eine elende Tautologie ist. Das Wort: Realität, welches im Begriffe
des Dinges anders klingt, als Existenz im Begriffe desPrädikats, macht
es nicht aus. Denn, wenn ihr auch alles Setzen (unbestimmt
was ihr setzt) Realität nennt, so habt ihr das Ding schon mit allen
seinen Prädikaten im Begriffe des Subjekts gesetzt und als wirklich angenommen,
und im Prädikate wiederholt ihr es nur. Gesteht ihr dagegen, wie es billigermaßen
jeder Vernünftige gestehen muß, daß ein jeder Existenzialsatz
synthetisch sei, wie wollet ihr denn behaupten, daß das Prädikat
der Existenz sich ohne Widerspruch nicht aufheben lasse ? da dieser Vorzug nur
den analytischen, als deren Charakter eben darauf beruht, eigentümlich
zukommt.
Ich würde zwar hoffen, diese grüblerische Argutation, ohne allen Umschweif,
durch eine genaue Bestimmung des Begriffs der Existenz zu nichte zu machen,
wenn ich nicht gefunden hätte, daß die Illusion, in Verwechslung
eines logischen Prädikats mit einem realen (d.i.
der Bestimmung eines Dinges), beinahe alle Belehrung ausschlage. Zum
l o g i s c h e n P r ä d i k a t e kann alles dienen,
was man will, so gar das Subjekt kann von sich selbst prädiziert werden;
denn die Logik abstrahiert von allem Inhalte. Aber die B e s t i m m u n g ist
ein Prädikat, welches über den Begriff des Subjekts hinzukommt und
ihn vergrößert. Sie muß also nicht in ihm schon enthalten sein.
Sein ist offenbar kein reales Prädikat, d.i. ein Begriff von irgend etwas,
was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne. Es ist bloß die
Position eines Dinges, oder gewisser Bestimmungen an sich selbst. Im logischen
Gebrauche ist es lediglich die Kopula eines Urteils. Der Satz:
Gott ist allmächtig,
enthält zwei Begriffe, die ihre Objekte haben: Gott und Allmacht; das Wörtchen:
ist, ist nicht noch ein Prädikat oben ein, sondern nur das, was das Prädikat
beziehungsweise aufs Subjekt setzt.
Nehme ich nun das Subjekt (Gott) mit allen seinen Prädikaten (worunter
auch die Allmacht gehöret) zusammen, und sage: Gott
ist, oder es ist ein Gott, so setze
ich kein neues Prädikat zum Begriffe von Gott, sondern nur das Subjekt
an sich selbst mit allen seinen Prädikaten,und zwar den Gegenstand
in Beziehung auf meinen B e g
r i f f. Beide müssen genau einerlei enthalten, und es
kann daher zu dem Begriffe, der bloß die Möglichkeit ausdrückt,
darum, daß ich dessen Gegenstand als schlechthin gegeben (durch den Ausdruck:
er ist) denke, nichts weiter hinzukommen. Und so enthält das Wirkliche
nichts mehr als das bloß Mögliche. Hundert wirkliche Taler enthalten
nicht das mindeste mehr, als hundert mögliche. Denn, da diese den Begriff,
jene aber den Gegenstand und dessen Position an sich selbst bedeuten, so würde,
im Fall dieser mehr enthielte als jener, mein Begriff nicht den ganzen Gegenstand
ausdrücken, und also auch nicht der angemessene Begriff von ihm sein. Aber
in meinem Vermögenszustande ist mehr bei hundert wirklichen Talern, als
bei dem bloßen Begriffe derselben (d.i. ihrer Möglichkeit). Denn
der Gegenstand ist bei der Wirklichkeit nicht bloß in meinem Begriffe
analytisch enthalten, sondern kommt zu meinem Begriffe (der eine Bestimmung
meines Zustandes ist) synthetisch hinzu, ohne daß, durch dieses Sein außerhalb
meinem Begriffe, diese gedachte hundert Taler selbst im min-desten vermehrt
werden.
Wenn ich also ein Ding, durch welche und wie viel Prädikate ich will (selbst
in der durchgängigen Bestimmung), denke, so kommt dadurch, daß ich
noch hinzusetze, dieses Ding ist, nicht das mindeste zu dem Dinge hinzu. Denn
sonst würde nicht eben dasselbe, sondern mehr existieren, als ich im Begriffe
gedacht hatte, und ich könnte nicht sagen, daß gerade der Gegenstand
meines Begriffs existiere. Denke ich mir auch sogar in einem Dinge alle Realität
außer einer, so kommt dadurch, daß ich sage, ein solches mangelhaftes
Ding existiert, die fehlende Realität nicht hinzu, sondern es existiert
gerade mit demselben Mangel behaftet, als ich es gedacht habe, sonst würde
etwas anderes, als ich dachte, existieren. Denke ich mir nun ein Wesen als die
höchste Realität (ohne Mangel), so bleibt noch immer die Frage, ob
es existiere, oder nicht. Denn, obgleich an meinem Begriffe, von dem möglichen
realen Inhalte eines Dinges überhaupt, nichts fehlt, so fehlt doch noch
etwas an dem Verhältnisse zu meinem ganzen Zustande des Denkens, nämlich
daß die Erkenntnis jenes Objekts auch a posteriori möglich sei. Und
hier zeiget sich auch die Ursache der hiebei obwaltenden Schwierigkeit. Wäre
von einem Gegenstande der Sinne die Rede, so würde ich die Existenz des
Dinges mit dem bloßen Begriffe des Dinges nicht verwechseln können.
Denn durch den Begriff wird der Gegenstand nur mit den allgemeinen Bedingungen
einer möglichen empirischen Erkenntnis überhaupt als einstimmig, durch
die Existenz aber als in dem Kontext der gesamten Erfahrung enthalten gedacht;
da denn durch die Verknüpfung mit dem Inhalte der gesamten Erfahrung der
Begriff vom Gegenstande nicht im mindesten vermehrt wird, unser Denken aber
durch denselben eine mögliche Wahrnehmung mehr bekommt. Wollen wir dagegen
die Existenz durch die reine Kategorie allein denken, so ist kein Wunder, daß
wir kein Merkmal angeben können, sie von der bloßen Möglichkeit
zu unterscheiden.
Unser Begriff von einem Gegenstande mag also enthalten, was und wie viel er
wolle, so müssen wir doch aus ihm herausgehen, um diesem die Existenz zu
erteilen. Bei Gegenständen der Sinne geschieht dieses durch den Zusammenhang
mit irgend einer meiner Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen; aber für
Objekte des reinen Denkens ist ganz und gar kein Mittel, ihr Dasein zu erkennen,
weil es gänzlich a priori erkannt werden müßte, unser Bewußtsein
aller Existenz aber (es sei durch Wahrnehmung unmittelbar, oder durch Schlüsse,
die etwas mit der Wahrnehmung verknüpfen) gehört ganz und gar zur
Einheit der Erfahrung, und eine Existenz außer diesem Felde kann zwar
nicht schlechterdings für un-möglich erklärt werden, sie ist
aber eine Voraussetzung, die wir durch nichts rechtfertigen können.
Der Begriff eines höchsten Wesens ist eine in mancher Absicht sehr nützliche
Idee; sie ist aber eben darum, weil sie bloß Idee ist, ganz unfähig,
um vermittelst ihrer allein unsere Erkenntnis in Ansehung dessen, was existiert,
zu erweitern. Sie vermag nicht einmal so viel, daß sie uns in Ansehung
der Möglichkeit eines Mehreren belehrte. Das analytische Merkmal der Möglichkeit,
das darin besteht, daß bloße Positionen (Realitäten)
keinen Widerspruch erzeugen, kann ihm zwar nicht gestritten werden; da aber
die Verknüpfung aller realen Eigenschaften in einem Dinge eine Synthesis
ist, über deren Möglichkeit wir a priori nicht urteilen können,
weil uns die Realitäten spezifisch nicht gegeben sind, und, wenn dieses
auch geschähe, überall gar kein Urteil darin stattfindet, weil das
Merkmal der Möglichkeit synthetischer Erkenntnisse immer nur in der Erfahrung
gesucht werden muß, zu welcher aber der Gegenstand einer Idee nicht gehören
kann: so hat der berühmte Leibniz bei weitem das nicht geleistet, wessen
er sich schmeichelte, nämlich eines so erhabenen idealischen Wesens Möglichkeit
a priori einsehen zu wollen.
Es ist also an dem so berühmten ontologischen (Cartesianischen) Beweise,
vom Dasein eines höchsten Wesens, aus Begriffen, alle Mühe und Arbeit
verloren, und ein Mensch möchte wohl eben so wenig aus bloßen Ideen
an Einsichten reicher werden, als ein Kaufmann an Vermögen, wenn er, um
seinen Zustand zu verbessern, seinem Kassenbestand einige Nullen anhängen
wollte.Des dritten
Hauptstücks fünfter Abschnitt
Von
der Unmöglichkeit eines kosmologischen Beweises vom Dasein Gottes
Es war etwas ganz Unnatürliches und eine bloße Neuerung des Schulwitzes,
aus einer ganz willkürlich entworfenen Idee das Dasein des ihr entsprechenden
Gegenstandes selbst ausklauben zu wollen. In der Tat würde man es nie auf
diesem Wege versucht haben, wäre nicht die Bedürfnis unserer Vernunft,
zur Existenz überhaupt irgend etwas Notwendiges (bei dem man im Aufsteigen
stehen bleiben könne) anzunehmen, vorhergegangen, und wäre nicht die
Vernunft, da diese Notwendigkeit unbedingt und a priori gewiß sein muß,
gezwungen worden, einen Begriff zu suchen, der, wo möglich, einer solchen
Forderung ein Genüge täte, und ein Dasein völlig a priori zu
erkennen gäbe. Diesen glaubte man nun in der Idee eines allerrealesten
Wesens zu finden, und so wurde diese nur zur bestimmteren Kenntnis desjenigen,
wovon man schon anderweitig überzeugt oder überredet war, es müsse
existieren, nämlich des notwendigen Wesens, gebraucht. Indes verhehlte
man diesen natürlichen Gang der Vernunft, und, anstatt bei diesem Begriffe
zu endigen, versuchte man, von ihm anzufangen, um die Notwendigkeit des Daseins
aus ihm abzuleiten, die er doch nur zu ergänzen bestimmt war. Hieraus entsprang
nun der verunglückte ontologische Beweis, der weder für den natürlichen
und gesunden Verstand, noch für die schulgerechte Prüfung etwas Genugtuendes
bei sich führt.
Der kosmologische Beweis, den
wir jetzt untersuchen wollen, behält die Verknüpfung der absoluten
Notwendigkeit mit der höchsten Realität bei, aber anstatt, wie der
vorige, von der höchsten Realität auf die Notwendigkeit im Dasein
zu schließen, schließt er vielmehr, von der zum voraus gegebenen
unbedingten Notwendigkeit irgend eines Wesens, auf dessen unbegrenzte Realität,
und bringt so fern alles wenigstens in das Geleis einer, ich weiß nicht
ob vernünftigen, oder vernünftelnden, wenigstens natürlichen
Schlußart, welche nicht allein für den gemeinen, sondern auch den
spekulativen Verstand die meiste Überredung bei sich führt; wie sie
denn auch sichtbarlich zu allen Beweisen der natürlichen Theologie die
ersten Grundlinien zieht, denen man jederzeit nachgegangen ist und ferner nachgehen
wird, man mag sie nun durch noch so viel Laubwerk und Schnörkel verzieren
und verstecken, als man immer will. Diesen Beweis, den Leibniz
auch den a contingentia mundi nannte,
wollen wir jetzt vor Augen stellen und der Prüfung unterwerfen.
Er lautet also:
Wenn etwas existiert, so muß auch ein schlechterdings
notwendiges Wesen existieren. Nun existiere, zum mindesten, ich selbst: also
existiert ein absolut notwendiges Wesen.
Der Untersatz enthält eine Erfahrung, der Obersatz die Schlußfolge
aus einer Erfahrung überhaupt auf das Dasein des Notwendigen.**
** Diese Schlußfolge ist zu
bekannt, als daß es nötig wäre, sie hier weitläuftig vorzutragen.
Sie beruht auf dem vermeintlich transzendentalen Naturgesetz der Kausalität:
daß alles Zufällige seine
Ursache habe, die, wenn sie wiederum zufällig ist, eben so wohl eine Ursache
haben muß, bis die Reihe der einander untergeordneten Ursachen sich bei
einer schlechthinnotwendigen Ursache endigen muß, ohne welche sie keine
Vollständigkeit haben würde.
Also hebt der Beweis eigentlich von der Erfahrung an, mithin ist er nicht gänzlich
a priori geführt, oder ontologisch, und weil der Gegenstand aller möglichen
Erfahrung Welt heißt, so wird er darum der kosmologische
Beweis genannt. Da er auch von aller besondern Eigenschaft der
Gegenstände der Erfahrung, dadurch sich diese Welt von jeder möglichen
unterscheiden mag, abstrahiert: so wird er schon in seiner Benennung auch vom
physikotheologischen Beweise unterschieden, welcher
Beobachtungen der besonderen Beschaffenheit dieser unserer Sinnenwelt zu Beweisgründen
braucht.
Nun schließt der Beweis weiter: das notwendige Wesen kann nur auf eine
einzige Art, d.i. in Ansehung aller möglichen entgegengesetzten Prädikate
nur durch eines derselben, bestimmt werden, folglich muß es durch seinen
Begriff d u r c h g ä n g i g bestimmt
sein. Nun ist nur ein einziger Begriff von einem Dinge möglich, der dasselbe
a priori durchgängig bestimmt, nämlich der des entis realissimi: Also
ist der Begriff des allerrealesten Wesens der einzige, dadurch ein notwendiges
Wesen gedacht werden kann, d.i. es existiert ein höchstes Wesen notwendiger
Weise.
In diesem kosmologischen Argumente kommen so viel vernünftelnde Grundsätze
zusammen, daß die spekulative Vernunft hier alle ihre dialektische Kunst
aufgeboten zu haben scheint, um den größtmöglichen transzendentalen
Schein zu Stande zu bringen. Wir wollen ihre Prüfung indessen eine Weile
bei Seite setzen, um nur eine List derselben offenbar zu machen, mit welcher
sie ein altes Argument in verkleideter Gestalt für ein neues aufstellt
und sich auf zweier Zeugen Einstimmung beruft, nämlich einen reinen Vernunftzeugen
und einen anderen von empirischer Beglaubigung, da es doch nur der erstere allein
ist, welcher bloß seinen Anzug und Stimme verändert, um für
einen zweiten gehalten zu werden. Um seinen Grund recht sicher zu legen, fußt
sich dieser Beweis auf Erfahrung und gibt sich dadurch das Ansehen, als sei
er vom ontologischen Beweise unterschieden, der auf lauter reine Begriffe a
priori sein ganzes Vertrauen setzt. Dieser Erfahrung aber bedient sich der kosmologische
Beweis nur, um einen einzigen Schritt zu tun, nämlich zum Dasein eines
notwendigen Wesens überhaupt. Was dieses für Eigenschaften habe, kann
der empirische Beweisgrund nicht lehren, sondern da nimmt die Vernunft gänzlich
von ihm Abschied und forscht hinter lauter Begriffen: was nämlich ein absolutnotwendiges
Wesen überhaupt für Eigenschaften haben müsse, d.i. welches unter
allen möglichen Dingen die erforderlichen Bedingungen
(requisita) zu einer absoluten Notwendigkeit in sich enthalte.
Nun glaubt sie im Begriffe eines allerrealesten Wesens einzig und allein diese
Requisite anzutreffen, und schließt sodann: das ist das schlechterdingsnotwendige
Wesen. Es ist aber klar, daß man hiebei voraussetzt, der Begriff eines
Wesens von der höchsten Realität tue dem Begriffe der absoluten Notwendigkeit
im Dasein völlig genug, d.i. es lasse sich aus jener auf diese schließen;
ein Satz, den das ontologische Argument behauptete, welches man also im kosmologischen
Beweise annimmt und zum Grunde legt, da man es doch hatte vermeiden wollen.
Denn die absolute Notwendigkeit ist ein Dasein aus bloßen Begriffen. Sage
ich nun: der Begriff des entis realissimi ist ein solcher Begriff, und zwar
der einzige, der zu dem notwendigen Dasein passend und ihm adäquat ist:
so muß ich auch einräumen, daß aus ihm das letztere geschlossen
werden könne. Es ist also eigentlich nur der ontologische Beweis aus lauter
Begriffen, der in dem sogenannten kosmologischen alle Beweiskraft enthält,
und die angebliche Erfahrung ist ganz müßig, vielleicht, um uns nur
auf den Begriff der absoluten Notwendigkeit zu führen, nicht aber, um diese
an irgend einem bestimmten Dinge darzutun. Denn sobald wir dieses zur Absicht
haben, müssen wir sofort alle Erfahrung verlassen, und unter reinen Begriffen
suchen, welcher von ihnen wohl die Bedingungen der Möglichkeit eines absolutnotwendigen
Wesens enthalte. Ist aber auf solche Weise nur die Möglichkeit eines solchen
Wesens eingesehen, so ist auch sein Dasein dargetan; denn es heißt so
viel, als: unter allem Möglichen ist Eines, das absolute Notwendigkeit
bei sich führt, d.i. dieses Wesen existiert schlechterdingsnotwendig.
Alle Blendwerke im Schließen entdecken sich am leichtesten, wenn man sie
auf schulgerechte Art vor Augen stellt. Hier ist eine solche Darstellung.
Wenn der Satz richtig ist: ein jedes schlechthinnotwendiges Wesen ist zugleich
das allerrealeste Wesen (als welches der nervus probandi des kosmologischen
Beweises ist): so muß er sich, wie alle bejahende Urteile, wenigstens
per accidens umkehren lassen; also: einige allerrealeste Wesen sind zugleich
schlechthin notwendige Wesen. Nun ist aber ein ens realissimum von einem anderen
in keinem Stücke unterschieden, und, was also von
e i n i g e n unter diesem Begriffe enthaltenen gilt, das gilt
auch von allen. Mithin werde ich's (in diesem Falle) auch s
c h l e c h t h i n umkehren können, d.i. ein jedes allerrealestes
Wesen ist ein notwendiges Wesen. Weil nun dieser Satz bloß aus seinen
Begriffen a priori bestimmt ist: so muß der bloße Begriff des realesten
Wesens auch die absolute Notwendigkeit desselben bei sich führen; welches
eben der ontologische Beweis behauptete, und der kosmologische nicht anerkennen
wollte, gleichwohl aber seinen Schlüssen, obzwar versteckter Weise, unterlegte.
So ist denn der zweite Weg, den die spekulative Vernunft nimmt, um das Dasein
des höchsten Wesens zu beweisen, nicht allein mit dem ersten gleich trüglich,
sondern hat noch dieses Tadelhafte an sich, daß er eine ignoratio elenchi
begeht, indem er uns verheißt, einen neuen Fußsteig zu führen,
aber, nach einem kleinen Umschweif, uns wiederum auf den alten zurückbringt,
den wir seinetwegen verlassen hatten.
Ich habe kurz vorher gesagt, daß in diesem kosmologischen Argumente sich
ein ganzes Nest von dialektischen Anmaßungen verborgen halte, welches
die transzendentale Kritik leicht entdecken und zerstören kann. Ich will
sie jetzt nur anführen und es dem schon geübten Leser überlassen,
den trüglichen Grundsätzen weiter nachzuforschen und sie aufzuheben.
Da befindet sich denn z.B.
1) der transzendentale Grundsatz, vom Zufälligen
auf eine Ursache zu schließen, welcher nur in der Sinnenwelt von Bedeutung
ist, außerhalb derselben aber auch nicht einmal einen Sinn hat. Denn der
bloß intellektuelle Begriff des Zufälligen kann gar keinen synthetischen
Satz, wie den der Kausalität, hervorbringen, und der Grundsatz der letzteren
hat gar keine Bedeutung und kein Merkmal seines Gebrauchs, als nur in der Sinnenwelt;
hier aber sollte er gerade dazu dienen, um über die Sinnenwelt hinaus zu
kommen.
2) Der Schluß, von der Unmöglichkeit einer unendlichen Reihe über
einander gegebener Ursachen in der Sinnenwelt auf eine erste Ursache zu schließen,
wozu uns die Prinzipien des Vernunftgebrauchs selbst in der Erfahrung nicht
berechtigen, vielweniger diesen Grundsatz über dieselbe (wohin diese Kette
gar nicht verlängert werden kann) ausdehnen können.
3) Die falsche Selbstbefriedigung der Vernunft, in Ansehung der Vollendung dieser
Reihe, dadurch, daß man endlich alle Bedingung, ohne welche doch kein
Begriff einer Notwendigkeit stattfinden kann, wegschafft, und, da man alsdenn
nichts weiter begreifen kann, dieses für eine Vollendung seines Begriffs
annimmt.
4) Die Verwechselung der logischen Möglichkeit eines Begriffs von aller
vereinigten Realität (ohne inneren Widerspruch) mit der transzendentalen,
welche ein Principium der Tunlichkeit einer solchen Synthesis bedarf, das aber
wiederum nur auf das Feld möglicher Erfahrungen gehen kann, u.s.w.
Das Kunststück des kosmologischen Beweises zielt bloß darauf ab,
um dem Beweise des Daseins eines notwendigen Wesens a priori durch bloße
Begriffe auszuweichen, der ontologisch geführt werden müßte,
wozu wir uns aber gänzlich unvermögend fühlen. In dieser Absicht
schließen wir aus einem zum Grunde gelegten wirklichen Dasein (einer Erfahrung
überhaupt), so gut es sich will tun lassen, auf irgend eine schlechterdingsnotwendige
Bedingung desselben. Wir haben alsdenn dieser ihre Möglichkeit nicht nötig
zu erklären. Denn, wenn bewiesen ist, daß sie dasei, so ist die Frage
wegen ihrer Möglichkeit ganz unnö-tig. Wollen wir nun dieses notwendige
Wesen nach seiner Beschaffenheit näher bestimmen, so suchen wir nicht dasjenige,
was hinreichend ist, aus seinem Begriffe die Notwendigkeit des Daseins zu begreifen;
denn, könnten wir dieses, so hätten wir keine empirische Voraussetzung
nötig; nein, wir suchen nur die negative Bedingung (conditio sine qua
non), ohne welche ein Wesen nicht absolutnotwendig sein würde. Nun
würde das in aller andern Art von Schlüssen, aus einer gegebenen Folge
auf ihren Grund, wohl angehen; es trifft sich aber hier unglücklicher Weise,
daß die Bedingung, die man zur absoluten Notwendigkeit fordert, nur in
einem einzigen Wesen angetroffen werden kann, welches daher in seinem Begriffe
alles, waszur absoluten Notwendigkeit erforderlich ist, enthalten müßte,
und also einen Schluß a priori auf dieselbe möglich macht; d.i. ich
müßte auch umgekehrt schließen können: welchem Dinge dieser
Begriff (der höchsten Realität) zukommt, das ist schlechterdings notwendig,
und, kann ich so nicht schließen (wie ich denn dieses gestehen muß,
wenn ich den ontologi-schen Beweis vermeiden will), so bin ich auch auf meinem
neuen Wege verunglückt und befinde mich wiederum da, von wo ich ausging.
Der Begriff des höchsten Wesens tut wohl allen Fragen a priori ein Genüge,
die wegen der inneren Bestimmungen eines Dinges können aufgeworfen werden,
und ist darum auch ein Ideal ohne Gleiches, weil der allgemeine Be-griff dasselbe
zugleich als ein Individuum unter allen möglichen Dingen auszeichnet. Er
tut aber der Frage wegen seines eigenen Daseins gar kein Genüge, als warum
es doch eigentlich nur zu tun war, und man konnte auf die Erkundigung dessen,
der das Dasein eines notwendigen Wesens annahm, und nur wissen wollte, welches
denn unter allen Dingen dafür angesehen werden müsse, nicht antworten:
Dies hier ist das notwendige Wesen.
Es mag wohl erlaubt sein, das Dasein eines Wesens von
der höchsten Zulänglichkeit, als Ursache zu allen möglichen Wirkungen,
a n z u n e h m e n, um der Vernunft
die Einheit der Erklärungsgründe, welche sie sucht, zu erleichtern.
Allein, sich so viel herauszunehmen, daß man so gar sage: ein
solches Wesen existiert notwendig, ist nicht mehr die bescheidene Äußerung
einer erlaubten Hypothese, sondern die dreiste Anmaßung einer apodiktischen
Gewißheit; denn, was man als schlechthinnotwendig zu erkennen vorgibt,
davon muß auch die Erkenntnis absolute Notwendigkeit bei sich führen.
Die ganze Aufgabe des transzendentalen Ideals kommt darauf an: entweder zu der
absoluten Notwendigkeit einen Begriff, oder zu dem Begriffe von irgendeinem
Dinge die absolute Notwendigkeit desselben zu finden. Kann man das eine, so
muß man auch das andere können; denn als schlechthinnotwendig erkennt
die Vernunft nur dasjenige, was aus seinem Begriffe notwendig ist. Aber beides
übersteigt gänzlich alle äußerste Bestrebungen, unseren
Verstand über diesen Punkt zu befriedigen, aber auch alle Versuche, ihn
wegen dieses seines Unvermögens zu beruhigen.
Der
wahre Abgund für die menschliche Vernunft
Die unbedingte Notwendigkeit, die wir,
als den letzten Träger aller Dinge, so unentbehrlich bedürfen,
ist der wahre Abgrund für die menschliche Vernunft.
Selbst die Ewigkeit, so schauderhaft erhaben sie auch
ein H a l l e r schildern
mag, macht lange den schwindligen Eindruck nicht auf das Gemüt; denn sie
m i ß t nur die Dauer der Dinge, aber
t r ä g t sie nicht. Man kann sich des Gedanken nicht erwehren,
man kann ihn aber auch nicht ertragen: daß ein Wesen, welches
wir uns auch als das höchste unter allen möglichen vorstellen,
gleichsam zu sich selbst sage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit,
außer mir ist nichts, ohne das, was bloß durch meinen Willen etwas
ist; aber woher bin ich denn? Hier
sinkt alles unter uns, und die größte Vollkommenheit, wie die kleinste,
schwebt ohne Haltung bloß vor der spekulativen Vernunft, der es nichts
kostet, die eine so wie die andere ohne die mindeste Hindernis verschwinden
zu lassen.
Viele Kräfte der Natur, die ihr Dasein durch gewisse Wirkungen äußern,
bleiben für uns unerforschlich; denn wir können ihnen durch Beobachtung
nicht weit genug nachspüren. Das den Erscheinungen zum Grunde liegende
transzendentale Objekt, und mit demselben der Grund, warum unsere Sinnlichkeit
diese vielmehr als andere oberste Bedingungen habe, sind und bleiben für
uns unerforschlich, obzwar die Sache selbst übrigens gegeben, aber nur
nicht eingesehen ist. Ein Ideal der reinen Vernunft kann aber nicht u
n e r f o r s c h l i c h heißen, weil es weiter keine
Beglaubigung seiner Realität aufzuweisen hat, als die Bedürfnis der
Vernunft, vermittelst desselben alle synthetische Einheit zu vollenden. Da es
also nicht einmal als denkbarer Gegenstand gegeben ist, so ist es auch nicht
als ein solcher unerforschlich; vielmehr muß er, als bloße Idee,
in der Natur der Vernunft seinen Sitz und seine Auflösung finden, und also
erforscht werden können; denn eben darin besteht Vernunft, daß wir
von allen unseren Begriffen, Meinungen und Behauptungen, es sei aus objektiven,
oder, wenn sie ein bloßer Schein sind, aus subjektiven Gründen, Rechenschaft
geben können.
Entdeckung
und Erklärung des dialektischen Scheins
in allen transzendentalen Beweisen vom Dasein eines notwendigen
Wesens
Beide bisher geführte Beweise waren transzendental, d.i. unabhängig
von empirischen Prinzipien versucht. Denn, obgleich der kosmologische eine Erfahrung
überhaupt zum Grunde legt, so ist er doch nicht aus irgend einer besonderen
Beschaffenheit derselben, sondern aus reinen Vernunftprinzipien, in Beziehung
auf eine durchs empirische Bewußtsein überhaupt gegebene Existenz,
geführet, und verläßt sogar diese Anleitung, um sich auf lauter
reine Begriffe zu stützen. Was ist nun in diesen transzendentalen Beweisen
die Ursache des dialektischen, aber natürlichen Scheins, welcher die Begriffe
der Notwendigkeit und höchsten Realität verknüpft, und dasjenige,
was doch nur Idee sein kann, realisiert und hypostasiert? Was ist die Ursache
der Unvermeidlichkeit, etwas als an sich notwendig unter den existierenden Dingen
anzunehmen, und doch zugleich vor dem Dasein eines solchen Wesens als einem
Abgrunde zurückzubeben, und wie fängt man es an, daß sich die
Vernunft hierüber selbst verstehe, und, aus dem schwankenden Zustande eines
schüchternen, und immer wiederum zurückgenommenen Beifalls, zur ruhigen
Einsicht gelange?
Es ist etwas überaus Merkwürdiges, daß, wenn man voraussetzt,
etwas existiere, man der Folgerung nicht Umgang haben kann, daß auch irgend
etwas notwendigerweise existiere. Auf diesem ganz natürlichen (obzwar
darum noch nicht sicheren) Schlusse beruhte das kosmologische Argument.
Dagegen mag ich einen Begriff von einem Dinge annehmen, welchen ich will, so
finde ich, daß sein Dasein niemals von mir als schlechterdings notwendig
vorgestellt werden könne, und daß mich nichts hindere, es mag existieren,
was da wolle, das Nichtsein desselben zu denken, mithin ich zwar zu dem Existierenden
überhaupt etwas Notwendiges annehmen müsse, kein einziges Ding aber
selbst als an sich notwendig denken könne. Das heißt: ich kann das
Zurückgehen zu den Bedingungen des Existierens niemals v
o l l e n d e n, ohne ein n o
t w e n d i g e s Wesen anzunehmen, ich kann aber von demselben
niemals a n f a n g e n.
Wenn ich zu existierenden Dingen überhaupt etwas Notwendiges denken muß,
kein Ding aber an sich selbst als notwendig zu denken befugt bin, so folgt daraus
unvermeidlich, daß Notwendigkeit und Zufälligkeit nicht die Dinge
selbst angehen und treffen müsse, weil sonst ein Widerspruch vorgehen würde;
mithin keiner dieser beiden Grundsätze objektiv sei, sondern sie allenfalls
nur subjektive Prinzipien der Vernunft sein können, nämlich einerseits
zu allem, was als existierend gegeben ist, etwas zu suchen, das notwendig ist,
d.i. niemals anderswo als bei einer a priori vollendeten Erklärung aufzuhören,
andererseits aber auch diese Vollendung niemals zu hoffen, d.i. nichts Empirisches
als unbedingt anzunehmen, und sich dadurch fernerer Ableitung zu überheben.
In solcher Bedeutung können beide Grundsätze als bloß heuristisch
und r e g u l a t i v, die nichts
als das formale Interesse der Vernunft besorgen, ganz wohl bei einander bestehen.
Denn der eine sagt, ihr sollt so über die Natur philosophieren, als ob
es zu allem, was zur Existenz gehört, einen notwendigen ersten Grund gebe,
lediglich um systematische Einheit in eure Erkenntnis zu bringen, indem ihr
einer solchen Idee, nämlich einem eingebildeten obersten Grunde, nachgeht;
der andere aber warnt euch, keine einzige Bestimmung, die die Existenz der Dinge
betrifft, für einen solchen obersten Grund, d.i. als absolutnotwendig anzunehmen,
sondern euch noch immer den Weg zur ferneren Ableitung offen zu erhalten, und
sie daher jederzeit noch als bedingt zu behandeln. Wenn aber von uns alles,
was an den Dingen wahrgenommen wird, als bedingt notwendig betrachtet werden
muß: so kann auch kein Ding (das empirisch gegeben
sein mag) als absolutnotwendig angesehen werden.
Es folgt aber hieraus, daß ihr das Absolutnotwendige a
u ß e r h a l b der Welt annehmen müßt; weil
es nur zu einem Prinzip der größtmöglichen Einheit der Erscheinungen,
als deren oberster Grund, dienen soll, und ihr in der Welt niemals dahin gelangen
könnt, weil die zweite Regel euch gebietet, alle empirische Ursachen der
Einheit jederzeit als abgeleitet anzusehen.
Die Philosophen des Altertums sehen alle Form der Natur als zufällig, die
Materie aber, nach dem Urteile der gemeinen Vernunft, als ursprünglich
und notwendig an. Würden sie aber die Materie nicht als Substratum der
Erscheinungen respektiv, sondern a n s i c h s
e l b s t ihrem Dasein nach betrachtet haben, so wäre die
Idee der absoluten Notwendigkeit sogleich verschwunden. Denn es ist nichts,
was die Vernunft an dieses Dasein schlechthin bindet, sondern sie kann solches,
jederzeit und ohne Widerstreit, in Gedanken aufheben; in Gedanken aber lag auch
allein die absolute Notwendigkeit. Es mußte also bei dieser Überredung
ein gewisses regulatives Prinzip zum Grunde liegen. In der Tat ist auch Ausdehnung
und Undurchdringlichkeit (die zusammen den Begriff von Materie ausmachen) das
oberste empirische Principium der Einheit der Erscheinungen, und hat, so fern
als es empirisch unbedingt ist, eine Eigenschaft des regulativen Prinzips an
sich. Gleichwohl, da jede Bestimmung der Materie, welche das Reale derselben
ausmacht, mithin auch die Undurchdringlichkeit, eine Wirkung (Handlung)
ist, die ihre Ursache haben muß, und daher immer noch abgeleitet ist,
so schickt sich die Materie doch nicht zur Idee eines notwendigen Wesens, als
eines Prinzips aller abgeleiteten Einheit; weil jede ihrer realen Eigenschaften,
als abgeleitet, nur bedingt notwendig ist, und also an sich aufgehoben werden
kann, hiemit aber das ganze Dasein der Materie aufgehoben werden würde,
wenn dieses aber nicht geschähe, wir den höchsten Grund der Einheit
empirisch erreicht haben würden, welches durch das zweite regulative Prinzip
verboten wird, so folgt: daß die Materie, und überhaupt, was zur
Welt gehörig ist, zu der Idee eines notwendigen Urwesens, als eines bloßen
Prinzips der größten empirischen Einheit, nicht schicklich sei, sondern
daß es außerhalb der Welt gesetzt werden müsse, da wir denn
die Erscheinungen der Welt und ihr Dasein immer getrost von anderen ableiten
können, als ob es kein notwendiges Wesen gäbe, und dennoch zu der
Vollständigkeit der Ableitung unaufhörlich streben können, als
ob ein solches, als ein oberster Grund, vorausgesetzt wäre.
Das Ideal des höchsten Wesens ist nach diesen Betrachtungen nichts anders,
als ein r e g u l a t i v e s P r i n z i p
der Vernunft, alle Verbindung in der Welt so anzusehen, a
l s o b s i e aus einer allgenugsamen notwendigen Ursache entspränge,
um darauf die Regel einer systematischen und nach allgemeinen Gesetzen notwendigen
Einheit in der Erklärung derselben zu gründen, und ist nicht eine
Behauptung einer an sich notwendigen Existenz. Es ist aber zugleich unvermeidlich,
sich, vermittelst einer transzendentalen Subreption [Erschleichung],
dieses formale Prinzip als konstitutiv vorzustellen, und sich diese Einheit
hypostatisch zu denken. Denn, so wie der Raum, weil er alle Gestalten, die lediglich
verschiedene Einschränkungen desselben sind, ursprünglich möglich
macht, ob er gleich nur ein Prinzipium der Sinnlichkeit ist, dennoch eben darum
für ein schlechterdings notwendiges für sich bestehendes Etwas und
einen a priori an sich selbst gegebenen Gegenstand gehalten wird, so geht es
auch ganz natürlich zu, daß, da die systematische Einheit der Natur
auf keinerlei Weise zum Prinzip des empirischen Gebrauchs unserer Vernunft aufgestellet
werden kann, als so fern wir die Idee eines allerrealesten Wesens, als der obersten
Ursache, zum Grunde legen, diese Idee dadurch als ein wirklicher Gegenstand,
und dieser wiederum, weil er die oberste Bedingung ist, als notwendig vorgestellt,
mithin ein r e g u l a t i v e s
Prinzip in ein k o n s t i t u t i v e s verwandelt
werde; welche Unterschiebung sich dadurch offenbart, daß, wenn ich nun
dieses oberste Wesen, welches respektiv auf die Welt schlechthin (unbedingt)
notwendig war, als Ding für sich betrachte, diese Notwendigkeit keines
Begriffs fähig ist, und also nur als formale Bedingung des Denkens, nicht
aber als materiale und hypostatische Bedingung des Daseins, in meiner Vernunft
anzutreffen gewesen sein müsse.Des dritten
Hauptstücks sechster Abschnitt
Von
der Unmöglichkeit des physikotheologischen Beweises
Wenn denn weder der Begriff von Dingen überhaupt, noch die Erfahrung von
irgend einem D a s e i n ü b e r h a u p t, das, was gefordert wird, leisten
kann, so bleibt noch ein Mittel übrig, zu versuchen, ob nicht eine b e
s t i m m t e E r f a h r u n g, mithin die der Dinge der gegenwärtigen
Welt, ihre Beschaffenheit und Anordnung, einen Beweisgrund abgebe, der uns sicher
zur Überzeugung von dem Dasein eines höchsten Wesens verhelfen könne.
Einen solchen Beweis würden wir den p h y
s i k o t h e o l o g i s c h e n nennen. Sollte dieser auch
unmöglich sein: so ist überall kein genugtuender Beweis aus bloß
spekulativer Vernunft für das Dasein eines Wesens, welches unserer transzendentalen
Idee entspräche, möglich.
Man wird nach allen obigen Bemerkungen bald einsehen, daß der Bescheid
auf diese Nachfrage ganz leicht und bündig erwartet werden könne.
Denn, wie kann jemals Erfahrung gegeben werden, die einer Idee angemessen sein
sollte? Darin besteht eben das Ei-gentümliche der letzteren, daß
ihr niemals irgend eine Erfahrung kongruieren könne. Die transzendentale
Idee von einem notwendigen allgenugsamen Urwesen ist so überschwenglich
groß, so hoch über alles Empirische, das jederzeit bedingt ist, erhaben,
daß man teils niemals Stoff genug in der Erfahrung auftreiben kann, um
einen solchen Begriff zu füllen, teils immer unter dem Bedingten herumtappt,
und stets vergeblichnach dem Unbedingten, wovon uns kein Gesetz irgend einer
empirischen Synthesis ein Beispiel oder dazu die mindeste Leitung gibt, suchen
wird.
Würde das höchste Wesen in dieser Kette der Bedingungen stehen, so
würde es selbst ein Glied der Reihe derselben sein, und, eben so, wie die
niederen Glieder, denen es vorgesetzt ist, noch fernere Untersuchung wegen seines
noch höheren Grundes erfodern. Will man es dagegen von dieser Kette trennen,
und, als ein bloß intelligibeles Wesen, nicht in der Reihe der Naturursachen
mitbegreifen: welche Brücke kann die Vernunft alsdenn wohl schlagen, um
zu demselben zu gelangen? Da alle Gesetze des Überganges von Wirkungen
zu Ursachen, ja alle Synthesis und Erweiterung unserer Erkenntnis überhaupt
auf nichts anderes, als mögliche Erfahrung, mithin bloß auf Gegenstände
der Sinnenwelt gestellt sein und nur in An-
sehung ihrer eine Bedeutung haben können.
Die gegenwärtige Welt eröffnet uns einen so unermeßlichen Schauplatz
von Mannigfaltigkeit, Ordnung, Zweckmäßigkeit und Schönheit,
man mag diese nun in der Unendlichkeit des Raumes, oder in der unbegrenzten
Teilung desselben verfolgen, daß selbst nach den Kenntnissen, welche unser
schwacher Verstand davon hat erwerben können, alle Sprache, über so
viele und unabsehlichgroße Wunder, ihren Nachdruck, alle Zahlen ihre Kraft
zu messen, und selbst unsere Gedanken alle Begrenzung vermissen, so, daß
sich unser Urteil vom Ganzen in ein sprachloses, aber desto beredteres Erstaunen
auflösen muß. Allerwärts sehen wir eine Kette von Wirkungen
und Ursachen, von Zwecken und den Mitteln, Regelmä-ßigkeit im Entstehen
oder Vergehen, und, indem nichts von selbst in den Zustand getreten ist, darin
es sich befindet, so weiset er immer weiter hin nach einem anderen Dinge, als
seiner Ursache, welche gerade eben dieselbe weitere Nachfrage notwendig macht,
so, daß auf solche Weise das ganze All im Abgrunde des Nichts versinken
müßte, nähme man nicht etwas an, das außerhalb diesem
unendlichen Zufälligen, für sich selbst ursprünglich und unabhängig
bestehend, dasselbe hielte, und als die Ursache seines Ursprungs ihm zugleich
seine Fortdauer sicherte. Diese höchste Ursache (in Ansehung aller Dinge
der Welt), wie groß soll man sie sich denken? Die Welt kennen wir nicht
ihrem ganzen Inhalte nach, noch weniger wissen wir ihre Größe durch
die Vergleichung mit allem, was möglich ist, zu schätzen. Was hindert
uns aber, daß, da wir einmal in Absicht auf Kausalität ein äußerstes
und oberstes Wesen bedürfen, wir es nicht zugleich dem Grade der Vollkommenheit
nach ü b e r a l l e s a n d e r e M ö
g l i c h e setzen sollten? welches wir leicht, obzwar freilich
nur durch den zarten Umriß eines abstrakten Begriffs, bewerkstelligen
können, wenn wir uns in ihm, als einer einigen Substanz, alle mögliche
Vollkommenheit vereinigt vorstellen; welcher Begriff der Forderung unserer Vernunft
in der Ersparung der Prinzipien günstig, in sich selbst keinen Widersprüchen
unterworfen und selbst der Erweiterung des Vernunftgebrauchs mitten in der Erfahrung,
durch die Leitung, welche eine solche Idee auf Ordnung und Zweckmäßigkeit
gibt, zuträglich, nirgend aber einer Erfahrung auf entschiedene Art zuwider
ist.
Dieser Beweis verdient jederzeit mit Achtung genannt zu werden. Er ist der älteste,
kläreste und der gemeinen Menschenvernunft am meisten angemessene. Er belebt
das Studium der Natur, so wie er selbst von diesem sein Dasein hat und dadurch
immer neue Kraft bekommt. Er bringt Zwecke und Absichten dahin, wo sie unsere
Beobachtung nicht von selbst entdeckt hätte, und erweitert unsere Naturkenntnisse
durch den Leitfaden einer besonderen Einheit, deren Prinzip außer der
Natur ist. Diese Kenntnisse wirken aber wieder auf ihre Ursache, nämlich
die veranlassende Idee, zurück, und vermehren den Glauben an einen höchsten
Urheber bis zu einer unwiderstehlichen Überzeugung.
Es würde daher nicht allein trostlos, sondern auch ganz umsonst sein, dem
Ansehen dieses Beweises etwas entziehen zu wollen. Die Vernunft, die durch somächtige
und unter ihren Händen immer wachsende, obzwar nur empirische Beweisgründe
unablässig gehoben wird, kann durch keine Zweifel subtiler abgezogener
Spekulation so niedergedrückt werden, daß sie nicht aus jeder grüblerischen
Unentschlossenheit, gleich als aus einem Traume, durch einen Blick, den sie
auf die Wunder der Natur und der Majestät des Weltbaues wirft, gerissen
werden sollte, um sich von Größe zu Größe bis zur allerhöchsten,
vom Bedingten zur Bedingung, bis zum obersten und unbedingten Urheber zu erheben.
Ob wir aber gleich wider die Vernunftmäßigkeit und Nützlichkeit
dieses Verfahrens nichts einzuwenden, sondern es vielmehr zu empfehlen und aufzumuntern
haben, so können wir darum doch die Ansprüche nicht billigen, welche
diese Beweisart auf apodiktische Gewißheit und auf einen gar keiner Gunst
oder fremden Unterstützung bedürftigen Beifallmachen möchte,
und es kann der guten Sache keinesweges schaden, die dogmatische Sprache eines
hohnsprechenden Vernünftlers auf den Ton der Mäßigung und Bescheidenheit,
eines zur Beruhigung hinreichenden, obgleich eben nicht unbedingte Unterwerfung
gebietenden Glaubens, herabzustimmen. Ich behaupte demnach, daß der physikotheologische
Beweis das Dasein eines höchsten Wesens niemals allein dartun könne,
sondern es jederzeit dem ontologischen (welchem er nur zur Introduktion dient)
überlassen müsse, diesen Mangel zu ergänzen, mithin dieser immer
noch den einzig möglichen Beweisgrund
(wofern überall nur ein spekulativer Beweis stattfindet) enthalte,
den keine menschliche Vernunft vorbeigehen kann.
Die Hauptmomente des gedachten physischtheologischen
Beweises sind folgende.
1) In der Welt finden sich allerwärts deutliche Zeichen einer Anordnung
nach bestimmter Absicht, mit großer Weisheit ausgeführt, und in einem
Ganzen von unbeschreiblicher Mannigfaltigkeit des Inhalts sowohl, als auch unbegrenzter
Größe des Umfangs.
2) Den Dingen der Welt ist diese zweckmäßige Anordnung ganz fremd,
und hängt ihnen nur zufällig an, d.i. die Natur verschiedener Dinge
konnte von selbst, durch so vielerlei sich vereinigende Mittel, zu bestimmten
Endabsichten nicht zusammenstimmen, wären sie nicht durch ein anordnendes
vernünftiges Prinzip, nach zum Grunde liegenden Ideen, dazu ganz eigentlich
gewählt und angelegt worden.
3) Es existiert also eine erhabene und weise Ursache (oder mehrere), die nicht
bloß, als blindwirkende allvermögende Natur, durch
F r u c h t b a r keit,
sondern, als Intelligenz, durch F r e i h e i
t die Ursache der Welt sein muß.
4) Die Einheit derselben läßt sich aus der Einheit der wechselseitigen
Beziehung der Teile der Welt, als Glieder von einem künstlichen Bauwerk,
an demjenigen, wohin unsere Beobachtung reicht, mit Gewißheit, weiterhin
aber, nach allen Grundsätzen der Analogie, mit Wahrscheinlichkeit schließen.
Ohne hier mit der natürlichen Vernunft über ihren Schluß zu
schikanieren, da sie aus der Analogie einiger Naturprodukte mit demjenigen,
was menschliche Kunst hervorbringt, wenn sie der Natur Gewalt tut, und sie nötigt,
nicht nach ihren Zwecken zu verfahren, sondern sich in die unsrigen zu schmiegen
(der Ähnlichkeit derselben mit Häusern, Schiffen, Uhren), schließt,
es werde eben eine solche Kausalität, nämlich Verstand und Wille,
bei ihr zum Grunde liegen, wenn sie die innere Möglichkeit der freiwirkenden
Natur (die alle Kunst und vielleicht selbst sogar die Vernunft zuerst möglich
macht), noch von einer anderen obgleich übermenschlichen Kunst ableitet,
welche Schlußart vielleicht die schärfste transz. Kritik nicht aushalten
dürfte: muß man doch gestehen, daß, wenn wir einmal eine Ursache
nennen sollen, wir hier nicht sicherer, als nach der Analogie mit dergleichen
zweckmäßigen Erzeugungen, die die einzigen sind, wovon uns die Ursachen
und Wirkungsart völlig bekannt sind, verfahren können. Die Vernunft
würde es bei sich selbst nicht verantworten können, wenn sie von der
Kausalität, die sie kennt, zu dunkeln und unerweislichen Erklärungsgründen,
die sie nicht kennt, übergehen wollte.
Nach diesem Schlusse müßte die Zweckmäßigkeit und Wohlgereimtheit
so vieler Naturanstalten bloß die Zufälligkeit der Form, aber nicht
der Materie, d.i. der Substanz in der Welt beweisen; denn zu dem letzteren würde
noch erfordert werden, daß bewiesen werden könnte, die Dinge der
Welt wären an sich selbst zu dergleichen Ordnung und Einstimmung, nach
allgemeinen Gesetzen, untauglich, wenn sie nicht, selbst ihrer
Substanz nach, das Produkt einer höchsten Weisheit wären; wozu
aber ganz andere Beweisgründe, als die von der Analogie mit menschlicher
Kunst, erfordert werden würden. Der Beweis könnte also höchstens
einen Weltbaumeister, der durch
die Tauglichkeit des Stoffs, den er bearbeitet, immer sehr eingeschränkt
wäre, aber nicht einen Weltschöpfer,
dessen Idee alles unterworfen ist, dartun, welches zu der großen Absicht,
die man vor Augen hat, nämlich ein allgenugsames Urwesen zu beweisen, bei
weitem nicht hinreichend ist. Wollten wir die Zufälligkeit der Materie
selbst beweisen, so müßten wir zu einem transzendentalen Argumente
unsere Zuflucht nehmen, welches aber hier eben hat vermieden werden sollen.
Der Schluß geht also von der in der Welt so durchgängig zu beobachtenden
Ordnung und Zweckmäßigkeit, als einer durchaus zufälligen Einrichtung,
auf das Dasein einer i h r p r o p o r t i o n i e r t e n Ursache. Der Begriff
dieser Ursache aber muß uns etwas ganz Bestimmtes von ihr zu erkennen
geben, und er kann also kein anderer sein, als der von einem Wesen, das alle
Macht, Weisheit etc., mit einem Worte, alle Vollkommenheit, als ein allgenugsames
Wesen, besitzt. Denn die Prädikate von s e h r g r o ß e r, von erstaunlicher,
von unermeßlicher Macht und Trefflichkeit geben gar keinen bestimmten
Begriff, und sagen eigentlich nicht, was das Ding an sich
selbst sei, sondern sind nur Verhältnisvorstellungen von der Größe
des Gegenstandes, den der Beobachter (der Welt) mit sich selbst und seiner Fassungskraft
vergleicht, und die gleich hochpreisend ausfallen, man mag den Gegenstand vergrößern,
oder das beobachtende Subjekt in Verhältnis auf ihn kleiner machen. Wo
es auf Größe (der Vollkommenheit) eines Dinges überhaupt ankommt,
da gibt es keinen bestimmten Begriff, als den, so die ganze mögliche Vollkommenheit
begreift, und nur das All (omnitudo) der Realität
ist im Begriffe durchgängig bestimmt.
Nun will ich nicht hoffen, daß sich jemand unterwinden sollte, das Verhältnis
der von ihm beobachteten Weltgröße (nach Umfang sowohl als Inhalt)
zur Allmacht, der Weltordnung zur höchsten Weisheit, der Welteinheit zur
absoluten Einheit des Urhebers etc. einzusehen. Also kann die Physikotheologie
keinen bestimmten Begriff von der obersten Weltursache geben, und daher zu einem
Prinzip der Theologie, welche wiederum die Grundlage der Religion ausmachen
soll, nicht hinreichend sein.
Der Schritt zu der absoluten Totalität ist durch den empirischen Weg ganz
und gar unmöglich. Nun tut man ihn doch aber im physischtheologischen Beweise.
Welches Mittels bedient man sich also wohl, über eine so weite Kluft zu
kommen?
Nachdem man bis zur Bewunderung der Größe der Weisheit, der Macht
etc. des Welturhebers gelangt ist, und nicht weiter kommen kann, so verläßt
man auf einmal dieses durch empirische Beweisgründe geführte Argument,
und geht zu der gleich anfangs aus der Ordnung und Zweckmäßigkeit
der Welt geschlossenen Zufälligkeit derselben. Von dieser Zufälligkeit
allein geht man nun, lediglich durch transzendentale Begriffe, zum Dasein eines
Schlechthinnotwendigen, und von dem Begriff der absoluten Notwendigkeit der
ersten Ursache auf den durchgängig bestimmten oder bestimmenden Begriff
desselben, nämlich einer allbefassenden Realität. Also blieb der physischtheologische
Beweis in seiner Unternehmung stecken, sprang in dieser Verlegenheit plötzlich
zu dem kosmologischen Beweise über, und da dieser nur ein versteckter ontologischer
Beweis ist, so vollführte er seine Absicht wirklich bloß durch reine
Vernunft, ob er gleich anfänglich alle Verwandtschaft mit dieser abgeleugnetund
alles auf einleuchtende Beweise aus Erfahrung ausgesetzt hatte.
Die Physikotheologen haben also gar nicht Ursache, gegen die transzendentale
Beweisart so spröde zutun, und auf sie mit dem Eigendünkel hellsehender
Naturkenner, als auf das Spinnengewebe finsterer Grübler, herabzusehen.
Denn, wenn sie sich nur selbst prüfen wollten, so würden sie finden,
daß, nachdem sie eine gute Strecke auf dem Boden der Natur und Erfahrung
fortgegangen sind, und sich gleichwohl immer noch eben so weit von dem Gegenstande
sehen, der ihrer Vernunft entgegen scheint, sie plötzlich diesen Boden
verlassen, und ins Reich bloßer Möglichkeiten übergehen, wo
sie auf den Flügeln der Ideen demjenigen nahe zu kommen hoffen, was sich
aller ihrer empirischen Nachsuchung entzogen hatte. Nachdem sie endlich durch
einen so mächtigen Sprung festen Fuß gefaßt zu haben vermeinen,
so verbreiten sie den nunmehr bestimmten Begriff (in dessen Besitz sie, ohne
zu wissen wie, gekommen sind) über das ganze Feld der Schöpfung, und
erläutern das Ideal, welches lediglich ein Produkt der reinen Vernunft
war, obzwar kümmerlich genug, und weit unter der Würde seines Gegenstandes,
durch Erfahrung, ohne doch gestehen zu wollen, daß sie zu dieser Kenntnis
oder Voraussetzung durch einen andern Fußsteig, als den der Erfahrung,
gelangt sind.
So liegt demnach dem physikotheologischen Beweise der kosmologische, diesem
aber der ontologische Beweis, vom Dasein eines einigen Urwesens als höchsten
Wesens, zum Grunde, und da außer diesen dreien Wegen keiner mehr der spekulativen
Vernunft offen ist, so ist der ontologische Beweis, aus lauter reinen Vernunftbegriffen,
der einzige mögliche, wenn überall nur ein Beweis von einem so weit
über allen empirischen Verstandesgebrauch erhabenen Satze möglich
ist.Des dritten
Hauptstücks siebenter Abschnitt
Kritik
aller Theologie aus spekulativen Prinzipen der Vernunft
Wenn ich unter Theologie die Erkenntnis des Urwesens verstehe, so ist sie entweder
die aus bloßer Vernunft (theologia rationalis)
oder aus Offenbarung (revelata).
Die erstere denkt sich nun ihren Gegenstand entweder bloß durch
reine Vernunft, vermittelst lauter transzendentaler Begriffe
(ens originarium, realissimum, ens entium), und heißt
die transzendentale Theologie, oder durch einen Begriff, den sie aus der Natur
(unserer Seele) entlehnt, als die höchste Intelligenz, und müßte
die natürliche Theologie heißen. Der, so allein eine transzendentale
Theologie einräumt, wird Deist, der, so auch eine natürliche Theologie
annimmt, Theist genannt. Der erstere gibt zu, daß wir allenfalls das Dasein
eines Urwesens durch bloße Vernunft erkennen können, wovon aber unser
Begriff bloß transzendental sei, nämlich nur als von einem Wesen,
das alle Realität hat, die man aber nicht näher bestimmen kann. Der
zweite behauptet, die Vernunft sei im Stande, den Gegenstand nach der Analogie
mit der Natur näher zu bestimmen, nämlich als ein Wesen, das durch
Verstand und Freiheit den Urgrund aller anderen Dinge in sich enthalte. Jener
stellt sich also unter demselben bloß eine Weltursache
(ob durch die Notwendigkeit seiner Natur, oder durch Freiheit, bleibt unentschieden),
dieser einen Welturheber vor.
Die transzendentale Theologie ist entweder diejenige, welche das Dasein des
Urwesens von einer Erfahrung überhaupt (ohne über die Welt, wozu sie
gehört, etwas näher zu bestimmen) abzuleiten gedenkt, und heißt
Kosmotheologie, oder glaubt durch
bloße Begriffe, ohne Beihilfe der mindesten Erfahrung, sein Dasein zu
erkennen, und wird Ontotheologie
genannt.
Die natürliche Theologie
schließt auf die Eigenschaften und das Dasein eines Welturhebers, aus
der Beschaffenheit, der Ordnung und Einheit, die in dieser Welt angetroffen
wird, in welcher zweierlei Kausalität und deren Regel angenommen werden
muß, nämlich Natur und Freiheit. Daher steigt sie von dieser Welt
zur höchsten Intelligenz auf, entweder als dem Prinzip aller natürlichen,
oder aller sittlichen Ordnung und Vollkommenheit. Im ersteren Falle heißt
sie Physikotheologie,
im letzten Moraltheologie.
Da man unter dem Begriffe von Gott nicht etwa bloß eine blindwirkende
ewige Natur, als die Wurzel der Dinge, sondern ein höchstes Wesen, das
durch Verstand und Freiheit der Urheberder Dinge sein soll, zu verstehen gewohnt
ist, und auch dieser Begriff allein uns interessiert, so könnte man, nach
der Strenge, dem Deisten
allen Glauben an Gott absprechen, und ihm lediglich die Behauptung
eines Urwesens, oder obersten Ursache, übrig lassen. Indessen, da niemand
darum, weil er etwas sich nicht zu behaupten getraut, beschuldigt werden darf,
er wolle es gar leugnen, so ist es gelinder und billiger, zu sagen: der
Deist glaube einen
Gott, der Theist aber
einen l e b e n d i g e
n G o t t (summam
intelligentiam). Jetzt wollen wir die möglichen Quellen aller
dieser Versuche der Vernunft aufsuchen.
Ich begnüge mich hier, die theoretische Erkenntnis durch eine solche zu
erklären, wodurch ich erkenne, was d a i
s t, die praktische aber, dadurch ich mir vorstelle, was d
a s e i n s o l l. Diesemnach ist der theoretische Gebrauch
der Vernunft derjenige, durch den ich a priori (als notwendig) erkenne, daß
etwas sei; der praktische aber, durch den a priori erkannt wird, was geschehen
solle. Wenn nun entweder, daß etwas sei, oder geschehen solle, ungezweifelt
gewiß, aber doch nur bedingt ist: so kann doch entweder eine gewisse bestimmte
Bedingung dazu schlechthin notwendig sein, oder sie kann nur als beliebig und
zufällig vorausgesetzt werden. Im ersteren Falle wird die Bedingung postuliert
(per thesin), im zweiten supponiert [unterstellt]
(per hypothesin).
Da es praktische Gesetze gibt, die schlechthin notwendig sind (die moralische),
so muß, wenn diese irgend ein Dasein, als die Bedingung der Möglichkeit
ihrer v e r b i n d e n d e n Kraft,
notwendig voraussetzen, dieses Dasein p o s t u l i e
r t werden, darum, weil das Bedingte, von welchem der Schluß auf
diese bestimmte Bedingung geht, selbst a priori als schlechterdingsnotwendig
erkannt wird. Wir werden künftig von den moralischen Gesetzen zeigen, daß
sie das Dasein eines höchsten Wesens nicht bloß voraussetzen, sondern
auch, da sie in anderweitiger Betrachtung schlechterdings notwendig sind, es
mit Recht, aber freilich nur praktisch, postulieren; jetzt setzen wir diese
Schlußart noch bei Seite.
Da, wenn bloß von dem, was da ist (nicht, was sein soll), die Rede ist,
das Bedingte, welches uns in der Erfahrung gegeben wird, jederzeit auch als
zufällig gedacht wird, so kann die zu ihm gehörige Bedingung daraus
nicht als schlechthinnotwendig erkannt werden, sondern dient nur als eine respektivnotwendige,
oder vielmehr n ö t i g e,
an sich selbst aber und a priori willkürliche Voraussetzung zum
Vernunfterkenntnis des Bedingten. Soll also die absolute Notwendigkeit eines
Dinges im theoretischen Erkenntnisse erkannt werden, so könnte dieses allein
aus Begriffen a priori geschehen, niemals aber als einer Ursache, in Beziehung
auf ein Dasein, das durch Erfahrung gegeben ist.
Eine theoretische Erkenntnis ist s p e k u l a
t i v, wenn sie auf einen Gegenstand, oder solche Begriffe von
einem Gegenstande, geht, wozu man in keiner Erfahrung gelangen kann. Sie wird
der Naturerkenntnis entgegengesetzt, welche auf keine andere Gegenstände
oder Prädikate derselben geht, als die in einer möglichen Erfahrung
gegeben werden können.
Der Grundsatz, von dem, was geschieht (dem Empirischzufälligen), als Wirkung,
auf eine Ursache zu schließen, ist ein Prinzip der N
a t u r e r k e n n t n i s, aber nicht der spekulativen. Denn,
wenn man von ihm, als einem Grundsatze, der die Bedingung möglicher Erfahrung
überhaupt enthält, abstrahiert, und, indem man alles Empirische wegläßt,
ihn vom Zufälligen überhaupt aussagen will, so bleibt nicht die mindeste
Rechtfertigung eines solchen synthetischen Satzes übrig, um daraus zu ersehen,
wie ich von etwas, was da ist, zu etwas davon ganz Verschiedenem (genannt
Ursache) übergehen könne; ja der Begriff einer Ursache verliert
eben so, wie des Zufälligen, in solchem bloß spekulativen Gebrauche,
alle Bedeutung, deren objektive Realität sich in concreto begreiflich machen
lasse.
Wenn man nun vom Dasein der D i n g e
in der Welt auf ihre Ursache schließt, so gehört dieses nicht zum
n a t ü r l i c h e n, sondern
zum s p e k u l a t i v e n Vernunftgebrauch;
weil jener nicht die Dinge selbst (Substanzen), sondern nur das, was geschieht,
also ihre Zustände, als empirisch zufällig, auf irgendeine Ursache
bezieht; daß die Substanz selbst (die Materie) dem Da. sein nach zufällig
sei, würde ein bloß spekulatives Vernunfterkenntnis sein müssen.
Wenn aber auch nur von der Form der Welt, der Art ihrer Verbindung und dem Wechsel
derselben die Rede wäre, ich wollte aber daraus auf eine Ursache schließen,
die von der Welt gänzlich unterschieden ist; so würde dieses wiederum
ein Urteil der bloß spekulativen Vernunft sein, weil der Gegenstand hier
gar kein Objekt einer möglichen Erfahrung ist. Aber alsdann würde
der Grundsatz der Kausalität, der nur innerhalb dem Felde der Erfahrungen
gilt, und außer demselben ohne Gebrauch, ja selbst ohne Bedeutung ist,
von seiner Bestimmung gänzlich abgebracht.
Ich behaupte nun, daß alle Versuche eines bloß spekulativen Gebrauchs
der Vernunft in Ansehung der Theologie gänzlich fruchtlos und ihrer inneren
Beschaffenheit nach null und nichtig sind; daß aber die Prinzipien ihres
Naturgebrauchs ganz und gar auf keine Theologie führen, folglich, wenn
man nicht moralische Gesetze zum Grunde legt, oder zum Leitfaden braucht, es
überall keine Theologie der Vernunft geben könne. Denn alle synthetischen
Grundsätze des Verstandes sind von immanentem Gebrauch; zu der Erkenntnis
eines höchsten Wesens aber wird ein transzendenter Gebrauch derselben erfordert,
wozu unser Verstand gar nicht ausgerüstet ist. Soll das empirisch gültige
Gesetz der Kausalität zu dem Urwesen führen, so müßte dieses
in die Kette der Gegenstände der Erfahrung mitgehoren; alsdann wäre
es aber, wie alle Erscheinungen, selbst wiederum bedingt. Erlaubte man aber
auch den Sprung über die Grenze der Erfahrung hinaus, vermittelst des dynamischen
Gesetzes der Beziehung der Wirkungen auf ihre Ursachen; welchen Begriff kann
uns dieses Verfahren verschaffen? Bei weitem keinen Begriff von einem höchsten
Wesen, uns Erfahrung niemals die größte aller möglichen Wirkungen
(als welche das Zeugnis von ihrer Ursache ablegen soll) darreicht. Soll es uns
erlaubt sein, bloß, um in unserer Vernunft nichts Leeres übrig zu
lassen, diesen Mangel der völligen Bestimmung durch eine bloße Idee
der höchsten Vollkommenheit und ursprünglichen Notwendigkeit auszufüllen:
so kann dieses zwar aus Gunst eingeräumt, aber nicht aus dem Rechte eines
unwiderstehlichen Beweises gefordert werden. Der physischtheologische Beweis
könnte also vielleicht wohl anderen Beweisen (wenn solche zu haben sind)
Nachdruck geben, indem er Spekulation mit Anschauung verknüpft; für
sich selbst aber bereitet er mehr den Verstand zur theologischen Erkenntnis
vor, und gibt ihm dazu eine gerade und natürliche Richtung, als daß
er a l l e i n das Geschäft vollenden könnte.
Man sieht also hieraus wohl, daß transzendentale Fragen nur transzendentale
Antworten, d.i. aus lauter Begriffen a priori ohne die mindeste empirische Beimischung,
erlauben. Die Frage ist hier aber offenbar synthetisch und verlangt eine Erweiterung
unserer Erkenntnis über alle Grenzen der Erfahrung hinaus, nämlich
zu dem Dasein eines Wesens, das unserer bloßen Idee entsprechen soll,
der niemals irgend eine Erfahrung gleichkommen kann. Nun ist, nach unseren obigen
Beweisen, alle synthetische Erkenntnis a priori nur dadurch möglich, daß
sie die formalen Bedingungen einer möglichen Erfahrung ausdrückt,
und alle Grundsätze sind also nur von immanenter Gültigkeit, d.i.
sie beziehen sich lediglich auf Gegenstände empi-rischer Erkenntnis, oder
Erscheinungen. Also wird auch durch transzendentales Verfahren in Absicht auf
die Theologie einer bloß spekulativen Vernunft nichts ausgerichtet.
Wollte man aber lieber alle obige Beweise der Analytik in Zweifel ziehen, als
sich die Überredung von dem Gewichte der so lange gebrauchten Beweisgründe
rauben lassen: so kann man sich doch nicht weigern, der Auffoderung ein Genüge
zu tun, wenn ich verlange, man solle sich wenigstens darüber rechtfertigen,
wie und vermittelst welcher Erleuchtung man sich denn getraue, alle mögliche
Erfahrung durch die Macht bloßer Ideen zu überfliegen. Mit neuen
Beweisen, oder ausgebesserter Arbeit alter Beweise, würde ich bitten, mich
zu verschonen. Denn, ob man zwar hierin eben nicht viel zu wählen hat,
indem endlich doch alle bloß spekulative Beweise auf einen einzigen, nämlich
den ontologischen, hinauslaufen, und ich also eben nicht fürchten darf,
sonderlich durch die Fruchtbarkeit der dogmatischen Verfechter jener sinnenfreien
Vernunft belästigt zu werden; obgleich ich überdem auch, ohne mich
darum sehr streitbar zu dünken, die Ausforderung nicht ausschlagen will,
in jedem Versuche dieser Art den Fehlschluß aufzudecken, und dadurch seine
Anmaßung zu vereiteln: so wird daher doch die Hoffnung besseren Glücks
bei denen, welche einmal dogmatischer Überredungen gewohnt sind, niemals
völlig aufgehoben, und ich halte mich daher an der einzigen billigen Forderung,
daß man sich allgemein und aus der Natur des menschlichen Verstandes,
samt allen übrigen Erkenntnisquellen, darüber rechtfertige, wie man
es anfangen wolle, seine Erkenntnis ganz und gar a priori zu erweitern, und
bis dahin zu erstrecken, wo keine mögliche Erfahrung und mithin kein Mittel
hinreicht, irgend einem von uns selbst ausgedachten Begriffe seine objektive
Realität zu versichern. Wie der Verstand auch zu diesem Begriffe gelanget
sein mag, so kann doch das Dasein des Gegenstandes desselben nicht analytisch
in demselben gefunden werden, weil eben darin die Erkenntnis der E
x i s t e n z des Objekts besteht, daß dieses a u ß
e r dem G e d a n k e n an sich selbst gesetzt ist. Es ist aber gänzlich
unmöglich, aus einem Begriffe von selbst hinaus zu gehen, und, ohne daß
man der empirischen Verknüpfung folgt (wodurch aber
jederzeit nur Erscheinungen gegeben werden), zu Entdeckung neuer Gegenstände
und überschwenglicher Wesen zu gelangen.
Ob aber gleich die Vernunft in ihrem bloß spekulativen Gebrauche zu dieser
so großen Absicht bei weitem nicht zulänglich ist, nämlich zum
Dasein eines obersten Wesens zu gelangen: so hat sie doch darin sehr großen
Nutzen, die Erkenntnis desselben, im Fall sie anders woher geschöpft werden
könnte, zu berichtigen, mit
sich selbst und jeder intelligibelen Absicht einstimmig zu machen, und von allem,
was dem Begriffe eines Urwesens zuwider sein möchte, und aller Beimischung
empirischer Einschränkungen zu reinigen.
Die transzendentale Theologie bleibt demnach, aller ihrer Unzulänglichkeit
ungeachtet, dennoch von wichtigem negativen Gebrauche, und ist eine beständige
Zensur unserer Vernunft, wenn sie bloß mit reinen Ideen zu tun hat, die
eben darum kein anderes, alstranszendentales Richtmaß zulassen. Denn,
wenn ein-mal, in anderweitiger, vielleicht praktischer Beziehung, die V
o r a u s s e t z u n
g eines höchsten und allgenugsamen Wesens, als oberster
Intelligenz, ihre Gültigkeit ohne Widerrede behauptete: so wäre es
von der größten Wichtigkeit, diesen Begriff auf seiner transzendentalen
Seite, als den Begriff eines notwendigen und allerrealesten Wesens, genau zu
bestimmen, und, was der höchsten Realität zuwider ist, was zur bloßen
Erscheinung (dem Anthropomorpahism
im weiteren Verstande) gehört, wegzuschaffen, und zugleich alle
entgegengesetzte Behauptungen, sie mögen nun atheistisch,
oder deistisch,
oder anthropomorphisch
sein, aus dem Wege zu räumen; welches in einer solchen kritischen
Behandlung sehr leicht ist, indem dieselben Gründe, durch welche das Unvermögen
der menschlichen Vernunft, in Ansehung der Behauptung des Daseins eines dergleichen
Wesens, vor Augen gelegt wird, notwendig auch zureichen, um die Untauglichkeit
einer jeden Gegenbehauptung zu beweisen.
Denn, wo will jemand durch reine Spekulation der Vernunft die Einsicht hernehmen,
daß es kein höchstes Wesen, als Urgrund von allem, gebe, oder daß
ihm keine von den Eigenschaften zukomme, welche wir, ihren Folgen nach, als
analogisch mit den dynamischen Realitäten eines denkenden Wesens, uns vorstellen,
oder daß sie, in dem letzteren Falle, auch allen Einschränkungen
unterworfen sein müßten, welche die Sinnlichkeit den Intelligenzen,
die wir durch Erfahrung kennen, unvermeidlich auferlegt.
Das
höchste Wesen
bleibt also für den bloß spekulativen Gebrauch
der Vernunft ein bloßes, aber doch
fehlerfreies Ideal, ein Begriff, welcher die
ganze menschliche Erkenntnis schließt und krönt, dessen
objektive Realität
auf diesem Wege zwar nicht
bewiesen,
aber auch nicht
widerlegt werden kann,
und, wenn es eine Moraltheologie geben sollte, die diesen Mangel ergänzen
kann, so beweiset alsdann die vorher nur problematische transzendentale Theologie
ihre Unentbehrlichkeit, durch Bestimmung ihres Begriffs und unaufhörliche
Zensur einer durch Sinnlichkeit oft genug getäuschten und mit ihren eigenen
Ideen nicht immer einstimmigen Vernunft. Die Notwendigkeit, die Unendlichkeit,
die Einheit, das Dasein außer der Welt (nicht als Weltseele), die Ewigkeit,
ohne Bedingungen der Zeit, die Allgegenwart, ohne Bedingungen des Raumes, die
Allmacht etc. sind lauter transzendentale Prädikate, und daher kann der
gereinigte Begriff derselben, den eine jede Theologie
so sehr nötig hat, bloß aus der transzendentalen gezogen werden.
S.561-604
Aus: Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. Philosophische
Bibliothek Band 37a, Felix Meiner Verlag, Hamburg
Der
einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes
(1763)
Dritte Betrachtung:
Von dem schlechterdings notwendigen Dasein
1. Begriff
der absolut notwendigen Existenz überhaupt
Schlechterdings notwendig ist, dessen Gegenteil an sich selbst
unmöglich ist. [...] Wenn ich nun einen Augenblick nachdenke, weswegen
dasjenige, was sich widerspricht, schlechterdings nichts und unmöglich
sei, so bemerke ich: daß, weil dadurch der Satz des Widerspruchs, der
letzte logische Grund alles Denklichen, aufgehoben wird, alle Möglichkeit
verschwinde, und nichts dabei mehr zu denken sei. Ich nehme daraus alsbald ab,
daß, wenn ich alles Dasein überhaupt aufhebe, und hiedurch der letzte
Realgrund alles Denklichen wegfällt, gleichfalls alle Möglichkeit
verschwindet, und nichts mehr zu denken bleibt. Demnach kann etwas schlechterdings
notwendig sein, entweder wenn durch sein Gegenteil das Formale alles Denklichen
aufgehoben wird, das ist, wenn es sich selbst widerspricht, oder auch, wenn
sein Nichtsein das Materiale zu allem Denklichen, und alle Data dazu aufhebt.
Das erste findet, wie gesagt, niemals beim Dasein statt, und weil kein Drittes
möglich ist, so ist entweder der Begriff von der schlechterdings notwendigen
Existenz gar eintäuschender und falscher Begriff, oder er muß darin
beruhen, daß das Nichtsein eines Dinges zugleich die Verneinung von den
Datis zu allen Denklichen sei. Daß aber dieser Begriff nicht erdichtet,
sondern etwas Wahrhaftes sei, erhellet auf folgende Art. 2.
Es existiert ein schlechterdings notwendiges Wesen
Alle Möglichkeit setzt etwas Wirkliches voraus, worin und wodurch alles
Denkliche gegeben ist. Demnach ist eine gewisse Wirklichkeit, deren Aufhebung
selbst alle innere Möglichkeit überhaupt aufheben würde. Dasjenige
aber, dessen Aufhebung oder Verneinung alle Möglichkeit vertilgt, ist schlechterdings
notwendig. Demnach existiert etwas absolut notwendiger Weise. Bis dahin erhellet,
daß ein Dasein eines oder mehrerer Dinge selbst aller Möglichkeit
zum Grunde liege, und daß dieses Dasein an sich selbst notwendig sei.
Man kann hieraus auch leichtlich den Begriff der Zufälligkeit abnehmen.
Zufällig ist nach der Worterklärung, dessen Gegenteil möglich
ist. Um aber die Sacherklärung davon zu finden, so muß man auf folgende
Art unterscheiden. Im logischen Verstande ist dasjenige, als ein Prädikat,
an einem Subjekte zufällig, dessen Gegenteil demselben nicht widerspricht.
Z. E. Einem Triangel überhaupt ist es zufällig, daß er rechtwinklich
sei. Diese Zufälligkeit findet lediglich bei der Beziehung der Prädikate
zu ihren Subjekten statt, und leidet, weil das Dasein kein Prädikat ist,
auch gar keine Anwendung auf die Existenz. Dagegen ist im Realverstande zufällig
dasjenige, dessen Nichtsein zu denken ist, das ist, dessen Aufhebung nicht alles
Denkliche aufhebt. Wenn demnach die innere Möglichkeit der Dinge ein gewisses
Dasein nicht voraussetzt, so ist dieses zufällig, weil sein Gegenteil die
Möglichkeit nicht aufhebt. Oder: Dasjenige Dasein, wodurch nicht das Materiale
zu allem Denklichen gegeben ist, ohne welches also noch etwas zu denken, das
ist, möglich ist, dessen Gegenteil ist im Realverstande möglich, und
das ist in eben demselben Verstande auch zufällig.3.
Das notwendige Wesen ist einig
Weil das notwendige Wesen den letzten Realgrund aller andern Möglichkeit
enthält, so wird ein jedes andere Ding nur möglich sein, in so fern
es durch ihn alseinen Grund gegeben ist. Demnach kann ein jedes andere Ding
nur als eine Folge von ihm statt finden, und ist also aller andern Dinge Möglichkeit
und Dasein von ihm abhängend. Etwas aber, was selbst abhän-gend ist,
enthält nicht den letzten Realgrund aller Möglichkeit, und ist demnach
nicht schlechterdings notwendig. Mithin können nicht mehrere Dinge absolut
notwendig sein.
Setzet, A sei ein notwendiges Wesen, und B ein anderes. So ist, vermöge
der Erklärung, B nur in so fern möglich, als es durch einen andern
Grund A, als die Folge desselben gegeben ist. Weil aber vermöge der Voraussetzung
B selber notwendig ist, so ist seine Möglichkeit in ihm als ein Prädikat,
und nicht als eine Folge aus einem andern, und doch nur als eine Folge laut
dem vorigen gegeben, welches sich widerspricht.4.
Das notwendige Wesen ist einfach
Daß kein Zusammengesetztes aus viel Substanzen ein schlechterdings notwendiges
Wesen sein könne, erhellet auf folgende Art. Setzet, es sei nur eins seiner
Teile schlechterdings notwendig, so sind die andern nur insgesamt als Folgen
durch ihn möglich, und gehören nicht zu ihm als Nebenteile. Gedenket
euch, es wären mehrere oder alle notwendig, so widerspricht dieses der
vorigen Nummer. Es bleibt demnach nichts übrig, als sie müssen ein
jedes besonders zufällig, alleaber zusammen schlechterdings notwendig existieren.
Nun ist dieses aber unmöglich, weil ein Aggregat vonSubstanzen nicht mehr
Notwendigkeit im Dasein haben kann, als denen Teilen zukommt, und da diesen
gar keine zukommt, sondern ihre Existenz zufällig ist,so würde auch
die des Ganzen zufällig sein. Wenn man gedächte, sich auf die Erklärung
des notwendigen Wesens berufen zu können, so daß man sagte, in jeglichem
derer Teile wären die letzten Data einiger innern Möglichkeit, in
allen zusammen alles Mögliche gegeben, so würde man etwas ganz Ungereimtes,
wenn man sich alsdenn die innere Möglichkeit so gedenket, daß einige
können aufgehoben werden, doch so, daß übrigens, was durch die
andere Teile noch Denkliches gegeben worden, bliebe, so müßte man
sich vorstellen, es sei an sich möglich, daß die innere Möglichkeit
verneinet oder aufgehoben werde. Es ist aber gänzlich undenklich und widersprechend,
daß etwas nichts sei, und dieses will so viel sagen: eine innere Möglichkeit
aufheben ist alles Denkliche vertilgen, woraus erhellet, daß die Data
zu jedem Denklichen in demjenigen Dinge müssen gegeben sein, dessen Aufhebung
auch das Gegenteil aller Möglichkeit ist, daß also, was den letzten
Grund von einer innern Möglichkeit enthält, ihn auch von aller überhaupt
enthalte, mithin dieser Grund nicht in verschiedenen Substanzen verteilt sein
könne.5.
Das notwendige Wesen ist unveränderlich und ewig
Weil selbst seine eigene Möglichkeit, und jede andere dieses Dasein voraussetzt,
so ist keine andere Art der Existenz desselben möglich, das heißt,
es kann das notwendige Wesen nicht auf vielerlei Art existieren. Nämlich
alles, was da ist, ist durchgängig bestimmt, da dieses Wesen nun lediglich
darum möglich ist, weil es existiert, so findet keine Möglichkeit
des-selben statt, außer in so fern es in der Tat da ist; es ist also auf
keine andere Art möglich, als wie es wirklich ist. Demnach kann es nicht
auf andere Art bestimmt oder verändert werden. Sein Nichtsein ist schlechterdings
unmöglich, mithin auch sein Ursprung und Untergang, demnach ist es ewig. 6.
Das notwendige Wesen enthält die höchste Realität
Da die Data zu aller Möglichkeit in ihm anzutreffen sein müssen, entweder
als Bestimmungen desselben, oder als Folgen, die durch ihn als den ersten Realgrund
gegeben sein, so sieht man, daß alle Realität auf eine oder andere
Art durch ihn begriffen sei. Allein eben dieselbe Bestimmungen, durch die dieses
Wesen der höchste Grund ist von anderer möglichen Realität, setzen
in ihm selber den größesten Grad realer Eigenschaften, der nur immer
einem Dinge beiwohnen kann. Weil ein solches Wesen also das realste unter allen
möglichen ist, indem so gar alle andere nur durch dasselbe möglich
sein, so ist dieses nicht sozu verstehen, daß alle mögliche Realität
zu seinen Bestimmungen gehöre. Dieses ist eine Vermengung der Begriffe,
die bis dahin ungemein geherrscht hat. Man erteilt alle Realitäten Gott,
oder dem notwendigen Wesen ohne Unterschied als Prädikate, ohne wahrzunehmen,
daß sie nimmermehr in einem einzigen Subjekt als Bestimmungen neben einander
können stattfinden. Die Undurchdringlichkeit der Körper, die Ausdehnung
u.d.g. können nicht Eigenschaften von demjenigen sein, der da Verstand
und Willen hat. Es ist auch umsonst, eine Ausflucht darin zu suchen, daß
man die gedachte Beschaffenheiten nicht vor wahre Realität halte. Es ist
ohne allen Zweifel der Stoß eines Körpers oder die Kraft des Zusammenhanges
etwas wahrhaftig Positives. Eben so ist der Schmerz in den Empfindungen eines
Geistes nimmermehr eine bloße Beraubung. Ein irriger Gedanke hat eine
solche Vorstellung dem Scheine nach gerechtfertigt. Es heißt, Realität
und Realität widersprechen einander niemals,weil beides wahre Bejahungen
sein; demnach widerstreiten sie auch einander nicht in einem Subjekte. Ob ich
nun gleich einräume, daß hier kein logischer Widerstreit sei, so
ist dadurch doch nicht die Realrepugnanz gehoben. Diese findet jederzeit statt,
wenn etwas als ein Grund die Folge von etwas anderndurch eine reale Entgegensetzung
vernichtigt. Die Bewegungskraft eines Körpers nach einer Direktion, und
die Tendenz mit gleichem Grade in entgegengesetzter stehen nicht im Widerspruche.
Sie sind auch wirklich zugleich in einem Körper möglich. Aber eine
vernichtigt die Realfolge aus der andern, und da sonst von jeder insbesondere
die Folge eine wirkliche Bewegung sein würde, so ist sie jetzt von beiden
zusammen in einem Subjekte 0, das ist, die Folge von diesen entgegen gesetzten
Bewegungskräften ist die Ruhe. Die Ruhe aber ist ohne Zweifel möglich,
woraus man denn auch sieht, daß die Realrepugnanz ganz was anders sei
als die logische, oder der Widerspruch; denn das, was daraus folgt, ist schlechterdings
unmöglich. Nun kann aber in dem allerrealsten Wesen keine Realrepugnanz
oder positiver Widerstreit seiner eigenen Bestimmungen sein, weil die Folge
davon eine Beraubung oder Mangel sein würde, welches seiner höchsten
Realität widerspricht, und da, wenn alle Realitäten in demselben als
Bestimmungen lägen, ein solcher Widerstreit entstehen müßte,
so können sie nicht insgesamt als Prädikate in ihm sein, mithin weil
sie alle durch ihn gegeben sein, so werden sie entweder zu seinen Bestimmungen
oder Folgen gehören.
