Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 – 1803)

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Der Messias (Ein Heldengedicht)
Inhaltsverzeichnis
Der Versöhnte
Der Himmel und die Himmlischen
Golgatha
Die Kreuzigung
Das Blut der Erlösung
Karfreitag
Der Todesengel
Der Tod des Messias
Die Grablegung
Die Auferstehung des Messias
Die Thronbesteigung des Messias


Christus-Oden
An den Erlöser
Dem Erlöser


Der Versöhnte
Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung,
Die der Messias auf Erden in seiner Menschheit vollendet,
Und durch die er Adams Geschlecht die Liebe der Gottheit
Mit dem Blute des heiligen Bundes von neuem geschenkt hat.
Also geschah des Ewigen Wille. Vergebens erhob sich
Satan wider den göttlichen Sohn; umsonst stand Juda
Wider ihn auf: er tats und vollbrachte die große Versöhnung.

Aber, o Tat, die allein der Allbarmherzige kennet,
Darf aus dunkler Ferne sich auch dir nahen die Dichtkunst?
Weihe sie, Geist Schöpfer, vor dem ich hier still anbete,
Führe sie mir, als deine Nachahmerin, voller Entzücken,
Voll unsterblicher Kraft in verklärter Schönheit entgegen.
Rüste mit deinem Feuer sie, du, der die Tiefen der Gottheit
Schaut und den Menschen, aus Staube gemacht, zum Tempel sich heiligt!
Rein sei mein Herz! So darf ich, wiewohl mit der bebenden Stimme
Eines Sterblichen doch den Gottversöhner besingen,
Und die furchtbare Bahn mit verziehenem Straucheln durchlaufen.

Menschen, wenn ihr die Hoheit kennt, die ihr damals empfinget,
Da der Schöpfer der Welt Versöhner wurde; so höret
Meinen Gesang, und ihr vor allen, ihr wenigen Edlen,
Teure, herzliche Freunde des liebenswürdigen Mittlers,
Ihr mit dem kommenden Weltgerichte vertrauete Seelen,
Hört mich, und singt den ewigen Sohn durch ein göttliches Leben.

Nah an der heiligen Stadt, die sich jetzt durch Blindheit entweihte,
Und die Krone der hohen Erwählung unwissend hinwegwarf,
Sonst die Stadt der Herrlichkeit Gottes, der heiligen Väter
Pflegerin, jetzt ein Altar des Blutes vergossen von Mördern;
Hier wars, wo der Messias von einem Volke sich losriß,
Das zwar jetzt ihn verehrte, doch nicht mit jener Empfindung,
Die untadelhaft bleibt vor dem schauenden Auge der Gottheit.
Jesus verbarg sich diesen Entweihten. Zwar lagen hier Palmen
Vom begleitenden Volk; zwar klang dort ihr lautes Hosianna;
Aber umsonst. Sie kannten ihn nicht, den König sie nannten,
Und, den Gesegneten Gottes zu sehn, war ihr Auge zu dunkel.
Gott kam selber vom Himmel herab. Die gewaltige Stimme:
Sieh, ich hab‘ ihn verklärt und will ihn von neuem verklären!
War die Verkünderin der gegenwärtigen Gottheit.
Doch sie waren, Gott zu verstehen, zu niedrige Sünder.
Unterdes nahte sich Jesus dem Vater, der wegen des Volkes,
Dem die Stimme geschah, voll Zorn gen Himmel hinaufstieg.
Denn noch einmal wollte der Sohn des Bundes Entschließung,
Seine Menschen zu retten, dem Vater feierlich kund tun.

