Friedrich Johannes Kepler (1571 - 1630)

Deutscher Astronom und Mathematiker, besuchte die Klosterschulen Adelberg, Maulbronn und studierte in Tübingen evangelische Theologie. Durch Michael Maestlin wurde er für Astronomie und insbesondere die Lehren von N. Kopernikus interessiert. 1594 ging er als Mathematiker nach Graz, wo er 1596 sein »Mysterium Cosmographicum«(Das Weltgeheimnis) veröffentlichte. Diesem noch weitgehend spekulativen Werk verdankt er die Bekanntschaft mit Tycho Brahe, zu dem er 1600 nach Prag ging, als er wegen der Gegenreformation Graz verlassen musste. Nach Brahes Tod übernahm er dessen Amt bei Rudolf II. als kaiserlicher Mathematiker und Hofastronom. Kepler veröffentlichte ein Lehrbuch der geometrischen, physiologischen und astronomischen Optik die »Ad Vitellionem paralipomena« (»Zusätze zur Optik des Witelo«, 1604), die »Astronomia nova« (»Neue Astronomie«, 1609), eine Auseinandersetzung mit Galileis Sternenbotschaft (»Dissertatio rum nuncio sidereo«, 1610) und eine Dioptrik (»Dioptrice«, 1611). die u. a. den ersten Entwurf für das astronomische (Keplersche) Fernrohr enthält. Nach dem Tod Rudolfs II. trat Kepler in die Dienste der Stände ob der Enns und siedelte 1612 nach Linz über. Während der 14 Jahre seines dortigen Aufenthalts vollendete er u.a. die »Harmonices mundi libri«(»Weltharmonik in 5 Büchern«, 1619), den »Abriss der kopernikanischen Astronomie« (»Epitome Astronomiäe Copernica«) und die »Rudolfinischen Tafeln«. - Seine Leistung besteht vor allem in der Erkenntnis der nach ihm benannten Gesetze der Planetenbewegung und in der Überwindung der Annahme, dass die Planetenbahnen Kreisbahnen sein müssten. Darüber hinaus suchte er eine mechanische Erklärung für den Planetenlauf um die Sonne zu geben und behauptete eine gegenseitige Anziehung schwerer Körper.

Siehe auch Wiipedia und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis

Weltharmonik
Dissonanzen
Die urbildliche Harmonie in der Seele
  >>>Chrisus
Unterricht vom heiligen Sakraments des Leibs und Bluts Jesu Christi, unsers Erlösers (1617)

 

Weltharmonik
Dem Durchlauchtigsten und mächtigsten Fürsten und Herrn
JAKOB

König von Großbrittanien, Frankreich und Irland, dem Verteidiger des Glaubens usw.,
meinem gnädigsten Herrn.

[
. . .] Die Gründe, gerade an dieses Patrozinium [»Schutz, Beistand«] über meine Harmonik zu denken, gingen aus von jener vielfältigen Dissonanz [»missstimmiger Zusammenklang«] in den menschlichen Dingen, die zu offenkundig ist, als daß sie einen nicht berühren würde, die aber doch durch echt und deutlich erkennbare Intervalle gebildet wird, deren Natur es ist, das Gehör inmitten des Mißklangs durch Verheißung eines nachfolgenden lieblichen Wohlklangs zu besänftigen und in froher Erwartung zu erhalten. Geziemt sich doch für einen Christen die Überzeugung, daß es einen Gott gibt, der jegliche Melodie des menschlichen Lebens führt, und rechtfertigt doch die Größe Gottes eine geduldige Gesinnung, die an den vielen Dissonanzen keinen Anstoß nimmt und die Hoffnung nicht wegwirft, in der Erwägung, daß nicht die Vorsehung Gottes langsam zu Werk geht, sondern für einen jeden von uns die ihm zugemessene Lebenszeit rasch entfliegt. Von heiligen Sprüchen wurde ich belehrt, daß alles von Gott zu gewissen heilsamen Zwecken bestimmt ist, so auch jene Dissonanzen, um für die Lieblichkeit des Wohlklangs Sinn und Verständnis zu wecken. S.5-7 [...]

Dissonanzen
Nicht wenig besser aber ist der Hinweis auf das, was im Weltgetriebe die Rolle von Dissonanzen einnimmt: in der Seele die Laster; unter den Lebewesen die Ungeheuer; am Himmel die Finsternisse; in der Geometrie das Unaussprechbare (da jedoch dieses notwendig zugleich mit der quantitativen Materie gegeben ist, so wird es in den folgenden Büchern mit viel mehr Recht mit der Mannigfaltigkeit der himmlischen Bewegungen verglichen); unter den Werken der Vorsehung die Beispiele des Zorns und der Rache Gottes; unter den Vernunftwesen der Teufel. Das alles möge Gott der höchste Herrscher zu einem guten Ende und einer vollkommenen Harmonie aller Dinge lenken und leiten. Ihm soll alles, was da atmet, jegliche Kreatur das verdiente Opfer des Lobes in unablässiger Ausübung der Frömmigkeit darbringen. Ich aber werde, wenn es ihm gefällt, nicht sterben, sondern leben und in den folgenden Büchern die Werke des Herrn verkünden. S.195 [...]