Es könnte auch beim ersten Anblick scheinen zu folgen: daß, weil
das notwendige Wesen den letzten Realgrund aller andern Möglichkeit enthält,
in ihm auch der Grund der Mängel und Verneinungen derer Wesen der Dinge
liegen müsse, welches, wenn es zugelassen würde, auch den Schluß
veranlassen dürfte, daß es selbst Negationen unter seinen Prädikaten
haben müsse, und nimmermehr nichts als Realität. Allein man richte
nur seine Augen auf den einmal festgesetzten Begriff desselben. In seinem Dasein
ist seine eigene Möglichkeit ursprünglich gegeben. Dadurch, daß
es nun andere Möglichkeiten sein, wovon es den Realgrund enthält,
folgt nach dem Satze des Widerspruchs, daß es nicht die Möglichkeit
des realsten Wesens selber, und daher solche Möglichkeiten, welche Verneinungen
und Mängel enthalten, sein müssen.
Demnach beruhet die Möglichkeit aller andern Dinge, in Ansehung dessen,
was in ihnen real ist, auf dem notwendigen Wesen, als einem Realgrunde, die
Mängel aber darauf, weil es andere Dinge und nicht das Urwesen selber sind,
als einem logischen Grunde.Die Möglichkeit des Körpers, in so fern
er Ausdehnung, Kräfte u. d. g. hat, ist in dem obersten alle Wesen gegründet;
in so ferne ihm die Kraft zu denken gebricht, so liegt diese Verneinung in ihm
selbst, nach dem Satz des Widerspruchs.
In der Tat sind Verneinungen an sich selbst nicht etwas, oder denklich, welches
man sich leichtlich auf folgende Art faßlich machen kann. Setzet nichts
als Negationen, so ist gar nichts gegeben, und kein Etwas, das zu denken wäre.
Verneinungen sind also nur durch die entgegengesetzte Positionen denklich, oder
vielmehr, es sind Positionen möglich, die nicht die größte sein.
Und hierin liegen schon, nach dem Satze der Identität die Verneinungen
selber. Es fällt auch leicht in die Augen, daß alle den Möglichkeiten
anderer Dinge beiwohnende Vereinigungen keinen Realgrund (weil sie nichts Positives
sind), mithin lediglich einen logischen Grund voraussetzen.
Vierte Betrachtung: Beweisgrund
zur Demonstration des Daseins Gottes
1. Das
notwendige Wesen ist ein Geist
Es ist oben bewiesen, daß das notwendige Wesen eine einfache Substanz
sei, imgleichen, daß nicht allein alle andere Realität durch dasselbe,
als einen Grund gegeben sei, sondern auch die größest mögliche,
die in einem Wesen als Bestimmung kann enthalten sein, ihm beiwohne. Nun können
verschiedene Beweise geführt werden, daß hiezu auch die Eigenschaften
des Verstandes und Willens gehören. Denn erstlich, beides ist wahre Realität
und beides kann mit der größest möglichen in einem Dinge beisammen
bestehn, welches letztere man durch ein unmittelbares Urteil des Verstandes
einzuräumen sich gedrungen sieht, ob es zwar nicht füglich zu derjenigen
Deutlic-keit gebracht werden kann, welche logisch vollkommene Beweise erfordern.
Zweitens sind die Eigenschaften eines Geistes, Verstand und Willen, von der
Art, daß wir uns keine Realität denken können, die, in Ermangelung
derselben, einem Wesen eine Ersetzung tun könnte, welche dem Abgang derselben
gleich wäre. Und da diese Eigenschaften also diejenige sind, welche der
höchsten Grade der Realität fähig sein, gleichwohl aber unter
die möglichen gehören, so müßte durch das notwendige Wesen,
als einen Grund, Verstand und Wille, und alle Realität der geistigen Natur
an andern möglich sein, die gleichwohl in ihm selbst nicht als eine Bestimmung
angetroffen würde. Es würde demnach die Folge größer sein
als selbst der Grund. Denn es ist gewiß, daß, wenn das höchste
Wesen nicht selbst Verstand und Willen hat, ein jedes andere, welches durch
ihn mit diesen Eigenschaften gesetzt werde, ohnerachtet es abhängend wäre,
und mancherlei andere Mängel der Macht u.s.w. hätte, gleichwohl in
Ansehung dieser Eigenschaften von der höchsten Art jenem in Realität
vorgehen müßte. Weil nun die Folgeden Grund nicht übertreffen
kann, so müssen Verstand und Wille der notwendigen einfachen Substanz als
Eigenschaften beiwohnen, das ist, sie ist ein Geist.
Drittens, Ordnung, Schönheit, Vollkommenheit in allem, was möglich
ist, setzen ein Wesen voraus, in dessen Eigenschaften entweder diese Beziehungen
gegründet sein, oder doch wenigstens durch welches Wesen die Dinge, diesen
Beziehungen gemäß, als auseinem Hauptgrunde möglich sein. Nun
ist das notwendige Wesen der hinlängliche Realgrund alles andern, was außer
ihm möglich ist, folglich wird in ihm auch diejenige Eigenschaft, durch
welche, diesen Beziehungen gemäß, alles außer ihm wirklich
werden kann, anzutreffen sein. Es scheinet aber, daß der Grund der äußern
Möglichkeit, der Ordnung, Schönheit und Vollkommenheit nicht zureichend
ist, wofernnicht ein dem Verstande gemäßer Wille voraus gesetzt ist.
Also werden diese Eigenschaften dem obersten Wesen müssen beigemessen werden.
Jedermann erkennet, daß, ungeachtet aller Gründe der Hervorbringung
von Pflanzen und Bäumen, dennoch regelmäßige Blumenstücke,
Alleen u. d. g. nur durch einen Verstand, der sie entwirft, und durch einen
Willen, der sie ausführt, möglich sein. Alle Macht oder Hervorbringungskraft,
imgleichen alle andere Data zur Möglichkeit ohne einen Verstand, sind unzulänglich,
die Möglichkeit solcher Ordnung vollständig zu machen.
Aus einem dieser hier angeführten Gründe, oder aus ihnen insgesamt,
wird der Beweis, daß das notwendige Wesen Willen und Verstand haben, mithin
ein Geist sein müsse, hergeleitet werden können. Ich begnüge
mich bloß, den Beweisgrund vollständig zu machen. Meine Absicht ist
nicht, eine förmliche Demonstration darzulegen.
2.
Es ist ein Gott
Es existiert etwas schlechterdings notwendig. Dieses ist einig in seinem Wesen,
einfach in seiner Substanz, ein Geist nach seiner Natur, ewig in seiner Dauer,
unveränderlich in seiner Beschaffenheit, allgenugsam in Ansehung alles
Möglichen und Wirklichen. Es ist ein Gott. Ich gebe hier keine bestimmte
Erklärung von dem Begriffe von Gott. Ich müßte dieses tun, wenn
ich meinen Gegenstand systematisch betrachten wollte. Was ich hier darlege,
soll die Analyse sein, dadurch man sich zur förmlichen Lehrverfassung tüchtig
machen kann. Die Erklärung des Begriffs der Gottheit mag indessen angeordnet
werden, wie man es vor gut findet, so bin ich doch gewiß, daß dasjenige
Wesen, dessen Dasein wir nur eben bewiesen haben, eben dasjenige göttliche
Wesen sei, dessen Unterscheidungszeichen man auf eine oder die andere Art in
die kürzeste Benennung bringen wird.
(Suhrkamp stw 187, Kant: Vorkritische Schriften bis 1768 2, S.642-651 - Der
einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseyns Gottes)
Der erhabenste Gedanke: Gott ist von Ewigkeit zu Ewigkeit
. . .
Gott ist allgenugsam. Was da ist, es sei möglich oder wirklich, das ist
nur etwas, in so ferne es durch ihn gegeben ist. Eine menschliche Sprache kann
den Unendlichen so zu sich selbst reden lassen:
Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, außer mir ist nichts, ohne in so ferne
es durch mich etwas ist. Dieser Gedanke, der erhabenste unter allen, ist noch
sehr vernachlässigt, oder mehrenteils gar nicht berührt worden. Das,
was sich in den Möglichkeiten der Dinge zu Vollkommenheit und Schönheit
in vortrefflichen Planen darbietet, ist als ein vor sich notwendiger Gegenstand
der göttlichen Weisheit, aber nicht selbst als eine Folge von diesem unbegreiflichen
Wesen angesehen worden. Man hat die Abhängigkeit anderer Dinge bloß
auf ihr Dasein eingeschränkt, wodurch ein großer Anteil von so viel
Vollkommenheit jener obersten Natur entzogen, und ich weiß nicht welchem
ewigen Undinge beigemessen wird.
Es ist nur ein
Gott .
. .
Es ist nur ein Gott und nur ein Beweisgrund, durch welchen es möglich ist,
sein Dasein mit der Wahrnehmung derjenigen Notwendigkeit einzusehen, die schlechterdings
alles Gegenteil vernichtigt. Ein Urteil, darauf selbst die Beschaffenheit des
Gegenstandes unmittelbar führen könnte. Alle andere Dinge, welche
irgend da sein, könnten auch nicht sein. Die Erfahrung von zufälligen
Dingen kann demnach keinen tüchtigen Beweisgrund abgeben, das Dasein desjenigen
daraus zu erkennen, von dem es unmöglich ist, daß er nicht sei. Nur
lediglich darin, daß die Verneinung der göttlichen Existenz völlig
nichts ist, liegt der Unterschied seines Daseins von anderer Dinge ihrem. Die
innere Möglichkeit, die Wesen der Dinge sind nun dasjenige, dessen Aufhebung
alles Denkliche vertilgt. Hierin wird also das eigene Merkmal von dem Dasein
des Wesens aller Wesen bestehen. Hierin sucht den Beweistum, und wenn ihr ihn
nicht daselbst anzutreffen vermeint, so schlaget euch von diesem ungebähnten
Fußsteige auf die große Heeresstraße der menschlichen Vernunft.
Es ist durchaus nötig, daß man sich vom Dasein Gottes überzeuge;
es ist aber nicht eben so nötig, daß man es demonstriere.
Aus: Immanuel Kant: Vorkritische Schriften bis 1768
2,. - Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins
Gottes (S.642ff.)
Werkausgabe Band II Herausgegeben
von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Tachenbuch Wissenschaft stw 187
Gott
ist ein Vernunftbegriff
Der Begriff von Gott, und selbst die Überzeugung
von seinem Dasein, kann nur allein in der Vernunft angetroffen
werden, von ihr allein ausgehen, und weder durch Eingebung, noch durch eine
erteilte Nachricht, von noch so großer Auktorität, zuerst in uns
kommen. Widerfährt mir eine unmittelbare Anschauung von einer solchen Art,
als sie mir die Natur, so weit ich sie kenne, gar nicht liefern kann: so muß
doch ein Begriff von Gott zur Richtschnur dienen, ob diese Erscheinung auch
mit allen dem übereinstimme, was zu dem Charakteristischen einer Gottheit
erforderlich ist. Ob ich gleich nun gar nicht einsehe, wie es möglich sei,
daß irgend eine Erscheinung dasjenige auch nur der Qualität nach
darstelle, was sich immer nur denken, niemals aber anschauen läßt:
so ist doch wenigstens so viel klar, daß: um nur
zu urteilen, ob das Gott sei, was mir erscheint, was auf mein Gefühl innerlich
oder äußerlich wirkt, ich ihn an meinen Vernunftbegriff von Gott
halten und darnach prüfen müsse, nicht ob er diesem adäquat sei,
sondern bloß ob er ihm nicht widerspreche. Eben so: wenn auch bei allem,
wodurch er sich mir unmittelbar entdeckte, nichts angetroffen würde, was
jenem Begriffe widerspräche: so würde dennoch diese Erscheinung,
Anschauung, unmittelbare Offenbarung, oder wie man sonst eine solche
Darstellung nennen will, das Dasein eines Wesens
niemals beweisen,
dessen Begriff (wenn er nicht unsicher bestimmt, und daher der Beimischung
alles möglichen Wahnes unterworfen werden soll), Unendlichkeit der Größe
nach zur Unterscheidung von allem Geschöpfe fordert, welchem Begriffe aber
gar keine Erfahrung oder Anschauung adäquat sein, mithin auch niemals das
Dasein eines solchen Wesens unzweideutig beweisen,
kann. Vom Dasein des höchsten Wesens kann also niemand
durch irgend eine Anschauung zuerst überzeugt werden; der Vernunftglaube
muß vorhergehen, und alsdann könnten allenfalls gewisse Erscheinungen
oder Eröffnungen Anlaß zur Untersuchung geben, ob wir das, was zu
uns spricht, oder sich uns darstellt, wohl befugt sind für eine Gottheit
zu halten, und, nach Befinden, jenen Glauben bestätigen.
(Suhrkamp stw 188, Kant: Schriften zur Metaphysik
und Logik 1, S.277-278 - Was heißt: sich im Denken orientieren?)
Von
dem moralischen Beweise des Dasein Gottes
(§87 Kritik der Urteilskraft)
Es gibt eine physische Teleologie, welche
einen für unsere theoretisch reflektierende Urteilskraft hinreichenden
Beweisgrund an die Hand gibt, das Dasein einer verständigen Weltursache
anzunehmen. Wir finden aber in uns selbst und noch mehr in dem Begriffe eines
vernünftigen, mit Freiheit (seiner Kausalität) begabten Wesens überhaupt
auch eine moralische Teleologie, die aber,
weil die Zweckbeziehung in uns selbst a priori
samt dem Gesetze derselben bestimmt, mithin als notwendig erkannt werden kann,
zu diesem Behuf keiner verständigen Ursache außer uns für diese
innere Gesetzmäßigkeit bedarf: so wenig als wir bei dem, was wir
in den geometrischen Eigenschaften der Figuren (für allerlei mögliche
Kunstausübung) Zweckmäßiges finden, auf einen ihnen dieses erteilenden
höchsten Verstand hinaussehen dürfen. Aber diese moralische
Teleologie betrifft doch uns als Weltwesen und also mit anderen Dingen in der
Welt verbundene Wesen; auf welche letzteren entweder als Zwecke oder als Gegenstände,
in Ansehung deren wir selbst Endzweck sind, unsere
Beurteilung zu richten, eben dieselben moralischen Gesetze uns zur Vorschrift
machen.
Von dieser moralischen Teleologie nun, welche die Beziehung unserer eigenen
Kausalität auf Zwecke und sogar auf einen Endzweck, der von
uns in der Welt beabsichtigt werden muß, imgleichen die
wechselseitige Beziehung der Welt auf jenen sittlichen Zweck und die äußere
Möglichkeit seiner Ausführung (wozu keine
physische Teleologie uns Anleitung geben kann) betrifft, geht nun die
notwendige Frage aus: ob sie unsere vernünftige Beurteilung nötige,
über die Welt hinauszugehen und zu jener Beziehung der Natur auf das Sittliche
in uns ein verständiges oberstes Prinzip zu
suchen, um die Natur auch in Beziehung auf die moralische innere Gesetzgebung
und deren mögliche Ausführung uns als zweckmäßig vorzustellen.
Folglich gibt es allerdings eine moralische Teleologie, und diese hängt
mit der Nomothetik der Freiheit einerseits
und der der Natur anderseits ebenso notwendig zusammen, als bürgerliche
Gesetzgebung mit der Frage, wo man die exekutive Gewalt suchen soll, und überhaupt
in allem, worin die Vernunft ein Prinzip der Wirklichkeit einer gewissen gesetzmäßigen,
nur nach Ideen möglichen Ordnung der Dinge angeben soll, Zusammenhang ist.
— Wir wollen den Fortschritt der Vernunft von jener moralischen Teleologie
und ihrer Beziehung auf die physische zur Theologie
allererst vortragen und nachher über die Möglichkeit und
Bündigkeit dieser Schlußart Betrachtungen anstellen.
Wenn man das Dasein gewisser Dinge (oder auch nur gewisser Formen der Dinge)
als zufällig, mithin nur durch etwas anderes, als Ursache, möglich
annimmt: so kann man zu dieser Kausalität den obersten und also zu dem
Bedingten den unbedingten Grund entweder in der physischen oder teleologischen
Ordnung suchen (nach dem nexu effectivo oder
finali). D. i. man kann fragen: welches ist die
oberste hervorbringende Ursache, oder was ist der oberste
(schlechthin unbedingte) Zweck
derselben, d. i. der Endzweck ihrer Hervorbringung
dieser oder aller ihrer Produkte überhaupt? Wobei dann freilich vorausgesetzt
wird, daß diese Ursache einer Vorstellung der Zwecke fähig, mithin
ein verständiges Wesen sei, oder wenigstens
von uns als nach den Gesetzen eines solchen Wesens handelnd gedacht werden müsse.
Nun ist, wenn man der letzteren Ordnung nachgeht, es ein Grundsatz, dem selbst
die gemeinste Menschenvernunft unmittelbar Beifall zu geben genötigt ist:
daß, wenn überall ein Endzweck,
den die Vernunft a priori angeben muß, stattfinden
soll, dieser kein anderer als der Mensch (ein jedes vernünftige Weltwesen)
unter moralischen Gesetzen sein könne.*)
*Ich sage mit
Fleiß: unter moralischen Gesetzen. Nicht der Mensch nach moralischen
Gesetzen, d. i. ein solcher, der sich ihnen gemäß verhält, ist
der Endzweck der Schöpfung. Denn mit dem letzteren Ausdrucke würden
wir mehr sagen, als wir wissen: nämlich daß es in der Gewalt eines
Welturhebers stehe, zu machen, daß der Mensch den moralischen Gesetzen
jederzeit sich angemessen verhalte ; welches einen Begriff von Freiheit und
der Natur (von welcher letzteren man allein einen äußeren Urheber
denken kann) voraussetzt, der eine Einsicht in das über. sinnliche Substrat
der Natur und dessen Einerleiheit mit dem, was die Kausalität durch Freiheit
in der Welt möglich macht, enthalten müßte, die weit über
unsere Vernunfteinsicht hinausgeht. Nur vom Menschen unter moralischen Gesetzen
können wir, ohne die Schranken unserer Einsicht zu überschreiten,
sagen: sein Dasein mache der Welt Endzweck aus. Dieses stimmt auch vollkommen
mit dem Urteile der moralisch über den Weltlauf reflektierenden Menschenvernunft.
Wir glauben die Spuren einer weisen Zweckbeziehung auch am Bösen wahrzunehmen,
wenn wir nur sehen, daß der frevelhafte Bösewicht nicht eher stirbt,
als bis er die wohlverschuldete Strafe seiner Untaten erlitten hat. Nach unseren
Begriffen von freier Kausalität beruht das Wohl- oder Übelverhalten
auf uns; die höchste Weisheit aber der Weltregierung setzen wir darin,
daß zu den ersteren die Veranlassung, für beides aber der Erfolg
nach moralischen Gesetzen verhängt sei. In dem letzteren besteht eigentlich
die Ehre Gottes, welche daher von Theologen nicht unschicklich der letzte Zweck
der Schöpfung genannt wird. — Noch ist anzumerken, daß wir
unter dem Worte Schöpfung, wenn wir uns dessen bedienen, nichts anderes,
als was hier gesagt worden ist, nämlich die Ursache vom Dasein einer Welt,
oder der Dinge in ihr (der Substanzen) verstehen; wie das auch der eigentliche
Begriff dieses Wortes mit sich bringt (actuatio substantiae est creatio):
welches mithin nicht schon die Voraussetzung einer freiwirkenden, folglich verständigen
Ursache (deren Dasein wir allererst beweisen wollen) bei sich führt.
Denn (so urteilt ein jeder) bestände die Welt aus lauter
leblosen, oder zwar zum Teil aus lebenden, aber vernunftlosen Wesen, so würde
das Dasein einer solchen Welt gar keinen Wert haben, weil
in ihr kein Wesen existierte, das von einem Werte den mindesten Begriff hat.
Wären dagegen auch vernünftige Wesen, deren Vernunft aber den Wert
des Daseins der Dinge nur im Verhältnisse der Natur zu ihnen (ihrem Wohlbefinden)
zu setzen, nicht aber sich einen solchen ursprünglich (in der Freiheit)
selbst zu verschaffen imstande wäre: so wären zwar (relative)
Zwecke in der Welt, aber kein (absoluter)
Endzweck, weil das Dasein solcher vernünftigen Wesen doch immer zwecklos
sein würde. Die moralischen Gesetze aber sind von der eigentümlichen
Beschaffenheit, daß sie etwas als Zweck ohne Bedingung, mithin gerade
so, wie der Begriff eines Endzwecks es bedarf,
für die Vernunft vorschreiben; und die Existenz einer
solchen Vernunft, die in der Zweckbeziehung ihr selbst
das oberste Gesetz sein kann, mit anderen Worten die Existenz vernünftiger
Wesen unter moralischen Gesetzen, kann also allein als Endzweck vom Dasein einer
Welt gedacht werden. Ist dagegen dieses nicht so bewandt, so
liegt dem Dasein derselben entweder gar kein Zweck in der Ursache, oder es liegen
ihm Zwecke ohne Endzweck zum Grunde.
Das moralische Gesetz, als formale Vernunftbedingung
des Gebrauchs unserer Freiheit, verbindet uns für sich allein, ohne von
irgendeinem Zwecke als materialer Bedingung abzuhängen; aber es bestimmt
uns doch auch, und zwar a priori, einen Endzweck,
welchem nachzustreben es uns verbindlich macht, und dieser ist das
höchste durch Freiheit mögliche Gut
in der Welt.
Die subjektive Bedingung, unter welcher der Mensch (und nach allen unseren Begriffen
auch jedes vernünftige endliche Wesen) sich unter dem obigen Gesetze einen
Endzweck setzen kann, ist die Glückseligkeit.
Folglich das höchste in der Welt mögliche und, soviel an uns ist,
als Endzweck zu befördernde physische Gut ist Glückseligkeit, unter
der objektiven Bedingung der Einstimmung des Menschen mit dem Gesetze der Sittlichkeit,
als der Würdigkeit, glückselig zu sein.
Diese zwei Erfordernisse des uns durch das moralische Gesetz aufgegebenen Endzwecks
können wir aber, nach allen unseren Vernunftvermögen, als durch bloße
Naturursachen verknüpft und der Idee
des gedachten Endzwecks angemessen unmöglich uns vorstellen. Also stimmt
der Begriff von der praktischen Notwendigkeit eines
solchen Zwecks durch die Anwendung unserer Kräfte nicht mit dem theoretischen
Begriffe von der physischen Möglichkeit
der Bewirkung desselben zusammen, wenn wir mit unserer Freiheit keine andere
Kausalität (eines Mittels) als die der Natur
verknüpfen.
Folglich müssen wir eine moralische Weltursache
(einen Welturheber) annehmen, um uns gemäß
dem moralischen Gesetze einen Endzweck vorzusetzen, und, soweit als das letztere
notwendig ist, soweit (d. i. in demselben Grade und aus
demselben Grunde) ist auch das erstere notwendig anzunehmen: nämlich
es sei ein Gott.*)
*) Dieses moralische
Argument soll keinen objektiv-gültigen Beweis vom Dasein Gottes
an die Hand geben, nicht dem Zweifelgläubigen beweisen, daß ein Gott
sei; sondern daß, wenn er moralisch konsequent denken will, er die Annehmung
dieses Satzes unter die Maximen seiner praktischen Vernunft aufnehmen müsse.
— Es soll damit auch nicht gesagt werden: es ist zur Sittlichkeit notwendig,
die Glückseligkeit aller vernünftigen Weltwesen gemäß ihrer
Moralität anzunehmen, sondern: es ist durch sie notwendig. Mithin ist es
ein subjektiv, für moralische Wesen, hinreichendes Argument.Dieser Beweis, dem man leicht die Form der logischen Präzision
anpassen kann, will nicht sagen: es ist ebenso notwendig, das Dasein Gottes
anzunehmen, als die Gültigkeit des moralischen Gesetzes anzuerkennen; mithin,
wer sich vom ersteren nicht überzeugen kann, könne sich von den Verbindlichkeiten
nach dem letzteren los zu sein urteilen. Nein! nur die Beabsichtigung
des durch die Befolgung des letzteren zu bewirkenden Endzwecks in der Welt (einer
mit der Befolgung moralischer Gesetze harmonisch zusammentreffenden Glückseligkeit
vernünftiger Wesen, als des höchsten Weltbesten) müßte
alsdann aufgegeben werden. Ein jeder Vernünftige würde sich an die
Vorschrift der Sitten immer noch als strenge gebunden erkennen müssen;
denn die Gesetze derselben sind formal und gebieten unbedingt, ohne Rücksicht
auf Zwecke (als die Materie des Wollens). Aber
das eine Erfordernis des Endzwecks, wie ihn die praktische Vernunft den Weltwesen
vorschreibt, ist ein in sie durch ihre Natur (als endlicher
Wesen) gelegter unwiderstehlicher Zweck, den die Vernunft nur dem moralischen
Gesetze als unverletzliche Bedingung unterworfen
oder auch nach demselben allgemein gemacht wissen will, und so die Beförderung
der Glückseligkeit, in Einstimmung mit der Sittlichkeit, zum Endzwecke
macht. Diesen nun, soviel (was die ersteren betrifft)
in unserem Vermögen ist, zu befördern, wird uns durch das moralische
Gesetz geboten; der Ausschlag, den diese Bemühung hat, mag sein, welcher
er wolle. Die Erfüllung der Pflicht besteht in der Form des ernstlichen
Willens, nicht in den Mittelursachen des Gelingens.
Gesetzt also, ein Mensch überredete sich, teils durch die Schwäche
aller so sehr gepriesenen spekulativen Argumente, teils durch manche in der
Natur und Sinnenwelt ihm vorkommende Unregelmäßigkeiten bewogen,
von dem Satze: es sei kein Gott, so würde
er doch in seinen eigenen Augen ein Nichtswürdiger sein, wenn er darum
die Gesetze der Pflicht für bloß eingebildet, ungültig, unverbindlich
halten und ungescheut zu übertreten beschließen wollte. Ein solcher
würde auch alsdann noch, wenn er sich in der Folge von dem, was er anfangs
bezweifelt hatte, überzeugen könnte, mit jener Denkungsart doch immer
ein Nichtswürdiger bleiben, ob er gleich seine Pflicht, aber aus Furcht
oder aus lohnsüchtiger Absicht, ohne pflichtverehrende
Gesinnung, der Wirkung nach so pünktlich, wie es immer verlangt werden
mag, erfüllte. Umgekehrt, wenn er sie als Gläubiger seinem Bewußtsein
nach aufrichtig und uneigennützig befolgt,
und gleichwohl, so oft er zum Versuche den Fall setzt, er könnte einmal
überzeugt werden: es sei kein Gott, sich sogleich
von aller sittlichen Verbindlichkeit frei glaubte, müßte es doch
mit der inneren moralischen Gesinnung in ihm nur schlecht bestellt sein.
Wir können also einen rechtschaffenen Mann (wie etwa
den Spinoza) annehmen, der sich fest überredet hält, es
sei kein Gott und (weil es in Ansehung des Objekts
der Moralität auf einerlei Folge hinausläuft) auch kein künftiges
Leben; wie wird er seine eigene innere Zweckbestimmung durch das moralische
Gesetz, welches er tätig verehrt, beurteilen?
Er verlangt von Befolgung desselben für sich keinen
Vorteil, weder in dieser noch in einer anderen
Welt; uneigennützig will er vielmehr nur das
Gute stiften, wozu jenes heilige Gesetz allen seinen Kräften die Richtung
gibt. Aber sein Bestreben ist begrenzt; und von der Natur kann er zwar
hin und wieder einen zufälligen Beitritt, niemals aber eine gesetzmäßige
und nach beständigen Regeln (so wie innerlich seine
Maximen sind und sein müssen) eintreffende Zusammenstimmung zu dem
Zwecke erwarten, welchen zu bewirken er sich doch verbunden und angetrieben
fühlt.
Betrug, Gewalttätigkeit und Neid werden immer um
ihn im Schwange gehen, ob er gleich selbst redlich, friedfertig und wohlwollend
ist; und die Rechtschaffenen, die er außer sich noch antrifft,
werden unangesehen aller ihrer Würdigkeit, glücklich zu sein, dennoch
durch die Natur, die darauf nicht achtet, allen Übeln des Mangels, der
Krankheiten und des unzeitigen Todes gleich den übrigen Tieren der Erde
unterworfen sein und es auch immer bleiben, bis ein weites Grab sie insgesamt
(redlich oder unredlich, das gilt hier gleichviel)
verschlingt und sie, die da glauben konnten, Endzweck
der Schöpfung zu sein, in den Schlund des
zwecklosen Chaos der Materie zurückwirft, aus dem sie gezogen waren.
—
Den Zweck also, den dieser Wohlgesinnte in Befolgung der moralischen Gesetze
vor Augen hatte und haben sollte, müßte er allerdings als unmöglich
aufgeben, oder will er auch hierin dem Rufe seiner sittlichen inneren Bestimmung
anhänglich bleiben und die Achtung, welche das sittliche Gesetz ihm unmittelbar
zum Gehorchen einflößt, nicht durch die Nichtigkeit des einzigen,
ihrer hohen Forderung angemessenen idealischen Endzwecks schwächen (welches
ohne einen der moralischen Gesinnung widerfahrenden Abbruch nicht geschehen
kann): so muß er, welches er auch gar wohl tun kann, indem es an
sich wenigstens nicht widersprechend ist, in praktischer Absicht, d. i. um sich
wenigstens von der Möglichkeit des ihm moralisch vorgeschriebenen Endzwecks
einen Begriff zu machen, das Dasein eines moralischen
Welturhebers, d. i. Gottes annehmen. S.318ff.
Aus:
Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Felix Meiner Verlag Hamburg
Vom
praktischen Glauben (§91
Kritik der Urteilskraft)
Gegenstände, die in Beziehung auf den pflichtmäßigen
Gebrauch der reinen praktischen Vernunft (es sei als Folgen oder als Gründe)
a priori gedacht werden müssen, aber für
den theoretischen Gebrauch derselben überschwenglich sind, sind bloße
Glaubenssachen. Dergleichen ist das höchste
durch Freiheit zu bewirkende Gut in
der Welt; dessen Begriff in keiner für uns möglichen Erfahrung, mithin
für den theoretischen Vernunftgebrauch hinreichend, seiner objektiven Realität
nach bewiesen werden kann, dessen Gebrauch aber zur bestmöglichen Bewirkung
jenes Zweckes doch durch praktische reine Vernunft geboten ist, und mithin als
möglich angenommen werden muß. Diese gebotene Wirkung,
zusamt den einzigen für uns denkbaren Bedingungen ihrer Möglichkeit,
nämlich dem Dasein Gottes und der Seelen-Unsterblichkeit, sind Glaubenssachen,
und zwar die einzigen unter allen Gegenständen, die so genannt werden können.
Denn, ob von uns gleich, was wir nur von der Erfahrung anderer durch Zeugnis
lernen können, geglaubt werden muß, so ist es darum doch
noch nicht an sich Glaubenssache; denn bei jener Zeugen einem war es doch eigene
Erfahrung und Tatsache, oder wird als solche vorausgesetzt.
Zudem muß es möglich sein, durch diesen Weg (des historischen Glaubens)
zum Wissen zu gelangen; und die Objekte der Geschichte und Geographie, wie alles
überhaupt, was zu wissen nach der Beschaffenheit unserer Erkenntnisvermögen
wenigstens möglich ist, gehören nicht zu Glaubenssachen sondern zu
Tatsachen. Nur Gegenstände der reinen Vernunft können allenfalls Glaubenssachen
sein, aber nicht als Gegenstände der bloßen reinen spekulativen Vernunft;
denn da können sie gar nicht einmal mit Sicherheit zu den Sachen, d. i.
Objekten jenes für uns möglichen Erkenntnisses, gezählt werden.
Es sind Ideen, d. i. Begriffe, denen man die objektive Realität theoretisch
nicht sichern kann. Dagegen ist der von uns zu bewirkende höchste Endzweck,
das, wodurch wir allein würdig werden können, selbst
Endzweck einer Schöpfung zu sein, eine Idee, die für uns in
praktischer Beziehung objektive Realität hat, und Sache; aber darum, weil
wir diesem Begriffe in theoretischer Absicht diese Realität nicht verschaffen
können, bloße Glaubenssache der reinen Vernunft, mit ihm aber zugleich
Gott und Unsterblichkeit, als die Bedingungen,
unter denen allein wir, nach der Beschaffenheit unserer (der menschlichen) Vernunft,
uns die Möglichkeit jenes Effekts des gesetzmäßigen Gebrauchs
unserer Freiheit denken können. Das Fürwahrhalten
aber in Glaubenssachen ist ein Fürwahrhalten in reiner praktischer Absicht,
d. i. ein moralischer Glaube, der nichts für das theoretische, sondern
bloß für das praktische, auf Befolgung seiner Pflichten gerichtete,
reine Vernunfterkenntnis beweist, und die Spekulation oder die praktischen Klugheitsregeln
nach dem Prinzip der Selbstliebe gar nicht erweitert.
Wenn das oberste Prinzip aller Sittengesetze ein Postulat ist, so wird zugleich
die Möglichkeit ihres höchsten Objekts, mithin auch die Bedingung,
unter der wir diese Möglichkeit denken können, dadurch zugleich mit
postuliert. Dadurch wird nun das Erkenntnis der letzteren weder Wissen noch
Meinung von dem Dasein und der Beschaffenheit dieser Bedingungen, als theoretische
Erkenntnisart, sondern bloß Annahme, in praktischer und dazu gebotener
Beziehung für den moralischen Gebrauch unserer Vernunft.
Würden wir auch auf die Zwecke der Natur, die uns die physische Teleologie
in so reichem Maße vorlegt, einen bestimmten Begriff von einer verständigen
Weltursache scheinbar gründen können, so wäre das Dasein
dieses Wesens doch nicht Glaubenssache. Denn da dieses nicht zum Behuf der Erfüllung
meiner Pflicht, sondern nur zur Erklärung der Natur angenommen wird, so
würde es bloß die unserer Vernunft angemessenste Meinung und Hypothese
sein. Nun führt jene Teleologie keineswegs auf einen bestimmten
Begriff von Gott, der hingegen allein in dem von einem moralischen
Welturheber angetroffen wird, weil dieser allein den Endzweck angibt,
zu welchem wir uns nur sofern zählen können, als wir dem, was uns
das moralische Gesetz als Endzweck auferlegt, mithin uns verpflichtet, uns gemäß
verhalten. Folglich bekommt der Begriff von Gott nur durch die Beziehung auf
das Objekt unserer Pflicht, als Bedingung der Möglichkeit den Endzweck
derselben zu erreichen, den Vorzug, in unserm Fürwahrhalten als Glaubenssache
zu gelten; dagegen eben derselbe Begriff doch sein Objekt nicht als Tatsache
geltend machen kann: weil, obzwar die Notwendigkeit der Pflicht für die
praktische Vernunft wohl klar ist, doch die Erreichung des Endzwecks derselben,
sofern er nicht ganz in unserer Gewalt ist, nur zum Behuf des praktischen Gebrauchs
der Vernunft angenommen, also nicht so, wie die Pflicht selbst, praktisch notwendig
ist.
Glaube (als habitus,
nicht als actus) ist die moralische Denkungsart der Vernunft im Fürwahrhalten
desjenigen, was für das theoretische Erkenntnis unzugänglich ist.
Er ist also der beharrliche Grundsatz des Gemüts, das, was zur Möglichkeit
des höchsten moralischen Endzwecks als Bedingung vorauszusetzen notwendig
ist, wegen der Verbindlichkeit zu demselben als wahr anzunehmen (obzwar
die Möglichkeit desselben, aber ebensowohl auch die Unmöglichkeit,
von uns nicht eingesehen werden kann). Der Glaube (schlechthin
so genannt) ist ein Vertrauen zu der Erreichung
einer Absicht, deren Beförderung Pflicht, die Möglichkeit der
Ausführung derselben aber für uns nicht
einzusehen ist (folglich auch nicht die der
einzigen für uns denkbaren Bedingungen). Der Glaube also, der sich
auf besondere Gegenstände, die nicht Gegenstände des möglichen
Wissens oder Meinens sind, bezieht (in welchem letzteren
Falle er, vornehmlich im Historischen, Leichtgläubigkeit und nicht Glaube
heißen müßte), ist ganz moralisch. Er ist ein
freies Fürwahrhalten, nicht dessen, wozu dogmatische Beweise für
die theoretisch bestimmende Urteilskraft anzutreffen sind, noch wozu wir uns
verbunden halten, sondern dessen, was wir, zum Behuf einer Absicht nach Gesetzen
der Freiheit, annehmen; aber doch nicht, wie etwa eine Meinung, ohne hing reichenden
Grund, sondern als in der Vernunft (obwohl nur in Ansehung
ihres praktischen Gebrauchs), für die
Absicht derselben hinreichend, gegründet; denn ohne ihn hat
die moralische Denkungsart bei dem Verstoß gegen die Aufforderung der
theoretischen Vernunft zum Beweise (der Möglichkeit
des Objekts der Moralität) keine feste Beharrlichkeit, sondern schwankt
zwischen praktischen Geboten und theoretischen Zweifeln.
Ungläubisch sein, heißt der Maxime nachhängen, Zeugnissen
überhaupt nicht zu glauben; ungläubig aber
ist der, welcher jenen Vernunftideen, weil es ihnen an theoretischer Begründung
ihrer Realität fehlt, darum alle Gültigkeit abspricht. Er urteilt
also dogmatisch. Ein dogmatischer Unglaube kann aber mit einer in der Denkungsart
herrschenden sittlichen Maxime nicht zusammen bestehen
(denn einem Zwecke, der für nichts als Hirngespinst erkannt wird, nachzugehen,
kann die Vernunft nicht gebieten); wohl aber ein Zweifelglaube, dem der
Mangel der Überzeugung durch Gründe der spekulativen Vernunft nur
Hindernis ist, welchem eine kritische Einsicht in die Schranken der letzteren
den Einfluß auf das Verhalten benehmen und ihm ein überwiegendes
praktisches Fürwahrhalten zum Ersatz hinstellen kann. S.342ff.
Aus: Immanuel Kant, Kritik der
Urteilskraft, Felix Meiner Verlag Hamburg
Gott,
Freiheit und Seelenunsterblichkeit (§91
Kritik der Urteilskraft)
Wenn man an die Stelle gewisser verfehlter Versuche in der Philosophie ein anderes
Prinzip aufführen und ihm Einfluß verschaffen will, so gereicht es
zu großer Befriedigung, einzusehen, wie jene und warum sie fehlschlagen
mußten.
Gott, Freiheit und Seelenunsterblichkeit
sind diejenigen Aufgaben, zu deren
Auflösung alle Zurüstungen der Metaphysik, als ihrem letzten und alleinigen
Zwecke, abzielen. Nun glaubte man, daß die Lehre von der Freiheit nur
als negative Bedingung für die praktische Philosophie nötig sei, die
Lehre von Gott und der Seelenbeschaffenheit hingegen, zur theoretischen gehörig,
für sich und abgesondert dargetan werden müsse, um beide nachher mit
dem, was das moralische Gesetz (das nur unter der Bedingung der Freiheit möglich
ist) gebietet, zu verknüpfen und so eine Religion zustande zu bringen.
Man kann aber bald einsehen, daß diese Versuche fehlschlagen mußten.
Denn aus bloßen ontologischen Begriffen von Dingen überhaupt oder
der Existenz eines notwendigen Wesens läßt
sich schlechterdings kein, durch Prädikate, die sich in der Erfahrung geben
lassen und also zum Erkenntnisse dienen könnten, bestimmter
Begriff von einem Urwesen machen; der aber, welcher auf Erfahrung von
der physischen Zweckmäßigkeit der Natur gegründet wurde, konnte
wiederum keinen für die Moral, mithin - zur Erkenntnis
eines Gottes, hinreichenden Beweis abgeben. Ebensowenig konnte auch die
Seelenkenntnis durch Erfahrung (die wir nur in diesem
Leben anstellen) einen Begriff von der geistigen,
unsterblichen Natur derselben, mithin für die Moral zureichend,
verschaffen. Theologie und Pneumatologie,
als Aufgaben zum Behuf der Wissenschaften einer spekulativen Vernunft, weil
deren Begriff für alle unsere Erkenntnisvermögen überschwenglich
ist, können durch keine empirischen Data und Prädikate zustande kommen.
— Die Bestimmung beider Begriffe, Gottes sowohl
als der Seele (in Ansehung ihrer Unsterblichkeit),
kann nur durch Prädikate geschehen, die, ob sie gleich selbst nur aus einem
übersinnlichen Grunde möglich sind, dennoch in der Erfahrung ihre
Realität beweisen müssen; denn so allein können sie von ganz
übersinnlichen Wesen eine Erkenntnis möglich machen. — Dergleichen
ist nun der einzige in der menschlichen Vernunft anzutreffende Begriff der Freiheit
des Menschen unter moralischen Gesetzen, zusamt dem Endzwecke, den jene durch
diese vorschreibt, wovon die erstem dem Urheber der Natur,
der zweite dem Menschen diejenigen Eigenschaften beizulegen tauglich sind, welche
zu der Möglichkeit beider die notwendige Bedingung enthalten, so daß
eben aus dieser Idee auf die Existenz und die Beschaffenheit
jener sonst gänzlich für uns verborgenen Wesen
geschlossen werden kann.
Also liegt der Grund der auf dem bloß theoretischen Wege verfehlten Absicht,
Gott und Unsterblichkeit zu beweisen, darin: daß
von dem Übersinnnlichen auf diesem Wege (der
Naturbegriffe) gar kein Erkenntnis möglich ist. Daß es dagegen
auf dem moralischen (des Freiheitsbegriffs) gelingt,
hat diesen Grund: daß hier das Übersinnliche, welches dabei zum Grunde
liegt (die Freiheit), durch ein bestimmtes Gesetz
der Kausalität, welches aus ihm entspringt, nicht allein Stoff zum Erkenntnis
des andern Übersinnlichen (des moralischen Endzwecks
und der Bedingungen seiner Ausführbarkeit) verschafft, sondern auch
als Tatsache seine Realität in Handlungen dartut, aber eben darum auch
keinen andern, als nur in praktischer Absicht (welche
auch die einzige ist, deren die Religion bedarf) gültigen Beweisgrund
abgeben kann.
Es bleibt hierbei immer sehr merkwürdig: daß unter den
drei reinen Vernunftideen, Gott, Freiheit und Unsterblichkeit
die der Freiheit der einzige Begriff des Übersinnlichen ist, welcher
seine objektive Realität (vermittelst der Kausalität,
die in ihm gedacht wird) an der Natur, durch ihre in derselben mögliche
Wirkung, beweist, und eben dadurch die Verknüpfung der beiden andern mit
der Natur, aller dreien aber untereinander zu einer Religion möglich macht;
und daß wir also in uns ein Prinzip haben, welches die Idee des Übersinnlichen
in uns, dadurch aber auch die desselben außer uns, zu einer, obgleich
nur in praktischer Absicht möglichen, Erkenntnis zu bestimmen vermögend
ist, woran die bloß spekulative Philosophie (die
auch von der Freiheit einen bloß negativen Begriff geben konnte) verzweifeln
mußte, mithin der Freiheitsbegriff (als Grundbegriff
aller unbedingt praktischen Gesetze) die Vernunft über diejenigen
Grenzen erweitern kann, innerhalb deren jeder Naturbegriff
(theoretischer) ohne Hoffnung eingeschränkt bleiben müßte.
S.347ff.
Aus: Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Felix Meiner Verlag Hamburg
Das
Credo der reinen praktischen Vernunft
Das Credo in den drei Artikeln des Bekenntnisses der reinen praktischen
Vernunft:
- Ich glaube
an den einen einigen Gott, als den Urquell alles Guten
in der Welt, als seinen Endzweck; -
- Ich glaube an die Möglichkeit, zu diesem Endzweck,
dem höchsten Gut in dieser Welt, so fern es am
Menschen liegt, zusammenzustimmen
- Ich glaube an ein künftiges ewiges
Leben, als der Bedingung einer immerwährenden
Annäherung der Welt zum höchsten
in ihr möglichen Gut;
- dieses Credo, sage ich, ist ein freies Fürwahrhalten,
ohne welches es auch keinen moralischen Wert haben würde. Es verstattet
also keinen Imperativ (kein Crede), und der Beweisgrund
dieser seiner Richtigkeit ist kein Beweis von der Wahrheit dieser Sätze
...
Aus: Immanuel Kant: Schriften zur Metaphysik und Logik
2, - Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens
und Wolf's Zeiten in Deutschland gemacht hat
Suhrkamp stw 189 (S.636)
Die
unerforschliche Weisheit, durch die wir existieren . . .
Wenn die menschliche Natur zum
höchsten Gute zu streben bestimmt ist, so muß auch das Maß
ihrer Erkenntnisvermögen, vornehmlich ihr Verhältnis unter einander,
als zu diesem Zwecke schicklich, angenommen werden. Nun beweiset aber
die Kritik der reinen spekulativen Vernunft die größte Unzulänglichkeit
derselben, um die wichtigsten Aufgaben, die ihr vorgelegt werden, dem Zwecke
angemessen aufzulösen, ob sie zwar die natürlichen und nicht zu übersehenden
Winke eben derselben Vernunft, imgleichen die großen Schritte, die sie
tun kann, nicht verkennt, um sich diesem großen Ziele, das ihr ausgesteckt
ist, zu näheren, aber doch, ohne es jemals für sich selbst, sogar
mit Beihilfe der größten Naturkenntnis, zu erreichen. Also scheint
die Natur hier uns nur stiefmütterlich mit einem zu unserem Zwecke benötigten
Vermögen versorgt zu haben.
Gesetzt nun, sie wäre hierin unserem Wunsche willfährig gewesen, und
hätte uns diejenige Einsichtsfähigkeit, oder Erleuchtung erteilt,
die wir gerne besitzen möchten, oder in deren Besitz einige wohl gar wähnen
sich wirklich zu befinden, was würde allem Ansehn nach wohl die Folge hievon
sein? Wofern nicht zugleich unsere ganze Natur umgeändert wäre, so
würden die Neigungen, die doch allemal das erste Wort haben, zuerst ihre
Befriedigung, und, mit vernünftiger Überlegung verbunden, ihre größtmögliche
und daurende Befriedigung, unter dem Namen der Glückseligkeit, verlangen;
das moralische Gesetz würde nachher sprechen, um jene in ihren geziemenden
Schranken zu halten, und sogar sie alle insgesamt einem höheren, auf keine
Neigung Rücksicht nehmenden, Zwecke zu unterwerfen.
Aber, statt des Streits, den jetzt die moralische Gesinnung mit den Neigungen
zu führen hat, in welchem, nach einigen Niederlagen, doch allmählich
moralische Stärke der Seele zu erwerben ist, würden Gott und Ewigkeit,
mit ihrer furchtbaren Majestät, uns unablässig vor Augen liegen (denn,
was wir vollkommen beweisen können, gilt, in Ansehung der Gewißheit,
uns so viel, als wovon wir uns durch den Augenschein versichern).
Die Übertretung des Gesetzes würde freilich vermieden, das Gebotene
getan werden; weil aber die Gesinnung, aus welcher Handlungen geschehen sollen,
durch kein Gebot mit eingeflößt werden kann, der Stachel der Tätigkeit
hier aber sogleich bei Hand, und äußerlich ist, die Vernunft also
sich nicht allererst empor arbeiten darf, um Kraft zum Widerstande gegen Neigungen
durch lebendige Vorstellung der Würde des Gesetzes zu sammeln, so würden
die mehresten gesetzmäßigen Handlungen aus Furcht, nur wenige aus
Hoffnung und gar keine aus Pflicht geschehen, ein moralischer Wert der Handlungen
aber, worauf doch allein der Wert der Person und selbst der der Welt, in den
Augen der höchsten Weisheit, ankommt, würde gar nicht existieren.
Das Verhalten der Menschen, so lange ihre Natur, wie sie
jetzt ist, bliebe, würde also in einen bloßen Mechanismus verwandelt
werden, wo, wie im Marionettenspiel, alles gut gestikulieren,
aber in den Figuren doch kein Leben anzutreffen sein würde.
Nun, da es mit uns ganz anders beschaffen ist, da wir, mit aller Anstrengung
unserer Vernunft, nur eine sehr dunkele und zweideutige Aussicht in die Zukunft
haben, der Weltregierer uns sein Dasein und seine Herrlichkeit
nur mutmaßen, nicht erblicken, oder klar beweisen läßt, dagegen
das moralische Gesetz in uns, ohne uns etwas mit Sicherheit zu verheißen,
oder zu drohen, von uns uneigennützige Achtung fordert, übrigens aber,
wenn diese Achtung tätig und herrschend geworden, allererst alsdenn und
nur dadurch, Aussichten ins Reich des Übersinnlichen, aber auch nur mit
schwachen Blicken erlaubt: so kann wahrhafte sittliche, dem Gesetze unmittelbar
geweihete Gesinnung stattfinden und das vernünftige Geschöpf des Anteils
am höchsten Gute würdig werden, das dem moralischen Werte seiner Person
und nicht bloß seinen Handlungen angemessen ist. Also möchte es auch
hier wohl damit seine Richtigkeit haben, was uns das Studium der Natur und des
Menschen sonst hinreichend lehrt, daß die
unerforschliche Weisheit, durch die wir existieren, nicht
minder verehrungswürdig ist, in dem, was sie uns versagte, als in dem,
was sie uns zu teil werden ließ.
Aus: Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft,
Meiner Philosophische Bibliothek (S.168-169)
Der
Wille Gottes
Wie soll ich es verstehen, daß, weil etwas ist, etwas anders sei? Eine
logische Folge wird eigentlich nur darum gesetzt, weil sie einerlei ist mit
dem Grunde. Allein der Wille Gottes enthält den Realgrund
vom Dasein der Welt. Der göttliche Wille ist
etwas. Die existierende Welt ist etwas ganz anderes. Indessen durch das
eine wird das andre gesetzt. Der Zustand, in welchem ich den Namen Stagirit
höre, ist etwas, dadurch wird etwas anders, nämlich mein Gedanke von
einem Philosoph gesetzt. [...] Durch den allmächtigen
Willen Gottes kann man ganz deutlich das Dasein der Welt verstehen. Allein hier
bedeutet die Macht dasjenige Etwas in Gott, wodurch andre Dinge gesetzt werden.
(Suhrkamp stw 187, Kant: Vorkritische Schriften
bis 1768 2, S.817-818 Versuch den Begriff der negativen Größen in
die Weltweisheit einzuführen)
Von
der Schöpfung in ihrem ganzen Umfang ihrer Unendlichkeit,
sowohl dem Raume,
als der Zeit nach
Das Weltgebäude setzet
durch seine unermeßliche Größe, und durch die unendliche Mannigfaltigkeit
und Schönheit, welche aus ihr von allen Seiten hervorleuchtet, in ein stilles
Erstaunen. Wenn die Vorstellung aller dieser Vollkommenheit nun die Einbildungskraft
rühret: so nimmt den Verstand anderer Seits eine andere Art der Entzückung
ein, wenn er betrachtet, wie so viel Pracht, so viel Größe aus einer
einzigen allgemeinen Regel, mit einer ewigen und richtigen Ordnung, abfließet.
Der planetische Weltbau, indem die Sonne aus dem Mittelpunkte aller Kreise,
mit ihrer mächtigen Anziehung, die bewohnte Kugeln ihres Systems
in ewigen Kreisen umlaufend macht, ist gänzlich, wie wir gesehen
haben, aus dem ursprünglich ausgebreiteten Grundstoff aller Weltmaterie
gebildet worden. Alle Fixsterne, die das Auge an der hohlen Tiefe des Himmels
entdecket, und die eine Art von Verschwendung anzuzeigen scheinen, sind Sonnen
und Mittelpunkte von ähnlichen Systemen. Die Analogie erlaubt es also hier
nicht, zu zweifeln, daß diese auf die gleiche Art, wie das, darin wir
uns befinden, aus denen kleinsten Teilen der elementarischen Materie, die den
leeren Raum, diesen unendlichen Umfang der göttlichen
Gegenwart, erfüllete, gebildet und erzeuget worden.
Wenn nun alle Welten und Weltordnungen dieselbe Art ihres Ursprungs erkennen;
wenn die Anziehung unbeschränkt und allgemein, die Zurückstoßung
der Elemente aber ebenfalls durchgehends wirksam, wenn
bei dem Unendlichen das Große und Kleine beiderseits klein ist:
sollten nicht alle die Weltgebäude gleichermaßen eine beziehende
Verfassung und systematische Verbindung unter einander angenommen haben, als
die Himmelskörper unserer Sonnenwelt im Kleinen, wie Saturn, Jupiter und
die Erde, die vor sich insonderheit Systeme sein, und dennoch unter einander
als Glieder in einem noch größern zusammen hängen? Wenn man
in dem unermeßlichen Raume, darin alle Sonnen der Milchstraße sich
gebildet haben, einen Punkt annimmt, um welchen durch
ich weiß nicht was vor eine Ursache die erste Bildung der Natur aus dem
Chaos angefangen hat: so wird daselbst die größte Masse, und
ein Körper von der ungemeinsten Attraktion, entstanden sein, der dadurch
fähig geworden, in einer ungeheuren Sphäre um sich alle in der Bildung
begriffene Systeme zu nötigen, sich gegen ihn, als ihren Mittelpunkt, zu
senken, und um ihn ein gleiches System im Ganzen zu errichten, als derselbe
elementarische Grundstoff, der die Planeten bildete, um die Sonne im Kleinen
gemacht hat. Die Beobachtung macht diese Mutmaßung beinahe ungezweifelt.
Das Heer der Gestirne macht, durch seine beziehende Stellung gegen einen gemeinschaftlichen
Plan, eben sowohl ein System aus, als die Planeten unseres Sonnenbaues um die
Sonne. Die Milchstraße ist der Zodiakus dieser höheren Weltordnungen,
die von seiner Zone so wenig als möglich abweichen, und deren Streif immer
von ihrem Lichte erleuchtet ist, so wie der Tierkreis der Planeten von dem Scheine
dieser Kugeln, obzwar nur in sehr wenig Punkten, hin und wieder schimmert. Eine
jede dieser Sonnen macht mit ihren umlaufenden Planeten vor sich ein besonderes
System aus; allein dieses hindert nicht, Teile eines noch größeren
Systems zu sein, so wie Jupiter oder Saturn, ungeachtet ihrer eigenen Begleitung,
in der systematischen Verfassung eines noch größeren Weltbaues beschränkt
sein. Kann man, an einer so genauen Übereinstimmung in der Verfassung nicht
die gleiche Ursache und Art der Erzeugung erkennen?
Wenn nun die Fixsterne ein System ausmachen, dessen Umfang durch die Anziehungssphäre
desjenigen Körpers, der im Mittelpunkte befindlich ist, bestimmet wird,
werden nicht mehr Sonnensystemata, und, so zu reden, mehr Milchstraßen
entstanden sein, die in dem grenzenlosen Felde des Weltraums erzeuget worden?
Wir haben mit Erstaunen Figuren am Himmel erblickt, welche nichts anders, als
solche auf einen gemeinschaftlichen Plan beschränkte Fixsternen systemata,
solche Milchstraßen, wenn ich mich so ausdrücken darf, sein, die
in verschiedenen Stellungen gegen das Auge, mit einem ihrem unendlichen Abstande
gemäß geschwächten Schimmer, elliptische Gestalten darstellen;
es sind Systemata von, so zu sagen, unendliche mal unendlich größerm
Durchmesser, als der Diameter unseres Sonnenbaues ist; aber ohne Zweifel auf
gleiche Art entstanden, aus gleichen Ursachen geordnet und eingerichtet, und
erhalten sich durch ein gleiches Triebwerk, als
dieses, in ihrer Verfassung.
Wenn man diese Sternensystemata wiederum als Glieder an der großen Kette
der gesamten Natur ansiehet: so hat man eben so viel Ursache, wie vorher, sie
in einer gegenseitigen Beziehung zu gedenken, und in Verbindungen, welche, kraft
des durch die ganze Natur herrschenden Gesetzes der ersten Bildung, ein neues
noch größeres System ausmachen, das durch die Anziehung eines Körpers
von ungleich mächtigerer Attraktion, als alle die vorige waren, aus dem
Mittelpunkte ihrer regelmäßigen Stellungen regieret wird. Die Anziehung,
welche die Ursache der systematischen Verfassung unter den Fixsternen der Milchstraße
ist, wirket auch noch in der Entfernung eben dieser Weltordnungen, um sie aus
ihren Stellungen zu bringen, und die Welt in einem unvermeidlich bevorstehenden
Chaos zu begraben, wenn nicht regelmäßig ausgeteilte Schwungskräfte
der Attraktion das Gegengewicht leisten, und beiderseits in Verbindung diejenige
Beziehung hervorbringen, die der Grund der systematischen Verfassung ist.
Die Anziehung ist ohne Zweifel eine eben so weit ausgedehnte Eigenschaft der
Materie, als die Koexistenz, welche den Raum macht, indem sie die Substanzen
durch gegenseitige Abhängigkeiten verbindet, oder, eigentlicher zu reden,
die Anziehung ist eben diese allgemeine Beziehung, welche die Teile der Natur
in einem Raume vereinigt: sie erstrecket sich also auf die ganze Ausdehnung
desselben, bis in alle Weiten ihrer Unendlichkeit. Wenn das Licht von diesen
entfernten Systemen zu uns gelanget, das Licht, welches nur eine eingedrückte
Bewegung ist, muß nicht vielmehr die Anziehung, diese ursprüngliche
Bewegungsquelle, welche eher, wie alle Bewegung ist, die keiner fremden Ursachen
bedarf, auch durch keine Hindernis kann aufgehalten werden, weil sie
in das Innerste der Materie, ohne einigen Stoß, selbst bei der allgemeinen
Ruhe der Natur wirket, muß, sage ich, die Anziehung nicht diese Fixsternen-Systemata,
ihrer unermeßlichen Entfernungen ungeachtet, bei der ungebildeten Zerstreuung
ihres Stoffes, im Anfange der Regung der Natur, in Bewegungen versetzet haben,
die eben so, wie wir im Kleinen gesehen haben, die Quelle der systematischen
Verbindung, und der dauerhaften Beständigkeit ihrer Glieder ist, die sie
vor den Verfall sichert?
Aber, welches wird denn endlich das Ende der systematischen Einrichtungen sein?
wo wird die Schöpfung selber aufhören? Man merket wohl, daß,
um sie in einem Verhältnisse mit der Macht des unendlichen
Wesens zu gedenken, sie gar keine Grenzen haben müsse.
Man kommt der Unendlichkeit der Schöpfungskraft Gottes nicht näher,
wenn man den Raum ihrer Offenbarung in einer Sphäre, mit dem Radius der
Milchstraße beschrieben, einschließet, als wenn man ihn in eine
Kugel beschränken will, die einen Zoll im Durchmesser hat. Alles
was endlich, was seine Schranken und ein bestimmtes Verhältnis zur Einheit
hat, ist von dem Unendlichen gleich weit entfernet. Nun wäre es ungereimt,
die Gottheit mit einem unendlich kleinen Teile ihres schöpferischen Vermögens
in Wirksamkeit zu setzen, und ihre unendliche Kraft, den Schatz einer wahren
Unermeßlichkeit von Naturen und Welten, untätig, und in einem ewigen
Mangel der Ausübung verschlossen zu gedenken. Ist es nicht vielmehr
anständiger, oder, besser zu sagen, ist es nicht notwendig, den Inbegriff
der Schöpfung also anzustellen, als er sein muß, um ein Zeugnis von
derjenigen Macht zu sein, die durch keinen Maßstab kann abgemessen werden?
Aus diesem Grunde ist das Feld der Offenbarung göttlicher
Eigenschaften eben so unendlich, als diese selber sind.*
* Der Begriff einer
unendlichen Ausdehnung der Welt findet unter den Metaphysikkündigern Gegner,
und hat nur neulich an dem Herrn M. Weitenkampf einen gefunden. Wenn diese Herren,
wegen der angeblichen Unmöglichkeit einer Menge ohne Zahl und Grenzen,
sich zu dieser Idee nicht bequemen können: so wollte ich nur vorläufig
fragen: ob die künftige Folge der Ewigkeit nicht
eine wahre Unendlichkeit von Mannigfaltigkeiten und Veränderungen in sich
fassen wird? und ob diese unendliche Reihe nicht auf einmal schon jetzo dem
göttlichen Verstande ganzlich gegenwärtig sei? Wenn es nun
möglich war, daß Gott den Begriff der Unendlichkeit, der seinem Verstande
auf einmal darstehet, in einer auf einander folgenden Reihe würklich machen
kann: warum sollte derselbe nicht den Begriff einer andern Unendlichkeit in
einem, dem Raume nach, verbundenen Zusammenhange darstellen, und dadurch
den Umfang der Welt ohne Grenzen machen können? Indessen, daß man
diese Frage wird zu beantworten suchen, so werde mich der Gelegenheit, die sich
darbieten wird, bedienen, durch eine aus der Natur der Zahlen gezolgene Erläuterung,
die vermeinte Schwierigkeit zu heben, woferne man, bei genauer Erwägung,
es noch als eine einer Erörterung bedürftige Frage ansehen kann: ob
dasjenige, was eine durch die höchste Weisheit begleitete Macht hervorgebracht
hat, sich zu offenbaren, zu demjenigen, was sie hat hervorbringen können,
sich wie eine Differentialgröße verhalte?
Die Ewigkeit ist nicht hinlängjlich, die Zeugnisse
des höchsten Wesens zu fassen, wo sie nicht mit der Unendlichkeit des Raumes
verbunden wird. Es ist wahr, die Ausbildung, die Form, die Schönheit
und Vollkommenheit sind Beziehungen der Grundstücke und der Substanzen,
die den Stoff des Weltbaues ausmachen; und man bemerket es an den Anstalten,
die die Weisheit Gottes noch zu aller Zeit trifft;
es ist ihr auch am gemäßesten, daß sie sich, aus dieser ihren
eingepflanzten allgemeinen Gesetzen, durch eine ungezwungene Folge herauswickeln.
Und daher kann man mit gutem Grunde setzen, daß die Anordnung und Einrichtung
der Weltgebäude, aus dem Vorrate des erschaffenen Naturstoffes, in einer
Folge der Zeit, nach und nach geschehe; allein, die Grundmaterie selber, deren
Eigenschaften und Kräfte allen Veränderungen zum Grunde liegen, ist
eine unmittelbare Folge des göttlichen Daseins: selbige muß also
auf einmal so reich, so vollständig sein, daß die Entwickelung ihrer
Zusammensetzungen in dem Abflusse der Ewigkeit sich über einen Plan ausbreiten
könne, der alles in sich schließet, was sein kann, der kein Maß
annimmt, kurz, der unendlich ist.
Wenn nun also die Schöpfung, der Räume nach, unendlich ist, oder es
wenigstens, der Materie nach, wirklich von Anbeginn her schon gewesen ist, der
Form, oder der Ausbildung nach aber es bereit ist zu werden: so wird der Weltraum
mit Welten ohne Zahl und ohne Ende belebet werden. Wird denn nun jene systematische
Verbindung, die wir vorher bei allen Teilen insonderheit erwogen haben, auch
aufs Ganze gehen, und das gesamte Universum, das All der Natur, in einem einigen
System, durch die Verbindung der Anziehung und der fliehenden
Kraft, zusammen fassen? Ich sage ja; wenn nur lauter abgesonderte Weltgebäude,
die unter einander keine vereinte Beziehung zu einem Ganzen hätten, vorhanden
wären, so könnte man wohl, wenn man diese Kette von Gliedern als wirklich
unendlich annähme, gedenken, daß eine genaue Gleichheit der Anziehung
ihrer Teile von allen Seiten diese Systemata von dem Verfall, den ihnen die
innere Wechselanziehung drohet, sicher halten könne. Allein hiezu gehöret
eine so genaue abgemessene Bestimmung in denen nach der Attraktion abgewogenen
Entfernungen, daß auch die geringste Verrückung dem U n i v e r s
o den Untergang zuziehen, und sie in langen Perioden, die aber doch endlich
zu Ende laufen müssen, dem Umsturze überliefern würde.
Eine Weltverfassung, die sich ohne ein Wunder nicht erhielt, hat nicht den Charakter
der Beständigkeit, die das Merkmal der Wahl Gottes ist; man trifft es also
dieser weit anständiger, wenn man der gesamten Schöpfung ein einziges
System machet, welches alle Welten und Weltordnungen, die den ganzen unendlichen
Raum ausfüllen, auf einen einigen Mittelpunkt beziehend macht. Ein
zerstreuetes Gewimmel von Weltgebäuden, sie möchten auch durch noch
so weite Entfernungen von einander getrennet sein, würde mit einem unverhinderten
Hang zum Verderben und zur Zerstörung eilen, wenn nicht eine gewisse beziehende
Einrichtung gegen einen allgemeinen Mittelpunkt, das Zentrum der Attraktion
des Universi und den Unterstützungspunkt der gesamten Natur, durch systematische
Bewegungen getroffen wäre -
Um diesen allgemeinen Mittelpunkt der Senkung der ganzen Natur, sowohl der gebildeten,
als der rohen, in welchem sich ohne Zweifel der Klumpen von der ausnehmendsten
Attraktion befindet, der in seine Anziehungssphäre
alle Welten und Ordnungen, die die Zeit hervorgebracht hat, und die Ewigkeit
hervorbringen wird, begreifet, kann man mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daß
die Natur den Anfang ihrer Bildung gemacht, und daselbst auch die Systemen
am dichtesten gehäufet seien; weiter von demselben aber in der Unendlichkeit
des Raumes sich, mit immer größeren Graden der Zerstreuung verlieren.
Man könnte diese Regel aus der Analogie unseres Sonnenbaues abnehmen, und
diese Verfassung kann ohnedem dazu dienen, daß in großen Entfernungen
nicht allein der allgemeine Zentralkörper, sondern auch alle um ihn zunächst
laufende Systemata ihre Anziehung zusammen vereinigen, und sie gleichsam aus
einem Klumpen gegen die Systemata des noch weiteren Abstandes ausüben.
Dieses wird alsdenn mit dazu behülflich sein, die ganze Natur in der ganzen
Unendlichkeit ihrer Erstreckung, in einem einzigen Systema, zu begreifen.
Um nun der Errichtung dieses allgemeinen Systems der Natur, aus den mechanischen
Gesetzen der zur Bildung strebenden Materie, nachzuspüren: so muß
in dem unendlichen Raume des ausgebreiteten elementarischen Grundstoffes, an
irgend einem Orte, dieser Grundstoff die dichteste Häufung gehabt haben,
um, durch die daselbst geschehende vorzügliche Bildung, dem gesamten Universo
eine Masse verschaffet zu haben, die ihm zum Unterstützungspunkte dienete.
Es ist zwar an dem, daß in einem unendlichen Raume kein Punkt eigentlich
das Vorrecht haben kann, der Mittelpunkt zu heißen; aber, vermittelst
einer gewissen Verhältnis, die sich auf die wesentliche Grade der Dichtigkeit
des Urstoffes gründet, nach welcher diese zugleich mit ihrer Schöpfung
an einem gewissen Orte vorzüglich dichter gehäufet, und mit den Weiten
von demselben in der Zerstreuung zunimmt, kann ein solcher Punkt das Vorrecht
haben, der Mittelpunkt zu heißen, und er wird es auch wirklich, durch
die Bildung der Zentralmasse von der kräftigsten Anziehung in demselben,
zu dem sich alle übrige, in Partikularbildungen begriffene elementarische
Materie senket, und dadurch, so weit sich auch die Auswickelung der Natur erstrecken
mag, in der unendlichen Sphäre der Schöpfung,
aus dem ganzen All nur ein einziges System macht.
Das ist aber was Wichtiges, und welches, woferne es Beifall erlanget, der größesten
Aufmerksamkeit würdig ist, daß, der Ordnung der Natur in diesem unserm
System zu Folge, die Schöpfung, oder vielmehr die Ausbildung der Natur,
bei diesem Mittelpunkte zuerst anfängt, und mit stetiger Fortschreitung
nach und nach in alle fernere Weiten ausgebreitet wird, um den unendlichen Raum
in dem Fortgange der Ewigkeit mit Welten und Ordnungen zu erfüllen.
Lasset uns dieser Vorstellung einen Augenblick mit stillem Vergnügen nachhängen.
Ich finde nichts, das den Geist des Menschen zu einem edleren Erstaunen erheben
kann, indem es ihm eine Aussicht in das unendliche Feld der Allmacht eröffnet,
als diesen Teil der Theorie, der die sukzessive Vollendung der Schöpfung
betrifft. Wenn man mir zugibt, daß die Materie, die der Stoff zu
Bildung aller Welten ist, in dem ganzen unendlichen Raume der göttlichen
Gegenwart nicht gleichförmig, sondern nach einem gewissen Gesetze
ausgebreitet gewesen, das sich vielleicht auf die Dichtigkeit der Partikeln
bezog, und nach welchem von einem gewissen Punkte, als dem Orte der dichtesten
Häufung, mit den Weiten von diesem Mittelpunkte die Zerstreuung des Urstoffes
zunahm: so wird, in der ursprünglichen Regung der Natur, die Bildung zunächst
diesem Centro angefangen, und denn, in fortschreitender Zeitfolge, der weitere
Raum nach und nach Welten und Weltordnungen, mit einer gegen diesen sich beziehenden
systematischen Verfassung, gebildet haben.
Ein jeder endlicher Periodus, dessen Länge zu der Größe des
zu vollbringenden Werks ein Verhältnis hat, wird immer nur eine endliche
Sphäre, von diesem Mittelpunkte an, zur Ausbildung bringen; der übrige
unendliche Teil wird indessen noch mit der Verwirrung und dem Chaos streiten,
und um so viel weiter von dem Zustande der vollendeten Bildung entfernet sein,
je weiter dessen Abstand von der Sphäre der schon ausgebildeten Natur entfernet
ist. Diesem zu Folge, ob wir gleich von dem Orte unseres Aufenthalts in dem
Universo eine Aufsicht in eine, wie es scheinet, völlig vollendete Welt,
und, so zu reden, in ein unendliches Heer von Weltordnungen,
die systematisch verbunden sind, haben: so befinden wir uns doch eigentlich
nur in einer Naheit zum Mittelpunkte der ganzen Natur, wo diese sich schon aus
dem Chaos ausgewickelt, und ihre gehörige Vollkommenheit erlanget hat.
Wenn wir eine gewisse Sphäre überschreiten könnten: würden
wir daselbst das Chaos und die Zerstreuung der Elemente erblicken, die nach
dem Maße, als sie sich diesem Mittelpunkte näher befinden, den rohen
Zustand zum Teil verlassen, und der Vollkommenheit der Ausübung näher
sind, mit den Graden der Entfernung aber sich nach und nach in einer völligen
Zerstreuung verlieren. Wer würde sehen, wie der unendliche
Raum der göttlichen Gegenwart, darin der Vorrat zu allen möglichen
Naturbildungen anzutreffen ist, in einer stillen Nacht begraben, voll von Materie,
den künftig zu erzeugenden Welten zum Stoffe zu dienen, und von Triebfedern,
sie in Bewegung zu bringen, die, mit einer schwachen Regung, diejenige Bewegungen
anfangen, womit die Unermeßlichkeit dieser öden Räume dereinst
noch soll belebet werden.
Es ist vielleicht eine Reihe von Millionen Jahren und Jahrhunderten verflossen,
ehe die Sphäre der gebildeten Natur, darin wir uns befinden, zu der Vollkommenheit
gediehen ist, die ihr jetzt beiwohnet; und es wird vielleicht ein eben so langer
Periodus vergehen, bis die Natur einen eben so weiten Schritt in dem Chaos tut:
allein die Sphäre der ausgebildeten Natur ist unaufhörlich beschäftiget,
sich auszubreiten.
Die Schöpfung ist nicht das Werk von einem Augenblicke.
Nachdem sie mit der Hervorbringung einer Unendlichkeit von Substanzen und Materie
den Anfang gemachet hat: so ist sie mit immer zunehmenden Graden der Fruchtbarkeit,
die ganze Folge der Ewigkeit hindurch, wirksam.
Es werden Millionen, und ganze Gebürge von Millionen Jahrhunderten verfließen,
binnen welchen immer neue Welten und Weltordnungen nach einander, in denen
entfernten Weiten von dem Mittelpunkte der Natur, sich bilden, und zur Vollkommenheit
gelangen werden; sie werden, ohnerachtet der systematischen Verfassung, die
unter ihren Teilen ist, eine allgemeine Beziehung auf den Mittelpunkt erlangen,
welcher der erste Bildungspunkt, und das Zentrum der Schöpfung durch das
Anziehungsvermögen seiner vorzüglichen Masse worden ist.
Die Unendlichkeit der künftigen Zeitfolge, womit die Ewigkeit unerschöpflich
ist, wird alle Räume der Gegenwart Gottes ganz und gar beleben, und in
die Regelmäßigkeit, die der Trefflichkeit seines Entwurfes gemäß
ist, nach und nach versetzen, und wenn man mit einer kühnen Vorstellung
die ganze Ewigkeit, so zu sagen, in einem Begriffe zusammen fassen könnte:
so würde man auch den ganzen unendlichen Raum mit Weltordnungen angefüllet,
und die Schöpfung vollendet ansehen können. Weil aber in der
Tat von der Zeitfolge der Ewigkeit der rückständige Teil allemal unendlich,
und der abgeflossene endlich ist: so ist die Sphäre der ausgebildeten Natur
allemal nur ein unendlich kleiner Teil desjenigen Inbegriffs,
der den Samen zukünftiger Welten in sich hat, und sich aus dem rohen
Zustande des Chaos, in längern oder kürzern Perioden, auszuwickeln
trachtet. Die Schöpfung ist niemals vollendet. Sie
hat zwar einmal angefangen, aber sie wird niemals aufhören. Sie ist immer
geschäftig, mehr Auftritte der Natur, neue Dinge und neue Welten hervor
zu bringen. Das Werk, welches sie zu Stande bringet, hat ein Verhältnis
zu der Zeit, die sie darauf anwendet. Sie braucht nichts weniger, als
eine Ewigkeit, um die ganze grenzenlose Weite der unendlichen Räume, mit
Welten ohne Zahl und ohne Ende, zu beleben. Man kann von ihr dasjenige sagen,
was der erhabenste unter den deutschen Dichtern von der Ewigkeit schreibet:
Unendlichkeit! wer misset
dich?
Vor dir sind Weiten Tag, und Menschen Augenblicke;
Vielleicht die tausendste der Sonnen wälzt jetzt sich,
Und tausend bleiben noch zurücke.
Wie eine Uhr, beseelt durch ein Gewicht,
Eilt eine Sonn‘, aus Gottes Kraft bewegt:
Ihr Trieb läuft ab, und eine andre schlägt,
Du aber bleibst, und zählst sie nicht.
v. Haller.
Es ist ein nicht geringes Vergnügen, mit seiner Einbildungskraft
über die Grenze der vollendeten Schöpfung, in den Raum des Chaos,
auszuschweifen, und die halb rohe Natur, in der Naheit zur Sphäre
der ausgebildeten Welt, sich nach und nach durch alle Stufen und Schattierungen
der Unvollkommenheit, in dem ganzen ungebildeten Raume, verlieren zu sehen.
Aber ist es nicht eine tadelnswürdige Kühnheit, wird man sagen, eine
Hypothese aufzuwerfen, und sie, als einen Vorwurf der Ergötzung des Verstandes,
anzupreisen, welche vielleicht nur gar zu willkürlich ist, wenn man behauptet,
daß die Natur nur einem unendlich kleinen Teile nach ausgebildet sei,
und unendliche Räume noch mit dem Chaos streiten, um in der Folge künftiger
Zeiten ganze Heere von Welten und Weltordnungen, in aller gehörigen Ordnung
und Schönheit, darzustellen? Ich bin den Folgen, die meine Theorie darbietet,
nicht so sehr ergeben, daß ich nicht erkennen sollte, wie die Mutmaßung
von der sukzessiven Ausbreitung der Schöpfung durch die unendliche Räume,
die den Stoff dazu in sich fassen, den Einwurf der Unerweislichkeit nicht völlig
ablehnen könne. Indessen verspreche ich mir doch von denenjenigen, welche
die Grade der Wahrscheinlichkeit zu schätzen im Stande sind, daß
eine solche Karte der Unendlichkeit, ob sie gleich einen Vorwurf begreifet,
der bestimmt zu sein scheinet, dem menschlichen Verstande auf ewig verborgen
zu sein, nicht um deswillen sofort als ein Hirngespinste werde angesehen werden,
vornehmlich, wenn man die Analogie zu Hülle nimmt, welche uns allemal,
in solchen Fällen, leiten muß, wo dem Verstande der Faden der untrüglichen
Beweise mangelt.
Man kann aber auch die Analogie noch durch annehmungswürdige Gründe
unterstützen, und die Einsicht des Lesers, wofern ich mich solches Beifalls
schmeicheln darf, wird sie vielleicht mit noch wichtigem vermehren können.
Denn wenn man erwäget, daß die Schöpfung den Charakter der Beständigkeit
nicht mit sich führet, wofern sie der allgemeinen Bestrebung der Anziehung,
die durch alle ihre Teile wirket, nicht eine eben so durchgängige Bestimmung
entgegen setzet, die dem Hange der ersten zum Verderben und zur Unordnung gnugsam
widerstehen kann, wenn sie nicht Schwungskräfte
ausgeteilet hat, die in der Verbindung mit der Zentralneigung eine allgemeine
systematische Verfassung festsetzen: so wird man genötiget, einen allgemeinen
Mittelpunkt des ganzen Welt-Alls anzunehmen, die alle Teile desselben in verbundener
Beziehung zusammen hält, und aus dem ganzen Inbegriff der Natur nur ein
System machet.
Wenn man hiezu den Begriff von der Bildung der Weltkörper aus der zerstreueten
elementarischen Materie füget, wie wir ihn in den vorhergehenden entworfen
haben, jedoch ihn allhier nicht auf ein absonderliches System einschränkt,
sondern über die ganze Natur ausdehnet: so wird man genötiget, eine
solche Austeilung des Grundstoffes, in dem Raume des ursprünglichen Chaos,
zu gedenken, die natürlicher Weise einen Mittelpunkt der ganzen Schöpfung
mit sich bringet, damit in diesen die wirksame Masse, die in ihrer Sphäre
die gesamte Natur begreift, zusammengebracht, und die durchgängige Beziehung
bewirket werden könne, wodurch alle Welten nur ein einziges Gebäude
ausmachen.
Es kann aber in dem unendlichen Raume kaum eine Art der Austeilung des ursprünglichen
Grundstoffes gedacht werden, die einen wahren Mittel- und Senkungspunkt der
gesamten Natur setzen sollte, als wenn sie nach einem Gesetze der zunehmenden
Zerstreuung, von diesem Punkte an, in alle ferne Weiten eingerichtet ist. Dieses
Gesetze aber setzet zugleich einen Unterscheid in der Zeit, die ein System in
den verschiedenen Gegenden des unendlichen Raumes gebrauchet, zur Reife seiner
Ausbildung zu kommen, so, daß diese Periode desto kürzer ist, je
näher der Bildungsplatz eines Weltbaues sich dem Centro der Schöpfung
befindet, weil daselbst die Elemente des Stoffes dichter gehäufet sind,
und dagegen um desto länger Zeit erfordert, je weiter der Abstand ist,
weil die Partikeln daselbst zerstreueter sind, und später zur Bildung zusammen
kommen.
Wenn man die ganze Hypothese, die ich entwerfe, in dem ganzen Umfange sowohl
dessen, was ich gesagt habe, als was ich noch eigentlich darlegen werde, erwäget:
so wird man die Kühnheit ihrer Forderungen wenigstens nicht vor unfähig
halten, eine Entschuldigung anzunehmen. Man kann den unvermeidlichen Hang, den
ein jegliches zur Vollkommenheit gebrachtes Weltgebäude
nach und nach zu seinem Untergange hat, unter die Gründe rechnen, die es
bewähren können, daß das Universum dagegen in andern Gegenden
an Welten fruchtbar sein werde, um den Mangel zu ersetzen, den es an einem Orte
erlitten hat. Das ganze Stück der Natur, das wir kennen, ob es gleich
nur ein Atomus in Ansehung dessen ist, was über oder unter unserem Gesichtskreise
verborgen bleibt, bestätiget doch diese Fruchtbarkeit der Natur, die
ohne Schranken ist, weil sie nicht anders, als die Ausübung der göttlichen
Allmacht selber ist.
Unzählige Tiere und Pflanzen werden täglich zerstöret, und sind
ein Opfer der Vergänglichkeit; aber nicht weniger bringet die Natur, durch
ein unerschöpftes Zeugungsvermögen, an andern Orten wiederum hervor,
und füllet das Leere aus. Beträchtliche Stücke des Erdbodens,
den wir bewohnen, werden wiederum in dem Meere begraben, aus dem sie ein günstiger
Periodus hervorgezogen hatte; aber an anderen Orten ergänzet die Natur
den Mangel, und bringet andere Gegenden hervor, die in der Tiefe des Wesens
verborgen waren, um neue Reichtümer ihrer Fruchtbarkeit über dieselbe
auszubreiten. Auf die gleiche Art vergehen Welten und Weltordnungen, und werden
von dem Abgrunde der Ewigkeiten verschlungen; dagegen ist die Schöpfung
immerfort geschäftig, in andern Himmelsgegenden neue Bildungen zu verrichten,
und den Abgang mit Vorteile zu ergänzen.
Man darf nicht erstaunen, selbst in dem Großen der Werke
Gottes, eine Vergänglichkeit zu verstatten. Alles,
was endlich ist, was einen Anfang und Ursprung hat, hat das Merkmal seiner eingeschränkten
Natur in sich; es muß vergehen, und ein Ende haben. Die Dauer eines
Weltbaues hat, durch die Vortrefflichkeit ihrer Errichtung, eine Beständigkeit
in sich, die, unsern Begriffen nach, einer unendlichen Dauer nahe kommt. Vielleicht
werden tausend, vielleicht Millionen Jahrhunderte sie nicht vernichten; allein,
weil die Eitelkeit, die an denen endlichen Naturen haftet, beständig an
ihrer Zerstörung arbeitet: so wird die Ewigkeit alle mögliche Perioden
in sich halten, um durch einen allmählichen Verfall den Zeitpunkt ihres
Unterganges doch endlich herbei zu führen. Newton,
dieser große Bewunderer der Eigenschaften Gottes
aus der Vollkommenheit seiner Werke, der mit der tiefsten Einsicht in die Trefflichkeit
der Natur die größte Ehrfurcht gegen die Offenbarung der göttlichen
Allmacht verband, sahe sich genötiget, der Natur ihren Verfall durch den
natürlichen Hang, den die Mechanik der Bewegungen dazu hat, vorher zu verkündigen.