Göttlicher Vater, die Tage des Heils und des ewigen Bundes
Nahen sich mir, die Tage zu größeren Werken erkoren,
Als die Schöpfung, die du mit dem Sohne vollbrachtest.
Sie verklären sich mir so schön und herrlich wie damals,
Da wir die Reihe der Zeiten durchschauten, die Tage der Zukunft,
Durch mein göttliches Schauen bezeichnet und glänzender sahen.
Dir nur ist es bekannt, mit welchem Einmut wir damals,
Du, mein Vater, und ich, und der Geist die Erlösung beschlossen
In der Stille der Ewigkeit, einsam und ohne Geschöpfe,
Waren wir beieinander. Voll unsrer göttlichen Liebe
Sahen wir auf die Menschen, die noch nicht waren, herunter.
Edens selige Kinder, auch unsre Geschöpfe, wie elend
Waren sie, sonst unsterblich, nun Staub und entstellt von der Sünde!
Vater, ich sah ihr Elend, du meine Tränen. Da sprachst du:
Laßt das Bild der Gottheit im Menschen von neuem uns schaffen!
Also beschlossen wir unser Geheimnis, das Blut der Versöhnung,
Und die Schöpfung des Menschen erneut zum ewigen Bilde
Hier erkor ich mich selbst, das göttliche Werk zu vollenden.
Ewiger Vater, das weißt du, das wissen die Himmel, wie innig
Mich seit diesem Entschluß nach meiner Erniedrigung verlangte!
Erde, wie oft warst du, in deiner niedrigen Ferne,
Mein erwähltes, geliebteres Augenmerk Und o Kana,
Heiliges Land, wie oft hing mein sanfttränendes Auge
An dem Hügel, den ich von des Bundes Blute schon voll sah.
Und wie hebt mir mein Herz von süßen, wallenden Freuden,
Daß ich so lange schon Mensch hin, daß schon so viele Gerechte
Sich mir sammeln, und nun bald alle Geschlechter der Menschen
Mir sich heiligen werden! Hier lieg‘ ich, göttlicher Vater,
Noch nach deinem Bilde geschmückt mit den Zügen der Menschheit,
Betend vor dir: bald aber, ach bald wird dein tötend Gericht mich
Blutig entstellen, und unter den Staub der Toten begraben.
Schon, o Richter der Welt, schon hör‘ ich von fern dich, und einsam
Kommen und unerbittlich in deinen Himmeln einhergehn.
Schon durchdringt mich ein Schauer, dem ganzen Geistergeschlechte
Unempfindbar, und wenn du sie auch mit Zorne der Gottheit
Tötetest, unempfindbar! Ich sehe den nächtlichen Garten
Schon vor mir liegen, sinke vor dir in niedrigen Staub hin,
Lieg‘ und bet‘ und winde mich, Vater, im Todesschweiße.
Siehe, da bin ich, mein Vater. Ich will des Allmächtigen Zürnen,
Deine Gerichte will ich mit tiefern Gehorsam ertragen.
Du bist ewig! Kein endlicher Geist hat das Zürnen der Gottheit,
Keiner je, den Unendlichen tötend mit ewigem Tode,
Ganz gedacht und keiner empfunden. Gott nur vermochte
Gott zu versöhnen. Erhebe dich, Richter der Welt! Hier hin ich!
Töte mich, nimm mein ewiges Opfer zu deiner Versöhnung.
Noch bin ich frei, noch kann ich dich bitten; so tut sich der Himmel
Mit Myriaden von Seraphim auf und führet mich jauchzend,
Vater, zurück im Triumph zu deinem erhabenen Throne!
Aber ich will leiden, was keine Seraphim fassen,
Was kein denkender Cherub in tiefen Betrachtungen einsieht;
Ich will leiden, den furchtbarsten Tod, ich Ewiger, leiden!

Weiter sagt‘ er und sprach: Ich hebe gen Himmel mein Haupt auf,
Meine Hand in die Wolken und schwöre dir bei mir selber,
Der ich Gott bin wie du: Ich will die Menschen erlösen!

Jesus sprachs und erhob sich. In seinem Antlitz war Hoheit,
Seelenruh und Ernst und Erbarmung als er vor Gott stand.

Aber unhörbar den Engeln, nur sich und dem Sohne vernommen,
sprach der ewige Vater und wandte sein schauendes Antlitz
Nach dem Mittler hin: Ich breite mein Haupt durch die Himmel,
Meinen Arm durch die Unendlichkeit, sage: Ich bin
Ewig! und schwöre dir, Sohn: Ich will die Sünde vergeben!

Also sprach er und schwieg. Indem die Ewigen sprachen,
Ging durch die ganze Natur ein ehrfurchtvolles Erbeben.
Seelen, die jetzo wurden, noch nicht zu denken begannen.
Zitterten und empfanden zuerst. Ein gewaltiger Schauer
Faßte den Seraph, ihm schlug sein Herz, und um ihn lag wartend
Wie vor dem nahen Gewitter die Erde, sein schweigender Weltkreis.
Nur in die Seelen künftiger Christen kam sanftes Entzücken
Und ein süßbetäubend Gefühl des ewigen Lebens.
Aber sinnlos und die Verzweiflung allein noch empfindend,
Sinnlos wider Gott etwas zu denken, entstürzten im Abgrund
Ihren Tronen die Geister der Hölle. Da jeder dahinsank,
Stürzt‘ auf jeden ein Fels, brach unter jedem die Tiefe
Ungestüm ein, und donnernd erklang die unterste Hölle.

Jesus stand noch vor Gott; und jetzo begannen die Leiden
Seiner Erlösung. Gabriel lag in der Fern‘ auf dem Antlitz
Tiefanbetend, von neuen Gedanken gewaltig erhoben.

Der Himmel und die Himmlischen
Mitten in der Versammlung der Sonnen erhebt sich der Himmel,
Rund, unermeßlich, des Weltenbaus Urbild, die Fülle
Jeder sichtbaren Schönheit, die sich, gleich flüchtigen Bächen,
Ringsum durch den unendlichen Raum nachahmend ergießet.
Wenn er wandelt, ertönen von ihm, auf Flügeln der Winde,
An die Gestade der Sonnen des wandelnden Harmonien
Rauschend hinüber. Die Lieder der göttlichen Harfenspieler
Schallen mit Macht, wie beseelend darein. So vereiniget, schweben
Töne vor dem, der das Ohr gemacht hat, und Preisung vorüber.
Sei uns gegrüßt, du heiliges Land der Erscheinungen Gottes!
Hier erblicken wir Gott, wie er ist, wie er war, wie er sein wird.
Siehe, den Seligen ohne Verhüllung, ohne die Dämmrung
Fern nachahmender Welten. Dich schaun wir in der Versammlung
Deiner Erlösten, die du auch würdigst des seligen Anblicks.
Ach unendlich vollkommen bist du! Zwar nennt dich der Himmel,
Und der Unaussprechliche wird Jehova geheißen!
Unser Gesang lebendig durch Kräfte der Urbegeistrung
Suchet dein Bild, doch umsonst; auf deine Verklärung gerichtet,
Können Gedanken sich kaum ob deiner Gottheit besprechen.
Ewiger, du bist allein in deiner Größe vollkommen