Die urbildliche Harmonie in der Seele
... von allem, was bewegt wird, ist der Kreis und die Kreisbewegung Anfang und Ursprung. Es sind also wesentlich und sich selbst bewegend die Begriffe der mathematischen Dinge, die die Seele erfüllen. S. 212 [...]

Die Ursache aber, warum man von der Quantität, die zu den harmonischen Proportionen die Bezugsglieder liefert, sagt, sie sei intelligibler Natur, ist darin zu suchen, daß diese Quantität der subtilsten Darstellung fähig sein muß. Eine solche Darstellung gewinnt man aber niemals aus den sinnlichen Figuren, wenn sie auch durch diese unterstützt wird; sie entsteht auch nicht aus der Zusammenfassung vieler einzelner Sinnendinge zu einem Grundbegriff, sie wird vielmehr a priori gewonnen. Diesen allgemeinen Grundgedanken, den oben Proklus mit Recht dem Aristoteles entgegengehalten hat, kann nun ich im besonderen durch höchst einleuchtende Gründe aus meinem ersten Buch aufs sicherste erhärten. Denn für die Figuren, die einen harmonischen Bogen des Kreises abschneiden, liegt die Differentia specifica, durch die als Teil der Definition ihr Wesen erklärt wird, in der Forderung, daß jene Figuren wißbar sein müssen. Gibt es aber eine Wißbarkeit ohne einen des Wissens fähigen Geist? Man sage nicht, es sei möglich, daß ein Ding existiert, ohne daß ein Wissen von ihm da ist. Denn das Wissen besteht in der Vergleichung, so wenn die Seite einer Figur gleich ist dem Halbmesser. Was nun Gleichheit sein soll ohne Geist, besonders in Dingen, die räumlich umschlossen sind, das kann man nicht einsehen; wir kommen damit auf den Beweisgrund zurück, den wir bereits oben für die sinnlichen Harmonien angeführt haben.

Auch müssen die Figuren nicht nur wißbar, sondern auch gewußt sein, damit die urbildliche Harmonie aktual innen im Geiste aufleuchtet. Denn die Möglichkeit des Wissens genügt uns nicht als Unterscheidungsmerkmal der sinnlichen Harmonien. Wenn nun von etwas ein Teil seines Wesens innen im Geist, also als Gegenstand seiner Tätigkeit und Wirksamkeit, liegt, so muß dies selber, nämlich die Bezugsglieder der Harmonien, der Kreis und sein Teil, ins Innere verlegt werden.

Man möchte nun fragen, wie kann im Innern ein Wissen von einer Sache vorhanden sein, die der Geist nie gelernt hat noch vielleicht je lernen kann, wenn ihm die sinnliche Wahrnehmung der äußeren Dinge fehlt? Darauf antwortet Proklus mit geläufigen Wendungen seiner Philosophie. Wir mögen heute, wenn ich mich nicht täusche, am richtigsten das Wort Instinkt gebrauchen. Denn dem menschlichen Geist und den übrigen Geistern ist die Quantität instinktmäßig bekannt, wenn dabei auch jegliche Sinneswahrnehmung fehlt. Der Geist denkt aus sich die gerade Linie, er denkt aus sich den gleichen Abstand von einem Punkt und macht sich daraus ein Bild vom Kreis. Wenn dies möglich ist, so kann er noch viel mehr darin eine Konstruktion finden und die Funktion des Auges beim Betrachten einer Figur (wenn er doch einer solchen bedarf) ergänzen. Denn wenn der Geist nie eines Auges teilhaftig gewesen wäre, so würde er sich zum Begreifen der außer ihm gelegenen Dinge das Auge fordern und die ihm selbst entnommenen Gesetze zu dessen Bildung vorschreiben (falls er rein und gesund und ohne Hindernisse, d. h. wenn er nur das ist, was er ist). Denn das dem Geist eingeborene Erkennen der Quantitäten gibt an, wie das Auge sein muß, und daher ist das Auge so beschaffen, weil der Geist so beschaffen ist, nicht umgekehrt. Doch wozu viele Worte? Die Geometrie, vor der Entstehung der Dinge von Ewigkeit her zum göttlichen Geist gehörig, Gott selbst (denn was ist in Gott, das nicht Gott selbst wäre), hat Gott die Urbilder für die Erschaffung der Welt geliefert und mit dem Bild Gottes ist sie in den Menschen übergegangen, also nicht erst durch die Augen in das Innere aufgenommen worden).