Wenn eine systematische Verfassung, durch die wesentliche Folge der Hinfälligkeit,
in großen Zeitläuften auch den allerkleinsten Teil, den man sich
nur gedenken mag, dem Zustande ihrer Verwirrung nähert: so muß in
dem unendlichen Ablaufe der Ewigkeit doch ein Zeitpunkt sein, da diese allmähliche
Verminderung alle Bewegung erschöpfet hat.
Wir dürfen aber den Untergang eines Weltgebäudes nicht als einen wahren
Verlust der Natur bedauren. Sie beweiset ihren Reichtum
in einer Art von Verschwendung, welche, indem einige Teile der Vergänglichkeit
den Tribut bezahlen, sich durch unzählige neue Zeugungen in dem ganzen
Umfange ihrer Vollkommenheit unbeschadet erhält. Welch eine unzählige
Menge Blumen und Insekten zerstöret ein einziger kalter Tag; aber wie wenig
vermisset man sie, ohnerachtet es herrliche Kunstwerke der Natur und Beweistümer
der göttlichen Allmacht sein; an einem andern Orte wird dieser Abgang
mit Überfluß wiederum ersetzet.
Der Mensch, der das Meisterstück der Schöpfung
zu sein scheinet, ist selbst von diesem Gesetze nicht ausgenommen. Die Natur
beweiset, daß sie eben so reich, eben so unerschöpfet, in Hervorbringung
des Trefflichsten unter den Kreaturen, als des Geringschätzigsten, ist,
und daß selbst deren Untergang eine notwendige Schattierung in der Mannigfaltigkeit
ihrer Sonnen ist, weil die Erzeugung derselben ihr nichts kostet. Die schädlichen
Wirkungen der angesteckten Luft, die Erdbeben, die Überschwemmungen vertilgen
ganze Völker von dem Erdboden; allein es scheinet nicht, daß die
Natur dadurch einigen Nachteil erlitten habe. Auf gleiche Weise verlassen ganze
Welten und Systemen den Schauplatz, nachdem sie ihre Rolle ausgespielet haben.
Die Unendlichkeit der Schöpfung ist groß genug, um eine Welt, oder
eine Milchstraße von Welten, gegen sie anzusehen, wie man eine Blume,
oder ein Insekt, in Vergleichung gegen die Erde, ansiehet. Indessen, daß
die Natur mit veränderlichen Auftritten die Ewigkeit auszieret, bleibt
Gott in einer unaufhörlichen Schöpfung geschäftig, den Zeug zur
Bildung noch größerer Welten zu formen.
Der stets mit einem gleichen Auge, weil er der Schöpfer
ja von allen,
Sieht einen Helden untergehn, und einen kleinen Sperling fallen,
Sieht eine Wasserblase springen, und eine ganze Welt vergehn.
Pope, nach Brockes‘ Übersetzung.
Laßt uns also unser Auge an diese erschreckliche Umstürzungen als
an die gewöhnlichen Wege der Vorsehung gewöhnen, und sie sogar mit
einer Art von Wohlgefallen ansehen. Und in der Tat ist dem Reichtume der Natur
nichts anständiger als dieses. Denn wenn ein Weltsystem in der langen Folge
seiner Dauer alle Mannigfaltigkeit erschöpfet, die seine Einrichtung fassen
kann, wenn es nun ein überflüssiges Glied in der Kette der Wesen geworden:
so ist nichts geziemender, als daß es in dem Schauspiele der ablaufenden
Veränderungen des Universi die letzte Rolle spielet, die jedem endlichen
Dinge gebühret, nämlich der Vergänglichkeit ihr Gebühr abtrage.
Die Natur zeiget, wie gedacht, schon in dem kleinen Teile ihres Inbegriffes,
diese Regel ihres Verfahrens, die das ewige Schicksal ihr im Ganzen vorgeschrieben
hat, und ich sage es nochmals, die Größe desjenigen, was untergehen
soll, ist hierin nicht im geringsten hinderlich; denn alles, was groß
ist, wird klein, ja es wird gleichsam nur ein Punkt, wenn man es mit dem Unendlichen
vergleicht, welches die Schöpfung in dem unbeschränkten Raume, die
Folge der Ewigkeit hindurch, darstellen wird.
Es scheinet, daß dieses denen Welten so wie allen Naturdingen verhängte
Ende einen gewissen Gesetze unterworfen sei, dessen Erwägung der Theorie
einen neuen Zug der Anständigkeit gibet. Nachdemselben hebt es bei denen
Weltkörpern an, die sich dem Mittelpunkte des Welt-Alls am nächsten
befinden, so wie die Erzeugung und Bildung neben diesem Centro zuerst angefangen:
von da breitet sich das Verderben und die Zerstörung nach und nach in die
weiteren Entfernungen aus, um alle Welt, welche ihre Periode zurück geleget
hat, durch einen allmählichen Verfall der Bewegungen, zuletzt in einem
einzigen Chaos zu begraben.
Andererseits ist die Natur, auf der entgegengesetzten Grenze der ausgebildeten
Welt, unablässig beschäftiget, aus dem rohen Zeuge der zerstreueten
Elemente Welten zu bilden, und, indem sie an der einen Seite neben dem Mittelpunkte
veraltet, so ist sie auf der andern jung und an neuen Zeugungen fruchtbar. Die
ausgebildete Welt befindet sich diesem nach zwischen den Ruinen der zerstörten,
und zwischen dem Chaos der ungebildeten Natur mitten inne beschränket,
und wenn man, wie es wahrscheinlich ist, sich vorstellet, daß eine schon
zur Vollkommenheit gediehene Welt eine längere Zeit dauren könne,
als sie bedurft hat, gebildet zu werden: so wird ungeachtet aller der Verheerungen,
die die Vergänglichkeit unaufhörlich anrichtet, der Umfang des Universi
dennoch überhaupt zunehmen.
Will man aber noch zuletzt einer Idee Platz lassen, die eben so wahrscheinlich,
als der Verfassung der göttlichen Werke wohlanständig ist: so wird
die Zufriedenheit, welche eine solche Abschilderung der Veränderungen der
Natur erreget, bis zum höchsten Grade des Wohlgefallens erhoben. Kann man
nicht glauben, die Natur, welche vermögend war, sich aus dem Chaos in eine
regelmäßige Ordnung und in ein geschicktes System zu setzen, sei
ebenfalls im Stande, aus dem neuen Chaos, darin sie die Verminderung ihrer Bewegungen
versenket hat, sich wiederum eben so leicht herzustellen, und die erste Verbindung
zu erneuren? Können die Federn, welche den Stoff der zerstreuten Materie
in Bewegung und Ordnung brachten, nachdem sie der Stillstand der Maschine zur
Ruhe gebracht hat, durch erweiterte Kräfte nicht wiederum in Wirksamkeit
gesetzt werden, und sich nach eben denselben allgemeinen Regeln zur Übereinstimmung
einschränken, wodurch die ursprüngliche Bildung zuwege gebracht worden
ist?
Man wird nicht lange Bedenken tragen, dieses zuzugeben, wenn man erwäget,
daß, nachdem die endliche Mattigkeit der Umlaufs-Bewegungen in dem Weltgebäude
die Planeten und Kometen insgesamt auf die Sonne niedergestürzt hat, dieser
ihre Glut einen unermeßlichen Zuwachs durch die Vermischung so vieler
und großer Klumpen bekommen muß, vornehmlich da die entfernete Kugeln
des Sonnensystems, unserer vorher erwiesenen Theorie zufolge, den leichtesten
und im Feuer wirksamsten Stoff der ganzen Natur in sich enthalten. Dieses durch
neue Nahrung und die flüchtigste Materie in die größte Heftigkeit
versetzte Feuer wird ohne Zweifel nicht allein alles wiederum in die kleinsten
Elemente auflösen, sondern auch dieselbe in dieser Art, mit einer der Hitze
gemäßen Ausdehnungskraft, und mit einer Schnelligkeit, welche durch
keinen Widerstand des Mittelraums geschwächet wird, in dieselben weiten
Räume wiederum ausbreiten und zerstreuen, welche sie vor der ersten Bildung
der Natur eingenommen hatten, um, nachdem die Heftigkeit des Zentralfeuers durch
eine beinahe gänzliche Zerstreuung ihrer Masse gedämpfet werden, durch
Verbindung der Attraktions- und Zurückstoßungskräfte, die alten
Zeugungen und systematisch beziehende Bewegungen, mit nicht minderer Regelmäßigkeit
zu wiederholen und ein neues Weltgebäude darzustellen. Wenn denn ein besonderes
Planetensystem auf diese Weise in Verfall geraten und durch wesentliche Kräfte
sich daraus wiederum hergestellet hat, wenn es wohl gar dieses Spiel mehr wie
einmal wiederholet: so wird endlich die Periode herannahen, die auf gleiche
Weise das große System, darin die Fixsterne Glieder sein, durch den Verfall
ihrer Bewegungen, in einem Chaos versammlen wird.
Man wird hier noch weniger zweifeln, daß die Vereinigung einer so unendlichen
Menge Feuerschätze, als diese brennenden Sonnen sind, zusamt dem Gefolge
ihrer Planeten den Stoff ihrer Massen, durch die unnennbare Glut aufgelöset,
in den alten Raum ihrer Bildungssphäre zerstreuen und daselbst die Materialien
zu neuen Bildungen durch dieselbe mechanische Gesetze hergeben werden, woraus
wiederum der öde Raum mit Welten und Systemen kann belebet werden. Wenn
wir denn diesen Phönix der Natur, der sich nur darum verbrennet, um aus
seiner Asche wiederum verjüngt aufzuleben, durch alle Unendlichkeit der
Zeiten und Räume hindurch folgen; wenn man siehet, wie sie sogar in der
Gegend, da sie verfällt und veraltet, an neuen Auftritten unerschöpft
und auf der anderen Grenze der Schöpfung in dem Raum der ungebildeten rohen
Materie mit stetigen Schritten zur Ausdehnung des Plans
der göttlichen Offenbarung fortschreitet, um die Ewigkeit sowohl, als alle
Räume mit ihren Wundern zu füllen: so versenket sich der Geist,
der alles dieses überdenket, in ein tiefes Erstaunen; aber annoch mit diesem
so großen Gegenstande unzufrieden, dessen Vergänglichkeit die Seele
nicht gnugsam zufrieden stellen kann, wünschet er dasjenige
Wesen von nahem kennen zu lernen, dessen Verstand, dessen Größe die
Quelle desjenigen Lichtes ist, das sich über die gesamte Natur,
gleichsam als aus einem Mittelpunkte, ausbreitet. Mit welcher Art der Ehrfurcht
muß nicht die Seele so gar ihr eigen Wesen ansehen, wenn sie betrachtet,
daß sie noch alle diese Veränderungen überleben soll, sie kann
zu sich selber sagen, was der philosophische Dichter von der Ewigkeit saget:
Wenn denn ein zweites Nichts wird diese Welt begraben;
Wenn von dem Alles selbst nichts bleibet als die Stelle;
Wenn mancher Himmel noch, von andern Sternen helle,
Wird seinen Lauf vollendet haben:
Wirst du so jung als jetzt, von deinem Tod gleich weit,
Gleich ewig künftig sein, wie heut.
v. Haller.
O glücklich, wenn sie unter dem Tumult der Elemente und den Träumen
der Natur jederzeit auf eine Höhe gesetzet ist, von da sie die Verheerungen,
die die Hinfälligkeit den Dingen der Welt verursacht, gleichsam unter ihren
Füßen kann vorbei rauschen sehen. Eine Glückseligkeit, welche
die Vernunft nicht einmal zu erwünschen sich erkühnen darf, lehret
uns die Offenbarung mit Überzeugung hoffen. Wenn
denn die Fesseln, welche uns an die Eitelkeit der Kreaturen geknüpft halten,
in dem Augenblicke, welcher zu der Verwandelung unsers Wesens bestimmt worden,
abgefallen sein, so wird der unsterbliche Geist, von der Abhängigkeit der
endlichen Dinge befreiet, in der Gemeinschaft mit dem unendlichen Wesen, den
Genuß der wahren Glückseligkeit finden.
Die ganze Natur, welche eine allgemeine harmonische Beziehung zu dem Wohlgefallen
der Gottheit hat, kann diejenige vernünftige Kreatur nicht anders als mit
Immerwährender Zufriedenheit erfüllen, die sich mit dieser Urquelle
aller Vollkommenheit vereint befindet. Die Natur, von diesem Mittelpunkte
aus gesehen, wird von allen Seiten lauter Sicherheit, lauter Wohlanständigkeit
zeigen. Die veränderlichen Szenen der Natur vermögen
nicht, den Ruhestand der Glückseligkeit eines Geistes zu verrücken,
der einmal zu solcher Höhe erhoben ist. Indem er diesen Zustand, mit einer
süßen Hoffnung, schon zum voraus kostet: kann er seinen Mund in denjenigen
Lobgesängen üben, davon dereinst alle Ewigkeiten erschallen sollen.
Wenn dereinst der Bau der Welt in sein Nichts zurück
geeilet
Und sich deiner Hände Werk nicht durch Tag und Nacht mehr teilet:
Denn soll mein gerührt Gemüte sich durch dich gestärkt bemühn,
In Verehrung deiner Allmacht, stets vor deinen Thron zu ziehn;
Mein von Dank erfüllter Mund soll durch alle Ewigkeiten
Dir und deiner Majestät ein unendlich Lob bereiten;
Ist dabei gleich kein vollkommnes, denn o Herr! so groß bist du,
Dich nach Würdigkeit zu loben, reicht die Ewigkeit nicht zu.
Addison Nach Gottscheds Übersetzung
Aus Immanuel Kant, Vorkritische Schriften 1, Allgemeine
Naturgeschichte und Theorie des Himmels . . .(S.326ff.)
Werkausgabe Band I Herausgegeben
von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Tachenbuch Wissenschaft stw 186
Versuch
einiger Betrachtungen über den Optimismus (1759)
Seitdem man sich von Gott einen geziemenden Begriff gemacht hat, ist vielleicht
kein Gedanke natürlicher gewesen, als dieser daß
wenn er wählt er nur das Beste wähle.Wenn man vom Alexander sagte: Daß er glaubte nichts getan
zu haben, so lange vor ihn noch etwas zu tun übrig war, so wird sich dieses
mit einer unendlich größeren Richtigkeit von dem gütigsten und
mächtigsten unter allen Wesen sagen lassen. Leibniz hat auch damit nichts
Neues vorzutragen geglaubt, wenn er sagte: Diese Welt
sei unter allen möglichen die beste, oder welches eben so viel ist:
der Inbegriff alles dessen, was Gott außer sich hervor gebracht hat, ist
das Beste, was nur hervor zu bringen möglich war; sondern das Neue bestand
nur in der Anwendung, um bei den Schwierigkeiten, die man von dem Ursprunge
des Bösen macht, den Knoten abzuhauen, der so schwer aufzulösen ist.
Ein Gedanke, der so leicht, so natürlich ist, den man endlich so oft sagt,
daß er gemein wird, und Leute von zärtlichem Geschmacke verekelt,
kann sich nicht lange im Ansehen erhalten. Was hat man denn vor Ehre davon,
mit dem großen Haufen mit zu denken und einen Satz zu behaupten, der so
leicht zu beweisen ist? Subtile Irrtümer sind ein Reiz vor die Eigenliebe,
welche die eigene Stärke gerne fühlt; offenbare Wahrheiten hingegen
werden so leicht und durch einen so gemeinen Verstand eingesehen, daß
es ihnen endlich so geht wie jenen Gesängen, welche man nicht mehr ertragen
kann, so bald sie aus dem Munde des Pöbels erschallen. Mit einem Worte:
Man schätzt gewisse Erkenntnisse öfters nicht darum hoch weil sie
richtig sind, sondern weil sie uns was kosten, und man hat nicht gerne die Wahrheit
gutes Kaufs. Diesem nach hat man es erstlich außerordentlich, dann schön
und endlich richtig gefunden, zu behaupten, daß es Gott beliebt habe,
unter allen möglichen Welten diese zu wählen, nicht weil sie besser
war als die übrige die in seiner Gewalt waren, sondern weil es kurzum ihm
so beliebte. Und warum beliebte es denn dir, du Ewiger,
frage ich mit Demut, das Schlechtere dem Bessern vorzuziehen? und Menschen
legen dem Allerhöchsten die Antwort in den Mund: Es
gefiel mir also, und das ist genug.Ich entwerfe jetzt mit einiger Eilfertigkeit
Anmerkungen, die das Urteil über die Streitigkeit erleichtern können,
welche sich hierüber erhoben hat. Meine Herren Zuhörer werden sie
vielleicht dienlich finden, den Vortrag, den ich über diesen Artikel in
den Vorlesungen tue, in seinem Zusammenhange besser einzusehen. Ich fange demnach
also an zu schließen.
Wenn keine Welt gedacht werden kann, über die sich
nicht noch eine bessere denken ließe, so hat der höchste Verstand
unmöglich die Erkenntnis aller möglichen Welten haben können;
nun ist das letztere falsch, also auch des erstere. Die Richtigkeit des
Obersatzes erhellet also: wenn ich es von einer jeden einzelnen Idee, die man
sich nur von einer Welt machen mag, sagen kann, daß die Vorstellung einer
noch bessern möglich sei, so kann dieses auch von allen Ideen der Welten
im göttlichen Verstande gesagt werden; also sind bessere Welten möglich
als alle, die so von Gott erkannt werden, und Gott hat nicht von allen möglichen
Welten Kenntnis gehabt. Ich bilde mir ein, daß der Untersatz von jedem
Rechtgläubigen werde eingeräumt werden, und schließe, daß
es falsch sei zu behaupten, es könne keine Welt gedacht werden, über
die sich nicht noch eine bessere denken ließe, oder welches einerlei ist,
es ist eine Welt möglich, über die sich keine bessere denken läßt.
Hieraus folgt nur zwar freilich nicht, daß eine unter allen möglichen
Welten müsse die vollkommenste sein, denn wenn zwei oder mehrere derselben
an Vollkommenheit gleich wären, so würde, wenn gleich keine bessere
als eine von beiden könnte gedacht werden, doch keine die beste sein, weil
beide einerlei Grad der Güte haben.
Um diesen zweiten Schluß machen zu können, stelle ich folgende Betrachtung
an, die mir neu zu sein scheinet. Man erlaube mir zuvörderst, daß
ich die absolute Vollkommenheit*
eines Dinges, wenn man sie ohne irgend eine Absicht vor sich selbst
betrachtet, in dem Grade der Realität setze. Ich habe in dieser Voraussetzung
die Beistimmung der meisten Weltweisen auf meiner Seite, und könnte sehr
leicht diesen Begriff rechtfertigen. Nun behaupte ich, daß Realität
und Realität niemals als solche können unterschieden sein. Denn wenn
sich Dinge von einander unterscheiden, so geschieht es durch dasjenige, was
in dem einen ist. und in dem andern nicht ist. Wenn aber Realitäten als
solche betrachtet werden, so ist ein jedes Merkmal in ihnen positiv, sollten
sich nun dieselbe von einander als Realitäten unterscheiden, so müsse
in der einen etwas Positives sein, was in der andern nicht wäre, also würde
in der einen etwas Negatives gedacht werden, wodurch sie sich von der andern
unterscheiden ließe, das heißt sie werden nicht als Realitäten
mit einander verglichen, welches doch gefordert wurde. Demnach unterscheiden
sich Realität und Realität von einander durch nichts als durch die
einer von beiden anhängende Negationen, Abwesenheiten, Schranken, das ist
nicht in Ansehung ihrer Beschaffenheit (qualitate)
sondern Größe (gradu).
* Die Vollkommenheit
im respektiven Verstande ist die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu einer
gewissen Regel, diese mag sein welche sie wolle. So ist mancher Betrug, manche
Räuberrotte vollkommen in ihrer Art. Allein im absoluten Verstande ist
etwas nur vollkommen, in so ferne das Mannigfaltige in demselben den Grund einer
Realität in sich enthält. Die Größe dieser Realität
bestimmt den Grad der Vollkommenheit. Und weil Gott die höchste Realität
ist, so würde dieser Begriff mit demjenigen übereintreffen, da man
sagte, es ist etwas vollkommen, in so ferne es mit den göttlichen Eigenschaften
zusammenstimmt.
Demnach wenn Dinge von einander unterschieden sind, so unterscheiden sie sich
jederzeit nur durch den Grad ihrer Realität, und unterschiedliche Dinge
können nie einerlei Grad der Realität haben. Also können ihn
auch niemalen zwei unterschiedene Welten haben; das heißt es sind nicht
zwei Welten möglich, welche gleich gut, gleich vollkommen wären. Herr
Reinhard sagt in seiner Preisschrift vom Optimismus: Eine
Welt könne wohl eben die Summe von Realitäten, aber anderer Art haben
als die andere, und alsdenn wären es verschiedene Welten und doch von gleicher
Vollkommenheit. Allein er irret in dem Gedanken, als wenn Realitäten
von gleichem Grad doch konnten in ihrer Beschaffenheit (qualitate)
von einander unterschieden sein. Denn, um es nochmals zu sagen, man setze daß
sie es wären, so würde in einer etwas sein, was in der andern nicht
ist, also würden sie sich durch die Bestimmungen A und non
A unterscheiden, wovon die eine allemal eine wahrhafte Verneinung ist,
mithin durch die Schranken derselben und den Grad, nicht aber durch ihre Beschaffenheit;
denn die Verneinungen können niemalen zu den Qualitäten einer Realität
gezählt werden, sondern sie schränken sie ein und bestimmen ihren
Grad. Diese Betrachtung ist abstrakt, und würde wohl einiger Erläuterungen
bedürfen, welche ich aber anderer Gelegenheit vorbehalte.
Wir sind so weit gekommen, gründlich einzusehen, daß unter
allen möglichen Welten eine die vollkommenste sei, so daß
ihr weder eine an Trefflichkeit vorgehet noch eine andere ihr gleichkommt. Ob
dieses nun die wirkliche Welt sei oder nicht, wollen wir bald erwägen;
jetzt wollen wir das Abgehandelte in ein größeres Licht zu setzen
suchen.
Es gibt Größen, von denen sich keine denken läßt, daß
nicht eine noch größere könnte gedacht werden. Die
größeste unter allen Zahlen, die geschwindeste unter allen Bewegungen
sind von dieser Art. Selbst der göttliche Verstand denket sie nicht,
denn sie sind wie Leibniz anmerkt betrügliche Begriffe
(notiones deceptrices), von denen es scheinet, daß man etwas durch
sie denket, die aber in der Tat nichts vorstellen. Nun sagen die Gegner des
Optimismus: eine vollkommenste unter allen Welten sei
so wie die größeste unter allen Zahlen ein widersprechender Begriff;
denn man könne eben so wohl zu einer Summe der Realität in einer Welt
einige mehrere hinzutun, wie zu der Summe der Einheiten in einer Zahl andere
Einheiten können hinzugetan werden, ohne daß jemals was Größtes
herauskommt.
Ohne hier zu erwähnen: daß man nicht füglich den Grad der Realität
eines Dinges in Vergleichung der kleinem als eine Zahl in Vergleichung mit ihren
Einheiten ansehen kann, so führe ich nur folgendes an, um zu zeigen, daß
die angeführte Instanz nicht wohl passe. Es ist gar
keine größeste Zahl möglich, es ist aber ein größter
Grad der Realität möglich, und dieser befindet sich in Gott. Sehet
da den ersten Grund, warum man hier sich fälschlich der Zahlbegriffe bedienet.
Der Begriff einer größesten endlichen Zahl
ist ein abstrakter Begriff der Vielheit schlechthin, welche endlich ist, zu
welcher aber gleichwohl mehr hinzugedacht werden kann, ohne daß sie aufhöret
endlich zu sein; in welcher also die Endlichkeit der Größe keine
bestimmte sondern nur allgemeine Schranken setzt, weswegen keiner von solchen
Zahlen das Prädikat der größten zukommen kann; denn man
mag eine bestimmte Menge gedenken wie man will, so kann diese eine jede endliche
Zahl ohne Nachteil der Endlichkeit durch die Hinzutuung vermehren. Der Grad
der Realität einer Welt ist hingegen etwas durchgängig Bestimmtes;
die Schranken, die der möglich größten Vollkommenheit einer
Welt gesetzt sein, sind nicht bloß allgemein, sondern durch einen Grad,
der notwendig in ihr fehlen muß, festgesetzt. Die Unabhängigkeit,
die Selbstgenugsamkeit, die Gegenwart an allen Orten, die Macht zu erschaffen,
u. s. w. sind Vollkommenheiten die keine Welt haben kann. Hier ist es nicht
so wie bei der mathematischen Unendlichkeit, daß
das Endliche durch eine beständig fortgesetzte und immer mögliche
Steigerung mit dem Unendlichen nach dem Gesetze der Kontinuität zusammenhängt.
Hier ist der Abstand der unendlichen Realität und der endlichen
durch eine bestimmte Größe, die ihren Unterscheid ausmacht, festgesetzt.
Und die Welt, die sich auf derjenigen Sprosse von der Leiter der Wesen befindet,
wo die Kluft anhebt, die die unermeßlichen Grade der Vollkommenheit enthält,
welche den Ewigen über jedes Geschöpf erheben, diese
Welt, sage ich, ist das Vollkommenste unter allem was endlich ist.
Mich deucht, man könne anjetzt mit einer Gewißheit, welcher die Gegner
wenigstens nichts Größeres entgegen zu setzen haben, einsehen: es
sei unter allem Endlichen was möglich war eine Welt von der größten
Vortrefflichkeit, das höchste endliche Gut, allein würdig, von dem
obersten unter allen Wesen gewählt zu werden, um mit dem Unendliche zusammengenommen
die größte Summe, die sein kann, auszumachen.
Wenn man mir das oben Bewiesene zugibt, wenn man mit mir einstimmig ist: Daß
unter allen möglichen Welten eine notwendig die vollkommenste
sei, so verlange ich nicht ferner zu streiten. Nicht alle Ausschweifung
in Meinungen kann uns zu der Bemühung verbindlich machen, sie mit Sorgfalt
zu beantworten. Wenn sich jemand aufwirft zu behaupten: Die
höchste Weisheit habe das Schlechtere besser finden können als das
Beste, oder die höchste Güte habe sich ein kleiner Gut mehr belieben
lassen als ein größeres, welches eben so wohl in ihrer Gewalt war,
so halte ich mich nicht länger auf. Man bedienet sich der Weltweisheit
sehr schlecht, wenn man sie dazu gebraucht, die Grundsätze der gesunden
Vernunft umzukehren, und man tut ihr wenig Ehre an, wenn man, um solche Bemühungen
zu widerlegen, es noch nötig findet, ihre Waffen aufzubieten.
Derjenige, welchem es zu weitläuftig wäre, sich in alle die feine
Fragen, die wir bis daher aufgeworfen und beantwortet haben, stückweise
einzulassen, würde zwar mit etwas weniger Schulgelehrsamkeit, aber vielleicht
mit eben so bündigem Urteil eines richtigen Verstandes von derselben Wahrheit
weit leichter können überzeugt werden. Er würde so schließen:
Eine vollkommenste Welt ist möglich, weil sie wirklich ist, und, und sie
ist wirklich, weil sie durch den weisesten und gütigsten Ratschluß
ist hervorgebracht worden. Entweder ich kann mir gar keinen Begriff von
einer Wahl machen, oder man wählt nach Belieben, was aber beliebt das gefällt,
gefallen aber und vor gut halten, vorzüglich belieben, sich vorzüglich
gefallen lassen, und vor vorzüglich gut halten, sind meiner Meinung nach
nur Unterschiede der Worte. Darum weil Gott diese Welt
unter allen möglichen, die er kannte, allein wählete, muß er
sie vor die beste gehalten haben, und weil sein Urteil niemals fehlt, so ist
sie es auch in der Tat. Wenn es auch möglich wäre, das höchste
Wesen könnte nach der erdichteten Art von Freiheit, die einige auf die
Bahn gebracht haben, wählen, und unter viel Besserem das Schlechtere vorziehen,
durch ich weiß nicht was vor ein unbedingtes Belieben, so würde es
doch dieses nimmer getan haben. Man mag sich so etwas von irgend einer Untergottheit
der Fabel träumen lassen, aber dem Gott der Götter geziemet kein Werk,
als welches seiner würdig ist, d. i., welches unter
allem Möglichen das Beste ist.
Vielleicht ist die größere Übereinstimmung mit den göttlichen
Eigenschaften der Grund des Ratschlusses, der dieser Welt, ohne ihren besondern
inneren Vorzug in Betrachtung zu ziehen, das Dasein gab. Wohlan, auch denn ist
noch gewiß, daß sie vollkommener sei als alle
andere mögliche. Denn weil aus der Wirkung zu sehen ist, daß
alle andere in geringerer Übereinstimmung mit den Eigenschaften des Willens
Gottes gewesen, in Gott aber alles Realität ist, mit dieser aber nichts
in größerer Harmonie ist, als worin selbst eine größere
Realität anzutreffen, so muß die größeste Realität,
die einer Welt zukommen kann, in keiner als in der gegenwärtigen befindlich
sein. Es ist ferner dieses vielleicht ein Zwang des Willens und eine Notwendigkeit,
welche die Freiheit aufhebt, nicht umhin zu können, das jenige zu wählen,
was man deutlich und richtig vors Beste erkennt. Gewiß, wenn das Gegenteil
hievon Freiheit ist, wenn hier zwei Scheidewege in einem Labyrinth von Schwierigkeiten
sein, wo ich auf die Gefahr zu irren mich zu einem entschließen soll,
so besinne ich mich nicht lange. Dank vor eine solche Freiheit, die das Beste
unter dem, was zu schaffen möglich war, ins ewige Nichts verbannet, um
trotz allem Ausspruche der Weisheit dem Übel zu gebieten daß es etwas
sei. Wenn ich durchaus unter Irrtümern wählen soll, so lobe ich mir
lieber jene gütige Notwendigkeit, wobei man sich so wohl befindet, und
woraus nichts anders als das Beste entspringen kann. Ich bin demnach, und vielleicht
ein Teil meiner Leser mit mir, überzeugt, ich bin zugleich erfreut, mich
als einen Bürger in einer Welt zu sehen, die nicht besser möglich
war. Von dem besten unter allen Wesen zu dem vollkommensten
unter allen möglichen Entwürfen als ein geringes Glied, an mir selbst
unwürdig, und um des Ganzen willen auserlesen, schätze ich mein Dasein
desto höher, weil ich erkoren ward, in dem besten Plane eine Stelle einzunehmen.
Ich rufe allem Geschöpfe zu, welches sich nicht selbst unwürdig
macht, so zu heißen: Heil uns, wir sind! und der
Schöpfer hat an uns Wohlgefallen. Unermeßliche Räume
und Ewigkeiten werden wohl nur vor dem Auge des Allwissenden die Reichtümer
der Schöpfung in ihrem ganzen Umfange eröffnen, ich aber, aus dem
Gesichtspunkte worin ich mich befinde, bewaffnet durch die Einsicht die meinem
schwachen Verstande verliehen ist, werde um mich schauen, so weit ich kann,
und immer mehr einsehen lernen: daß das
Ganze das Beste sei, und alles um des Ganzen willen gut sei.
Aus Immanuel Kant, Vorkritische Schriften 2, Versuch
einiger Betrachtungen über den Optimismus (S.587ff.)
Werkausgabe Band II Herausgegeben
von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Tachenbuch Wissenschaft stw 187
Über
das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee
(1791)
Unter einer Theodizee
versteht man die Verteidigung der höchsten Weisheit des Welturhebers
gegen die Anklage, welche die Vernunft aus dem Zweckwidrigen in der Welt gegen
jene erhebt. — Man nennt dieses, die Sache Gottes verfechten; ob
es gleich im Grunde nichts mehr als die Sache unserer anmaßenden, hiebei
aber ihre Schranken verkennenden, Vernunft sein möchte, welche zwar nicht
eben die beste Sache ist, insofern aber doch gebilligt werden kann, als (jenen
Eigendünkel bei Seite gesetzt) der Mensch als ein vernünftiges
Wesen berechtigt ist, alle Behauptungen, alle Lehre, welche ihm Achtung auferlegt,
zu prüfen, ehe er sich ihr unterwirft, damit diese Achtung aufrichtig und
nicht erheuchelt sei.
Zu dieser Rechtfertigung wird nun erfordert, daß der vermeintliche Sachwalter
Gottes entweder beweise: daß das,
was wir in der Welt als zweckwidrig beurteilen, es nicht sei; oder:
daß, wenn es auch dergleichen wäre, es doch gar nicht als Faktum,
sondern als unvermeidliche Folge aus der Natur der Dinge beurteilt werden müsse;
oder endlich: daß es wenigstens nicht als Faktum des höchsten Urhebers
aller Dinge, sondern bloß der Weltwesen, denen etwas zugerechnet werden
kann, d. i. der Menschen (allenfalls auch höherer, guter oder böser,
geistiger Wesen angesehen werden müsse.
Der Verfasser einer Theodizee willigt also ein: daß dieser Rechtshandel
vor dem Gerichtshofe der Vernunft anhängig gemacht werde; und macht
sich anheischig, den angeklagten Teil, als Sachwalter, durch förmliche
Widerlegung aller Beschwerden des Gegners zu vertreten: darf letztern also während
des Rechtsganges nicht durch einen Machtspruch der Unstatthaftigkeit des Gerichtshofes
der menschlichen Vernunft (exceptionem fori) abweisen,
d. i. die Beschwerden nicht durch ein dem Gegner auferlegtes Zugeständnis
der höchsten Weisheit des Welturhebers, welches sofort alle Zweifel, die
sich dagegen regen möchten, auch ohne Untersuchung für grundlos erklärt,
abfertigen; sondern muß sich auf die Einwürfe einlassen, und, wie
sie dem Begriff der höchsten Weisheit* keinesweges
Abbruch tun, durch Beleuchtung und Tilgung derselben begreiflich machen. —
Doch auf Eines hat er nicht nötig sich einzulassen: nämlich, daß
er die höchste Weisheit Gottes aus dem, was die Erfahrung an dieser Welt
lehrt, auch sogar beweise; denn hiermit würde es ihm auch schlechterdings
nicht gelingen, weil Allwissenheit dazu erforderlich ist, um an ein er gegebnen
Welt (wie sie sich in der Erfahrung zu erkennen gibt) diejenige Vollkommenheit
zu erkennen, von der man mit Gewißheit sagen könne, es sei überall
keine größere in der Schöpfung und Regierung derselben möglich.
* Obgleich der eigentümliche
Begriff einer Weisheit nur die Eigenschaft eines Willens vorstellt, zum höchsten
Gut, als dem Endzweck aller Dinge, zusammen zu stimmen; hingegen Kunst nur das
Vermögen im Gebrauch der tauglichsten Mittel zu beliebigen Zwecken: so
wird doch Kunst, wenn sie sich als eine solche beweiset, welche Ideen adäquat
ist, deren Möglichkeit alle Einsicht der menschlichen Vernunft übersteigt
(z. B. wenn Mittel und Zwecke, wie in organischen Körpern, einander
wechselseitig hervorbringen), als eine göttliche Kunst, nicht unrecht auch
mit dem Namen der Weisheit belegt werden können; doch, um die Begriffe
nicht zu verwechseln, mit dem Namen einer Kunstweisheit des Welturhebers, zum
Unterschiede von der moralischen Weisheit desselben. Die Teleologie (auch durch
sie die Physikotheologie) gibt reichliche Beweise der erstem in der Erfahrung.
Aber von ihr gilt kein Schluß auf die moralische Weisheit des Welturhebers,
weil Naturgesetz und Sittengesetz ganz ungleichartige Prinzipien erfordern,
und der Beweis der letztem Weisheit gänzlich a priori geführt, also
schlechterdings nicht auf Erfahrung von dem, was in der Welt vorgeht, gegründet
werden muß. Da nun der Begriff von Gott, der für die Religion tauglich
sein soll (denn zum Behuf der Naturerklärung, mithin in spekulativer Absicht,
brauchen wir ihn nicht) ein Begriff von ihm als einem moralischen Wesen sein
muß; da dieser Begriff, so wenig als er auf Erfahrung gegründet,
eben so wenig aus bloß transzendentalen Begriffen eines schlechthin notwendigen
Wesens, der gar für uns überschwenglich ist, herausgebracht werden
kann: so leuchtet genugsam ein, daß der Beweis des Daseins eines
solchen Wesens kein andrer als ein moralischer sein könne.
Das Zweckwidrige in der Welt aber, was der Weisheit ihres Urhebers entgegengesetzt
werden könnte, ist nun dreifacher Art:
I. Das schlechthin Zweckwidrige,
was weder als Zweck, noch als Mittel, von einer Weisheit gebilligt und begehrt
werden kann;
II. Das bedingt Zweckwidrige,
welches zwar nie als Zweck, aber doch als Mittel, mit der Weisheit eines Willens
zusammen besteht.
Das erste ist das moralische Zweckwidrige,
als das eigentliche Böse (die Sünde); das zweite das physische Zweckwidrige,
das Übel (der Schmerz). — Nun gibt es aber noch eine Zweckmäßigkeit
in dem Verhältnis der Übel zu dem moralischen Bösen, wenn das
letztere einmal da ist und nicht verhindert werden konnte oder sollte: nämlich
in der Verbindung der Übel und Schmerzen, als Strafen, mit dem Bösen,
als Verbrechen; und von dieser Zweckmäßigkeit in der Welt fragt es
sich, ob jedem in der Welt hierin sein Recht widerfährt. Folglich muß
auch noch eine
Ill. Art des Zweckwidrigen in
der Welt gedacht werden können, nämlich das Mißverhältnis
der Verbrechen und Strafen in der Welt.
Die Eigenschaften der höchsten Weisheit des Welturhebers, wogegen jene
Zweckwidrigkeiten als Einwürfe auftreten, sind also auch drei:
Erstlich die Heiligkeit
desselben, als Gesetzgebers (Schöpfers),
im Gegensatze mit dem moralisch Bösen in der Welt.
Zweitens die Gütigkeit
desselben, als Regierers (Erhalters),
im Kontraste mit den zahllosen Übeln und Schmerzen der vernünftigen
Weltwesen.
Drittens die Gerechtigkeit desselben,
als Richters, in Vergleichung mit dem
Übelstande, den das Mißverhältnis zwischen der Straflosigkeit
der Lasterhaften und ihren Verbrechen in der Welt sich zu zeigen scheint.
*
* Diese drei Eigenschaften
zusammen, deren eine sich keineswegs auf die andre, wie etwa die Gerechtigkeit
auf Güte, und so das Ganze auf eine kleinere Zahl, zurückführen
läßt, machen den moralischen Begriff von Gott aus. Es läßt
sich auch die Ordnung derselben nicht verändern (wie etwa die Gütigkeit
zur obersten Bedingung der Weltschöpfung machen, der die Heiligkeit der
Gesetzgebung untergeordnet sei), ohne der Religion Abbruch zu tun, welcher eben
dieser moralische Begriff zum Grunde liegt. Unsre eigene reine (und zwar praktische)
Vernunft bestimmt diese Rangordnung, indem, wenn sogar die Gesetzgebung sich
nach der Güte bequemt, es keine Würde derselben und keinen festen
Begriff von Pflichten mehr gibt. Der Mensch wünscht zwar zuerst glücklich
zu sein; siebt aber doch ein, und bescheidet sich (obzwar ungern), daß
die Würdigkeit glücklich zu sein, d. i. die Übereinstimmung des
Gebrauchs seiner Freiheit mit dem heiligen Gesetze, in dem Ratschluß des
Urhebers die Bedingung seiner Gütigkeit sein und also notwendig vorhergehen
müsse. Denn der Wunsch, welcher den subjektiven Zweck (der Selbstliebe)
zum Grunde hat, kann nicht den objektiven Zweck (der Weisheit), den das Gesetz
vorschreibt, bestimmen, welches dem Willen unbedingt die Regel gibt. - Auch
ist die Strafe in der Ausübung der Gerechtigkeit keineswegs als bloßes
Mittel, sondern als Zweck in der gesetzgebenden Weisheit gegründet: die
Übertretung wird mit Übeln verbunden, nicht damit ein anderes Gute
herauskomme, sondern weil diese Verbindung an sich selbst, d. i. moralisch und
notwendig gut ist. Die Gerechtigkeit setzt zwar Güte des Gesetzgebers voraus
(denn wenn sein Willen nicht auf das Wohl seiner Untertanen ginge, so würde
dieser sie auch nicht verpflichten können, ihm zu gehorchen); aber sie
ist nicht Güte, sondern als Gerechtigkeit von dieser wesentlich unterschieden,
obgleich im allgemeinen Begriffe der Weisheit enthalten. Daher geht auch die
Klage über den Mangel einer Gerechtigkeit, die sich im Lose, welches den
Menschen hier in der Welt zu Teil wird, zeige, nicht darauf, daß es den
Guten hier nicht wohl, sondern daß es den Bösen nicht übel geht
(ob zwar, wenn das erstere zu dem letztern hinzu kommt, der Kontrast diesen
Anstoß noch vergrößert). Denn in einer göttlichen Regierung
kann auch der beste Mensch seinen Wunsch zum Wohlergehen nicht auf die göttliche
Gerechtigkeit, sondern muß ihn jederzeit auf seine Güte gründen:
weil der, welcher bloß seine Schuldigkeit tut, keinen Rechtsanspruch auf
das Wohltun Gottes haben kann.
Es wird also gegen jene drei Klagen die Verantwortung auf die oben erwähnte
dreifach verschiedene Art vorgestellt, und ihrer Gültigkeit nach geprüft,
werden müssen.
I . Wider die Beschwerde gegen
die Heiligkeit des göttlichen Willens aus dem Moralischbösen, welches
die Welt, sein Werk, verunstaltet, besteht die erste Rechtfertigung darin:
a) Daß es ein solches schlechterdings
Zweckwidrige, als wofür wir die Übertretung der reinen Gesetze unserer
Vernunft nehmen, gar nicht gebe, sondern daß es nur Verstoße
wider die menschliche Weisheit seien; daß die göttliche sie nach
ganz andern uns unhegreiflichen Regeln beurteile, wo, was wir zwar beziehungsweise
auf unsre praktische Vernunft und deren Bestimmung mit Recht verwerflich finden,
doch in Verhältnis auf göttliche Zwecke und die höchste Weisheit
vielleicht gerade das schicklichste Mittel, sowohl für unser besonderes
Wohl, als das Weltbeste überhaupt sein mag; daß die Wege des Höchsten
nicht unsre Wege sein (sunt Superis sua sura),
und wir darin irren, wenn, was nur relativ für Menschen in diesem Leben
Gesetz ist, wir für schlechthin als ein solches beurteilen, und so das,
was unsrer Betrachtung der Dinge aus so niedrigem Standpunkte als zweckwidrig
erscheint, dafür auch, aus dem höchsten Standpunkte betrachtet, halten.
— Diese Apologie, in welcher die Verantwortung ärger ist als die
Beschwerde, bedarf keiner Widerlegung; und kann sicher der Verabscheuung jedes
Menschen, der das mindeste Gefühl für Sittlichkeit hat, frei überlassen
werden.
b) Die zweite vorgebliche Rechtfertigung
würde zwar die Wirklichkeit des Moralischbösen in der Welt einräumen,
den Welturheber aber damit entschuldigen, daß es nicht zu verhindern möglich
gewesen; weil es sich auf den Schranken der Natur der Menschen, als endlicher
Wesen, gründe. — Aber dadurch würde jenes Böse selbst gerechtfertigt
werden; und man müßte, da es nicht als die Schuld der Menschen ihnen
zugerechnet werden kann, aufhören, es ein moralisches Böse zu nennen.
c ) Die dritte Beantwortung: daß,
gesetzt auch, es ruhe wirklich mit dem, was wir moralisch böse nennen,
eine Schuld auf dem Menschen, doch Gott keine beigemessen werden müsse,
weil er jenes als Tat der Menschen aus wessen Ursachen bloß zugelassen,
keineswegs aber für sich gebilligt und gewollt oder veranstaltet hat; —
läuft (wenn man auch an dem Begriffe des bloßen Zulassens
eines Wesens, welches ganz und alleiniger Urheber der Welt ist, keinen
Anstoß nehmen will) doch mit der vorigen Apologie (b)
auf einerlei Folge hinaus: nämlich daß, da es selbst Gott unmöglich
war, dieses Böse zu verhindern, ohne anderweitigen höhern und selbst
moralischen Zwecken Abbruch zu tun, der Grund dieses Übels (denn so müßte
man es eigentlich nun nennen) unvermeidlich in dem Wesen der Dinge, nämlich
den notwendigen Schranken der Menschheit als endlicher Natur, zu suchen sein
müsse, mithin ihr auch nicht zugerechnet werden könne.II. Auf die Beschwerde,
die wider die göttliche Gütigkeit aus den Übeln, nämlich
Schmerzen, in dieser Welt erhoben wird, besteht nun die Rechtfertigung derselben
gleichfalls
a) darin: Daß in den Schicksalen
der Menschen ein Übergewicht des Übels über
den angenehmen Genuß des Lebens fälschlich angenommen werde, weil
doch ein jeder, so schlimm es ihm auch ergeht, lieber leben als tot sein will,
und diejenigen wenigen, die das letztere beschließen, so lange sie es
selbst aufgehoben, selbst dadurch noch immer jenes Übergewicht eingestehen,
und wenn sie zum letztern töricht genug sind, auch alsdann bloß in
den Zustand der Nichtempfindung übergehen, in welchem ebenfalls kein Schmerz
gefühlt werden könne. — Allein, man kann die Beantwortung dieser
Sophisterei sicher dem Ausspruche eines jeden Menschen von gesundem Verstande,
der lange genug gelebt und über den Wert des Lebens nachgedacht hat, um
hierüber ein Urteil fällen zu können, überlassen, wenn man
ihn fragt: ob er wohl, ich will nicht sagen auf dieselbe, sondern auf jede andre
ihm beliebige Bedingungen (nur nicht etwa einer Feen -
sondern dieser unserer Erdenwelt), das Spiel des Lebens noch einmal durchzuspielen
Lust hätte.
b) Auf die zweite Rechtfertigung:
daß nämlich das Übergewicht der schmerzhaften
Gefühle über die angenehmen von der Natur eines tierischen Geschöpfes,
wie der Mensch ist, nicht könne getrennt werden (wie etwa Graf Veri,
in dem Buche über die Natur des Vergnügens, behauptet) — würde
man erwidern: daß, wenn dem also ist, sich eine andre Frage einfinde,
woher nämlich der Urheber unsers Daseins uns überhaupt ins Leben gerufen,
wenn es nach unserm richtigen Überschlage für uns nicht wünschenswert
ist. Der Unmut würde hier, wie jene indianische Frau dem Dschingiskhan,
der ihr wegen erlittener Gewalttätigkeit keine Genugtuung, noch wegen der
künftigen Sicherheit verschaffen konnte, antworten: »Wenn
du uns nicht schützen willst, warum eroberst du uns denn ?«
c) Die dritte Auflösung des
Knotens soll diese sein: daß uns Gott um einer künftigen
Glückseligkeit willen, also doch aus Güte, in die Welt gesetzet habe,
daß aber vor jener zu hoffenden überschwenglich großen Seligkeit
durchaus ein mühe- und trübsalvoller Zustand des gegenwärtigen
Lebens vorhergehen müsse, wo wir eben durch den Kampf mit Widerwärtigkeiten
jener künftigen Herrlichkeit würdig werden sollten. —
Allein, daß diese Prüfungszeit (der die meisten
unterliegen, und in welcher auch der Beste seines Lebens nicht froh wird) vor
der höchsten Weisheit durchaus die Bedingung der dereinst von uns zu genießenden
Freuden sein müsse, und daß es nicht tunlich gewesen, das Geschöpf
mit jeder Epoche seines Lebens zufrieden werden zu lassen: kann zwar vorgegeben,
aber schlechterdings nicht eingesehen werden, und man kann also freilich diesen
Knoten durch Berufung auf die höchste Weisheit, die es so gewollt hat,
abhauen, aber nicht auflösen: welches doch die Theodizee verrichten zu
können sich anheischig macht.
III. Auf die letzte Anklage, nämlich
wider die Gerechtigkeit des Weltrichters *
wird geantwortet:
* Es ist merkwürdig,
daß unter allen Schwierigkeiten, den Lauf der Weltbegebenheiten mit der
Göttlichkeit ihres Urhebers zu vereinigen, keine sich dem Gemüt so
heftig aufdringt, als die von dem Anschein einer darin mangelnden Gerechtigkeit.
Trägt es sich zu (ob es zwar selten geschieht), daß ein ungerechter,
vornehmlich Gewalt habender, Bösewicht nicht ungestraft aus der Welt entwischt:
so frohlockt der mit dem Himmel gleichsam versöhnte, sonst parteilose Zuschauer.
Keine Zweckmäßigkeit der Natur wird ihn durch Bewunderung derselben
so in Affekt setzen, und die Hand Gottes gleichsam daran vernehmen lassen. Warum?
Sie ist hier moralisch, und einzig von der Art, die man in der Welt einigermaßen
wahrzunehmen hoffen kann.
a) Daß das Vorgehen von
der Straflosigkeit der Lasterhaften in der Welt keinen Grund habe; weil jedes
Verbrechen, seiner Natur gemäß, schon hier die ihm angemessene Strafe
bei sich führe, indem die innern Vorwürfe des Gewissens den Lasterhaften
ärger noch als Furien plagen. — Allein in diesem Urteile liegt offenbar
ein Mißverstand. Denn der tugendhafte Mann leihet hierbei dem Lasterhaften
seinen Gemütscharakter, nämlich die Gewissenhaftigkeit in ihrer ganzen
Strenge, welche, je tugendhafter der Mensch ist, ihn desto härter wegen
der geringsten Übereilung, welche das sittliche Gesetz in ihm mißbilligt,
bestraft. Allein, wo diese Denkungsart und mit ihr die Gewissenhaftigkeit gar
fehlt, da fehlt auch der Peiniger für begangene Verbrechen; und der Lasterhafte,
wenn er nur der äußern Züchtigungen wegen seiner Freveltaten
entschlüpfen kann, lacht über die Ängstlichkeit der Redlichen,
sich mit selbsteigenen Verweisen innerlich zu plagen; die kleinen Vorwürfe
aber, die er sich bisweilen machen mag, macht er sich entweder gar nicht durchs
Gewissen, oder, hat er davon noch etwas in sich, so werden sie durch das Sinnenvergnügen,
als woran er allein Geschmack findet, reichlich aufgewogen und vergütet.
— — Wenn jene Anklage ferner
b) dadurch widerlegt werden soll:
Daß zwar nicht zu leugnen sei, es finde sich schlechterdings kein der
Gerechtigkeit gemäßes Verhältnis zwischen Schuld und Strafen
in der Welt, und man müsse im Laufe derselben oft ein mit schreiender Ungerechtigkeit
geführtes und gleichwohl bis ans Ende glückliches Leben mit Unwillen
wahrnehmen; daß dieses aber in der Natur liegende und nicht absichtlich
veranstaltete, mithin nicht moralische Mißhelligkeit sei, weil es eine
Eigenschaft der Tugend sei, mit Widerwärtigkeit zu ringen (wozu
der Schmerz, den der Tugendhafte durch die Vergleichung seines eigenen Unglücks
mit dem Glück des Lasterhaften leiden muß, mitgehört),
und die Leiden den Wert der Tugend nur zu erheben dienen, mithin vor der Vernunft
diese Dissonanz der unverschuldeten Übel des Lebens doch in den herrlichsten
sittlichen Wohllaut aufgelöset werde: — so steht dieser Auflösung
entgegen: daß, obgleich diese Übel, wenn sie als Wetzstein der Tugend
vor ihr vorhergehen oder sie begleiten,
zwar mit ihr als in moralischer Übereinstimmung stehend vorgestellt werden
können, wenn wenigstens das Ende des Lebens noch die letztere krönt
und das Laster bestraft; daß aber, wenn selbst dieses Ende, wie doch die
Erfahrung davon viele Beispiele gibt, widersinnig ausfällt, dann das Leiden
dem Tugendhaften, nicht damit seine Tugend rein sei, sondern weil sie es gewesen
ist (dagegen aber den Regeln der klugen Selbstliebe zuwider
war), zugefallen zu sein scheine: welches gerade das Gegenteil der Gerechtigkeit
ist, wie sich der Mensch einen Begriff von ihr machen kann. Denn was die Möglichkeit
betrifft: daß das Ende dieses Erdenlebens doch vielleicht nicht das Ende
alles Lebens sein möge: so kann diese Möglichkeit nicht für Rechtfertigung
der Vorsehung gelten, sondern ist bloß ein Machtspruch der
moralisch-gläubigen Vernunft, wodurch der Zweifelnde zur Geduld verwiesen,
aber nicht befriedigt wird.
c) Wenn endlich die dritte Auflösung
dieses unharmonischen Verhältnisses zwischen dem moralischen Wert der Menschen
und dem Lose, das ihnen zu Teil wird, dadurch versucht werden will, daß
man sagt: In dieser Welt müsse alles Wohl oder Übel bloß als
Erfolg aus dem Gebrauche der Vermögen der Menschen nach Gesetzen der Natur,
proportioniert ihrer angewandten Geschicklichkeit und Klugheit, zugleich auch
den Umständen, darein sie zufälliger Weise geraten, nicht aber nach
ihrer Zusammenstimmung zu übersinnlichen Zwecken, beurteilt werden; in
einer künftigen Welt dagegen werde sich eine andere Ordnung der Dinge hervortun,
und jedem zu Teil werden, wessen seine Taten hienieden nach moralischer Beurteilung
wert sind: — so ist diese Voraussetzung auch willkürlich. Vielmehr
muß die Vernunft, wenn sie nicht als moralisch gesetzgebendes Vermögen
diesem ihren Interesse gemäß einen Machtspruch tut, nach bloßen
Regeln des theoretischen Erkenntnisses es wahrscheinlich finden: daß der
Lauf der Welt nach der Ordnung der Natur, so wie hier, also auch fernerhin,
unsre Schicksale bestimmen werde. Denn was hat die Vernunft für ihre theoretische
Vermutung anders zum Leitfaden, als das Naturgesetz? und, ob sie sich gleich,
wie ihr vorher (Nr. b) zugemutet worden, zur Geduld
und Hoffnung eines künftig bessern verweisen ließe: wie kann sie
erwarten, daß, da der Lauf der Dinge nach der Ordnung der Natur hier auch
für sich selbst weise ist, er nach eben demselben Gesetze in einer künftigen
Welt unweise sein würde? Da also, nach derselben, zwischen den innern Bestimmungsgründen
des Willens (nämlich der moralischen Denkungsart)
nach Gesetzen der Freiheit, und zwischen den (größtenteils
äußern) von unserm Willen unabhängigen Ursachen unsers
Wohlergehens nach Naturgesetzen, gar kein begreifliches Verhältnis ist:
so bleibt die Vermutung, daß die Übereinstimmung
des Schicksals der Menschen mit einer göttlichen Gerechtigkeit, nach den
Begriffen, die wir uns von ihr machen, so wenig dort wie hier zu erwarten sei.
Der Ausgang dieses Rechtshandels vor dem Gerichtshofe
der Philosophie ist nun: daß alle bisherige Theodizee das nicht leiste
was sie verspricht, nämlich die moralische Weisheit in der Weltregierung
gegen die Zweifel, die dagegen aus dem, was die Erfahrung an dieser Welt zu
erkennen gibt, gemacht werden, zu rechtfertigen; obgleich freilich diese
Zweifel als Einwürfe, so weit unsre Einsicht in die Beschaffenheit unsrer
Vernunft in Ansehung der letztern reicht, auch das Gegenteil nicht beweisen
können. Ob aber nicht noch etwa mit der Zeit tüchtigere Gründe
der Rechtfertigung derselben erfunden werden könnten, die angeklagte Weisheit
nicht (wie bisher) bloß ab
instantia zu absolvieren: das bleibt dabei doch noch immer unentschieden;
wenn wir es nicht dahin bringen, mit Gewißheit darzutun: daß unsre
Vernunft zur Einsicht des Verhältnisses, in welchem
eine Welt, so wie wir sie durch Erfahrung immer kennen mögen, zu der höchsten
Weisheit stehe, schlechterdings unvermögend sei; denn alsdann
sind alle fernere Versuche vermeintlichen menschlicher Weisheit, die Wege der
göttlichen einzusehen, völlig abgewiesen. Daß also wenigstens
eine negative Weisheit, nämlich die Einsicht der notwendigen Beschränkung
unsrer Anmaßungen in Ansehung dessen, was uns zu hoch ist, für uns
erreichbar sei: das muß noch bewiesen werden, um diesen Prozeß für
immer zu endigen; und dieses läßt sich gar wohl tun.
Wir haben nämlich von einer Kunstweisheit in
der Einrichtung dieser Welt einen Begriff, dem es für unser spekulatives
Vernunftvermögen nicht an objektiver Realität mangelt, um zu einer
Physikotheologie zu gelangen. Eben so haben wir auch einen Begriff von einer
moralischen Weisheit, die in eine Welt
überhaupt durch einen vollkommensten Urheber gelegt
werden könnte, an der sittlichen Idee unserer eigenen praktischen Vernunft.
— Aber von der Einheit in der Zusammenstimmung
jener Kunstweisheit mit der moralischen Weisheit in einer Sinnenwelt haben wir
keinen Begriff; und können auch zu demselben nie zu gelangen hoffen. Denn,
ein Geschöpf zu sein, und, als Naturwesen, bloß dem Willen seines
Urhebers zu folgen; dennoch aber, als freihandelndes Wesen
(welches seinen vom äußern Einfluß unabhängigen Willen
hat, der dem erstem vielfältig zuwider sein kann), der Zurechnung
fähig zu sein; und seine eigne Tat doch auch zugleich als die Wirkung eines
höhern Wesens anzusehen: ist eine Vereinbarung von Begriffen, die wir zwar
in der Idee einer Welt, als des höchsten Guts, zusammen denken müssen;
die aber nur der einsehen kann, welcher bis zur Kenntnis der übersinnlichen
(intelligiblen) Welt durchdringt, und die Art einsieht, wie sie der Sinnenwelt
zum Grunde liegt: auf welche Einsicht allein der Beweis der moralischen Weisheit
des Welturhebers in der letztern gegründet werden kann, da diese doch nur
die Erscheinung jener erstem Welt darbietet, — eine Einsicht, zu der kein
Sterblicher gelangen kann.
Alle Theodizee soll eigentlich Auslegung der
Natur sein, sofern Gott durch dieselbe die Absicht seines Willens kund macht.
Nun ist jede Auslegung des deklarierten Willens eines Gesetzgebers entweder
doktrinal oder authentisch.
Die erste ist diejenige, welche jenen Willen aus den Ausdrücken, deren
sich dieser bedient hat, in Verbindung mit den sonst bekannten Absichten des
Gesetzgebers, herausvernünftelt; die zweite macht der Gesetzgeber selbst..
Die Welt, als ein Werk Gottes, kann von uns auch als eine göttliche Bekanntmachung
der Absichten seines Willens betrachtet
werden. Allein hierin ist sie für uns oft ein
verschlossenes Buch; jederzeit aber ist sie dies, wenn es darauf angesehen ist,
sogar die Endabsicht Gottes (welche
jederzeit moralisch ist) aus ihr, obgleich einem Gegenstande der Erfahrung,
abzunehmen. Die philosophischen Versuche dieser Art Auslegung sind doktrinal,
und machen die eigentliche Theodizee aus, die man daher die doktrinale nennen
kann. — Doch kann man auch der bloßen Abfertigung aller Einwürfe
wider die göttliche Weisheit den Namen einer Theodizee nicht versagen,
wenn sie ein göttlicher Machtspruch.
oder (welches in diesem Falle auf eins hinausläuft)
wenn sie ein Ausspruch der selben Vernunft ist, wodurch wir uns den Begriff
von Gott als einem moralischen und weisen Wesen notwendig und vor aller Erfahrung
machen. Denn da wird Gott durch unsre Vernunft selbst der Ausleger seines durch
die Schöpfung verkündigten Willens; und diese Auslegung können
wir eine authentische Theodizee nennen. Das ist aber alsdann nicht Auslegung
einer vernünftelnden (spekulativen),
sondern einer machtbabenden praktischen Vernunft, die, so wie sie ohne weitere
Gründe im Gesetzgeben schlechthin gebietend ist, als die unmittelbare Erklärung
und Stimme Gottes angesehen werden kann, durch die er dem Buchstaben seiner
Schöpfung einen Sinn gibt. Eine solche authentische Interpretation finde
ich nun in einem alten heiligen Buche allegorisch ausgedrückt.
Hiob wird als ein Mann vorgestellt, zu
dessen Lebensgenuß sich alles vereinigt hatte, was man, um ihn vollkommen
zu machen, nur immer ausdenken mag. Gesund, wohlhabend, frei, ein Gebietet über
andre, die er glücklich machen kann, im Schoße einer glücklichen
Familie, unter geliebten Freunden; und über das alles (was
das Vornehmste ist) mit sich selbst zufrieden in einem guten Gewissen.
Alle diese Güter, das letzte ausgenommen, entriß ihm plötzlich
ein schweres über ihn zur Prüfung verhängtes Schicksal. Von der
Betäubung über diesen unerwarteten Umsturz allmählich zum Besinnen
gelangt, bricht er nun in Klagen über seinen Unstern aus; worüber
zwischen ihm und seinen vorgeblich sich zum Trösten einfindenden Freunden
es bald zu einer Disputation kommt, worin beide Teile, jeder nach seiner Denkungsart
(vornehmlich aber nach seiner Lage), seine besondere Theodizee, zur moralischen
Erklärung jenes schlimmen Schicksals, aufstellt. Die Freunde Hiobs bekennen
sich zu dem System der Erklärung aller Übel in der Welt aus der göttlichen
Gerechtigkeit,als so vieler Strafen für
begangene Verbrechen; und, ob sie zwar keine zu nennen wußten, die dem
unglücklichen Mann zu Schulden kommen sollten, so glaubten sie doch a
priori urteilen zu können, er müßte deren auf sich ruhen
haben, weil es sonst nach der göttlichen Gerechtigkeit nicht möglich
wäre, daß er unglücklich sei. Hiob dagegen der mit Entrüstung
beteuert, daß ihm sein Gewissen seines ganzen Lebens halber keinen Vorwurf
mache; was aber menschliche unvermeidliche Fehler betrifft, Gott selbst wissen
werde, daß er ihn als ein gebrechliches Geschöpf gemacht habe, —
erklärt sich für das System des unbedingten
göttlichen Ratschlusses. »Er ist
einig«, sagt er, »Er macht‘s
wie er will«. (Hiob XXIII, 13)
In dem, was beide Teile vernünfteln oder übervernünfteln, ist
wenig Merkwürdiges; aber der Charakter, in welchem sie es tun, verdient
desto mehr Aufmerksamkeit. Hiob spricht, wie er denkt, und wie ihm zu Mute ist,
auch wohl jedem Menschen in seiner Lage zu Mute sein würde; seine Freunde
sprechen dagegen, wie wenn sie in Geheim von dem Mächtigem, über dessen
Sache sie Recht sprechen, und bei dem sich durch ihr Urteil in Gunst zu setzen
ihnen mehr am Herzen liegt als an der Wahrheit, behorcht würden. Diese
ihre Tücke, Dinge zum Schein zu behaupten, von denen sie doch gestehen
mußten, daß sie sie nicht einsahen, und eine Überzeugung zu
heucheln, die sie in der Tat nicht hatten: sticht gegen Hiobs gerade Freimütigkeit,
die sieh so weit von falscher Schmeichelei entfernt, daß sie fast an Vermessenheit
grenzt, sehr zum Vorteil des letztem ab. »Wollt
ihr«, sagt er (Hiob XIII 7-11, 16), »Gott
verteidigen mit Unrecht? Wollt ihr seine Person ansehen? Wollt ihr Gott vertreten?
Er wird euch strafen, wenn ihr Person anseht heimlich! — Es kommt kein
Heuchler vor Ihm.«
Das letztere bestätigt der Ausgang der Geschichte wirklich. Denn Gott würdigt
Hiob, ihm die Weisheit seiner Schöpfung, vornehmlich von Seiten ihrer Unerforschlichkeit,
vor Augen zu stellen. Er läßt ihn Blicke auf die schöne Seite
der Schöpfung tun, wo dem Menschen begreifliche Zwecke die Weisheit und
gütige Vorsorge des Welturhebers in ein unzweideutiges Licht stellen; dagegen
aber auch auf die abschreckende, indem er ihm Produkte seiner Macht und darunter
auch schädliche furchtbare Dinge hernennt, deren jedes für sich und
seine Spezies zwar zweckmäßig eingerichtet, in Ansehung anderer aber
und selbst der Menschen zerstörend, zweckwidrig, und mit einem allgemeinen
durch Güte und Weisheit angeordneten Plane nicht zusammenstimmend zu sein
scheint; wobei er aber doch die den weisen Welturheber verkündigende Anordnung
und Erhaltung des Ganzen beweiset, obzwar zugleich seine für uns unerforschliche
Wege, selbst schon in der physischen Ordnung der Dinge, wie vielmehr denn in
der Verknüpfung derselben mit der moralischen (die
unsrer Vernunft noch undurchdringlicher ist?) verborgen sein müssen.
— Der Schluß ist dieser: daß, indem Hiob gesteht, nicht etwa
frevelhaft, denn er ist sich seiner Redlichkeit
bewußt, sondern nur unweislich über Dinge abgesprochen zu haben,
die ihm zu hoch sind, und die er nicht versteht: Gott das Verdammungsurteil
wider seine Freunde fället, weil sie nicht so gut (der
Gewissenhaftigkeit nach) von Gott geredet hätten als sein Knecht
hob. Betrachtet man nun die Theorie, die jeder von beiden Seiten behauptete:
so möchte die seiner Freunde eher den Anschein mehrerer spekulativen Vernunft
und frommer Demut bei sich führen; und Hiob würde wahrscheinlicher
Weise vor einem jeden Gerichte dogmatischer Theologen, vor einer Synode, einer
Inquisition, einer ehrwürdigen Classis, oder einem jeden Oberkonsistorium
unserer Zeit (ein einziges ausgenommen), ein schlimmes
Schicksal erfahren haben. Also nur die Aufrichtigkeit des Herzens, nicht der
Vorzug der Einsicht, die Redlichkeit, seine Zweifel unverhohlen zu gestehen,
und der Abscheu, Überzeugung zu heucheln, wo man sie doch nicht fühlt,
vornehmlich nicht vor Gott (wo diese List ohnedas ungereimt
ist): diese Eigenschaften sind es, welche den Vorzug des redlichen Mannes,
in der Person Hiobs, vor dem religiösen Schmeichler im göttlichen
Richterausspruch entschieden haben.
Der Glauben aber, der ihm durch eine so befremdliche Auflösung seiner Zweifel,
nämlich bloß die Überführung von seiner Unwissenheit, entsprang,
konnte auch nur in die Seele eines Mannes kommen, der mitten unter seinen lebhaftesten
Zweifeln sagen konnte (XXVII, 5, 6): »Bis
daß mein Ende kommt, will ich nicht weichen von meiner Frömmigkeit,
u.s.w.« Denn mit dieser Gesinnung bewies er, daß er nicht
seine Moralität auf den Glauben, sondern den Glauben auf die Moralität
gründete: in welchem Falle dieser, so schwach er auch sein mag, doch allein
lauter und echter Art, d. i. von derjenigen Art ist, welche eine Religion, nicht
der Gunstbewerbung, sondern des guten Lebenswandels, gründet.SCHLUSSANMERKUNG
Die Theodizee hat es, wie hier gezeigt worden, nicht sowohl mit einer Aufgabe
zum Vorteil der Wissenschaft, als vielmehr mit einer Glaubenssache zu tun. Aus
der authentischen sahen wir: daß es in solchen Dingen nicht so viel aufs
Vernünfteln ankomme, als auf Aufrichtigkeit in Bemerkung des Unvermögens
unserer Vernunft, und auf die Redlichkeit, seine Gedanken nicht in der Aussage
zu verfälschen, geschehe dies auch in noch so frommer Absicht als es immer
wolle. — Dieses veranlaßt noch folgende kurze Betrachtung über
einen reichhaltigen Stoff, nämlich über die Aufrichtigkeit als das
Haupterfordernis in Glaubenssachen, im Widerstreite mit dem Hange zur Falschheit
und Unlauterkeit, als dem Hauptgebrechen in der menschlichen Natur.
Daß das, was jemand sich selbst oder einem andern sagt, wahr
sei: dafür kann er nicht jederzeit stehen (denn er
kann irren); dafür aber kann und muß er stehen, daß
sein Bekenntnis oder Geständnis wahrhaft sei:
denn dessen ist er sich unmittelbar bewußt. Er vergleicht nämlich
im erstern Falle seine Aussage mit dem Objekt im logischen Urteile
(durch den Verstand); im zweiten Fall aber, da er sein Fürwahrhalten
bekennt, mit dem Subjekt (vor dem Gewissen). Tut
er das Bekenntnis in Ansehung des erstem, ohne sich des letztern bewußt
zu sein: so lügt er, weil er etwas anders vorgibt, als wessen er sich bewußt
ist. — Die Bemerkung, daß es solche Unlauterkeit im menschlichen
Herzen gebe, ist nicht neu (denn Hiob hat sie schon gemacht);
aber fast sollte man glauben, daß die Aufmerksamkeit auf dieselbe für
Sitten- und Religionslehrer neu sei: so wenig findet man, daß sie, ungeachtet
der Schwierigkeit, welche eine Läuterung der Gesinnungen der Menschen,
selbst wenn sie pflichtmäßig handeln wollen,
bei sich führt, von jener Bemerkung genugsamen Gebrauch gemacht hätten.
— Man kann diese Wahrhaftigkeit die formale
Gewissenhaftigkeit nennen; die materiale
besteht in der Behutsamkeit, nichts auf die Gefahr, daß es
unrecht sei, zu wagen: da hingegen jene in dem Bewußtsein besteht, diese
Behutsamkeit im gegebnen Falle angewandt zu haben. — Moralisten reden
von einem irrenden Gewissen. Aber ein irrendes Gewissen ist ein Unding; und,
gäbe es ein solches, so könnte man niemals sicher sein, recht gehandelt
zu haben, weil selbst der Richter in der letzten Instanz noch irren könnte.
Ich kann zwar in dem Urteile irren, in welchem ich
glaube Recht zu haben: denn das gehört dem Verstande zu, der
allein (wahr oder falsch) objektiv urteilt; aber
in dem Bewußtsein: ob ich in der Tat glaube
Recht zu haben (oder es bloß vorgebe), kann
ich schlechterdings nicht irren, weil dieses Urteil oder vielmehr dieser Satz
bloß sagt: daß ich den Gegenstand so beurteile.In der Sorgfalt, sich dieses Glaubens (oder
Nichtglaubens) bewußt zu werden, und kein Fürwahrhalten vorzugeben,
dessen man sich nicht bewußt ist: besteht nun eben die formale Gewissenhaftigkeit,
welche der Grund der Wahrhaftigkeit ist. Derjenige also, welcher sich selbst
(und, welches in den Religionsbekenntnissen einerlei ist,
vor Gott) sagt: er glaube, ohne
vielleicht auch nur einen Blick in sich selbst getan zu haben, ob er sich in
der Tat dieses Fürwahrhaltens oder auch eines solchen Grades desselben
bewußt sei:* der
lügt nicht bloß die ungereimteste Lüge (vor
einem Herzenskündiger), sondern auch die frevelhafteste, weil sie
den Grund jedes tugendhaften Vorsatzes, die Aufrichtigkeit, untergräbt.
* Das Erpressungsmittel
der Wahrhaftigkeit in äußern Aussagen, der Eid (tortura spiritualis)
wird vor einem menschlichen Gerichtshofe nicht bloß für erlaubt,
sondern auch für unentbehrlich gehalten: ein trauriger Beweis von der geringen
Achtung der Menschen für die Wahrheit, selbst im Tempel der öffentlichen
Gerechtigkeit, wo die bloße ldee von ihr schon für sich die grüßte
Achtung einflößen sollte! Aber die Menschen lügen auch Überzeugung,
die sie wenigstens nicht von der Art, oder in dem Grade haben, als sie vorgeben,
selbst in ihrem innern Bekenntnisse; und, da diese Unredlichkeit (weil sie nach
und nach in wirkliche Überredung ausschlägt) auch äußere
schädliche Folgen haben kann, so kann jenes Erpressungsmittel der Wahrhaftigkeit,
der Eid (aber freilich nur ein innerer, d. i. der Versuch, ob das Fürwahrhalten
auch die Probe einer innern eidlichen Abhörung des Bekenntnisses
aushalte), dazu gleichfalls sehr wohl gebraucht werden, die Vermessenheit dreister,
zuletzt auch wohl äußerlich gewaltsames Behauptungen, wo nicht abzuhalten,
doch wenigstens stutzig zu machen. Von einem menschlichen Gerichtshofe wird
dem Gewissen des Schwörenden nichts weiter zugemutet, als die Anheischigmachung:
daß, wenn es einen künftigen Weltrichter (mithin Gott und
ein künftiges Leben) gibt, er ihm für die Wahrheit seines äußern
Bekenntnisses verantwortlich sein wolle; daß es einen solchen Weltrichter
gebe, davon hat er nicht nötig ihm ein Bekenntnis abzufordern, weil,
wenn die erstere Beteurung die Lüge nicht abhalten kann, das zweite falsche
Bekenntnis eben so wenig Bedenken erregen würde. Nach dieser innern Eidesdelation
würde man sich also selbst fragen: Getrauest du dir wohl, bei allem was
dir teuer und heilig ist, dich für die Wahrheit jenes wichtigen oder eines
andern dafür gehaltenen Glaubenssatzes zu verbürgen? Bei einer solchen
Zumutung wird das Gewissen aufgeschreckt, durch die Gefahr, der man sich aussetzt,
mehr vorzugeben, als man mit Gewißheit bebaupten kann, wo das Dafürhalten
einen Gegenstand betrifft, der auf dein Wege des Wissens (theoretischer Einsicht)
gar nicht erreichbar ist, dessen Annehmung aber dadurch, daß sie allein
den Zusammenhang der höchsten praktischen Vernunftprinzipien mit denen
der theoretischen Naturerkenntnis in einem System möglich (und also die
Vernunft mit sich selbst zusammenstimmend)
macht, über alles empfehlbar, aber immer doch frei ist. — Noch mehr
aber müssen Glaubensbekenntnisse, deren Quelle historisch ist, dieser Feuerprobe
der Wahrhaftigkeit unterworfen werden, wenn sie andern gar als Vorschriften
auferlegt werden: weil hier die Unlauterkeit und geheuchelte Überzeugung
auf mehrere verbreitet wird, und die Schuld davon dem, der sich für anderer
Gewissen gleichsam verbürgt (denn die Menschen sind mit ihrem Gewissen
gerne passiv), zur Last fällt.
Wie bald solche blinde und äußere Bekenntnisse
(welche sehr leicht mit einem eben so unwahren innern
vereinbart werden), wenn sie Erwerbmittel abgeben,
allmählich eine gewisse Falschheit in die Denkungsart selbst des gemeinen
Wesens bringen können, ist leicht abzusehen. — Während indes
diese öffentliche Läuterung der Denkungsart wahrscheinlicher Weise
auf entfernte Zeiten ausgesetzt bleibt, bis sie vielleicht einmal unter dem
Schutze der Denkfreiheit ein allgemeines Erziehungs- und Lehrprinzip werden
wird: mögen hier noch einige Zeilen auf die Betrachtung jener Unart, welche
in der menschlichen Natur tief gewurzelt zu sein scheint, verwandt werden.
Es liegt etwas Rührendes und Seelenerhebendes in der Aufstellung eines
aufrichtigen, von aller Falschheit und positiven Verstellung entfernten, Charakters;
da doch die Ehrlichkeit, eine bloße Einfalt und Geradheit der Denkungsart
(vornehmlich wenn man ihr die Offenherzigkeit erläßt)
das kleinste ist, was man zu einem guten Charakter nur immer fordern kann, und
daher nicht abzusehen ist, worauf sich denn jene Bewunderung gründe, die
wir einem solchen Gegenstande widmen: es müßte denn sein, daß
die Aufrichtigkeit die Eigenschaft wäre, von der die menschliche Natur
gerade am weitesten entfernt ist. Eine traurige Bemerkung! Indem eben durch
jene alle übrige Eigenschaften, sofern sie auf Grundsätzen beruhen,
allein einen innern wahren Wert haben können. Ein kontemplativer Misanthrop
(der keinem Menschen Böses wünscht, wohl aber
geneigt ist, von ihnen alles Böse zu glauben) kann nur zweifelhaft
sein, ob er die Menschen hassens- oder
ob er sie eher verachtungswürdig
finden solle. Die Eigenschaften, um derentwillen er sie für die erste Begegnung
qualifiziert zu sein urteilen würde, sind die, durch welche sie
vorsätzlich schaden. Diejenige Eigenschaft aber, welche sie ihm
eher der letztem Abwürdigung auszusetzen scheint, könnte keine andere
sein, als ein Hang, der an sich böse
ist, ob er gleich niemanden schadet: ein Hang zu demjenigen, was zu keiner Absicht
als Mittel gebraucht werden soll; was also objektiv zu nichts gut ist. Das erstere
Böse wäre wohl kein anderes, als das der Feindseligkeit
(gelinder gesagt, Lieblosigkeit); das zweite kann kein anderes sein
als Lügenhaftigkeit (Falschheit,
selbst ohne alle Absicht zu schaden). Die erste
Neigung hat eine Absicht, deren Gebrauch doch in gewissen andern
Beziehungen erlaubt und gut sein kann, z. B. die Feindseligkeit gegen unbesserliche
Friedensstörer. Der zweite Hang aber
ist der zum Gebrauch eines Mittels (der Lüge), das
zu nichts gut ist, zu welcher Absicht es auch sei, weil es an sich selbst böse
und verwerflich ist. In der Beschaffenheit des Menschen von der ersten Art ist
Bosheit, womit sich doch noch Tüchtigkeit
zu guten Zwecken in gewissen äußern Verhältnissen verbinden
läßt, und sie sündigt nur in den Mitteln, die doch auch nicht
in aller Absicht verwerflich sind. Das Böse von der letztern Art ist Nichtswürdigkeit,
wodurch dem Menschen aller Charakter abgesprochen wird. — Ich halte mich
hier hauptsächlich an der tief im Verborgnen liegenden Unlauterkeit, da
der Mensch sogar die innern Aussagen vor seinem eignen Gewissen zu verfälschen
weiß. Um destoweniger darf die äußere Betrugsneigung befremden;
es müßte denn dieses sein, daß, obzwar ein jeder von der Falschheit
der Münze belehrt ist, mit der er Verkehr treibt, sie sich dennoch immer
so gut im Umlaufe erhalten kann.
In Herrn de Luc Briefen über die
Gebirge, die Geschichte der Erde und Menschen, erinnere ich mich folgendes Resultat
seiner zum Teil anthropologischen Reise gelesen zu haben. Der menschenfreundliche
Verfasser war mit der Voraussetzung der ursprünglichen Gutartigkeit unserer
Gattung ausgegangen, und suchte die Bestätigung derselben da, wo städtische
Üppigkeit nicht solchen Einfluß haben kann, Gemüter zu verderben:
in Gebirgen, von den schweizerischen an
bis zum Harze; und, nachdem sein Glauben
an uneigennützig hilfleistende Neigung durch eine Erfahrung in den erstem
etwas wankend geworden, so bringt er doch am Ende diese Schlußfolge heraus:
Daß der Mensch, was das Wohlwollen betrifft,
gut genug sei (kein Wunder! denn dieses beruht
auf eingepflanzter Neigung, wovon Gott der Urheber ist);
wenn ihm nur nicht ein schlimmer Hang zur feinen Betrügerei beiwohnte
(welches auch nicht zu verwundern ist; denn diese abzuhalten
beruht auf dem Charakter, welchen der Mensch selber in sich bilden muß)!
— Ein Resultat der Untersuchung, welches ein jeder, auch ohne in Gebirge
gereist zu sein, unter seinen Mitbürgern, ja noch näher, in seinem
eignen Busen, hatte antreffen können.
Königsberg. I. Kant. S.105-124
Aus: Immanuel Kant, Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie,
Politik und Pädagogik 1 Werkausgabe Band XI. Herausgegeben von Wilhelm
Weischedel.
Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft stw 192
Das
Ende aller Dinge
Es ist ein, vornehmlich in der frommen Sprache, üblicher Ausdruck, einen
sterbenden Menschen sprechen zu lassen; er gehe aus der
Zeit in die Ewigkeit.
Dieser Ausdruck würde in der Tat nichts sagen, wenn hier unter der Ewigkeit
eine ins Unendliche fortgehende Zeit verstanden werden sollte; denn da käme
ja der Mensch nie aus der Zeit heraus, sondern ginge nur immer aus einer in
die andre fort. Also muß damit ein Ende aller Zeit, bei ununterbrochener
Fortdauer des Menschen, diese Dauer aber (sein Dasein als Größe betrachtet)
doch auch als eine mit der Zeit ganz unvergleichbare Größe (duratio
noumenon) gemeint sein, von der wir uns freilich keinen (als bloß negativen)
Begriff machen können. — Dieser Gedanke hat etwas Grausendes in sich:
weil er gleichsam an den Rand eines Abgrunds führt, aus welchem für
den, der darin versinkt, keine Wiederkehr möglich ist (»Ihn
aber hält am ernsten Orte, der nichts zurücke lässt, Die Ewigkeit
mit starken Armen fest.« Haller); und doch auch etwas
Anziehendes: denn man kann nicht aufhören, sein zurückgeschrecktes
Auge immer wiederum darauf zu wenden (nequeunt expleri
corda tuendo. »sie können des Anschauens nicht satt werden«
Virgil). Er ist furchtbar - erhaben : zum Teil wegen seiner
Dunkelheit, in der die Einbildungskraft mächtiger als beim hellen Licht
zu wirken pflegt. Endlich muß er doch auch mit der allgemeinen Menschenvernunft
auf wundersame Weise verweht sein: weil er unter allen vernünftelnden Völkern,
zu allen Zeiten, auf eine oder andre Art eingekleidet, angetroffen wird. —
Indem wir nun den Übergang aus der Zeit in die Ewigkeit (diese Idee mag,
theoretisch, als Erkenntnis-Erweiterung, betrachtet, objektive Realität
haben oder nicht), so wie ihn sich die Vernunft in moralischer Rücksicht
selbst macht, verfolgen: stoßen wir auf das Ende
aller Dinge, als Zeitwesen und als Gegenstände möglicher Erfahrung:
welches Ende aber in der moralischen Ordnung der Zwecke zugleich der Anfang
einer Fortdauer eben dieser als übersinnlicher,
folglich nicht unter Zeitbedingungen stehender, Wesen ist, die also und deren
Zustand keiner andern als moralischer Bestimmung ihrer Beschaffenheit fähig
sein wird.