Unter dem Liede, das nach dem Deimalheilig der Himmel
Allzeit singet, hatte des Mittlers heiliger Bote
Eine der nächsten Sonnen am Himmel leuchtend betreten.
überall schweigen die Seraphim jetzt und feiern den Anblick.
Der, des Preisgesanges Belohnung, von Gott auf sie strahlte.
Und sie erblickten den helleren Seraph am Sonnenmeer. Gott
Schaut auf ihn, der Himmel mit Gott. Er betete knieend.
Zweimal die Zeit, in welcher ein Cherub den Namen Jehova
Tief im Gebet und das Dreimalheilig der Ewigkeit ausspricht,
Würdiget um des Anschauns Gott. Dann eilet der Thronen
Erstgeborener, ihn feirlich vor Gott zu führen, herunter.

Gott nennt ihn, den Erwählten der Himmel, Eloa. Vor allen,
Die Gott schuf, ist er groß, der nächste dem Unerschaffenen.
Schön ist ein Gedanke des gottgewählten Eloa,
Wie die ganze Seele des Menschen, geschaffen der Gottheit,
Wenn sie, ihrer Unsterblichkeit würdig, gedankenvoll nachsinnt.
Sein umschauender Blick ist schöner als Frühlingsmorgen,
Lieblicher als die Gestirne, da sie an dem Throne des Schöpfers
Jugendlichschön und voll Licht mit ihren Tagen vorbeiflohn.
Gott erschuf ihn zuerst. Aus einer Morgenröte
Schuf er ihm einen ätherischen Leib. Ein Himmel voll Wolken
Floß um ihn, da er ward. Gott hob ihn mit offenen Armen
Aus den Wolken und sagt ihm segnend: Da bin ich Erschaffner!
Und auf einmal sah vor sich Eloa den Schöpfer,
Schaut in Entzückungen an und stand und schaute begeistert
Wieder an und sank verloren in Gottes Anblick.

Golgatha
Aber Eloa stand auf dem Tempel und sahe die Väter
Kommen. Jetzt wandt‘ er sein Antlitz und sieht hoch über dem Kreuze
Satan und Adramelech in wildem Triumphe schweben;
Satan wegen des Werks, das er schon vollendet, und beide
Wegen künftiger Taten! Eloa sieht die Empörer,
Wie sie, erhoben über die Wolken der wandelnden Erde,
In weltkreisendem Schwunge die höheren Wölbungen messen.
Und in seiner Herrlichkeit hob sich Eloa vom Tempel
Gegen die ewigen Sünder empor. Er ging in dem Glanze
Dieses gefeiertsten Tags von allen Tagen der Feier.
Gottes Schrecken schwebten um ihn. Die leiseren Lüfte
Wurden vor ihm zu Stürmen und rauschten! Des Kommenden Gang war
Eines Heeres Gang, welchem die tragenden Felsen erzittern
Und der Unsterbliche tönt‘ und glänzte daher! Die Empörer
Sahn und hörten ihn kommen und strebten umsonst zu verbergen
Ihr Erstaunen. Sie standen und wurden dunkler. So stehen
In den innersten Tiefen der Hölle zwei nächtliche Felsen!
Aber mit einer letzten Erhebung trat Eloa
Vor die Verworfenen und sprach: Ihr deren Namen der Abgrund
Nenne! verlaßt, ihr seht der hohen Unsterblichen Lichtkreis
Diesen verlaßt und entlastet von euch die heilige Stätte.
Was die Wut Entsetzliches hat, die Rache Verwegnes,
Runzelt‘ auf ihrer Stirne sich, rollt‘ in dem flammenden Auge!
Aber mit herrschendem Blick schaut ihnen Eloa ins Antlitz:
Erst verstummt! dann flieht! Käm ich mit der siegenden Stärke,
Die Jehova mir gab, so sollte von diesem erhobnen
Treffenden Arm euch ferne von mir mein Donner fortschleudern.
Aber ich komm‘ in dem Namen des Sohnes von Adam, der, schaut, ihn!
Dort sein Kreuz trägt! Im Namen des Überwinders der Hölle
Flieht! Sie flohen dunkler als Nächte. Ereilende Schrecken
Hefteten sich an die Ferse der Flucht und trieben sie seitwärts
Auf die Trümmer Gomorras im toten Meere. Die Engel
Sahen sie fliehn, es sahen sie fliehn die Väter. Eloa
Stieg zu der Zinne des Tempels in seiner Herrlichkeit nieder.

