Katharina von Genua (1447 – 1510)

  Italienische Mystikerin, die aus der adligen Familie Fieschi stammte, aus der auch die Päpste Innozenz IV. und Hadrian V. kamen. Ihr Vater war der Vizekönig von Neapel. 1474 widerfuhr ihr bei einem Besuch ihrer Schwester in Genua die erste Erleuchtung. Ihre Offenbarungen hat sie in ihren beiden Büchern »Dialoge von Seele und Körper« und »Abhandlung über das Fegefeuer« nieder geschrieben. Heilige (Tag: 15.9.)

Siehe auch Wikipedia, Heiligenlexikon und Kiirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Die klare und reine Liebe
Die reine Liebe geht über alle Dinge hinaus

Die reine und klare Liebe
Die reine und klare Liebe kann von Gott kein Ding wollen, so gut es auch sein mag, das Teilnahme hieße
, denn sie will Gott selber, den ganzen reinen, klaren und großen wie er ist; und wenn ihr das kleinste Pünktchen fehlte, sie könnte sich nicht zufrieden geben, ja es würde ihr scheinen, sie sei in der Hölle. Darum sage ich, dass ich keine erschaffene Liebe will, keine Liebe, die man kosten, fassen und genießen kann. Ich will nicht, sage ich, eine Liebe, die durch den Verstand, durch das Gedächtnis, durch den Willen ginge; denn die reine Liebe überschreitet alle die Dinge und geht über sie hinweg und spricht: Ich werde mich nicht beruhigen, bis ich verschlossen und eingetan bin in jenen göttlichen Busen, wo sich alle geschaffenen Formen verlieren und so verloren göttlich bleiben. Und anders kann sich nicht beruhigen die reine, wahrhafte und klare Liebe.
Ich habe daher beschlossen, solange ich lebe, zu der Welt zu sprechen: Außen tue mit mir, was du willst, aber im Innern lasse mich; denn ich kann nicht und will nicht, und möchte nicht wollen können, mich beschäftigen, es sei denn in Gott allein, der sich mein Inneres genommen und es in sich so eingeschlossen hat, daß er keinem öffnen will. Wisse, daß er nichts anderes tut, als diese Menschheit, sein Geschöpf, innen und außen auszehren; und wenn sie ganz in ihm aufgezehrt sein wird, werden sie beide aus diesem Körper gehen und vereinigt zur Heimat aufsteigen. Ich kann daher im Innern nichts anderes sehen als ihn, da er keinen anderen einlässt, und mich selber weniger als die andern, weil ich ihm feindseliger bin.

Und wenn es dennoch geschieht und mir not tut, dass ich dieses Ich nenne, um des Lebens der Welt willen, die nicht anders zu reden weiß, nämlich wenn ich mich nenne oder von anderen genannt werde, spreche ich in mir: Mein Ich ist Gott, und kein anderes Ich kenne ich, als diesen meinen Gott. Das gleiche sage ich, wenn ich vom Sein spreche. Jedes Ding, das das Sein hat, hat es von der höchsten Wesenheit Gottes durch die Teilnahme; aber die reine und klare Liebe kann sich nicht damit begnügen, sich durch Teilnahme Gottes teilhaftig geworden zu sehen, und nicht damit, dass er in ihr als Kreatur sei, wie er in anderen Kreaturen ist, von denen die einen mehr, die anderen weniger an Gott teilhaben. Diese Liebe kann solches Gleich-nis nicht ertragen, sondern mit großer verliebter Gewalt spricht sie: Mein Sein ist Gott, nicht durch Teilnahme, sondern durch wahre Verwandlung und durch Vernichtung des eigenen Wesens...