Da also die Darstellbarkeit den Quantitäten innewohnt, nicht insofern die Figuren den Augen vorgelegt sind, sondern insofern sie vor dem Auge des Geistes offen liegen, d. h. insofern sie nicht von den Sinnendingen abstrahiert, als vielmehr nie in ihnen konkret gewesen sind, machen wir die abstrakte Quantität mit Recht zu den Bezugsgliedern für die urbildlichen harmonischen Proportionen, da diese Proportionen aus dem Kreis durch darstellbare Teilungen entstehen.

Eine andere Ursache, warum ich abstrakte Quantitäten wähle, liegt darin, daß der Kreis, der eine Figur ist von der vierten Art der Qualität, zwar eine Größe ist, aber doch in unserem Fall rein nur als Figur betrachtet wird, ohne Unterscheidung von Groß und Klein, so daß er von seiner Quantität als von seinem Subjekt gewissermaßen losgelöst wird und seine Natur auch in der Enge eines Punktes erkannt werden kann. Das, glaube ich, meinte Proklus, wenn er sagt, daß die mathematischen Dinge in der Seele auf unkörperliche und unräumliche Weise enthalten sind.

Und schließlich ist für mich als höchster und oberster Grund maßgebend, daß die Quantitäten einen wunderbaren und geradezu göttlichen Staat bilden und das Göttliche und Menschliche in gleicher Weise symbolisch ausdrücken. Über das Abbild der hochheiligen Dreifaltigkeit in der Kugel habe ich schon da und dort geschrieben, in der Optik, in den Marsuntersuchungen, in der Sphärik; ich möchte dies wiederholt haben. Es folgt nun die gerade Linie, die in dem Ausfließen des Mittelpunktes nach einem einzigen Punkt der Oberfläche die ersten Elemente der Schöpfung abzeichnet, in Nachahmung der ewigen Erzeugung des Sohnes (die durch das Ausgehen des Mittelpunktes nach den unendlich vielen Punkten der ganzen Oberfläche in unendlich vielen Linien unter der durchgängigen vollkommensten Gleichheit dieser symbolisiert und abgebildet wird). Denn die Gerade bildet das Element der körperlichen Form. Führt man sie in der Breite herum, so beschreibt sie bereits eine körperliche Form, indem sie die Ebene erzeugt. Schneidet man aber mit der Ebene die Kugel, so entsteht als Schnitt der Kreis, das wahre Abbild des geschaffenen Geistes, der gesetzt ist, den Körper zu regieren. Der Kreis verhält sich hier zur Kugel wie der menschliche Geist zum göttlichen, als Linie zur Oberfläche, wobei beide kreisrund sind. Zu der Ebene aber, in der er liegt, verhält sich der Kreis wie das Krumme zum Geraden, die beide unvereinbar und inkommensurabel sind. Dabei fügt es sich infolge des Zusammenwirkens von Ebene und Kugel schön, daß der Kreis sowohl auf der schneidenden Ebene liegt, die er umreißt, als auch auf der geschnittenen Kugel. So ist auch der Geist im Körper, indem er diesen informiert und verbunden ist mit der körperlichen Form, und zugleich in Gott, als eine Ausstrahlung, die sich aus dem Antlitz Gottes in den Körper ergießt, woraus er seine adeligere Natur erhält. Diese Ursache sichert nicht nur für die harmonischen Proportionen den Kreis als Subjekt und Ursprung der Bezugsglieder, sie liefert auch einen ganz besonderen Grund dafür, daß wir uns an eine abstrakte Quantität halten. Denn die Abbildung der Göttlichkeit im Geiste beruht nicht auf einem Kreis von bestimmter Größe und nicht auf einem unvollkommenen Kreis, wie es ein materieller und sinnlicher stets ist; und, was die Hauptsache ist, es ziemt sich, daß der Kreis so weit vom Körperlichen und Sinnlichen abstrahiert ist, als die Eigenschaften des Krummen, d. i. das Symbol des Geistes, vom Geraden, dem Sinnbild der Körper, losgelöst und gleichsam abstrahiert sind. Damit haben wir einen hinlänglich sicheren Boden für unsere These gewonnen, wonach für die harmonischen Proportionen als etwas rein Geistiges die Bezugsglieder den abstraktesten Quantitäten zu entnehmen sind.