Die Kreuzigung
Jetzt war Jesus zur Höhe des großen Altars gekommen.
Und er schaute zum Richter empor. Die Kreuziger nehmen
ihm das Kreuz ab, richten es unter Totengebein auf.
Und es schwankte das Kreuz. Der Gottmensch stand bei dem Kreuze!
Adam sah ihn und hielt sich nicht mehr. Mit glühender Wange,
Mit hinfliegendem Haar, mit offnen bebenden Armen,
Eilt‘ er hervor zu dem äußersten Hange des Bergs, sank nieder.
Als er hinsank, flammte der Himmel im schauenden Auge
Des nicht Sterblichen mehr. Er lag und weinte vor Wonne!
Jesus Christus! mein Sohn! O die ihr früher als ich wart,
Aber nicht früher als er! schaut, Engel, auf ihn herunter,
Schaut herunter! Er ist mein Sohn! Dich segn‘ ich, o Erde!
Dich, o Staub, aus dem ich gemacht ward. O Wonne, du volle
Ewige Wonne! die ganz die Begier des Unsterblichen ausfüllt!
O der große, der tiefe, der himmelvolle Gedanke,
Dein Gedanke, Jehova: Du schufst! da schufst du auch Adam!
Adam aus Staube, damit er der Vater des Ewigen würde!
Steh hier still, unsterbliche Seele, durchschau die Tiefe,
Diese weite Tiefe der Wonne! Was sind, o ihr Himmel!
Dieses für Augenblicke, die jetzt die Unsterblichen leben!

Das Blut der Erlösung
Als ob über der Schöpfung umher allmächtig der Tod läg,
Und in allen Welten nur stille Verwesungen schliefen,
Nun kein Lebender auf der Verwesenden Staub mehr stünde:
So mit toter feirlicher Stille schauten die Engel
Und die Väter auf dich, Gekreuzigter! Aber sein Leben,
Da sein unsterbliches Leben begann mit dem stärksten der Tode
Nun zu ringen, und nun sein erstes Blut floß; Stimme
Wurde da der Engel Erstaunen! Sie jauchzten und weinten,
Und es hallten die Himmel von neuen Anbetungen wieder.
Nun noch einmal und nun noch einmal blickt‘ Eloa
Nach dem Blutenden nieder; und nun mit einer Erhebung,
Wie ihn noch nie ein Unsterblicher sah, mit lautem Erstaunen,
Schwang er sich in die Himmel der Himmel und rief aus, so tönen
Eilende Stern‘ im kreisenden Lauf, er rief aus: Sein Blut fließt!
Schwebte dann mit stiller Bewundrung herauf zu der Erde.
Als er durch die Schöpfung einherkam, sah er die Engel
Auf den Sonnen, die ersten der Engel an ihren Altären
Stehen. Sie standen feiernd, und von den goldnen Altären
Flammten Morgenröten hinauf zu dem richtenden Throne.
Durch die weite Schöpfung herunter flammten die Opfer,
Bilder des blutenden Opfers am Kreuz: ein himmlischer Anblick!

Karfreitag
Uriel aber, der Engel der Sonne, hatte schon lange,
Fortzueilen bereit, auf seinen Gebirgen gestanden.
Jetzo war sie gekommen, die Zeit den Befehl, den er hatte,
auszuführen. Er machte sich auf, er allein durch die Himmel.
Lichthell schwebt er empor, den Stern, zu welchem ihn Gott schickt,
Vor die Sonne zu führen, damit dein Leben, Versöhner,
Unter fürchterlicheren Hüllen, als Hüllen der Nacht sind,
Blute. Schon stand hoch über der Wende des Sternes der Seraph.
Auf dem Sterne schweben die Seelen, eh die Geburt sie
In das große, doch sterbliche Leben der Prüfung versendet
Uriel blickt‘ auf die Seelen der künftigen Menschengeschlechter
Nieder und nannte den Stern bei seinem unsterblichen Namen.
Adamida, der dich in dieses Unendliche streute,
Sieh, er gebeut‘s! erheb‘ aus deinem Kreise dich seitwärts
Gegen die Sonne! dann flieg und werde der Sonne zur Hülle.
Und die stehende Schöpfung erscholl, da mit schrecklichem Eilen
Adamida, mit stürzenden Stürmen, mit rufenden Wolken,
Fallenden Bergen, getürmten Meeren, gesendet von Gott flog!
Uriel stand auf der Wende des Stern und hörte den Stern nicht
So in Tiefsinn verloren betrachtet er Golgatha.
Adamida erreichte die Sonne. Nun wandelt er. Langsam
Tritt er vor ihr Antlitz und trinkt die äußersten Strahlen.
Aber die Erde ward still vor der sinkenden Dämmrung. Die Dämmrung
Wurde dunkler, stiller die Erde. Schatten mit bleichem
Schimmer, ängstliche trübe Schatten überströmten die Erde.
Stumm entflogen die Vögel des Himmels in tiefere Haine;
Bis zum Wurme schlichen bestürzt die Tiere der Felder
Hin zur einsamen Höhle. Die Lüfte verstummten, und tote
Stille herrschte. Der Mensch sah schweratmend gen Himmel.
Jetzo wurd‘ es noch dunkler und nun wie Nächte! Der Stern stand,
Hatte die Sonne verlöscht. In fürchterlich sichtbare Nächte
Lagen die weiten Gefilde der Erde gehüllt und schwiegen.
Aber am hohen Kreuz hing Jesus Christus herunter
In die Nacht; und es rann, mit des Duldenden Blute, des Todes
Schweiß. Die Erde lag in ihrer Betäubung.
Golgatha schauerte jetzo mit ihr bis zum obersten Kreuze.
Und des Geopferten Wunden ergossen das ewige Leben
Strömender, da das umnachtete Kreuz mit Golgatha bebte
.