So ist in Gott mein Sein, mein Ich, meine Stärke, meine Seligkeit, mein Trieb. Aber dieses Ich, das ich jetzt so oft nenne — ich tue es, weil ich anders nicht reden kann, in Wahrheit jedoch weiß ich nicht mehr, was das Ich sei oder das Mein oder der Trieb oder das Gute oder auch die Seligkeit. Ich kann das Auge auf kein Ding mehr richten, wo es auch sei, im Himmel oder auf der Erde. Und sage ich doch einige Worte, die sich in Gestalt der Demut oder der Geistigkeit haben, drinnen im Innern weiß ich nichts, fühle ich nichts davon; ja ich bin bestürzt, da ich so viele Worte sage, die von der Wahrheit und von dem, was ich fühle, so sehr verschieden sind. S.209f.
Aus: Sloterdijk (Hrsg.): Mystische Zeugnisse aller Zeiten und Völker gesammelt von Martin Buber, Diederichs DG 100

Die reine Liebe geht über alle Dinge hinaus
Ich will keine Liebe, die für Gott oder in Gott wäre. Ich kann dieses Wort »für«, dieses Wort »in« nicht sehen, denn sie deuten mir auf ein Ding hin, das zwischen mir und Gott sein könnte. Dieses aber kann die reine und klare Liebe nicht ertragen, und diese Reinheit und Klarheit ist so groß, wie Gott selber ist, um Sein eigen sein zu können.

Gott ist ein Mensch geworden, um mich zu Gott zu machen, daher will ich ganz reiner Gott werden.


Wenn Gott eine Seele findet, die sich nicht mehr bewegt, das heißt nicht mehr sich selbst sucht und nicht mehr für sich selbst in Bewegung ist, dann wirkt Er in Seiner Weise und legt Hand an zu größeren Dingen in dieser Seele... Er nimmt ihr die Schlüssel Seiner Schätze, die Er ihr gegeben hatte, um ihrer zu genießen, und gibt ihr dafür die Sorge und Pflege Seiner Gegenwart, die ganz und gar von ihr Besitz ergreift. Aus dieser Gegenwart Gottes verbreitet sich ein Strahlen der göttlichen Flammen und Lampen, das so durchdringend stark und gewaltig ist, daß es, wenn es geschehen dürfte, nicht nur den Leib, sondern die Seele vernichten würde.

Ich hatte die Schlüssel des Hauses an die Liebe abgegeben, mit der vollen Macht, alles zu tun, was nötig wäre, und keine Rücksicht auf die Seele, auf den Leib, auf Habschaft, Verwandte, Freunde, ja auf die ganze Welt zu nehmen. Von alledem aber, was das Gesetz der reinen Liebe erfordern würde, sollte nicht das Mindeste fehlen. Und als ich sah, daß diese Liebe die Sorge tätig auf sich nahm, da kehrte ich mich zu ihr und blieb unerschütterlich in der beschauenden Hingabe an ihre notwendigen und gnadenvollen Wirkungen, die sie mit solcher Liebe und Sorgfalt, mit solcher Gerechtigkeit vollbrachte, daß sie zur vollen Stillung des inneren und äußeren Teiles meiner Persönlichkeit weder mehr noch weniger tat, als eben notwendig war. Und ich war vom Beschauen dieses ihres Werkes so in Anspruch genommen, daß es mir, wenn sie mich mit Seele und Leib in die Hölle geworfen hätten, nicht anders denn als lauter Liebe und Trost erschienen wäre.

Ich sah: diese Liebe hatte ein offenes und reines Auge, ein so feines und femesehendes Gesicht, dass ich verwundert war über die vielen Unzulänglichkeiten, die sie fand, und sie zeigte alles so hell und klar, dass ich alles beichten mußte. Sie ließ mich viele Dinge sehen, die mir und anderen als gerecht und vollkommen erschienen, die sie selbst aber ungerecht und unvollkommen fand; ja, sie fand in allem etwas Mangelhaftes und Fehlerhaftes...

Wenn diese göttliche Liebe den Menschen auf solche Weise eine Zeitlang in Fesseln gehalten hat, gleichsam in der Verzweiflung und im Ekel an allem, was sie vorher liebte, dann zeigt sie selbst sich ihm mit ihrem lieblichen, hellstrahlenden Antlitz, und sobald die Seele, die nackt und verlassen von aller Hilfe ist, ihrer gewahr wird, so wirft sie sich in ihre Arme...