Tage sind gleichsam Kinder der Zeit, weil der folgende Tag, mit dem was er enthält,
das Erzeugnis des vorigen ist. Wie nun das letzte Kind seiner Eltern jüngstes
Kind genannt wird: so hat unsre Sprache beliebt den letzten Tag (den Zeitpunkt,
der alle Zeit beschließt) den jüngsten Tag zu nennen. Der jüngste
Tag gehört also noch zur Zeit; denn es geschieht
an ihm noch irgend etwas (nicht zur Ewigkeit, wo nichts mehr geschieht, weil
das Zeitfortsetzung sein würde, Gehöriges): nämlich Ablegung
der Rechnung der Menschen von ihrem Verhalten in ihrer ganzen Lebenszeit. Er
ist ein Gerichtstag; das Begnadigungs- oder Verdammungs-Urteil des Weltrichters
ist also das eigentliche Ende aller Dinge in der Zeit, und zugleich der Anfang
der (seligen oder unseligen) Ewigkeit, in welcher das jedem zugefallne Los so
bleibt, wie es in dem Augenblick des Ausspruchs (der Sentenz) ihm zu Teil ward.
Also enthält der jüngste Tag auch das jüngste
Gericht zugleich in sich. — Wenn nun zu den letzten
Dingen noch das Ende der Welt, so wie sie in ihrer jetzigen Gestalt erscheint,
nämlich das Abfallen der Sterne vom Himmel als einem Gewölbe, der
Einsturz dieses Himmels selbst (oder das Entweichen desselben als eines eingewickelten
Buchs), das Verbrennen beider, die Schöpfung eines neuen Himmels und einer
neuen Erde zum Sitz der Seligen, und der Hölle zu dem der Verdammten, gezählt
werden sollten: so würde jener Gerichtstag freilich nicht der jüngste
Tag sein; sondern es würden noch verschiedne andre auf ihn folgen. Allein,
da die Idee eines Ende aller Dinge ihren Ursprung nicht von dem Vernünfteln
über den physischen, sondern über den
moralischen, Lauf der Dinge in der Welt hernimmt, und dadurch allein veranlaßt
wird; der letztere auch allein auf das Übersinnliche (welches nur am Moralischen
verständlich ist), dergleichen die Idee der Ewigkeit ist, bezogen werden
kann: so muß die Vorstellung jener letzten Dinge, die nach
dem jüngsten Tage kommen sollen, nur als eine Versinnlichung des letztem
samt seinen moralischen, uns übrigens nicht theoretisch begreiflichen,
Folgen angesehen werden.
Es ist aber anzumerken, daß es von den ältesten Zeiten her zwei,
die künftige Ewigkeit betreffende, Systeme gegeben hat: eines das der Unitarier
derselben, welche allen Menschen (durch
mehr oder weniger lange Büßungen gereinigt) die ewige Seligkeit,
das andre das der Dualisten*,
welche einigen Auserwählten die Seligkeit, allen übrigen
aber die ewige Verdammnis zusprechen. Denn ein System, wornach alle verdammt
zu sein bestimmt wären, konnte wohl nicht Platz finden, weil sonst kein
rechtfertigender Grund da wäre, warum sie überhaupt wären erschaffen
worden; die Vernichtung aller aber eine verfehlte Weisheit anzeigen würde,
die, mit ihrem eignem Werk unzüfrieden, kein ander Mittel weiß, den
Mängeln desselben abzuhelfen, als es zu zerstören. — Den Dualisten
steht indes immer eben dieselbe Schwierigkeit, welche hinderte, sich eine ewige
Verdammung aller zu denken, im Wege: denn wozu, könnte man fragen, waren
auch die wenigen, warum auch nur ein einziger geschaffen, wenn er nur dasein
sollte, um ewig verworfen zu werden? welches doch ärger ist als gar nicht
sein.*Ein
solches System war in der altpersischen
Religion (des Zoroaster) auf der
Voraussetzung zweier im ewigen Kampf mit einander begriffenen Urwesen,
dem Guten Prinzip, Ormuzd, und dem Bösen,
Ahriman, gegründet. — Sonderbar ist es: daß die Sprache
zweier weit von einander, noch weiter aber von dem jetzigen Sitz der deutschen
Sprache, entfernten Länder, in der Benennung dieser beiden Urwesen, deutsch
ist. Ich erinnere mich bei Sonnerat gelesen zu haben, daß in Ava (dem
Lande der Burachmanen) das gute Prinzip Godeman (welches Wort in dem Namen Darius
Codomannus auch zu liegen scheint) genannt werde; und, da das Wort Ahriman mit
dem arge Mann sehr gleich lautet, das jetzige Persische auch eine Menge ursprünglich
deutscher Wörter enthält: so mag es eine Aufgabe für
den Altertumsforscher sein, auch an dem Leitfaden der Sprachverwandtschaft
dem Ursprunge der jetzigen Religionsbegriffe mancher Völker nachzugehn.Zwar, soweit wir es einsehn, soweit wir uns selbst erforschen
können, hat das dualistische System (aber nur unter einem höchstguten
Urwesen), in praktischer Absicht, für jeden
Menschen wie er sich selbst zu richten hat (ob gleich nicht wie er andre zu
richten befugt ist), einen überwiegenden Grund in sich: denn, so viel er
sich kennt, läßt ihm die Vernunft keine andre Aussicht in die Ewigkeit
übrig, als die ihm aus seinem bisher geführten Lebenswandel sein eignes
Gewissen am Ende des Lebens eröffnet. Aber zum Dogma , mithin um einen
an sich selbst (objektiv) gültigen theoretischen Satz daraus zu machen,
dazu ist es, als bloßes Vernunfturteil, bei weitem nicht hinreichend.
Denn welcher Mensch kennt sich selbst, wer kennt andre so durch und durch, um
zu entscheiden: ob, wenn er von den Ursachen seines vermeintlich wohlgeführten
Lebenswandels alles, was man Verdienst des Glücks nennt, als sein angebornes
gutartiges Temperament, die natürliche größere Stärke seiner
obern Kräfte (des Verstandes und der Vernunft, um seine Triebe zu zähmen),
überdem auch noch die Gelegenheit, wo ihm der Zufall glücklicher weise
viele Versuchungen ersparte, die einen andern trafen; wenn er dies alles von
seinem wirklichen Charakter absonderte (wie er das denn, um diesen gehörig
zu würdigen, notwendig abrechnen muß, weil er es, als Glücksgeschenk,
seinem eignen Verdienst nicht zuschreiben kann): wer will dann entscheiden,
sage ich, ob vor dem allsehenden Auge eines Weltrichters ein Mensch, seinem
innern moralischen Werte nach, überall noch irgend einen Vorzug vor dem
andern habe, und es so vielleicht nicht ein ungereimter Eigendünkel sein
dürfte, bei dieser oberflächlichen Selbsterkenntnis, zu seinem Vorteil
über den moralischen Wert (und das verdiente Schicksal) seiner selbst so
wohl als anderer irgend ein Urteil zu sprechen. — Mithin scheint das System
des Unitariers sowohl als des Dualisten, beides als Dogma betrachtet, das spekulative
Vermögen der menschlichen Vernunft gänzlich zu übersteigen, und
alles uns dahin zurückzuführen, jene Vernunftideen schlechterdings
nur auf die Bedingungen des praktischen Gebrauchs einzuschränken. Denn
wir sehen doch nichts vor uns, das uns von unserm Schicksal in einer künftigen
Welt jetzt schon belehren könnte, als das Urteil unsers eignen Gewissens,
d. i. was unser gegenwärtiger moralischer Zustand, soweit wir ihn kennen,
uns darüber vernünftiger weise urteilen läßt: daß
nämlich, welche Prinzipien unsers Lebenswandels wir bis zu dessen Ende
in uns herrschend gefunden haben (sie seien die des Guten oder des Bösen),
auch nach dem Tode fortfahren werden, es zu sein; ohne daß wir eine Abänderung
derselben in jener Zukunft anzunehmen den mindesten Grund haben. Mithin müßten
wir uns auch der jenem Verdienst oder dieser Schuld angemessenen Folgen, unter
der Herrschaft des guten oder des bösen Prinzips, für die Ewigkeit
gewärtigen; in welcher Rücksicht es folglich weise ist, so zu handeln,
als ob ein andres Leben, und der moralische Zustand, mit dem wir das gegenwärtige
endigen, samt seinen Folgen, beim Eintritt in dasselbe unabänderlich sei.
In praktischer Absicht wird also das anzunehmende System das dualistische sein
müssen; ohne doch ausmachen zu wollen, welches von beiden, in theoretischer
und bloß spekulativer, den Vorzug verdiene: zumal da das unitarische zu
sehr in gleichgültige Sicherheit einzuwiegen scheint.
Warum erwarten aber die Menschen überhaupt ein Ende
der Welt? und, wenn dieses ihnen auch eingeräumt wird, warum eben ein Ende
mit Schrecken (für den größten Teil des menschlichen Geschlechts)?
. . . Der Grund des erstern scheint darin zu liegen,
weil die Vernunft ihnen sagt, daß die Dauer der Welt nur sofern einen
Wert hat, als die vernünftigen Wesen in ihr dem Endzweck ihres Daseins
gemäß sind, wenn dieser aber nicht erreicht werden sollte, die Schöpfung
selbst ihnen zwecklos zu sein scheint: wie ein Schauspiel, das gar keinen Ausgang
hat, und keine vernünftige Absicht zu erkennen gibt. Das letztere
gründet sich auf der Meinung von der verderbten Beschaffenheit des menschlichen
Geschlechts,* die bis zur Hoffnungslosigkeit
groß sei; welchem ein Ende und zwar ein schreckliches Ende zu machen die
einzige der höchsten Weisheit und Gerechtigkeit (dem größten
Teil der Menschen nach) anständige Maßregel sei. — Daher sind
auch die Vorzeichen des jüngsten Tages (denn
wo läßt es eine durch große Erwartungen erregte Einbildungskraft
wohl an Zeichen und Wundern fehlen?) alle von der schrecklichen Art. Einige
sehen sie in der überhandnehmenden Ungerechtigkeit, Unterdrückung
der Armen durch übermütige Schwelgerei der Reichen, und dem allgemeinen
Verlust von Treu und Glauben; oder in den an allen Erdenden sich entzündenden
blutigen Kriegen, u.s.w.: mit einem Worte, an dem moralischen Verfall und der
schnellen Zunahme aller Laster, samt den sie begleitenden Übeln, dergleichen,
wie sie wähnen, die vorige Zeit nie sah. Andre dagegen in ungewöhnlichen
Naturveränderungen, an den Erdbeben, Stürmen und Überschwemmungen,
oder Kometen und Luftzeichen.*Zu
allen Zeiten haben sich dünkende Weise (oder Philosophen), ohne die Anlage
zum Guten in der menschlichen Natur einiger Aufmerksamkeit zu würdigen,
sich in widrigen, zum Teil ekelhaften, Gleichnissen erschöpft, um unsre
Erdenwelt, den Aufenthalt für Menschen, recht verächtlich vorzustellen.
1) Als ein Wirtshaus (Karavanserai), wie jener Derwisch sie
ansieht: wo jeder auf seiner Lebensreise Einkehrende gefaßt sein muß,
von einem folgenden bald verdrängt zu werden.
2) Als ein Zuchthaus; welcher Meinung die brahmanischen, tibetanischen
und andre Weisen des Orients (auch sogar Plato) zugetan sind: ein Ort der Züchtigung
und Reinigung gefallner, aus dem Himmel verstoßner, Geister, jetzt menschlicher
oder Tier-Seelen.
3) Als ein Tollhaus: wo nicht allein jeder für sich seine
eignen Absichten vernichtet, sondern einer dem andern alles erdenkliche Herzeleid
zufügt, und obenein, die Geschicklichkeit und Macht, das tun zu können,
für die größte Ehre hält. Endlich
4) Als ein Kloak, wo aller Unrat aus andern Welten hingebannt
worden. Der letztere Einfall ist auf gewisse Art originell, und einem persischen
Witzling zu verdanken, der das Paradies, den Aufenthalt des ersten Menschenpaars,
in den Himmel versetzte, in welchem Garten Bäume genug, mit herrlichen
Früchten reichlich versehen, anzutreffen waren, deren Überschuß,
nach ihrem Genuß, sich durch unmerkliche Ausdünstung verlor; einen
einzigen Baum mitten im Garten ausgenommen, der zwar eine reizende aber solche
Frucht trug, die sich nicht ausschwitzen ließ. Da unsre ersten Eltern
sich nun gelüsten ließen, ungeachtet des Verbots, dennoch davon zu
kosten: so. war, damit sie den Himmel nicht beschmutzten, kein andrer Rat, als
daß einer der Engel ihnen die Erde in weiter Ferne zeigte, mit den Worten:
»Das ist der Abtritt für das ganze Universum«, sie sodann dahinführte,
um das Benötigte zu verrichten, und darauf mit Hinterlassung derselben
zum Himmel zurückflog. Davon sei nun das menschliche Geschlecht auf Erden
entsprungen.In der Tat fühlen, nicht ohne Ursache, die Menschen die Last
ihrer Existenz, ob sie gleich selbst die Ursache derselben sind. Der Grund davon
scheint mir hierin zu liegen. —Natürlicherweise eilt, in den Fortschritten
des menschlichen Geschlechts, die Kultur der Talente, der Geschicklichkeit und
des Geschmacks (mit ihrer Folge, der Üppigkeit) der Entwicklung der Moralität
vor; und dieser Zustand ist gerade der lästigste und gefährlichste
für Sittlichkeit so wohl als physisches Wohl: weil die Bedürfnisse
viel stärker anwachsen, als die Mittel, sie zu befriedigen. Aber die sittliche
Anlage der Menschheit, die (wie Horazens poena, pede claudo;
»die Strafe mit hinkendem Fuß«.) ihr immer nachhinkt,
wird sie, die in ihrem eilfertigen Lauf sich selbst verfängt und oft stolpert,
(wie man unter einem weisen Weltregierer wohl hoffen darf) dereinst überholen;
und so sollte man, selbst nach den Erfahrungsbeweisen des Vorzugs der Sittlichkeit
in unserm Zeitalter, in Vergleichung mit allen vorigen, wohl die Hoffnung nähren
können, daß der jüngste Tag eher mit einer Eliasfahrt, als mit
einer der Rotte Korah ähnlichen Höllenfahrt eintreten, und das Ende
aller Dinge auf Erden herbeiführen dürfte. Allein dieser heroische
Glauben an die Tugend scheint doch, subjektiv, keinen so allgemeinkräftigen
Einfluß auf die Gemüter zur Bekehrung zu haben, als der an einen
mit Schrecken begleiteten Auftritt, der vor den letzten Dingen als vorhergehend
gedacht wird.Anmerkung. Da wir es hier bloß
mit Ideen zu tun haben (oder damit spielen), die die Vernunft sich selbst schafft,
wovon die Gegenstände (wenn sie deren haben) ganz über unsern Gesichtskreis
hinausliegen, die indes, obzwar für das spekulative Erkenntnis überschwenglich,
darum doch nicht in aller Beziehung für leer zu halten sind, sondern in
praktischer Absicht uns von der gesetzgebenden Vernunft selbst an die Hand gegeben
werden, nicht etwa um über ihre Gegenstände, was sie an sich und ihrer
Natur nach sind, nachzugrübeln, sondern wie wir sie zum Behuf der moralischen,
auf den Endzweck aller Dinge gerichteten, Grundsätze zu denken haben (wodurch
sie, die sonst gänzlich leer wären, objektive praktische Realität
bekommen): — so haben wir ein freies Feld vor uns, dieses Produkt unsrer
eignen Vernunft: den allgemeinen Begriff von einem Ende aller Dinge, nach dem
Verhältnis, das er zu unserm Erkenntnisvermögen hat, einzuteilen,
und die unter ihm stehenden zu klassifizieren.
Diesem nach wird das Ganze
1) in das natürliche* Ende aller Dinge, nach
der Ordnung moralischer Zwecke göttlicher Weisheit, welches wir also (in
praktischer Absicht) wohl verstehen können,
*Natürlich (formaliter) heißt, was nach
Gesetzen einer gewissen Ordnung, welche es auch sei, mithin auch der moralischen
(also nicht immer bloß der physischen), notwendig folgt. Ihm ist das Nichtnatürliche,
welches entweder das Übernatürliche, oder das Widernatürliche
sein kann, entgegengesetzt. Das Notwendige aus Naturursachen würde auch
als materialiter-natürlich (physisch-notwendig) vorgestellt werden.
2) in das mystische (übernatürliche)
Ende derselben, in der Ordnung der wirkenden Ursachen, von welchen wir nichts
verstehen,
3) in das widernatürliche (verkehrte) Ende
aller Dinge, welches von uns selbst, dadurch daß wir den Endzweck mißverstehen,
herbeigeführt wird, eingeteilt, und in drei Abteilungen vorgestellt werden:
wovon die erste so eben abgehandelt worden, und nun die zwei noch übrigen
folgen.In der Apokalypse (X, 5, 6) »hebt
ein Engel seine Hand auf gen Himmel, und schwört bei dem Lebendigen von
Ewigkeit zu Ewigkeit, der den Himmel erschaffen hat u.s.w.: daß
hinfort keine Zeit mehr sein soll«.
Wenn man nicht annimmt, daß dieser Engel »mit
seiner Stimme von sieben Donnern« (V. 3) habe Unsinn schreien wollen,
so muß er damit gemeint haben, daß hinfort keine Veränderung
sein soll; denn wäre in der Welt noch Veränderung, so wäre
auch die Zeit da, weil jene nur in dieser Statt finden kann, und, ohne ihre
Voraussetzung, gar nicht denkbar ist.
Hier wird nun ein Ende aller Dinge, als Gegenstände der Sinne, vorgestellt,
wovon wir uns gar keinen Begriff machen können: weil wir uns selbst unvermeidlich
in Widersprüche verfangen, wenn wir einen einzigen Schritt aus der Sinnenwelt
in die intelligible tun wollen; welches hier dadurch geschieht, daß der
Augenblick, der das Ende der erstern ausmacht, auch der Anfang der andern sein
soll, mithin diese mit jener in eine und dieselbe Zeitreihe gebracht wird, welches
sich widerspricht.
Aber wir sagen auch, daß wir uns eine Dauer als unendlich
(als Ewigkeit) denken: nicht darum weil wir etwa von ihrer Größe
irgend einen bestimmbaren Begriff haben — denn das ist unmöglich,
da ihr die Zeit, als Maß derselben gänzlich fehlt —; sondern
jener Begriff ist, weil, wo es keine Zeit gibt, auch kein
Ende Statt hat, bloß ein negativer von der ewigen Dauer, wodurch
wir in unserm Erkenntnis nicht um einen Fußbreit weiter kommen, sondern
nur gesagt werden will, daß der Vernunft, in (praktischer) Absicht auf
den Endzweck, auf dem Wege beständiger Veränderungen nie Genüge
getan werden kann: ob zwar auch, wenn sie es mit dem Prinzip des Stillstandes
und der Unveränderlichkeit des Zustands der Weltwesen versucht, sie sich
eben so wenig in Ansehung ihres theoretischen Gebrauchs
genug tun, sondern vielmehr in gänzliche Gedankenlosigkeit geraten würde;
da ihr dann nichts übrig bleibt, als sich eine ins Unendliche (in der Zeit)
fortgehende Veränderung, im beständigen Fortschreiten zum Endzweck,
zu denken, bei welchem die Gesinnung (welche nicht,
wie jenes, ein Phänomen, sondern etwas Übersinnliches, mithin nicht
in der Zeit veränderlich ist) bleibt und beharrlich dieselbe ist. Die Regel
des praktischen Gebrauchs der Vernunft dieser Idee gemäß will also
nichts weiter sagen, als: wir müssen unsre Maxime so nehmen, als ob, bei
allen ins Unendliche gehenden Veränderungen vom Guten zum Bessern, unser
moralische Zustand, der Gesinnung nach, (der homo noumenon, »dessen Wandel
im Himmel ist«) gar keinem Zeitwechsel unterworfen wäre.
Daß aber einmal ein Zeitpunkt eintreten wird, da alle Veränderung
(und mit ihr die Zeit selbst) aufhört, ist eine die Einbildungskraft empörende
Vorstellung. Alsdann wird nämlich die ganze Natur starr und gleichsam versteinert:
der letzte Gedanken, das letzte Gefühl bleiben alsdann in dem denkenden
Subjekt stehend und ohne Wechsel immer dieselben. Für ein Wesen, welches
sich seines Daseins und der Größe desselben (als Dauer) nur in der
Zeit bewußt werden kann, muß ein solches Leben, wenn es anders Leben
heißen mag, der Vernichtung gleich scheinen: weil es, um sich in einen
solchen Zustand hineinzudenken, doch überhaupt etwas denken muß;
Denken aber ein Reflektieren enthält, welches
selbst nur in der Zeit geschehen kann. — Die Bewohner der andern Welt
werden daher so vorgestellt, wie sie, nach Verschiedenheit ihres Wohnorts (dem
Himmel oder der Hölle), entweder immer dasselbe Lied, ihr Halleluja, oder
ewig eben dieselben Jammertöne anstimmen (XIX, 1—6; XX, 15): wodurch
der gänzliche Mangel alles Wechsels in ihrem Zustände angezeigt werden
soll.
Gleichwohl ist diese Idee, so sehr sie auch unsre Fassungskraft übersteigt,
doch mit der Vernunft in praktischer Beziehung nahe verwandt. Wenn wir den moralisch-physischen
Zustand des Menschen hier im Leben auch auf dem besten Fuß annehmen, nämlich
eines beständigen Fortschreitens und Annäherns zum höchsten (ihm
zum Ziel ausgesteckten) Gut: so kann er doch (selbst im Bewußtsein der
Unveränderlichkeit seiner Gesinnung) mit der Aussicht in eine ewig dauernde
Veränderung seines Zustandes (des sittlichen sowohl als physischen) die
Zufriedenheit nicht verbinden. Denn der Zustand,
in welchem er jetzt ist, bleibt immer doch ein Übel, vergleichungsweise
gegen den bessern, in den zu treten er in Bereitschaft steht; und die Vorstellung
eines unendlichen Fortschreitens zum Endzweck ist doch zugleich ein Prospekt
in eine unendliche Reihe von Übeln, die, ob sie zwar von dem größern
Guten überwogen werden, doch die Zufriedenheit nicht Statt finden lassen,
die er sich nur dadurch, daß der Endzweck endlich
einmal erreicht wird, denken kann.
Darüber gerät nun der nachgrübelnde Mensch in die Mystik
(denn die Vernunft, weil sie sich nicht leicht mit ihrem immanenten, d. i. praktischen
Gebrauch begnügt, sondern gern im Transzendenten etwas wagt, hat auch ihre
Geheimnisse), wo seine Vernunft sich selbst, und was sie will, nicht versteht,
sondern lieber schwärmt, als sich, wie es einem intellektuellen Bewohner
einer Sinnenwelt geziemt, innerhalb den Grenzen dieser eingeschränkt zu
halten. Daher kommt das Ungeheuer von System des Laokiun
von dem höchsten Gut, das im
Nichts bestehen soll: d.i. im Bewußtsein, sich in den Abgrund der
Gottheit, durch das Zusammenfließen mit derselben und also durch Vernichtung
seiner Persönlichkeit, verschlungen zu fühlen; von welchem Zustande
die Vorempfindung zu haben, sinesische Philosophen sich in dunkeln Zimmern,
mit geschlossenen Augen, anstrengen, dieses ihr Nichts zu denken und zu empfinden.
Daher der Pantheismus (der Tibetaner und andrer
östlichen Völker); und der aus der metaphysischen Sublimierung desselben
in der Folge erzeugte Spinozismus: welche beide
mit dem uralten Emanationssystem aller Menschenseelen
aus der Gottheit (und ihrer endlichen Resorption [Wiederauflösung]
in eben dieselbe) nahe verschwistert sind. Alles lediglich darum, damit die
Menschen sich endlich doch einer ewigen Ruhe
zu erfreuen haben möchten, welche denn ihr vermeintes seliges Ende aller
Dinge ausmacht; eigentlich ein Begriff, mit dem ihnen zugleich der Verstand
ausgeht und alles Denken selbst ein Ende hat.Das Ende aller Dinge, die durch der Menschen Hände gehen,
ist, selbst bei ihren guten Zwecken, Torheit: das ist, Gebrauch solcher Mittel
zu ihren Zwecken, die diesen gerade zuwider sind. Weisheit, d. i. praktische
Vernunft in der Angemessenheit ihrer dem Endzweck aller Dinge, dem höchsten
Gut, völlig entsprechenden Maßregeln, wohnt allein bei Gott; und
ihrer Idee nur nicht sichtbarlich entgegen zu handeln, ist das, was man etwa
menschliche Weisheit nennen könnte. Diese Sicherung aber wider Torheit,
die der Mensch nur durch Versuche und öftere Veränderung seiner Pläne
zu erlangen hoffen darf, ist mehr »ein Kleinod, welchem auch der beste
Mensch nur nachjagen kann, ob er es etwa ergreifen möchte«;
wovon er aber niemal sich die eigenliebige Überredung darf anwandeln lassen,
vielweniger darnach verfahren, als ob er es ergriffen
habe. — Daher auch die von Zeit zu Zeit veränderten, oft widersinnigen,
Entwürfe zu schicklichen Mitteln, um Religion in
einem ganzen Volk lauter und zugleich kraftvoll zu machen; so, daß
man wohl ausrufen kann: Arme Sterbliche, bei euch ist nichts beständig,
als die Unbeständigkeit!
Wenn es indes mit diesen Versuchen doch endlich einmal soweit gediehen ist,
daß das Gemeinwesen fähig und geneigt ist, nicht bloß den hergebrachten
frommen Lehren, sondern auch der durch sie erleuchteten praktischen Vernunft
(wie es zu einer Religion auch schlechterdings notwendig ist) Gehör zu
geben; wenn die (auf menschliche Art) Weisen unter dem Volk nicht durch unter
sich genommene Abreden (als ein Klerus), sondern als Mitbürger, Entwürfe
machen und darin größtenteils übereinkommen, welche auf unverdächtige
Art beweisen, daß ihnen um Wahrheit zu tun sei; und das Volk wohl auch
im ganzen (wenn gleich noch nicht im kleinsten Detail), durch das allgemein
gefühlte nicht auf Auktorität gegründete Bedürfnis der notwendigen
Anbauung seiner moralischen Anlage, daran Interesse nimmt: so scheint nichts
ratsamer zu sein, als jene nur machen und ihren Gang fortsetzen zu lassen, da
sie einmal, was die Idee betrifft der sie nachgehn, auf gutem Wege sind: was
aber den Erfolg aus den zum besten Endzweck gewählten Mitteln betrifft,
da dieser, wie er nach dem Laufe der Natur ausfallen dürfte, immer ungewiß
bleibt, ihn der Vorsehung zu überlassen. Denn, man mag so schwergläubig
sein wie man will, so muß man doch, wo es schlechterdings unmöglich
ist, den Erfolg aus gewissen nach aller menschlichen Weisheit (die, wenn sie
ihren Namen verdienen soll, lediglich auf das Moralische gehen muß) genommenen
Mitteln mit Gewißheit voraus zu sehn, eine Konkurrenz göttlicher
Weisheit zum Laufe der Natur auf praktische Art glauben, wenn man seinen Endzweck
nicht lieber gar aufgeben will. —
Zwar wird man einwenden: Schon oft ist gesagt worden, der gegenwärtige
Plan ist der beste; bei ihm muß es von nun an auf immer bleiben; das ist
jetzt ein Zustand für die Ewigkeit. »Wer (nach diesem Begriffe) gut
ist, der ist immerhin gut, und wer (ihm zuwider) böse ist, ist immerhin
böse« (Apokal. XXII, 11): gleich als ob die Ewigkeit, und mit ihr
das Ende aller Dinge, schon jetzt eingetreten sein könne; — und gleichwohl
sind seitdem immer neue Pläne, unter welchen der neueste oft nur die Wiederherstellung
eines alten war, auf die Bahn gebracht worden, und es wird auch an mehr letzten
Entwürfen fernerhin nicht fehlen.
Ich bin mir so sehr meines Unvermögens, hierin einen neuen und glücklichen
Versuch zu machen, bewußt, daß ich, wozu freilich keine große
Erfindungskraft gehört, lieber raten möchte: die Sachen so zu lassen,
wie sie zuletzt standen, und beinahe ein Menschenalter hindurch sich als erträglich
gut in ihren Folgen bewiesen hatten. Da das aber wohl nicht die Meinung der
Männer von entweder großem oder doch unternehmendem Geiste sein möchte:
so sei es mir erlaubt, nicht sowohl, was sie zu tun, sondern wogegen zu verstoßen
sie sich ja in Acht zu nehmen hätten, weil sie sonst ihrer eignen Absicht
(wenn sie auch die beste wäre) zuwider handeln würden, bescheidentlich
anzumerken.Das Christentum hat, außer der größten Achtung,
welche die Heiligkeit seiner Gesetze unwiderstehlich einflößt, noch
etwas Liebenswürdiges in sich. (Ich meine
hier nicht die Liebenswürdigkeit der Person, die es uns mit großen
Aufopferungen erworben hat, sondern der Sache selbst: nämlich der sittlichen
Verfassung, die Er stiftete; denn jene läßt sich nur aus dieser folgern.)
Die Achtung ist ohne Zweifel das Erste, weil ohne sie auch keine wahre Liebe
Statt findet; ob man gleich ohne Liebe doch große Achtung gegen jemand
hegen kann. Aber wenn es nicht bloß auf Pflichtvorstellung sondern auch
auf Pflichtbefolgung ankommt, wenn man nach dem subjektiven
Grunde der Handlungen fragt, aus welchem, wenn man ihn voraussetzen darf, am
ersten zu erwarten ist, was der Mensch tun werde,
nicht bloß nach dem objektiven, was er tun soll:
so ist doch die Liebe, als freie Aufnahme des Willens eines andern unter seine
Maximen, ein unentbehrliches Ergänzungsstück der Unvollkommenheit
der menschlichen Natur (zu dem, was die Vernunft durchs Gesetz vorschreibt,
genötigt werden zu müssen): denn was einer nicht gern tut, das tut
er so kärglich, auch wohl mit sophistischen Ausflüchten vom Gebot
der Pflicht, daß auf diese, als Triebfeder, ohne den Beitritt jener, nicht
sehr viel zu rechnen sein möchte.
Wenn man nun, um es recht gut zu machen, zum Christentum noch irgend eine Auktorität
(wäre es auch die göttliche) hinzutut, die Absicht derselben mag auch
noch so wohlmeinend und der Zweck auch wirklich noch so gut sein: so ist doch
die Liebenswürdigkeit desselben verschwunden: denn es ist ein Widerspruch,
jemanden zu gebieten, daß er etwas nicht
allein tue, sondern es auch gern
tun solle.
Das Christentum hat zur Absicht: Liebe, zu dem Geschäft der Beobachtung
seiner Pflicht überhaupt, zu befördern, und bringt sie auch hervor;
weil der Stifter desselben nicht in der Qualität eines Befehlshabers, der
seinen Gehorsam-fordernden Willen, sondern in der eines Menschenfreundes redet,
der seinen Mitmenschen ihren eignen wohlverstandnen Willen, d. i. wornach sie
von selbst freiwillig handeln würden, wenn sie sich selbst gehörig
prüften, ans Herz legt.
Es ist also die liberale Denkungsart — gleichweit
entfernt vom Sklavensinn, und von Bandenlosigkeit — wovon das Christentum
für seine Lehre Effekt erwartet, durch die es die Herzen der Menschen für
sich zu gewinnen vermag, deren Verstand schon durch die Vorstellung des Gesetzes
ihrer Pflicht erleuchtet ist. Das Gefühl der Freiheit in der Wahl des Endzweckes
ist das, was ihnen die Gesetzgebung liebenswürdig macht. — Obgleich
also der Lehrer desselben auch Strafen ankündigt,
so ist das doch nicht so zu verstehen, wenigstens ist es der eigentümlichen
Beschaffenheit des Christentums nicht angemessen, es so zu erklären, als
sollten diese die Triebfedern werden, seinen Geboten Folge zu leisten: denn
sofern würde es aufhören liebenswürdig zu sein. Sondern, man
darf dies nur als liebreiche, aus dem Wohlwollen des Gesetzgebers entspringende,
Warnung, sich vor dem Schaden zu hüten, welcher unvermeidlich aus der Übertretung
des Gesetzes entspringen müßte (denn: lex est
res surda et inexorabilis. »das Gesetz ist eine taube und unerbittliche
Sache.« Livius.), auslegen; weil nicht das Christentum,
als freiwillig angenommene Lebensmaxime, sondern das Gesetz hier droht: welches,
als unwandelbar in der Natur der Dinge liegende Ordnung, selbst nicht der Willkür
des Schöpfers, die Folge derselben so oder anders zu entscheiden, überlassen
ist.
Wenn das Christentum Belohnungen verheißt
(z. B. »Seid fröhlich und getrost, es wird
j euch im Himmel alles wohl vergolten werden«): so muß das
nach der liberalen Denkungsart nicht so ausgelegt werden, als wäre es ein
Angebot, um dadurch den Menschen zum guten Lebenswandel gleichsam zu dingen:
denn da würde das Christentum wiederum für sich selbst nicht liebenswürdig
sein. Nur ein Ansinnen solcher Handlungen, die aus uneigennützigen Beweggründen
entspringen, kann gegen den, welcher das Ansinnen tut, dem Menschen Achtung
einflößen; ohne Achtung aber gibt es keine wahre Liebe. Also muß
man jener Verheißung nicht den Sinn beilegen, als sollten die Belohnungen
für die Triebfedern der Handlungen genommen werden. Die Liebe, wodurch
eine liberale Denkart an einen Wohltäter gefesselt wird, richtet sich nicht
nach dem Guten, was der Bedürftige empfängt, sondern bloß nach
der Gütigkeit des Willens dessen, der geneigt
ist, es zu erteilen: sollte er auch etwa nicht dazu vermögend sein, oder
durch andre Beweggründe, welche die Rücksicht auf das allgemeine Weltbeste
mit sich bringt, an der Ausführung gehindert werden.
Das ist die moralische Liebenswürdigkeit, welche das Christentum bei sich
führt, die durch manchen äußerlich ihm beigefügten Zwang,
bei dem öfteren Wechsel der Meinungen, immer noch durchgeschimmert, und
es gegen die Abneigung erhalten hat, die es sonst hätte treffen müssen;
und welche (was merkwürdig ist) zur Zeit der größten Aufklärung,
die je unter Menschen war, sich immer in einem nur desto hellem Lichte zeigt.
Sollte es mit dem Christentum einmal dahin kommen, daß es aufhörte
liebenswürdig zu sein (welches sich wohl zutragen
könnte, wenn es, statt seines sanften Geistes, mit gebieterischer Auktorität
bewaffnet würde): so müßte, weil in moralischen Dingen
keine Neutralität (noch weniger Koalition entgegengesetzter
Prinzipien) Statt findet, eine Abneigung und Widersetzlichkeit gegen
dasselbe die herrschende Denkart der Menschen werden; und der Antichrist,
der ohnehin für den Vorläufer des jüngsten Tages gehalten wird,
würde sein (vermutlich auf Furcht und Eigennutz gegründetes)
obzwar kurzes Regiment anfangen: alsdann aber, weil das Christentum allgemeine
Weltreligion zu sein zwar bestimmt,
aber es zu werden von dem Schicksal
nicht begünstigt sein
würde, das (verkehrte) Ende
aller Dinge in moralischer Rücksicht eintreten.
Königsberg. I. Kant
Aus: Immanuel Kant, Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie,
Politik und Pädagogik 1 S.175-190
Werkausgabe Band XI. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Taschenbuch
Wissenschaft stw 192
Die Ethik
Kants
Die
immense Bedeutung des guten Willens
Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt
auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung
für gut könnte gehalten werden, als allein ein
guter Wille.
Verstand, Witz, Urteilskraft,
und wie die Talente des
Geistes sonst heißen mögen, oder Mut, Entschlossenheit, Beharrlichkeit
im Vorsatze, als Eigenschaften
des Temperaments, sind
ohne Zweifel in mancher Absicht gut
und wünschenswert; aber sie können auch äußerst böse
und schädlich werden, wenn der Wille, der
von diesen Naturgaben Gebrauch machen soll und dessen eigentümliche Beschaffenheit
darum Charakter
heißt, nicht gut ist.
Mit den Glücksgaben
ist es eben so bewandt. Macht,
Reichtum, Ehre,
selbst Gesundheit, und das ganze Wohlbefinden und
Zufriedenheit mit seinem Zustande, unter dem Namen der Glückseligkeit,
machen Mut und hiedurch öfters auch Übermut, wo nicht ein guter
Wille da ist, der den Einfluß derselben aufs Gemüt, und hiemit
auch das ganze Prinzip
zu handeln, berichtige und allgemein-zweckmäßig mache; ohne zu erwähnen,
daß ein vernünftiger unparteiischer Zuschauer sogar am Anblicke eines
ununterbrochenen Wohlergehens eines Wesens, das kein Zug eines reinen und guten
Willens ziert, nimmermehr ein Wohlgefallen haben kann, und so der
gute Wille die unerläßliche Bedingung
selbst der Würdigkeit, glücklich zu sein, auszumachen scheint.
Einige Eigenschaften sind sogar diesem guten Willen
selbst beförderlich und können sein Werk sehr erleichtern, haben aber
dem ungeachtet keinen innern unbedingten Wert, sondern setzen immer noch einen
guten Willen voraus, der die Hochschätzung, die man übrigens
mit Recht für sie trägt, einschränkt, und es nicht erlaubt, sie
für schlechthin gut zu halten. Mäßigung in Affekten
und Leidenschaften,
Selbstbeherrschung
und nüchterne Überlegung sind nicht allein in vielerlei Absicht gut,
sondern scheinen sogar einen Teil vom innern Werte der Person
auszumachen; allein es fehlt viel daran, um sie ohne Einschränkung
für gut zu erklären (so
unbedingt sie auch von den Alten gepriesen worden). Denn ohne
Grundsätze
eines guten Willens können sie höchst
böse werden, und das kalte Blut eines Bösewichts macht ihn
nicht allein weit gefährlicher, sondern auch unmittelbar in unsern Augen
noch verabscheuungswürdiger, als er ohne dieses dafür würde gehalten
werden.
Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt,
oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zu Erreichung irgend eines vorgesetzten
Zweckes, sondern
allein durch das Wollen,
d.i. an sich, gut,
und, für sich selbst betrachtet, ohne Vergleich weit höher zu schätzen,
als alles, was durch ihn zu Gunsten irgend einer Neigung, ja, wenn man will,
der Summe aller Neigungen, nur immer zu Stande gebracht werden könnte.
Wenn gleich durch eine besondere Ungunst des Schicksals, oder durch kärgliche
Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur, es diesem Willen
gänzlich an Vermögen
fehlte, seine Absicht durchzusetzen; wenn bei seiner größten Bestrebung
dennoch nichts von ihm ausgerichtet würde, und nur der gute Wille (freilich
nicht etwa ein bloßer Wunsch, sondern als die Aufbietung aller Mittel,
so weit sie in unserer Gewalt sind) übrig bliebe: so würde
er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen, als etwas, das seinen
vollen Wert in sich selbst hat. Die Nützlichkeit oder Fruchtlosigkeit kann
diesem Werte weder etwas zusetzen, noch abnehmen. Sie würde gleichsam nur
die Einfassung sein, um ihn im gemeinen Verkehr besser handhaben zu können,
oder die Aufmerksamkeit derer, die noch nicht genug Kenner sind, auf sich zu
ziehen, nicht aber, um ihn Kennern zu empfehlen, und seinen Wert zu bestimmen.
Es liegt gleichwohl in dieser Idee von dem absoluten Werte des bloßen
Willens, ohne einigen Nutzen bei Schätzung desselben in Anschlag zu bringen,
etwas so Befremdliches, daß unerachtet aller Einstimmung selbst der gemeinen
Vernunft mit derselben dennoch ein Verdacht entspringen muß, daß
vielleicht bloß hochfliegende Phantasterei insgeheim zum Grunde liege,
und die Natur in ihrer Absicht, warum sie unserm Willen Vernunft zur Regiererin
beigelegt habe, falsch verstanden sein möge. Daher wollen wir diese Idee
aus diesem Gesichtspunkte auf die Prüfung stellen.
In den Naturanlagen eines organisierten, d. i. zweckmäßig zum Leben
eingerichteten Wesens nehmen wir es als Grundsatz an, daß kein Werkzeug
zu irgend einem Zwecke in demselben angetroffen werde, als was auch zu demselben
das schicklichste und ihm am meisten angemessen ist. Wäre nun an einem
Wesen, das Vernunft und einen Willen hat, seine Erhaltung,
sein Wohlergehen, mit
einem Worte seine Glückseligkeit, der
eigentliche Zweck der Natur, so hätte sie ihre Veranstaltung dazu sehr
schlecht getroffen, sich die Vernunft des Geschöpfs zur Ausrichterin dieser
ihrer Absicht zu ersehen. Denn alle Handlungen, die es in dieser Absicht auszuüben
hat, und die ganze Regel seines Verhaltens würden ihm weit genauer durch
Instinkt vorgezeichnet und jener Zweck weit sicherer dadurch haben erhalten
werden können, als es jemals durch Vernunft geschehen kann, und sollte
diese ja obenein dem begünstigten Geschöpf erteilt worden sein, so
würde sie ihm nur dazu haben dienen müssen, um über die glückliche
Anlage seiner Natur Betrachtungen anzustellen, sie zu bewundern, sich ihrer
zu erfreuen und der wohltätigen Ursache dafür dankbar zu sein;nicht
aber, um sein Begehrungsvermögen jener schwachen und trüglichen Leitung
zu unterwerfen und in der Naturabsicht zu pfuschen; mit einem Worte, sie
würde verhütet haben, daß Vernunft nicht in praktischen
Gebrauch ausschlüge und die Vermessenheit hätte,
mit ihren schwachen Einsichten ihr selbst den Entwurf der Glückseligkeit
und der Mittel, dazu zu gelangen, auszudenken; die Natur würde nicht allein
die Wahl der Zwecke, sondern auch der Mittel selbst übernommen und beide
mit weiser Vorsorge lediglich dem Instinkte anvertraut haben.
In der Tat finden wir auch, daß, je mehr eine kultivierte Vernunft sich
mit der Absicht auf den Genuß des Lebens und der Glückseligkeit abgibt,
desto weiter der Mensch von der wahren Zufriedenheit abkomme, woraus bei vielen,
und zwar den Versuchtesten im Gebrauche derselben, wenn sie nur aufrichtig genug
sind, es zu gestehen, ein gewisser Grad von
Misologie,
d.i. Haß der Vernunft entspringt, weil sie nach dem Überschlage alles
Vorteils, den sie, ich will nicht sagen von der Erfindung aller Künste
des gemeinen Luxus, sondern so gar von den Wissenschaften (die
ihnen am Ende auch ein Luxus des Verstandes zu sein scheinen) ziehen,
dennoch finden, daß sie sich in der Tat nur mehr Mühseligkeit auf
den Hals gezogen, als an Glückseligkeit gewonnen haben, und darüber
endlich den gemeinern Schlag der Menschen, welcher der Leitung des bloßen
Naturinstinkts näher ist, und der seiner Vernunft nicht viel Einfluß
auf sein Tun und Lassen verstattet, eher beneiden, als geringschätzen.
Und so weit muß man gestehen, daß das Urteil derer, die die ruhmredige
Hochpreisungen der Vorteile, die uns die Vernunft in Ansehung der Glückseligkeit
und Zufriedenheit des Lebens verschaffen sollte, sehr mäßigen und
sogar unter Null herabsetzen, keinesweges grämisch, oder gegen die Güte
der Weltregierung undankbar sei, sondern daß diesen Urteilen ingeheim
die Idee von einer andern und viel würdigern Absicht ihrer Existenz zum
Grunde liege, zu welcher, und nicht der Glückseligkeit, dieVernunft ganz
eigentlich bestimmt sei, und welcher darum, als oberster Bedingung, die Privatabsicht
des Menschen größtenteils nachstehen muß.
Denn da die Vernunft dazu nicht tauglich genug ist, um den Willen
in Ansehung der Gegenstände desselben und der Befriedigung aller unserer
Bedürfnisse (die sie zum Teil selbst vervielfältigt)
sicher zu leiten, als zu welchem Zwecke ein eingepflanzter Naturinstinkt viel
gewisser geführt haben würde, gleichwohl aber uns Vernunft als praktisches
Vermögen, d.i. als ein solches, das Einfluß auf den Willen
haben soll, dennoch zugeteilt ist: so muß die wahre Bestimmung
derselben sein, einen, nicht etwa in anderer Absicht als
Mittel, sondern an
sich selbst guten Willen hervorzubringen,
wozu schlechterdings Vernunft nötig war, wo anders die Natur überall
in Austeilung ihrer Anlagen zweckmäßig zu Werke gegangen ist. Dieser
Wille darf also zwar nicht das einzige und das ganze, aber er muß doch
das höchste Gut, und zu allem übrigen,
selbst allem Verlangen nach Glückseligkeit, die Bedingung sein, in welchem
Falle es sich mit der Weisheit der Natur gar wohl vereinigen läßt,
wenn man wahrnimmt, daß die Kultur der Vernunft, die zur erstern und unbedingten
Absicht erforderlich ist, die Erreichung der zweiten, die jederzeit bedingt
ist, nämlich der Glückseligkeit, wenigstens in diesem Leben, auf mancherlei
Weise einschränke, ja sie selbst unter nichts herabbringen könne,
ohne daß die Natur darin unzweckmäßig verfahre, weil die Vernunft,
die ihre höchste praktische Bestimmung in der Gründung eines guten
Willens erkennt, bei Erreichung dieser Absicht nur einer Zufriedenheit nach
ihrer eigenen Art, nämlich aus der Erfüllung eines Zwecks, den wiederum
nur Vernunft bestimmt, fähig ist, sollte dieses auch mit manchem Abbruch,
der den Zwecken der Neigung geschieht, verbunden sein. S.
28-33
Aus: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der
Sitten Herausgegeben von Theodor Valentiner, Einleitung von Hans Ebeling Reclams
Universalbibliothek Nr. 4507 © 1961, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Begriff
und Wesen der Pflicht
Definiton
Um aber den Begriff
eines an sich selbst hochzuschätzenden und ohne weitere Absicht guten
Willens, so wie er schon dem natürlichen gesunden Verstande beiwohnt
und nicht so wohl gelehrt als vielmehr nur aufgeklärt zu werden bedarf,
diesen Begriff, der in der Schätzung des ganzen
Werts unserer Handlungen immer obenan steht und die Bedingung alles übrigen
ausmacht, zu entwickeln: wollen wir den Begriff der
Pflicht
vor uns nehmen, der den eines guten Willens,
obzwar unter gewissen subjektiven Einschränkungen und Hindernissen, enthält,
die aber doch, weit gefehlt, daß sie ihn verstecken und unkenntlich machen
sollten, ihn vielmehr durch Abstechung heben und desto heller hervorscheinen
lassen.
Ich übergehe hier alle Handlungen, die schon als pflichtwidrig erkannt
werden, ob sie gleich in dieser oder jener Absicht nützlich sein mögen;
denn bei denen ist gar nicht einmal die Frage, ob sie aus
Pflicht geschehen sein mögen, da
sie dieser sogar widerstreiten. Ich setze auch die Handlungen bei Seite, die
wirklich pflichtmäßig sind, zu denen aber Menschen unmittelbar keine
Neigung haben,
sie aber dennoch ausüben, weil sie durch eine andere Neigung dazu getrieben
werden. Denn da läßt sich leicht unterscheiden, ob die pflichtmäßige
Handlung aus Pflicht
oder aus selbstsüchtiger Absicht geschehen sei. Weit schwerer
ist dieser Unterschied zu bemerken, wo die Handlung pflichtmäßig
ist und das Subjekt noch überdem unmittelbare
Neigung zu ihr hat. Z.B. es ist
allerdings pflichtmäßig, daß der Krämer seinen unerfahrenen
Käufer nicht überteure, und, wo viel Verkehr ist, tut dieses auch
der kluge Kaufmann nicht, sondern hält einen festgesetzten allgemeinen
Preis für jedermann, so daß ein Kind eben so gut bei ihm kauft, als
jeder anderer. Man wird also ehrlich bedient; allein das ist lange nicht genug,
um deswegen zu glauben, der Kaufmann habe aus Pflicht und Grundsätzen der
Ehrlichkeit so verfahren; sein Vorteil erforderte es; daß er aber überdem
noch eine unmittelbare Neigung zu den Käufern haben sollte, um gleichsam
aus Liebe keinem vor dem andern im Preise den Vorzug zu geben, läßt
sich hier nicht annehmen. Also war die Handlung weder aus Pflicht, noch aus
unmittelbarer Neigung, sondern bloß in eigennütziger Absicht geschehen.Lebenserhaltung
ist Pflicht
Dagegen, sein Leben zu erhalten, ist Pflicht, und
überdem hat jedermann dazu noch eine unmittelbare Neigung. Aber um deswillen
hat die oft ängstliche Sorgfalt, die der größte Teil der Menschen
dafür trägt, doch keinen innern Wert, und die Maxime derselben keinen
moralischen Gehalt. Sie bewahren ihr Leben zwar pflichtmäßig,
aber nicht aus Pflicht.
Dagegen, wenn Widerwärtigkeiten und hoffnungsloser
Gram den Geschmack am Leben gänzlich weggenommen haben; wenn der Unglückliche,
stark an Seele, über sein Schicksal mehr entrüstet, als kleinmütig
oder niedergeschlagen, den Tod wünscht, und sein Leben doch erhält,
ohne es zu lieben, nicht aus Neigung, oder Furcht, sondern aus Pflicht: alsdann
hat seine Maxime einen moralischen Gehalt.Wohltätigkeit
ist Pflicht
Wohltätig sein, wo man kann, ist Pflicht, und überdem gibt es manche
so teilnehmend gestimmte Seelen, daß sie, auch ohne einen andern Bewegungsgrund
der Eitelkeit, oder des Eigennutzes, ein inneres Vergnügen daran finden,
Freude um sich zu verbreiten, und die sich an der Zufriedenheit anderer, so
fern sie ihr Werk ist, ergötzen können. Aber ich behaupte, daß
in solchem Falle dergleichen Handlung, so pflichtmäßig, so liebenswürdig
sie auch ist, dennoch keinen wahren sittlichen Wert habe, sondern mit andern
Neigungen zu gleichen Paaren gehe, z. E. der Neigung nach Ehre,die, wenn sie
glücklicherweise auf das trifft, was in der Tat gemeinnützig und pflichtmäßig,
mithin ehrenwert ist, Lob und Aufmunterung, aber nicht Hochschätzung verdient;
denn der Maxime fehlt der sittliche Gehalt, nämlich solche Handlungen nicht
aus Neigung, sondern aus Pflicht
zu tun. Gesetzt also, das Gemüt jenes Menschenfreundes wäre vom eigenen
Gram umwölkt, der alle Teilnehmung an anderer Schicksal auslöscht,
er hätte immer noch Vermögen, andern Notleidenden wohlzutun, aber
fremde Not rührte ihn nicht, weil er mit seiner eigenen genug beschäftigt
ist, und nun, da keine Neigung ihn mehr dazu anreizt, risse er sich doch aus
dieser tödlichen Unempfindlichkeit heraus, und täte die Handlung ohne
alle Neigung, lediglich aus Pflicht, alsdann hat sie allererst ihren echten
moralischen Wert. Noch mehr: wenn die Natur diesem oder jenem überhaupt
wenig Sympathie ins Herz gelegt hätte, wenn er (übrigens
ein ehrlicher Mann) von Temperament kalt und gleichgültig gegen
die Leiden anderer wäre, vielleicht, weil er, selbst gegen seine eigene
mit der besondern Gabe der Geduld und aushaltenden Stärke versehen, dergleichen
bei jedem andern auch voraussetzt, oder gar fordert; wenn die Natur einen solchen
Mann (welcher wahrlich nicht ihr schlechtestes Produkt
sein würde) nicht eigentlich zum Menschenfreunde gebildet hätte,
würde er denn nicht noch in sich einen Quell finden, sich selbst einen
weit höhern Wert zu geben, als der eines gutartigen Temperaments sein mag?
Allerdings! gerade da hebt der Wert des Charakters an, der moralisch und ohne
alle Vergleichung der höchste ist, nämlich daß er wohltue, nicht
aus Neigung, sondern aus Pflicht.Sicherung
der eigenen Glückseligkeit ist Pflicht
Seine eigene Glückseligkeit sichern, ist Pflicht
(wenigstens indirekt), denn der Mangel der
Zufriedenheit mit seinem Zustande, in einem Gedränge von vielen Sorgen
und mitten unter unbefriedigten Bedürfnissen, könnte leicht eine große
Versuchung zu Übertretung der Pflichten werden.
Aber, auch ohne hier auf Pflicht zu sehen, haben alle Menschen schon von selbst
die mächtigste und innigste Neigung zur Glückseligkeit, weil sich
gerade in dieser Idee alle Neigungen zu einer Summe vereinigen. Nur ist die
Vorschrift der Glückseligkeit mehrenteils so beschaffen, daß sie
einigen Neigungen großen Abbruch tut und doch der Mensch sich von der
Summe der Befriedigung aller unter dem Namen der Glückseligkeit keinen
bestimmten und sichern Begriff machen kann; daher nicht zu verwundern ist, wie
eine einzige, in Ansehung dessen, was sie verheißt, und der Zeit, worin
ihre Befriedigung erhalten werden kann, bestimmte Neigung eine schwankende Idee
überwiegen könne, und der Mensch, z.B. ein Podagrist
[einer, der an Fußgicht leidet] wählen könne,
zu genießen was ihm schmeckt, und zu leiden, was er kann, weil er, nach
seinem Überschlage, hier wenigstens, sich nicht durch vielleicht grundlose
Erwartungen eines Glücks, das in der Gesundheit stecken soll, um den Genuß
des gegenwärtigen Augenblicks gebracht hat. Aber auch in diesem Falle,
wenn die allgemeine Neigung zur Glückseligkeit seinen Willen nicht bestimmte,
wenn Gesundheit für ihn wenigstens nicht so notwendig in diesen Überschlag
gehörete, so bleibt noch hier, wie in allen andern Fällen, ein Gesetz
übrig, nämlich seine Glückseligkeit zu befördern, nicht
aus Neigung, sondern aus Pflicht, und da hat sein Verhalten allererst den eigentlichen
moralischen Wert.Liebe
kann nicht befohlen werden, aber Wohltun aus Pflicht
So sind ohne Zweifel auch die Schriftstellen zu verstehen, darin geboten wird,
seinen Nächsten, selbst unsern Feind, zu lieben.
Denn Liebe als Neigung kann nicht geboten werden,
aber Wohltun aus Pflicht, selbst, wenn dazu gleich gar keine
Neigung treibt, ja gar natürliche und unbezwingliche Abneigung widersteht,
ist praktische
und nicht pathologische
Liebe, die im Willen liegt und nicht im Hange der Empfindung, in Grundsätzen
der Handlung und nicht schmelzender Teilnehmung; jene aber allein kann geboten
werden.Der
moralische Wert einer Handlung
Der zweite Satz ist: eine Handlung aus Pflicht hat ihren
moralischen Wert nicht in der Absicht,
welche dadurch erreicht werden soll, sondern in der Maxime,
nach der sie beschlossen wird, hängt also nicht von der Wirklichkeit
des Gegenstandes der Handlung ab, sondern bloß von dem Prinzip
des Wollens,
nach welchem die Handlung, unangesehen aller Gegenstände des Begehrungsvermögens,
geschehen ist. Daß die Absichten, die wir bei Handlungen haben mögen,
und ihre Wirkungen, als Zwecke und Triebfedern des Willens, den Handlungen keinen
unbedingten und moralischen Wert erteilen können, ist aus dem Vorigen klar.
Worin kann also dieser Wert liegen, wenn er nicht im Willen, in Beziehung auf
deren verhoffte Wirkung, bestehen soll? Er kann nirgend anders liegen,
als im Prinzip des Willens, unangesehen der Zwecke,
die durch solche Handlung bewirkt werden können; denn der Wille ist mitten
inne zwischen seinem Prinzip a priori, welches formell ist, und zwischen seiner
Triebfeder a posteriori, welche materiell ist, gleichsam auf einem Scheidewege,
und, da er doch irgend wodurch muß bestimmt werden, so wird er durch das
formelle Prinzip des Wollens überhaupt bestimmt werden müssen, wenn
eine Handlung aus Pflicht geschieht, daihm alles materielle Prinzip entzogen
worden.
Den dritten Satz, als Folgerung aus beiden vorigen, würde ich so ausdrücken:
Pflicht ist die Notwendigkeit einer Handlung
aus Achtung fürs Gesetz. Zum Objekte als Wirkung meiner
vorhabenden Handlung kann ich zwar Neigung
haben, aber niemals Achtung, eben
darum, weil sie bloß eine Wirkung und nicht Tätigkeit eines Willens
ist. Eben so kann ich für Neigung überhaupt, sie mag nun meine oder
eines andern seine sein, nicht Achtung haben, ich kann sie höchstens im
ersten Falle billigen, im zweiten bisweilen selbst lieben, d.i. sie als meinem
eigenen Vorteile günstig ansehen. Nur das, was bloß als Grund, niemals
aber als Wirkung mit meinem Willen verknüpft ist, was nicht meiner Neigung
dient, sondern sie überwiegt, wenigstens diese von deren Überschlage
bei der Wahl ganz ausschließt, mithin das bloße Gesetz für
sich, kann ein Gegenstand der Achtung und hiemit ein Gebot sein. Nun soll eine
Handlung aus Pflicht den Einfluß der Neigung, und mit ihr jeden Gegenstand
des Willens ganz absondern, also bleibt nichts für den Willen übrig,
was ihn bestimmen könne, als, objektiv, das Gesetz,
und, subjektiv, reine Achtung
für dieses praktische Gesetz, mithin die
Maxime*, einem solchen Gesetze, selbst mit Abbruch
aller meiner Neigungen, Folge zu leisten.
*Maxime ist
das subjektive Prinzip des Wollens; das objektive Prinzip
(d.i. dasjenige, was allen vernünftigen Wesen auch subjektiv zum praktischen
Prinzip dienen würde, wenn Vernunft volle Gewalt über das Begehrungsvermögen
hätte) ist das praktische Gesetz.Es liegt also der moralische Wert der Handlung nicht in der Wirkung,
die daraus erwartet wird, also auch nicht in irgend einem Prinzip der Handlung,
welches seinen Bewegungsgrund von dieser erwarteten Wirkung zu entlehnen bedarf.
Denn alle diese Beförderung fremder Glückseligkeit) konnten auch durch
andere Ursachen zu Stande gebracht werden, und es brauchte also dazu nicht des
Willens eines vernünftigen Wesens; worin gleichwohl das höchste und
unbedingte Gute allein angetroffen werden kann. Es kann daher nichts anders
als die Vorstellung des Gesetzes
an sich selbst, die freilich nur
im vernünftigen Wesen stattfindet, so fern sie, nicht
aber die verhoffte Wirkung, der Bestimmungsgrund des Willens ist, das so vorzügliche
Gute, welches wir sittlich nennen, ausmachen, welches in der Person selbst schon
gegenwärtig ist, die darnach handelt, nicht aber allererst aus der Wirkung
erwartet werden darf.*
*Man könnte mir vorwerfen, als
suchte ich hinter dem Worte Achtung nur
Zuflucht in einem dunkelen Gefühle, anstatt durch einen Begriff der Vernunft
in der Frage deutliche Auskunft zu geben. Allein wenn Achtung gleich ein Gefühl
ist, so ist es doch kein durch Einfluß empfangenes,
sondern durch einen Vernunftbegriff selbstgewirktes
Gefühl und daher von allen Gefühlen der ersteren Art, die sich auf
Neigung oder Furcht bringen lassen, spezifisch unterschieden. Was ich unmittelbar
als Gesetz für mich erkenne, erkenne ich mit Achtung, welche bloß
das Bewußtsein der Unterordnung meines Willens
unter einem Gesetze, ohne Vermittelung anderer Einflüsse auf meinen Sinn,
bedeutet. Die unmittelbare Bestimmung des Willens durchs Gesetz und das Bewußtsein
derselben heißt Achtung, so daß diese als Wirkung
des Gesetzes aufs Subjekt und nicht als Ursache desselben
angesehen wird. Eigentlich ist Achtung die Vorstellung von einem Werte, der
meiner Selbstliebe Abbruch tut. Also ist es etwas, was weder als Gegenstand
der Neigung, noch der Furcht, betrachtet wird, obgleich es mit beiden zugleich
etwas Analogisches hat. Der Gegenstand der Achtung
ist also lediglich das Gesetz, und zwar dasjenige,
das wir uns selbst und doch als an sich notwendig auferlegen. Als Gesetz sind
wir ihm unterworfen, ohne die Selbstliebe zu befragen; als uns von uns selbst
auferlegt ist es doch eine Folge unsers Willens, und hat in der ersten Rücksicht
Analogie mit Furcht, in der zweiten mit Neigung. Alle Achtung für eine
Person ist eigentlich nur Achtung fürs Gesetz (der
Rechtschaffenheit etc.), wovon jene uns das Beispiel gibt. Weil wir Erweiterung
unserer Talente auch als Pflicht ansehen, so stellen wir uns an einer Person
von Talenten auch gleichsam das Beispiel eines Gesetzes
vor (ihr durch Übung hierin ähnlich zu werden) und das macht unsere
Achtung aus. Alles moralische so genannte Interesse
besteht lediglich in der Achtung fürs
Gesetz.
Was kann das aber wohl für ein Gesetz sein, dessen Vorstellung, auch ohne
auf die daraus erwartete Wirkung Rücksicht zu nehmen, den Willen bestimmen
muß, damit dieser schlechterdings und ohne Einschränkung gut heißen
könne? Da ich den Willen aller Antriebe beraubet habe, die ihm aus der
Befolgung irgend eines Gesetzes entspringen könnten, so bleibt nichts als
die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Handlungen überhaupt übrig,
welche allein dem Willen zum Prinzip dienen soll, d.i. ich soll niemals anders
verfahren, als so, daß ich auch wollen
könne, meine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden.
Hier ist nun die bloße Gesetzmäßigkeit überhaupt (ohne
irgend ein auf gewisse Handlungen bestimmtes Gesetz zum Grunde zu legen) das,
was dem Willen zum Prinzip dient, und ihm auch dazu dienen muß, wenn Pflicht
nicht überall ein leerer Wahn und chimärischer Begriff sein soll;
hiemit stimmt die gemeine Menschenvernunft in ihrer praktischen Beurteilung
auch vollkommen überein, und hat das gedachte Prinzip jederzeit vor Augen.
[...]Was ich also zu tun habe, damit mein Wollen sittlich gut sei,
darzu brauche ich gar keine weit ausholende Scharfsinnigkeit. Unerfahren in
Ansehung des Weltlaufs, unfähig, auf alle sich ereignenden Vorfälle
desselben gefaßt zu sein, frage ich mich nur: Kannst du auch wollen, daß
deine Maxime ein allgemeines Gesetz werde? wo nicht, so ist sie verwerflich,
und das zwar nicht um eines dir, oder auch anderen, daraus bevorstehenden Nachteils
willen, sondern weil sie nicht als Prinzip in eine mögliche allgemeine
Gesetzgebung passen kann, für diese aber zwingt mir die Vernunft unmittelbare
Achtung ab, von der ich zwar jetzt noch nicht einsehe,
worauf sie sich gründe (welches der Philosoph untersuchen
mag), wenigstens aber doch so viel verstehe: daß es eine Schätzung
des Wertes sei, welcher allen Wert dessen, was durch Neigung angepriesen wird,
weit überwiegt, und daß die Notwendigkeit meiner Handlungen aus reiner
Achtung fürs praktische Gesetz dasjenige sei, was
die Pflicht ausmacht, der jeder andere Bewegungsgrund weichen muß, weil
sie die Bedingung eines an sich guten
Willens ist, dessen Wert über alles geht. S.33-43
[...]
Aus: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Herausgegeben von
Theodor Valentiner, Einleitung von Hans Ebeling Reclams Universalbibliothek
Nr. 4507 © 1961, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Der
Wille ist praktische Vernunft
Ein jedes Ding der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernünftiges Wesen
hat das Vermögen, nach der Vorstellung
der Gesetze, d.i. nach Prinzipien, zu handeln, oder einen Willen.
Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen
Vernunft erfordert wird, so ist der
Wille nichts anders, als praktische Vernunft.
Wenn die Vernunft den Willen unausbleiblich bestimmt, so sind die Handlungen
eines solchen Wesens, die als objektiv notwendig erkannt werden, auch subjektiv
notwendig, d.i. der Wille ist ein Vermögen, nur
dasjenige zu wählen, was die Vernunft, unabhängig
von der Neigung, als praktisch notwendig, d.i. als gut erkennt. Bestimmt aber
die Vernunft für sich allein den Willen nicht hinlänglich, ist dieser
noch subjektiven Bedingungen (gewissen Triebfedern) unterworfen,
die nicht immer mit den objektiven übereinstimmen; mit einem Worte, ist
der Wille nicht an sich völlig der Vernunft gemäß (wie
es bei Menschen wirklich ist): so sind die Handlungen, die objektiv als
notwendig erkannt werden, subjektiv zufällig, und die Bestimmung eines
solchen Willens, objektiven Gesetzen gemäß, ist Nötigung;
d.i. das Verhältnis der objektiven Gesetze zu einem
nicht durchaus guten Willen wird vorgestellt als die Bestimmung des Willens
eines vernünftigen Wesens zwar durch Gründe der Vernunft, denen aber
dieser Wille seiner Natur nach nicht notwendig folgsam ist. S.
56
Aus: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der
Sitten Herausgegeben von Theodor Valentiner, Einleitung von Hans Ebeling Reclams
Universalbibliothek Nr. 4507 © 1961, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Begriff
und Bedeutung von Imperativen
Die
Formel des Gebots der Vernunft heißt Imperativ
Die Vorstellung eines objektiven Prinzips, sofern es für einen Willen nötigend
ist, heißt ein Gebot (der Vernunft) und die
Formel des Gebots heißt IMPERATIV.Imperative
drücken ein Sollen aus
Alle Imperative
werden durch ein Sollen
ausgedrückt, und zeigen dadurch das Verhältnis eines objektiven Gesetzes
der Vernunft zu einem Willen an, der seiner subjektiven Beschaffenheit nach
dadurch nicht notwendig bestimmt wird (eine Nötigung).
Sie sagen, daß etwas zu tun oder zu unterlassen gut sein würde, allein
sie sagen es einem Willen, der nicht immer darum etwas tut, weil ihm vorgestellt
wird, daß es zu tun gut sei. Praktisch
gut ist aber, was vermittelst der Vorstellungen der
Vernunft, mithin nicht aus subjektiven Ursachen, sondern objektiv, d.i. aus
Gründen, die für jedes vernünftige Wesen, als ein solches, gültig
sind, den Willen bestimmt. Es wird vom Angenehmen
unterschieden, als demjenigen, was nur vermittelst der
Empfindung aus bloß subjektiven Ursachen, die nur für dieses oder
jenes seinen Sinn gelten, und nicht als Prinzip der Vernunft, das für jedermann
gilt, auf den Willen Einfluß hat.*
*Die Abhängigkeit des Begehrungsvermögens
von Empfindungen heißt Neigung, und diese beweiset also jederzeit ein
Bedürfnis. Die Abhängigkeit eines zufällig
bestimmbaren Willens aber von Prinzipien der Vernunft heißt ein
Interesse. Dieses findet also nur bei einem abhängigen Willen
statt, der nicht von selbst jederzeit der Vernunft gemäß ist; beim
göttlichen Willen kann man sich kein Interesse gedenken. Aber auch der
menschliche Wille kann woran ein Interesse nehmen,
ohne darum aus Interesse zu handeln. Das erste bedeutet
das praktische Interesse an der Handlung, das zweite
das pathologische Interesse am Gegenstande der Handlung.
Das erste zeigt nur Abhängigkeit des Willens von Prinzipien der Vernunft
an sich selbst, das zweite von den Prinzipien derselben zum Behuf der Neigung
an, da nämlich die Vernunft nur die praktische Regel angibt, wie dem Bedürfnisse
der Neigung abgeholfen werde. Im ersten Falle interessiert mich die Handlung,
im zweiten der Gegenstand der Handlung (so fern er mir
angenehm ist). Wir haben im ersten Abschnitte gesehen: daß bei
einer Handlung aus Pflicht nicht auf das Interesse am Gegenstande, sondern bloß
an der Handlung selbst und ihrem Prinzip in der Vernunft (dem
Gesetz) gesehen werden müsse.
Für
den göttlichen oder heiligen Willen gelten keine Imperative
Ein vollkommen guter Wille würde also eben sowohl unter objektiven Gesetzen
(des Guten) stehen, aber nicht dadurch als zu gesetzmäßigen
Handlungen genötigt vorgestellt
werden können, weil er von selbst, nach seiner subjektiven Beschaffenheit,
nur durch die Vorstellung des Guten bestimmt werden kann. Daher gelten für
den göttlichen und
überhaupt für einen heiligen Willen
keine Imperativen; das Sollen ist
hier am unrechten Orte, weil das Wollen schon von selbst mit dem Gesetz notwendig
einstimmig ist. Daher sind Imperativen nur Formeln, das Verhältnis objektiver
Gesetze des Wollens überhaupt zu der subjektiven Unvollkommenheit des Willens
dieses oder jenes vernünftigen Wesens, z.B. des menschlichen Willens, auszudrücken.Imperative
gebieten entweder hypothetisch oder kategorisch
Alle Imperative
nun gebieten entweder hypothetisch,
oder kategorisch. Jene
stellen die praktische Notwendigkeit einer möglichen Handlung als Mittel,
zu etwas anderem, was man will (oder doch möglich ist, daß man es
wolle), zu gelangen, vor. Der kategorische Imperativ würde
der sein, welcher eine Handlung als für sich selbst, ohne Beziehung auf
einen andern Zweck, als objektiv-notwendig vorstellte.
Weil jedes praktische Gesetz eine mögliche Handlung als gut und darum,
für ein durch Vernunft praktisch bestimmbares Subjekt, als notwendig vorstellt,
so sind alle Imperativen Formeln der Bestimmung der Handlung, die nach dem Prinzip
eines in irgend einer Art guten Willens notwendig ist. Wenn nun die Handlung
bloß wozu anderes,
als Mittel, gut sein würde, so ist der Imperativ hypothetisch;
wird sie als an sich gut
vorgestellt, mithin als notwendig in einem an sich der Vernunft gemäßen
Willen, als Prinzip desselben, so ist er kategorisch.
Der Imperativ sagt also, welche durch mich mögliche Handlung gut wäre,
und stellt die praktische Regel in Verhältnis auf einen Willen vor, der
darum nicht sofort eine Handlung tut, weil sie gut ist, teils weil das Subjekt
nicht immer weiß, daß sie gut sei, teils weil, wenn es dieses auch
wüßte, die Maximen desselben doch den objektiven Prinzipien einer
praktischen Vernunft zuwider sein könnten.
Der hypothetische Imperativ
sagt also nur, daß die Handlung zu irgend einer möglichen
oder wirklichen
Absicht gut sei. Im erstern Falle ist er ein PROBLEMATISCH-,
im zweiten ASSERTORISCH-praktisches
Prinzip. Der kategorische
Imperativ, der die Handlung ohne Beziehung auf irgend eine Absicht,
d.i. auch ohne irgend einen andern Zweck für sich als objektiv notwendig
erklärt, gilt als ein APODIKTISCH-praktisches
Prinzip.Imperative
der Geschicklichkeit
Man kann sich das, was nur durch Kräfte irgend eines vernünftigen
Wesens möglich ist, auch für irgend einen Willen als mögliche
Absicht denken, und daher sind der Prinzipien der Handlung, so fern diese als
notwendig vorgestellt wird, um irgend eine dadurch zu bewirkende mögliche
Absicht zu erreichen, in der Tat unendlich viel. Alle Wissenschaften haben irgend
einen praktischen Teil, der aus Aufgaben besteht, daß irgend ein Zweck
für uns möglich sei, und aus Imperativen, wie er erreicht werden könne.
Diese können daher überhaupt Imperative der
Geschicklichkeit heißen. Ob der Zweck vernünftig und gut sei,
davon ist hier gar nicht die Frage, sondern nur, was man tun müsse, um
ihn zu erreichen. Die Vorschriften für den Arzt, um seinen Mann auf gründliche
Art gesund zu machen, und für einen Giftmischer, um ihn sicher zu töten,
sind in so fern von gleichem Wert, als eine jede dazu dient, ihre Absicht vollkommen
zu bewirken. Weil man in der frühen Jugend nicht weiß, welche Zwecke
uns im Leben aufstoßen dürften, so suchen Eltern vornehmlich ihre
Kinderrecht vielerlei lernen
zu lassen, und sorgen für die Geschicklichkeit
im Gebrauch der Mittel zu allerlei beliebigen
Zwecken, von deren keinem sie bestimmen können, ob er nicht etwa
wirklich künftig eine Absicht ihres Zöglings werden könne, wovon
es indessen doch möglich
ist, daß er sie einmal haben möchte, und diese Sorgfalt
ist so groß, daß sie darüber gemeiniglich verabsäumen,
ihnen das Urteil über den Wert der Dinge, die sie sich etwa zu Zwecken
machen möchten, zu bilden und zu berichtigen.
Es ist gleichwohl ein
Zweck, den man bei allen vernünftigen Wesen (so
fern Imperative auf sie, nämlich als abhängige Wesen, passen) als
wirklich voraussetzen kann, und also eine Absicht, die sie nicht etwa bloß
haben können,
sondern von der man sicher voraussetzen kann, daß sie solche insgesamt
nach einer Naturnotwendigkeit haben, und das ist die Absicht auf Glückseligkeit.
Der hypothetische Imperativ, der die praktische Notwendigkeit der Handlung,
als Mittel zur Beförderung der Glückseligkeit, vorstellt, ist assertorisch.
Man darf ihn nicht bloß als notwendig, zu einer Ungewissen, bloß
möglichen Absicht, vortragen, sondern zu einer Absicht, die man sicher
und a priori bei jedem Menschen voraussetzen kann, weil sie zu seinem Wesen
gehört. Nun kann man die Geschicklichkeit in der Wahl der Mittel zu seinem
eigenen größten Wohlsein Klugheit*
im engsten Verstande nennen. Also ist der Imperativ, der sich auf die Wahl der
Mittel zur eigenen Glückseligkeit bezieht, d.i. die Vorschrift der Klugheit,
noch immer hypothetisch;
die Handlung wird nicht schlechthin, sondern nur als Mittel
zu einer andern Absicht geboten.
*Das Wort Klugheit wird in zwiefachem
Sinn genommen, einmal kann es den Namen Weltklugheit, im zweiten den der Privatklugheit
führen. Die erste ist die Geschicklichkeit eines Menschen, auf andere Einfluß
zu haben, um sie zu seinen Absichten zu gebrauchen. Die zweite die Einsicht,
alle diese Absichten zu seinem eigenen daurenden Vorteil zu vereinigen. Die
letztere ist eigentlich diejenige, worauf selbst der Wert der erstern zurückgeführt
wird, und wer in der erstern Art klug ist, nicht aber in der zweiten, von dem
könnte man besser sagen: er ist gescheut und verschlagen, im ganzen aber
doch unklug.
Der kategorische
Imperativ ist der Imperativ der Sittlichkeit
Endlich gibt es einen Imperativ, der, ohne irgend eine andere durch ein gewisses
Verhalten zu erreichende Absicht als Bedingung zum Grunde zu legen, dieses Verhalten
unmittelbar gebietet. Dieser Imperativ ist kategorisch.
Er betrifft nicht die Materie der Handlung und das, was aus ihr erfolgen soll,
sondern die Form und das Prinzip, woraus sie selbst folgt, und das Wesentlich-Gute
derselben besteht in der Gesinnung, der Erfolg mag sein, welcher er wolle. Dieser
Imperativ mag der der Sittlichkeit heißen.
Das Wollen nach diesen dreierlei Prinzipien
wird auch durch die Ungleichheit der Nötigung
des Willens deutlich unterschieden. Um diese nun auch merklich zu machen, glaube
ich, daß man sie in ihrer Ordnung am angemessensten so benennen würde,
wenn man sagte: sie wären entweder Regeln
der Geschicklichkeit, oder Ratschläge
der Klugheit, oder Gebote
(Gesetze)
der Sittlichkeit. Denn nur das Gesetz führt den Begriff
einer unbedingten und
zwar objektiven und mithin allgemein gültigen Notwendigkeit
bei sich, und Gebote sind Gesetze, denen gehorcht, d.i.
auch wider Neigung Folge geleistet werden muß. Die
Ratgebung enthält zwar Notwendigkeit,
die aber bloß unter subjektiver gefälliger Bedingung, ob dieser oder
jener Mensch dieses oder jenes zu seiner Glückseligkeit zähle, gelten
kann; dagegen der kategorische Imperativ durch keine Bedingung eingeschränkt
wird, und als absolut- obgleich praktisch-notwendig ganz eigentlich ein Gebot
heißen kann. Man könnte die ersteren Imperative auch technisch
(zur Kunst gehörig),die zweiten pragmatisch*
(zur Wohlfahrt), die dritten
moralisch (zum freien Verhalten
überhaupt, d.i. zu den Sitten gehörig) nennen.
*Mich deucht, die eigentliche Bedeutung
des Worts pragmatisch könne so am genauesten
bestimmt werden. Denn pragmatisch werden die Sanktionen genannt, welche eigentlich
nicht aus dem Rechte der Staaten, als notwendige Gesetze, sondern aus der
Vorsorge für die allgemeine Wohlfahrt fließen. Pragmatisch
ist eine Geschichte abgefaßt, wenn sie klug
macht, d.i. die Welt belehrt, wie sie ihren Vorteil besser, oder
wenigstens eben so gut, als die Vorwelt, besorgen könne.
Wie sind
alle diese Imperative möglich?
Nun entsteht die Frage: wie sind alle diese Imperative möglich? Diese Frage
verlangt nicht zu wissen, wie die Vollziehung der Handlung, welche der Imperativ
gebietet, sondern wie bloß die Nötigung des Willens, die der Imperativ
in der Aufgabe ausdrückt, gedacht werden könne. Wie ein Imperativ
der Geschicklichkeit möglich sei, bedarf wohl keiner besondern Erörterung.
Wer den Zweck will, will (so fern die Vernunft auf seine
Handlungen entscheidenden Einfluß hat) auch das dazu unentbehrlich
notwendige Mittel, das in seiner Gewalt ist. Dieser Satz ist, was das Wollen
betrifft, analytisch; denn in dem Wollen eines Objekts, als meiner Wirkung,
wird schon meine Kausalität, als handelnder Ursache, d.i. der Gebrauch
der Mittel, gedacht, und der Imperativ zieht den Begriff notwendiger Handlungen
zu diesem Zwecke schon aus dem Begriff eines Wollens dieses Zwecks heraus
(die Mittel selbst zu einer vorgesetzten Absicht zu bestimmen, dazu gehören
allerdings synthetische Sätze, die aber nicht den Grund betreffen, den
Aktus des Willens, sondern das Objekt wirklich zu machen). Daß,
um eine Linie nach einem sichern Prinzip in zwei gleiche Teile zu teilen, ich
aus den Enden derselben zwei Kreuzbogen machen müsse, das lehrt die Mathematik
freilich nur durch synthetische Sätze; aber daß, wenn ich weiß,
durch solche Handlung allein könne die gedachte Wirkung geschehen, ich,
wenn ich die Wirkung vollständig will, auch die Handlung wolle, die dazu
erforderlich ist, ist ein analytischer Satz; denn etwas als eine auf gewisse
Artdurch mich mögliche Wirkung, und mich, in Ansehung ihrer, auf dieselbe
Art handelnd vorstellen, ist ganz einerlei.
Die Imperativen der Klugheit würden, wenn es nur so leicht wäre, einen
bestimmten Begriff von Glückseligkeit zu geben, mit denen der Geschicklichkeit
ganz und gar übereinkommen und eben sowohl analytisch sein. Denn es würde
eben sowohl hier, als dort, heißen: wer den Zweck will, will auch (der
Vernunft gemäß notwendig) die einzigen Mittel, die dazu in
seiner Gewalt sind. Allein es ist ein Unglück, daß der Begriff der
Glückseligkeit ein so unbestimmter Begriff ist, daß, obgleich jeder
Mensch zu dieser zu gelangen wünscht, er doch niemals bestimmt und mit
sich selbst einstimmig sagen kann, was er eigentlich wünsche und wolle.
Die Ursache davon ist: daß alle Elemente, die zum Begriff der Glückseligkeit
gehören, insgesamt empirisch sind, d.i. aus der Erfahrung müssen entlehnt
werden, daß gleichwohl zur Idee der Glückseligkeit ein absolutes
Ganze, ein Maximum des Wohlbefindens, in meinem gegenwärtigen und jedem
zukünftigen Zustande erforderlich ist.
Nun ist's unmöglich, daß das einsehendste und zugleich allervermögendste,
aber doch endliche Wesen sich einen bestimmten Begriff von dem mache, was er
hier eigentlich wolle. Will er Reichtum, wie viel Sorge, Neid und Nachstellung
könnte er sich dadurch nicht auf den Hals ziehen. Will er viel Erkenntnis
und Einsicht, vielleicht könnte das ein nur um desto schärferes Auge
werden, um die Übel, die sich für ihn jetzt noch verbergen und doch
nicht vermieden werden können, ihm nur um desto schrecklicher zu zeigen,
oder seinen Begierden, die ihm schon genug zu schaffen machen, noch mehr Bedürfnisse
aufzubürden. Will er ein langes Leben, wer steht ihm dafür, daß
es nicht ein langes Elend sein würde? Will er wenigstens Gesundheit, wie
oft hat noch Ungemächlichkeit des Körpers von Ausschweifung abgehalten,
darein unbeschränkte Gesundheit würde haben fallen lassen, u.s.w.
Kurz, er ist nicht vermögend, nach irgend einem Grundsatze, mit völliger
Gewißheit zu bestimmen, was ihn wahrhaftig glücklich machen werde,
darum, weil hiezu Allwissenheit erforderlich sein würde. Man kann also
nicht nach bestimmten Prinzipien handeln, um glücklich zu sein, sondern
nur nach empirischen Ratschlägen, z.B. der Diät, der Sparsamkeit,
der Höflichkeit, der Zurückhaltung u.s.w., von welchen die Erfahrung
lehrt, daß sie das Wohlbefinden im Durchschnitt am meisten befördern.
Hieraus folgt, daß die Imperativen der Klugheit, genau zu reden, gar nicht
gebieten, d.i. Handlungen objektiv als praktisch-notwendig darstellen können,
daß sie eher für Anratungen (consilia)
als Gebote (praecepta) der Vernunft zu
halten sind, daß die Aufgabe: sicher und allgemein zu bestimmen, welche
Handlung die Glückseligkeit eines vernünftigen Wesens befördern
werde, völlig unauflöslich, mithin kein Imperativ in Ansehung derselben
möglich sei, der im strengen Verstande geböte, das zu tun, was glücklich
macht, weil Glückseligkeit nicht ein Ideal der Vernunft, sondern der Einbildungskraft
ist, was bloß auf empirischen Gründen beruht, von denen man vergeblich
erwartet, daß sie eine Handlung bestimmen sollten, dadurch dieTotalität
einer in der Tat unendlichen Reihe von Folgen erreicht würde.