Der Todesengel
Aber ich muss den Befehl vollbringen! Jehova gebot ihn!
Also sprach er und stand mit Schaudern auf Sinais Höh auf.
Jede Furchtbarkeit gab, da er stand, Jehova ihm wieder.
Schreckend stehet er da und hält nach Golgatha nieder
Sein weitflammendes Schwert, und hinter ihm macht sich ein Sturm auf.
Mit dem eilenden Sturm erscholl des Unsterblichen Stimme.
Und die Palmenwälder, der Jordan, Genezareth rauschten
Vor dem mächtigen Sturm. Es strömte das Abendopfer
Erdwärts mit vorschießender Glut! Der Unsterbliche sagte:
Dem du dich opferst, es hat Jehova dein göttliches Opfer
Angenommen! Unendlich ist des Gerechtesten Zürnen!
Sohn! Du hast dem unendlichen Zorne dich unterworfen!
Du allein! und mit dir ist keiner von allen Erschaffnen!
Deines Blutes Geschrei um Gnad‘, um ewige Gnade!
Ist vor Ihn gekommen! Allein Er hat dich verlassen!
Wird dich verlassen, bis du den gottversöhnenden Tod stirbst!
Fliegende Winke nur noch; so wirst du ihn, Göttlicher, sterben!
Also sagte der Todesengel und wandte sein Antlitz
.

Der Tod des Messias
Jesus Christus erhob die gebrochenen Augen gen Himmel,
Rief aus mit lauter Stimme, nicht eines Sterbenden Stimme,
Mit des Allmächtigen, der, das Erstaunen der Endlichkeiten,
Freigehorsam dem Mittlertode sich hingab! er rief aus:
Mein Gott! mein Gott! warum hast du mich verlassen?
Und die Himmel bedeckten ihr Angesicht vor dem Geheimnis!
Schnell ergriff ihn, allein zum letztenmale, der Menschheit
Ganzes Gefühl. Er rief aus mit lechzender Zunge: Mich dürstet!
Rief s, trank, dürstete! bebte! ward bleicher! blutete! Rief aus:
Vater, in deine Hände befehl ich meine Seele!
Dann: (Gott Mittler! erbarme dich unser!) Es ist vollendet!
Und er neigte sein Haupt und starb.

Die Grablegung
Jetzt trat Joseph herzu und Nikodemus und legten
Der das Sterbegewand und der die Gerüche der Myrrhe
In den Staub. Dann nahmen sie von dem Kreuze den Leichnam.
Aber Eva schwebt‘ auf ihn zu und neigt‘ ihr Antlitz
Über das Antlitz des toten Messias. Ihr goldenes Haar floß
Sanft auf seine Wunden und eine Träne des Himmels
Auf die ruhende Brust. Wie schön sind deine Wunden!
lispelt sie leis‘ ihm zu, noch ungeborner Erlöster!
Ganzer Äonen Seligkeit strömt aus jeder herunter!
Sohn! mein Mittler, wie deckt dein Antlitz die Blässe des Todes!
Dein geschlossener schweigender Mund, dein stummes Auge
Reden dennoch ewiges Leben! Ein blühender Seraph
Stürb‘ er, also läg‘ er im Tode. Noch lächelst du Liebe!
Und in deinem Gesicht redt jede Gebärde noch Gnade!
Also sagte die glückliche Mutter zum liegenden Toten.