Um diese Ausführungen zu beschließen, wollen wir das Wesentliche in Kürze zusammenfassen. Die sinnlichen Harmonien haben mit den urbildlichen das gemein, daß sie Bezugsglieder und deren Vergleichung als einen Akt des Geistes erfordern. In dieser Vergleichung liegt für beide Arten das Wesen der Harmonie. Die Bezugsglieder der sinnlichen Harmonien sind aber sinnlich und müssen außerhalb der Seele gegenwärtig sein; die Bezugsglieder der urbildlichen Harmonien sind schon zuvor innen in der Seele gegenwärtig. Bei den Sinnendingen ist außerdem noch eine Aufnahme mit Hilfe der von ihnen ausgesandten Spezies erforderlich, die durch die Sinne, die Diener der Seele, vollzogen wird; erforderlich ist auch eine weitere Vergleichung, nämlich der einzelnen sinnlichen Bezugsglieder mit den einzelnen urbildlichen Bezugsgliedern, dem Kreis und seinem wißbaren Teil. Für die urbildliche Harmonie fällt beides weg, da die Bezugsglieder zuvor schon in der Seele gegenwärtig, ihr eingeboren, ja die Seele selber sind; sie sind nicht ein Abbild ihres wahren Urbildes, sondern dieses Urbild geradezu selber. So vollendet die einfache Vergleichung, die die Seele gleichsam zwischen ihren eigenen Teilen anstellt, das ganze Wesen der urbildlichen Harmonie. Die Seele selber steht, indem sie diese Tätigkeit vollbringt, als Harmonie vor uns, wie abgesehen von dieser Tätigkeit der Kreis und sein Teil, d. h. die Bezugsglieder der Harmonie. So wird schließlich die Harmonie völlig zum Geist, ja zu Gott. S.213-216 [...]

Da es nämlich die Seele ist, die den Harmonien der Konfigurationen ihr formales Sein verleiht, so ist entsprechend dem Unterschied, den man macht, wenn man die Seele einmal gleich dem Kreis und dann wieder gleich dem Punkt setzt, jedenfalls auch das Verhältnis verschieden, in dem einerseits die Umfangsfigur, andererseits die Mittelpunktsfigur zu ihr steht.

Zwar trägt die Seele ganz in gewisser Weise die Idee des Kreises an sich, des Kreises, der nicht nur vom Stofflichen, sondern auch von der Größe abstrahiert ist, wie wir im 3. Kapitel gesehen haben. Kreis und Mittelpunkt fallen daher hier nahezu zusammen. Man kann die Seele als potentiellen Kreis oder als einen mit Richtungen ausgestatteten Punkt, also als qualitativen Punkt bezeichnen. Dabei muß man aber offenbar doch den Unterschied beachten, daß die einen Seelenvermögen eher dem Kreis, die anderen eher dem Punkt gleichen. Denn wie man einen Kreis nicht ohne Mittelpunkt denken kann und umgekehrt der Punkt ringsum eine Umgebung besitzt, die zur Beschreibung eines Kreises dienlich ist, so gibt es in der Seele keine Aktivität ohne Beeindruckung der Phantasie und umgekehrt, jede innere Wahrnehmung oder Überlegung zielt ab auf eine äußere Bewegung, jedes innere Seelenvermögen ist gerichtet auf mehr äußere Vermögen. Was ist das erste und oberste Seelenvermögen, der Geist, anderes als ein Mittelpunkt? Das Vermögen Schlüsse zu vollziehen anderes als ein Kreis? Denn wie der Mittelpunkt innen und der Kreis außen ist, so ruht der Geist in sich selber, während der Schlüsse ziehende Verstand ein äußeres Gewebe wirkt. Und wie der Mittelpunkt Basis, Quelle und Ursprung für den Kreis ist, so der Geist für die Schlüsse des Verstandes. Hinwieder sind alle diese Seelenvermögen, sowohl der Intellekt als auch die diskursive Überlegung und das sinnliche Vermögen ein Mittelpunkt, die Bewegungs-vermögen der Seele dagegen ein Kreis. Denn wie der Kreis außen sich um den Mittelpunkt herumlegt, so ist die Aktivität nach außen gerichtet, während die Erkenntnis und die Überlegung im Innern vollzogen wird. Wie der Kreis sich zum Punkt verhält, so verhält sich gewissermaßen das äußere Handeln zum inneren Schauen, die lebendige Bewegung zur Empfindung. Denn da der Punkt allseits dem Umfang entgegengesetzt ist, ist er von Natur aus geeignet, die Passivität darzustellen. Und die sensitive, d. h. hier die die Strahlungen wahrnehmende Seele, was tut sie beim Empfinden und Wahrnehmen anderes als leiden? Wird sie doch durch die Objekte in Erregung versetzt. S.237
Aus: Johannes Kepler, Weltharmonik, (S. 5-7, 195, 212, 213-216, 237)
Übersetzt und eingeleitet von Max Caspar
[Hrsg. im Auftr. der Bayrischen Akademie der Wissenschaften in München]
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