.... Nachdem die Seele die göttliche Wirkung mittels der reinen Liebe gesehen, spricht sie also zu sich selbst: »O du Blinde, womit warst du beschäftigt? Was suchtest du? Was verlangtest du? Sieh doch, hier ist alles, was du suchst; hier ist alles, was du verlangst; hier ist alles Vergnügen, was du möchtest. Ich finde hier alles, was ich haben und verlangen kann. O göttliche Liebe, mit welch lieblicher Täuschung hast du mich getäuscht, um alle Eigenliebe von mir zu nehmen und mich mit reiner Liebe zu bekleiden, die aller Freuden voll ist? Nun denn, da ich die Wahrheit sehe, klage ich über nichts als über meine Unwissenheit«...

Katharina sprach zum Herrn: »Du befiehlst nur, ich solle den Nächsten lieben, und ich kann doch nur Dich allein lieben und keine fremde Beimengung mit Dir zulassen. Wie soll ich also tun?« ....

... Da ward ihr die tröstliche Antwort: »Der Mich liebt, der liebt auch alles, was ich liebe. Es ist genug, daß du stets bereit bist, für das Wohl des Nächsten in bezug auf Leib und Seele zu tun, was notwendig ist. Diese Liebe ist gesichert vor sinnlicher Anhänglichkeit, weil da der Nächste nicht in sich, sondern in Gott geliebt wird.«

... Ich kann nicht mehr sagen: Mein Gott, mein Alles, alles ist mein, weil alles, was von Gott ist, ganz mein Eigentum scheint. Sondern ich kann jetzt solche Worte und solche Sachen, seien sie im Himmel oder auf Erden, nicht mehr nennen, und ich bin in dieser Art in allem stumm und in Gott verloren. Ja ich kann auch einen Heiligen nicht mehr selig nennen, weil mir das Wort ungebührend erscheint, und ich sehe keinen Heiligen in sich selbst selig, sondern ich sehe alle Heiligkeit und Seligkeit, welche die Heiligen haben, außer ihnen und alles nur durch die Auszeichnung der Gnade. Ich kann nichts Gutes, nichts von Seligkeit in einem Geschöpfe sehen, es sei denn dieses Geschöpf gänzlich in sich vernichtet und so versenkt in Gott, dass Gott allein im Geschöpfe und das Geschöpf allein in Gott bleibe.

Das ist die Seligkeit, welche die Seligen haben können und doch nicht haben. Ich sage: sie haben sie, insofern sie in sich selbst vernichtet und mit Gott bekleidet sind; sie haben sie nicht, insofern sie sich in ihrem eigene Sein und Wesen befinden, das heißt, insofern einige von ihnen zu sagen vermögen: Ich bin selig.

Ich tadle im Reden von diesen Dingen mich selber, indem ich die Worte und Ausdrücke für zu mangelhaft ersehe und sie allesamt sich nach dem, was ich davon empfinde, ohne es auch zu empfinden, gar nicht begreifen lassen...

Ich will keine geschaffene Liebe, das heißt keine Liebe, die man kosten, verstehen und mit Lust genießen kann. Ich will, sage ich, keine Liebe, die durch Verstand, Gedächtnis und Willen ihren Fortgang hat. Denn die reine Liebe geht über alle diese Dinge hinaus und übersteigt sie ...

... Weg von mir mit allem, was du willst! Lass mich tief in mein Innerstes zurückkehren, und laß mich dort verweilen, damit ich nichts mehr könne, nichts mehr wolle, nichts mehr wünsche, als dieses Innere mit Gott zu beschäftigen, der es Sich ja zur Beute gemacht und innerlich so verschlossen hat, dass es sich niemandem mehr öffnen will...
S.235ff.
Enthalten in: Christliche Geisteswelt, Band II, Die Welt der Mystik . Herausgegeben von Walter Tritsch, Holle Verlag , Darmstadt