Die Auferstehung des Messias
Jesu Väter freueten sich der Auferstehung
In der Gräber Gefilde, wo sie vor kurzem noch schliefen.
Aber die Väter und Seraphim hörten fern in den Himmeln
Aus den Sonnenwegen herab ein Wetter Jehovas
Kommen! Die Harmonien der wandelnden Welten verstummten,
Wenn der Donner, ein neues Erstaunen ihrer Bewohner,
Redete! Denn schon war zu dem tiefen Talbor des Vaters
Herrlichkeit niedergestiegen; sie hatten ihn wandeln gesehen!
Schon aus seinen Schranken ein Stern zu der Sonne geeilet;
Still war schon die Schöpfung gestanden! Die Väter
Hörten das Wetter fliegen und hoben freudig ihr Haupt auf,
Hörten hinauf in die Himmel der Himmel. Es nahte sich eilend,
Schnell wie Gedanken. Sie hörten es jetzt durch die Ruhstatt Gottes
Schweben und, wie von Bergen zu Bergen, wider von Sternen
Hallen zu Sternen. Es nahte der Erde. Mit glühender Stirne,
Schimmerndem Aug‘, entzückt von jeder Wonne des Himmels,
Eine Flamme des Herrn, den Sonnen gleich, da sie Gottes
Schaffender Hand entzitterten, über Erden zu herrschen,
Strahlt‘ Eloa hinab in der Auferstandnen Versammlung,
Rief aus: Die Stund‘ ist gekommen, der Herrlichkeit Stund‘ ist gekommen!
Mit der Morgendämmrung wird der Versöhner der Sünde
Seinen Leichnam erwecken! Ihr hört den Göttlichen wandeln!
Gabriel sah mit Entzückung hinab auf den liegenden Felsen,
Denn: Du wälzest ihn weg! war ihm von dem Toten verheißen.
Wie es den tausend mal tausend der Toten Gottes einst sein wird,
Tausend mal tausenden sein: so war es der kleineren Schar jetzt,
Die am Grabe des Herrn vor Hoffen und vor Erwarten
Des, das kommen sollte, verschmachtet war; da die Wolken
Rissen! da Gabriel, eine Flamme Gottes, herabfuhr!
Da er von Bethlehem über die Schädelstätte zum Grabe
Flog! da von Ephratas Hütte bis hin zu dem Kreuze, vom Kreuze
Bis hinunter ins Grab die Erde bebte! da Satan
Wie ein Gebirge dahin, des Leichnams Hüter wie Hügel
Stürzten! da weg von dem Grabe den Fels der Unsterbliche wälzte!
Da, mit Freuden Gottes, Jehova sich freute! da Jesus
Auferstand !

Auszusprechen, was jetzo geschah! mit dem Liede von fern nur
Dieser Höhe zu nahn! davon, wie der leisere Nachhall,
Nur zu stammeln von jener Wonne, Erstandner, von deiner!
Und von deren Freude, die jetzt dich sahen! zu kühn ist
Dieser feurige Wunsch, und indem ich vergebens gen Himmel
Strebe mit ihm, vergebens! ein mächtiger Überzeuger,
Daß ich am Grabe noch walle, noch nicht der Ernte gesät bin,
Welche die große Folge der Auferstehung des Herrn ist.

Die Thronbesteigung des Messias
Weit in der Ferne sah des Ewigen Thron die Triumphschar
Und des Allerheiligsten Nacht an des Ewigen Throne.
Schon verhüllten ihr Antlitz mit ihren Flügeln der Engel
Viele. Das Antlitz des, der geopfert auf Golgathas Altar
Blutete, ward lichtheller. Ein Chor Erstandener bebte
Freudig; und erst nach langem Verstummen begann er von neuem
Seine Psalmen, begann sie hinauf nach Sion zu singen:
Begleit‘ ihn zum Thron auf, o Lichtheer!
Mit der Harf‘ ihn, der Posaun‘ Hall und dem Chorpsalm,
Jesus, Gottes Sohn! Menschlich ist er!
Gnädig! Das rufest du laut, blutiger Altar!

Es preis‘ ihn der Toderb‘ und Seraph!
Es erheb ihn die Versammlung der Gerechten,

Jesus! Hebt ist er! heilig! Es gab,
Siehe dem Herrlichen! Jehova das Gericht!

Es sing ihm der Heilerb‘ und Cherub!
O ihr Chör‘ all in dem Lichtheer, Hosianna!
Jesus! Sohn, du bist König der Welt!
Ewiger König der Stadt Gottes in der Höh!

Aber hundert Cherubim schwebten hervor und enthüllten
Wieder ihr Antlitz und wiesen hoch mit der Palme gen Himmel.

Begleit ihn zum Thron auf, Triumphheer!
Mit der Harf! ihn, der Posaun‘ Hall und dem Chorpsalm,
Jesus, Gottes Sohn! Herrscher ist er!
Herrscher! Das rufet ihr laut, Donner um den Thron!

Es ruf ihm der Heilerb‘ und Cherub,
o ihr Chör‘ all in dem Lichtheer, Hosianna
Jesus! Gottes Sohn! Duldet! du steigst,
Toter! zur Rechten des Herrn, Ewiger! empor!