Dieser Imperativ der Klugheit würde indessen, wenn man annimmt, die Mittel
zur Glückseligkeit ließen sich sicher angeben, ein analytisch-praktischer
Satz sein; denn er ist von dem Imperativ der Geschicklichkeit nur darin unterschieden,
daß bei diesem der Zweck bloß möglich, bei jenem aber gegeben
ist; da beide aber bloß die Mittel zu demjenigen gebieten, von dem man
voraussetzt, daß man es als Zweck wollte: so ist der Imperativ, der das
Wollen der Mittel für den, der den Zweck will, gebietet, in beiden Fällen
analytisch. Es ist also in Ansehung der Möglichkeit eines solchen Imperativs
auchkeine Schwierigkeit.
Dagegen, wie der Imperativ der Sittlichkeit
möglich sei, ist ohne Zweifel die einzige einer Auflösung
bedürftige Frage, da er gar nicht hypothetisch ist und also die objektiv
vorgestellte Notwendigkeit sich auf keine Voraussetzung stützen kann, wie
bei den hypothetischen Imperativen. Nur ist immer hiebei nicht aus der Acht
zu lassen, daß es durch
kein Beispiel, mithin
empirisch auszumachen sei, ob es überall irgend einen dergleichen Imperativ
gebe, sondern zu besorgen, daß alle, die kategorisch scheinen, doch versteckter
Weise hypothetisch sein mögen. Z.B. wenn es heißt: du sollst nichts
betrüglich versprechen; und man nimmt an, daß die Notwendigkeit dieser
Unterlassung nicht etwa bloße Ratgebung zu Vermeidung irgend eines andern
Übels sei, so daß es etwa hieße: du sollst nicht lügenhaft
versprechen, damit du nicht, wenn es offenbar wird, dich um den Kredit bringest;
sondern eine Handlung dieser Art müsse für sich selbst als böse
betrachtet werden, der Imperativ des Verbots sei also kategorisch: so kann man
doch in keinem Beispiel mit Gewißheit dartun, daß der Wille hier
ohne andere Triebfeder, bloß durchs Gesetz, bestimmt werde, ob es gleich
so scheint; denn es ist immer möglich, daß ingeheim Furcht für
Beschämung, vielleicht auch dunkle Besorgnis anderer Gefahren, Einfluß
auf den Willen haben möge. Wer kann das Nichtsein einer Ursache durch Erfahrung
beweisen, da diese nichts weiter lehrt, als daß wir jene nicht wahrnehmen?
Auf solchen Fall aber würde der sogenannte moralische Imperativ, der als
ein solcher kategorisch und unbedingt erscheint, in der Tat nur eine pragmatische
Vorschrift sein, die uns auf unsern Vorteil aufmerksam macht, und uns bloß
lehrt, diesen Acht zu nehmen.
Wir werden also die Möglichkeit eines kategorischen
Imperativs gänzlich
a priori zu untersuchen haben, da uns hier der Vorteil nicht zu statten kommt,
daß die Wirklichkeit desselben in der Erfahrung gegeben, und also die
Möglichkeit nicht zur Festsetzung, sondern bloß zur Erklärung
nötig wäre. So viel ist in-dessen vorläufig einzusehen: daß
der kategorische Imperativ allein als ein praktisches Gesetz laute, die übrigen
insgesamt zwar Prinzipien des
Willens, aber nicht Gesetze heißen können; weil, was bloß zur
Erreichung einer beliebigen Absicht zu tun notwendig ist, an sich als zufällig
betrachtet werden kann, und wir von der Vorschrift jederzeit los sein können,
wenn wir die Absicht aufgeben, dahingegen das unbedingte Gebot dem Willen kein
Belieben in Ansehung des Gegenteils frei läßt, mithin allein diejenige
Notwendigkeit bei sich führt, welche wir zum Gesetze verlangen.
Zweitens ist bei diesem kategorischen Imperativ oder Gesetze der Sittlichkeit
der Grund der Schwierigkeit (die Möglichkeit desselben einzusehen) auch
sehr groß. Er ist ein synthetisch-praktischer Satz a priori, und da die
Möglichkeit der Sätze dieser Art einzusehen so viel Schwierigkeit
im theoretischen Erkenntnisse hat, so läßt sich leicht abnehmen,
daß sie im praktischen nicht weniger haben werde.
Bei dieser Aufgabe wollen wir zuerst versuchen, ob nicht vielleicht der bloße
Begriff eines kategorischen Imperativs auch die Formel desselben an die Hand
gebe, die den Satz enthält, der allein ein kategorischer Imperativ sein
kann; denn wie ein solches absolutes Gebot möglich sei, wenn wir auch gleich
wissen, wie es lautet, wird noch besondere und schwere Bemühung erfordern,
die wir aber zum letzten Abschnitte aussetzen.
Wenn ich mir einen hypothetischen
Imperativ überhaupt denke, so weiß ich nicht zum voraus, was er enthalten
werde: bis mir die Bedingung gegeben ist. Denke ich mir aber einen
kategorischen Imperativ,
so weiß ich sofort, was er enthalte. Denn da der Imperativ außer
dem Gesetze nur die Notwendigkeit der Maxime enthält, diesem Gesetze gemäß
zu sein, das Gesetz aber keine Bedingung enthält, auf die es eingeschränkt
war, so bleibt nichts, als die Allgemeinheit eines Gesetzes überhaupt übrig,
welchem die Maxime der Handlung gemäß sein soll, und welche Gemäßheit
allein den Imperativ eigentlich als notwendig vorstellt.
Aus: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der
Sitten Herausgegeben von Theodor Valentiner, Einleitung von Hans Ebeling Reclams
Universalbibliothek Nr. 4507 © 1961, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Der
kategorische Imperativ
Definition Beispiele für Pfichten nach dem Kategorischen Imperativ |
Herleitung
und Begründung des praktischen Imperativs Der praktische Imperativ |
Definition
Der kategorische
Imperativ ist also nur ein einziger, und zwar dieser:
handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen
kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.
Wenn nun aus diesem einigen Imperativ alle Imperativen der Pflicht, als aus
ihrem Prinzip, abgeleitet werden können, so werden wir, ob wir es gleich
unausgemacht lassen, ob nicht überhaupt das, was man Pflicht nennt, ein
leerer Begriff sei, doch wenigstens anzeigen können, was wir dadurch denken
und was dieser Begriff sagen wolle.
Weil die Allgemeinheit des Gesetzes, wonach Wirkungen geschehen, dasjenige ausmacht,
was eigentlich Natur im allgemeinsten Verstande (der Form
nach), d.i. das Dasein der Dinge, heißt, so fern es nach allgemeinen
Gesetzen bestimmt
ist, so könnte der allgemeine Imperativ der Pflicht
auch so lauten:
handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen
Willen zum ALLGEMEINEN NATURGESETZE werden sollte.Beispiele
für Pflichten, die sich aus dem Kategorischen Imperativ ergeben
Nun wollen wir einige Pflichten herzählen, nach der gewöhnlichen Einteilung
derselben, in Pflichten gegen uns selbst und gegen andere Menschen, in vollkommene
und unvollkommene Pflichten.*
*Man muß hier wohl merken, daß
ich die Einteilung der Pflichten für eine künftige Metaphysik
der Sitten mir gänzlich vorbehalte, diese hier also nur als
beliebig (um meine Beispiele zu ordnen) dastehe.
Übrigens verstehe ich hier unter einer vollkommenen Pflicht diejenige,
die keine Ausnahme zum Vorteil der Neigung verstattet, und da habe ich nicht
bloß äußere, sondern auch innere vollkommene Pflichten,
welches dem in Schulen angenommenen Wortgebrauch zuwider läuft, ich aber
hier nicht zu verantworten gemeinet bin, weil es zu meiner Absicht einerlei
ist, ob man es mir einräumt, oder nicht.
1) Einer, der durch eine Reihe
von Übeln, die bis zur Hoffnungslosigkeit angewachsen ist, einen Überdruß
am Leben empfindet, ist noch so weit im Besitze seiner Vernunft, daß er
sich selbst fragen kann, ob es auch nicht etwa der Pflicht gegen sich selbst
zuwider sei, sich das Leben zu nehmen. Nun versucht er: ob die Maxime seiner
Handlung wohl ein allgemeines Naturgesetz werden könne. Seine Maxime aber
ist: ich mache es mir aus Selbstliebe zum Prinzip, wenn das Leben bei seiner
langem Frist mehr Übel droht, als es Annehmlichkeit verspricht, es mir
abzukürzen. Es frägt sich nur noch, ob dieses Prinzip der Selbstliebe
ein allgemeines Naturgesetz werden könne. Da sieht man aber bald, daß
eine Natur, deren Gesetz es wäre, durch dieselbe Empfindung, deren Bestimmung
es ist, zur Beförderung des Lebens anzutreiben, das Leben selbst zu zerstören,
ihr selbst widersprechen und also nicht als Natur bestehen würde, mithin
jene Maxime unmöglich als allgemeines Naturgesetz stattfinden könne,
und folglich dem obersten Prinzip aller Pflicht gänzlich widerstreite.
2) Ein anderer sieht sich durch
Not gedrungen, Geld zu borgen. Er weiß wohl, daß er nicht wird bezahlen
können, sieht aber auch, daß ihm nichts geliehen werden wird, wenn
er nicht festiglich verspricht, es zu einer bestimmten Zeit zu bezahlen. Er
hat Lust, ein solches Versprechen zu tun; noch aber hat er so viel Gewissen,
sich zu fragen: ist es nicht unerlaubt und pflichtwidrig, sich auf solche Art
aus Not zu helfen? Gesetzt, er beschlösse es doch, so würde seine
Maxime der Handlung so lauten: wenn ich mich in Geldnot zu sein glaube, so will
ich Geld borgen, und versprechen, es zu bezahlen, ob ich gleich weiß,
es werde niemals geschehen. Nun ist dieses Prinzip der Selbstliebe, oder der
eigenen Zuträglichkeit, mit meinem ganzen künftigen Wohlbefinden vielleicht
wohl zu vereinigen, allein jetzt ist die Frage: ob es recht sei? Ich verwandle
also die Zumutung der Selbstliebe in ein allgemeines Gesetz, und richte die
Frage so ein: wie es dann stehen würde, wenn meine Maxime ein allgemeines
Gesetz würde. Da sehe ich nun sogleich, daß sie niemals als allgemeines
Natur-gesetz gelten und mit sich selbst zusammenstimmen könne, sondern
sich notwendig widersprechen müsse. Denn die Allgemeinheit eines Gesetzes,
daß jeder, nachdem er in Not zu sein glaubt, versprechen könne, was
ihm einfällt, mit dem Vorsatz, es nicht zu halten, würde das Versprechen
und den Zweck, den man damit haben mag, selbst unmöglich machen, indem
niemand glauben würde, daß ihm was versprochen sei, sondern über
alle solche Äußerung, als eitles Vorgeben, lachen würde.
3) Ein dritter findet in sich
ein Talent, welches vermittelst einiger Kultur ihn zu einem in allerlei Absicht
brauchbaren Menschen machen könnte. Er sieht sich aber in bequemen Umständen,
und zieht vor, lieber dem Vergnügen nachzuhängen, als sich mit Erweiterung
und Verbesserung seiner glücklichen Naturanlagen zu bemühen. Noch
frägt er aber: ob, außer der Übereinstimmung, die seine Maxime
der Verwahrlosung seiner Naturgaben mit seinem Hange zur Ergötzlichkeit
an sich hat, sie auch mit dem, was man Pflicht nennt, übereinstimme. Da
sieht er nun, daß zwar eine Natur nach einem solchen allgemeinen Gesetze
immer noch bestehen könne, obgleich der Mensch (so
wie die Südsee-Einwohner) sein Talent rosten ließe, und sein
Leben bloß auf Müßiggang, Ergötzlichkeit, Fortpflanzung,
mit einem Wort, auf Genuß zu verwenden bedacht wäre; allein er kann
unmöglich wollen, daß dieses ein allgemeines Naturgesetz werde, oder
als ein solches in uns durch Naturinstinkt gelegt sei. Denn als ein vernünftiges
Wesen will er notwendig, daß alle Vermögen in ihm entwickelt werden,
weil sie ihm doch zu allerlei möglichen Absichten dienlich und gegeben
sind.
4) Noch denkt ein vierter, dem
es wohl geht, indessen er sieht, daß andere mit großen Mühseligkeiten
zu kämpfen haben (denen er auch wohl helfen könnte):
was geht's mich an? mag doch ein jeder so glücklich sein, als es der Himmel
will, oder er sich selbst machen kann, ich werde ihm nichts entziehen, ja nicht
einmal beneiden; nur zu seinem Wohlbefinden, oder seinem Beistande in der Not,
habe ich nicht Lust, etwas beizutragen! Nun könnte allerdings, wenn eine
solche Denkungsart ein allgemeines Naturgesetz würde, das menschliche Geschlecht
gar wohl bestehen, und ohne Zweifel noch besser, als wenn jedermann Von Teilnehmung
und Wohlwollen schwatzt, auch sich beeifert, gelegentlich dergleichen auszuüben,
dagegen aber auch, wo er nur kann, betrügt, das Recht der Menschen verkauft,
oder ihm sonst Abbruch tut. Aber, obgleich es möglich ist, daß nach
jener Maxime ein allgemeines Naturgesetz wohl bestehen könnte: so ist es
doch unmöglich, zu wollen,daß ein solches Prinzip als Naturgesetz
allenthalben gelte. Denn ein Wille, der dieses beschlösse, würde sich
selbst widerstreiten, indem der Fälle sich doch manche ereignen können,
wo er anderer Liebe und Teilnehmung bedarf, und wo er, durch ein solches ausseinem
eigenen Willen entsprungenes Naturgesetz, sich selbst alle Hoffnung des Beistandes,
den er sich wünscht, rauben würde.
Dieses sind nun einige von den vielen wirklichen oder wenigstens von uns dafür
gehaltenen Pflichten, deren Abteilung aus dem einigen angeführten Prinzip
klar in die Augen fällt. Man muß wollen
können, daß eine Maxime
unserer Handlung ein allgemeines Gesetz werde: dies ist der Kanon der moralischen
Beurteilung derselben überhaupt. Einige Handlungen sind so beschaffen,
daß ihre Maxime ohne Widerspruch nicht einmal als
allgemeines Naturgesetz gedacht werden kann; weit gefehlt, daß
man noch wollen könne,
es sollte ein
solches werden. Bei andern ist zwar jene innere Unmöglichkeit nicht anzutreffen,
aber es ist doch unmöglich, zu wollen,
daß ihre Maxime zur Allgemeinheit eines Naturgesetzes erhoben werde, weil
ein solcher Wille sich selbst widersprechen würde. Man sieht leicht: daß
die erstere der strengen oder engeren (unnachläßlichen)
Pflicht, die zweite nur der weiteren (verdienstlichen) Pflicht widerstreite,
und so alle Pflichten, was die Art der Verbindlichkeit
(nicht das Objekt ihrer Handlung) betrifft, durch diese Beispiele in
ihrer Abhängigkeit von dem einigen Prinzip vollständig aufgestellt
worden. S. 56-72 [...]
Aus: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Herausgegeben von
Theodor Valentiner, Einleitung von Hans Ebeling Reclams Universalbibliothek
Nr. 4507 © 1961, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart Herleitung
und Begründung des praktischen Imperativs
Der Wille wird als ein Vermögen gedacht,
der Vorstellung gewisser Gesetze gemäß sich
selbst zum Handeln zu bestimmen. Und ein solches Vermögen kann nur
in vernünftigen Wesen anzutreffen sein. Nun ist das, was dem Willen zum
objektiven Grunde seiner Selbstbestimmung dient, der Zweck, und dieser, wenn
er durch bloße Vernunft gegeben wird, muß für alle vernünftige
Wesen gleich gelten. Was dagegen bloß den Grund der Möglichkeit der
Handlung enthält, deren Wirkung Zweck ist, heißt das
Mittel. Der subjektive Grund
des Begehrens ist die Triebfeder,
der objektive des Wollens der Bewegungsgrund;
daher der Unterschied zwischen subjektiven Zwecken,die auf Triebfedern beruhen,
und objektiven, die auf Bewegungsgründe ankommen, welche für jedes
vernünftige Wesen gelten. Praktische Prinzipien sind formal, wenn sie von
allen subjektiven Zwecken abstrahieren; sie sind aber material, wenn sie diese,
mithin gewisse Triebfedern, zum Grunde legen. Die Zwecke, die sich ein vernünftiges
Wesen als Wirkungen seiner Handlung nach Belieben vorsetzt (materiale
Zwecke), sind insgesamt nur relativ; denn nur bloß ihr Verhältnis
auf ein besonders geartetes Begehrungsvermögen des Subjekts gibt ihnen
den Wert, der daher keine allgemeine für alle vernünftige Wesen, und
auch nicht für jedes Wollen gültige und notwendige Prinzipien, d.i.
praktische Gesetze, an die Hand geben kann. Daher sind alle diese relative Zwecke
nur der Grund von hypothetischen Imperativen.
Gesetzt aber, es gäbe etwas, dessen Dasein
an sich selbst einen absoluten Wert hat,
was, als Zweck an sich selbst,
ein Grund bestimmter Gesetze sein könnte, so würde in ihm, und nur
in ihm allein, der Grund eines möglichen kategorischen Imperativs, d.i.
praktischen Gesetzes, liegen.
Nun sage ich: der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, existiert
als Zweck an sich selbst, nicht
bloß als Mittel
zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen, sondern muß
in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige
Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich
als Zweck betrachtet werden. Alle Gegenstände
der Neigungen haben nur einen bedingten Wert; denn, wenn die Neigungen und darauf
gegründete Bedürfnisse nicht wären, so würde ihr Gegenstand
ohne Wert sein. Die Neigungen selber aber, als Quellen der Bedürfnis, haben
so wenig einen absoluten Wert, um sie selbst zu wünschen, daß vielmehr,
gänzlich davon frei zu sein, der allgemeine Wunsch eines jeden vernünftigen
Wesens sein muß. Also ist der Wert aller durch unsere Handlung
zu erwerbenden Gegenstände jederzeit bedingt. Die Wesen,
deren Dasein zwar nicht auf unserm Willen, sondern der Natur beruht, haben dennoch,
wenn sie vernunftlose Wesen sind, nur einen relativen Wert, als Mittel, und
heißen daher Sachen, dagegen vernünftige Wesen
Personen
genannt werden, weil ihre Natur sie schon als Zwecke an sich
selbst, d.i. als etwas, das nicht bloß
als Mittel gebraucht werden darf, auszeichnet, mithin so
fern alle Willkür einschränkt (und ein Gegenstand
der Achtung ist). Dies sind also nicht bloß subjektive Zwecke,
deren Existenz, als Wirkung unserer Handlung, für uns einen Wert hat; sondern
objektive Zwecke,
d.i. Dinge, deren Dasein an sich selbst Zweck ist, und zwar einen solchen, an
dessen Statt kein anderer Zweck gesetzt werden kann, dem sie bloß als
Mittel zu Diensten stehen sollten, weil ohne dieses überall gar nichts
von absolutem Werte würde angetroffen werden; wenn aber aller Wert bedingt,
mithin zufällig wäre, so könnte für die Vernunft überall
kein oberstes praktisches Prinzip angetroffen werden.Der
praktische Imperativ
Wenn es denn also ein oberstes praktisches Prinzip, und, in Ansehung des menschlichen
Willens, einen kategorischen Imperativ geben soll, so muß es ein solches
sein, das aus der Vorstellung dessen, was notwendig für jedermann Zweck
ist, weil es Zweck an
sich selbst ist,
ein objektives Prinzip des Willens ausmacht, mithin zum allgemeinen praktischen
Gesetz dienen kann. Der Grund dieses Prinzips ist:
die
vernünftige Natur existiert als Zweck an sich selbst.
So stellt sich notwendig der Mensch sein eignes Dasein vor; so fern ist es also
ein subjektives Prinzip
menschlicher Handlungen. So stellt sich aber auch jedes andere vernünftige
Wesen sein Dasein, zufolge eben desselben Vernunftgrundes, der auch für
mich gilt, vor; also ist es zugleich ein objektives
Prinzip,woraus, als einem obersten praktischen Grunde, alle Gesetze des Willens
müssen abgeleitet werden können. Der praktische Imperativ wird also
folgender sein:
Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner
Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck,
niemals bloß als Mittel brauchst. S.77-79
Aus: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Herausgegeben von
Theodor Valentiner, Einleitung von Hans Ebeling Reclams Universalbibliothek
Nr. 4507 © 1961, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart Begründung
und Herleitung der Willensfreiheit
Der Begriff der Freiheit
ist der Schlüssel zur Erklärung der Autonomie des Willens
Der Wille ist
eine Art von Kausalität lebender Wesen, so fern sie vernünftig sind,
und Freiheit würde
diejenige Eigenschaft dieser Kausalität sein, da sie unabhängig von
fremden sie bestimmenden Ursachen
wirkend sein kann; so wie Naturnotwendigkeit
die Eigenschaft der Kausalität aller vernunftlosen Wesen, durch
den Einfluß fremder Ursachen zur Tätigkeit bestimmt zu werden.
Die angeführte Erklärung der Freiheit ist negativ,
und daher, um ihr Wesen einzusehen, unfruchtbar; allein es fließt aus
ihr ein positiver Begriff derselben, der
desto reichhaltiger und fruchtbarer ist. Da der Begriff einer Kausalität
den von Gesetzen bei sich führt, nach welchen durch etwas, was wir Ursache
nennen, etwas anderes, nämlich die Folge, gesetzt werden muß: so
ist die Freiheit, ob sie zwar nicht eine Eigenschaft des Willens nach Naturgesetzen
ist, darum doch nicht gar gesetzlos, sondern muß vielmehr eine Kausalität
nach unwandelbaren Gesetzen, aber von besonderer Art, sein; denn sonst
wäre ein freier Wille ein Unding. Die Naturnotwendigkeit war eine
Heteronomie der wirkenden Ursachen; denn jede Wirkung war nur nach dem Gesetze
möglich, daß etwas anderes die wirkende Ursache zur Kausalität
bestimmte; was kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein, als Autonomie,
d.i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz
zu sein? Der Satz aber: der Wille ist in allen
Handlungen sich selbst ein Gesetz, bezeichnet nur das Prinzip, nach keiner anderen
Maxime zu handeln, als die sich selbst auch als ein allgemeines Gesetz zum Gegenstande
haben kann. Dies ist aber gerade die Formel des kategorischen Imperativs und
das Prinzip der Sittlichkeit: also ist ein freier Wille und ein Wille unter
sittlichen Gesetzen einerlei.
Wenn also Freiheit des Willens vorausgesetzt wird, so folgt die Sittlichkeit
samt ihrem Prinzip daraus, durch bloße Zergliederung ihres Begriffs. Indessen
ist das letztere doch immer ein synthetischer Satz: ein
schlechterdings guter Wille ist derjenige, dessen Maxime jederzeit sich selbst,
als allgemeines Gesetz betrachtet, in sich enthalten kann; denn durch
Zergliederung des Begriffs von einem schlechthin guten Willen kann jene Eigenschaft
der Maxime nicht gefunden werden. Solche synthetische Sätze sind aber nur
dadurch möglich, daß beide Erkenntnisse durch die Verknüpfung
mit einem dritten, darin sie beiderseits anzutreffen sind, unter einander verbunden
werden. Der positive
Begriff der Freiheit schafft dieses dritte, welches nicht,
wie bei den physischen Ursachen, die Natur der Sinnenwelt sein kann (in deren
Begriff die Begriffe von etwas als Ursache, in Verhältnis auf
etwas anderes als Wirkung, zusammenkommen). Was dieses
dritte sei, worauf uns die Freiheit weist, und von dem wir a priori eine Idee
haben, läßt sich hier sofort noch nicht anzeigen, und die Deduktion
des Begriffs der Freiheit aus der reinen praktischen Vernunft, mit ihr auch
die Möglichkeit eines kategorischen Imperativs, begreiflich machen, sondern
bedarf noch einiger Vorbereitung.
Freiheit muß
als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden
Es ist nicht genug, daß wir unserem Willen, es sei aus welchem Grunde,
Freiheit zuschreiben, wenn wir nicht ebendieselbe auch allen vernünftigen
Wesen beizulegen hinreichenden Grund haben. Denn da Sittlichkeit für uns
bloß als für vernünftige Wesen
zum Gesetze dient, so muß sie auch für alle vernünftige Wesen
gelten, und da sie lediglich aus der Eigenschaft der Freiheit abgeleitet werden
muß, so muß auch Freiheit als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen
Wesen bewiesen werden, und es ist nicht genug, sie aus gewissen vermeintlichen
Erfahrungen von der menschlichen Natur darzutun (wiewohl
dieses auch schlechterdings unmöglich ist und lediglich a priori dargetan
werden kann), sondern man muß sie als zur Tätigkeit vernünftiger
und mit einem Willen begabter Wesen überhaupt beweisen. Ich sage nun: Ein
jedes Wesen, das nicht anders als unter der
Idee der Freiheit handeln kann, ist eben darum, in praktischer
Rücksicht, wirklich frei, d.i. es gelten für dasselbe alle Gesetze,
die mit der Freiheit unzertrennlich verbunden sind, eben so, als ob sein Wille
auch an sich selbst, und in der theoretischen Philosophie gültig, für
frei erklärt würde. Nun behaupte ich: daß wir jedem vernünftigen
Wesen, das einen Willen hat, notwendig auch die Idee der Freiheit leihen müssen,
unter der es allein handle. Denn in einem solchen Wesen denken wir uns eine
Vernunft, die praktisch ist, d.i. Kausalität in Ansehung ihrer Objekte
hat. Nun kann man sich unmöglich eine Vernunft denken,
die mit ihrem eigenen Bewußtsein in Ansehung ihrer Urteile anderwärts
her eine Lenkung empfinge, denn alsdann würde das Subjekt nicht seiner
Vernunft, sondern einem Antriebe, die Bestimmung der Urteilskraft zuschreiben.
Sie muß sich selbst als Urheberin ihrer Prinzipien ansehen, unabhängig
von fremden Einflüssen, folglich muß sie als praktische Vernunft,
oder als Wille eines vernünftigen Wesens, von ihr selbst als frei angesehen
werden; d.i. der Wille desselben kann nur unter der Idee der Freiheit ein eigener
Wille sein, und muß also in praktischer Absicht allen vernünftigen
Wesen beigelegt werden. S.103-106
Aus: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der
Sitten Herausgegeben von Theodor Valentiner, Einleitung von Hans Ebeling Reclams
Universalbibliothek Nr. 4507 © 1961, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Das
Moral- oder Sittengesetz
Grundgesetz
der reinen praktischen Vernunft
Handle
so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer
allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.
Anmerkung
Die reine Geometrie hat Postulate
als praktische Sätze, die aber nichts weiter enthalten, als die Voraussetzung,
daß man etwas tun könne, wenn etwa gefordert würde, man solle
es tun, und diese sind die einzigen Sätze derselben, die ein Dasein betreffen.
Es sind also praktische Regeln unter einer problematischen Bedingung des Willens.
Hier aber sagt die Regel: man solle schlechthin auf gewisse Weise verfahren.
Die praktische Regel ist also unbedingt, mithin, als kategorisch praktischer
Satz, a priori vorgestellt, wodurch der Wille schlechterdings und unmittelbar
(durch die praktische Regel selbst, die also hier Gesetz
ist) objektiv bestimmt wird. Denn reine, an
sich praktische Vernunft ist hier unmittelbar gesetzgebend.
Der Wille wird als unabhängig von empirischen Bedingungen, mithin, als
reiner Wille, durch die bloße Form des
Gesetzes als bestimmt gedacht, und dieser Bestimmungsgrund
als die oberste Bedingung aller Maximen angesehen. Die Sache ist befremdlich
genug, und hat ihres gleichen in der ganzen übrigen praktischen Erkenntnis
nicht. Denn der Gedanke a priori von einer möglichen allgemeinen Gesetzgebung,
der also bloß problematisch ist, wird, ohne von der Erfahrung oder irgend
einem äußeren Willen etwas zu entlehnen, als Gesetz unbedingt geboten.
Es ist aber auch nicht eine Vorschrift, nach welcher eine Handlung geschehen
soll, dadurch eine begehrte Wirkung möglich ist (denn
da wäre die Regel immer physisch bedingt), sondern eine Regel, die
bloß den Willen, in Ansehung der Form seiner Maximen, a priori bestimmt,
und da ist ein Gesetz, welches bloß zum Behuf der subjektiven
Form der Grundsätze dient, als Bestimmungsgrund durch die objektive
Form eines Gesetzes überhaupt, wenigstens zu denken, nicht unmöglich.
Man kann das Bewußtsein dieses Grundgesetzes ein Faktum der Vernunft nennen,
weil man es nicht aus vorhergehenden Datis der Vernunft, z.B. dem Bewußtsein
der Freiheit (denn dieses ist uns nicht vorher gegeben),
herausvernünfteln kann, sondern weil es sich für sich selbst uns aufdringt
als synthetischer Satz a priori, der auf keiner, weder reinen noch empirischen
Anschauung gegründet ist, ob er gleich analytisch sein würde, wenn
man die Freiheit des Willens voraussetzte, wozu aber, als positivem Begriffe,
eine intellektuelle Anschauung erfordert werden würde, die man hier gar
nicht annehmen darf. Doch muß man, um dieses Gesetz ohne Mißdeutung
als gegeben anzusehen,
wohl bemerken: daß es kein empirisches, sondern das einzige Faktum der
reinen Vernunft sei, die sich dadurch als ursprünglich gesetzgebend (sic
volo, sic iubeo) ankündigt.
Folgerung
Reine Vernunft ist für sich allein praktisch,
und gibt (dem Menschen) ein allgemeines Gesetz,
welches wir das Sittengesetz
nennen. S. 36f.
Aus: Immanuel
Kant, Kritik der praktischen Vernunft , Philosophische Bibliothek Band 38, Felix
Meiner Verlag, Hamburg
Drittes Hauptstück.
Von
den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft
Das Wesentliche alles sittlichen Werts der Handlungen kommt darauf an, daß
das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimme.
Geschieht die Willensbestimmung zwar gemäß dem moralischen
Gesetze, aber nur vermittelst eines Gefühls, welcher Art es auch sei, das
vorausgesetzt werden muß, damit jenes ein hinreichender Bestimmungsgrund
des Willens werde, mithin nicht um
des Gesetzes willen: so wird die Handlung zwar Legalität,
aber nicht Moralität
enthalten. Wenn nun unter Triebfeder
(elater animi)
der subjektive Bestimmungsgrund des Willens eines Wesens verstanden wird,
dessen Vernunft nicht, schon vermöge seiner Natur, dem objektiven Gesetze
notwendig gemäß ist, so wird erstlich daraus folgen: daß man
dem göttlichen Willen gar
keine Triebfedern beilegen könne, die Triebfeder des menschlichen Willens
aber (und des von jedem erschaffenen vernünftigen
Wesen) niemals etwas anderes, als das moralische Gesetz sein könne,
mithin der objektive Bestimmungsgrund jederzeit und ganz allein zugleich der
subjektiv-hinreichende Bestimmungsgrund der Handlung sein müsse, wenn diese
nicht bloß den
Buchstaben des
Gesetzes, ohne den Geist*
desselben zu enthalten, erfüllen soll.
* Man kann von jeder gesetzmäßigen
Handlung, die doch nicht um des Gesetzes willen geschehen ist, sagen: sie sei
bloß dem Buchstaben, aber nicht dem Geiste
(der Gesinnung) nach moralisch gut.
Da man also zum Behuf des moralischen Gesetzes, und um ihm Einfluß auf
den Willen zu verschaffen, keine anderweitige Triebfeder, dabei die des moralischen
Gesetzes entbehrt werden könnte, suchen muß, weil das alles lauter
Gleisnerei, ohne Bestand, bewirken würde, und so gar es
bedenklich ist, auch nur neben
dem moralischen Gesetze noch einige andere Triebfedern
(als die des Vorteils) mitwirken zu lassen: so
bleibt nichts übrig, als bloß sorgfältig zu bestimmen, auf welche
Art das moralische Gesetz Triebfeder werde, und was, indem sie es ist, mit dem
menschlichen Begehrungsvermögen, als Wirkung jenes Bestimmungsgrundes auf
dasselbe vorgehe. Denn wie ein Gesetz für sich und unmittelbar Bestimmungsgrund
des Willens sein könne (welches doch das Wesentliche
aller Moralität ist), das ist ein für die menschliche Vernunft
unauflösliches Problem und mitdem einerlei: wie ein freier Wille möglich
sei. Also werden wir nicht den Grund, woher das moralische Gesetz in sich eine
Triebfeder abgebe, sondern was, so fern es eine solche ist, sie im Gemüte
wirkt (besser zu sagen, wirken muß), a priori
anzuzeigen haben.
Vernünftige
Selbstliebe
Das Wesentliche aller Bestimmung des Willens durchs sittliche Gesetz ist: daß
er als freier Wille, mithin nicht bloß ohne Mitwirkung sinnlicher Antriebe,
sondern selbst, mit Abweisung aller derselben, und mit Abbruch aller Neigungen,
so fern sie jenem Gesetze zuwider sein könnten, bloß durchs Gesetz
bestimmt werde. So weit ist also die Wirkung des moralischen Gesetzes als Triebfeder
nur negativ, und als solche kann diese Triebfeder a priori erkannt werden. Denn
alle Neigung und jeder sinnliche Antrieb ist auf Gefühl gegründet,
und die negative Wirkung aufs Gefühl (durch den Abbruch,
der den Neigungen geschieht) ist selbst Gefühl. Folglich können
wir a priori einsehen, daß das moralische Gesetz als Bestimmungsgrund
des Willens dadurch, daß es allen unseren Neigungen Eintrag tut, ein Gefühl
bewirken müsse, welches Schmerz genannt werden kann, und hier haben wir
nun den ersten, vielleicht auch einzigen Fall, da wir aus Begriffen a priori
das Verhältnis eines Erkenntnisses (hier ist es einer
reinen praktischen Vernunft) zum Gefühl der Lust oder Unlust bestimmen
konnten. Alle Neigungen zusammen (die auch wohl in ein
erträgliches System gebracht werden können, und deren Befriedigung
alsdenn eigene Glückseligkeit heißt) machen die Selbstsucht
(solipsimus) aus.
Diese ist entweder die der Selbstliebe,
eines über alles gehenden Wohlwollens
gegen sich selbst (philautia),
oder die des Wohlgefallens
an sich selbst (arrogantia).
Jene heißt besonders Eigenliebe,
diese Eigendünkel.
Die reine praktische Vernunft tut der Eigenliebe bloß Abbruch,
indem sie solche, als natürlich, und noch vor dem moralischen Gesetze,
in uns rege, nur auf die Bedingung der Einstimmung mit diesem Gesetze einschränkt;
da sie alsdenn vernünftige Selbstliebe
genannt wird. Aber den Eigendünkel schlägt
sie gar nieder, indem alle Ansprüche der Selbstschätzung,
die vor der Übereinstimmung mit dem sittlichen Gesetze vorhergehen, nichtig
und ohne alle Befugnis sind, indem eben die Gewißheit einer Gesinnung,
die mit diesem Gesetze übereinstimmt, die erste Bedingung alles Werts der
Person ist (wie wir bald deutlicher machen werden) und
alle Anmaßung vor derselben falsch und gesetzwidrig ist. Nun gehört
der Hang zur Selbstschätzung mit zu den Neigungen, denen das moralische
Gesetz Abbruch tut, so fern jene bloß auf der Sittlichkeit beruht. Also
schlägt das moralische Gesetz den Eigendünkel nieder. Da dieses Gesetz
aber doch etwas an sich Positives ist, nämlich die Form einer intellektuellen
Kausalität, d.i. der Freiheit, so ist es, indem es im Gegensatze mit dem
subjektiven Widerspiele, nämlich den Neigungen in uns, den Eigendünkel
schwächt, zugleich
ein Gegenstand der Achtung, und,
indem es ihn sogar niederschlägt,
d.i. demütigt, ein Gegenstand der größten Achtung, mithin auch
der Grund eines positiven Gefühls, das nicht empirischen Ursprungs ist,
und a priori erkannt wird. Also ist Achtung fürs moralische Gesetz ein
Gefühl, welches durch einen intellektuellen Grund gewirkt wird, und dieses
Gefühl ist das einzige, welches wir völlig a priori erkennen, und
dessen Notwendigkeit wir einsehen können.
Wir haben im vorigen Hauptstücke gesehen: daß alles, was sich als
Objekt des Willens vor dem moralischen Gesetze darbietet, von den Bestimmungsgründen
des Willens, unter dem Namen des unbedingt-Guten, durch dieses Gesetz selbst,
als die oberste Bedingung der praktischen Vernunft, ausgeschlossen werde, und
daß die bloße praktische Form, die in der Tauglichkeit der Maximen
zur allgemeinen Gesetzgebung besteht, zuerst das, was an sich und schlechterdings-gut
ist, bestimme, und die Maxime eines reinen Willens gründe, der allein in
aller Absicht gut ist. Nun finden wir aber unsere Natur, als sinnlicher Wesen
so beschaffen, daß die Materie des Begehrungsvermögens (Gegenstände
der Neigung, es sei der Hoffnung, oder Furcht) sich zuerst aufdringt,
und unser pathologisch bestimmbares Selbst, ob es gleich durch seine Maximen
zur allgemeinen Gesetzgebung ganz untauglich ist, dennoch, gleich als ob es
unser ganzes Selbst ausmachte, seine Ansprüche vorher und als die ersten
und ursprünglichen geltend zu machen bestrebt sei. Man kann diesen Hang,
sich selbst nach den subjektiven Bestimmungsgründen seiner Willkür
zum objektiven Bestimmungsgrunde des Willens überhaupt zu machen, die Selbstliebe
nennen,welche, wenn sie sich gesetzgebend und zum unbedingten praktischen Prinzip
macht, Eigendünkel
heißen kann. Nun schließt das moralische Gesetz,
welches allein wahrhaftig (nämlich in aller Absicht)
objektiv ist, den Einfluß der Selbstliebe auf das oberste praktische Prinzip
gänzlich aus, und tut dem Eigendünkel, der die subjektiven Bedingungen
des ersteren als Gesetze vorschreibt, unendlichen Abbruch. Was nun unserem Eigendünkel
in unserem eigenen Urteil Abbruch tut, das demütigt. Also demütigt
das moralische Gesetz unvermeidlich jeden Menschen, indem dieser mit demselben
den sinnlichen Hang seiner Natur vergleicht. Dasjenige, dessen Vorstellung,
als Bestimmungsgrund unseres Willens,
uns in unserem Selbstbewußtsein demütigt, erweckt, so fern als es
positiv und Bestimmungsgrund ist, für sich Achtung. Also ist das moralische
Gesetz auch subjektiv ein Grund der Achtung. Da
nun alles, was in der Selbstliebe angetroffen wird, zur Neigung gehört,
alle Neigung aber auf Gefühlen beruht, mithin, was allen Neigungen insgesamt
in der Selbstliebe Abbruch tut, eben dadurch notwendig auf das Gefühl Einfluß
hat, so begreifen wir, wie es möglich ist, a priori einzusehen, daß
das moralische Gesetz, indem es die Neigun-gen und den Hang, sie zur obersten
praktischen Bedingung zu machen, d.i. die Selbstliebe, von allem Beitritte zur
obersten Gesetzgebung ausschließt, eine Wirkung aufs Gefühl ausüben
könne, welche einerseits bloß negativ
ist, andererseits und zwar in Ansehung des einschränkenden Grundes
der reinen praktischen Vernunft positiv ist,
und wozu gar keine besondere Art von Gefühle, unter dem Namen eines praktischen,
oder moralischen, als vor dem moralischen Gesetze vorhergehend und ihm zum Grunde
liegend, angenommen werden darf.
Das
moralische Gefühl ist
das Gefühl der Achtung vor dem moralischenGesetz
Die negative Wirkung auf Gefühl (der Unannehmlichkeit)
ist, so wie aller Einfluß auf dasselbe, und wie jedes Gefühl
überhaupt, pathologisch. Als
Wirkung aber vom Bewußtsein des moralischen Gesetzes, folglich in Beziehung
auf eine intelligibele Ursache, nämlich das Subjekt der reinen praktischen
Vernunft, als obersten Gesetzgeberin, heißt dieses Gefühl eines vernünftigen
von Neigungen affizierten Subjekts zwar Demütigung (intellektuelle
Verachtung), aber in Beziehung auf den positiven Grund derselben, das
Gesetz, zugleich Achtung für dasselbe, für welches Gesetz gar kein
Gefühl stattfindet, sondern im Urteile der Vernunft, indem es den Widerstand
aus dem Wege schafft, die Wegräumung eines Hindernisses einer positiven
Beförderung der Kausalität gleichgeschätzt wird. Darum kann dieses
Gefühl nun auch ein Gefühl der Achtung fürs moralische Gesetz,
aus beiden Gründen zusammen aber ein moralisches
Gefühl genannt werden.
Das moralische Gesetz also, so wie es formaler Bestimmungsgrund der Handlung
ist, durch praktische reine Vernunft, so wie es zwar auch materialer, aber nur
objektiver Bestimmungsgrund der Gegenstände der Handlung, unter dem Namen
des Guten und Bösen, ist, so ist es auch subjektiver Bestimmungsgrund,
d.i. Triebfeder, zu dieser Handlung, indem es auf die Sittlichkeit des Subjekts
Einfluß hat, und ein Gefühl bewirkt, welches dem Einflusse des Gesetzes
auf den Willen beförderlich ist. Hier geht kein Gefühl im Subjekt
vorher, das auf Moralität gestimmt wäre. Denn das ist unmöglich,
weil alles Gefühl sinnlich ist; die Triebfeder der sittlichen Gesinnung
aber muß von aller sinnlichen Bedingung frei sein. Vielmehr ist das sinnliche
Gefühl, was allen unseren Neigungen zum Grunde liegt, zwar die Bedingung
derjenigen Empfindung, die wir Achtung nennen, aber die Ursache der Bestimmung
desselben liegt in der reinen praktischen Vernunft, und diese Empfindung kann
daher, ihres Ursprunges wegen, nicht pathologisch, sondern muß praktisch
gewirkt heißen; indem dadurch, daß die Vorstellung
des moralischen Gesetzes der Selbstliebe den Einfluß, und dem Eigendünkel
den Wahn benimmt, das Hindernis der reinen praktischen Vernunft vermindert,
und die Vorstellung des Vorzuges ihres objektiven Gesetzes
vor den Antrieben der Sinnlichkeit, mithin das Gewicht
des ersteren relativ (in Ansehung eines durch die letztere affizierten Willens)
durch die Wegschaffung des Gegengewichts, im Urteile der Vernunft, hervorgebracht
wird. Und so ist die Achtung fürs Gesetz nicht Triebfeder zur Sittlichkeit,
sondern sie ist die Sittlichkeit selbst, subjektiv als Triebfeder betrachtet,
indem die reine praktische Vernunft dadurch, daß sie der Selbstliebe,
im Gegensatze mit ihr, alle Ansprüche abschlägt, dem Gesetze, das
jetzt allein Einfluß hat, Ansehen verschafft. Hiebei ist nun zu bemerken:
daß, so wie die Achtung eine Wirkung aufs Gefühl, mithin auf die
Sinnlichkeit eines vernünftigen Wesens ist, es diese Sinnlichkeit, mithin
auch die Endlichkeit solcher Wesen, denen das moralische Gesetz Achtung auferlegt,
voraussetze, und daß einem höchsten, oder auch einem von aller Sinnlichkeit
freien Wesen, welchem diese also auch kein Hindernis der praktischen Vernunft
sein kann, Achtung fürs Gesetz
nicht beigelegt werden könne.
Dieses Gefühl (unter dem Namen des moralischen)
ist also lediglich durch Vernunft bewirkt. Es dient nicht zu Beurteilung der
Handlungen, oder wohl gar zur Gründung des objektiven Sittengesetzes selbst,
sondern bloß zur Triebfeder, um dieses in sich zur Maxime zu machen. Mit
welchem Namen aber könnteman dieses sonderbare Gefühl, welches mit
keinem pathologischen in Vergleichung gezogen werden kann, schicklicher belegen?
Es ist so eigentümlicher Art, daß es lediglich der Vernunft, und
zwar der praktischen reinen Vernunft, zu Gebote zu stehen scheint.
Achtung geht jederzeit
nur auf Personen, niemals auf Sachen. Die letztere können Neigung,
und, wenn es Tiere sind (z.B. Pferde, Hunde etc.),
so gar Liebe,
oder auch Furcht, wie
das Meer, ein Vulkan, ein Raubtier, niemals aber Achtung
in uns erwecken. Etwas, was diesem Gefühl schon näher
tritt, ist Bewunderung,
und diese, als Affekt, das Erstaunen, kann auch auf Sachen gehen, z.B. himmelhohe
Berge, die Größe, Menge und Weite der Weltkörper, die Stärke
und Geschwindigkeit mancher Tiere, u.s.w. Aber alles dieses ist nicht Achtung.
Ein Mensch kann mir auch ein Gegenstand der Liebe, der Furcht, oder der Bewunderung,
so gar bis zum Erstaunen und doch darum kein Gegenstand der Achtung sein. Seine
scherzhafte Laune, sein Mut und Stärke, seine Macht, durch seinen Rang,
den er unter anderen hat, können mir dergleichen Empfindungen einflößen,
es fehlt aber immer noch an innerer Achtung gegen ihn. Fontenelle
sagt: vor einem Vornehmen bücke ich mich,
aber mein Geist bückt sich nicht. Ich kann hinzu setzen:
vor einem niedrigen, bürgerlich-gemeinen Mann, an dem ich eine Rechtschaffenheit
des Charakters in einem gewissen Maße, als ich mir von mir selbst nicht
bewußt bin, wahrnehme, bückt sich mein Geist, ich mag wollen oder
nicht, und den Kopf noch so hoch tragen, um ihn meinen Vorrang nicht übersehen
zu lassen.Warum das? Sein Beispiel hält mir ein Gesetz vor, das meinen
Eigendünkel niederschlägt, wenn ich es mit meinem Verhalten vergleiche,
und dessen Befolgung, mithin die Tunlichkeit
desselben, ich durch die Tat bewiesen vor mir sehe. Nun
mag ich mir sogar eines gleichen Grades der Rechtschaffenheit bewußt sein,
und die Achtung bleibt doch. Denn, da beim Menschen immer alles Gute mangelhaft
ist, so schlägtdas Gesetz, durch ein Beispiel anschaulich gemacht, doch
immer meinen Stolz nieder, wozu der Mann, den ich vor mir sehe, dessen Unlauterkeit,
die ihm immer noch anhängen mag, mir nicht so, wie mir die meinige, bekannt
ist, der mir also in reinerem Lichte erscheint, einen Maßstab abgibt.
Achtung ist ein Tribut,
den wir dem Verdienste nicht verweigern können, wir mögen
wollen oder nicht; wir mögen allenfalls äußerlich damit zurückhalten,
so können wir doch nicht verhüten, sie innerlich zu empfinden.
Die Achtung ist so wenig
ein Gefühl der Lust,
daß man sich ihr in Ansehung eines Menschen nur ungern überläßt.
Man sucht etwas ausfindig zu machen, was uns die Last derselben erleichtern
könne, irgend einen Tadel, um uns wegen der Demütigung, die uns durch
ein solches Beispiel widerfährt, schadlos zu halten. Selbst Verstorbene
sind, vornehmlich wenn ihr Beispiel unnachahmlich scheint, vor dieser Kritik
nicht immer gesichert. So gar das moralische Gesetz selbst, in seiner feierlichen
Majestät, ist diesem Bestreben, sich der Achtung dagegen zu erwehren,
ausgesetzt. Meint man wohl, daß es einer anderen Ursache zuzuschreiben
sei, weswegen man es gern zu unserer vertraulichen Neigung herabwürdigen
möchte, und sich aus anderen Ursachen alles so bemühe, um es zur beliebten
Vorschrift unseres eigenen wohlverstandenen Vorteils zu machen, als daß
man der abschreckenden Achtung, die uns unsere eigene Unwürdigkeit so strenge
vorhält, loswerden möge? Gleichwohl ist darin doch auch wiederum so
wenig Unlust: daß,
wenn man einmal den Eigendünkel abgelegt, und jener Achtung praktischen
Einfluß verstattet hat, man sich wiederum an der Herrlichkeit dieses Gesetzes
nicht satt sehen kann, und die Seele sich in dem Maße selbst zu erheben
glaubt, als sie das heilige Gesetz über sich und ihre gebrechliche Natur
erhaben sieht. Zwar können große Talente und eine ihnen proportionierte
Tätigkeit auch Achtung, oder ein mit derselben analogisches Gefühl,
bewirken, es ist auch ganz anständig, es ihnen zu widmen, und da scheint
es, als ob Bewunderung mit jener Empfindung einerlei sei. Allein, wenn man näher
zusieht, so wird man bemerken, daß, da es immer ungewiß bleibt,
wie viel das angeborne Talent und wie viel Kultur durch eigenen Fleiß
an der Geschicklichkeit Teil habe, so stellt uns die Vernunft die letztere mutmaßlich
als Frucht der Kultur, mithin als Verdienst vor, welches unseren Eigendünkel
merklich herabstimmt, und uns darüber entweder Vorwürfe macht, oder
uns die Befolgung eines solchen Beispiels, in der Art, wie es uns angemessen
ist, auferlegt. Sie ist also nicht bloße Bewunderung, diese Achtung, die
wir einer solchen Person (eigentlich dem Gesetze, was
uns sein Beispiel vorhält) beweisen; welches sich auch dadurch bestätigt,
daß der gemeine Haufe der Liebhaber, wenn er das Schlechte des Charakters
eines solchen Mannes (wie etwa Voltaire)
sonst woher erkundigt zu haben glaubt, alle Achtung gegen ihn aufgibt, der wahre
Gelehrte aber sie noch immer wenigstens im Gesichtspunkte seiner Talente fühlt,
weil er selbst in einem Geschäfte und Berufe verwickelt ist, welches die
Nachahmung desselben ihm gewissermaßen zum Gesetze macht.
Achtung
fürs moralische Gesetz ist die einzige moralische Triebfeder
Achtung fürs moralische Gesetz ist also die einzige
und zugleich unbezweifelte moralische Triebfeder, so wie dieses Gefühl
auch auf kein Objekt anders, als lediglich aus diesem Grunde gerichtet ist.
Zuerst bestimmt das moralische Gesetz objektiv und unmittelbar den Willen im
Urteile der Vernunft; Freiheit, deren Kausalität bloß durchs Gesetz
bestimmbar ist, besteht aber eben darin, daß sie alle Neigungen, mithin
die Schätzung der Person selbst auf die Bedingung der Befolgung ihres reinen
Gesetzes einschränkt. Diese Einschränkung tut nun eine Wirkung aufs
Gefühl, und bringt Empfindung der Unlust hervor, die aus dem moralischen
Gesetze a priori erkanntwerden kann. Da sie aber bloß so fern eine negative
Wirkung ist, die, als aus dem Einflusse einer reinen praktischen Vernunft entsprungen,
vornehmlich der Tätigkeit des Subjekts, so fern Neigungen die Bestimmungsgründe
desselben sind, mithin der Meinung seines persönlichen Werts Abbruch tut
(der ohne Einstimmung mit dem moralischen Gesetze auf
nichts herabgesetzt wird), so ist die Wirkung dieses Gesetzes aufs Gefühl
bloß Demütigung, welches wir also zwar a priori einsehen, aber an
ihr nicht die Kraft des reinen praktischen Gesetzes als Triebfeder, sondern
nur den Widerstand gegen Triebfedern der Sinnlichkeit erkennen können.
Weil aber dasselbe Gesetz doch objektiv, d.i. in der Vorstellung der reinen
Vernunft, ein unmittelbarer Bestimmungsgrund des Willens ist, folglich diese
Demütigung nur relativ auf die Reinigkeit des Gesetzes stattfindet, so
ist die Herabsetzung der Ansprüche der moralischen Selbstschätzung,
d.i. die Demütigung auf der sinnlichen Seite, eine Erhebung der moralischen,
d.i. der praktischen Schätzung des Gesetzes selbst, auf der intellektuellen,mit
einem Worte Achtung fürs Gesetz, also auch ein, seiner intellektuellen
Ursache nach, positives Gefühl, das a priori erkannt wird. Denn eine jede
Verminderung der Hindernisse einer Tätigkeit ist Beförderung dieser
Tätigkeit selbst. Die Anerkennung des moralischen Gesetzes aber ist das
Bewußtsein einer Tätigkeit der praktischen Vernunft aus objektiven
Gründen, die bloß darum nicht ihre Wirkung in Handlungen äußert,
weil subjektive Ursachen (pathologische) sie hindern.
Also muß die Achtung fürs moralische Gesetz auch als positive aber
indirekte Wirkung desselben aufs Gefühl, so fern jenes den hindernden Einfluß
der Neigungen durch Demütigung des Eigendünkels schwächt, mithin
als subjektiver Grund der Tätigkeit, d.i. als Triebfeder
zu Befolgung desselben, und als Grund zu Maximen eines ihm gemäßen
Lebenswandels angesehen werden. Aus dem Begriffe einer Triebfeder entspringt
der eines Interesse; welches
niemals einem Wesen, als was Vernunft hat, beigelegt wird, und eine Triebfeder
des Willens bedeutet, so fern sie durch
Vernunft vorgestellt wird. Da das Gesetz selbst in einem
moralisch-guten Willen die Triebfeder sein muß, so ist das moralische
Interesse ein reines sinnenfreies Interesse der bloßen
praktischen Vernunft. Auf dem Begriffe eines Interesse gründet sich auch
der einer Maxime. Diese ist also nur alsdenn moralisch echt, wenn sie auf dem
bloßen Interesse, das man an der Befolgung des Gesetzes nimmt, beruht.
Alle drei Begriffe aber, der einer Triebfeder,
eines Interesse und einer
Maxime, können nur
auf endliche Wesen angewandt werden. Denn sie setzen insgesamt eine Eingeschränktheit
der Natur eines Wesens voraus, da die subjektive Beschaffenheit seiner Willkür
mit dem objektiven Gesetze einer praktischen Vernunft nicht von selbst übereinstimmt;
ein Bedürfnis, irgend wodurch zur Tätigkeit angetrieben zu werden,
weil ein inneres Hindernis derselben entgegensteht. Auf den göttlichen
Willen können sie also nicht angewandt werden.
Es liegt so etwas Besonderes in der grenzenlosen Hochschätzung des reinen,
von allem Vorteil entblößten, moralischen Gesetzes, so wie es praktische
Vernunft uns zur Befolgung vorstellt, deren Stimme auch den kühnsten Frevler
zittern macht, und ihn nötigt, sich vor seinem Anblicke zu verbergen: daß
man sich nicht wundern darf, diesen Einfluß einer bloß intellektuellen
Idee aufs Gefühl für spekulative Vernunft unergründlich zu finden,
und sich damit begnügen zu müssen, daß man a priori doch noch
so viel einsehen kann: ein solches Gefühl sei unzertrennlich mit der Vorstellung
des moralischen Gesetzes in jedem endlichen vernünftigen Wesen verbunden.
Wäre dieses Gefühl der Achtung pathologisch und also ein auf dem inneren
Sinne gegründetes
Gefühl der Lust, so würde es vergeblich sein, eine Verbindung derselben
mit irgend einer Idee a priori zu entdecken. Nun aber ist ein Gefühl, was
bloß aufs Praktische geht, und zwar der Vorstellung eines Gesetzes lediglich
seiner Form nach, nicht irgend eines Objekts desselben wegen, anhängt,
mithin weder zum Vergnügen, noch zum Schmerze gerechnet werden kann, und
dennoch ein Interesse
an der Befolgung desselben hervorbringt, welches wir das moralische
nennen; wie denn auch die Fähigkeit, ein solches Interesse am Gesetze zu
nehmen (oder die Achtung fürs moralische Gesetz selbst)
eigentlich das moralische Gefühl
ist.
Das Bewußtsein einer freien
Unterwerfung des Willens unter das Gesetz, doch als mit einem
unvermeidlichen Zwange, der allen Neigungen, aber nur durch eigene Vernunft
angetan wird, verbunden, ist nun die Achtung fürs Gesetz. Das Gesetz, was
diese Achtung fordert und auch einflößt, ist, wie man sieht, kein
anderes, als das moralische (denn kein anderes schließt alle Neigungen
von der Unmittelbarkeit ihres Einflusses auf den Willen aus). Die Handlung,
die nach diesem Gesetze, mit Ausschließung aller Bestimmungsgründe
aus Neigung, objektiv praktisch ist,heißt Pflicht,
welche, um dieser Ausschließung willen, in ihrem Begriffe praktische Nötigung,
d.i. Bestimmung zu Handlungen, so ungerne,
wie sie auch geschehen mögen, enthält. Das Gefühl, das aus dem
Bewußtsein dieser Nötigung entspringt, ist nicht pathologisch, als
ein solches, was von einem Gegenstande der Sinne gewirkt würde, sondern
allein praktisch, d.i. durch eine vorhergehende (objektive)
Willensbestimmung und Kausalität der Vernunft, möglich. Es
enthält also, als Unterwerfung
unter ein Gesetz, d.i. als Gebot (welches
für das sinnlich-affizierte Subjekt Zwang ankündigt), keine
Lust, sondern, so fern, vielmehr Unlust an der Handlung in sich. Dagegen aber,
da dieser Zwang bloß durch Gesetzgebung der eigenen
Vernunft ausgeübt wird, enthält es auch Erhebung,
und die subjektive Wirkung aufs Gefühl, so fern davon
reine praktische Vernunft die alleinige Ursache ist, kann also bloß Selbstbilligung
in Ansehung der letzteren heißen, indem man sich dazu, ohne alles
Interesse, bloß durchs Gesetz bestimmt erkennt, und sich nunmehro eines
ganz anderen, dadurch subjektiv hervorgebrachten, Interesse, welches rein praktisch
und frei ist, bewußt wird, welches an einer
pflichtmäßigen Handlung zu nehmen nicht etwa eine Neigung anrätig
ist, sondern die Vernunft durchs praktische Gesetz schlechthin gebietet und
auch wirklich hervorbringt, darum aber einen ganz eigentümlichen Namen,
nämlich den der Achtung, führt.
Der Begriff der Pflicht fordert also an der Handlung, objektiv,
Übereinstimmung mit dem Gesetze, an der Maxime derselben aber, subjektiv,
Achtung fürs Gesetz, als die alleinige Bestimmungsart des Willens durch
dasselbe. Und darauf beruht der Unterschied zwischen dem Bewußtsein,
pflichtmäßig und aus
Pflicht,
d.i. aus Achtung fürs Gesetz, gehandelt zu haben, davon das erstere (die
Legalität) auch möglich ist, wenn Neigungen bloß die
Bestimmungsgründe des Willens gewesen wären, das zweite aber
(die Moralität), der moralische Wert, lediglich
darin gesetzt werden muß, daß die Handlung aus Pflicht, d.i. bloß
um des Gesetzes willen geschehe.*
*Wenn man den Begriff der Achtung
für Personen, so wie er vorher dargelegt worden, genau erwägt, so
wird man gewahr, daß sie immer auf dem Bewußtsein einer Pflicht
beruhe, die uns ein Beispiel vorhält, und, daß also Achtung niemals
einen andern als moralischen Grund haben könne, und es sehr gut, so gar
in psychologischer Absicht zur Menschenkenntnis sehr nützlich sei, allerwärts,
wo wir diesen Ausdruck brauchen, auf die geheime und wundernswürdige, dabei
aber oft vorkommende Rücksicht, die der Mensch in seinen Beurteilungen
aufs moralische Gesetz nimmt, Acht zu haben.
Für
Menschen: Gesetz der Pflicht - für Gott: Gesetz der Heiligkeit
Es ist von der größten Wichtigkeit in allen moralischen Beurteilungen,
auf das subjektive Prinzip aller Maximen mit der äußersten Genauigkeit
Acht zu haben, damit alle Moralität der Handlungen in der Notwendigkeit
derselben aus Pflicht und
aus Achtung fürs Gesetz, nicht aus Liebe und Zuneigung zu dem, was die
Handlungen hervorbringen sollen, gesetzt werde. Für Menschen und alle erschaffene
vernünftige Wesen ist die moralische Notwendigkeit Nötigung, d.i.
Verbindlichkeit, und jede darauf gegründete Handlung als Pflicht, nicht
aber als eine uns von selbst schon beliebte, oder beliebt werden könnende
Verfahrungsart vorzustellen. Gleich als ob wir es dahin jemals bringen könnten,
daß ohne Achtung fürs Gesetz, welche mit Furcht oder wenigstens Besorgnis
vor Übertretung verbunden ist, wir, wie die über alle Abhängigkeit
erhabene Gottheit, von selbst,
gleichsam durch eine uns zur Natur gewordene, niemals zu verrückende Übereinstimmung
des Willens mit dem reinen Sittengesetze (welches also,
da wir niemals versucht werden können, ihm untreu zu werden, wohl endlich
gar aufhören könnte, für uns Gebot zu sein), jemals in
den Besitz einer Heiligkeit
des Willens kommen könnten.
Das moralische Gesetz ist nämlich für den Willen
eines allervollkommensten Wesens ein Gesetz der Heiligkeit, für
den Willen jedes endlichen vernünftigen Wesens aber ein Gesetz der Pflicht,
der moralischen Nötigung
und der Bestimmung der Handlungen desselben durch Achtung
für dies Gesetz und aus Ehrfurcht für seine Pflicht. Ein anderes subjektives
Prinzip muß zur Triebfeder nicht angenommen werden, denn sonst kann zwar
die Handlung, wie das Gesetz sie vorschreibt, ausfallen, aber, da sie zwar pflichtmäßig
ist, aber nicht aus Pflicht geschieht, so ist die Gesinnung dazu nicht moralisch,
auf die es doch in dieser Gesetzgebung eigentlich ankommt.
Pficht
und Schuldigkeit
Es ist sehr schön, aus Liebe zu Menschen und teilnehmendem Wohlwollen ihnen
Gutes zu tun, oder aus Liebe zur Ordnung gerecht zu sein, aber das ist noch
nicht die echte moralische Maxime unsers Verhaltens, die unserm Standpunkte,
unter vernünftigen Wesen, als Menschen,
angemessen ist, wenn wir uns anmaßen, gleichsam als
Volontäre, uns mit stolzer Einbildung über den Gedanken von Pflicht
wegzusetzen, und uns, als vom Gebote unabhängig, bloß aus eigener
Lust das tun zu wollen, wozu für uns kein Gebot nötig wäre. Wir
stehen unter einer Disziplin der
Vernunft, und müssen in allen unseren Maximen der Unterwürfigkeit
unter derselben nicht vergessen, ihr nichts zu entziehen, oder dem Ansehen des
Gesetzes (ob es gleich unsere eigene Vernunft gibt) durch eigenliebigen Wahn
dadurch etwas abkürzen, daß wir den Bestimmungsgrund unseres Willens,
wenn gleich dem Gesetze gemäß, doch worin anders, als im Gesetze
selbst, und in der Achtung für dieses Gesetz setzten. Pflicht
und Schuldigkeit sind die Benennungen,
die wir allein unserem Verhältnisse zum moralischen Gesetze geben müssen.
Wir sind zwar gesetzgebende Glieder eines durch Freiheit möglichen, durch
praktische Vernunft uns zur Achtung vorgestellten Reichs der Sitten, aber doch
zugleich Untertanen, nicht das Oberhaupt desselben, und die Verkennung unserer
niederen Stufe, als Geschöpfe, und Weigerung des Eigendünkels gegen
das Ansehen des heiligen Gesetzes,ist schon eine Abtrünnigkeit von demselben,
dem Geiste nach, wenn gleich der Buchstabe desselben erfüllt würde.
Hiemit stimmt aber die Möglichkeit eines solchen Gebots, als:
Liebe Gott über alles und deinen Nächsten als dich selbst*,
ganz wohl zusammen.
*Mit
diesem Gesetze macht das Prinzip der eigenen Glückseligkeit, welches einige
zum obersten Grundsatze der Sittlichkeit machen wollen, einen seltsamen Kontrast.
Dieses würde so lauten: Liebe dich selbst über alles,
Gott aber und deinen Nächsten um dein selbst willen.
Denn es fordert doch, als Gebot, Achtung für ein Gesetz, das
Liebe befiehlt, und überläßt
es nicht der beliebigen Wahl, sich diese zum Prinzip zu machen. Aber
Liebe zu Gott als Neigung (pathologische Liebe) ist
unmöglich; denn er ist kein Gegenstand der Sinne. Eben
dieselbe gegen Menschen ist zwar möglich, kann aber nicht geboten werden;
denn es steht in keines Menschen Vermögen, jemanden bloß auf
Befehl zu lieben. Also
ist es bloß die praktische Liebe,
die in jenem Kern aller Gesetze verstanden wird. Gott lieben, heißt in
dieser Bedeutung, seine Gebote gerne tun; den Nächsten
lieben, heißt, alle Pflicht gegen ihn gerne
ausüben. Das Gebot aber, das dieses zur Regel macht, kann
auch nicht diese Gesinnung in pflichtmäßigen Handlungen zu
haben, sondern bloß darnach zu streben
gebieten. Denn ein Gebot, daß man etwas gerne tun
soll, ist in sich widersprechend, weil, wenn wir, was uns zu tun obliege, schon
von selbst wissen, wenn wir uns überdem auch bewußt wären, es
gerne zu tun, ein Gebot darüber ganz unnötig, und, tun wir es zwar,
aber eben nicht gerne, sondern nur aus Achtung fürs Gesetz, ein Gebot,
welches diese Achtung eben zur Triebfeder der Maxime macht, gerade der gebotenen
Gesinnung zuwider wirken würde.
Jenes Gesetz aller Gesetze stellt also, wie alle moralische Vorschrift des Evangelii,
die sittliche Gesinnung in ihrer ganzen Vollkommenheit dar, so wie sie als ein
Ideal der Heiligkeit von keinem Geschöpfe erreichbar, dennoch das Urbild
ist, welchem wir uns zu näheren, und, in einem ununterbrochenen, aber unendlichen
Progressus, gleich zu werden streben sollen. Könnte nämlich ein vernünftig
Geschöpf jemals dahin kommen, alle moralische Gesetze völlig gerne
zu tun, so würde das so viel bedeuten, als, es fände sich in ihm auch
nicht einmal die Möglichkeit einer Begierde, die ihn zur Abweichung von
ihnen reizte; denn die Überwindung einer solchen kostet dem Subjekt immer
Aufopferung, bedarf also Selbstzwang, d.i. innere Nötigung zu dem, was
man nicht ganz gern tut. Zu dieser Stufe der moralischen Gesinnung aber kann
es ein Geschöpf niemals bringen.
Denn da es ein Geschöpf, mithin in Ansehung dessen, was er zur gänzlichen
Zufriedenheit mit seinem Zustande fodert, immer abhängig ist, so kann es
niemals von Begierden und Neigungen ganz frei sein, die, weil sie auf physischen
Ursachen beruhen, mit dem moralischen Gesetze, das ganz andere Quellen hat,
nicht von selbst stimmen, mithin es jederzeit notwendig machen, in Rücksicht
auf dieselbe, die Gesinnung seiner Maximen auf moralische Nötigung, nicht
auf bereitwillige Ergebenheit, sondern auf Achtung, welche die Befolgung des
Gesetzes, obgleich sie ungerne geschähe, fordert,
nicht auf Liebe, die keine innere Weigerung des Willens
gegen das Gesetz besorgt, zu gründen, gleichwohl aber diese letztere, nämlich
die bloße Liebe zum Gesetze (da es alsdenn aufhören
würde, Gebot zu sein, und Moralität, die nun subjektiv in Heiligkeit
überginge, aufhören würde, Tugend zu
sein) sich zum beständigen, obgleich unerreichbaren Ziele seiner
Bestrebung zu machen. Denn an dem, was wir hochschätzen, aber doch
(wegen des Bewußtseins unserer Schwächen) scheuen, verwandelt
sich, durch die mehrere Leichtigkeit, ihm Gnüge zu tun, die ehrfurchtsvolle
Scheu in Zuneigung, und Achtung in Liebe, wenigstens würde es die Vollendung
einer dem Gesetze gewidmeten Gesinnung sein, wenn es jemals einem Geschöpfe
möglich wäre, sie zu erreichen.
Tugend
ist moralische Gesinnung im Kampfe
Diese Betrachtung ist hier nicht so wohl dahin abgezweckt, das angeführte
evangelische Gebot auf deutliche Begriffe zu bringen, um der Religionsschwärmerei
in Ansehung der Liebe Gottes, sondern die sittliche Gesinnung,
auch unmittelbar in Ansehung der Pflichten gegen Menschen, genau zu bestimmen,
und einer bloß moralischen Schwärmerei,
welche viel Köpfe ansteckt, zu steuren, oder, wo möglich, vorzubeugen.
Die sittliche Stufe, worauf der Mensch (aller unserer
Einsicht nach auch jedes vernünftige Geschöpf) steht, ist Achtung
fürs moralische Gesetz. Die Gesinnung, die ihm, dieses zu befolgen, obliegt,
ist, es aus Pflicht, nicht aus freiwilliger Zuneigung und auch allenfalls unbefohlener
von selbst gern unternommener Bestrebung zu befolgen, und sein moralischer Zustand,
darin er jedesmal sein kann, ist Tugend,
d.i. moralische Gesinnung im Kampfe, und nicht
Heiligkeit im vermeinten Besitze
einer völligen Reinigkeit
der Gesinnungen des Willens. Es ist lauter moralische Schwärmerei
und Steigerung des Eigendünkels, wozu man die Gemüter durch Aufmunterung
zu Handlungen, als edler, erhabener und großmütiger, stimmt, dadurch
man sie in den Wahn versetzt, als wäre es nicht Pflicht, d.i. Achtung fürs
Gesetz, dessen Joch (das gleichwohl, weil es uns Vernunft
selbst auferlegt, sanft ist) sie, wenn gleich ungern, tragen
müßten,
was den Bestimmungsgrund ihrer Handlungen ausmachte, und welches sie immer noch
demütigt, indem sie es befolgen (ihm
gehorchen), sondern als ob jene Handlungen nicht aus Pflicht,
sondern als barer Verdienst von ihnen erwartet würde. Denn nicht allein,
daß sie durch Nachahmung solcher Taten, nämlich aus solchem Prinzip,
nicht im mindesten dem Geiste des Gesetzes ein Genüge getan hätten,
welcher in der dem Gesetze sich unterwerfenden Gesinnung, nicht in der Gesetzmäßigkeit
der Handlung (das Prinzip möge sein, welches auch
wolle), besteht, und die Triebfeder pathologisch
(in der Sympathie oder auch Philautie),
nicht moralisch (im Gesetze) setzen, so bringen
sie auf diese Art eine windige, überfliegende, phantastische Denkungsart
hervor, sich mit einer freiwilligen Gutartigkeit ihres Gemüts, das weder
Sporns noch Zügel bedürfe, für welches gar nicht einmal ein Gebot
nötig sei, zu schmeicheln, und darüber ihrer Schuldigkeit, an welche
sie doch eher denken sollten, als an Verdienst, zu vergessen. Es lassen sich
wohl Handlungen anderer, die mit großer Aufopferung, und zwar bloß
um der Pflicht willen, geschehen sind, unter dem Namen edler
und erhabener Taten preisen,
und doch auch nur so fern Spuren da sind, welche vermuten lassen, daß
sie ganz aus Achtung für seine Pflicht, nicht aus Herzensaufwallungen geschehen
sind. Will man jemanden aber sie als Beispiele der Nachfolge vorstellen, so
muß durchaus die Achtung für Pflicht (als das
einzige echte, moralische Gefühl) zur Triebfeder gebraucht werden:
diese ernste, heilige Vorschrift, die es nicht unserer eitelen Selbstliebe überläßt,
mit pathologischen Antrieben (so fern sie der Moralität
analogisch sind) zu tändeln, und uns auf verdienstlichen
Wert was zu Gute zu tun. Wenn wir nur wohl nachsuchen,
so werden wir zu allen Handlungen, die anpreisungswürdig sind, schon ein
Gesetz der Pflicht finden, welches gebietet
und nicht auf unser Belieben ankommen läßt, was unserem Hange gefällig
sein möchte. Das ist die einzige Darstellungsart, welche die Seele moralisch
bildet, weil sie allein fester und genau bestimmter Grundsätze fähig
ist.
Wenn Schwärmerei in
der allergemeinsten Bedeutung eine nach Grundsätzen unternommene Überschreitung
der Grenzen der menschlichen Vernunft ist, so ist moralische
Schwärmerei diese Überschreitung der Grenzen,
die die praktische reine Vernunft der Menschheit setzt, dadurch sie verbietet,
den subjektiven Bestimmungsgrund pflichtmäßiger Handlungen, d.i.
die moralische Triebfeder derselben, irgend worin anders, als im Gesetze selbst,
und die Gesinnung, die dadurch in die Maximen gebracht wird, irgend anderwärts,
als in der Achtung für dies Gesetz, zu setzen, mithin den alle
Arroganz sowohl als eitele Philautie
niederschlagenden Gedanken von Pflicht zum obersten
Lebensprinzip aller Moralität im Menschen zu machen
gebietet.
Wenn dem also ist, so haben nicht allein Romanschreiber, oder empfindelnde Erzieher
(ob sie gleich noch so sehr wider Empfindelei eifern),
sondern bisweilen selbst Philosophen, ja die strengsten unter allen,
die Stoiker, moralische Schwärmerei,
statt nüchterner, aber weiser Disziplin der Sitten, eingeführt, wenn
gleich die Schwärmerei der letzteren mehr heroisch, der ersteren von schaler
und schmelzender Beschaffenheit war, und man kann es, ohne zu heucheln, der
moralischen Lehre des Evangelii mit aller Wahrheit nachsagen: daß es zuerst,
durch die Reinigkeit des moralischen Prinzips, zugleich aber durch die Angemessenheit
desselben mit den Schranken endlicher Wesen, alles Wohlverhalten des Menschen
der Zucht einer ihnen vor Augen gelegten Pflicht, die sie nicht unter moralischen
geträumten Vollkommenheiten schwärmen läßt, unterworfen
und dem Eigendünkel sowohl als der Eigenliebe, die beide gerne ihre Grenzen
verkennen, Schranken der Demut (d.i. der Selbsterkenntnis)
gesetzt habe.
Erhabenheit
der Pflicht
Pflicht!
du erhabener großer Name, der du nichts
Beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern
Unterwerfung verlangst, doch auch nichts drohest, was natürliche Abneigung
im Gemüte erregte und schreckte, um den Willen zu bewegen, sondern bloß
ein Gesetz aufstellst, welches von selbst im Gemüte Eingang findet, und
doch sich selbst wider Willen Verehrung (wenn gleich nicht
immer Befolgung) erwirbt, vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie
gleich in Geheim ihm entgegen wirken, welches ist der deiner würdige Ursprung,
und wo findet man die Wurzel deiner edlen Abkunft, welche alle Verwandtschaft
mit Neigungen stolz ausschlägt, und von welcher Wurzel abzustammen die
unnachlaßliche Bedingung desjenigen Werts ist, den sich Menschen allein
selbst geben können?
Es kann nichts Minderes sein, als was den Menschen über sich selbst (als
einen Teil der Sinnenwelt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der Dinge
knüpft, die nur der Verstand denken kann, und die zugleich die ganze Sinnenwelt,
mit ihr das empirisch-bestimmbare Dasein des Menschen in der Zeit und das Ganze
aller Zwecke (welches allein solchen unbedingten praktischen
Gesetzen, als das moralische, angemessen ist) unter sich hat. Es ist
nichts anders als die Persönlichkeit,
d.i. die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanismus
der ganzen Natur, doch zugleich als ein Vermögen eines Wesens betrachtet,
welches eigentümlichen, nämlich von seiner eigenen Vernunft gegebenen
reinen praktischen Gesetzen, die Person also, als zur Sinnenwelt gehörig,
ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen ist, so fern sie zugleich zur
intelligibelen
Welt gehört; da es denn nicht zu verwundern ist, wenn der Mensch, als zu
beiden Welten gehörig, sein eigenes Wesen, in Beziehung auf seine zweite
und höchste Bestimmung,
nicht anders, als mit Verehrung und die Gesetze derselben mit der höchsten
Achtung betrachten muß.
Auf diesen Ursprung gründen sich nun manche Ausdrücke, welche den
Wert der Gegenstände nach moralischen Ideen bezeichnen. Das moralische
Gesetz ist heilig
(unverletzlich). Der Mensch ist zwar unheilig
genug, aber die Menschheit
in seiner Person muß ihm heilig sein. In der ganzen Schöpfung
kann alles, was man will, und worüber man etwas vermag, auch bloß
als Mittel gebraucht werden;
nur der Mensch, und mit ihm jedes vernünftige Geschöpf, ist
Zweck an sich selbst. Er ist nämlich das
Subjekt des moralischen Gesetzes, welches heilig ist, vermöge der Autonomie
seiner Freiheit. Eben um dieser willen ist jeder Wille, selbst jeder Person
ihr eigener, auf sie selbst gerichteter Wille, auf die Bedingung der Einstimmung
mit der Autonomie des vernünftigen Wesens eingeschränkt, es nämlich
keiner Absicht zu unterwerfen, die nicht nach einem Gesetze, welches aus dem
Willen des leidenden Subjekts selbst entspringen könnte, möglich
ist; also dieses niemals bloß als Mittel,
sondern zugleich selbst als Zweck
zu gebrauchen. Diese Bedingung legen wir mit Recht sogar dem göttlichen
Willen, in Ansehung der vernünftigen Wesen in der Welt,
als seiner Geschöpfe, bei, indem sie auf der
Persönlichkeit derselben beruht, dadurch allein sie
Zwecke an sich selbst sind.
Diese Achtung erweckende Idee der Persönlichkeit, welche uns die Erhabenheit
unserer Natur (ihrer Bestimmung nach) vor Augen
stellt, indem sie uns zugleich den Mangel der Angemessenheit unseres Verhaltens
in Ansehung derselben bemerken läßt, und dadurch den Eigendünkel
niederschlägt, ist selbst der gemeinsten Menschenvernunft natürlich
und leicht bemerklich. Hat nicht jeder auch nur mittelmäßig ehrlicher
Mann bisweilen gefunden, daß er eine sonst unschädliche Lüge,
dadurch er sich entweder selbst aus einem verdrießlichen Handel ziehen,
oder wohl gar einem geliebten und verdienstvollen Freunde Nutzen schaffen konnte,
bloß darum unterließ, um sich in Geheim in seinen eigenen Augen
nicht verachten zu dürfen? Hält nicht einen rechtschaffenen Mann im
größten Unglücke des Lebens, das er vermeiden konnte, wenn er
sich nur hätte über die Pflicht wegsetzen können, noch das Bewußtsein
aufrecht, daß er die Menschheit in seiner Person doch in ihrer Würde
erhalten und geehrt habe, daß er sich nicht vor sich selbst zu schämen
und den inneren Anblick der Selbstprüfung zu scheuen Ursache habe? Dieser
Trost ist nicht Glückseligkeit, auch nicht der mindeste Teil derselben.
Denn niemand wird sich die Gelegenheit dazu, auch vielleicht nicht einmal ein
Leben in solchen Umständen wünschen. Aber er lebt, und kann es nicht
erdulden, in seinen eigenen Augen des Lebens unwürdig zu sein. Diese innere
Beruhigung ist also bloß negativ, in Ansehung alles dessen, was das Leben
angenehm machen mag; nämlich sie ist die Abhaltung der Gefahr, im persönlichen
Werte zu sinken, nachdem der seines Zustandes von ihm schon gänzlich aufgegeben
worden. Sie ist die Wirkung von einer Achtung für etwas ganz anderes, als
das Leben, womit in Vergleichung und Entgegensetzung das Leben vielmehr, mit
aller seiner Annehmlichkeit, gar keinen Wert hat. Er lebt nur noch aus Pflicht,
nicht weil er am Leben den mindesten Geschmack findet.
Die
echte Triebfeder der praktischen Vernunft ist das moralische Gesetz
So ist die echte Triebfeder
der reinen praktischen Vernunft beschaffen; sie ist keine andere,
als das reine moralische Gesetz selber, so fern es uns die
Erhabenheit unserer eigenen übersinnlichen Existenz spüren
läßt, und subjektiv, in Menschen, die sich zugleich ihres sinnlichen
Daseins und der damit verbundenen Abhängigkeit von ihrer so fern sehr pathologisch
affizierten Natur bewußt sind, Achtung für ihre höhere
Bestimmung wirkt. Nun lassen sich mit dieser Triebfeder gar wohl so viele Reize
und Annehmlichkeiten des Lebens verbinden, daß auch um dieser willen allein
schon die klügste Wahl eines vernünftigen und über das größte
Wohl des Lebens nachdenkenden Epikureers sich für
das sittliche Wohlverhalten erklären würde, und es kann auch ratsam
sein, diese Aussicht auf einen fröhlichen Genuß des Lebens mit jener
obersten und schon für sich allein hinlänglich-bestimmenden Bewegursache
zu verbinden; aber nur um den Anlockungen, die das Laster auf der Gegenseite
vorzuspiegeln nicht ermangelt, das Gegengewicht zu halten, nicht um hierin die
eigentliche bewegende Kraft, auch nicht dem mindesten Teile nach, zu setzen,
wenn von Pflicht die Rede ist. Denn das würde so viel sein, als die moralische
Gesinnung in ihrer Quelle verunreinigen wollen. Die Ehrwürdigkeit der Pflicht
hat nichts mit Lebensgenuß zu schaffen; sie hat ihr eigentümliches
Gesetz, auch ihr eigentümliches Gericht, und wenn man auch beide noch so
sehr zusammenschütteln wollte, um sie vermischt, gleichsam als Arzeneimittel,
der kranken Seele zuzureichen, so scheiden sie sich doch alsbald von selbst,
und, tun sie es nicht, so wirkt das erste gar nicht, wenn aber auch das physische
Leben hiebei einige Kraft gewönne, so würde doch das moralische ohne
Rettung dahin schwinden. S. 84-105
Aus: Immanuel Kant, Kritik der
praktischen Vernunft , Philosophische Bibliothek Band 38, Felix Meiner Verlag,
Hamburg
Moralische
Grundlagen des allgemeinen
Rechtsgesetzes
Allgemeines
Prinzip des Rechts Das Recht ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden |
Striktes Recht als wechselseitiger Zwang |
Allgemeines
Prinzip des Rechts. (
§ C.)
»Eine jede Handlung ist recht,
die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns
Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.«
Wenn also meine Handlung oder überhaupt mein Zustand mir der Freiheit von
jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, so tut der
mir unrecht, der mich daran hindert; denn dieses Hindernis
(dieser Widerstand) kann mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen nicht
bestehen.
Es folgt hieraus auch: daß nicht verlangt werden kann, daß dieses
Prinzip aller Maximen selbst wiederum meine Maxime sei, d. i. daß ich
es mir zur Maxime
meiner Handlung mache; denn ein jeder kann frei sein, obgleich seine
Freiheit mir gänzlich indifferent wäre, oder ich im Herzen derselben
gerne Abbruch tun möchte, wenn ich nur durch meine äußere
Handlung ihr nicht Eintrag
tue. Das Rechthandeln mir zur Maxime zu machen, ist eine Forderung, die die
Ethik an mich tut.