Jetzo kam der Triumph dem Himmel so nah, daß Gottes
Thron sie strahlen in seiner ganzen Herrlichkeit sahen.
Da den Triumph, den Triumph die nächsten Engel erblickten,
Standen sie alle zuerst erstaunt; bald aber erhob sich
Wonneausruf voll frohen Erschreckens. Die Stunde, da Christus
Wieder würde, der Überwinder, den Himmel betreten,
War der Himmlischen keinem bekannt, war‘s selber der Throne
Ersten nicht. Sie hatten nur fern durch der Welten Getöne
Jubel gehört. Von Gebirg rief zu Gebirg der Cherub
Rief: Der Messias! dem Cherub, aus Hainen riefen in Haine
Seelen und Seraphim sich: Der Messias! von Strahle zu Strahle
Bis hinauf zu den Opferaltären, hinauf zu der hohen
Wolke des Allerheiligsten scholl: Der Messias! hinaufscholl
Zu dem Thron: Der Messias! daß weit um sie her der Wälder,
Daß der Ströme Geräusch unhörbar ward, des Kristallmeers
Wege selbst, vor der Stimme der Rufenden! Aber da Jesus,
Da der große Vollender nunmehr, mit einem der letzten
Sonnenschimmer den Himmel betrat, da sanken der Engel
Kronen, da streuten mit sanfterer Freude die Himmlischen alle
Palmen auf den erhabenen Weg, der zum Throne des Herrn führt.
Auch die Triumphbegleiter, die Auferstandnen und Engel
Streuten Palmen und gingen einher mit froher Demut.
Aber die Seelen, belastet mit neuem Himmelsgefühle,
Wären in einem der Haine des Weges geblieben; hätt‘ ihnen
Gabriel mit der goldnen Posaune zu folgen gerufen.

Jesus nahte dem Thron. Und stiller wurde die Stille;
Und die Posaune rief den Seelen nicht mehr; die Väter
Standen: noch folgten die Engel, nicht lange, so blieben auch sie stehn,
Sanken nieder, anzubeten. Gabriel hatte,
Keiner der Endlichen sonst, des Thrones unterste Stufe
Mit dem Messias betreten. Dort kniet‘ er beinah unsichtbar
Durch den herunterströmenden Glanz und schaute zu Gott auf.

Siehe, der Hocherhabene war, der Unendliche war, er,
Den noch alle kennen, dem Alle danken noch werden,
Alle Freudentränen noch weinen, Gott und der Vater
Unseres Mittlers, der Allbarmherzige war in voller
Gottesliebe verklärt! Der Sohn des Vaters, des Bundes
Stifter, er, der erwürgt vom Anbeginne der Welt ist,
Den noch Alle kennen, dem Alle danken noch werden,
Alle Freudentränen noch weinen, siehe, das Opfer
Für die Sünde der Welt, der Getötete war, der Erstandne,
Jesus, der Mittler, der Allbarmherzige war in voller
Gottesliebe verklärt! So sahen den Vater die Himmel
Aller Himmel! So sahen den Sohn des Vaters aller
Himmel Himmel! Indem betrat die Höhe des Thrones
Jesus Christus und setzete sich zur Rechten des Vaters.

Aus: Gottlieb Friedrich Klopstock, Der Messias. Ein Heldengedicht. Altona 1780. Der Versöhner, S.1f., Der Himmel und die Himmlischen,
9ff., Golgatha, 237ff., Die Kreuzigung, 239ff., Das Blut der Erlösung, 242f., Karfreitag, 246ff,- Der Todesengel, 324f., Des Messias Tod, 325, Die Grablegung, 390f., Des Messias Auferstehung, 421, 441ff., Die Thronbesteigung des Messias, 739—743.
Auch enthalten in: Das Zeitalter der Aufklärung. Herausgegeben von Wolfgang Philipp (S.258ff.f.)
In der Reihe: Klassiker des Protestantismus. Herausgegeben von Christel Matthias Schröder Band VII, Sammlung Dieterich
Carl Schünemann Verlag Bremen


Christus-Oden
An den Erlöser
Ich hofft' es zu Dir, und ich habe gesungen,
Versöhner Gottes, des neuen Bundes Gesang!
Durchlaufen bin ich die furchtbare Laufbahn,
Und Du hast mir mein Straucheln verziehn!

Beginn den ersten Harfenlaut,
Heißer, geflügelter, ewiger Dank!
Beginn, beginn, mir strömet das Herz,
Und ich weine vor Wonne!

Ich fleh' um keinen Lohn, ich bin schon belohnt
Durch Engelfreuden, wenn ich Dich sang,
Der ganzen Seele Bewegung
Bis hin in die Tiefen ihrer ersten Kraft,

Erschüttrung des Innersten, daß Himmel
Und Erde mir schwanden,
Und flogen die Flüge nicht mehr des Sturms, durch sanftes Gefühl,
Das, wie des Lenztags Frühe, Leben säuselte.

Der kennt nicht meinen ganzen Dank,
Dem es da noch dämmert,
Daß, wenn in ihrer vollen Empfindung
Die Seele sich ergeußt, nur stammeln die Sprache kann.

Belohnt bin ich, belohnt! Ich habe gesehn
Die Thräne des Christen rinnen
Und darf hinaus in die Zukunft
Nach der himmlischen Thräne blicken!

Durch Menschenfreuden auch. Umsonst verbürg' ich vor Dir
Mein Herz, der Ehrbegierde voll.
Dem Jünglinge schlug es laut empor; dem Manne
Hat es stets, gehaltner nur, geschlagen.

Ist etwa ein Lob, ist etwa eine Tugend,
Dem trachtet nach! Die Flamm' erkor ich zur Leiterin mir.
Hoch weht die heilige Flamme voran und weiset
Dem Ehrbegierigen besseren Pfad.