Also ist das allgemeine Rechtsgesetz: Handle äußerlich so, daß
der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem
allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne, zwar ein Gesetz, welches mir
eine Verbindlichkeit auferlegt, aber ganz und gar nicht erwartet, noch weniger
fordert, daß ich ganz um dieser Verbindlichkeit willen meine Freiheit
auf jene Bedingungen selbst einschränken solle; sondern die Vernunft sagt
nur, daß sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt sei und von anderen
auch tätlich eingeschränkt werden dürfe; und dieses sagt sie
als ein Postulat, welches gar keines Beweises weiter fähig ist. —
Wenn die Absicht nicht ist, Tugend zu lehren, sondern nur, was recht sei, vorzutragen,
so darf und soll man selbst nicht jenes Rechtsgesetz als Triebfeder der Handlung
vorstellig machen.Das
Recht ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden.
( § D.)
Der Widerstand, der dem Hindernisse einer Wirkung entgegengesetzt wird, ist
eine Beförderung dieser Wirkung und stimmt mit ihr zusammen. Nun ist alles,
was unrecht ist, ein Hindernis der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen; der Zwang
aber ist ein Hindernis oder Widerstand, der der Freiheit geschieht. Folglich:
wenn ein gewisser Gebrauch der Freiheit selbst ein Hindernis der Freiheit nach
allgemeinen Gesetzen (d. i. unrecht) ist, so ist
der Zwang, der diesem entgegengesetzt wird, als Verhinderung
eines Hindernisses
der Freiheit mit der
Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmend, d. i. recht; mithin ist
mit dem Rechte zugleich eine Befugnis, den, der ihm Abbruch tut, zu zwingen,
nach dem Satze
des Widerspruchs verknüpft. Das
strikte Recht kann auch als die Möglichkeit eines mit jedermanns
Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmenden durchgängigen wechselseitigen
Zwanges vorgestellt werden. (
§ E.)
Dieser Satz will soviel sagen als: das Recht darf nicht als aus zwei Stücken,
nämlich der Verbindlichkeit nach einem Gesetze und der Befugnis dessen,
der durch seine Willkür
den anderen verbindet, diesen dazu zu zwingen, zusammengesetzt gedacht werden,
sondern man kann den Begriff des Rechts in der Möglichkeit der
Verknüpfung des allgemeinen wechselseitigen Zwanges mit jedermanns Freiheit
unmittelbar setzen. Sowie nämlich das Recht überhaupt nur das
zum Objekte hat, was in Handlungen äußerlich ist, so ist das strikte
Recht, nämlich das, dem nichts Ethisches beigemischt ist, dasjenige, welches
keine anderen Bestimmungsgründe der Willkür als bloß die äußeren
fordert; denn alsdann ist es rein und mit keinen Tugendvorschriften vermengt.
Ein striktes (enges)
Recht kann man also nur das völlig äußere nennen. Dieses gründet
sich nun zwar auf das Bewußtsein der Verbindlichkeit eines jeden nach
dem Gesetze; aber die Willkür danach zu bestimmen, darf und kann es, wenn
es rein sein soll, sich auf dieses Bewußtsein als Triebfeder nicht berufen,
sondern fußt sich deshalb auf dem Prinzip der Möglichkeit eines äußeren
Zwanges, der mit der Freiheit von jedermann nach allgemeinen Gesetzen zusammen
bestehen kann. — Wenn also gesagt wird: ein Gläubiger hat ein Recht,
von dem Schuldner die Bezahlung seiner Schuld zu fordern, so bedeutet das nicht:
er kann ihm zu Gemüte führen, daß ihn seine Vernunft selbst
zu dieser Leistung verbinde; sondern ein Zwang, der jedermann nötigt, dieses
zu tun, kann gar wohl mit jedermanns Freiheit, also auch mit der seinigen, nach
einem allgemeinen äußeren Gesetze zusammen bestehen: Recht
und Befugnis zu zwingen bedeuten also einerlei.
Das Gesetz eines mit jedermanns Freiheit notwendig zusammenstimmenden
wechselseitigen Zwanges unter dem Prinzip der allgemeinen Freiheit, ist
gleichsam die Konstruktion
jenes Begriffs, d. i. Darstellung desselben in einer reinen Anschauung a
priori, nach
der Analogie der Möglichkeit freier Bewegungen der Körper unter dem
Gesetze der Gleichheit
der Wirkung
und Gegenwirkung.
Sowie wir nun in der reinen Mathematik
die Eigenschaften ihres Objekts nicht unmittelbar vom Begriffe ableiten, sondern
nur durch die Konstruktion des Begriffs entdecken können, so ist‘s
nicht sowohl der Begriff des
Rechts als vielmehr der unter allgemeine Gesetze gebrachte, mit ihm zusammenstimmende,
durchgängig wechselseitige und gleiche Zwang, der die Darstellung jenes
Begriffs möglich macht. Dieweil aber diesem dynamischen Begriffe noch ein
bloß formaler in der reinen Mathematik
(z. B. der Geometrie) zum Grunde liegt: so hat die Vernunft dafür
gesorgt, den Verstand auch mit Anschauungen a priori zum Behuf der Konstruktion
des Rechtsbegriffs soviel möglich zu versorgen. Das Rechte (rectum)
wird als das Gerade
teils dem Krummen
teils dem Schiefen entgegengesetzt.
Das erste ist die innere Beschaffenheit
einer Linie von der Art, daß es zwischen zweien gegebenen Punkten
nur eine einzige,
das zweite aber die Lage
zweier einander durchschneidenden oder zusammenstoßenden Linien,
von deren Art es auch nur eine einzige (die senkrechte)
geben kann, die sich nicht mehr nach einer Seite als der anderen hinneigt, und
die den Raum von beiden Seiten gleich abteilt, nach welcher Analogie
auch die Rechtslehre das Seine einem jeden (mit mathematischer
Genauigkeit) bestimmt wissen will, welches in der Tugendlehre
nicht erwartet werden darf, als welche einen gewissen Raum zu Ausnahmen
(latitudinem) nicht verweigern kann. —
Aber, ohne ins Gebiet der Ethik
einzugreifen, gibt es zwei Fälle, die auf Rechtsentscheidung Anspruch machen,
für die aber keiner, der sie entscheide, ausgefunden werden kann, und die
gleichsam in Epikurs intermundia
hingehören. — Diese müssen wir zuvörderst aus der
eigentlichen Rechtslehre, zu der wir bald schreiten wollen, aussondern, damit
ihre schwankenden Prinzipien nicht auf die festen Grundsätze der erstern
Einfluß bekommen. (S.67-70)
Aus: Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten . Mit
einer Einleitung herausgegeben von Hans Ebeling Reclams Universalbibliothek
Nr. 4508. © 1990 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Über die Lüge
Über
ein vermeintliches Recht aus Menschenliebe zu lügen
In der Schrift: Frankreich im Jahr
1797, Sechstes Stück, Nr. I: Von den politischen Gegenwirkungen,
von Benjamin Constant, ist Folgendes S.
123 enthalten.
»Der sittliche Grundsatz: es sei eine Pflicht, die
Wahrheit zu sagen, würde, wenn man ihn unbedingt und vereinzelt nähme,
jede Gesellschaft zur Unmöglichkeit machen. Den Beweis davon haben wir
in den sehr unmittelbaren Folgerungen, die ein deutscher Philosoph [Kant]
aus diesem Grundsatze gezogen hat, der so weit geht zu behaupten: daß
die Lüge gegen einen Mörder, der uns fragte, ob unser von ihm verfolgter
Freund sich nicht in unser Haus geflüchtet, ein Verbrechen sein würde.«Der französische Philosoph widerlegt S. 124 diesen Grundsatz
auf folgende Art.
»Es ist eine Pflicht, die Wahrheit zu sagen. Der
Begriff von Pflicht ist unzertrennbar von dem Begriff des Rechts. Eine Pflicht
ist, was bei einem Wesen den Rechten eines anderen entspricht. Da, wo es keine
Rechte gibt, gibt es keine Pflichten. Die Wahrheit zu sagen, ist also eine Pflicht;
aber nur gegen denjenigen, welcher ein Recht auf die Wahrheit hat. Kein Mensch
aber hat Recht auf eine Wahrheit, die anderen schadet.«
Das prôton pseudos liegt hier in dem Satze: »Die
Wahrheit zu sagen ist eine Pflicht, aber nur gegen denjenigen, welcher ein Recht
auf die Wahrheit hat«.
Zuerst ist anzumerken, daß der Ausdruck: ein Recht auf die Wahrheit haben,
ein Wort ohne Sinn ist. Man muß vielmehr sagen: der Mensch habe ein Recht
auf seine eigene Wahrhaftigkeit (veracitas),
d.i. auf die subjektive Wahrheit in seiner Person. Denn objektiv auf eine Wahrheit
ein Recht haben, würde soviel sagen als: es komme, wie überhaupt beim
Mein und Dein, auf seinen Willen an, ob ein gegebener
Satz wahr oder falsch sein solle; welches dann eine seltsame Logik abgeben würde.
Nun ist die erste Frage: ob der Mensch, in Fällen,
wo er einer Beantwortung mit Ja oder Nein nicht ausweichen kann, die Befugnis
(das Recht) habe, unwahrhaft zu sein. Die zweite Frage
ist: ob er nicht gar verbunden sei, in einer gewissen Aussage, wozu ihn ein
ungerechter Zwang nötigt, unwahrhaft zu sein, um eine ihn bedrohende Missetat
an sich oder einem anderen zu verhüten.
Wahrhaftigkeit in Aussagen, die man nicht umgehen kann, ist formale Pflicht
des Menschen gegen jeden, es mag ihm oder einem andern daraus auch noch so großer
Nachteil erwachsen; und, ob ich zwar dem, welcher mich ungerechter weise zur
Aussage nötigt, nicht Unrecht tue, wenn ich sie verfälsche, so tue
ich doch durch eine solche Verfälschung, die darum auch (obzwar nicht im
Sinn des Juristen) Lüge genannt werden kann, im wesentlichsten Stücke
der Pflicht überhaupt Unrecht: d.i. ich mache,
so viel an mir ist, daß Aussagen (Deklarationen) überhaupt keinen
Glauben finden, mithin auch alle Rechte, die auf Verträgen gegründet
werden, wegfallen und ihre Kraft einbüßen; welches ein Unrecht ist,
das der Menschheit überhaupt zugefügt wird.
Die Lüge also, bloß als vorsätzlich unwahre Deklaration gegen
einen andern Menschen definiert, bedarf nicht des Zusatzes, daß sie einem
anderen schaden müsse; wie die Juristen es zu ihrer Definition verlangen
(mendacium est falsiloquium in praeiudicium alterius). Denn sie schadet
jederzeit einem anderen, wenn gleich nicht einem andern Menschen, doch der Menschheit
überhaupt, indem sie die Rechtsquelle unbrauchbar macht.
Diese gutmütige Lüge kann aber auch durch einen Zufall (casus)
strafbar werden, nach bürgerlichen Gesetzen; was aber bloß durch
den Zufall der Straffälligkeit entgeht, kann auch nach äußeren
Gesetzen als Unrecht abgeurteilt werden. Hast du nämlich einen eben jetzt
mit Mordsucht Umgehenden durch eine Lüge an
der Tat verhindert, so bist du für alle Folgen, die daraus entspringen
möchten, auf rechtliche Art verantwortlich. Bist du aber strenge bei der
Wahrheit geblieben, so kann dir die öffentliche Gerechtigkeit nichts anhaben;
die unvorhergesehene Folge mag sein welche sie wolle. Es ist doch möglich,
daß, nachdem du dem Mörder, auf die Frage, ob der von ihm Angefeindete
zu Hause sei, ehrlicherweise mit Ja geantwortet hast, dieser doch unbemerkt
ausgegangen ist, und so dem Mörder nicht in den Wurf gekommen, die Tat
also nicht geschehen wäre; hast du aber gelogen, und gesagt, er sei nicht
zu Hause, und er ist auch wirklich (obzwar dir unbewußt) ausgegangen,
wo denn der Mörder ihm im Weggehen begegnete und seine Tat an ihm verübte:
so kannst du mit Recht als Urheber des Todes desselben angeklagt werden. Denn
hättest du die Wahrheit, so gut du sie wußtest, gesagt: so wäre
vielleicht der Mörder über dem Nachsuchen seines Feindes im Hause
von herbeigelaufenen Nachbarn ergriffen, und die Tat verhindert worden. Wer
also lügt, so gutmütig er dabei auch gesinnt sein mag, muß die
Folgen davon, selbst vor dem bürgerlichen Gerichtshofe, verantworten und
dafür büßen: so unvorhergesehen sie auch immer sein mögen;
weil Wahrhaftigkeit eine Pflicht ist, die als die Basis aller auf Vertrag zu
gründenden Pflichten angesehn werden muß, deren Gesetz, wenn man
ihr auch nur die geringste Ausnahme einräumt, schwankend und unnütz
gemacht wird.
Es ist also ein heiliges, unbedingt gebietendes, durch
keine Konvenienzen einzuschränkendes Vernunftgebot; in allen Erklärungen
wahrhaft (ehrlich) zu sein.
Wohldenkend und zugleich richtig ist hiebei Hrn. Constants Anmerkung über
die Verschreiung solcher strenger und sich vorgeblich in unausführbare
Ideen verlierender, hiemit aber verwerflicher Grundsätze. -
»Jedesmal (sagt er S. 123 unten) wenn
ein als wahr bewiesener Grundsatz unanwendbar scheint, so kommt es daher, daß
wir den mittlern Grundsatz nicht kennen, der das Mittel der Anwendung
enthält.« Er führt (S. 121) die Lehre von der Gleichheit
als den ersten die gesellschaftliche Kette bildenden Ring an:
»Daß (S. 122) nämlich
kein Mensch anders als durch solche Gesetze gebunden werden kann, zu deren Bildung
er mit beigetragen hat. In einer sehr ins Enge zusammengezogenen Gesellschaft
kann dieser Grundsatz auf unmittelbare Weise angewendet werden, und bedarf,
um ein gewöhnlicher zu werden, keines mittleren Grundsatzes. Aber in einer
sehr zahlreichen Gesellschaft muß man einen neuen Grundsatz zu demjenigen
noch hinzufügen, den wir hier anführen. Dieser mittlere Grundsatz
ist: daß die einzelnen zur Bildung der Gesetze entweder in eigener Person
oder durch Stellvertreter beitragen können. Wer den ersten Grundsatz
auf eine zahlreiche Gesellschaft anwenden wollte, ohne den mittleren dazu zu
nehmen, würde un-
fehlbar ihr Verderben zuwege bringen. Allein dieser Umstand, der nur von der
Unwissenheit oder Ungeschicklichkeit des Gesetzgebers zeugte, würde nichts
gegen den Grundsatz beweisen.« - Er beschließt S. 125 hiemit:
»Ein als wahr anerkannter Grundsatz muß also
niemal verlassen werden: wie anscheinend auch Gefahr dabei sich befindet«.
(Und doch hatte der gute Mann den unbedingten Grundsatz der Wahrhaftigkeit,
wegen der Gefahr, die er für die Gesellschaft bei sich führe, selbst
verlassen; weil er keinen mittleren Grundsatz entdecken konnte, der diese Gefahr
zu verhüten diente, und hier auch wirklich keiner einzuschieben ist.)
Wenn man die Namen der Personen, sowie sie hier aufgeführt werden, beibehalten
will: so verwechselte »der französische Philosoph« die Handlung,
wodurch jemand einem anderen schadet (nocet), indem er die Wahrheit,
deren Geständnis er nicht umgehen kann, sagt, mit derjenigen, wodurch er
diesem Unrecht tut (laedit). Es war bloß
ein Zufall (casus), daß die Wahrhaftigkeit
der Aussage dem Einwohner des Hauses schadete, nicht eine freie Tat (in juridischer
Bedeutung). Denn aus seinem Rechte, von einem anderen zu fordern, daß
er ihm zum Vorteil lügen solle, würde ein aller Gesetzmäßigkeit
widerstreitender Anspruch folgen. Jeder Mensch aber hat
nicht allein ein Recht, sondern sogar die strengste Pflicht zur Wahr-haftigkeit
in Aussagen, die er nicht umgehen kann: sie mag nun ihm selbst oder andern schaden.
Er selbst tut also hiemit dem, der dadurch
leidet, eigentlich nicht Schaden, sondern diesen verursacht
der Zufall. Denn jener ist hierin gar nicht frei, um zu wählen; weil die
Wahrhaftigkeit (wenn er einmal sprechen muß) unbedingte Pflicht ist. -
Der »deutsche Philosoph« wird also den Satz (S. 124): »Die
Wahrheit zu sagen ist eine Pflicht, aber nur gegen denjenigen, welcher ein
Recht auf die Wahrheit hat«, nicht zu seinem Grundsatze annehmen:
erstlich wegen der undeutlichen Formel desselben, indem Wahrheit kein Besitztum
ist, auf welchen dem einen das Recht verwilligt, anderen aber verweigert werden
könne; dann aber vornehmlich, weil die Pflicht der Wahrhaftigkeit (als
von welcher hier allein die Rede ist) keinen Unterschied zwischen Personen macht,
gegen die man diese Pflicht haben, oder gegen die man sich auch von ihr lossagenkönne,
sondern weil es unbedingte Pflicht ist, die in
allen Verhältnissen gilt.
Um nun von einer Metaphysik des Rechts (welche
von allen Erfahrungsbedingungen abstrahiert) zu einem Grundsatze der
Politik (welcher diese Begriffe auf Erfahrungsfälle anwendet), und
vermittelst dieses zur Auflösung einer Aufgabe der letzteren, dem allgemeinen
Rechtsprinzip gemäß, zu gelangen: wird der Philosoph [Kant]
1) ein Axiom, d.i. einen apodiktisch-gewissen Satz, der unmittelbar aus der
Definition des äußern Rechts (Zusammenstimmung
der Freiheit eines jeden mit der Freiheit von jedermann nach einem
allgemeinen Gesetze) hervorgeht,
2) ein Postulat (des äußeren
öffentlichen Gesetzes, als vereinigten Willens aller nach dem
Prinzip der Gleichheit, ohne welche keine Freiheit von jedermann Statt
haben würde),
3) ein Problem geben, wie es anzustellen sei, daß in einer noch so großen
Gesellschaft dennoch Eintracht nach Prinzipien der Freiheit und Gleichheit erhalten
werde (nämlich vermittelst eines repräsentativen Systems); welches
dann ein Grundsatz der Politik sein wird, deren
Veranstaltung und Anordnung nun Dekrete enthalten wird, die, aus der Erfahrungserkenntnis
der Menschen gezogen, nur den Mechanismus der Rechtsverwaltung, und wie dieser
zweckmäßig einzurichten sei, beabsichtigen. - -
Das Recht muß nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Recht
angepaßt werden.
»Ein als wahr anerkannter (ich setze hinzu: a priori anerkannter,
mithin apodiktischer) Grundsatz muß niemal verlassen
werden, wie anscheinend auch Gefahr sich dabei befindet«, sagt
der Verfasser. Nur muß man hier nicht die Gefahr (zufälligerweise)
zu schaden, sondern überhaupt Unrecht zu tun verstehen:
welches geschehen würde, wenn ich die Pflicht der Wahrhaftigkeit, die gänzlich
unbedingt ist und in Aussagen die oberste rechtliche Bedingung ausmacht, zu
einer bedingten und noch andern Rücksichten untergeordneten mache; und,
obgleich ich durch eine gewisse Lüge in der Tat niemanden Unrecht tue,
doch das Prinzip des Rechts in Ansehung aller unumgänglich notwendigen
Aussagen überhaupt verletze (formaliter, obgleich nicht materialiter, Unrecht
tue): welches viel schlimmer ist als gegen irgend jemanden eine Ungerechtigkeit
begehn, weil eine solche Tat nicht eben immer einen Grundsatz dazu im Subjekte
voraussetzt.
Der, welcher die Anfrage, die ein anderer an ihn ergehen läßt: ob
er in seiner Aussage, die er jetzt tun soll, wahrhaft sein wolle oder nicht?
nicht schon mit Unwillen über den gegen ihn hiemit geäußerten
Verdacht, er möge auch wohl ein Lügner sein, aufnimmt, sondern sich
die Erlaubnis ausbittet, sich erst auf mögliche Ausnahmen zu besinnen,
ist schon ein Lügner (in potentia);
weil er zeigt, daß er die Wahrhaftigkeit nicht für Pflicht an sich
selbst anerkenne, sondern sich Ausnahmen vorhält von einer Regel, die ihrem
Wesen nach keiner Ausnahme fähig ist, weil sie sich in dieser geradezu
selbst widerspricht.
Alle rechtlich-praktische Grundsätze müssen strenge Wahrheit enthalten,
und die hier sogenannten mittleren können nur die nähere Bestimmung
ihrer Anwendung auf vorkommende Fälle (nach Regeln
der Politik), aber niemal Ausnahmen von jenen enthalten; weil diese die
Allgemeinheit vernichten, derentwegen allein sie den Namen der Grundsätze
führen.
Königsberg. I. Kant.
Aus: Immanuel Kant: Über ein vermeintes Recht
aus Menschenliebe zu lügen. S. 2-11 Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie
von Platon bis Nietzsche
Veröffentlichung auf Philo-Website mit freundlicher Erlaubnis des Verlages
der Directmedia Publishing GmbH, Berlin
Das Gebot der Wahrheit verbietet auch die Notlüge
Die Frage sei z.B.: darf ich, wenn ich im Gedränge bin, nicht ein Versprechen
tun, in der Absicht, es nicht zu halten? Ich mache hier leicht den Unterschied,
den die Bedeutung der Frage haben kann, ob es klüglich, oder ob es pflichtmäßig
sei, ein falsches Versprechen zu tun. Das erstere kann ohne Zweifel öfters
stattfinden. Zwar sehe ich wohl, daß es nicht genug sei, mich vermittelst
dieser Ausflucht aus einer gegenwärtigen Verlegenheit zu ziehen, sondern
wohl überlegt werden müsse, ob mir aus dieser
Lüge nicht hinterher viel größere Ungelegenheit entspringen
könne, als die sind, von denen ich mich jetzt befreie, und, da die Folgen
bei aller meiner vermeinten Schlauigkeit nicht
so leicht vorauszusehen sind, daß nicht ein einmal verlorenes Zutrauen
mir weit nachteiliger werden könnte, als alles Übel, das ich jetzt
zu vermeiden gedenke, ob es nicht klüglicher
gehandelt sei, hiebei nach einer allgemeinen Maxime zu verfahren, und
es sich zur Gewohnheit zu machen, nichts zu versprechen, als in der Absicht,
es zu halten. Allein es leuchtet mir hier bald ein, daß eine solche Maxime
doch immer nur die besorglichen Folgen zum Grunde habe. Nun ist es doch etwas
ganz anderes, aus Pflicht wahrhaft zu sein, als aus Besorgnis der nachteiligen
Folgen; indem, im ersten Falle, der Begriff der Handlung an sich selbst schon
ein Gesetz für mich enthält, im zweiten ich mich allererst anderwärtsher
umsehen muß, welche Wirkungen für mich wohl damit verbunden sein
möchten. Denn, wenn ich von dem Prinzip der Pflicht abweiche, so ist es
ganz gewiß böse; werde ich aber meiner Maxime der Klugheit abtrünnig,
so kann das mir doch manchmal sehr vorteilhaft sein, wiewohl es freilich sicherer
ist, bei ihr zu bleiben. Um indessen mich in Ansehung der Beantwortung dieser
Aufgabe, ob ein lügenhaftes Versprechen pflichtmäßig sei, auf
die allerkürzeste und doch untrügliche Art zu belehren, so frage ich
mich selbst: würde ich wohl damit zufrieden sein, daß meine Maxime
(mich durch ein unwahres Versprechen aus Verlegenheit zu ziehen) als
ein allgemeines Gesetz (sowohl für mich als andere)
gelten solle, und würde ich wohl zu mir sagen können: es
mag jedermann ein unwahres Versprechen tun, wenn er sich in Verlegenheit befindet,
daraus er sich auf andere Art nicht ziehen kann? So werde ich bald inne, daß
ich zwar die Lüge, aber ein
allgemeines Gesetz zu lügen gar nicht wollen könne;
denn nach einem solchen würde es eigentlich gar kein Versprechen geben,
weil es vergeblich wäre, meinen Willen in Ansehung meiner künftigen
Handlungen andern vorzugeben, die diesem Vorgeben doch nicht glauben, oder,
wenn sie es übereilter Weise täten, mich doch mit gleicher Münze
bezahlen würden, mithin meine
Maxime, so bald sie zum allgemeinen Gesetze gemacht würde, sich selbst
zerstören müsse. S. 41f.
Aus: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der
Sitten Herausgegeben von Theodor Valentiner, Einleitung von Hans Ebeling Reclams
Universalbibliothek Nr. 4507 © 1961, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Die
Lüge ist der eigentliche faule Fleck
Es kann sein, daß nicht alles wahr ist, was ein Mensch dafür hält
(denn er kann irren); aber in
allem was er sagt, muß er wahrhaft sein
(er soll nicht täuschen):
es mag nun sein, daß sein Bekenntnis bloß innerlich
(vor Gott) oder auch ein äußeres sei. — Die Übertretung
dieser Pflicht der Wahrhaftigkeit heißt die
Lüge; weshalb es äußere aber auch eine innere
Lüge geben kann: so daß beide zusammen vereinigt, oder auch einander
widersprechend, sich ereignen können.
Eine Lüge aber, sie mag innerlich
oder äußerlich sein, ist zwiefacher Art:
1) wenn
man das für wahr ausgibt, dessen man sich doch als unwahr bewußt
ist,
2) wenn man etwas für gewiß
ausgibt, wovon man sich doch bewußt ist, subjektiv ungewiß zu sein.
Die Lüge
(»vom Vater
der Lügen, durch den alles
Böse in
die Welt gekommen ist«) ist
der eigentliche faule Fleck in der menschlichen Natur; so sehr auch zugleich
der Ton der Wahrhaftigkeit (nach,
dem Beispiel mancher chinesischen Krämer, die über ihre Laden die
Aufschrift mit goldenen Buchstaben setzen: »allhier betrügt man nicht«),
vornehmlich in dem was das Ubersinnliche betrifft, der gewöhnliche
Ton ist. — Das Gebot: du sollst
(und wenn es auch in der frömmsten
Absicht wäre) nicht lügen,
zum Grundsatz in die Philosophie als eine Weisheitslehre innigst aufgenommen,
würde allein den ewigen Frieden in ihr nicht nur bewirken, sondern auch
in alle Zukunft sichern können.
Königsberg. I. Kant. S. 415f.
Aus: Immanuel Kant: Schriften zur Metaphysik und Logik 2, Verkündigung
des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie.
Werkausgabe Band VI.
Herausgegeben von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft stw 189Das
Gewissen
Das Gewissen ist ein Bewußtsein, das für
sich selbst Pflicht ist. Wie ist es aber möglich,
sich ein solches zu denken,
da das Bewußtsein
aller unserer Vorstellungen nur in logischer Absicht, mithin bloß bedingter
Weise, wenn wir unsere Vorstellung
klar machen wollen, notwendig zu sein scheint, mithin nicht unbedingt Pflicht
sein kann?
Es ist ein moralischer Grundsatz,
der keines Beweises
bedarf: man soll nichts auf die Gefahr
wagen, daß es unrecht sei (quod
dubitas, ne feceris! Plin.).
[Was du für zweifelhaft hältst, das tue nicht].
Das Bewußtsein also, daß
eine Handlung,
die ich unternehmen will, recht
sei, ist unbedingte Pflicht. Ob eine Handlung überhaupt recht oder unrecht
sei, darüber urteilt der Verstand,
nicht das Gewissen.
Es ist auch nicht schlechthin notwendig, von allen möglichen Handlungen
zu wissen, ob sie recht oder unrecht sind. Aber von der, die ich unternehmen
will, muß ich nicht allein urteilen, und meinen, sondern auch gewiß
sein, daß sie nicht unrecht sei, und diese Forderung ist ein Postulat
des Gewissens, welchem der Probabilismus,
d.i. der Grundsatz entgegengesetzt ist: daß die bloße Meinung, eine
Handlung könne wohl recht sein, schon hinreichend sei, sie zu unternehmen.
-
Man könnte das Gewissen auch
so definieren: es ist die sich selbst richtende
moralische Urteilskraft;
nur würde diese Definition
noch einer vorhergehenden Erklärung der darin enthaltenen Begriffe gar
sehr bedürfen. Das Gewissen richtet nicht
die Handlungen als Kasus, die unter dem Gesetz
stehen; denn das tut die Vernunft,
so fern sie subjektiv-praktisch ist (daher die casus conscientiae
und die Kasuistik, als eine Art von Dialektik des Gewissens): sondern
hier richtet die Vernunft sich selbst, ob sie auch wirklich jene Beurteilung
der Handlungen mit aller Behutsamkeit (ob sie recht oder
unrecht sind) übernommen habe, und stellt den Menschen, wider
oder für sich selbst, zum
Zeugen auf, daß dieses geschehen, oder nicht geschehen sei.
Man nehme z.B. einen Ketzerrichter an, der an der Alleinigkeit seines statutarischen
Glaubens, bis allenfalls
zum Märtyrertume, fest hängt, und der einen des Unglaubens verklagten
sogenannten Ketzer (sonst guten Bürger) zu
richten hat, und nun frage ich: ob, wenn er ihn zum Tode verurteilt, man sagen
könne, er habe seinem (obzwar irrenden) Gewissen
gemäß gerichtet, oder ob man ihm vielmehr schlechthin Gewissenlosigkeit
schuld geben könne? er mag geirret oder mit Bewußtsein
unrecht getan haben, weil man es ihm auf den Kopf zusagen kann, daß er
in einem solchen Falle nie ganz gewiß
sein konnte, er tue hierunter nicht völlig unrecht.
Er war zwar vermutlich des festen Glaubens, daß ein übernatürlich-geoffenbarter
göttlicher Wille
(vielleicht nach dem Spruch:
compellite intrare) [zwingt sie zum
Eintritt] es ihm erlaubt, wo nicht gar zur Pflicht macht, den vermeinten
Unglauben zusamt den Ungläubigen auszurotten. Aber war er denn wirklich
von einer solchen geoffenbarten Lehre, und auch diesem Sinne derselben so sehr
überzeugt, als erfordert wird, um es darauf zu wagen, einen Menschen umzubringen?
Daß einem Menschen, seines Religionsglaubens wegen, das Leben zu nehmen
unrecht sei, ist gewiß: wenn nicht etwa (um das
Äußerste einzuräumen) ein göttlicher, außerordentlich
ihm bekannt gewordener Wille es anders verordnet hat. Daß aber Gott diesen
fürchterlichen Willen jemals geäußert habe, beruht auf Geschichtsdokumenten,
und ist nie apodiktisch
gewiß.
Die Offenbarung
ist ihm doch nur durch Menschen zugekommen, und von diesen ausgelegt, und schiene
sie ihm auch von Gott selbst gekommen zu sein (wie der
an Abraham ergangene Befehl, seinen eigenen Sohn wie ein Schaf zu schlachten),
so ist es wenigstens doch möglich, daß hier ein Irrtum vorwalte.
Alsdann aber würde er es auf die Gefahr wagen, etwas zu tun, was höchst
unrecht sein würde, und hierin eben handelt er gewissenlos. - So ist es
nun mit allem Geschichts- und Erscheinungsglauben bewandt: daß nämlich
die Möglichkeit immer übrig
bleibt, es sei darin ein Irrtum anzutreffen, folglich ist es gewissenlos, ihm
bei der Möglichkeit, daß vielleicht dasjenige, was er fordert, oder
erlaubt, unrecht sei, d.i. auf die Gefahr der Verletzung einer an sich gewissen
Menschenpflicht, Folge zu leisten.
Noch mehr: eine Handlung, die ein solches positives (dafür
gehaltenes) Offenbarungsgesetz gebietet, sei auch an sich erlaubt, so
fragt sich, ob geistliche Obere oder Lehrer es, nach ihrer vermeinten Überzeugung
dem Volke als Glaubensartikel (bei
Verlust ihres Standes) zu bekennen auferlegen dürfen? Da die Überzeugung
keine andere als historische Beweisgründe für sich hat, in dem Urteile
dieses Volks aber (wenn es sich selbst nur im mindesten
prüft) immer die absolute Möglichkeit eines vielleicht damit,
oder bei ihrer klassischen Auslegung vorgegangenen Irrtums
übrig bleibt, so würde der Geistliche das Volk nötigen, etwas,
wenigstens innerlich, für so wahr, als es einen Gott glaubt, d.i. gleichsam
im Angesichte Gottes, zu bekennen, was es, als ein solches, doch nicht gewiß
weiß, z.B. die Einsetzung eines gewissen Tages zur periodischen öffentlichen
Beförderung der Gottseligkeit, als ein von Gott unmittelbar verordnetes
Religionsstück, anzuerkennen, oder ein Geheimnis, als von ihm festiglich
geglaubt zu bekennen, was es nicht einmal versteht. Sein geistlicher Oberer
würde hiebei selbst wider Gewissen verfahren, etwas, wovon er selbst nie
völlig überzeugt sein kann, andern zum Glauben aufzudringen, und sollte
daher billig wohl bedenken, was er tut, weil er allen Mißbrauch aus einem
solchen Fronglauben verantworten muß. - Es kann also vielleicht Wahrheit
im Geglaubten, aber doch zugleich Unwahrhaftigkeit im Glauben
(oder dessen selbst bloß innerem Bekenntnisse) sein, und diese
ist an sich verdammlich.
Obzwar, wie oben angemerkt worden, Menschen, die nur den mindesten Anfang in
der Freiheit
zu denken gemacht haben,* da sie vorher unter einem Sklavenjoche des Glaubens
waren (z.B. die Protestanten), sich sofort gleichsam
für veredelt halten, je weniger sie (Positives und
zur Priestervorschrift Gehöriges) zu glauben nötig haben, so
ist es doch bei denen, die noch keinen Versuch dieser Art haben machen können,
oder wollen, gerade umgekehrt; denn dieser ihr Grundsatz ist: es ist ratsam,
lieber zuviel, als zu wenig zu glauben.
*Ich gestehe, daß ich
mich in den Ausdruck, dessen sich auch wohl kluge Männer bedienen, nicht
wohl finden kann: Ein gewisses Volk (was in der Bearbeitung einer gesetzlichen
Freiheit begriffen ist) ist zur Freiheit nicht reif; die Leibeigenen eines Gutseigentümers
sind zur Freiheit noch nicht reif; und so auch, die Menschen überhaupt
sind zur Glaubensfreiheit noch nicht reif. Nach einer solchen Voraussetzung
aber wird die Freiheit nie eintreten; denn man kann zu dieser nicht reifen,
wenn man nicht zuvor in Freiheit gesetzt worden ist (man muß frei sein,
um sich seiner Kräfte in der Freiheit zweckmäßig bedienen zu
können). Die ersten Versuche werden freilich roh, gemeiniglich auch mit
einem beschwerlicheren und gefährlicheren Zustande verbunden sein, als
da man noch unter den Befehlen, aber auch der Vorsorge anderer stand; allein
man reift für die Vernunft nie anders, als durch eigene Versuche (welche
machen zu dürfen man frei sein muß). Ich habe nichts dawider, daß
die, welche die Gewalt in Händen haben, durch Zeitumstände genötigt,
die Entschlagung von diesen drei Fesseln noch weit, sehr weit aufschieben. Aber
es zum Grundsatze machen, daß denen, die ihnen einmal unterworfen sind,
überhaupt die Freiheit nicht tauge, und man berechtigt sei, sie jederzeit
davon zu entfernen, ist ein Eingriff in die Regalien der Gottheit selbst, der
den Menschen zur Freiheit schuf. Bequemer ist es freilich, im Staat, Hause und
Kirche zu herrschen, wenn man einen solchen Grundsatz durchzusetzen vermag.
Aber auch gerechter?
Denn, was man mehr tut, als man schuldig ist, schade wenigstens nicht, könne
aber doch vielleicht wohl gar helfen. - Auf diesen Wahn, der die Unredlichkeit
in Religionsbekenntnissen zum Grundsatze macht (wozu man
sich desto leichter entschließt, weil die Religion jeden Fehler, folglich
auch den der Unredlichkeit wieder gut macht), gründet sich die sogenannte
Sicherheitsmaxime in Glaubenssachen (argumentum a
tuto): Ist das wahr, was ich von Gott bekenne, so habe ich's getroffen;
ist es nicht wahr, übrigens auch nichts an sich Unerlaubtes: so habe ich
es bloß überflüssig geglaubt, was zwar nicht nötig war,
mir aber nur etwa eine Beschwerde, die doch kein Verbrechen ist, aufgeladen.
Die Gefahr aus der Unredlichkeit seines Vorgebens, die
Verletzung des Gewissens, etwas selbst vor Gott für gewiß
auszugeben, wovon er sich doch bewußt ist, daß es nicht von der
Beschaffenheit sei, es mit unbedingtem Zutrauen zu beteuern, dieses
alles hält der Heuchler für nichts. -
Die echte mit der Religion
allein vereinbarte Sicherheitsmaxime ist gerade die umgekehrte: Was, als Mittel,
oder als Bedingung
der Seligkeit, mir nicht durch meine eigene Vernunft, sondern nur durch Offenbarung
bekannt, und vermittelst eines Geschichtsglaubens allein in meine Bekenntnisse
aufgenommen werden kann, übrigens aber den reinen moralischen Grundsätzen
nicht widerspricht, kann ich zwar nicht für gewiß glauben und beteuern,
aber auch eben so wenig als gewiß falsch abweisen. Gleichwohl, ohne etwas
hierüber zu bestimmen, rechne ich darauf, daß, was darin Heilbringendes
enthalten sein mag, mir, sofern ich mich nicht etwa durch den Mangel der moralischen
Gesinnung in einem guten Lebenswandel dessen unwürdig mache, zu gut kommen
werde. In dieser Maxime ist wahrhafte moralische Sicherheit, nämlich vor
dem Gewissen (und mehr kann von einem Menschen nicht verlangt
werden), dagegen ist die höchste Gefahr und Unsicherheit bei dem
vermeinten Klugheitsmittel, die nachteiligen Folgen, die mir aus dem Nichtbekennen
entspringen dürften, listiger Weise zu umgehen, und dadurch, daß
man es mit beiden Parteien hält, es mit beiden zu verderben. -
Wenn sich der Verfasser eines Symbols, wenn sich der Lehrer einer Kirche, ja
jeder Mensch, sofern er innerlich sich selbst die Überzeugung von Sätzen
als göttlichen Offenbarungen gestehen soll, fragte: getrauest du dich wohl
in Gegenwart des Herzenskündigers mit Verzichttuung auf alles, was dir
wert und heilig ist, dieser Sätze Wahrheit zu beteuren? so müßte
ich von der menschlichen (des Guten doch wenigstens nicht
ganz unfähigen) Natur einen sehr nachteiligen Begriff haben, um
nicht vorauszusehen, daß auch der kühnste Glaubenslehrer hiebei zittern
müßte.*
*Der nämliche Mann, der
so dreist ist zu sagen: wer an diese oder jene Geschichtslehre als eine teure
Wahrheit nicht glaubt, der ist verdammt, der müßte doch auch sagen
können: »wenn das, was ich euch hier erzähle, nicht wahr ist,
so will ich verdammt sein!« - Wenn es jemand gäbe,
der einen solchen schrecklichen Ausspruch tun konnte, so würde ich raten,
sich in Ansehung seiner nach dem persischen Sprichwort von einem Hadgi
zu richten: ist jemand einmal (als Pilgrim) in
Mekka gewesen, so ziehe aus dem Hause, worin er mit dir wohnt; ist er zweimal
da gewesen, so ziehe aus derselben Straße, wo er sich befindet; ist er
aber dreimal da gewesen, so verlasse die Stadt, oder gar das Land, wo er sich
aufhält.
Wenn das aber so ist, wie reimt es sich mit der Gewissenhaftigkeit zusammen,
gleichwohl auf eine solche Glaubenserklärung, die keine Einschränkung
zuläßt, zu dringen, und die Vermessenheit solcher Beteurungen sogar
selbst für Pflicht und gottesdienstlich auszugeben, dadurch aber die Freiheit
der Menschen, die zu allem, was moralisch ist (dergleichen
die Annahme einer Religion), durchaus erfordert wird, gänzlich zu
Boden zu schlagen, und nicht einmal dem guten Willen Platz einzuräumen,
der da sagt: »Ich glaube, lieber Herr, hilf meinem
Unglauben!«*
**O Aufrichtigkeit!
du Asträa, die du von der Erde zum Himmel entflohen bist, wie
zieht man dich (die Grundlage des Gewissens, mithin aller inneren Religion)
von da zu uns wieder herab? Ich kann es einräumen, wiewohl es sehr zu bedauren
ist, daß Offenherzigkeit (die ganze Wahrheit, die man weiß, zu sagen)
in der menschlichen Natur nicht angetroffen wird. Aber Aufrichtigkeit
(daß alles, was man sagt,
mit Wahrhaftigkeit gesagt sei) muß man von jedem Menschen fordern
können, und, wenn auch selbst dazu keine Anlage in unserer Natur wäre,
deren Kultur nur vernachlässigt wird, so würde die Menschenrasse in
ihren eigenen Augen ein Gegenstand der tiefsten Verachtung sein müssen.
- Aber jene verlangte Gemütseigenschaft ist eine solche, die vielen Versuchungen
ausgesetzt ist, und manche Aufopferung kostet, daher auch moralische Stärke,
d.i. Tugend (die erworben werden muß) fordert, die aber früher als
jede andere bewachet und kultiviert werden muß, weil der entgegengesetzte
Hang, wenn man ihn hat einwurzeln lassen, am schwersten auszurotten ist. - Nun
vergleiche man damit unsere Erziehungsart, vornehmlich im Punkte der Religion,
oder, besser, der Glaubenslehren, wo die Treue des Gedächtnisses, in Beantwortung
der sie betreffenden Fragen, ohne auf die Treue des Bekenntnisses zu sehen (worüber
nie eine Prüfung angestellt wird), schon für hinreichend angenommen
wird, einen Gläubigen zu machen, der das, was er heilig beteuert, nicht
einmal versteht, und man wird sich über den Mangel der Aufrichtigkeit,
der lauter innere Heuchler macht, nicht mehr wundern.
S.209-215
Aus: Immanuel Kant: Die Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft, Meiner
Philosophische Bibliothek Band 45
Zum ewigen Frieden
Zweiter Definitivartikel
zum ewigen Frieden
Das Völkerrecht
soll auf einen FörderaIismus freier Staaten gegründet sein.
Völker als Staaten können wie einzelne Menschen beurteilt
werden, die sich in ihrem Naturzustande (d. i. in der
Unabhängigkeit von äußern Gesetzen) schon durch ihr Nebeneinandersein
lädieren, und deren jeder um seiner Sicherheit willen von dem andern fordern
kann und soll, mit ihm in eine der bürgerlichen ähnliche Verfassung
zu treten, wo jedem sein Recht gesichert werden kann. Dies wäre ein Völkerbund,
der aber gleichwohl kein Völkerstaat sein
müßte. Darin aber wäre ein Widerspruch: weil ein jeder Staat
das Verhältnis eines Oberen (Gesetzgebenden)
zu einem Unteren (Gehorchenden, nämlich dem Volk)
enthält, viele Völker aber in einem Staate nur ein Volk ausmachen
würden, welches (da wir hier das Recht der Völker
gegeneinander zu erwägen haben, sofern sie so viel verschiedene Staaten
ausmachen und nicht in einem Staat zusammenschmelzen sollen) der Voraussetzung
widerspricht.
Gleichwie wir nun die Anhänglichkeit der Wilden an ihre gesetzlose Freiheit,
sich lieber unaufhörlich zu balgen, als sich einem gesetzlichen, von ihnen
selbst zu konstituierenden Zwange zu unterwerfen, mithin die tolle Freiheit
der vernünftigen vorzuziehen, mit tiefer Verachtung ansehen und als Rohigkeit,
Ungeschliffenheit und viehische Abwürdigung der Menschheit betrachten,
so, sollte man denken, mußten gesittete Völker (jedes
für sich zu einem Staat vereinigt) eilen, aus einem so verworfenen
Zustande je eher desto lieber herauszukommen: statt dessen aber setzt vielmehr
jeder Staat seine Majestät (denn Volksmajestät
ist ein ungereimter Ausdruck) gerade darin, gar keinem äußeren
gesetzlichen Zwange unterworfen zu sein, und der Glanz seines Oberhaupts besteht
darin, daß ihm, ohne daß er sich eben selbst in Gefahr setzen darf,
viele Tausende zu Gebot stehen, sich für eine Sache, die sie nichts angeht,
aufopfern zu lassen,* und der
Unterschied der europäischen Wilden von den amerikanischen besteht hauptsächlich
darin, daß, da manche Stämme der letzteren von ihren Feinden gänzlich
sind gegessen worden, die ersteren ihre Überwundene besser zu benutzen
wissen, als sie zu verspeisen, und lieber die Zahl ihrer Untertanen, mithin
auch die Menge der Werkzeuge zu noch ausgebreitetern Kriegen durch sie zu vermehren
wissen.
* So gab ein bulgarischer Fürst
den griechischen Kaiser, der gutmütigerweise seinen Streit mit ihm durch
einen Zweikampf ausmachen wollte, zur Antwort: »Ein Schmied, der Zangen
hat, wird das glühende Eisen aus den Kohlen nicht mit seinen Händen
herauslangen.«
Bei der Bösartigkeit der menschlichen Natur, die sich
im freien Verhältnis der Völker unverhohlen blicken läßt
(indessen daß sie im bürgerlich-gesetzlichen
Zustande durch den Zwang der Regierung sich sehr verschleiert), ist es
doch zu verwundern, daß das Wort Recht
aus der Kriegspolitik noch nicht
als pedantisch ganz hat verwiesen werden können, und sich noch kein Staat
erkühnt hat, sich für die letztere Meinung öffentlich zu erklären;
denn noch werden Hugo Grotius, Pufendorf, Vattel u. a.
m. (lauter leidige Tröster), obgleich
ihr Kodex, philosophisch oder diplomatisch abgefaßt, nicht die mindeste
gesetzliche Kraft hat, oder auch nur haben kann (weil
Staaten als solche nicht unter einem gemeinschaftlichen äußeren Zwange
stehen), immer treuherzig zur Rechtfertigung
eines Kriegsangriffs angeführt, ohne
daß es ein Beispiel gibt, daß jemals ein Staat durch mit Zeugnissen
so wichtiger Männer bewaffnete Argumente wäre bewogen worden, von
seinem Vorhaben abzustehen. —
Diese Huldigung, die jeder Staat dem Rechtsbegriffe (wenigstens
den Worten nach) leistet, beweist doch, daß eine noch größere,
obzwar zur Zeit schlummernde, moralische Anlage im Menschen
anzutreffen sei, über das böse Prinzip
in ihm (was er nicht ableugnen kann) doch einmal
Meister zu werden und dies auch von andern zu hoffen; denn sonst würde
das Wort Recht den Staaten, die
sich einander befehden wollen, nie in den Mund kommen, es sei denn, bloß
um seinen Spott damit zu treiben, wie jener gallische Fürst es erklärte:
»Es ist der Vorzug, den die Natur dem Stärkern
über den Schwachem gegeben hat, daß dieser ihm gehorchen soll.«
Da die Art, wie Staaten ihr Recht verfolgen, nie wie bei
einem äußern Gerichtshofe der Prozeß, sondern nur der Krieg
sein kann, durch diesen aber und seinen günstigen Ausschlag, den
Sieg, das Recht nicht
entschieden wird, und durch den Friedensvertrag
zwar wohl dem diesmaligen Kriege, aber nicht dem Kriegszustande (immer
zu einem neuen Vorwand zu finden) ein Ende gemacht wird
(den man auch nicht geradezu für ungerecht erklären kann, weil in
diesem Zustande jeder in seiner eigenen Sache Richter ist), gleichwohl
aber von Staaten nach dem Völkerrecht nicht eben das gelten kann, was von
Menschen im gesetz-losen Zustande nach dem Naturrecht gilt, »aus
diesem Zustande herausgehen zu sollen« (weil
sie als Staaten innerlich schon eine rechtliche Verfassung haben und also dem
Zwange anderer, sie nach ihren Rechtsbegriffen unter eine erweiterte gesetzliche
Verfassung zu bringen, entwachsen sind), indessen daß doch die
Vernunft vom Throne der höchsten moralisch gesetzgebenden Gewalt herab
den Krieg als Rechtsgang schlechterdings verdammt, den Friedenszustand dagegen
zur unmittelbaren Pflicht macht, welcher doch ohne einen Vertrag der Völker
unter sich nicht gestiftet oder gesichert werden kann: — so muß
es einen Bund von besonderer Art geben, den man den Friedensbund
(foedus pacificum) nennen
kann, der vom Friedensvertrag
(pactum pacis) darin unterschieden sein
würde, daß dieser bloß einen Krieg, jener aber alle Kriege
auf immer zu endigen suchte. Dieser Bund geht auf keinen Erwerb irgend einer
Macht des Staats, sondern lediglich auf Erhaltung und Sicherung der
Freiheit eines Staats für sich selbst und zugleich anderer
verbündeten Staaten, ohne daß diese doch sich deshalb (wie
Menschen im Naturzustande) öffentlichen Gesetzen und einem Zwange
unter denselben unterwerfen dürfen. —
Die Ausführbarkeit (objektive Realität) dieser
Idee der FörderaIität,
die sich allmählich über alle Staaten erstrecken soll und so zum
ewigen Frieden hinführt, läßt sich darstellen.
Denn wenn das Glück es so fügt: daß ein mächtiges
und aufgeklärtes Volk sich zu einer Republik
(die ihrer Natur nach zum ewigen Frieden geneigt sein muß)
bilden kann, so gibt diese einen Mittelpunkt der förderativen
Vereinigung für andere Staaten ab, um sich an sie anzuschließen
und so den Freiheitszustand der Staaten gemäß der Idee des Völkerrechts
zu sichern und sich durch mehrere Verbindungen dieser Art nach und nach immer
weiter auszubreiten.
Daß ein Volk sagt:
»Es soll unter uns kein Krieg sein; denn wir wollen uns in einem Staat
formieren, d. i. uns selbst eine oberste gesetzgebende, regierende und richtende
Gewalt setzen, die unsere Streitigkeiten friedlich ausgleicht«
— das läßt sich verstehen. ——
Wenn aber dieser Staat sagt: »Es
soll kein Krieg zwischen mir und andern Staaten sein, obgleich ich keine oberste
gesetzgebende Gewalt erkenne, die mir mein und der ich ihr Recht sichere«,
so ist es gar nicht zu verstehen, worauf ich dann
das Vertrauen zu meinem Rechte gründen wolle,
wenn es nicht das Surrogat des bürgerlichen Gesellschaftbundes, nämlich
der freie Förderalismus, ist, den die Vernunft
mit dem Begriffe des Völkerrechts notwendig
verbinden muß, wenn überall etwas dabei zu denken übrig bleiben
soll.
Bei dem Begriffe des Völkerrechts, als eines Rechts
zum Kriege, läßt sich eigentlich gar nichts
denken (weil es ein Recht sein soll, nicht nach allgemein
gültigen äußern, die Freiheit jedes einzelnen einschränkenden
Gesetzen, sondern nach einseitigen Maximen durch Gewalt, was Recht sei, zu bestimmen),
es müßte denn darunter verstanden werden: daß Menschen, die
so gesinnt sind, ganz recht geschieht, wenn sie sich untereinander aufreiben
und also den ewigen Frieden in dem weiten
Grabe finden, das alle Greuel der Gewalttätigkeit
samt ihren Urhebern bedeckt. —
Für Staaten im Verhältnisse untereinander kann es nach der Vernunft
keine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustande, der lauter Krieg enthält,
herauszukommen, als daß sie ebenso wie einzelne Menschen ihre wilde (gesetzlose)
Freiheit aufgeben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen
und so einen (freilich immer wachsenden) Völkerstaat
(civitas gentium), der zuletzt alle Völker
der Erde befassen würde, bilden. Da sie dieses aber nach ihrer Idee vom
Völkerrecht durchaus nicht wollen, mithin, was
in thesi richtig ist, in hypothesi verwerfen,
so kann an die Stelle der positiven Idee einer
Weltrepublik (wenn nicht alles verloren
werden soll) nur das negative Surrogat
eines den Krieg abwehrenden, bestehenden
und sich immer ausbreitenden Bundes
den Strom der rechtscheuenden, feindseligen Neigung aufhalten, doch mit beständiger
Gefahr ihres Ausbruchs (Furor impius intus —
fremit horridus ore cruento. Virgil).Nach einem beendigten Kriege, beim Friedensschlusse,
möchte es wohl für ein Volk nicht unschicklich sein, daß nach
dem Dankfeste ein Bußtag ausgeschrieben würde,
den Himmel im Namen des Staats um Gnade für die große
Versündigung anzurufen, die das menschliche Geschlecht sich noch
immer zuschulden kommen läßt, sich keiner gesetzlichen Verfassung
im Verhältnis auf andere Völker fügen zu wollen, sondern stolz
auf seine Unabhängigkeit lieber das barbarische
Mittel des Krieges (wodurch doch das,
was gesucht wird, nämlich das Recht eines jeden Staats, nicht ausgemacht
wird) zu gebrauchen. —
Die Dankfeste während dem Kriege über einen
erfochtenen Sieg, die Hymnen, die (auf gut israelitisch)
dem Herrn der Heerscharen gesungen
werden, stehen mit der moralischen Idee des Vaters
der Menschen in nicht minder starkem Kontrast:
weil sie außer der Gleichgültigkeit wegen der Art, wie Völker
ihr gegenseitiges Recht suchen (die traurig genug ist),
noch eine Freude hineinbringen, recht viel Menschen oder
ihr Glück vernichtet zu haben. S.16ff.
Aus: Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer
Entwurf. Herausgegeben von Rudolf Malter . Reclams Universalbibliothek Nr. 1501.
© 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Erfordernisse,
Zwecke, Aufgaben der Philosophie
Das Feld der Philosophie in der weltbürgerlichen
Bedeutung
läßt sich auf folgende Fragen bringen:
1) Was
kann ich wissen? –
2) Was
soll ich tun? –
4) Was ist
der Mensch?
Die erste Frage beantwortet die Metaphysik,
die zweite die Moral, die dritte
die Religion, und die vierte die
Anthropologie.Im Grunde könnte
man aber alles dieses zur Anthropologie rechnen, weil sich die drei ersten Fragen
auf die letzte beziehen.
Der Philosoph muß also bestimmen können
1) die Quellen
des menschlichen Wissens,
2) den Umfang
des möglichen und nützlichen Gebrauchs alles Wissens, und endlich
3) Die Grenzen
der Vernunft. —
Das letztere ist das Nötigste aber auch das Schwerste, um das sich aber
der Philodox nicht bekümmert. Zu einem Philosophen gehören hauptsächlich
zwei Dinge:
1) Kultur
des Talents und der Geschicklichkeit um sie zu allerlei Zwecken zu gebrauchen.
2) Fertigkeit im Gebrauch aller
Mittel zu beliebigen Zwecken.
Beides muß vereiniget sein; denn ohne Kenntnisse wird man nie ein Philosoph
werden, aber nie werden auch Kenntnisse allein den Philosophen ausmachen, wofern
nicht zweckmäßige Verbindung aller Erkenntnisse und Geschicklichkeiten
zur Einheit hinzukommt, und eine Einsicht in die Übereinstimmung derselben
mit den höchsten Zwecken der menschlichen Vernunft.
Es kann sich überhaupt keiner einen Philosophen nennen, der nicht philosophieren
kann. Philosophieren läßt sich aber nur durch Übung und selbsteigenem
Gebrauch der Vernunft lernen.
Wie sollte sich auch Philosophie eigentlich lernen lassen?
— Jeder philosophische Denker baut, so zu sagen, auf den Trümmern
eines andern sein Werk; nie aber ist eines zu Stande gekommen, das in allen
seinen Teilen beständig gewesen wäre. Man kann daher schon aus dem
Grunde Philosophie nicht lernen, weil sie noch
nicht gegeben ist. Gesetzt aber auch,
es wäre eine wirklich vorhanden: so würde doch keiner,
der sie auch lernte, von sich sagen können, daß er ein Philosoph
sei; denn seine Kenntnis davon wäre doch immer nur subjektiv-historisch.
In der Mathematik verhält sich die Sache anders. Diese Wissenschaft kann
man wohl gewissermaßen lernen; denn die Beweise sind hier so evident,
daß ein jeder davon überzeugt werden kann; auch kann sie ihrer Evidenz
wegen, als eine gewisse und
beständige Lehre, gleichsam aufbehalten werden.
Der philosophieren lernen will, darf dagegen alle Systeme der Philosophie nur
als Geschichte des Gebrauchs der Vernunft
ansehen und als Objekte der Übung seines philosophischen Talents.
Der wahre Philosoph muß also als Selbstdenker einen freien und selbsteigenen,
keinen sklavisch nachahmenden Gebrauch seiner Vernunft machen. Aber auch keinen
dialektischen, d. i. keinen solchen Gebrauch, der nur darauf abzweckt, den Erkenntnissen
einen Schein von Wahrheit
und Weisheit zu geben. Dieses
ist das Geschäft des bloßen Sophisten;
aber mit der Würde des Philosophen, als eines Kenners und
Lehrers der Weisheit, durchaus unverträglich.
Denn Wissenschaft hat einen innern wahren Wert nur als Organ
der Weisheit. Als solches ist sie ihr aber auch unentbehrlich,
so daß man wohl behaupten darf: Weisheit ohne Wissenschaft sei ein Schattenriß
von einer Vollkommenheit, zu der wir nie gelangen werden.
Der die Wissenschaft hasset, um desto mehr aber die Weisheit liebet, den nennt
man einen Misologen. Die Misologie
entspringt gemeiniglich aus einer Leerheit von wissenschaftlichen Kenntnissen
und einer gewissen damit verbundenen Art von Eitelkeit. Zuweilen verfallen aber
auch die¬jenigen in den Fehler der Misologie, welche anfangs mit großem
Fleiße und Glücke den Wissenschaften nachgegangen waren, am Ende
aber in ihrem ganzen Wissen keine Befriedigung fanden.
Philosophie ist die einzige Wissenschaft, die uns diese innere Genugtuung zu
verschaffen weiß; denn sie schließt gleichsam den wissenschaftlichen
Zirkel und durch sie erhalten sodann erst die Wissenschaften Ordnung und Zusammenhang.
Wir werden also, zum Behuf der Übung im Selbstdenken oder Philosophieren,
mehr auf die Methode unseres Vernunftgebrauchs
zu sehen haben, als auf die Sätze selbst, zu denen wir durch dieselbe gekommen
sind. S. 447-450
Aus: Immanuel Kant: Schriften zur Metaphysik und Logik 2, Logik.. Werkausgabe
Band VI. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft
stw 189Was ist Philosophie,
als Lehre, die unter allen Wissenschaften das größte Bedürfnis
der Menschen ausmacht?
Sie ist das, was schon ihr Name anzeigt: Weisheitsforschung.
Weisheit aber ist die Zusammenstimmung des Willens zum
Endzweck ( dem höchsten Gut),
und da dieses, sofern es erreichbar ist, auch Pflicht ist, und umgekehrt,
wenn er Pflicht ist, auch erreichbar sein muß, ein solches Gesetz der
Handlungen aber moralisch heißt: so wird Weisheit für den Menschen
nichts anders als das innere Prinzip des Willens der Befolgung moralischer Gesetze
sein, welcherlei Art auch der Gegenstand
der selben sein mag, der jederzeit übersinnlich
sein wird: weil ein durch einen empirischen Gegenstand bestimmter
Wille wohl eine technisch-praktische Befolgung einer Regel, aber keine
Pflicht (die ein nicht physisches Verhältnis
ist) begründen kann. S. 410
Aus: Immanuel Kant: Schriften zur Metaphysik und Logik 2, Verkündigung
des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie.
Werkausgabe Band VI. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Taschenbuch
Wissenschaft stw 189Die Metaphysik hat zum eigentlichen Zwecke, ihrer Nachforschung
nur drei Ideen: Gott, Freiheit und
Unsterblichkeit, so daß
der zweite Begriff, mit dem ersten verbunden, auf den dritten, als einen notwendigen
Schlußsatz, führen soll. Alles, womit sich diese Wissenschaft sonst
beschäftigt, dient ihr bloß zum Mittel, um zu diesen Ideen und ihrer
Realität zu gelangen.
Aus: Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (S.367),
Philosophische Bibliothek Band 37a, Felix Meiner Verlag, HamburgVon den übersinnlichen
Gegenständen unserer Erkenntnis
Die übersinnlichen Gegenstände unserer Erkenntnis
sind Gott, Freiheit,
und Unsterblichkeit. –
1) Gott,
als das allverpflichtende Wesen;
2) Freiheit,
als Vermögen des Menschen, die Befolgung seiner Pflichten
(gleich als göttlicher Gebote)
gegen alle Macht der Natur zu behaupten;
3) Unsterblichkeit,
als ein Zustand, in welchem dem Menschen
sein Wohl oder Weh in Verhältnis auf seinen moralischen Wert zu Teil werden
soll. -
Man sieht, daß sie zusammen gleichsam in der Verkettung der drei Sätze
eines zurechnenden Vernunftschlusses
stehen; und da ihnen, eben darum weil sie Ideen des Übersinnlichen sind,
keine objektive Realität in theoretischer Rücksicht gegeben werden
kann, so wird, wenn ihnen gleichwohl eine solche verschafft
werden soll, sie ihnen nur in praktischer Rücksicht, als
Postulaten* der moralisch-praktischen Vernunft, zugestanden
werden können.
*Postulat ist ein apriori gegebener, keiner Erklärung
seiner Möglichkeit (mithin auch keines Beweises)
fähiger, praktischer Imperativ. Man postuliert also nicht Sachen, oder
überhaupt das Dasein irgend eines Gegenstandes, sondern nur eine Maxime
(Regel) der Handlung eines Subjekts. — Wenn es nun Pflicht ist,
zu einem gewissen Zweck (dem höchsten Gut) hinzuwirken,
so muß ich auch berechtigt sein anzunehmen: daß die Bedingungen
da sind, unter denen allein diese Leistung der Pflicht möglich ist, obzwar
dieselben übersinnlich sind, und wir (in theoretischer
Rücksicht) kein Erkenntnis derselben zu erlangen vermögend
sind.
Unter diesen Ideen führt also die mittlere, nämlich die der Freiheit,
weil die Existenz derselben in dem kategorischen
Imperativ enthalten ist, der keinem Zweifel Raum läßt, die
zwei übrigen in ihrem Gefolge bei sich; indem er, das oberste Prinzip der
Weisheit, folglich auch den Endzweck des vollkommensten Willens (die
höchste mit der Moralität zusammenstimmende Glückseligkeit)
voraussetzend, bloß die Bedingungen enthält, unter welchen allein
diesem Genüge geschehen kann. Denn das Wesen, welches diese proportionierte
Austeilung allein zu vollziehen vermag, ist Gott;
und der Zustand, in welchem diese Vollziehung an vernünftigen Weltwesen
allein jenem Endzweck völlig angemessen verrichtet werden kann, die Annahme
einer schon in ihrer Natur begründeten Fortdauer des Lebens, d. i. die
Unsterblichkeit. Denn wäre
die Fortdauer des Lebens darin nicht begründet, so würde sie nur Hoffnung
eines künftigen, nicht aber ein durch Vernunft (im
Gefolge des moralischen Imperativs) notwendig vorauszusetzendes künftiges
Leben bedeuten.
RESULTAT
Es ist also bloßer Mißverstand, oder Verwechselung moralisch-praktischer
Prinzipien der Sittlichkeit mit theoretischen, unter denen nur die ersteren
in Ansehung des Übersinnlichen Erkenntnis
verschaffen können, wenn noch ein Streit über das,
was Philosophie als Weisheitslehre sagt, erhoben wird; und man kann von dieser,
weil wider sie nichts Erhebliches mehr eingewandt wird und werden kann, mit
gutem Grunde den nahen Abschluß eines Traktats
zum ewigen Frieden in der Philosophie verkündigen. S.
411f.
Aus: Immanuel Kant: Schriften zur Metaphysik und Logik 2, Verkündigung
des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie.
Werkausgabe Band VI.
Herausgegeben von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft stw 189
Über Geisterseher
Kant
an Fräulein Charlotte von Knobloch
Ich würde mich der Ehre und des Vergnügens nicht so lange beraubt
haben, dem Befehl einer Dame, die die Zierde ihres Geschlechts ist, durch die
Abstattung des erforderten Berichts nachzukommen, wenn ich‘s nicht für
nötig erachtet hätte, zuvor eine vollständigere Erkundigung in
dieser Sache einzuziehen. Der Inhalt der Erzählung, zu der ich mich anschicke,
ist von ganz anderer Art, als diejenigen gewöhnlich sein müssen, denen
es erlaubt sein soll, mit allen Grazien umgeben, in die Zimmer der Schönen
einzudringen. Ich würde es auch zu verantworten haben, wenn bei Durchlesung
derselben irgend feierlicher Ernst einen Augenblick die Miene der Fröhlichkeit
auslöschen sollte, womit zufriedene Unschuld die ganze Schöpfung anzublicken
berechtigt ist, wenn ich nicht versichert wäre, daß, obgleich dergleichen
Bilder einerseits denjenigen Schauder rege machen, der eine Wiederholung alter
Erziehungseindrücke ist, dennoch die erleuchtete Dame, die dieses lieset,
die Annehmlichkeit nicht vermissen werde, die eine richtige Anwendung dieser
Vorstellung liefern kann. Erlauben Sie mir gnädiges Fräulein, daß
ich mein Verfahren in dieser Sache rechtfertige, da es scheinen könnte,
daß ein gemeiner Wahn mich etwa möchte vorbereitet haben, die dahin
einschlagenden Erzählungen aufzusuchen und ohne sorgfältige Prüfung
gerne anzunehmen.
Ich weiß nicht, ob jemand an mir eine Spur von einer zum Wunderbaren geneigten
Gemütsart oder von einer Schwäche, die leicht zum Glauben bewogen
wird, sollte jemals haben wahrnehmen können. So viel ist gewiß, daß
ungeachtet aller Geschichten von Erscheinungen und Handlungen des Geisterreichs,
davon mir eine große Menge der wahrscheinlichsten bekannt ist, ich doch
jederzeit der Regel der gesunden Vernunft am gemäßesten zu sein erachtet
habe, sich auf die verneinende Seite zu lenken; nicht als ob ich vermeinet,
die Unmöglichkeit davon eingesehen zu haben, (denn,
wie wenig ist uns doch von der Natur eines Geistes bekannt?) sondern,
weil sie insgesamt nicht genugsam bewiesen sind; übrigens auch, was die
Unbegreiflichkeit dieser Art Erscheinungen, imgleichen ihre Unnützlichkeit
anlangt, der Schwierigkeiten so viele sind, dagegen aber des entdeckten Betruges
und auch der Leichtigkeit betrogen zu werden, so mancherlei. daß ich,
der ich mir überhaupt nicht gerne Ungelegenheiten mache, nicht für
ratsam hielt, mir deswegen auf Kirchhöfen oder ·in einer Finsternis
bange werden zu lassen. Dieses ist die Stellung, in welcher sich mein Gemüt
von langer Zeit her befand, bis die Geschichte des Herrn
Swedenborg mir bekannt gemacht wurde.
Diese Nachricht hatte ich durch einen dänischen Offizier, der mein Freund
und ehemaliger Zuhörer war, welcher an der Tafel des österreichischen
Gesandten Dietrichstein in Kopenhagen den Brief,
den dieser Herr zu derselben. Zeit von dem Baron von Lützow,
mecklenburgischem Gesandten in Stockholm, bekam, selbst nebst andern Gästen
gelesen hatte, wo gedachter von Lützow ihm
meldet, daß er in Gesellschaft des holländischen Gesandten bei der
Königin von Schweden der sonderbaren Geschichte,
die Ihnen, gnädiges Fräulein, vom Herrn von
Swedenborg schon bekannt sein wird, selbst beigewohnet habe. Die Glaubwürdigkeit
einer solchen Nachricht machte mich stutzig. Denn, man kann es schwerlich annehmen,
daß ein Gesandter an einen andern Gesandten eine Nachricht zum
öffentlichen Gebrauch überschreiben sollte, welche
von der Königin des Hofes, wo er sich befindet, etwas melden sollte, welches
unwahr wäre und wobei er doch, nebst einer ansehnlichen Gesellschaft zugegen
wollte gewesen sein. Um nun das Vorurteil
von Erscheinungen und Gesichtern nicht durch ein neues Vorurteil blindlings
zu verwerfen, fand ich es vernünftig, mich nach dieser Geschichte näher
zu erkundigen. Ich schrieb an gedachten Offizier nach Kopenhagen und gab ihm
allerlei Erkundigungen auf. Er antwortete, daß er nochmals desfalls den
Grafen von Dietrichstein gesprochen hätte,
daß die Sache sich wirklich so verhielte, daß der Professor
Schlegel ihm bezeuget habe, es wäre gar nicht daran zu zweifein.
Er riet mir, weil er damals zur Armee unter dem General St. Germain abging,
an den von Swedenborg selbst zu schreiben, um nähere
Umstände davon zu erfahren. Ich schrieb demnach an diesen seltsamen Mann
und der Brief wurde ihm von einem englischen Kaufmann in Stockholm eingehändiget.
Man berichtete hieher, der Herr von Swedenborg
habe den Brief geneigt aufgenommen und versprochen, ihn zu beantworten. Allein
diese Antwort blieb aus. Mittlerweile machte ich Bekanntschaft mit einem feinen
Manne, einem Engländer, der sich verwichenen Sommer hier aufhielt, welchem
ich, kraft der Freundschaft, die wir zusammen aufgerichtet hatten, auftrug,
bei seiner Reise nach Stockholm genauere Kundschaft wegen der Wundergabe
des Herrn von Swedenborg einzuziehen. Laut seinem
ersten Berichte verhielt es sich mit der schon erwähnten Historie nach
der Aussage der angesehensten Leute in Stockholm genau so, wie ich es Ihnen
sonst erzählt habe. Er hatte damals den Herrn von
Swedenborg nicht gesprochen, hoffete aber
ihn zu sprechen, wie wohl es ihm schwer ankam, sich zu überreden, daß
dasjenige alles richtig
sein sollte, was die vernünftigsten Personen dieser Stadt von seinem geheimen
Umgange mit der unsichtbaren Geisterwelt erzählen.
Seine folgenden Briefe aber lauten ganz anders. Er hat den Herrn
von Swedenborg nicht allein gesprochen, sondern auch in seinem Hause
besucht und ist in der äußersten Verwunderung über die ganze
so seltsame Sache. Swedenborg ist ein vernünftiger,
gefälliger und offenherziger Mann; er ist ein Gelehrter und mein erwähnter
Freund hat mir versprochen, einige seiner Schriften mir in Kurzem zu überschicken.
Er sagte diesem ohne Zurückhaltung, daß
Gott ihm die sonderbare
Eigenschaft gegeben habe, mit den abgeschiedenen
Seelen nach seinem Belieben umzugehen. Er berief sich auf ganz notorische
Beweistümer. Als er an meinen Brief erinnert wurde, antwortete er, er habe
ihn wohl aufgenommen und würde ihn schon beantwortet haben, wenn er sich
nicht vorgesetzt hätte, diese ganze sonderbare Sache vor den Augen der
Welt öffentlich bekannt zu machen. Er würde im Mai dieses Jahres nach
London gehen, wo er sein Buch herausgeben würde, darin auch die Beantwortung
meines Briefes nach allen Artikeln sollte anzutreffen sein.
Um Ihnen, gnädiges Fräulein, ein paar Beweistümer zu geben, wo
das ganze noch lebende Publikum Zeuge ist und der Mann, welcher es mir berichtet,
es unmittelbar an Stelle und Ort hat untersuchen können, so belieben Sie
nur folgende zwei Begebenheiten zu vernehmen.
Madame Harteville (!) die Witwe des holländischen Envoyé
in Stockholm, wurde einige Zeit nach dem Tode ihres Mannes von dem Goldschmied
Croon um die Bezahlung des Silberservices gemahnt, welches ihr Gemahl
bei ihm hatte machen lassen. Die Witwe war zwar überzeugt, daß ihr
verstorbener Gemahl viel zu genau und ordentlich gewesen war, als daß
er diese Schuld nicht sollte bezahlt haben, allein sie konnte keine Quittung
aufweisen. In dieser Bekümmernis und weil der Wert ansehnlich war, bat
sie den Herrn von Swedenborg zu sich. Nach einigen
Entschuldigungen trug sie ihm vor, daß, wenn er die außerordentliche
Gabe hätte, wie alle Menschen sagten, mit den abgeschiedenen Seelen zu
reden, er die Gütigkeit haben möchte, bei ihrem Manne Erkundigungen
einzuziehen, wie es mit der Forderung wegen des Silberservices stünde.
Swedenborg war gar nicht schwierig, ihr in diesem
Ersuchen zu willfahren. Drei Tage hernach hatte die gedachte Dame eine Gesellschaft
bei sich zum Kaffee. Herr von Swedenborg kam hin
und gab ihr mit seiner kaltblütigen Art Nachricht, daß er ihren Mann
gesprochen habe. Die Schuld war sieben Monate vor seinem Tode bezahlt worden
und die Quittung sei in einem Schranke, der sich im obern Zimmer befände.
Die Dame erwiderte, daß dieser Schrank ganz ausgeräumet sei und daß
man unter allen Papieren diese Quittung nicht gefunden hätte. Swedenborg
sagte, ihr Gemahl hätte ihm beschrieben, daß, wenn man an der linken
Seite eine Schublade herauszöge, ein Brett zum Vorschein käme, welches
weggeschoben werden müßte, da sich dann eine verborgene Schublade
finden würde, worin seine geheim gehaltene holländische Korrespondenz
verwahrt wäre und auch die Quittung anzutreffen sei. Auf diese Anzeige
begab sich die Dame in Begleitung der ganzen Gesellschaft in das obere Zimmer.
Man eröffnet den Schrank, man verfuhr ganz nach der Beschreibung und fand
die Schublade, von der sie nichts gewußt hatte und die angezeigten Papiere
darinnen, zum größten Erstaunen Aller, die gegenwärtig waren.
Die folgende Begebenheit aber scheint mir unter allen die größte
Beweiskraft zu haben und benimmt wirklich allem erdenklichen Zweifel die Ausflucht.
Es war im Jahre 1756, als Herr
von Swedenborg gegen Ende des Septembermonats am Sonnabend um 4 Uhr Nachmittags
aus England ankommend, zu Gothenburg ans Land stieg. Herr William
Castel bat ihn zu sich und zugleich eine Gesellschaft von fünfzehn
Personen. Des Abends um 6 Uhr war Herr
von Swedenborg herausgegangen und kam entfärbt und bestürzt
ins Gesellschaftszimmer zurück. Er sagte, es sei eben jetzt ein gefährlicher
Brand in Stockholm am Südermalm (Gothenburg liegt
von Stockholm über 50 Meilen weit ab) und das Feuer griffe sehr
um sich. Er war unruhig und ging oft heraus. Er sagte, daß das Haus eines
seiner Freunde, den er nannte, schon in der Asche läge und sein eigenes
Haus in Gefahr sei. Um 8 Uhr, nachdem er wieder herausgegangen war, sagte er
freudig:
Gottlob, der Brand ist gelöschet, die dritte Türe von meinem Hause!
— Diese Nachricht brachte die ganze Stadt und besonders die Gesellschaft
in starke Bewegung und man gab noch denselben Abend dem Gouverneur davon Nachricht.
Sonntags des Morgens ward Swedenborg zum Gouverneur
gerufen. Dieser befrug ihn um die Sache. Swedenborg
beschrieb den Brand genau, wie er angefangen, wie er aufgehört hätte
und die Zeit seiner Dauer. Desselben Tages lief die Nachricht durch die ganze
Stadt, wo es nun, weil der Gouverneur darauf geachtet hatte, eine noch stärkere
Bewegung verursachte, da Viele wegen ihrer Freunde oder wegen ihrer Güter
in Besorgnis waren. Am. Montage Abends kam eine Estafette, die von der Kaufmannschaft
in Stockholm während des Brandes abgeschickt war, in Gothenburg an. In
den Briefen ward der Brand ganz auf die erzählte Art beschrieben. Dienstag
Morgens kam ein königlicher Kurier an den Gouverneur mit dem Berichte von
dem Brande, vom Verluste, den er verursachet, und den Häusern, die er betroffen,
an; nicht im mindesten von der Nachricht unterschieden, die Swedenborg
zur selbigen Zeit gegeben hatte, denn der Brand war um 8 Uhr gelöschet
worden.
Was kann man wider die Glaubwürdigkeit dieser Begebenheit anführen?
Der Freund, der mir dieses schreibt, hat alles das nicht allein in Stockholm,
sondern vor ungefähr 2 Monaten in Gothenburg selbst untersucht, wo er die
ansehnlichsten Häuser sehr wohl kennt und wo er sich von einer ganzen Stadt,
in der seit der kurzen Zeit von 1756 doch die meisten Augenzeugen noch leben,
hat vollständig belehren können. Er hat mir zugleich einigen Bericht
von der Art gegeben, wie nach der Aussage des Herrn von
Swedenborg diese seine Gemeinschaft mit andern
Geistern zugehe, imgleichen seine Ideen, die er vom Zustande abgeschiedener
Seelen gibt. Dieses Porträt ist seltsam: aber es gebricht mir die Zeit,
davon einige Beschreibung zu geben. Wie sehr wünsche ich, daß ich
diesen sonderbaren Mann selbst hätte fragen können: denn mein Freund
ist der Methoden nicht so wohl kundig, dasjenige abzufragen, was in einer solchen
Sache das meiste Licht geben kann. Ich warte mit Sehnsucht auf das Buch, das
Swedenborg in London herausgeben will. Es sind
alle Anstalten gemacht, daß ich es so bald bekomme, als es die Presse
verlassen haben wird.
So viel ist desjenigen, was ich vorjetzt zur Befriedigung Ihrer edlen Wißbegierde
melden kann. Ich weiß nicht, gnädiges Fräulein! ob Sie das Urteil
zu wissen verlangen möchten, was ich mich unterfangen dürfte, über
diese schlüpfrige Sache zu fällen. Viel größere Talente,
als der kleine Grad, der mir zu Teil geworden, werden hierüber wenig Zuverlässiges
ausmachen können. Allein von welcher Bedeutung mein Urteil auch sei, so
wird Ihr Befehl mich verbinden, dasselbe, daferne Sie noch lange auf dem Lande
verharren und ich mich nicht mündlich darüber erklären könnte,
schriftlich mitzuteilen. Ich besorge, die Erlaubnis, an Sie zu schreiben, schon
gemißbraucht zu haben, indem ich Sie mit einer eilfertigen und ungeschickten
Feder wirklich schon viel zu lange unterhielt. Ich bin mit der tiefsten Verehrung
usw. S. 107-117
Aus: Geist und Geisterwelt, Fragmente aus der Literatur des Übersinnlichen
von Thomas Wandler, Rudolf Kaemmerer Verlag, Berlin-Dresden 1923
Träume
eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik
velut aegri somnia, vanae Finguntur species. Horaz »wie
Träume eines Kranken werden Wahngebilde erdichtet«
Ein
Vorbericht der sehr wenig vor die Ausführung verspricht
Das Schattenreich ist das Paradies der Phantasten.
Hier finden sie ein unbegrenztes Land, wo sie sich nach Belieben anbauen können.
Hypochondrische Dünste, Ammenmärchen und Klosterwunder lassen es ihnen
an Bauzeug nicht ermangeln. Die Philosophen zeichnen den Grundriß und
andern ihn wiederum, oder verwerfen ihn, wie ihre Gewohnheit ist. Nur das heilige
Rom hat daselbst einträgliche Provinzen; die zwei Kronen des unsichtbaren
Reichs stützen die dritte, als das hinfällige Diadem seiner irdischen
Hoheit, und die Schlüssel, welche die beide Pforten der andern Welt auftun,
öffnen zugleich sympathetisch die Kasten der gegenwärtigen. Dergleichen
Rechtsame des Geisterreichs, in so fern es durch die Gründe der Staatsklugheit
bewiesen ist, erheben sich weit über alle ohnmächtige Einwürfe
der Schulweisen, und ihr Gebrauch oder Mißbrauch ist schon zu ehrwürdig,
als daß er sich einer so verworfenen Prüfung auszusetzen nötig
hätte. Allein die gemeine Erzählungen, die so viel Glauben finden
und wenigstens so schlecht bestritten sind, weswegen laufen die so ungenützt
oder ungeahndet umher, und schleichen sich selbst in die Lehrverfassungen ein,
ob sie gleich den Beweis vom Vorteil hergenommen (argumentum
ab utili) nicht vor sich haben, welcher der überzeugendste
unter allen ist? Welcher Philosoph hat nicht einmal, zwischen den Beteurungen
eines vernünftigen und festüberredeten Augenzeugen und der inneren
Gegenwehr eines unüberwindlichen Zweifels, die einfältigste Figur
gemacht, die man sich vorstellen kann? Soll er die Richtigkeit aller solcher
Geistererscheinungen gänzlich ableugnen? Was kann er vor Gründe anführen,
sie zu widerlegen?
Soll er auch nur eine einzige dieser Erzählungen als wahrscheinlich einräumen?
wie wichtig wäre ein solches Geständnis, und in welche erstaunliche
Folgen sieht man hinaus, wenn auch nur eine
solche Begebenheit als bewiesen vorausgesetzet werden könnte?
Es ist wohl noch ein dritter Fall übrig, nämlich sich mit dergleichen
vorwitzigen oder müßigen Fragen gar nicht zu bemengen und sich an
das Nützliche zu
halten. Weil dieser Anschlag aber vernünftig ist, so ist er jederzeit von
gründlichen Gelehrten durch die Mehrheit der Stimmen verworfen worden.
Da es eben so wohl ein dummes Vorurteil ist, von vielem, das mit einigem Schein
der Wahrheit erzählt wird, ohne Grund nichts zu glauben, als von dem, was
das gemeine Gerüchte sagt, ohne Prüfung alles zu glauben, so ließ
sich der Verfasser dieser Schrift, um dem ersten Vorurteile auszuweichen, zum
Teil von dem letzteren fortschleppen. Er bekennet mit einer gewissen Demütigung,
daß er so treuherzig war, der Wahrheit einiger Erzählungen von der
erwähnten Art nachzuspüren. Er fand - - - wie gemeiniglich, wo man
nichts zu suchen hat - - - er fand nichts. Nun ist dieses wohl an sich selbst
schon eine hinlängliche Ursache, ein Buch zu schreiben; allein es kam noch
dasjenige hinzu, was bescheidenen Verfassern schon mehrmalen Bücher abgedrungen
hat, das ungestüme Anhalten bekannter und unbekannter Freunde. Überdem
war ein großes Werk gekauft, und, welches noch schlimmer ist, gelesen
worden, und diese Mühe sollte nicht verloren sein. Daraus entstand nun
die gegenwärtige Abhandlung, welche, wie man sich schmeichelt, den Leser
nach der Beschaffenheit der Sache völlig befriedigen soll, indem er das
Vornehmste nicht verstehen, das andere nicht glauben, das übrige aller
belachen wird.