Sie war es, sie that's, daß die Menschenfreuden
Mit ihrem Zauber mich nicht einschläferten;
Sie weckte mich oft der Wiederkehr
Zu den Engelfreuden.

Sie weckten mich auch mit lautem, durchdringenden Silberton,
Mit trunkner Erinnrung an die Stunden der Weihe,
Sie selber, sie selber, die Engelfreuden,
Mit Harf' und Posaune, mit Donnerruf.

Ich bin an dem Ziel, an dem Ziel! und fühle, wo ich bin,
Es in der ganzen Seele beben! So wird es (ich rede
Menschlich von göttlichen Dingen) uns einst, Ihr Brüder Deß,
Der starb und erstand, bei der Ankunft im Himmel sein!

Zu diesem Ziel hinauf hast Du,
Mein Herr und mein Gott,
Bei mehr als einem Grabe mich
Mit mächtigem Arme vorübergeführt!

Genesung gabst Du mir, gabst Muth und Entschluß
In Gefahren des nahen Todes!
Und sah ich sie etwa, die schrecklichen unbekannten,
Die weichen mußten, weil Du der Schirmende warst?

Sie flohen davon, und ich habe gesungen,
Versöhner Gottes, des neuen Bundes Gesang!
Durchlaufen bin ich die furchtbare Laufbahn!
Ich hofft' es zu Dir!

[Klopstock: Der Messias, S. 1323 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 65828 (vgl. Klopstock-Messias, S. 151 ff.)]

Dem Erlöser (1773)
Der Seraph stammelt, und die Unendlichkeit
Bebt durch den Umkreis ihrer Gefilde nach
Dein hohes Lob, o Sohn! wer bin ich,
Dass ich mich auch in die Jubel dränge?

Vom Staube Staub! Doch wohnt ein Unsterblicher
Von hoher Abkunft in den Verwesungen!
Und denkt Gedanken, dass Entzückung
Durch die erschütterte Nerve schauert!

Auch du wirst einmal mehr wie Verwesung sein,
Der Seele Schatten, Hütte, von Erd' erbaut,
Und andrer Schauer Trunkenheiten
Werden dich dort, wo du schlummerst, wecken.

Der Leben Schauplatz, Feld, wo wir schlummerten,
Wo Adams Enkel wird, was sein Vater war,
Als er sich jetzt der Schöpfung Armen
Jauchzend entriss, und ein Leben dastand!

O Feld vom Aufgang bis, wo sie untergeht
Der Sonnen letzte, heiliger Toter voll,
Wenn seh ich dich? wenn weint mein Auge
Unter den tausendmal tausend Tränen?

Des Schlafes Stunden, oder Jahrhunderte,
Fliesst schnell vorüber, fließt, dass ich aufersteh!
Allein sie säumen, und ich bin noch
Diesseit am Grabe! O helle Stunde,

Der Ruh Gespielin, Stunde des Todes, komm!
O du Gefilde, wo der Unsterblichkeit
Diess Leben reift, noch nie besuchter
Acker für ewige Saat, wo bist du?

Lass mich dort hingehn, dass ich die Stätte seh!
Mit hingesenktem trunkenen Blick sie seh!
Der Ernte Blumen drüber streue,
Unter die Blumen mich leg', und sterbe!

Wunsch großer Aussicht, aber nur Glücklichen,
Wenn du die süße Stunde der Seligkeit,
Da wir dich wünschen, kämst; wer gliche
Dem, der alsdann mit dem Tode ränge?

Dann mischt' ich kühner unter den Throngesang
Des Menschen Stimme, sänge dann heiliger
Den meine Seele liebt! den Besten
Aller gebornen, den Sohn des Vaters!

Doch lass mich leben, dass am erreichten Ziel
Ich sterbe! Dass erst, wenn es gesungen ist
Das Lied von dir, ich triumphierend
Über das Grab den erhabnen Weg geh!

O du mein Meister, der du gewaltiger
Die Gottheit lehrtest! zeige die Wege mir,
Die du da gingst! worauf die Seher,
Deine Verkündiger, Wonne sangen.

Dort ist es himlisch! Ach, aus der Ferne Nacht,
Folg' ich der Spur nach, welche du wandeltest:
Doch fällt von deiner Strahlenhöhe
Schimmer herab, und mein Auge sieht ihn.

Dann hebt mein Geist sich, dürstet nach Ewigkeit,
Nicht jener kurzen, die auf der Erde bleibt;
Nach Palmen ringt er, die im Himmel
Für der Unsterblichen Rechte sprossen.

Zeig mir die Laufbahn, wo an dem fernen Ziel
Die Palme wehet! Meinen erhabensten
Gedanken lehr ihn Hoheit! führ ihm
Wahrheiten zu, die es ewig bleiben!

Dass ich den Nachhall derer, die's ewig sind,
Den Menschen singe! dass mein geweihter Arm
Vom Altar Gottes Flammen nehme!
Flammen ins Herz der Erlösten ströme!
S. 74-76
Aus: Friedrich Gottlieb Klopstock , Dichtungen und Schriften. Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk von Walter Flemmer. G 873, Wilhelm Goldmann Verlag, München