Der erste Teil, welcher
dogmatisch ist
Erstes Hauptstück.
Ein verwickelter
metaphysischer Knoten, den man nach Belieben auflösen oder abhauen kann
Wenn alles dasjenige, was von Geistern der Schulknabe herbetet, der große
Haufe erzählt, und der Philosoph demonstriert, zusammen genommen wird,
so scheinet es keinen kleinen Teil von unserm Wissen auszumachen. Nichts destoweniger
getraue ich mich zu behaupten, daß, wenn es jemand einfiele, sich bei
der Frage etwas zu verweilen: was denn das eigentlich vor ein Ding sei, wovon
man unter dem Namen eines Geistes
so viel zu verstehen glaubt, er alle diese Vielwisser in die beschwerlichste
Verlegenheit versetzen würde. Das methodische Geschwätz der hohen
Schulen ist oftmals nur ein Einverständnis, durch veränderliche Wortbedeutungen
einer schwer zu lösenden Frage auszuweichen, weil das bequeme und mehrenteils
vernünftige: Ich weiß nicht, auf
Akademien nicht leichtlich gehöret wird. Gewisse neuere Weltweisen, wie
sie sich gerne nennen lassen, kommen sehr leicht über diese Frage hinweg.
Ein Geist, heißt es, ist ein Wesen, welches Vernunft hat. So ist es denn
also keine Wundergabe, Geister zu sehen; denn wer Menschen sieht, der sieht
Wesen, die Vernunft haben. Allein, fährt man fort, dieses Wesen, was im
Menschen Vernunft hat, ist nur ein Teil vom Menschen, und dieser Teil, der ihn
belebt, ist ein Geist. Wohlan denn: ehe ihr also beweiset, daß nur ein
geistiges Wesen Vernunft haben könne, so sorget doch, daß ich zuvörderst
verstehe, was ich mir unter einem geistigen Wesen vor einen Begriff zu machen
habe. Diese Selbsttäuschung, ob sie gleich grob genug ist, um mit halb
offenen Augen bemerkt zu werden, ist doch von sehr begreiflichem Ursprunge.
Denn wovon man frühzeitig als ein Kind sehr viel weiß, davon ist
man sicher, später hin und im Alter nichts zu wissen, und der Mann der
Gründlichkeit wird zuletzt höchstens der Sophiste seines Jugendwahnes.
Ich weiß also nicht, ob es Geister gebe, ja, was noch mehr ist, ich weiß
nicht einmal, was das Wort Geist bedeute. Da ich es indessen oft selbst gebraucht
oder andere habe brauchen hören, so muß doch etwas darunter verstanden
werden, es mag nun dieses Etwas ein Hirngespinst oder was Wirkliches sein. Um
diese versteckte Bedeutung auszuwickeln, so halte ich meinen schlecht verstandenen
Begriff an allerlei Fälle der Anwendung, und dadurch, daß ich bemerke,
auf welchen er trifft und welchem er zuwider ist, verhoffe ich, dessen verborgenen
Sinn zu entfalten.*
*Wenn der Begriff eines Geistes von
unsern eignen Erfahrungsbegriffen abgesondert wäre, so würde das Verfahren,
ihn deutlich zu machen, leicht sein, indem man nur diejenigen Merkmale anzuzeigen
hätte, welche uns die Sinne an dieser Art Wesen offenbareten, und wodurch
wir sie von materiellen Dingen unterscheiden. Nun aber wird von Geistern geredet,
selbst alsdenn, wenn man zweifelt, ob es gar dergleichen Wesen gebe. Also kann
der Begriff von der geistigen Natur nicht als ein von der Erfahrung abstrahierter
behandelt werden. Fragt ihr aber: wie ist man denn zu diesem Begriff überhaupt
gekommen, wenn es nicht durch Abstraktion geschehen ist? Ich antworte: viele
Begriffe entspringen durch geheime und dunkele Schlüsse bei Gelegenheit
der Erfahrungen, und pflanzen sich nachher auf andere fort ohne Bewußtsein
der Erfahrung selbst oder des Schlusses, welcher den Begriff über dieselbe
errichtet hat. Solche Begriffe kann man erschlichene
nennen. Dergleichen sind viele, die zum Teil nichts als ein Wahn der Einbildung,
zum Teil auch wahr sein, indem auch dunkele Schlüsse nicht immer irren.
Der Redegebrauch und die Verbindung eines Ausdrucks mit verschiedenen Erzählungen,
in denen jederzeit einerlei Hauptmerkmal anzutreffen ist, geben ihm eine bestimmte
Bedeutung, welche folglich nur dadurch kann entfalten werden, daß man
diesen versteckten Sinn durch eine Vergleichung mit allerlei Fällen der
Anwendung, die mit ihm einstimmig sein oder ihm widerstreiten, aus seiner Dunkelheit
hervorzieht. Nehmet etwa einen Raum von einem Kubikfuß und setzet, es
sei etwas, das diesen Raum erfüllt, d.i. dem Eindringen jedes andern Dinges
widerstehet, so wird niemand das Wesen, was auf solche Weise im Raum ist, geistig
nennen. Es würde offenbar
materiell heißen, weil
es ausgedehnt, undurchdringlich und, wie alles Körperliche, der Teilbarkeit
und den Gesetzen des Stoßes unterworfen ist. Bis dahin sind wir noch auf
dem gebähnten Gleise anderer Philosophen. Allein denket euch ein einfaches
Wesen, und gebet ihm zugleich Vernunft; wird dies alsdenn die Bedeutung des
Wortes Geist gerade ausfüllen?
Damit ich dieses entdecke, so will ich die Vernunft dem besagten einfachen Wesen
als eine innere Eigenschaft
lassen, vorjetzo es aber nur in äußeren Verhältnissen betrachten.
Und nunmehro frage ich: wenn ich diese einfache Substanz in jenen Raum vom Kubikfuß,
der voll Materie ist, setzen will, wird alsdenn ein einfaches Element derselben
den Platz räumen müssen, damit ihn dieser Geist erfülle? Meinet
ihr, ja? wohlan, so wird der gedachte Raum, um einen zweiten Geist einzunehmen,
ein zweites Elementarteilchen verlieren müssen und so wird endlich, wenn
man fortfährt, ein Kubikfuß Raum von Geistern erfüllet sein,
deren Klumpe eben so wohl durch Undurchdringlichkeit widerstehet, als wenn er
voll Materie wäre, und, eben so wie diese, der Gesetze des Stoßes
fähig sein muß. Nun würden aber dergleichen Substanzen, ob sie
gleich in sich Vernunftkraft haben mögen, doch äußerlich von
den Elementen der Materie gar nicht unterschieden sein, bei denen man auch nur
die Kräfte ihrer äußeren Gegenwart kennet und, was zu ihren
inneren Eigenschaften gehören mag, gar nicht weiß. Es ist also außer
Zweifel, daß eine solche Art einfacher Substanzen nicht geistige Wesen
heißen würden, davon Klumpen zusammengeballet werden könnten.
Ihr werdet also den Begriff eines Geistes nur beibehalten können, wenn
ihr euch Wesen gedenkt, die so gar in einem von Materie erfüllten Raume
gegenwärtig sein können;* Wesen also, welche die Eigenschaft der Undurchdringlichkeit
nicht an sich haben, und deren so viele, als man auch will, vereinigt niemals
ein solides Ganze ausmachen. Einfache Wesen von dieser Art werden immaterielle
Wesen und, wenn sie Vernunft haben, Geister genannt werden. Einfache Substanzen
aber, deren Zusammensetzung ein undurchdringliches und ausgedehntes Ganze gibt,
werden materielle Einheiten, ihr Ganzes aber Materie heißen. Entweder
der Name eines Geistes ist ein Wort ohne allen Sinn, oder seine Bedeutung ist
die angezeigte.
*Man wird hier leichtlich gewahr:
daß ich nur von Geistern, die als Teile zum Weltganzen gehören, und
nicht von dem unendlichen Geiste rede, der der Urheber und Erhalter desselben
ist. Denn der Begriff von der geistigen Natur des letzteren ist leicht, weil
er lediglich negativ ist, und darin besteht, daß man die Eigenschaften
der Materie an ihm verneinet, die einer unendlichen und schlechterdings notwendigen
Substanz widerstreiten. Dagegen bei einer geistigen Substanz, die mit der Materie
in Vereinigung sein soll, wie z. E. der menschlichen Seele, äußert
sich die Schwierigkeit: daß ich eine wechselseitige Verknüpfung derselben
mit körperlichen Wesen zu einem Ganzen denken, und dennoch die einzige
bekannte Art der Verbindung, welche unter materiellen Wesen statt findet, aufheben
soll.
Von der Erklärung, was der Begriff eines Geistes enthalte, ist der Schritt
noch ungemein weit zu dem Satze, daß solche Naturen wirklich, ja auch
nur möglich sein. Man findet in den Schriften der Philosophen recht gute
Beweise, darauf man sich verlassen kann: daß alles, was da denkt, einfach
sein müsse, daß eine jede vernünftigdenkende
Substanz eine
Einheit der Natur sei, und das unteilbare Ich
nicht könne in einem Ganzen von viel verbundenen Dingen verteilt sein.
Meine Seele wird
also eine einfache Substanz sein. Aber es bleibt
durch diesen Beweis noch immer unausgemacht, ob sie von der Art derjenigen sei,
die in dem Raume vereinigt ein ausgedehntes und undurchdringliches Ganze geben
und also materiell, oder ob sie immateriell und folglich ein Geist sei, ja so
gar, ob eine solche Art Wesen als diejenige, so man
geistige nennet, nur möglich sei.
Und hiebei kann ich nicht umhin, vor übereilte Entscheidungen zu warnen,
welche in den tiefsten und dunkelsten Fragen sich am leichtesten eindringen.
Was nämlich zu den gemeinen Erfahrungsbegriffen gehört, das pflegt
man gemeiniglich so anzusehen, als ob man auch seine Möglichkeit einsehe.
Dagegen was von ihnen abweicht und durch keine Erfahrung
auch nicht einmal der Analogie
nach verständlich gemacht werden kann, davon kann man sich freilich keinen
Begriff machen, und darum pflegt man es gerne als unmöglich sofort zu verwerfen.
Alle Materie widerstehet in dem Raume ihrer Gegenwart und heißt darum
undurchdringlich. Daß dieses geschehe, lehrt die Erfahrung,
und die Abstraktion
von dieser Erfahrung bringt in uns auch den allgemeinen
Begriff der Materie
hervor. Dieser Widerstand aber, den etwas in dem Raume seiner Gegenwart leistet,
ist auf solche Weise wohl erkannt,
allein darum nicht begriffen.
Denn es ist derselbe, so wie alles, was einer Tätigkeit entgegenwirkt,
eine wahre Kraft,
und, da ihre Richtung derjenigen entgegen steht, wornach die fortgezogne Linien
der Annäherung zielen, so ist sie eine Kraft der Zurückstoßung,
welche der Materie und folglich auch ihren Elementen muß beigeleget werden.
Nun wird sich ein jeder Vernünftiger bald bescheiden, daß hier die
menschliche Einsicht zu Ende sei. Denn nur durch die Erfahrung kann man inne
werden, daß Dinge der Welt, welche wir materiell nennen, eine solche Kraft
haben, niemals aber die Möglichkeit derselben begreifen. Wenn ich
nun Substanzen anderer Art setze, die mit andern Kräften im Raume gegenwärtig
sein als mit jener treibenden Kraft,
deren Folge die Undurchdringlichkeit ist, so kann ich freilich eine Tätigkeit
derselben, welche keine Analogie mit meinen Erfahrungsvorstellungen hat, gar
nicht in concreto denken, und indem ich ihnen die
Eigenschaft nehme, den Raum, in dem sie wirken, zu erfüllen,
so stehet mir ein Begriff ab, wodurch mir sonsten die Dinge denklich sein, welche
in meine Sinne fallen, und es muß daraus notwendig eine Art von Undenklichkeit
entspringen. Allein diese kann darum nicht als eine erkannte Unmöglichkeit
angesehen werden, eben darum, weil das Gegenteil seiner Möglichkeit nach
gleichfalls uneingesehen bleiben wird, ob zwar dessen Wirklichkeit in die Sinne
fällt.
Man kann demnach die Möglichkeit immaterieller Wesen annehmen ohne Besorgnis
widerlegt zu werden, wiewohl auch ohne Hoffnung, diese Möglichkeit durch
Vernunftgründe beweisen zu können. Solche geistige Naturen würden
im Raume gegenwärtig sein, so daß derselbe dem ungeachtet vor körperliche
Wesen immer durchdringlich bliebe, weil ihre Gegenwart wohl eine Wirksamkeit
im Raume, aber nicht dessen Erfüllung,
d.i. einen Widerstand als den Grund der Solidität enthielte. Nimmt man
nun eine solche einfache
geistige Substanz an, so würde man unbeschadet
ihrer Unteilbarkeit sagen können: daß der Ort ihrer unmittelbaren
Gegenwart nicht ein Punkt, sondern selbst ein Raum
sei. Denn um die Analogie zu Hülfe zu rufen,
so müssen notwendig selbst die einfachen Elemente der Körper
ein jegliches ein Räumchen in dem Körper
erfüllen, der ein proportionierter Teil
seiner ganzen Ausdehnung
ist, weil Punkte
gar nicht Teile sondern
Grenzen des Raumes sind. Da diese Erfüllung des Raumes vermittelst einer
wirksamen Kraft (der Zurückstoßung)
geschieht und also nur einen Umfang der größeren Tätigkeit,
nicht aber eine Vielheit
der Bestandteile des wirksamen Subjekts anzeigt, so widerstreitet sie gar nicht
der einfachen Natur derselben, obgleich freilich die Möglichkeit hievon
nicht weiter kann deutlich gemacht werden, welches niemals bei den ersten Verhältnissen
der Ursachen und Wirkungen
angeht.
Eben so wird mir zum wenigsten keine erweisliche Unmöglichkeit entgegen
stehen, obschon die Sache selbst unbegreiflich bleibt, wenn ich behaupte: daß
eine geistige Substanz, ob sie gleich einfach ist, dennoch einen Raum einnehme
(d.i. in ihm unmittelbar tätig
sein könne), ohne ihn zu erfüllen
(d.i. materiellen Substanzen darin Widerstand zu leisten).
Auch würde eine solche immaterielle Substanz
nicht ausgedehnt
genannt werden müssen, so wenig wie es die Einheiten der Materie sind;
denn nur dasjenige, was abgesondert von allem und vor sich allein existierend
einen Raum einnimmt, ist ausgedehnt; die Substanzen aber, welche Elemente der
Materie sind, nehmen einen Raum nur durch die äußere
Wirkung in andere ein, vor sich besonders aber, wo keine andre Dinge in Verknüpfung
mit ihnen gedacht werden, und da in ihnen selbst auch nichts außereinander
Befindliches anzutreffen ist, enthalten sie keinen Raum. Dieses gilt von Körperelementen.
Dieses würde auch von geistigen Naturen gelten. Die Grenzen der Ausdehnung
bestimmen die Figur. An ihnen würde also keine Figur gedacht werden
können. Dieses sind schwer einzusehende Gründe der vermuteten Möglichkeit
immaterieller Wesen in dem Weltganzen. Wer im Besitze leichterer Mittel ist,
die zu dieser Einsicht führen können, der versage seinen Unterricht
einem Lehrbegierigen nicht, vor dessen Augen im Fortschritt der Untersuchung
sich öfters Alpen erheben, wo andere einen ebenen und gemächlichen
Fußsteig vor sich sehen, den sie fortwandern oder zu wandern glauben.
Gesetzt nun, man hätte bewiesen, die Seele
des Menschen sei ein Geist (wiewohl
aus dem vorigen zu sehen ist, daß ein solcher Beweis noch niemals geführet
worden), so würde die nächste Frage die man tun könnte
etwa diese sein: Wo ist der Ort
dieser menschlichen Seele in der Körperwelt?
Ich würde antworten: derjenige Körper, dessen Veränderungen meine
Veränderungen sein, dieser Körper ist mein Körper, und der Ort
desselben ist zugleich mein
Ort. Setzet man die Frage weiter fort, wo ist denn dein
Ort (der Seele) in diesem Körper? so würde
ich etwas Verfängliches in dieser Frage vermuten. Denn man bemerkt leicht,
daß darin etwas schon vorausgesetzet werde, was nicht durch Erfahrung
bekannt ist, sondern vielleicht auf eingebildeten Schlüssen beruhet: nämlich
daß mein denkendes Ich in einem Orte sei, der von den Örtern anderer
Teile desjenigen Körpers, der zu meinem Selbst gehöret, unterschieden
wäre. Niemand aber ist sich eines besondern Orts in seinem Körper
unmittelbar bewußt, sondern desjenigen, den er als Mensch in Ansehung
der Welt umher einnimmt. Ich würde mich also an der gemeinen Erfahrung
halten und vorläufig sagen: wo ich
empfinde,
da bin ich. Ich bin eben
so unmittelbar in der Fingerspitze wie in dem Kopfe. Ich bin es selbst, der
in der Ferse leidet und welchem das Herz im Affekte
klopft. Ich fühle den schmerzhaften Eindruck nicht an einer Gehirnnerve,
wenn mich mein Leichdorn peinigt, sondern am Ende meiner Zehen.
Keine Erfahrung lehrt mich, einige Teile meiner Empfindung von mir vor entfernt
zu halten, mein unteilbares Ich in ein mikroskopisch
kleines Plätzchen des Gehirnes zu versperren, um von da aus den Hebezeug
meiner Körpermaschine in Bewegung zu setzen, oder dadurch selbst getroffen
zu werden. Daher würde ich einen strengen Beweis verlangen, um dasjenige
ungereimt zu finden, was die Schullehrer sagten: meine
Seele ist ganz im ganzen Körper und ganz in jedem seiner Teile.
Der gesunde Verstand bemerkt oft die Wahrheit eher, als er die Gründe einsiehet,
dadurch er sie beweisen oder erläutern kann. Der Einwurf würde mich
auch nicht gänzlich irre machen, wenn man sagte, daß ich auf solche
Art die Seele ausgedehnt und durch den ganzen Körper verbreitet gedächte,
so ohngefähr wie sie den Kindern in der gemalten
Welt abgebildet wird. Denn ich würde diese Hindernis
dadurch wegräumen, daß ich bemerkte: die unmittelbare Gegenwart in
einem ganzen Raume beweise nur eine Sphäre der äußeren Wirksamkeit,
aber nicht eine Vielheit innerer Teile, mithin auch keine Ausdehnung oder Figur,
als welche nur statt finden, wenn in einem Wesen vor
sich allein gesetzt ein Raum ist, d.i. Teile anzutreffen
sind, die sich außerhalb einander befinden. Endlich würde ich entweder
dieses wenige von der geistigen Eigenschaft meiner Seele wissen, oder, wenn
man es nicht einwilligte, auch zufrieden sein, davon gar nichts zu wissen.
Wollte man diesen Gedanken die Unbegreiflichkeit, oder, welches bei den meisten
vor einerlei gilt, ihre Unmöglichkeit vorrücken, so könnte ich
es auch geschehen lassen. Alsdenn würde ich mich zu den Füßen
dieser Weisen niederlassen, um sie also reden zu hören. Die Seele des Menschen
hat ihren Sitz im Gehirne, und ein unbeschreiblich kleiner Platz in demselben
ist ihr Aufenthalt.*
*Man hat Beispiele von Verletzungen,
dadurch ein guter Teil des Gehirns verloren worden, ohne daß es dem Menschen
das Leben oder die Gedanken gekostet hat. Nach der gemeinen Vorstellung, die
ich hier anführe, würde ein Atomus desselben haben dürfen entführt,
oder aus der Stelle gerückt werden, um in einem Augenblick den Menschen
zu entseelen. Die herrschende Meinung: der Seele einen Platz im Gehirne anzuweisen,
scheinet hauptsächlich ihren Ursprung darin zu haben, daß man bei
starkem Nachsinnen deutlich fühlt, daß die Gehirnnerven angestrengt
werden. Allein wenn dieser Schluß richtig wäre, so würde er
auch noch andere Örter der Seele beweisen. In der Bangigkeit oder der Freude
scheint die Empfindung ihren Sitz im Herzen zu haben. Viele Affekten, ja die
mehresten, äußern ihre Hauptstärke im Zwerchfell. Das Mitleiden
bewegt die Eingeweide und andre Instinkte äußern ihren Ursprung und
Empfindsamkeit in andern Organen. Die Ursache, die da macht, daß man die
nachdenkende Seele vornehmlich im Gehirne zu empfinden
glaubt, ist vielleicht diese. Alles Nachsinnen erfordert die Vermittelung der
Zeichen vor die zu erweckende Ideen, um in deren Begleitung
und Unterstützung dessen den erforderlichen Grad Klarheit zu geben. Die
Zeichen unserer Vorstellungen aber sind vornehmlich solche, die entweder durchs
Gehör oder das Gesicht empfangen sind, welche beide Sinne durch die Eindrücke
im Gehirne bewegt werden, indem ihre Organen auch diesem Teile am nächsten
liegen. Wenn nun die Erweckung dieser Zeichen, welche Cartesius
ideas materiales nennt, eigentlich eine Reizung der Nerven zu einer
ähnlichen Bewegung mit derjenigen ist, welche die Empfindung ehedem hervorbrachte,
so wird das Gewebe des Gehirns im Nachdenken vornehmlich genötiget werden,
mit vormaligen Eindrücken harmonisch zu beben, und dadurch ermüdet
werden. Denn wenn das Denken zugleich affektvoll ist, so empfindet man nicht
allein Anstrengungen des Gehirnes, sondern zugleich Angriffe der reizbaren Teile,
welche sonst mit den Vorstellungen der in Leidenschaft versetzten Seele in Sympathie
stehen.
Daselbst empfindet sie wie die Spinne im Mittelpunkte ihres Gewebes. Die Nerven
des Gehirnes stoßen oder erschüttern sie, dadurch verursachen sie
aber, daß nicht dieser unmittelbare Eindruck, sondern der, so auf ganz
entlegene Teile des Körpers geschieht, jedoch als ein außerhalb dem
Gehirne gegenwärtiges Objekt vorgestellet wird. Aus diesem Sitze bewegt
sie auch die Seile und Hebel der ganzen Maschine, und verursacht willkürliche
Bewegungen nach ihrem Belieben. Dergleichen Sätze lassen sich nur sehr
seichte, oder gar nicht beweisen, und, weil die Natur der Seele im Grunde nicht
bekannt gnug ist, auch nur eben so schwach widerlegen.
Ich würde also mich in keine Schulgezänke einlassen, wo gemeiniglich
beide Teile alsdenn am meisten zu sagen haben, wenn sie von ihrem Gegenstande
gar nichts verstehen; sondern ich würde lediglich den Folgerungen nachgehen,
auf die mich eine Lehre von dieser Art leiten kann. Weil also nach denen mir
angepriesenen Sätzen meine Seele, in der Art wie sie im Raume
gegenwärtig ist, von jedem Element der Materie
nicht unterschieden wäre, und die Verstandeskraft
eine innere Eigenschaft ist, welche ich in diesen Elementen doch nicht wahrnehmen
könnte, wenn gleich selbige in ihnen allen angetroffen würde, so könnte
kein tauglicher Grund angeführet werden, weswegen nicht meine Seele eine
von den Substanzen sei, welche die Materie ausmachen, und warum nicht ihre besondere
Erscheinungen lediglich von dem Orte herrühren sollten, den sie in einer
künstlichen Maschine, wie der tierische Körper ist, einnimmt, wo die
Nervenvereinigung der inneren Fähigkeit des Denkens
und der Willkür
zu statten kommt.
Alsdenn aber würde man kein eigentümliches Merkmal der Seele mehr
mit Sicherheit erkennen, welches sie von dem rohen Grundstoffe der körperlichen
Naturen unterschiede, und Leibnizens scherzhafter
Einfall, nach welchem wir vielleicht im Kaffee Atomen verschluckten, woraus
Menschenseelen werden sollen, wäre nicht mehr ein Gedanke zum Lachen. Würde
aber auf solchen Fall dieses denkende Ich nicht
dem gemeinen Schicksale materieller Naturen unterworfen sein, und, wie es durch
den Zufall aus dem Chaos
aller Elemente gezogen worden, um eine tierische Maschine zu beleben, warum
sollte es, nachdem diese zufällige Vereinigung aufgehöret hat, nicht
auch künftig dahin wiederum zurückkehren? Es ist bisweilen nötig,
den Denker, der auf unrechtem Wege ist, durch die Folgen zu erschrecken, damit
er aufmerksamer auf die Grundsätze werde, durch welche er sich gleichsam
träumend hat fortführen lassen.
Ich gestehe, daß ich sehr geneigt sei, das Dasein immaterieller Naturen
in der Welt zu behaupten, und meine Seele selbst in die Klasse dieser Wesen
zu versetzen.*
*Der Grund hievon, der mir selbst
sehr dunkel ist und wahrscheinlicher Weise auch wohl so bleiben wird, trifft
zugleich auf das empfindende Wesen in den Tieren. Was in der Welt ein Principium
des Lebens enthält, scheint immaterieller Natur
zu sein. Denn alles Leben beruhet auf dem inneren Vermögen, sich selbst
nach Willkür zu bestimmen. Da hingegen das wesentliche
Merkmal der Materie in der Erfüllung des Raumes durch eine notwendige Kraft
bestehet, die durch äußere Gegenwirkung beschränkt ist; daher
der Zustand alles dessen, was materiell ist, äußerlich abhangend
und gezwungen ist, diejenige Naturen aber, die selbst
tätig und aus ihrer innern Kraft wirksam den Grund des Lebens
enthalten sollen, kurz diejenige, deren eigene Willkür sich von selber
zu bestimmen und zu verändern vermögend ist, schwerlich materieller
Natur sein können. Man kann vernünftiger Weise nicht verlangen, daß
eine so unbekannte Art Wesen, die man mehrenteils nur hypothetisch erkennt,
in den Abteilungen ihrer verschiedenen Gattungen sollte begriffen werden; zum
wenigsten sind diejenige immaterielle Wesen, die den Grund des tierischen Lebens
enthalten, von denenjenigen unterschieden, die in ihrer Selbsttätigkeit
Vernunft begreifen und Geister genannt werden.
Alsdenn aber: wie geheimnisvoll wird nicht die Gemeinschaft zwischen einem Geiste
und einem Körper? aber wie natürlich ist nicht zugleich diese Unbegreiflichkeit,
da unsere Begriffe äußerer Handlungen von denen der Materie abgezogen
worden und jederzeit mit den Bedingungen des Druckes oder Stoßes verbunden
sein, die hier nicht statt finden? Denn wie sollte wohl eine immaterielle Substanz
der Materie im Wege liegen, damit diese in ihrer Bewegung auf einen Geist stoße,
und wie können körperliche Dinge Wirkungen auf ein fremdes Wesen ausüben,
das ihnen nicht Undurchdringlichkeit entgegen stellet, oder welches sie auf
keine Weise hindert, sich in demselben Raume, darin es gegenwärtig ist,
zugleich zu befinden? Es scheinet, ein geistiges Wesen sei der Materie innigst
gegenwärtig, mit der es verbunden ist, und würke nicht auf diejenige
Kräfte der Elemente, womit diese untereinander in Verhältnissen sein.
sondern auf das innere Principium ihres Zustandes. Denn eine jede Substanz,
selbst ein einfaches Element der Materie muß doch irgend eine innere Tätigkeit
als den Grund der äußerlichen Wirksamkeit haben, wenn ich gleich
nicht anzugeben weiß, worin solche bestehe.*
*Leibniz sagte,
dieser innere Grund aller seiner äußeren Verhältnisse und ihrer
Veränderungen sei eine Vorstellungskraft, und
spätere Philosophen empfingen diesen unausgeführten Gedanken mit Gelächter.
Sie hätten aber nicht übel getan, wenn sie vorhero bei sich überlegt
hätten, ob denn eine Substanz, wie ein einfacher Teil der Materie ist,
ohne allem inneren Zustande möglich sei, und wenn sie denn diesen etwa
nicht ausschließen wollten, so würde ihnen obgelegen haben, irgend
einen andern möglichen innern Zustand zu ersinnen, als den der Vorstellungen
und der Tätigkeiten, die von ihnen abhängend sein. Jedermann sieht
von selber, daß, wenn man auch den einfachen Elementarteilen der Materie
ein Vermögen dunkler Vorstellungen zugesteht, daraus noch keine Vorstellungskraft
der Materie selbst erfolge, weil viel Substanzen von solcher Art, in einem Ganzen
verbunden, doch niemals eine denkende Einheit ausmachen können.
Anderer Seits würde bei solchen Grundsätzen die Seele auch in diesen
inneren Bestimmungen als Wirkungen den Zustand des Universum anschauend erkennen,
der die Ursache derselben ist. Welche Notwendigkeit aber verursache, daß
ein Geist und ein Körper zusammen Eines ausmache, und welche Gründe
bei gewissen Zerstörungen diese Einheit wiederum aufheben, diese Fragen
übersteigen nebst verschiedenen andern sehr weit meine Einsicht, und wie
wenig ich auch sonst dreiste bin, meine Verstandesfähigkeit an den Geheimnissen
der Natur zu messen, so bin ich gleichwohl zuversichtlich gnug, keinen noch
so fürchterlich ausgerüsteten Gegner zu scheuen (wenn
ich sonsten einige Neigung zum Streiten hätte), um in diesem Falle
mit ihm den Versuch der Gegengründe im Widerlegen
zu machen, der bei den Gelehrten eigentlich die Geschicklichkeit ist, einander
das Nichtwissen zu demonstrieren.Zweites Hauptstück.
Ein
Fragment der geheimen Philosophie, die Gemeinschaft mit der Geisterwelt zu eröffnen
Der Initiat hat schon den groben und an den äußerlichen Sinnen klebenden
Verstand zu höhern und abgezogenen Begriffen gewöhnt, und nun kann
er geistige und von körperlichen Zeuge enthüllete Gestalten in derjenigen
Dämmerung sehen, womit das schwache Licht der
Metaphysik
das Reich der Schatten sichtbar macht. Wir wollen
daher, nach der beschwerlichen Vorbereitung welche überstanden ist, uns
auf den gefährlichen Weg wagen.
Ibant obscuri sola sub nocte per umbras,
Perque domos Ditis vacuas et inania regna. Virgilius.
Sie gingen im Dunkeln in einsamer
Nacht durch die Schatten;
durch die öden Behausungen Plutos und die leeren Reiche.Die tote
Materie, welche den Weltraum erfüllet, ist ihrer eigentümlichen Natur
nach im Stande der Trägheit und der Beharrlichkeit in einerlei Zustande,
sie hat Solidität, Ausdehnung und Figur, und ihre Erscheinungen, die auf
allen diesen Gründen beruhen, lassen eine physische
Erklärung zu, die zugleich mathematisch ist und zusammen
mechanisch genannt wird.
Wenn man anderer Seits seine Achtsamkeit auf diejenige Art Wesen richtet, welche
den Grund des Lebens in dem Weltganzen enthalten, die um deswillen nicht von
der Art sein, daß sie als Bestandteile den Klumpen und die Ausdehnung
der leblosen Materie vermehren, noch von ihr nach den Gesetzen der Berührung
und des Stoßes leiden, sondern vielmehr durch innere Tätigkeit sich
selbst und überdem den toten Stoff der Natur rege machen, so wird man,
wo nicht mit der Deutlichkeit einer Demonstration, doch wenigstens mit der Vorempfindung
eines nicht ungeübten Verstandes, sich von dem Dasein immaterieller Wesen
überredet finden, deren besondere Wirkungsgesetze pneumatisch,
und, so ferne die körperliche Wesen Mittelursachen ihrer Wirkungen in der
materiellen Welt sein, organisch
genannt werden. Da diese immaterielle Wesen selbsttätige Prinzipien sind,
mithin Substanzen und vor sich bestehende Naturen, so ist diejenige Folge, auf
die man zunächst gerät, diese: daß sie untereinander unmittelbar
vereinigt vielleicht ein großes Ganze ausmachen mögen, welches man
die immateriale Welt (mundus
intelligibilis) nennen kann. Denn mit welchem Grunde der Wahrscheinlichkeit
wollte man wohl behaupten, daß dergleichen Wesen von einander ähnlicher
Natur nur vermittelst anderer (körperlichen Dinge)
von fremder Beschaffenheit in Gemeinschaft stehen könnten, indem dieses
letztere noch viel rätselhafter als das erste ist?
Diese immaterielle Welt
kann also als ein vor sich bestehendes Ganze angesehen werden, deren Teile untereinander
in wechselseitiger Verknüpfung und Gemeinschaft stehen, auch ohne Vermittelung
körperlicher Dinge, so daß dieses letztere Verhältnis zufällig
ist und nur einigen zukommen darf, ja, wo sie auch angetroffen wird, nicht hindert,
daß nicht eben die immaterielle Wesen, welche durch die Vermittelung der
Materie ineinander wirken, außer diesem noch in einer besondern und durchgängigen
Verbindung stehen, und jederzeit untereinander als immaterielle Wesen wechselseitige
Einflüsse ausüben, so daß das Verhältnis derselben vermittelst
der Materie nur zufällig und auf einer besonderen göttlichen
Anstalt beruhet, jene hingegen natürlich und unauflöslich ist.
Indem man denn auf solche Weise alle Prinzipien des Lebens in der ganzen Natur,
als so viel unkörperliche Substanzen untereinander in Gemeinschaft, aber
auch zum Teil mit der Materie vereinigt, zusammennimmt, so gedenkt man sich
ein großes Ganze der immateriellen Welt; eine unermeßliche aber
unbekannte Stufenfolge von Wesen und tätigen Naturen, durch welche der
tote Stoff der Körperwelt allein belebt wird. Bis auf welche Glieder aber
der Natur Leben ausgebreitet sei, und welche diejenigen Grade desselben sein,
die zunächst an die völlige Leblosigkeit grenzen, ist vielleicht unmöglich
jemals mit Sicherheit auszumachen.
Der Hylozoismus
belebt alles, der Materialismus
dagegen, wenn er genau erwogen wird, tötet alles. Maupertuis
maß den organischen
Nahrungsteilchen aller Tiere den niedrigsten Grad Leben bei; andere Philosophen
sehen an ihnen nichts als tote Klumpen, welche nur dienen, den Hebezeug der
tierischen Maschinen zu vergrößern. Das ungezweifelte Merkmal
des Lebens an dem,
was in unsere äußere Sinne fällt, ist wohl die freie Bewegung,
die da blicken läßt, daß sie aus Willkür entsprungen sei;
allein der Schluß ist nicht sicher, daß, wo dieses Merkmal nicht
angetroffen wird, auch kein Grad des Lebens befindlich sei. Boerhaave
sagt an einem Orte: Das Tier ist eine Pflanze,
die ihre Wurzel im Magen (inwendig)
hat. Vielleicht
könnte ein anderer eben so ungetadelt mit diesen Begriffen spielen und
sagen: Die Pflanze ist ein Tier, das seinen
Magen in der Wurzel (äußerlich)
hat. Daher auch
den letzteren die Organen der willkürlichen Bewegung und mit ihnen die
äußerliche Merkmale des Lebens fehlen können, die doch den ersteren
notwendig sind, weil ein Wesen, welches die Werkzeuge seiner Ernährung
in sich hat, sich selbst seiner Bedürfnis gemäß muß bewegen
können, dasjenige aber, an welchem dieselbe außerhalb und in dem
Elemente seiner Unterhaltung eingesenkt sind, schon gnugsam durch äußere
Kräfte erhalten wird, und, wenn es gleich ein Principium des inneren Lebens
in der Vegetation enthält, doch keine organische Einrichtung zur äußerlichen
willkürlichen Tätigkeit bedarf. Ich verlange nichts von allem diesen
auf Beweisegründen, denn außerdem, daß ich sehr wenig zum Vorteil
von dergleichen Mutmaßungen würde zu sagen haben, so haben sie noch
als bestäubte veraltete Grillen den Spott der Mode wider sich.
Die Alten glaubten nämlich dreierlei Art vom Leben annehmen zu können,
das pflanzenartige, das
tierische und das vernünftige.
Wenn sie die drei immaterielle Prinzipien derselben in dem Menschen vereinigten,
so möchten sie wohl Unrecht haben, wenn sie aber solche unter die dreierlei
Gattungen der wachsenden und ihres Gleichen erzeugenden Geschöpfe verteileten,
so sagten sie freilich wohl etwas Unerweisliches, aber darum noch nicht Ungereimtes,
vornehmlich in dem Urteile desjenigen, der das besondere Leben der von einigen
Tieren abgetrenneten Teile, die Irritabilität
[Empfindlichkeit, Reizbarkeit],
diese so wohl erwiesene, aber auch zugleich so unerklärliche
Eigenschaft der Fasern eines tierischen Körpers und einiger Gewächse,
und endlich die nahe Verwandtschaft der Polypen und anderer Zoophyten mit den
Gewächsen in Betracht ziehen wollte. Übrigens ist die Berufung auf
immaterielle Prinzipien eine Zuflucht der faulen Philosophie, und darum auch
die Erklärungsart in diesem Geschmacke nach aller Möglichkeit zu vermeiden,
damit diejenigen Gründe der Welterscheinungen, welche auf den Bewegungsgesetzen
der bloßen Materie beruhen, und welche auch einzig und allein der Begreiflichkeit
fähig sein, in ihrem ganzen Umfange erkannt werden. Gleichwohl bin ich
überzeugt, daß Stahl, welcher die tierische
Veränderungen gerne organisch erklärt, oftmals der Wahrheit näher
sei, als Hofmann, Boerhaave u.a.m., welche die
immaterielle Kräfte aus dem Zusammenhange lassen, sich an die mechanische
Gründe halten, und hierin einer mehr philosophischen Methode folgen, die
wohl bisweilen fehlt, aber mehrmalen zutrifft, und die auch allein in der Wissenschaft
von nützlicher Anwendung ist, wenn anderseits von dem Einflusse der Wesen
von unkörperlicher Natur höchstens nur erkannt werden kann, daß
er da sei, niemals aber, wie er zugehe und wie weit sich seine Wirksamkeit erstrecke.
So würde denn also die immaterielle Welt zuerst alle erschaffene Intelligenzen,
deren einige mit der Materie zu einer Person
verbunden sein andere aber nicht, in sich befassen, überdem die empfindende
Subjekte in allen Tierarten, und endlich alle Prinzipien des Lebens, welche
sonst noch in der Natur wo sein mögen, ob dieses sich gleich durch keine
äußerliche Kennzeichen der willkürlichen
Bewegung offenbarete. Alle diese immaterielle Naturen, sage ich, sie
mögen nun ihre Einflüsse in der Körperwelt ausüben oder
nicht, alle vernünftige Wesen, deren zufälliger Zustand tierisch ist,
es sei hier auf der Erde oder in andern Himmelskörpern, sie mögen
den rohen Zeug der Materie jetzt oder künftig beleben, oder ehedem belebt
haben, würden nach diesen Begriffen in einer ihrer Natur gemäßen
Gemeinschaft stehen, die nicht auf den Bedingungen beruht, wodurch die Verhältnis
der Körper eingeschränkt ist, und wo die Entfernung der Örter
oder der Zeitalter, welche in der sichtbaren Welt die große Kluft ausmacht,
die alle Gemeinschaft aufhebt, verschwindet. Die menschliche Seele würde
daher schon in dem gegenwärtigen Leben als verknüpft mit zweien Welten
zugleich müssen angesehen werden, von welchen sie, so ferne sie zu persönlicher
Einheit mit einem Körper verbunden ist, die materielle allein klar empfindet,
dagegen als ein Glied der Geisterwelt die reine Einflüsse immaterieller
Naturen empfängt und erteilet, so daß, so bald jene Verbindung aufgehört
hat, die Gemeinschaft, darin sie jederzeit mit geistigen Naturen stehet, allein
übrig bleibt, und sich ihrem Bewußtsein zum klaren Anschauen eröffnen
müßte.
*Wenn man von dem Himmel als dem Sitze
der Seligen redet, so setzt die gemeine Vorstellung ihn gerne über sich,
hoch in dem unermeßlichen Weltraume. Man bedenket aber nicht, daß
unsre Erde, aus diesen Gegenden gesehen, auch als einer von den Sternen des
Himmels erscheine, und daß die Bewohner anderer Welten mit eben so gutem
Grunde nach uns hin zeigen könnten, und sagen: sehet da den Wohnplatz ewiger
Freuden und einen himmlischen Aufenthalt, welcher zubereitet ist, uns dereinst
zu empfangen. Ein wunderlicher Wahn nämlich macht, daß der hohe Flug,
den die Hoffnung nimmt, immer mit dem Begriffe des Steigens verbunden ist, ohne
zu bedenken, daß, so hoch man auch gestiegen ist, man doch wieder sinken
müsse, um allenfalls in einer andern Welt festen Fuß zu fassen. Nach
den angeführten Begriffen aber würde der Himmel eigentlich die Geisterwelt
sein, oder, wenn man will, der selige Teil derselben, und diese würde man
weder über sich noch unter sich zu suchen haben, weil ein solches immaterielle
Ganze nicht nach den Entfernungen oder Naheiten gegen körperliche Dinge,
sondern in geistigen Verknüpfungen seiner Teile untereinander vorgestellt
werden muß, wenigstens die Glieder derselben sich nur nach solchen Verhältnissen
ihrer selbst bewußt sein.
Es wird mir nach gerade beschwerlich, immer die behutsame Sprache der Vernunft
zu führen. Warum sollte es mir nicht auch erlaubt sein, im akademischen
Tone zu reden, der entscheidender ist, und so wohl den Verfasser als den Leser
des Nachdenkens überhebt, welches über lang oder kurz beide nur zu
einer verdrießlichen Unentschlossenheit führen muß. Es ist
demnach so gut als demonstriert, oder, es könnte leichtlich bewiesen werden,
wenn man weitläuftig sein wollte, oder noch besser, es wird künftig,
ich weiß nicht wo oder wenn, noch bewiesen werden: daß
die menschliche Seele auch in diesem Leben in einer unauflöslich verknüpften
Gemeinschaft mit allen immateriellen Naturen der Geisterwelt stehe, daß
sie wechselweise in diese wirke und von ihnen Eindrücke empfange, deren
sie sich aber als Mensch nicht bewußt ist, so lange alles
wohl steht. Andererseits ist es auch wahrscheinlich, daß die geistige
Naturen unmittelbar keine sinnliche Empfindung von der Körperwelt mit Bewußtsein
haben können, weil sie mit keinem Teil der Materie zu einer Person verbunden
sein, um sich vermittelst desselben ihres Orts in dem materiellen Weltganzen,
und durch künstliche Organen
der Verhältnis der ausgedehnten Wesen, gegen sich und gegen einander bewußt
zu werden, daß sie aber wohl in die Seelen der Menschen als Wesen von
einerlei Natur einfließen können, und auch wirklich jederzeit mit
ihr in wechselseitiger Gemeinschaft stehen, doch so, daß in der Mitteilung
der Vorstellungen diejenige, welche die Seele als ein von der Körperwelt
abhängendes Wesen in sich enthält, nicht in andern geistigen Wesen,
und die Begriffe der letzteren, als anschauende Vorstellungen von immateriellen
Dingen, nicht in das klare Bewußtsein des Menschen übergehen können,
wenigstens nicht in ihrer eigentlichen Beschaffenheit, weil die Materialien
zu beiderlei Ideen von verschiedener Art sind.
Es würde schön sein, wenn eine dergleichen systematische Verfassung
der Geisterwelt, als wir sie vorstellen, nicht
lediglich aus dem Begriffe von der geistigen Natur überhaupt, der gar zu
sehr hypothetisch ist, sondern aus irgend einer wirklichen und allgemein zugestandenen
Beobachtung könnte geschlossen, oder auch nur wahrscheinlich vermutet werden.
Daher wage ich es, auf die Nachsicht des Lesers einen Versuch von dieser Art
hier einzuschalten, der zwar etwas außer meinem Wege liegt, und auch von
der Evidenz weit gnug entfernet ist, gleichwohl aber zu nicht unangenehmen Vermutungen
Anlaß zu geben scheinet.
* * *
Unter den Kräften, die das menschliche Herz bewegen, scheinen einige der
mächtigsten außerhalb demselben zu liegen, die also nicht etwa als
bloße Mittel sich auf die Eigennützigkeit und Privatbedürfnis,
als auf ein Ziel, das innerhalb
dem Menschen selbst liegt, beziehen, sondern welche machen, daß die Tendenzen
unserer Regungen den Brennpunkt ihrer Vereinigung
außer uns in andere vernünftige Wesen versetzen;
woraus ein Streit zweier Kräfte entspringt, nämlich der Eigenheit,
die alles auf sich beziehet, und der Gemeinnützigkeit, dadurch das Gemüt
gegen andere außer sich getrieben oder gezogen wird. Ich halte mich bei
dem Triebe nicht auf, vermöge dessen wir so stark und so allgemein am Urteile
anderer hängen, und fremde Billigung oder Beifall zur Vollendung des unsrigen
von uns selbst so nötig zu sein erachten, woraus, wenn gleich bisweilen
ein übelverstandener Ehrenwahn entspringt, dennoch selbst in der uneigennützigsten
und wahrhaftesten Gemütsart ein geheimer Zug verspürt wird, dasjenige,
was man vor sich selbst als gut
oder wahr erkennt, mit dem Urteil anderer zu vergleichen, um beide einstimmig
zu machen, imgleichen eine jede menschliche Seele auf dem Erkenntniswege gleichsam
anzuhalten, wenn sie einen andern Fußsteig zu gehen scheint, als den wir
eingeschlagen haben, welches alles vielleicht eine empfundene Abhängigkeit
unserer eigenen Urteile vom allgemeinen menschlichen
Verstande ist, und ein Mittel wird, dem Ganzen denkender
Wesen eine Art von Vernunfteinheit zu verschaffen.
Ich übergehe aber diese sonst nicht unerhebliche Betrachtung, und halte
mich vor itzt an eine andere, welche einleuchtender und beträchtlicher
ist, so viel es unsere Absicht betrifft. Wenn wir äußere Dinge auf
unsere Bedürfnis beziehen, so können wir dieses nicht tun, ohne uns
zugleich durch eine gewisse Empfindung gebunden und eingeschränkt zu fühlen,
die uns merken läßt, daß in uns gleichsam ein
fremder Wille wirksam sei, und unser eigen Belieben die Bedingung von
äußerer Beistimmung nötig habe.
Eine geheime Macht nötiget uns, unsere Absicht
zugleich auf anderer Wohl oder nach fremder Willkür
zu richten, ob dieses gleich öfters ungern geschieht, und der eigennützigen
Neigung stark widerstreitet, und der Punkt, wohin die Richtungslinien unserer
Triebe zusammenlaufen, ist also nicht bloß in uns, sondern es sind noch
Kräfte, die uns bewegen, in dem Wollen anderer außer uns. Daher entspringen
die sittlichen Antriebe, die uns oft wider den Dank des Eigennutzes fortreißen,
das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwächere der Gütigkeit,
deren jede uns manche Aufopferung abdringt, und ob gleich beide dann und wann
durch eigennützige Neigungen überwogen werden, doch nirgend in der
menschlichen Natur ermangeln, ihre Wirklichkeit zu äußern. Dadurch
sehen wir uns in den geheimsten Beweggründen abhängig von der Regel
des allgemeinen Willens, und es entspringt daraus in der
Welt aller denkenden Naturen eine moralische
Einheit und systematische Verfassung nach bloß geistigen
Gesetzen. Will man diese in uns empfundene Nötigung unseres Willens zur
Einstimmung mit dem allgemeinen Willen das
sittliche Gefühl nennen, so redet man davon nur als
von einer Erscheinung dessen, was in uns wirklich vorgeht, ohne die Ursachen
derselben auszumachen.
So nannte Newton das sichere Gesetz der Bestrebungen
aller Materie, sich einander zu nähern, die Gravitation
derselben, indem er seine mathematische Demonstrationen nicht in eine verdrießliche
Teilnehmung an philosophischen Streitigkeiten verflechten wollte, die sich über
die Ursache derselben eräugnen könnten. Gleichwohl trug er kein Bedenken,
diese Gravitation als eine wahre Wirkung einer allgemeinen Tätigkeit der
Materie ineinander zu behandeln, und gab ihr daher auch den Namen der Anziehung.
Sollte es nicht möglich sein, die Erscheinung der sittlichen Antriebe in
den denkenden Naturen, wie solche sich auf einander wechselsweise beziehen,
gleichfalls als die Folge einer wahrhaftig tätigen Kraft, dadurch geistige
Naturen ineinander einfließen, vorzustellen, so daß das sittliche
Gefühl diese
empfundene Abhängigkeit des Privatwillens vom allgemeinen
Willen wäre, und eine Folge der natürlichen und allgemeinen Wechselwirkung,
dadurch die immaterielle Welt ihre sittliche Einheit erlangt, indem sie sich
nach den Gesetzen dieses ihr eigenen Zusammenhanges zu einem System
von geistiger Vollkommenheit
bildet? Wenn man diesen Gedanken so viel Scheinbarkeit zugesteht als erforderlich
ist, um die Mühe zu verdienen, sie an ihren Folgen zu messen, so wird man
vielleicht durch den Reiz derselben unvermerkt in einige Parteilichkeit gegen
sie verflochten werden. Denn es scheinen in diesem Falle die Unregelmäßigkeiten
mehrenteils zu verschwinden, die sonsten bei dem Widerspruch der moralischen
und physischen Verhältnisse der Menschen hier auf der Erde so befremdlich
in die Augen fallen.
Alle Moralität der Handlungen kann nach der Ordnung der Natur niemals ihre
vollständige Wirkung in dem leiblichen Leben des Menschen haben, wohl aber
in der Geisterwelt nach pneumatischen Gesetzen. Die wahre Absichten, die geheime
Beweggründe vieler aus Ohnmacht fruchtlosen Bestrebungen, der Sieg über
sich selbst, oder auch bisweilen die verborgene Tücke bei scheinbarlich
guten Handlungen, sind mehrenteils vor den physischen Erfolg in dem körperlichen
Zustande verloren, sie würden aber auf solche Weise in der immateriellen
Welt als fruchtbare Gründe angesehen werden müssen, und in Ansehung
ihrer nach pneumatischen [geistgewirkten]
Gesetzen zu Folge der Verknüpfung
des Privatwillens und des allgemeinen Willens, d.i. der Einheit und des
Ganzen der Geisterwelt, eine der sittlichen Beschaffenheit der freien Willkür
angemessene Wirkung ausüben oder auch gegenseitig empfangen. Denn weil
das Sittliche der Tat den inneren Zustand des Geistes betrifft, so kann es auch
natürlicher Weise nur in der unmittelbaren Gemeinschaft der Geister die
der ganzen Moralität adäquate Wirkung nach sich ziehen. Dadurch würde
es nun geschehen, daß die Seele des Menschen schon in diesem Leben, dem
sittlichen Zustande zufolge, ihre Stelle unter den geistigen Substanzen des
Universum einnehmen müßte, so wie nach den Gesetzen der Bewegung
die Materie des Weltraums sich in solche Ordnung gegeneinander setzen, die ihren
Körperkräften gemäß ist.*
*Die aus dem Grunde der Moralität
entspringende Wechselwirkungen des Menschen und der Geisterwelt, nach den Gesetzen
des pneumatischen Einflusses, könnte man darin setzen, daß daraus
natürlicher Weise eine nähere Gemeinschaft einer guten oder bösen
Seele mit guten und bösen Geistern entspringe, und jene dadurch sich selbst
dem Teile der geistigen Republik zugeselleten, der ihrer sittlichen Beschaffenheit
gemäß ist, mit der Teilnehmung an allen Folgen, die daraus nach der
Ordnung der Natur entstehen mögen.
Wenn denn endlich durch den Tod
die Gemeinschaft der Seele mit der Körperwelt aufgehoben worden, so würde
das Leben in der andern Welt nur eine natürliche Fortsetzung derjenigen
Verknüpfung sein, darin sie mit ihr schon in diesem Leben gestanden war,
und die gesamte Folgen der hier ausgeübten Sittlichkeit würden sich
dort in denen Wirkungen wieder finden, die ein mit der
ganzen Geisterwelt in unauflöslicher Gemeinschaft stehendes Wesen schon
vorher daselbst nach pneumatischen Gesetzen ausgeübt hat. Die
Gegenwart und die Zukunft würden also gleichsam aus einem Stücke sein,
und ein stetiges Ganze ausmachen, selbst nach der Ordnung
der Natur. Dieser letztere Umstand ist von besonderer Erheblichkeit.
Denn in einer Vermutung nach bloßen Gründen der Vernunft ist es eine
große Schwierigkeit, wenn man, um den Übelstand zu heben, der aus
der unvollendeten Harmonie zwischen der Moralität und ihren Folgen in dieser
Welt entspringt, zu einem außerordentlichen göttlichen
Willen seine Zuflucht nehmen muß; weil, so wahrscheinlich auch
das Urteil über denselben nach unseren Begriffen von der göttlichen
Weisheit sein mag, immer ein starker Verdacht übrig bleibt, daß die
schwache Begriffe unseres Verstandes vielleicht auf den Höchsten sehr verkehrt
übertragen worden, da des Menschen Obliegenheit nur ist, von dem göttlichen
Willen zu urteilen aus der Wohlgereimtheit, die er wirklich in der Welt wahrnimmt,
oder welche er nach der Regel der Analogie, gemäß der Naturordnung,
darin vermuten kann, nicht aber nach dem Entwurfe seiner eigenen Weisheit, den
er zugleich dem göttlichen Willen zur Vorschrift
macht, befugt ist, neue und willkürliche Anordnungen in der gegenwärtigen
oder künftigen Welt zu ersinnen.
* * *
Wir lenken nunmehr unsere Betrachtung wiederum in den vorigen Weg ein, und nähern
uns dem Ziele, welches wir uns vorgesetzt hatten. Wenn es sich mit der Geisterwelt
und dem Anteile, den unsere Seele an ihr hat, so verhält, wie der Abriß,
den wir erteilten, ihn vorstellt: so scheinet fast nichts befremdlicher zu sein,
als daß die Geistergemeinschaft nicht eine ganz allgemeine und gewöhnliche
Sache ist, und das Außerordentliche betrifft fast mehr die Seltenheit
der Erscheinungen, als die Möglichkeit derselben. Diese Schwierigkeit läßt
sich indessen ziemlich gut heben, und ist zum Teil auch schon gehoben worden.
Denn die Vorstellung, die die Seele des Menschen von sich selbst als einem Geiste
durch ein immaterielles Anschauen hat, indem sie sich in Verhältnis gegen
Wesen von ähnlicher Natur betrachtet, ist von derjenigen ganz verschieden,
da ihr Bewußtsein
sich selbst als einen Menschen
vorstellt, durch ein Bild, das seinen Ursprung aus dem Eindrucke körperlicher
Organen hat, und welches in Verhältnis gegen keine andere als materielle
Dinge vorgestellt wird. Es ist demnach zwar einerlei
Subjekt,
was der sichtbaren und unsichtbaren Welt zugleich als ein Glied angehört,
aber nicht eben dieselbe
Person, weil die
Vorstellungen der einen, ihrer verschiedenen Beschaffenheit wegen, keine begleitende
Ideen von denen der andern Welt sind, und daher, was ich als Geist
denke, von mir als Mensch nicht erinnert
wird, und, umgekehrt, mein Zustand als eines Menschen in die Vorstellung meiner
selbst als eines Geistes gar nicht hinein kommt.
Übrigens mögen die Vorstellungen von der Geisterwelt so klar und anschauend
sein wie man will,* so ist dieses doch nicht hinlänglich, um mich deren
als Mensch bewußt zu werden; wie denn so gar die Vorstellung seiner selbst
(d.i. der Seele) als eines Geistes wohl durch Schlüsse
erworben wird, bei keinem Menschen aber ein anschauender und Erfahrungsbegriff
ist.
* Man kann dieses durch eine gewisse
Art von zwiefacher Persönlichkeit, die der Seele selbst in Ansehung dieses
Lebens zukommt, erläutern. Gewisse Philosophen glauben, sich ohne den mindesten
besorglichen Einspruch auf den Zustand des festen Schlafes berufen zu können,
wenn sie die Wirklichkeit dunkeler Vorstellungen beweisen wollen, da sich doch
nichts weiter hievon mit Sicherheit sagen läßt, als daß wir
uns im Wachen keiner von denenjenigen erinnern, die wir im festen Schlafe etwa
mochten gehabt haben, und daraus nur so viel folgt, daß sie beim Erwachen
nicht klar vorgestellt worden, nicht aber, daß sie auch damals als wir
schliefen dunkel waren. Ich vermute vielmehr, daß dieselbe klärer
und ausgebreiteter sein mögen, als selbst die kläresten im Wachen;
weil dieses bei der völligen Ruhe äußerer Sinne von einem so
tätigen Wesen als die Seele ist, zu erwarten ist, wiewohl, da der Körper
des Menschen zu der Zeit nicht mit empfunden ist, beim Erwachen die begleitende
Idee desselben ermangelt, welche den vorigen Zustand der Gedanken, als zu eben
derselben Person gehörig, zum Bewußtsein verhelfen könnte. Die
Handlungen einiger Schlafwanderer, welche bisweilen in solchem Zustande mehr
Verstand als sonsten zeigen, ob sie gleich nichts davon beim Erwachen erinnern,
bestätigt die Möglichkeit dessen, was ich vom festen Schlafe vermute.
Die Träume dagegen, das ist, die Vorstellungen des Schlafenden, deren er
sich beim Erwachen erinnert, gehören nicht hieher. Denn alsdenn schläft
der Mensch nicht völlig; er empfindet in einem gewissen Grade klar und
webt seine Geisteshandlungen in die Eindrücke der äußeren Sinne.
Daher er sich ihrer zum Teil nachhero erinnert, aber auch an ihnen lauter wilde
und abgeschmackte Chimären antrifft, wie sie es denn notwendig sein müssen,
da in ihnen Ideen der Phantasie und die der äußeren Empfindung untereinander
geworfen wird.
Diese Ungleichartigkeit der
geistigen Vorstellungen und derer, die zum leiblichen
Leben des Menschen gehören, darf indessen nicht
als eine so große Hindernis angesehen werden,
daß sie alle Möglichkeit aufhebe, sich bisweilen der Einflüsse
von Seiten der Geisterwelt so gar in diesem Leben bewußt zu werden. Denn
sie können in das persönliche Bewußtsein des Menschen zwar nicht
unmittelbar, aber doch so übergehen, daß sie nach dem Gesetz der
vergesellschafteten Begriffe diejenige Bilder rege machen, die mit ihnen verwandt
sein, und analogische Vorstellungen unserer Sinne erwecken, die wohl nicht der
geistige Begriff selber, aber doch deren Symbolen sind. Denn es ist doch immer
eben dieselbe Substanz, die zu dieser
Welt so wohl als zu der andern wie ein
Glied gehöret, und beiderlei Art von Vorstellungen gehören
zu demselben Subjekte und sind mit einander verknüpft.
Die Möglichkeit hievon können wir einiger maßen dadurch
faßlich machen, wenn wir betrachten, wie unsere höhere Vernunftbegriffe,
welche sich den geistigen ziemlich nähern, gewöhnlicher maßen
gleichsam ein körperlich Kleid annehmen, um sich in Klarheit zu setzen.
Daher die moralische
Eigenschaften
der Gottheit unter den Vorstellungen
des Zorns, der Eifersucht,
der Barmherzigkeit, der Rache,
u. d. g. vorgestellt werden; daher personifizieren Dichter die Tugenden,
Laster oder andere Eigenschaften der Natur, doch
so, daß die wahre Idee des Verstandes hindurchscheinet; so stellt der
Geometra die Zeit durch eine Linie vor, obgleich
Raum
und Zeit nur eine Übereinkunft in Verhältnissen haben und
also wohl der Analogie nach, niemals aber der Qualität nach mit einander
übereintreffen; daher nimmt die Vorstellung der göttlichen
Ewigkeit
selbst bei Philosophen den Schein
einer unendlichen
Zeit an, so sehr
wie man sich auch hütet, beide zu vermengen; und eine große Ursache;
weswegen die Mathematiker gemeiniglich abgeneigt sein, die Leibnizische
Monaden einzuräumen,
ist wohl diese, daß sie nicht umhin können, sich an ihnen kleine
Klümpchen vorzustellen. Daher ist es nicht
unwahrscheinlich, daß geistige Empfindungen in das
Bewußtsein übergehen könnten, wenn sie Phantasien erregen,
die mit ihnen verwandt sein. Auf diese Art würden Ideen, die durch einen
geistigen Einfluß mitgeteilt sind, sich in die Zeichen derjenigen Sprache
einkleiden, die der Mensch sonsten im Gebrauch hat, die empfundene Gegenwart
eines Geistes in das Bild einer menschlichen
Figur, Ordnung und Schönheit der immateriellen Welt
in Phantasien, die unsere Sinne sonst im Leben vergnügen, u.s.w.
Diese Art der Erscheinungen kann gleichwohl nicht etwas Gemeines und Gewöhnliches
sein, sondern sich nur bei Personen eräugnen, deren Organen*
eine ungewöhnlich große Reizbarkeit
haben, die Bilder der Phantasie
dem innern Zustande der Seele gemäß
durch harmonische Bewegung mehr zu verstärken,
als gewöhnlicher Weise bei gesunden Menschen geschieht und auch geschehen
soll.
*Ich verstehe hierunter nicht die
Organen der äußeren Empfindung, sondern das Sensorium der Seele,
wie man es nennt, d.i. denjenigen Teil des Gehirnes, dessen Bewegung die mancherlei
Bilder und Vorstellungen der denkenden Seele zu begleiten pflegt, wie die Philosophen
davor halten.
Solche seltsame Personen würden in gewissen Augenblicken mit der Apparenz
[Anschein] mancher
Gegenstände als außer ihnen angefochten sein, welche sie vor eine
Gegenwart von geistigen Naturen halten würden, die auf ihre körperliche
Sinne fiele, ob gleich hiebei nur ein Blendwerk der Einbildung vorgeht, doch
so, daß die Ursache davon ein wahrhafter geistiger Einfluß ist,
der nicht unmittelbar empfunden werden kann, sondern
sich nur durch verwandte Bilder der Phantasie,
welche den Schein der Empfindungen
annehmen, zum Bewußtsein offenbaret.
Die Erziehungsbegriffe, oder auch mancherlei sonst eingeschlichene Wahn, würden
hiebei ihre Rolle spielen, wo Verblendung mit Wahrheit untermengt wird, und
eine wirkliche geistige Empfindung zwar zum Grunde liegt, die doch in Schattenbilder
der sinnlichen Dinge umgeschaffen worden. Man wird aber auch zugeben, daß
die Eigenschaft, auf solche Weise die Eindrücke der Geisterwelt
in diesem Leben zum klaren Anschauen auszuwickeln, schwerlich wozu nützen
könne; weil dabei die geistige Empfindung notwendig so genau in das Hirngespenst
der Einbildung verwebt wird, daß es unmöglich sein muß, in
derselben das Wahre von den groben Blendwerken, die es umgeben, zu unterscheiden.
Imgleichen würde ein solcher Zustand, da er ein verändertes Gleichgewicht
in den Nerven voraussetzt, welche so gar durch die Wirksamkeit der bloß
geistig empfindenden Seele in unnatürliche Bewegung versetzet werden, eine
wirkliche Krankheit anzeigen. Endlich würde es gar nicht befremdlich sein,
an einem Geisterseher
zugleich einen Phantasten anzutreffen, zum wenigsten in Ansehung der begleitenden
Bilder von diesen seinen Erscheinungen, weil Vorstellungen, die ihrer Natur
nach fremd, und mit denen im leiblichen Zustande des Menschen unvereinbar sind,
sich hervordrängen, und übelgepaarte Bilder in die äußere
Empfindung hereinziehen, wodurch wilde Chimären und wunderliche Fratzen
ausgeheckt werden, die in langem Geschleppe den betrogenen Sinnen vorgaukeln,
ob sie gleich einen wahren geistigen Einfluß zum Grunde haben mögen.
Nunmehro kann man nicht verlegen sein, von denen Gespenstererzählungen,
die den Philosophen so oft in den Weg kommen, imgleichen allerlei Geistereinflüssen,
von denen hie oder da die Rede geht, scheinbare Vernunftgründe anzugeben.
Abgeschiedene Seelen und reine Geister können zwar
niemals unsern äußeren Sinnen gegenwärtig sein, noch sonst mit
der Materie in Gemeinschaft stehen, aber wohl auf
den Geist des Menschen, der mit ihnen zu einer großen Republik gehört,
wirken, so, daß die Vorstellungen, welche sie in ihm erwecken, sich nach
dem Gesetze seiner Phantasei in verwandte Bilder einkleiden, und die Apparenz
der ihnen gemäßen Gegenstände als außer ihm erregen. Diese
Täuschung kann einen jeden Sinn betreffen, und so sehr dieselbe auch mit
ungereimten Hirngespinsten untermengt wäre, so dürfte man sich dieses
nicht abhalten lassen, hierunter geistige Einflüsse zu vermuten. Ich würde
der Scharfsichtigkeit des Lesers zu nahe treten, wenn ich mich bei der Anwendung
dieser Erklärungsart noch aufhalten wollte. Denn metaphysische Hypothesen
haben eine so ungemeine Biegsamkeit an sich, daß man sehr ungeschickt
sein müßte, wenn man die gegenwärtige nicht einer jeden Erzählung
bequemen könnte, so gar ehe man ihre Wahrhaftigkeit untersucht hat, welches
in vielen Fällen unmöglich und in noch mehreren sehr unhöflich
ist.
Wenn indessen die Vorteile und Nachteile in einander gerechnet werden, die demjenigen
erwachsen können, der nicht allein vor die sichtbare Welt, sondern auch
vor die unsichtbare in gewissem Grade organisiert ist (wofern
es jemals einen solchen gegeben hat), so scheint ein Geschenk von dieser
Art demjenigen gleich zu sein, womit Juno
den Tiresias beehrte,
die ihn zuvor blind machte, damit sie ihm die Gabe zu weissagen erteilen könnte.
Denn, nach den obigen Sätzen zu urteilen, kann die anschauende Kenntnis
der andern Welt allhier
nur erlangt werden, indem man etwas von demjenigen Verstande einbüßt,
welchen man vor die gegenwärtige
nötig hat. Ich weiß auch nicht, ob selbst gewisse Philosophen gänzlich
von dieser harten Bedingung frei sein sollten, welche so fleißig und vertieft
ihre metaphysische Gläser nach jenen entlegenen Gegenden hinrichten und
Wunderdinge von daher zu erzählen wissen, zum wenigsten mißgönne
ich ihnen keine von ihren Entdeckungen; nur besorge ich: daß ihnen irgend
ein Mann von gutem Verstande und wenig Feinigkeit eben dasselbe dürfte
zu verstehen geben, was dem Tycho de Brahe sein
Kutscher antwortete, als jener meinte, zur Nachtzeit nach den Sternen den kürzesten
Weg fahren zu können: Guter Herr, auf
den Himmel mögt ihr euch wohl verstehen, hier aber auf der Erde seid ihr
ein Narr.
Drittes Hauptstück.
Antikabbala.
Ein Fragment der gemeinen Philosophie, die Gemeinschaft mit der Geisterwelt
aufzuheben
Aristoteles sagt irgendwo: Wenn
wir wachen, so haben wir eine gemeinschaftliche Welt, träumen wir aber,
so hat ein jeder seine eigne.
Mich dünkt, man sollte wohl den letzteren Satz umkehren
und sagen können: wenn von verschiedenen Menschen ein jeglicher seine eigene
Welt hat, so ist zu vermuten, daß sie träumen. Auf diesen Fuß,
wenn wir die Luftbaumeister
der mancherlei Gedankenwelten betrachten, deren jeglicher die seinige mit Ausschließung
anderer ruhig bewohnt, denjenigen etwa, welcher die Ordnung der Dinge, so wie
sie von Wolffen aus wenig Bauzeug der Erfahrung
aber mehr erschlichenen Begriffen gezimmert, oder die, so von Crusius
durch die magische Kraft einiger Sprüche vom
Denklichen und Undenklichen
aus nichts hervorgebracht
worden, bewohnen, so werden wir uns bei dem Widerspruche ihrer Visionen gedulden,
bis diese Herren ausgeträumet haben. Denn wenn sie einmal, so Gott will,
völlig wachen, d.i. zu einem Blicke, der die Einstimmung mit anderem Menschenverstande
nicht ausschließt, die Augen auftun werden, so wird niemand von ihnen
etwas sehen, was nicht jedem andern gleichfalls bei dem Lichte ihrer Beweistümer
augenscheinlich und gewiß erscheinen sollte, und die Philosophen werden
zu derselbigen Zeit eine gemeinschaftliche Welt bewohnen, dergleichen die Größenlehrer
schon längst inne gehabt haben, welche wichtige Begebenheit nicht lange
mehr anstehen kann, woferne gewissen Zeichen und Vorbedeutungen zu trauen ist,
die seit einiger Zeit über dem Horizonte der Wissenschaften erschienen
sind.
In gewisser Verwandtschaft mit den Träumern
der Vernunft stehen die
Träumer der Empfindung,
und unter dieselbe werden gemeiniglich diejenige, so bisweilen mit Geistern
zu tun haben, gezählt, und zwar aus dem nämlichen Grunde, wie die
vorigen, weil sie etwas sehen, was kein anderer gesunder Mensch sieht, und ihre
eigene Gemeinschaft mit Wesen haben, die sich niemanden sonst offenbaren, so
gute Sinne er auch haben mag. Es ist auch die Benennung der Träumereien,
wenn man voraussetzt, daß die gedachte Erscheinungen auf bloße Hirngespenster
auslaufen, in so ferne passend, als die eine so gut wie die andere selbst ausgeheckte
Bilder sind, die gleichwohl als wahre Gegenstände die Sinne betrügen;
allein wenn man sich einbildet, daß beide Täuschungen übrigens
in ihrer Entstehungsart sich ähnlich gnug wären, um die Quelle der
einen auch zur Erklärung der andern zureichend zu finden, so betrügt
man sich sehr. Derjenige, der im Wachen sich in Erdichtungen und Chimären,
welche seine stets fruchtbare Einbildung ausheckt, dermaßen vertieft,
daß er auf die Empfindung der Sinne wenig Acht hat, die ihm jetzt am meisten
angelegen sein, wird mit Recht ein wachender
Träumer genannt.
Denn es dürfen nur die Empfindungen der Sinne noch etwas mehr in ihrer
Starke nachlassen, so wird er schlafen und die vorige Chimären werden wahre
Träume sein. Die Ursache, weswegen sie es nicht schon im Wachen sind, ist
diese, weil er sie zu der Zeit als in sich,
andere Gegenstände aber die er empfindet als außer
sich vorstellt, folglich jene zu Wirkungen seiner eignen
Tätigkeit, diese aber zu demjenigen zählet, was er von außen
empfängt und erleidet. Denn hiebei kommt es alles auf das Verhältnis
an, darin die Gegenstände auf ihn selbst als einen Menschen, folglich auch
auf seinen Körper gedacht werden. Daher können die nämliche Bilder
ihn im Wachen wohl sehr beschäftigen, aber nicht betrügen, so klar
sie auch sein mögen. Denn ob er gleich alsdenn eine Vorstellung von sich
selbst und seinem Körper auch im Gehirne, hat, gegen die er seine phantastische
Bilder in Verhältnis setzt, so macht doch die wirkliche Empfindung seines
Körpers durch äußere Sinne gegen jene Chimären einen Kontrast
oder Abstechung, um jene als von sich ausgeheckt, diese aber als empfunden anzusehen.
Schlummert er hiebei ein, so erlischt die empfundene Vorstellung seines Körpers,
und es bleibt bloß die selbstgedichtete übrig, gegen welche die andre
Chimären als in äußerer Verhältnis gedacht werden, und
auch so lange man schläft den Träumenden betrügen müssen,
weil keine Empfindung da ist, die in Vergleichung mit jener das Urbild
vom Schattenbilde, nämlich das
Äußere vom Innern unterscheiden
ließe.
Von wachenden Träumern sind demnach die Geisterseher nicht bloß dem
Grade, sondern der Art nach gänzlich unterschieden. Denn diese referieren
im Wachen und oft bei der größten Lebhaftigkeit anderer Empfindungen
gewisse Gegenstände unter die äußerliche Stellen der andern
Dinge, die sie wirklich um sich wahrnehmen, und die Frage ist hie nur, wie es
zugehe, daß sie das Blendwerk ihrer Einbildung
außer sich versetzen, und zwar in Verhältnis auf ihren Körper,
den sie auch durch äußere Sinne empfinden. Die große Klarheit
ihres Hirngespinstes kann hievon nicht die Ursache sein, denn es kommt hier
auf den Ort an, wohin es als ein Gegenstand versetzt ist, und daher verlange
ich, daß man zeige, wie die Seele ein solches Bild, was sie doch, als
in sich enthalten, vorstellen sollte, in ein ganz ander Verhältnis, nämlich
in einen Ort äußerlich und
unter die Gegenstände versetze, die sich ihrer wirklichen Empfindung darbieten.
Auch werde ich mich durch die Anführung anderer Fälle, die einige
Ähnlichkeit mit solcher Täuschung haben und etwa im fieberhaften Zustande
vorfallen, nicht abfertigen lassen; denn gesund oder krank, wie der Zustand
des Betrogenen auch sein mag, so will man nicht wissen, ob dergleichen auch
sonsten geschehe, sondern wie dieser Betrug möglich sei.
Wir finden aber bei dem Gebrauch der äußeren Sinne, daß über
die Klarheit, darin die Gegenstände vorgestellt werden, man in der Empfindung
auch ihren Ort mit begreife, vielleicht bisweilen nicht allemal mit gleicher
Richtigkeit, dennoch als eine notwendige Bedingung der Empfindung, ohne welche
es unmöglich wäre, die Dinge als außer uns vorzustellen. Hierbei
wird es sehr wahrscheinlich: daß unsere Seele das empfundene Objekt dahin
in ihrer Vorstellung versetze, wo die verschiedene Richtungslinien des Eindrucks,
die dasselbe gemacht hat, wenn sie fortgezogen werden, zusammenstoßen.
Daher sieht man einen strahlenden Punkt an demjenigen Orte, wo die von dem Auge
in der Richtung des Einfalls der Lichtstrahlen zurückgezogene Linien sich
schneiden. Dieser Punkt, welchen man den Sehepunkt nennt, ist zwar in der Wirkung
der Zerstreuungspunkt,
aber in der Vorstellung der Sammlungspunkt
der Direktionslinien, nach welchen die Empfindung eingedrückt
wird (focus imaginarius). So bestimmt
man selbst durch ein einziges Auge einem sichtbaren Objekte den Ort, wie unter
andern geschieht, wenn das Spektrum eines Körpers vermittelst eines Hohlspiegels
in der Luft gesehen wird, gerade da, wo die Strahlen, welche aus einem Punkte
des Objekts ausfließen, sich schneiden, ehe sie ins Auge fallen.*
*So wird das Urteil, welches wir von
dem scheinbaren Orte naher Gegenstände fällen, in der Sehekunst gemeiniglich
vorgestellt, und es stimmt auch sehr gut mit der Erfahrung. Indessen treffen
eben dieselbe Lichtstrahlen, die aus einem Punkte auslaufen, vermöge der
Brechung in den Augenfeuchtigkeiten nicht divergierend auf den Sehenerven, sondern
vereinigen sich daselbst in einem Punkte. Daher, wenn die Empfindung lediglich
in diesem Nerven vorgeht, der focus imaginarius nicht außer dem Körper
sondern im Boden des Auges gesetzt weiden müßte, welches eine Schwierigkeit
macht, die ich jetzt nicht auflösen kann, und die mit den obigen Sätzen
so wohl als mit der Erfahrung unvereinbar scheint.
Vielleicht kann man eben so bei den Eindrücken des Schalles, weil dessen
Stöße auch nach geraden Linien geschehen, annehmen: daß die
Empfindung desselben zugleich mit der Vorstellung eines
foci imaginarii begleitet sei, der dahin gesetzt wird, wo die gerade
Linien des in Bebung gesetzten Nervengebäudes im Gehirne äußerlich
fortgezogen zusammenstoßen. Denn man bemerkt die Gegend und Weite eines
schallenden Objekts einigermaßen, wenn der Schall gleich leise ist und
hinter uns geschieht, ob schon die gerade Linien, die von da gezogen werden
können, eben nicht die Eröffnung des Ohrs treffen, sondern auf andere
Stellen des Haupts fallen, so daß man glauben muß, die Richtungslinien
der Erschütterung werden in der Vorstellung der Seele äußerlich
fortgezogen, und das schallende Objekt in den Punkt ihres Zusammenstoßes
versetzt. Eben dasselbe kann, wie mich dünkt, auch von den übrigen
drei Sinnen gesagt werden, welche sich darin von dem Gesichte und dem Gehör
unterscheiden, daß der Gegenstand der Empfindung mit den Organen in unmittelbarer
Berührung stehet, und die Richtungslinien des sinnlichen Reizes daher in
diesen Organen selbst ihren Punkt der Vereinigung haben.
Um dieses auf die Bilder der Einbildung anzuwenden, so erlaube man mir, dasjenige,
was Cartesius annahm und die mehresten Philosophen
nach ihm billigten, zum Grunde zu legen: nämlich, daß alle Vorstellungen
der Einbildungskraft zugleich mit gewissen Bewegungen in dem Nervengewebe oder
Nervengeiste des Gehirnes begleitet sind, welche man ideas materiales nennt,
d.i. vielleicht mit der Erschütterung oder Bebung des feinen Elements,
welches von ihnen abgesondert wird, und die derjenigen Bewegung ähnlich
ist, welche der sinnliche Eindruck machen könnte, wovon er die Kopie ist.
Nun verlange ich aber, mir einzuräumen: daß der vornehmste Unterscheid
der Nervenbewegung in den Phantasien von der in der Empfindung darin bestehe,
daß die Richtungslinien der Bewegung bei jenem sich innerhalb dem Gehirne,
bei diesem aber außerhalb schneiden; daher, weil der
focus imaginarius, darin das Objekt vorgestellt wird, bei den klaren
Empfindungen des Wachens außer mir, der von den Phantasien aber, die ich
zu der Zeit etwa habe, in mir gesetzt wird, ich, so lange ich wache, nicht fehlen
kann, die Einbildungen als meine eigene
Hirngespinste von dem Eindruck der Sinne zu unterscheiden.
Wenn man dieses einräumt, so dünkt mich, daß ich über diejenige
Art von Störung des Gemüts, die man den Wahnsinn und im höhern
Grade die Verrückung nennt, etwas Begreifliches zur Ursache anführen
könne. Das Eigentümliche dieser Krankheit bestehet darin: daß
der verworrene Mensch bloße Gegenstände seiner Einbildung außer
sich versetzt, und als wirklich vor ihm gegenwärtige Dinge ansieht. Nun
habe ich gesagt: daß nach der gewöhnlichen Ordnung die Direktionslinien
der Bewegung, die in dem Gehirne als materielle Hülfsmittel die Phantasie
begleiten, sich innerhalb demselben durchschneiden müssen, und mithin der
Ort, darin er sich seines Bildes bewußt ist, zur Zeit des Wachens in ihm
selbst gedacht werde. Wenn ich also setze: daß, durch irgend einen Zufall
oder Krankheit, gewisse Organen des Gehirnes so verzogen und aus ihrem gehörigem
Gleichgewicht gebracht sein, daß die Bewegung der Nerven, die mit einigen
Phantasien harmonisch beben, nach solchen Richtungslinien geschieht, welche
fortgezogen sich außerhalb dem Gehirne durchkreuzen würden, so ist
der focus imaginarius außerhalb dem denkendes Subjekt
gesetzt* und das Bild, welches ein Werk der bloßen
Einbildung ist, wird als ein Gegenstand vorgestellt, der den äußeren
Sinnen gegenwärtig wäre.
*Man könnte, als eine entfernte
Ähnlichkeit mit dem angeführten Zufalle, die Beschaffenheit der Trunkenen
anführen, die in diesem Zustande mit beiden Augen doppelt sehen; darum,
weil durch die Anschwellung der Blutgefäße eine Hindernis entspringt,
die Augenachsen so zu richten, daß ihre verlängerte Linien sich im
Punkte, worin das Objekt ist, schneiden. Eben so mag die Verziehung der Hirngefäße,
die vielleicht nur vorübergehend ist, und so lange sie dauert nur einige
Nerven betrifft, dazu dienen, daß gewisse Bilder der Phantasie selbst
im Wachen als außer uns erscheinen. Eine sehr gemeine Erfahrung kann mit
dieser Täuschung verglichen werden. Wenn man nach vollbrachten Schlafe
mit einer Gemächlichkeit, die einem Schlummer nahe kommt, und gleichsam
mit gebrochnen Augen die mancherlei Fäden der Bettvorhänge oder des
Bezuges oder die kleinen Flecken einer nahen Wand ansieht, so macht man sich
daraus leichtlich Figuren von Menschengesichtern und dergleichen. Das Blendwerk
hört auf, so bald man will und die Aufmerksamkeit anstrengt. Hier ist die
Versetzung des foci imaginarii der Phantasien der Willkür einigermaßen
unterworfen, da sie bei der Verrückung durch keine Willkür kann gehindert
werden.
Die Bestürzung über die vermeinte Erscheinung einer Sache, die nach
der natürlichen Ordnung nicht zugegen sein sollte, wird, obschon auch anfangs
ein solches Schattenbild der Phantasie nur schwach
wäre, bald die Aufmerksamkeit
rege machen, und der Scheinempfindung eine so große
Lebhaftigkeit geben, die den betrogenen Menschen
an der Wahrhaftigkeit nicht zweifeln läßt.
Dieser Betrug kann einen jeden äußeren
Sinn betreffen, denn von jeglichem haben wir kopierte Bilder in der Einbildung,
und die Verrückung des Nervengewebes kann die Ursache werden, den focum
imaginarium dahin zu versetzen, von wo der sinnliche Eindruck eines
wirklich vorhandenen körperlichen Gegenstandes kommen würde. Es ist
alsdenn kein Wunder, wenn der Phantast manches sehr deutlich zu sehen oder zu
hören glaubt, was niemand außer ihm wahrnimmt, imgleichen wenn diese
Hirngespenster ihm erscheinen und plötzlich
verschwinden, oder, indem sie etwa einem Sinne, z. E. dem Gesichte vorgaukeln,
durch keinen andern, wie z. E. das Gefühl können empfunden werden,
und daher durchdringlich scheinen. Die gemeine Geistererzählungen laufen
so sehr auf dergleichen Bestimmungen hinaus, daß sie den Verdacht ungemein
rechtfertigen, sie könnten wohl aus einer solchen Quelle entsprungen sein.
Und so ist auch der gangbare Begriff von geistigen
Wesen, den wir oben aus dem gemeinen Redegebrauche herauswickelten,
dieser Täuschung sehr gemäß, und verleugnet seinen Ursprung
nicht; weil die Eigenschaft einer durchdringlichen Gegenwart
im Raume das wesentliche Merkmal dieses Begriffes ausmachen soll.
Es ist auch sehr wahrscheinlich, daß die Erziehungsbegriffe von Geistergestalten
dem kranken Kopfe die Materialien zu den täuschenden Einbildungen geben,
und daß ein von allen solchen Vorurteilen leeres Gehirne, wenn ihm gleich
eine Verkehrtheit anwandelte, wohl nicht so leicht Bilder von solcher Art aushecken
würde. Ferner siehet man daraus auch, daß, da die Krankheit des Phantasten
nicht eigentlich den Verstand, sondern die Täuschung der Sinne betrifft,
der Unglückliche seine Blendwerke durch kein Vernünfteln heben könne;
weil die wahre oder scheinbare Empfindung der Sinne selbst vor allem Urteil
des Verstandes vorhergeht, und eine unmittelbare Evidenz hat, die alle andre
Überredung weit übertrifft.
Die Folge, die sich aus diesen Betrachtungen ergibt, hat dieses Ungelegene an
sich, daß sie die tiefe Vermutungen des vorigen Hauptstücks ganz
entbehrlich macht, und daß der Leser, so bereitwillig er auch sein mochte,
denen idealischen Einwürfen desselben einigen Beifall einzuräumen,
dennoch den Begriff vorziehen wird, welcher mehr Gemächlichkeit und Kürze
im Entscheiden bei sich führet, und sich einen allgemeineren Beifall versprechen
kann. Denn außer dem, daß es einer vernünftigen Denkungsart
gemäßer zu sein scheint, die Gründe der Erklärung aus dem
Stoffe herzunehmen, den die Erfahrung uns darbietet, als sich in schwindlichten
Begriffen einer halb dichtenden halb schließenden Vernunft zu verlieren,
so äußert sich noch dazu auf dieser Seite einiger Anlaß zum
Gespötte, welches, es mag nun gegründet sein oder nicht, ein kräftigeres
Mittel ist als irgend ein anderes, eitele Nachforschungen zurückzuhalten.
Denn auf eine ernsthafte Art über die Hirngespenster der Phantasten Auslegungen
machen zu wollen, gibt schon eine schlimme Vermutung, und die Philosophie setzt
sich in Verdacht, welche sich in so schlechter Gesellschaft betreffen läßt.
Zwar habe ich oben den Wahnsinn in dergleichen Erscheinung nicht bestritten,
vielmehr ihn, zwar nicht als die Ursache einer eingebildeten
Geistergemeinschaft, doch als eine natürliche Folge derselben damit
verknüpfet; allein was vor eine Torheit gibt es doch, die nicht mit einer
bodenlosen Weltweisheit könnte in Einstimmung gebracht werden?
Daher verdenke ich es dem Leser keinesweges, wenn er, anstatt die Geisterseher
vor Halbbürger der andern Welt anzusehen, sie kurz und gut als Kandidaten
des Hospitals abfertigt, und sich dadurch alles weiteren Nachforschens überhebt.
Wenn nun aber alles auf solchen Fuß genommen wird, so muß auch die
Art, dergleichen Adepten
des Geisterreichs zu behandeln, von derjenigen nach den obigen Begriffen sehr
verschieden sein, und da man es sonst nötig fand, bisweilen einige derselben
zu brennen, so wird es
itzt gnug sein, sie nur zu purgieren
[reinigen]. Auch wäre es bei dieser Lage der
Sachen eben nicht nötig gewesen, so weit auszuholen und in dem fieberhaften
Gehirne betrogener Schwärmer durch Hülfe der
Metaphysik Geheimnisse aufzusuchen. Der scharfsichtige Hudibras
hätte uns allein das Rätsel auflösen können, denn nach seiner
Meinung: wenn ein hypochondrischer Wind in
den Eingeweiden tobet, so kommt es darauf an, welche Richtung er nimmt, geht
er abwärts, so wird daraus ein F-, steigt er aber aufwärts, so ist
es eine Erscheinung oder eine heilige Eingebung.Viertes Hauptstück.
Theoretischer
Schluß aus den gesamten Betrachtungen des ersten Teils
Die Trüglichkeit einer Waage, die nach bürgerlichen Gesetzen ein Maß
der Handlung sein soll, wird entdeckt, wenn man Ware und Gewichte ihre Schalen
vertauschen läßt, und die Parteilichkeit der Verstandeswaage offenbaret
sich durch eben denselben Kunstgriff, ohne welchen man auch in philosophischen
Urteilen nimmermehr ein einstimmiges Fazit aus den verglichenen Abwiegungen
herausbekommen kann. Ich habe meine Seele von Vorurteilen gereinigt, ich habe
eine jede blinde Ergebenheit vertilgt, welche sich jemals einschlich, um manchem
eingebildeten Wissen in mir Eingang zu verschaffen. Jetzo ist mir nichts angelegen,
nichts ehrwürdig, als was durch den Weg der Aufrichtigkeit in einem ruhigen
und vor alle Gründe zugänglichem Gemüte Platz nimmt; es mag mein
voriges Urteil bestätigen oder aufheben, mich bestimmen oder unentschieden
lassen.
Wo ich etwas antreffe, das mich belehrt, da eigne ich es mir zu. Das Urteil
desjenigen, der meine Gründe widerlegt, ist mein Urteil, nachdem ich es
vorerst gegen die Schale der Selbstliebe und nachher in derselben gegen meine
vermeintliche Gründe abgewogen und in ihm einen größeren Gehalt
gefunden habe. Sonst betrachtete ich den allgemeinen menschlichen Verstand bloß
aus dem Standpunkte des meinigen: jetzt setze ich mich in die Stelle einer fremden
und äußeren Vernunft, und beobachte meine Urteile samt ihren geheimsten
Anlässen aus dem Gesichtspunkte anderer. Die Vergleichung beider Beobachtungen
gibt zwar starke Parallaxen, aber sie ist auch das einzige Mittel, den optischen
Betrug zu verhüten, und die Begriffe an die wahre Stellen zu setzen, darin
sie in Ansehung der Erkenntnisvermögen der menschlichen Natur stehen. Man
wird sagen, daß dieses eine sehr ernsthafte Sprache sei, vor eine so gleichgültige
Aufgabe, als wir abhandeln, die mehr ein Spielwerk als eine ernstliche Beschäftigung
genannt zu werden verdient, und man hat nicht Unrecht, so zu urteilen. Allein,
ob man zwar über eine Kleinigkeit keine große Zurüstung machen
darf, so kann man sie doch gar wohl bei Gelegenheit derselben machen, und die
entbehrliche Behutsamkeit beim Entscheiden in Kleinigkeiten kann zum Beispiele
in wichtigen Fällen dienen.
Ich finde nicht, daß irgend eine Anhänglichkeit, oder sonst eine
vor der Prüfung eingeschlichene Neigung meinem Gemüte die Lenksamkeit
nach allerlei Gründen vor oder dawider benehme, eine einzige ausgenommen.
Die Verstandeswaage ist doch nicht ganz unparteiisch, und eine Arm derselben,
der die Aufschrift führet: Hoffnung der
Zukunft, hat einen mechanischen Vorteil, welcher macht,
daß auch leichte Gründe, welche in die ihm angehörige Schale
fallen, die Spekulationen von an sich größeren Gewichte auf der andern
Seite in die Höhe ziehen. Dieses ist die einzige Unrichtigkeit, die ich
nicht wohl heben kann, und die ich in der Tat auch niemals heben will. Nun gestehe
ich, daß alle Erzählungen vom Erscheinen abgeschiedener Seelen oder
von Geistereinflüssen, und alle Theorien von der mutmaßlichen Natur
geistiger Wesen und ihrer Verknüpfung mit uns, nur in der Schale
der Hoffnung merklich wiegen; dagegen in der der Spekulation aus lauter Luft
zu bestehen scheinen. Wenn die Ausmittelung der aufgegebenen Frage nicht mit
einer vorher schon entschiedenen Neigung in Sympathie stände, welcher Vernünftige
würde wohl unschlüssig sein, ob er mehr Möglichkeit darin finden
sollte, eine Art Wesen anzunehmen, die mit allem, was ihm die Sinne lehren,
gar nichts Ähnliches haben, als einige angebliche Erfahrungen dem Selbstbetruge
und der Erdichtung beizumessen, die in mehreren Fällen nicht ungewöhnlich
sind?
Ja dieses scheint auch überhaupt von der Beglaubigung
der Geistererzählungen, welche so allgemeinen Eingang finden, die
vornehmste Ursache zu sein, und selbst die ersten Täuschungen von vermeinten
Erscheinungen abgeschiedener Menschen sind vermutlich
aus der schmeichelhaften Hoffnung entsprungen, daß man noch auf irgend
eine Art nach dem Tode
übrig sei, da denn bei nächtlichen Schatten oftmals der Wahn die Sinne
betrog, und aus zweideutigen Gestalten Blendwerke schuf, die der vorhergehenden
Meinung gemäß waren, woraus denn endlich die Philosophen
Anlaß nahmen, die Vernunftidee von Geistern auszudenken und sie in Lehrverfassung
zu bringen. Man sieht es auch wohl meinem anmaßlichen Lehrbegriff von
der Geistergemeinschaft an, daß er eben dieselbe Richtung nehme, in den
die gemeine Neigung einschlägt. Denn die Sätze vereinbaren sich sehr
merklich nur dahin, um einen Begriff zu geben, wie der Geäst des Menschen
aus dieser Welt herausgehe*,d.i.
vom Zustande nach dem Tode; wie er aber hineinkomme,
d.i. von der Zeugung und Fortpflanzung, davon erwähne ich nichts; ja so
gar nicht einmal, wie er in dieser Welt gegenwärtig
sei, d.i. wie eine immaterielle Natur in einem Körper
und durch denselben wirksam sein könne; alles um einer sehr gültigen
Ursache willen, welche diese ist, daß ich hievon insgesamt nichts verstehe,
und folglich mich wohl hätte bescheiden können, eben so
unwissend in Ansehung des künftigen Zustandes
zu sein, wofern nicht die Parteilichkeit einer Lieblingsmeinung denen Gründen
die sich darboten, so schwach sie auch sein mochten, zur Empfehlung gedienet
hätte.
*Das Sinnbild der alten Ägypter
vor die Seele war ein Papillon [Schmetterling],
und die griechische Benennung bedeutete eben dasselbe. Man siehet leicht, daß
die Hoffnung, welche aus dem Tode nur eine Verwandlung macht, eine solche Idee
samt ihren Zeichen veranlaßt habe. Indessen hebt dieses keinesweges das
Zutrauen zu der Richtigkeit der hieraus entsprungenen Begriffe. Unsere innere
Empfindung und die darauf gegründete Urteile des Vernunftähnlichen
führen, so lange sie unverderbt sind, eben dahin, wo die Vernunft hin leiten
würde, wenn sie erleuchteter und ausgebreiteter wäre.
Eben dieselbe Unwissenheit macht auch, daß
ich mich nicht unterstehe, so gänzlich alle Wahrheit an den mancherlei
Geistererzählungen abzuleugnen, doch mit dem gewöhnlichen obgleich
wunderlichen Vorbehalt, eine jede einzelne derselben in Zweifel zu ziehen, allen
zusammen genommen aber einigen Glauben beizumessen. Dem Leser bleibt das Urteil
frei; was mich aber anlangt, so ist zum wenigsten der Ausschlag auf die Seite
der Gründe des zweiten Hauptstücks bei mir groß gnug, mich bei
Anhörung der mancherlei befremdlichen Erzählungen dieser Art ernsthaft
und unentschieden zu erhalten. Indessen da es niemals an Gründen der Rechtfertigung
fehlt, wenn das Gemüt vorher eingenommen ist, so will ich dem Leser mit
keiner weiteren Verteidigung dieser Denkungsart beschwerlich fallen.
Da ich mich itzt beim Schlusse der Theorie
von Geistern befinde, so unterstehe ich mir noch zu sagen: daß diese Betrachtung,
wenn sie von dem Leser gehörig genutzt wird, alle philosophische Einsicht
von dergleichen Wesen vollende, und daß man davon vielleicht künftighin
noch allerlei meinen, niemals aber mehr wissen könne. Dieses Vorgeben klingt
ziemlich ruhmrätig. Denn es ist gewiß kein den Sinnen bekannter Gegenstand
der Natur, von dem man sagen könnte, man habe ihn durch Beobachtung oder
Vernunft jemals erschöpft,
wenn es auch ein Wassertropfen, ein Sandkorn, oder etwas noch Einfacheres wäre;
so unermeßlich ist die Mannigfaltigkeit desjenigen, was die Natur in ihren
geringsten Teilen einem so eingeschränkten Verstande, wie der menschliche
ist, zur Auflösung darbietet. Allein mit dem philosophischen Lehrbegriff
von geistigen Wesen ist es ganz anders bewandt. Er kann vollendet
sein, aber im negativem
Verstande, indem er nämlich die Grenzen unserer Einsicht mit Sicherheit
festsetzt, und uns überzeugt: daß die verschiedene Erscheinungen
des Lebens in der Natur
und deren Gesetze alles sein, was uns zu erkennen vergönnet ist, das Principium
dieses Lebens aber, d.i. die geistige Natur, welche man nicht kennet, sondern
vermutet, niemals positiv könne gedacht werden, weil keine Data hiezu in
unseren gesamten Empfindungen anzutreffen sein, und daß man sich mit Verneinungen
behelfen müsse, um etwas von allem Sinnlichen so sehr Unterschiedenes zu
denken, daß aber selbst die Möglichkeit solcher Verneinungen weder
auf Erfahrung, noch auf Schlüssen, sondern auf einer Erdichtung beruhe,
zu denen eine von allen Hülfsmitteln entblößte Vernunft ihre
Zuflucht nimmt. Auf diesen Fuß kann die Pneumatologie
der Menschen ein Lehrbegriff ihrer notwendigen Unwissenheit, in Absicht auf
eine vermutete Art Wesen genannt werden, und als ein solcher der Aufgabe leichtlich
adäquat sein.
Nunmehro lege ich die ganze Materie von Geistern, ein weitläuftig Stück
der Metaphysik, als abgemacht und vollendet bei
Seite. Sie geht mich künftig nichts mehr an. Indem ich den Plan meiner
Nachforschung auf diese Art besser zusammenziehe, und mich einiger gänzlich
vergeblichen Untersuchungen entschlage, so hoffe ich meine geringe Verstandesfähigkeit
auf die übrige Gegenstände vorteilhafter anlegen zu können. Es
ist mehrenteils umsonst, das kleine Maß seiner Kraft auf alle windichte
Entwürfe ausdehnen zu wollen. Daher gebeut die Klugheit, sowohl in diesem
als in andern Fällen, den Zuschnitt der Entwürfe den Kräften
angemessen zu machen, und, wenn man das Große nicht füglich erreichen
kann, sich auf das Mittelmäßige einzuschränken.Der zweite Teil
welcher historisch ist
Erstes Hauptstück.
Eine
Erzählung, deren Wahrheit der beliebigen Erkundigung des Lesers empfohlen
wird
Sit mihi fas audita loqui. - - - Virg.
Es sei mir gestattet, von dem zu sprechen,
was ich gehört habe.
Die Philosophie, deren Eigendünkel macht, daß sie sich selbst allen
eiteln Fragen bloß stellet, siehet sich oft bei dem Anlasse gewisser Erzählungen
in schlimmer Verlegenheit, wenn sie entweder an einigem in demselben ungestraft
nicht zweifeln
oder manches davon unausgelacht nicht
glauben
darf. Beide Beschwerlichkeiten finden sich in gewisser Maße bei den herumgehenden
Geistergeschichten zusammen, die erste bei Anhörung desjenigen, der sie
beteurt, und die zweite in Betracht derer, auf die man sie weiter bringt. In
der Tat ist auch kein Vorwurf dem Philosophen bitterer, als der der Leichtgläubigkeit
und der Ergebenheit in den gemeinen Wahn, und da diejenigen, welche sich darauf
verstehen, gutes Kaufs klug zu scheinen, ihr spöttisches Gelächter
auf alles werfen, was die Unwissenden und die Weisen gewisser maßen gleich
macht, indem es beiden unbegreiflich ist: so ist kein Wunder, daß die
so häufig vorgegebene Erscheinungen großen Eingang finden, öffentlich
aber entweder abgeleugnet oder doch verhehlet werden.
Man kann sich daher darauf verlassen: daß niemals eine Akademie der Wissenschaften
diese Materie zur Preisfrage machen werde; nicht als wenn die Glieder derselben
gänzlich von aller Ergebenheit in die gedachte Meinung frei wären,
sondern weil die Regel der Klugheit denen Fragen, welche der Vorwitz und die
eitle Wißbegierde ohne Unterscheid aufwirft, mit Recht Schranken setzet.
Und so werden die Erzählungen von dieser Art wohl jederzeit nur heimliche
Gläubige haben, öffentlich aber durch die herrschende Mode des Unglaubens
verworfen werden.
Da mir indessen diese ganze Frage weder wichtig noch vorbereitet gnug scheint,
um über dieselbe etwas zu entscheiden, so trage ich kein Bedenken, hier
eine Nachricht der erwähnten Art anzuführen, und sie mit völliger
Gleichgültigkeit dem geneigten oder ungeneigten Urteile der Leser preis
zu geben.
Es lebt zu Stockholm ein gewisser Herr Schwedenberg,
ohne Amt oder Bedienung, von seinem ziemlich ansehnlichen Vermögen. Seine
ganze Beschäftigung besteht darin, daß er, wie er selbst sagt, schon
seit mehr als zwanzig Jahren mit Geistern und abgeschiedenen Seelen im genauesten
Umgange stehet, von ihnen Nachrichten aus der andern Welt einholet und ihnen
dagegen welche aus der gegenwärtigen erteilt, große Bände über
seine Entdeckungen abfaßt und bisweilen nach London reiset, um die Ausgabe
derselben zu besorgen. Er ist eben nicht zurückhaltend mit seinen Geheimnissen,
spricht mit jedermann frei davon, scheint vollkommen von dem, was er vorgibt,
überredet zu sein, ohne einigen Anschein eines angelegten Betruges oder
Scharlatanerei. So wie er, wenn man ihm selbst glauben darf, der Erzgeisterseher
unter allen Geistersehern ist, so ist er auch sicherlich der Erzphantast
unter allen Phantasten, man mag ihn nun aus der Beschreibung derer, welche
ihn kennen, oder aus seinen Schriften beurteilen. Doch kann dieser Umstand diejenige,
welche den Geistereinflüssen sonst günstig sein, nicht abhalten, hinter
solcher Phantasterei noch etwas Wahres zu vermuten. Weil indessen das Kreditiv
aller Bevollmächtigten aus der andern Welt in den Beweistümern besteht,
die sie durch gewisse Proben in der gegenwärtigen von ihrem außerordentlichen
Beruf ablegen, so muß ich von demjenigen, was zur Beglaubigung der außerordentlichen
Eigenschaft des gedachten Mannes herumgetragen wird, wenigstens dasjenige anführen,
was noch bei den meisten einigen Glauben findet.
Gegen das Ende des Jahres 1761 wurde Herr Schwedenberg
zu einer Fürstin gerufen, deren großer Verstand und Einsicht es beinahe
unmöglich machen sollte, in dergleichen Fällen hintergangen zu werden.
Die Veranlassung dazu gab das allgemeine Gerüchte von denen vorgegebenen
Visionen dieses
Mannes. Nach einigen Fragen, die mehr darauf abzielten, sich mit seinen Einbildungen
zu belustigen, als wirkliche Nachrichten aus der andern Welt zu vernehmen, verabscheidete
ihn die Fürstin, indem sie ihm vorher einen geheimen Auftrag tat, der in
seine Geistergemeinschaft einschlug. Nach einigen Tagen erschien Herr Schwedenberg
mit der Antwort, welche von der Art war, daß solche die Fürstin,
ihrem eigenen Geständnisse nach, in das größeste Erstaunen versetzte,
indem sie solche wahr befand, und ihm gleichwohl solche von keinem lebendigen
Menschen konnte erteilt sein. Diese Erzählung ist aus dem Berichte eines
Gesandten an dem dortigen Hofe, der damals zugegen war, an einen andern fremden
Gesandten in Kopenhagen gezogen worden, stimmt auch genau mit dem, was die besondere
Nachfrage darüber hat erkundigen können, zusammen.
Folgende Erzählungen haben keine andere Gewährleistung als die gemeine
Sage, deren Beweis sehr mißlich ist. Madame Marteville,
die Witwe eines holländischen Envoyé an dem schwedischen Hofe, wurde
von den Angehörigen eines Goldschmiedes um die Bezahlung des Rückstandes
vor ein verfertigtes Silberservice gemahnet. Die Dame, welche die regelmäßige
Wirtschaft ihres verstorbenen Gemahls kannte, war überzeugt, daß
diese Schuld schon bei seinem Leben abgemacht sein müßte; allein
sie fand in seinen hinterlassenen Papieren gar keinen Beweis. Das Frauenzimmer
ist vorzüglich geneigt, den Erzählungen der Wahrsagerei, der Traumdeutung
und allerlei anderer wunderbarer Dinge Glauben beizumessen. Sie entdeckte daher
ihr Anliegen dem Herren Schwedenberg mit dem Ersuchen,
wenn es wahr wäre, was man von ihm sagte, daß er mit abgeschiedenen
Seelen im Umgange stehe, ihr aus der andern Welt
von ihrem verstorbenen Gemahl Nachricht zu verschaffen, wie es mit der
gedachten Anforderung bewandt sei. Herr Schwedenberg versprach,
solches zu tun, und stellte der Dame nach wenig Tagen in ihrem Hause den Bericht
ab, daß er die verlangte Kundschaft eingezogen habe, daß in einem
Schrank, den er anzeigte und der ihrer Meinung nach völlig ausgeräumt
war, sich noch ein verborgenes Fach befinde, welches die erforderliche Quittungen
enthielte. Man suchte sofort seiner Beschreibung zufolge und fand nebst der
geheimen holländischen Correspondence die Quittungen, wodurch alle gemachte
Ansprüche völlig getilgt wurden.
Die dritte Geschichte ist von der Art, daß sich sehr leicht ein vollständiger
Beweis ihrer Richtigkeit
oder Unrichtigkeit muß geben lassen. Es war, wo ich recht berichtet bin,
gegen das Ende des 1759ten Jahres, als Herr Schwedenberg,
aus England kommend, an einem Nachmittage zu Gotenburg
ans Land trat. Er wurde denselben Abend zu einer Gesellschaft bei einem dortigen
Kaufmann gezogen, und gab ihr nach einigem Aufenthalt mit allen Zeichen der
Bestürzung die Nachricht, daß eben itzt in
Stockholm im Südermalm
eine erschreckliche Feuersbrunst wüte. Nach Verlauf einiger Stunden,
binnen welchen er sich dann und wann entfernte, berichtete er der Gesellschaft,
daß das Feuer gehemmet sei, imgleichen wie weit es um sich gegriffen habe.
Eben denselben Abend verbreitete sich schon diese wunderliche Nachricht, und
war den andern Morgen in der ganzen Stadt herumgetragen; allein nach zwei Tagen
allererst kam der Bericht davon aus Stockholm in Gotenburg an, völlig einstimmig,
wie man sagt, mit Schwedenbergs
Visionen.
Man wird vermutlich fragen, was mich doch immer habe bewegen können, ein
so verachtetes Geschäfte zu übernehmen, als dieses ist, Märchen
weiter zu bringen, die ein Vernünftiger Bedenken trägt mit Geduld
anzuhören, ja solche gar zum Text philosophischer Untersuchungen zu machen.
Allein da die Philosophie, welche wir voranschickten,
eben so wohl ein Märchen war aus dem Schlaraffenlande
der Metaphysik, so sehe ich nichts Unschickliches
darin, beide in Verbindung auftreten zu lassen; und warum sollte es auch eben
rühmlicher sein, sich durch das blinde Vertrauen in die Scheingründe
der Vernunft, als durch unbehutsamen Glauben an betrügliche Erzählungen,
hintergehen zu lassen?
Torheit und Verstand haben so unkenntlich bezeichnete Grenzen, daß man
schwerlich in dem einen Gebiete lange fortgeht, ohne bisweilen einen kleinen
Streif in das andre zu tun; aber was die Treuherzigkeit anlangt, die sich bereden
läßt, vielen festen Beteurungen selbst wider die Gegenwehr des Verstandes
bisweilen etwas einzuräumen, so scheint sie ein Rest der alten Stammehrlichkeit
zu sein, die freilich auf den jetzigen Zustand nicht recht paßt, und daher
oft zur Torheit wird, aber darum doch eben nicht als ein natürliches Erbstück
der Dummheit angesehen werden muß. Daher überlasse ich es dem Belieben
des Lesers, bei der wunderlichen Erzählung, mit welcher ich mich bemenge,
jene zweideutige Mischung von Vernunft und Leichtgläubigkeit in ihre Elemente
aufzulösen, und die Proportion beider Ingredienzien vor meine Denkungsart
auszurechnen. Denn da es bei einer solchen Kritik doch nur um die Anständigkeit
zu tun ist, so halte ich mich gnugsam vor den Spott gesichert, dadurch, daß
ich mit dieser Torheit, wenn man sie so nennen will, mich gleichwohl in recht
guter und zahlreicher Gesellschaft befinde, welches schon gnug ist, wie Fontenelle
glaubt, um wenigstens nicht vor unklug gehalten zu werden. Denn es ist
zu allen Zeiten so gewesen und wird auch wohl künftighin so bleiben, daß
gewisse widersinnige Dinge, selbst bei Vernünftigen Eingang finden, bloß
darum, weil allgemein davon gesprochen wird. Dahin gehören die Sympathie,
die Wünschelrute, die Ahndungen, die Wirkung der Einbildungskraft schwangerer
Frauen, die Einflüsse der Mondwechsel auf Tiere und Pflanzen u. d. g. Ja
hat nicht vor kurzem das gemeine Landvolk denen Gelehrten die Spötterei
gut vergolten, welche sie gemeiniglich auf dasselbe der Leichtgläubigkeit
wegen zu werfen pflegen? Denn durch vieles Hörensagen brachten Kinder und
Weiber endlich einen großen Teil kluger Männer dahin, daß sie
einen gemeinen Wolf vor eine Hyäne
hielten, obgleich itzo ein jeder Vernünftiger leicht
einsieht, daß in den Wäldern von Frankreich wohl kein afrikanisches
Raubtier herumlaufen werde. Die Schwäche des menschlichen Verstandes in
Verbindung mit seiner Wißbegierde macht, daß man anfänglich
Wahrheit und Betrug ohne Unterschied aufraffet. Aber nach und nach läutern
sich die Begriffe, ein kleiner Teil bleibt, das übrige wird als Auskehricht
weggeworfen.
Wem also jene Geistererzählungen eine Sache von Wichtigkeit zu sein scheinen,
der kann immerhin, in Fall er Geld gnug und nichts Besseres zu tun hat, eine
Reise auf eine nähere Erkundigung derselben wagen, so wie Artemidor
zum Besten der Traumdeutung in Kleinasien herumzog. Es wird ihm auch die Nachkommenschaft
von ähnlicher Denkungsart davor höchlich verbunden sein, daß
er verhütete, damit nicht dereinst ein anderer Philostrat
aufstände, der nach Verlauf vieler Jahre aus unserm Schwedenberg
einen neuen Apollonius von Tyane machete,
wenn das Hörensagen zu einem förmlichen Beweise wird gereifet sein,
und das ungelegene obzwar höchstnötige Verhör der Augenzeugen
dereinst unmöglich geworden sein wird.Zweites Hauptstück.
Ekstatische
Reise eines Schwärmers durch die Geisterwelt
Somnia, terrores magicos, miracula,
sagas,
Nocturnos lemures, portentaque Thessala. Horatius.
(Lachst du über) Träüme, magische Schrecken,
Wunder, Zauberinnen, nächtliche Gespenster und thessalische Ungeheuer Ich kann es dem behutsamen Leser auf keinerlei Weise übel
nehmen, wenn sich im Fortgange dieser Schrift einiges Bedenken bei ihm gereget
hätte über das Verfahren, das der Verfasser vor gut gefunden hat darin
zu beobachten. Denn da ich den dogmatischen Teil vor dem historischen, und also
die Vernunftgründe vor der Erfahrung voranschickte, so gab ich Ursache
zu dem Argwohn, als wenn ich mit Hinterlist umginge, und, da ich die Geschichte
schon vielleicht zum voraus im Kopfe gehabt haben mochte, mich nur so angestellet
hätte, als wüßte ich von nichts, als von reinen abgesonderten
Betrachtungen, damit ich den Leser, der sich nichts dergleichen besorgt, am
Ende mit einer erfreulichen Bestätigung aus der Erfahrung überraschen
könnte. Und in der Tat ist dieses auch ein Kunstgriff, dessen die Philosophen
sich mehrmalen sehr glücklich bedient haben. Denn man muß wissen,
daß alle Erkenntnis zwei Enden habe, bei denen man sie fassen kann, das
eine a priori das andere a posteriori. Zwar haben verschiedene Naturlehrer neuerer
Zeiten vorgegeben, man müsse es bei dem letzteren anfangen, und glauben
den Aal der Wissenschaft beim Schwanze zu erwischen, indem sie sich gnugsamer
Erfahrungskenntnisse versichern, und denn so allmählich zu allgemeinen
und höheren Begriffen hinaufrücken. Allein ob dieses zwar nicht unklug
gehandelt sein möchte: so ist es doch bei weitem nicht gelehrt und philosophisch
gnug, denn man ist auf diese Art bald bei einem Warum, worauf keine Antwort
gegeben werden kann, welches einem Philosophen gerade so viel Ehre macht als
einem Kaufmann, der bei einer Wechselzahlung freundlich bittet, ein andermal
wieder anzusprechen. Daher haben scharfsinnige Männer, um diese Unbequemlichkeit
zu vermeiden, von der entgegengesetzten äußersten Grenze, nämlich
dem obersten Punkte der Metaphysik angefangen.
Es findet sich aber hiebei eine neue Beschwerlichkeit, nämlich daß
man anfängt, ich weiß nicht wo, und kömmt, ich weiß nicht
wohin, und daß der Fortgang der Gründe nicht auf die Erfahrung treffen
will, ja daß es scheinet, die Atomen des Epikurs
dürften eher, nachdem sie von Ewigkeit her immer gefallen, einmal von ungefähr
zusammenstoßen, um eine Welt zu bilden, als die allgemeinsten und abstraktesten
Begriffe, um sie zu erklären. Da also der Philosoph wohl sahe, daß
seine Vernunftgründe einer Seits, und die wirkliche Erfahrung oder Erzählung
anderer Seits, wie ein paar Parallellinien wohl ins Undenkliche neben einander
fortlaufen würden, ohne jemals zusammenzutreffen, so ist er mit den übrigen,
gleich als wenn sie darüber Abrede genommen hätten, übereingekommen,
ein jeder nach seiner Art den Anfangspunkt zu nehmen und darauf, nicht in der
geraden Linie der Schlußfolge, sondern mit einem unmerklichen Clinamen
der Beweisgründe, dadurch daß sie nach dem Ziele gewisser Erfahrungen
oder Zeugnisse verstohlen hinschieleten, die Vernunft so zu lenken, daß
sie gerade dahin treffen mußte, wo der treuherzige Schüler sie nicht
vermutet hatte, nämlich dasjenige zu beweisen, wovon man schon vorher wußte,
daß es sollte bewiesen werden.
Diesen Weg nannten sie alsdenn noch den Weg a
priori, ob er wohl unvermerkt durch ausgesteckte Stäbe nach dem Punkte
a posteriori gezogen
war, wobei aber billiger maßen der, so die Kunst versteht, den Meister
nicht verraten muß. Nach dieser sinnreichen Lehrart haben verschiedene
verdienstvolle Männer auf dem bloßen Wege der Vernunft so gar Geheimnisse
der Religion
ertappt, so wie Romanschreiber die Heldin der Geschichte in entfernete Länder
fliehen lassen, damit sie ihrem Anbeter durch ein glückliches Abenteuer
von ungefähr aufstoße:
et fugit ad salices et se cupit ante videri. Virgil
(sie) flieht zu den Weiden und wünscht,
vorher gesehen zu werden.
Ich würde mich also bei so gepriesenen Vorgängern in der Tat nicht
zu schämen Ursache haben, wenn ich gleich wirklich eben dasselbe Kunststück
gebraucht hätte, um meine Schrift zu einem erwünschten Ausgange zu
verhelfen. Allein ich bitte den Leser gar sehr, dergleichen nicht von mir zu
glauben. Was würde es mir auch itzo helfen, da ich keinen mehr hintergehen
kann, nachdem ich das Geheimnis schon ausgeplaudert habe?
Zudem habe ich das Unglück, daß das Zeugnis, worauf ich stoße
und was meiner philosophischen Hirngeburt so ungemein ähnlich ist, verzweifelt
mißgeschaffen und albern aussieht, so daß ich viel eher vermuten
muß, der Leser werde, um der Verwandtschaft mit solchen Beistimmungen
willen, meine Vernunftgründe vor ungereimt, als jene um dieser willen vor
vernünftig halten. Ich sage demnach ohne Umschweif, daß, was solche
anzügliche Vergleichungen anlangt, ich keinen Spaß verstehe, und
erkläre kurz und gut, daß man entweder in Schwedenbergs
Schriften mehr Klugheit und Wahrheit vermuten müsse, als der erste Anschein
blicken läßt, oder daß es nur so von ohngefähr komme,
wenn er mit meinem System zusammentrifft, wie Dichter bisweilen, wenn sie rasen,
weissagen, wie man glaubt, oder wenigstens wie sie selbst sagen, wenn sie dann
und wann mit dem Erfolge zusammentreffen.
Ich komme zu meinem Zwecke, nämlich zu den Schriften meines Helden. Wenn
manche jetzt vergessene, oder dereinst doch namenlose Schriftsteller kein geringes
Verdienst haben, daß sie in der Ausarbeitung großer Werke den Aufwand
ihres Verstandes nicht achteten, so gebühret dem Herren
Schwedenberg ohne Zweifel die größeste Ehre unter allen. Denn
gewiß, seine Flasche in der Mondenwelt ist ganz voll, und weicht keiner
einzigen unter denen, die Ariosto dort mit der
hier verlornen Vernunft angefüllet gesehen hat, und die ihre Besitzer dereinst
werden wiedersuchen müssen, so völlig entleert ist das große
Werk von einem jeden Tropfen desselben. Nichts destoweniger herrscht darinnen
eine so wundersame Übereinkunft mit demjenigen, was die feineste Ergrübelung
der Vernunft über den ähnlichen Gegenstand herausbringen kann, daß
der Leser mir es verzeihen wird, wenn ich hier diejenige Seltenheit in den Spielen
der Einbildung finde, die so viel andere Sammler in denen Spielen der Natur
angetroffen haben, als wenn sie etwa im fleckichten Marmor die heilige Familie,
oder, in Bildungen von Tropfstein, Mönche, Taufstein und Orgeln, oder sogar
wie der Spötter Liscow auf einer gefrorenen
Fensterscheibe die Zahl des Tieres und die dreifache Krone entdecken; lauter
Dinge, die niemand sonsten sieht, als dessen Kopf schon vorher damit angefüllet
ist.
Das große Werk dieses Schriftstellers enthält acht
Quartbände voll Unsinn, welche er unter dem Titel: Arcana
caelestia, der Welt als eine neue Offenbarung vorlegt, und wo seine Erscheinungen
mehrenteils auf die Entdeckung des geheimen Sinnes in den
zwei ersten Büchern Mosis und eine ähnliche Erklärungsart
der ganzen H. Schrift angewendet werden. Alle diese schwärmende Auslegungen
gehen mich hier nichts an; man kann aber, wenn man will, einige Nachrichten
von denenselben in des Herrn Doktor Ernesti Theol.
Bibliothek im ersten Bande aufsuchen. Nur die audita
et visa, d.i. was seine eigne Augen sollen
gesehen und eigene Ohren gehört haben,
sind alles, was wir vornehmlich aus denen Beilagen zu seinen Kapiteln ziehen
wollen, weil sie allen übrigen Träumereien zum Grunde liegen, und
auch ziemlich in das Abenteuer einschlagen, das wir oben auf dem Luftschiffe
der Metaphysik gewagt haben.
Der Stil des Verfassers ist platt. Seine Erzählungen und ihre Zusammenordnung
scheinen in der Tat aus fanatischem
Anschauen entsprungen
zu sein, und geben gar wenig Verdacht, daß spekulative Hirngespinste einer
verkehrtgrüblenden Vernunft ihn bezogen haben sollten, dieselbe zu erdichten
und zum Betruge anzulegen. In so ferne haben sie also einige Wichtigkeit, und
verdienen wirklich, in einem kleinen Auszuge vorgestellet zu werden, vielleicht
mehr, als so manche Spielwerke hirnloser Vernünftler, welche unsere Journale
anschwellen, weil eine zusammenhängende Täuschung der Sinne überhaupt
ein viel merkwürdiger Phaenomenon ist, als der Betrug der Vernunft, dessen
Gründe bekannt genug sind, und der auch großen Teils durch willkürliche
Richtung der Gemütskräfte und etwas mehr Bändigung eines leeren
Vorwitzes könnte verhütet werden, da hingegen jene das erste Fundament
aller Urteile betrifft, dawider, wenn es unrichtig ist, die Regeln der Logik
wenig vermögen!
Ich sondere also bei unserm Verfasser den Wahnsinn
vom Wahnwitze ab,
und übergehe dasjenige, was er auf eine verkehrte Weise klügelt,
indem er nicht bei seinen Visionen
stehen bleibt, eben so wie man sonst vielfältig bei einem Philosophen
dasjenige, was er beobachtet, von dem absondern muß, was er vernünftelt
und so gar Scheinerfahrungen
mehrenteils lehrreicher sind, als die Scheingründe
aus der Vernunft. Indem ich also dem Leser einige von denen
Augenblicken raube, die er sonst vielleicht mit nicht viel größerem
Nutzen auf die Lesung gründlicher
Schriften von eben der Materie würde verwandt haben, so sorge ich zugleich
vor die Zärtlichkeit seines Geschmacks, da ich, mit Weglassung vieler wilden
Chimären, die Quintessenz des Buchs auf wenig Tropfen bringe, wovor ich
mir von ihm eben so viel Dank verspreche, als ein gewisser Patient glaubte den
Ärzten schuldig zu sein, daß sie ihn nur die Rinde von der Quinquina
verzehren ließen, da sie ihn leichtlich hätten nötigen können,
den ganzen Baum aufzuessen.
Herr Schwedenberg teilet seine Erscheinungen in
drei Arten ein, davon
die erste ist, vom Körper
befreiet zu werden; ein mittlerer Zustand zwischen Schlafen und Wachen, worin
er Geister gesehen, gehört, ja gefühlt hat. Dergleichen ist ihm nur
drei- oder viermal begegnet. Die zweite
ist, vom Geiste weggeführt zu werden, da er etwa auf der Straße geht,
ohne sich zu verwirren, indessen daß er im Geiste in ganz anderen Gegenden
ist, und anderwärts Häuser, Menschen, Wälder u.d.g. deutlich
sieht, und dieses wohl einige Stunden lang, bis er sich plötzlich wiederum
an seinem rechten Orte gewahr wird. Dieses ist ihm zwei- bis dreimal zugestoßen.
Die dritte Art der Erscheinungen
ist die gewöhnliche, welche er täglich im völligen Wachen hat,
und davon auch hauptsächlich diese seine Erzählungen hergenommen sind.
Alle Menschen stehen seiner Aussage nach in gleich inniglicher
Verbindung
mit der Geisterwelt; nur sie empfinden es
nicht, und der Unterscheid zwischen ihm und den andern besteht nur darin,
daß sein Innerstes aufgetan ist,
von welchem Geschenke er jederzeit mit Ehrerbietigkeit
redet (datum mihi est ex divina Domini misericordia:
es ist mir aus dr göttlichen Barmherzigkeit des Herrn gegeben).
Man siehet aus dem Zusammenhange, daß diese Gabe darin bestehen soll,
sich derer dunkelen Vorstellungen bewußt zu werden, welche die Seele
durch ihre beständige Verknüpfung mit der Geisterwelt
empfängt. Er unterscheidet daher an dem Menschen das äußere
und innere Gedächtnis. Jenes hat er als eine Person, die zu der sichtbaren
Welt gehört, dieses aber kraft seines Zusammenhanges mit der Geisterwelt.
Darauf gründet sich auch der Unterschied des äußeren und inneren
Menschen, und sein eigener Vorzug besteht darin, daß er schon in diesem
Leben als eine Person sich in der Gesellschaft der Geister sieht, und von ihnen
auch als eine solche erkannt wird. In diesem innern Gedächtnis wird auch
alles aufbehalten, was aus dem äußeren verschwunden war, und es geht
nichts von allen Vorstellungen eines Menschen jemals verloren. Nach dem Tode
ist die Erinnerung
alles desjenigen, was jemals in seine Seele kam
und was ihm selbst ehedem verborgen blieb, das vollständige
Buch seines Lebens.
Die Gegenwart der Geister trifft zwar nur seinen innern Sinn. Dieses erregt
ihm aber die Apparenz derselben als außer ihm, und zwar unter einer menschlichen
Figur. Die Geistersprache ist eine unmittelbare Mitteilung der Ideen, sie ist
aber jederzeit mit der Apparenz derjenigen Sprache verbunden, die er sonst spricht,
und wird vorgestellt als außer ihm. Ein Geist liest in eines andern Geistes
Gedächtnis die Vorstellungen, die dieser darin mit Klarheit enthält.
So sehen die Geister in Schwedenbergen seine Vorstellungen, die er von dieser
Welt hat, mit so klarem Anschauen, daß sie sich dabei selbst hintergehen
und sich öfters einbilden, sie sehen unmittelbar die Sachen, welches doch
unmöglich ist, denn kein reiner Geist hat die mindeste Empfindung von der
körperlichen Welt; allein durch die Gemeinschaft mit andern Seelen lebender
Menschen können sie auch keine Vorstellung davon haben, weil ihr Innerstes
nicht aufgetan ist, d.i. ihr innerer Sinn gänzlich dunkele Vorstellungen
enthält.
Daher ist Schwedenberg das rechte Orakel der Geister,
welche eben so neugierig sein, in ihm den gegenwärtigen Zustand der Welt
zu beschauen, als er es ist, in ihrem Gedächtnis wie in einem Spiegel die
Wunder der Geisterwelt zu betrachten. Obgleich diese Geister mit allen andern
Seelen lebender Menschen gleichfalls in der genauesten Verbindung stehen, und
in dieselbe wirken oder von ihnen leiden, so wissen sie doch dieses eben so
wenig, als es die Menschen wissen, weil dieser ihr innerer Sinn, welcher zu
ihrer geistigen Persönlichkeit gehört, ganz dunkel ist. Es meinen
also die Geister: daß dasjenige, was aus dem Einflusse der Menschenseelen
in ihnen gewirkt worden, von ihnen allein gedacht sei, so wie auch die Menschen
in diesem Leben nicht anders glauben, als daß alle ihre Gedanken und Willensregungen
aus ihnen selbst entspringen, ob sie gleich in der Tat oftmals aus der unsichtbaren
Welt in sie übergehen. Indessen hat eine jede menschliche Seele schon in
diesem Leben ihre Stelle in der Geisterwelt, und gehört zu einer gewissen
Sozietät, die jederzeit ihrem innern Zustande des Wahren und Guten, d.i.
des Verstandes und Willens gemäß ist.
Es haben aber die Stellen der Geister untereinander nichts mit dem Raume der
körperlichen Welt gemein; daher die Seele eines Menschen in Indien mit
der eines andern in Europa, was die geistige Lagen betrifft, oft die nächste
Nachbaren sein, und dagegen die, so dem Körper nach in einem Hause wohnen,
nach jenen Verhältnissen weit gnug voneinander entfernet sein können.
Stirbt der Mensch, so verändert die Seele nicht ihre Stelle, sondern empfindet
sich nur in derselben, darin sie in Ansehung anderer Geister schon in diesem
Leben war. Übrigens, obgleich die Verhältnis der Geister untereinander
kein wahrer Raum ist, so hat dieselbe doch bei ihnen die Apparenz desselben,
und ihre Verknüpfungen werden unter der begleitenden Bedingung der Naheiten,
ihre Verschiedenheiten aber als Weiten vorgestellt, so wie die Geister selber
wirklich nicht ausgedehnt sein, einander aber doch die Apparenz einer menschlichen
Figur geben. In diesem eingebildetem Raume ist eine durchgängige Gemeinschaft
der geistigen Naturen.
Schwedenberg spricht mit abgeschiedenen Seelen,
wenn es ihm beliebt, und liest in ihrem Gedächtnis
(Vorstellungskraft) denjenigen Zustand, darin sie sich selbst beschauen,
und siehet diesen eben so klar als mit leiblichen Augen. Auch ist die ungeheure
Entfernung der vernünftigen Bewohner der Welt, in Absicht auf das geistige
Weltganze, vor nichts zu halten, und mit einem Bewohner des Saturns zu reden,
ist ihm eben so leicht, als eine abgeschiedene Menschenseele zu sprechen. Alles
kommt auf das Verhältnis des innern Zustandes und auf die Verknüpfung
an, die sie untereinander nach ihrer Übereinstimmung im Wahren
und im Guten haben;
die entferntere Geister aber können leichtlich durch Vermittelung anderer
in Gemeinschaft kommen. Daher braucht der Mensch auch nicht in den übrigen
Weltkörpern wirklich gewohnt zu haben, um dieselbe dereinst mit allen ihren
Wundern zu kennen. Seine Seele lieset in dem Gedächtnisse anderer abgeschiedenen
Weltbürger ihre Vorstellungen, die diese von ihrem Leben und Wohnplatze
haben, und siehet darin die Gegenstände so gut wie durch ein unmittelbares
Anschauen.
Ein Hauptbegriff in Schwedenbergs Phantasterei
ist dieser: Die körperliche Wesen haben keine eigene Subsistenz, sondern
bestehen lediglich durch die Geisterwelt; wiewohl ein jeder Körper nicht
durch einen Geist allein, sondern durch alle zusammengenommen. Daher hat die
Erkenntnis der materiellen Dinge zweierlei Bedeutung, einen äußerlichen
Sinn, in Verhältnis der Materie aufeinander, und einen innern, in so ferne
sie als Wirkungen die Kräfte der Geisterwelt bezeichnen, die ihre Ursachen
sind. So hat der Körper des Menschen eine Verhältnis der Teile untereinander
nach materiellen Gesetzen; aber, in so ferne er durch den Geist, der in ihm
lebt, erhalten wird, haben seine verschiedene Gliedmaßen und ihre Funktionen
einen bezeichnenden Wert vor diejenige Seelenkräfte, durch deren Wirkung
sie ihre Gestalt, Tätigkeit und Beharrlichkeit haben. Dieser innere Sinn
ist den Menschen unbekannt, und den hat Schwedenberg,
dessen Innerstes aufgetan ist, den Menschen bekanntmachen wollen. Mit allen
andern Dingen der sichtbaren Welt ist es eben so bewandt, sie haben, wie gesagt,
eine Bedeutung als Sachen, welches wenig ist, und eine andere als Zeichen, welches
mehr ist.
Dieses ist auch der Ursprung der neuen Auslegungen, die er von der Schritt hat
machen wollen. Denn der innere Sinn, nämlich die symbolische Beziehung
aller darin erzählten Dinge auf die Geisterwelt, ist, wie er schwärmet,
der Kern ihres Werts, das übrige ist nur die Schale. Was aber wiederum
in dieser symbolischen Verknüpfung körperlicher Dinge als Bilder mit
dem innern geistigen Zustande wichtig ist, besteht darin: Alle Geister stellen
sich einander jederzeit unter dem Anschein ausgedehnter Gestalten vor, und die
Einflüsse aller dieser geistigen Wesen untereinander erregt ihnen zugleich
die Apparenz von noch andern ausgedehnten Wesen, und gleichsam von einer materialen
Welt, deren Bilder doch nur Symbolen ihres inneren Zustandes sein, aber gleichwohl
eine so klare und dauerhafte Täuschung des Sinnes verursachen, daß
solche der wirklichen Empfindung solcher Gegenstände gleich ist. (Ein
künftiger Ausleger wird daraus schließen: daß Schwedenborg
ein Idealist sei; weil er der Materie dieser Welt auch die eigne Subsistenz
abspricht, und sie daher vielleicht nur vor eine zusammenhängende Erscheinung
halten mag, welche aus der Verknüpfung der Geisterwelt entspringt.)
Er redet also von Gärten, weitläuftigen Gegenden, Wohnplätzen,
Galerien und Arkaden der Geister, die er mit eigenen Augen in dem kläresten
Lichte sähe, und versichert: daß, da er mit allen seinen Freunden
nach ihrem Tode vielfältig gesprochen, er
an denen, die nur kürzlich gestorben, fast jederzeit gefunden hätte,
daß sie sich kaum hätten überreden können gestorben zu
sein, weil sie eine ähnliche Welt um sich sähen; imgleichen, daß
Geistergesellschaften von einerlei innerem Zustande einerlei Apparenz der Gegend
und anderer daselbst befindlichen Dinge hätten, die Veränderung ihres
Zustandes aber sei mit dem Schein der Veränderung des Orts verbunden. Weil
nun jederzeit, wenn die Geister den Menschenseelen ihre Gedanken mitteilen,
diese mit der Apparenz materieller Dinge verbunden sind, welche im Grunde nur
kraft einer Beziehung auf den geistigen Sinn, doch mit allem Schein der Wirklichkeit
sich demjenigen vormalen, der solche empfängt, so ist daraus der Vorrat
der wilden und unausprechlich albernen Gestalten herzuleiten, welche unser Schwärmer
bei seinem täglichen Geisterumgange in aller Klarheit zu sehen glaubt.
Ich habe schon angeführt, daß, nach unserm Verfasser, die mancherlei
Kräfte und Eigenschaften der Seele mit denen ihrer Regierung untergeordneten
Organen des Körpers in Sympathie stehen. Der ganze äußere Mensch
korrespondiert also dem ganzen innern Menschen, und wenn daher ein merklicher
geistiger Einfluß aus der unsichtbaren Welt eine oder andere dieser seiner
Seelenkräfte vorzüglich trifft, so empfindet er auch harmonisch die
apparente Gegenwart desselben an denen Gliedmaßen seines äußeren
Menschen, die diesen korrespondieren. Dahin bezieht er nun eine große
Mannigfaltigkeit von Empfindungen an seinem Körper, die jederzeit mit der
geistigen Beschauung verbunden sein, deren Ungereimtheit aber zu groß
ist, als daß ich es wagen dürfte, nur eine einzige derselben anzuführen.
Hieraus kann man sich nun, wofern man es der Mühe wert hält, einen
Begriff von der abenteurlichsten und seltsamsten Einbildung machen, in welche
sich alle seine Träumereien vereinbaren. So wie nämlich verschiedene
Kräfte und Fähigkeiten diejenige Einheit ausmachen, welche die Seele
oder der innere Mensch ist, so machen auch verschiedene Geister (deren
Hauptcharaktere sich ebenso aufeinander beziehen, wie die mancherlei Fähigkeiten
eines Geistes untereinander) eine Sozietät aus, welche die Apparenz
eines großen Menschen an sich zeigt, und in welchem Schattenbilde ein
jeder Geist sich an demjenigen Orte und in den scheinbaren Gliedmaßen
sieht, die seiner eigentümlichen Verrichtung in einem solchen geistigen
Körper gemäß ist. Alle Geistersozietäten aber zusammen,
und die ganze Welt aller dieser unsichtbaren Wesen, erscheinet zuletzt selbst
wiederum in der Apparenz des größesten
Menschen. Eine ungeheure und riesenmäßige Phantasie,
zu welcher sich vielleicht eine alte kindische Vorstellung ausgedehnt hat, wenn
etwa in Schulen, um dem Gedächtnis zu Hülfe zu kommen, ein ganzer
Weltteil unter dem Bilde einer sitzenden Jungfrau u.d.g. den Lehrlingen vorgemalt
wird. In diesem unermeßlichen Menschen ist eine durchgängige innigste
Gemeinschaft eines Geistes mit allem und aller mit einem, und, wie auch immer
die Lage der lebenden Wesen gegeneinander in dieser Welt, oder deren Veränderung
beschaffen sein mag, so haben sie doch eine ganz andere Stelle im größesten
Menschen, welche sie niemals verändern und welche nur dem Scheine nach
ein Ort in einem unermeßlichen Raume, in der Tat aber eine bestimmte Art
ihrer Verhältnisse und Einflüsse ist.
Ich bin es müde, die wilden Hirngespinste des ärgsten Schwärmers
unter allen zu kopieren, oder solche bis zu seinen Beschreibungen vom Zustande
nach dem Tode fortzusetzen. Ich habe auch noch andere Bedenklichkeiten. Denn
ob gleich ein Natursammler unter den präparierten Stücken tierischer
Zeugungen nicht nur solche, die in natürlicher Form gebildet sein, sondern
auch Mißgeburten in seinem Schranke aufstellt, so muß er doch behutsam
sein, sie nicht jedermann und nicht gar zu deutlich sehen zu lassen. Denn es
könnten unter den Vorwitzigen leichtlich schwangere Personen sein, bei
denen es einen schlimmen Eindruck machen dürfte. Und da unter meinen Lesern
einige in Ansehung der idealen Empfängnis eben sowohl in andern Umständen
sein mögen, so würde mir es leid tun, wenn sie sich hier etwa woran
sollten versehen haben. Indessen, weil ich sie doch gleich anfangs gewarnet
habe, so stehe ich vor nichts, und hoffe, man werde mir die Mondkälber
nicht aufbürden, die bei dieser Veranlassung von ihrer fruchtbaren Einbildung
möchten geboren werden.
Übrigens habe ich den Träumereien unseres Verfassers keine eigene
unterschoben, sondern solche durch einen getreuen Auszug dem bequemen und wirtschaftlichen
Leser (der einem kleinen Vorwitze nicht so leicht 7 Pfund
Sterlinge aufopfern möchte) dargeboten. Zwar sind die unmittelbare
Anschauungen mehrenteils von mir weggelassen worden, weil dergleichen wilde
Hirngespinste nur den Nachtschlaf des Lesers stören würden; auch ist
der verworrene Sinn seiner Eröffnungen hin und wieder in eine etwas gangbare
Sprache eingekleidet worden; allein die Hauptzüge des Abrisses haben dadurch
in ihrer Richtigkeit nicht gelitten. Gleichwohl ist es nur umsonst, es verhehlen
zu wollen, weil es jedermann doch so in die Augen fällt, daß alle
diese Arbeit am Ende auf nichts herauslaufe. Denn da die vorgegebene Privaterscheinungen
des Buchs sich selbst nicht beweisen können, so konnte der Bewegungsgrund,
sich mit ihnen abzugeben, nur in der Vermutung liegen, daß der Verfasser
zur Beglaubigung derselben sich vielleicht auf Vorfälle von der oben erwähnten
Art, die durch lebende Zeugen bestätigt werden könnten, berufen würde.
Dergleichen aber findet man nirgend. Und so ziehen wir uns mit einiger Beschämung
von einem törichten Versuche zurück, mit der vernünftigen obgleich
etwas späten Anmerkung: daß das Klugdenken mehrenteils eine leichte
Sache sei, aber leider, nur nachdem man sich eine Zeitlang hat hintergehen lassen.
* * *
Ich habe einen undankbaren Stoff bearbeitet, den mir die Nachfrage
und Zudringlichkeit vorwitziger und müßiger Freunde unterlegte. Indem
ich diesem Leichtsinn meine Bemühung unterwarf, so habe ich zugleich dessen
Erwartung betrogen, und, weder dem Neugierigen durch Nachrichten, noch dem Forschenden
durch Vernunftgründe, etwas zur Befriedigung ausgerichtet. Wenn keine andre
Absicht diese Arbeit beseelte, so habe ich meine Zeit verloren; ich habe das
Zutrauen des Lesers verloren, dessen Erkundigung und Wißbegierde ich durch
einen langweiligen Umweg zu demselben Punkte der Unwissenheit geführet
habe, aus welchem er herausgegangen war. Allein ich hatte in der Tat einen Zweck
vor Augen, der mir wichtiger scheint, als der, welchen ich vorgab, und diesen
meine ich erreicht zu haben. Die Metaphysik, in welche ich das Schicksal habe
verliebt zu sein, ob ich mich gleich von ihr nur selten einiger Gunstbezeugungen
rühmen kann, leistet zweierlei Vorteile. Der erste ist, denen Aufgaben
ein Gnüge zu tun, die das forschende Gemüt aufwirft, wenn es verborgenem
Eigenschaften der Dinge durch Vernunft nachspähet. Aber hier täuscht
der Ausgang nur gar zu oft die Hoffnung, und ist diesmal auch unsern begierigen
Händen entgangen.
Ter, frustra comprensa manus, effugit imago,
Par levibus ventis volucrique simillima somno. Virgil.
Den Händen, die dreimal vergeblich nach ihm griffen,
entkam der Schatten,
leichten Winden gleich und sehr ähnlich dem flüchtigen Schlaf.
Der andre Vorteil ist der Natur des menschlichen Verstandes mehr angemessen
und besteht darin: einzusehen, ob die Aufgabe aus demjenigen, was man wissen
kann, auch bestimmt sei und welches Verhältnis die Frage zu denen Erfahrungsbegriffen
habe, darauf sich alle unsre Urteile jederzeit stützen müssen. In
so ferne ist die Metaphysik
eine Wissenschaft
von den Grenzen der menschlichen Vernunft,
und da ein kleines Land jederzeit viel Grenze hat, überhaupt auch mehr
daran liegt, seine Besitzungen wohl zu kennen und zu behaupten, als blindlings
auf Eroberungen auszugehen, so ist dieser Nutze der erwähnten Wissenschaft
der unbekannteste und zugleich der wichtigste, wie er denn auch nur ziemlich
spät und nach langer Erfahrung erreichet wird. Ich habe diese Grenze hier
zwar nicht genau bestimmt, aber doch in so weit angezeigt, daß der Leser
bei weiterem Nachdenken finden wird, er könne sich aller vergeblichen Nachforschung
überheben, in Ansehung einer Frage, wozu die Data in einer andern Welt,
als in welcher er empfindet, anzutreffen sind. Ich habe also meine Zeit verloren,
damit ich sie gewönne. Ich habe meinen Leser hintergangen, damit ich ihm
nützete, und wenn ich ihm gleich keine neue Einsicht darbot, so vertilgte
ich doch den Wahn und das eitele Wissen, welches den Verstand aufblähet
und in seinem engen Raume den Platz ausfüllt, den die Lehren der Weisheit
und der nützlichen Unterweisung einnehmen könnten.
Wen die bisherigen Betrachtungen ermüdet haben, ohne ihn zu belehren, dessen
Ungeduld kann sich nunmehro damit aufrichten, was Diogenes,
wie man sagt, seinen gähnenden Zuhörern zusprach, als er das letzte
Blatt einiges langweiligen Buchs sahe: Courage,
meine Herren, ich sehe Land. Vorher
wandelten wir wie Demokrit im leeren Raume, wohin
uns die Schmetterlingsflügel
der Metaphysik gehoben hatten, und unterhielten uns daselbst mit geistigen
Gestalten. Itzt, da die stiptische
Kraft der Selbsterkenntnis
die seidene Schwingen zusammenzogen hat, sehen wir uns wieder auf dem niedrigen
Boden der Erfahrung und des gemeinen Verstandes; glücklich! wenn wir denselben
als unseren angewiesenen Platz betrachten, aus welchem wir niemals ungestraft
hinausgehen, und der auch alles enthält, was uns befriedigen kann, so lange
wir uns am Nützlichen halten.Drittes Hauptstück.
Praktischer
Schluß aus der ganzen Abhandlung
Einem jeden Vorwitze nachzuhängen, und der Erkenntnissucht keine andre
Grenzen zu verstatten, als das Unvermögen, ist ein Eifer, welcher der Gelehrsamkeit
nicht übel ansteht. Allein unter unzähligen Aufgaben, die sich selbst
darbieten, diejenige auswählen, deren Auflösung dem Menschen angelegen
ist, ist das Verdienst der Weisheit. Wenn die Wissenschaft ihren Kreis durchlaufen
hat, so gelanget sie natürlicher Weise zu dem Punkte eines bescheidenen
Mißtrauens, und sagt, unwillig über sich selbst, wie
viel Dinge gibt es doch, die ich nicht einsehe. Aber die
durch Erfahrung
gereifte Vernunft,
welche zur Weisheit wird, spricht in dem Munde des Sokrates,
mitten unter den Waren eines Jahrmarkts, mit heiterer Seele: Wie
viel Dinge gibt es doch, die ich alle nicht brauche. Auf
solche Art fließen endlich zwei Bestrebungen von so unähnlicher Natur
in eine zusammen, ob sie gleich anfangs nach sehr verschiedenen Richtungen ausgingen,
indem die erste eitel und unzufrieden, die zweite aber gesetzt und gnügsam
ist. Denn um vernünftig zu wählen, muß man vorher selbst das
Entbehrliche, ja das Unmögliche kennen; aber endlich gelangt die
Wissenschaft zu der Bestimmung
der ihr durch die Natur der menschlichen Vernunft gesetzten Grenzen; alle bodenlose
Entwürfe aber, die vielleicht an sich selbst nicht unwürdig sein mögen,
nur daß sie außer der Sphäre des Menschen liegen, fliehen auf
den Limbus der Eitelkeit. Alsdenn
wird selbst die Metaphysik dasjenige, wovon sie
itzo noch ziemlich weit entfernet ist, und was man von ihr am wenigsten vermuten
sollte, die Begleiterin der Weisheit.
Denn so lange die Meinung einer Möglichkeit, zu so entfernten Einsichten
zu gelangen, übrig bleibt, so ruft die weise
Einfalt vergeblich, daß solche große Bestrebungen
entbehrlich sein. Die Annehmlichkeit, welche die Erweiterung des Wissens begleitet,
wird sehr leicht den Schein der Pflichtmäßigkeit annehmen, und aus
jener vorsetzlichen und überlegten Gnügsamkeit eine dumme
Einfalt machen, die sich der Veredelung unserer Natur entgegensetzen
will.
Die Fragen von der geistigen Natur, von der Freiheit
und Vorherbestimmung, dem künftigen Zustande u.d.g. bringen anfänglich
alle Kräfte des Verstandes in Bewegung, und ziehen den Menschen durch ihre
Vortrefflichkeit in den Wetteifer der Spekulation,
welche ohne Unterschied klügelt und entscheidet, lehret oder widerlegt,
wie es die Scheineinsicht jedesmal mit sich bringt. Wenn diese Nachforschung
aber in Philosophie ausschlägt, die über
ihr eigen Verfahren urteilt, und die nicht die Gegenstände allein, sondern
deren Verhältnis zu dem Verstande des Menschen kennt, so ziehen sich die
Grenzen enger zusammen, und die Marksteine werden gelegt, welche die Nachforschung
aus eigentümlichen Bezirke niemals mehr ausschweifen lassen.
Wir haben einige Philosophie nötig gehabt,
um die Schwierigkeit zu kennen, welche einen Begriff umgeben, den man gemeiniglich
als sehr bequem und alltägig behandelt. Etwas mehr Philosophie
entfernet dieses Schattenbild der Einsicht noch
mehr, und überzeugt uns, daß es gänzlich außer dem Gesichtskreise
der Menschen liege. Denn in den Verhältnissen der Ursache
und Wirkung, der Substanz
und der Handlung
dient anfänglich die Philosophie dazu, die
verwickelte Erscheinungen aufzulösen und solche auf einfachere Vorstellungen
zu bringen. Ist man aber endlich zu den Grundverhältnissen gelangt, so
hat das Geschäfte der Philosophie ein Ende,
und: wie etwas könne eine Ursache sein oder eine Kraft haben, ist unmöglich
jemals durch Vernunft einzusehen, sondern diese
Verhältnisse müssen lediglich aus der Erfahrung genommen werden. Denn
unsere Vernunftregel gehet nur auf die Vergleichung nach der Identität
und dem Widerspruche.
So ferne aber etwas eine Ursache ist, so wird durch
etwas etwas anders gesetzt, und es ist also kein Zusammenhang
vermöge der Einstimmung anzutreffen; wie denn auch, wenn ich eben dasselbe
nicht als eine Ursache ansehen will, niemals
ein Widerspruch entspringt, weil es sich
nicht kontradizieret: wenn etwas gesetzt ist, etwas anderes aufzuheben.
Daher die Grundbegriffe der Dinge als Ursachen, die der Kräfte und Handlungen,
wenn sie nicht aus der Erfahrung hergenommen sind, gänzlich willkürlich
sein und weder bewiesen noch widerlegt werden können. Ich weiß wohl:
daß das Denken
und Wollen meinen
Körper bewege, aber ich kann diese Erscheinung, als eine einfache Erfahrung,
niemals durch Zergliederung auf eine andere bringen und sie daher wohl erkennen,
aber nicht einsehen. Daß mein Wille meinen Arm bewegt, ist mir nicht verständlicher,
als wenn jemand sagte, daß derselbe auch den Mond in seinem Kreise zurückhalten
könnte; der Unterschied ist nur dieser: daß ich jenes erfahre, dieses
aber niemals in meine Sinne gekommen ist. Ich erkenne in mir Veränderungen
als in einem Subjekte was lebt, nämlich Gedanken,
Willkür etc. etc. und, weil diese Bestimmungen von anderer Art sein, als
alles, was zusammengenommen meinen Begriff vom Körper macht, so denke ich
mir billiger maßen ein unkörperliches und beharrliches
Wesen. Ob dieses
auch ohne Verbindung mit dem Körper denken werde, kann vermittelst dieser
aus Erfahrung erkannten Natur niemals geschlossen werden.
Ich bin mit meiner Art Wesen durch Vermittelung körperlicher
Gesetze in Verknüpfung, ob ich aber auch sonst nach andern Gesetzen
welche ich pneumatisch nennen will, ohne die Vermittelung der Materie in Verbindung
stehe, oder jemals stehen werde, kann ich auf keinerlei Weise aus demjenigen
schließen, was mir gegeben ist. Alle solche Urteile, wie diejenige von
der Art, wie meine Seele den Körper bewegt, oder mit andern Wesen ihrer
Art jetzt oder künftig in Verhältnis steht, können niemals etwas
mehr als Erdichtungen sein, und zwar bei weitem nicht einmal von demjenigen
Werte, als die in der Naturwissenschaft, welche man Hypothesen
nennt, bei welchen man keine Grundkräfte ersinnt, sondern diejenige, welche
man durch Erfahrung schon kennt, nur auf eine den Erscheinungen angemessene
Art verbindet, und deren Möglichkeit sich also jederzeit muß können
beweisen lassen; dagegen im ersten Falle selbst neue Fundamentalverhältnisse
von Ursache und Wirkung angenommen werden, in welchen
man niemals den mindesten Begriff ihrer Möglichkeit haben kann, und also
nur schöpferisch oder chimärisch, wie man es nennen will, dichtet.
Die Begreiflichkeit verschiedener wahren, oder angeblichen Erscheinungen, aus
dergleichen angenommenen Grundideen, dienet diesen zu gar keinem Vorteile. Denn
man kann leicht von allem Grund angeben, wenn man berechtigt ist, Tätigkeiten
und Wirkungsgesetze zu ersinnen, wie man will. Wir müssen also warten,
bis wir vielleicht in der künftigen Welt durch neue
Erfahrungen neue Begriffe von denen uns noch verborgenen Kräften in unserm
denkenden Selbst werden belehrt werden. So haben uns die Beobachtungen
späterer Zeiten, nachdem sie durch Mathematik aufgelöset worden, die
Kraft der Anziehung an der Materie offenbaret, von deren Möglichkeit (weil
sie eine Grundkraft zu sein scheint) man sich niemals einigen ferneren
Begriff wird machen können. Diejenige, welche, ohne den Beweis aus der
Erfahrung in Händen zu haben, vorher sich eine solche Eigenschaft hätten
ersinnen wollen, würden als Toren mit Recht verdienet haben ausgelacht
zu werden.
Da nun die Vernunftgründe in dergleichen Fällen weder zur Erfindung
noch zur Bestätigung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit von der
mindesten Erheblichkeit sein: so kann man nur den Erfahrungen das Recht der
Entscheidung einräumen, so wie ich es auch der Zeit, welche Erfahrung bringt,
überlasse, etwas über die gepriesene Heilkräfte des Magnets in
Zahnkrankheiten auszumachen, wenn sie eben so viel Beobachtungen wird vorzeigen
können, daß magnetische Stäbe auf Fleisch und Knochen wirken,
als wir schon vor uns haben, daß es auf Eisen und Stahl geschehe. Wenn
aber gewisse angebliche Erfahrungen sich in kein unter den meisten Menschen
einstimmiges Gesetz der Empfindung bringen lassen, und also nur eine Regellosigkeit
in den Zeugnissen der Sinne beweisen würden (wie
es in der Tat mit den herumgehenden Geistererzählungen bewandt ist),
so ist ratsam, sie nur abzubrechen; weil der Mangel der Einstimmung und Gleichförmigkeit
alsdenn der historischen Erkenntnis alle Beweiskraft nimmt, und sie untauglich
macht, ein Fundament zu irgend einem Gesetze der Erfahrung zu dienen, worüber
der Verstand urteilen könnte.
So wie man einer Seits durch etwas tiefere Nachforschung eingehen lernet: daß
die überzeugende und philosophische Einsicht in dem Falle, wovon wir reden,
unmöglich sei,
so wird man auch anderer Seits bei einem ruhigen und vorurteilfreien Gemüte
gestehen müssen, daß sie entbehrlich und unnötig
sei. Die Eitelkeit der Wissenschaft entschuldigt gerne ihre Beschäftigung
mit dem Vorwande der Wichtigkeit, und so gibt man auch hier gemeiniglich vor,
daß die Vernunfteinsicht von der geistigen Natur der Seele zu der Überzeugung
von dem Dasein nach dem Tode, diese aber zum Bewegungsgrunde eines tugendhaften
Lebens sehr nötig sei; die müßige Neubegierde aber setzt hinzu,
daß die Wahrhaftigkeit der Erscheinungen abgeschiedener Seelen von allem
diesen so gar einen Beweis aus der Erfahrung abgeben könne.
Allein die wahre Weisheit ist die Begleiterin der Einfalt, und, da bei ihr das
Herz dem Verstande die Vorschrift gibt, so macht sie gemeiniglich die große
Zurüstungen der Gelehrsamkeit entbehrlich, und ihre Zwecke bedürfen
nicht solcher Mittel, die nimmermehr in aller Menschen Gewalt sein können.
Wie? ist es denn nur darum gut tugendhaft zu sein, weil es eine andre Welt gibt,
oder werden die Handlungen nicht vielmehr dereinst belohnt werden, weil sie
an sich selbst gut und tugendhaft waren? Enthält das Herz des Menschen
nicht unmittelbare sittliche Vorschriften, und muß man, um ihn allhier
seiner Bestimmung gemäß zu bewegen, durchaus die Maschinen an eine
andere Welt ansetzen? Kann derjenige wohl redlich, kann er wohl tugendhaft heißen,
welcher sich gern seinen Lieblingslastern ergeben würde, wenn ihm nur keine
künftige Strafe schreckte, und wird man nicht vielmehr sagen müssen,
daß er zwar die Ausübung der Bosheit scheue, die lasterhafte Gesinnung
aber in seiner Seele nähre, daß er den Vorteil der tugendähnlichen
Handlungen liebe, die Tugend selbst aber hasse?
Und in der Tat lehret die Erfahrung auch: daß so viele, welche von der
künftigen Welt belehrt und überzeugt sind, gleichwohl dem Laster und
der Niederträchtigkeit ergeben, nur auf Mittel sinnen, den drohenden Folgen
der Zukunft arglistig auszuweichen; aber es hat wohl niemals eine rechtschaffene
Seele gelebt, welche den Gedanken hätte ertragen können, daß
mit dem Tode alles zu Ende sei, und deren edle Gesinnung sich nicht zur
Hoffnung der Zukunft erhoben hätte. Daher scheint es der menschlichen Natur
und der Reinigkeit der Sitten gemäßer zu sein: die
Erwartung der künftigen Welt auf die Empfindungen einer wohlgearteten Seele,
als umgekehrt ihr Wohlverhalten auf die Hoffnung
der andern Welt zu gründen.
So ist auch der moralische Glaube
bewandt, dessen Einfalt mancher Spitzfindigkeit des Vernünftelns überhoben
sein kann, und welcher einzig und allein dem Menschen in jeglichem Zustande
angemessen ist, indem er ihn ohne Umschweif zu seinen wahren Zwecken führet.
Laßt uns demnach alle lärmende Lehrverfassungen von so entfernten
Gegenständen der Spekulation und der Sorge müßiger Köpfe
überlassen. Sie sind uns in der Tat gleichgültig, und der augenblickliche
Schein der Gründe vor oder dawider mag vielleicht über den Beifall
der Schulen, schwerlich aber etwas über das künftige Schicksal der
Redlichen entscheiden. Es war auch die menschliche Vernunft nicht gnugsam dazu
beflügelt, daß sie so hohe Wolken teilen sollte, die uns die Geheimnisse
der andern Welt aus den Augen ziehen, und denen Wißbegierigen, die sich
nach derselben so angelegentlich erkundigen, kann man den einfältigen aber
sehr natürlichen Bescheid geben: daß es wohl am ratsamsten sei, wenn
sie sich zu gedulden beliebten, bis sie werden dahin kommen.
Da aber unser Schicksal in der künftigen Welt vermutlich sehr darauf ankommen
mag, wie wir unsern Posten in der gegenwärtigen verwaltet haben, so schließe
ich mit demjenigen, was Voltaire seinen ehrlichen
Candide, nach so viel unnützen Schulstreitigkeiten,
zum Beschlusse sagen läßt: Laßt
uns unser Glück besorgen, in den Garten gehen, und arbeiten.
S.922-989
Aus Immanuel Kant, Vorkritische Schriften 2,
Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik
Werkausgabe Band II Herausgegeben von Wilhelm Weischedel Suhrkamp Tachenbuch
Wissenschaft stw 186
Aus
den Vorlesungen über Psychologie
Würde Gott auf einmal unmittelbar Licht in
unsere Seele bringen, daß wir uns aller unserer Vorstellungen könnten
bewußt sein, so würden wir alle Weltkörper ganz klar und deutlich
sehen, ebenso als wenn wir sie vor Augen hätten. Wenn demnach im
künftigen Leben unsere Seele sich aller dunkeln Vorstellungen bewußt
sein wird, so wird der Gelehrteste nicht weiter kommen als der Ungelehrteste;
nur daß sich der Gelehrte schon hier etwas mehreren bewußt ist.
Wenn aber in beider Seelen ein Licht aufgehen wird, so sind sie beide gleich
klar und deutlich.
Es liegt also im Felde der dunkeln
Vorstellungen
ein Schatz, der den tiefen Abgrund der menschlichen Erkenntnisse
ausmacht, den wir nicht erreichen können.Da wir nun unsere Seele verglichen haben mit Wesen,
die unter ihr sind (den
Tieren), so wollen wir sie jetzt auch mit Wesen vergleichen, die über
ihr sind. Da wir einen äußern und innern Sinn haben und wir uns Wesen
denken können, die bloß einen äußern Sinn haben, so können
wir uns auf der andern Seite auch Wesen denken, die gar keinen äußern
Sinn haben, die gar nicht in die Sinne fallen, und die also immateriell
[unkörperlich] sind.
Demnach können wir uns immaterielle Wesen
vorstellen, die mit Bewußtsein
ihrer selbst begabt sind. Ein immateriell
denkendes Wesen, das mit Bewußtsein
begabt ist (woraus denn schon folgt, daß es auch
ein vernünftiges Wesen ist), ist ein Geist.
Vom Geiste muß unterschieden
werden dasjenige, was geistig ist. Geistige Wesen
sind die, die mit dem Körper
zwar verbunden sind, die aber ihre Vorstellungen,
ihr Denken und
Wollen kontinuieren
[fortsetzen] können, wenn sie auch vom Körper
abgesondert werden.
Nun fragt es sich: Ist die Seele
des Menschen ein
geistiges Wesen? — Wenn sie auch ohne
Körper zu leben kontinuieren
[fortdauern] kann, dann ist sie geistig, und wenn
die Seelen der Tiere solches auch können, so sind sie auch geistiger Natur.
Ein Geist ist aber, der wirklich separiert ist vom Körper, der, ohne ein
Gegenstand des äußern Sinnes zu sein,
dennoch denken und wollen kann. Was können wir nun von den Geistern a
priori erkennen? Wir können uns Geister nur problematisch
denken, das heißt es kann kein Grund
a priori angeführet werden, dieselben zu verwerfen.
Die Erfahrung lehrt uns, daß, wenn wir denken, unser Körper dabei
ins Spiel kommt; wir sehen aber nicht ein, daß
es notwendig ist. Wir können uns recht gut Wesen
vorstellen, die gar keinen Körper
haben und dennoch denken und wollen
können. Demnach können wir problematisch
denkende vernünftige Wesen, mit Bewußtsein
ihrer selbst, die immateriell sind, annehmen.
Problematisch kann etwas angenommen werden, wenn es schlechthin klar
ist, daß es möglich
ist. Apodiktisch
können wir es nicht beweisen, aber es kann
uns auch keiner widerlegen, daß solche Geister nicht existieren sollten.
Ebenso können wir das Dasein Gottes nicht apodiktisch
demonstrieren; aber es ist auch keiner imstande, uns das Gegenteil zu beweisen,
denn wo will er das hernehmen?
Nun können wir von diesen Geistern nichts mehr sagen, als was ein Geist,
der abgesondert vom Körper ist, tun kann. Sie sind kein Gegenstand des
äußern Sinnes; also sind sie nicht im Raume. Weiter können wir
hier nichts sagen; sonst verfallen wir in Hirngespinste. Der Begriff von tierischen
Seelen und höheren Geistern ist nur ein Spiel unserer Begriffe.
*
1. Man kann sich entweder eine Restitution des tierischen Lebens
denken, welche entweder von irdischer oder überirdischer Art sein kann.
Nach der irdischen Art müßte meine Seele diesen oder einen anderen
Körper annehmen; nach der überirdischen Art. welches ein Übergang
aus diesem in ein anderes tierisches Leben wäre, müßte die Seele
einen verklärten Körper annehmen. Oder man kann sich auch
2. ein ganz reines geistiges Leben,
wo die Seele gar keinen
Körper haben wird, denken.
Diese letzte Meinung ist der Philosophie am allerangemessensten. Denn wenn der
Körper ein Hindernis des Lebens ist, das künftige aber vollkommen
sein soll, so muß es völlig geistig
sein. Wenn wir nun aber ein völlig geistiges Leben annehmen, so kann man
hier wieder fragen: Wo ist Himmel? Wo ist Hölle?
Und welches ist unser künftiger Bestimmungsort?
Die Trennung der Seele vorn Körper ist nicht in eine Veränderung
des Orts zu setzen. Die Gegenwart des Geistes kann nicht lokaliter erklärt
werden. Denn wenn sie lokaliter erklärt wird, so kann ich, wenn der Mensch
tot ist, fragen: Sitzt die Seele noch lange im Körper? Oder geht sie gleich
heraus? Ist sie demnach in der Stube oder im Hause? Und wie lange mag sie wohl
auf ihrer Reise, es sei zum Himmel oder zur Hölle, zubringen? Oder wo ist
sie sonst? Alle diese Fragen aber fallen weg, wenn man die Gegenwart des Geistes
nicht lokaliter annimmt und erklärt. Örter sind nur Verhältnisse
körperlicher, aber nicht geistiger Dinge. Demnach ist die Seele, weil sie
keinen Ort einnimmt, in der ganzen Körperwelt nicht
zu sehen; sie hat keinen bestimmten Ort in der Körperwelt, sondern sie
ist in der Geisterwelt; sie steht in Verbindung
und im Verhältnis mit andern Geistern.
Wenn nun diese Geister wohldenkende und heilige
Wesen sind und die Seele in ihrer Gemeinschaft
ist, so ist sie im Himmel.
Ist die Gemeinschaft der Geister aber bösartig,
in der sie sich befindet, so ist die Seele in der
Hölle.
Der Himmel ist also allerwärts, wo solche Gemeinschaft heiliger geistiger
Wesen ist; er ist aber nirgends. weil er keinen Ort in der Welt einnimmt, indem
die Gemeinschaft nicht in der Körperwelt errichtet
ist. Demnach wird der Himmel nicht der unermeßliche
Raum sein, den die Weltkörper einnehmen, und der sich in blauer
Farbe zeigt, wo man durch die Luft hinfahren müßte, wenn man
hinkommen wollte; sondern die Geisterwelt ist der Himmel; und in dem Verhältnis
und der Gemeinschaft mit der Geisterwelt stehen, heißt: im Himmel sein
. . .
Der Gedanke des Swedenborg ist hierin sehr erhaben.
Eine Frage bleibt noch übrig: Ob die Seele, die sich schön geistig
in der andern Welt sieht, in der sichtbaren Welt durch sichtbare Wirkungen erscheinen
werde und könne? Dieses ist nicht möglich:
denn Materie kann
nur sinnlich angeschaut werden und in die äußeren
Sinne fallen, aber nicht ein Geist. Oder könnte ich nicht
die Gemeinschaft der abgeschiedenen Seelen mit
meiner Seele, die noch nicht abgeschieden ist,
die aber in ihrer Gemeinschaft als ein Geist steht,
schon einigermaßen hier anschauen? Z. E. wie Swedenborg
will? Dieses ist kontradiktorisch;
denn alsdann müßte sich schon in dieser Welt die geistige
Anschauung
anfangen. Da ich aber in dieser Welt noch eine sinnliche
Anschauung habe, so kann ich nicht zugleich eine geistige Anschauung
haben. Ich kann nicht zugleich in dieser und auch in jener Welt sein; denn wenn
ich eine sinnliche Anschauung
habe, so bin ich in dieser, und wenn ich eine geistige
Anschauung habe, so bin ich in der andern Welt;
dieses kann aber nicht zugleich stattfinden. Gesetzt aber, es wäre möglich,
daß die Seele noch in dieser Welt erscheinen könnte, oder daß
eine solche geistige Anschauung schon hier möglich
wäre, indem wir doch die Unmöglichkeit
davon nicht beweisen können, so muß
doch hier die Maxime
der gesunden Vernunft
entgegengesetzt werden. Die Maxime der gesunden Vernunft
ist aber diese: alle solche Erfahrungen und Erscheinungen nicht zu erlauben,
sondern zu verwerfen die so beschaffen sind, daß, wenn ich sie annehme,
sie den Gebrauch einer Vernunft unmöglich
machen und die Bedingungen, unter denen ich meine Vernunft allein gebrauchen
kann, aufheben. Würde dieses angenommen werden, so hörte der Gebrauch
meiner Vernunft in dieser Welt gänzlich auf; dann könnten viele Handlungen
auf Rechnung der Geister geschehen. S. 134-140
Aus: Geist und Geisterwelt, Fragmente aus der Literatur
des Übersinnlichen von Thomas Wandler, Rudolf Kaemmerer Verlag, Berlin-Dresden
1923