Lucius Caelius Firmianus Lactantius (um 250 – nach 317)

Lateinischer Kirchenvater und Kirchenschriftsteller aus der römischen Provinz Nordafrika. Lactantius wurde auch der »christliche Cicero« genannt, weil er ein hervorragender Rhetor und Lehrer für Beredsamkeit war. Von Kaiser Diokletian wurde er nach Nikomedien, der neuen Reichshauptstadt am Marmarameer, berufen. Dort trat er um 301 zum Christentum über, schrieb um 304 die »Göttlichen Unterweisungen«, in denen er eine systematische Darstellung des Christentums zu geben sucht. Danach verfasste er seine Schrift »Über das Schöpfungswerk Gottes«. Zuletzt wurde er durch Kaiser Konstantin zur Erziehung des Kaisersohns Crispus nach Trier berufen. Insbesondere in seiner Schrift »De ira de dei, Vom göttlichen Zorn« wendet sich Lactantius in scharfsinniger und sachkundiger Weise gegen die Lehre Epikurs.

Siehe auch Wikipedia und. Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis

Vom Zorne Gottes (De ira dei)
19. Das Gute und Böse im Menschen
20. Die Langmut Gottes
21. Das göttliche Verbot des Zornes

Aus den göttlichen Unterweisungen (Institutiones divinae)
63. Zweck der Welt
64. Die Bestimmung des Menschen
65. Die Unsterblichkeit der Seele

Die Schöpfung Gottes (De opificio dei)
Von der Erschaffung der Tiere und des Menschen
Von der Seele und den Ansichten der Philosophen über deren Wesen
Über die Seele und den Geist und deren Affekte
Die Seele, ein Geschenk Gottes
Lactantius über die Philosophie Epikurs
Die Theodizee Epikurs
Die Vernichtung der Gottheit durch Epikur
Die Vernichtung der Grundlage der Religion durch Epikur
Ursprung des Bösen
Die Einwände Epikurs gegen den Zorn Gottes
Leugnung der Vorsehung durch Epikur
Epikurs Lehre von der Zerstörbarkeit der Seelen

Lactantius über Christus

Vom Zorne Gottes (De ira dei)
19. Das Gute und Böse im Menschen
Der Mensch ist, wie bemerkt, aus zwei Bestandteilen, dem Geiste und dem Leibe, zusammengesetzt; im Geiste haben die Tugenden, im Leibe die Laster ihren Sitz, und beide bekämpfen sich wechselseitig. Die geistigen Güter, die in der Beherrschung der Lüste liegen, widerstreiten dem Leibe, und die leiblichen Güter, die jede Art von Vergnügungen umfassen, widerstreben feindselig dem Geiste. Wenn aber die Kraft des Geistes die Begierlichkeiten beherrscht und unterdrückt, so wird der Geist in Wahrheit Gott ähnlich. Daraus erhellt, dass die Seele, die für göttliche Tugend empfänglich ist, nicht sterblich ist. Aber darin liegt der große Unterschied, dass die Tugend mit Bitterkeit verbunden ist, und die Lockung des Vergnügens süß ist. Darum lassen sich sehr viele überwinden und von der Annehmlichkeit fortreißen. Diese sinken dann zur Erde herab, weil sie sich dem Dienst des Leibes und der irdischen Dinge ergeben haben; und sie können die Gnadengabe des göttlichen Geschenkes nicht erlangen, weil sie sich mit dem Schmutz der Laster befleckt haben. Jene aber, die im Anschluss an Gott und im Gehorsam gegen ihn die Gelüste des Leibes verachten, die Tugend den Vergnügungen vorziehen und Unschuld und Gerechtigkeit bewahren, diese erkennt Gott als seine Ebenbilder an. Nachdem nun Gott das heiligste Gesetz aufgestellt hat, nachdem er verlangt, dass alle Menschen schuldlos und guttätig sein sollen, ist es da noch möglich, dass er nicht zürnt, wenn er sieht, wie man sein Gesetz verachtet, die Tugend von sich wirft und nach Vergnügungen hascht? Wenn Gott Verwalter der Welt ist, wie es sein muss, so wird er das nicht gering schätzen, was im ganzen Weltall das Größte ist. Wenn er fürsorgend ist, wie es Gott zukommt, so sorgt er sicherlich für das menschliche Geschlecht, damit unser Leben mit einer Fülle von Gütern ausgestattet und vor Gefahren geschützt ist. Wenn Gott Vater und Herr von allen ist, so erfreut er sich gewiss an den Tugenden der Menschen und wird über die Laster aufgebracht. Folglich liebt er auch die Gerechten und hasst die Gottlosen.

»Des Hasses«, sagt man, »bedarf es nicht; denn ein für allemal hat Gott für die Guten Belohnung und für die Bösen Strafe festgesetzt.« Wie? wenn einer gerecht und schuldlos lebt und doch Gott nicht ehrt und um Gott sich nicht kümmert, wie Aristides und Cimon und die meisten der Philosophen getan haben, wird es diesem ungestraft hingehen, dass er zwar Gottes Gesetz beobachtet, Gott selbst aber missachtet hat? Es besteht also Grund genug, dem zu zürnen, der gleichsam im Vertrauen auf seine Unbescholtenheit wider Gott sich auflehnt. Wenn Gott diesem zürnen kann wegen des Stolzes, warum nicht umso mehr dem Sünder, der Gesetz und Gesetzgeber zugleich missachtet hat? Der Richter kann für die Übertretungen nicht Verzeihung gewähren, weil er von fremdem Willen abhängig ist; Gott aber kann es, weil er zugleich Anordner seines Gesetzes und Richter ist; als er das Gesetz aufstellte, hat er sich jedenfalls nicht aller Macht begeben, sondern sich die Freiheit des Verzeihens gewahrt.
S. 115f
Bibliothek der Kirchenväter, Lactantius: Vom Zorne Gottes, Ziffer 19, 1919 Kempten & München, Verlag der Jos. Köselschen Buchhandlung

20. Die Langmut Gottes

Wenn Gott verzeihen kann, so kann er auch zürnen. »Warum sind dann«, so wird man fragen, »die Sünder oft glücklich und die Frommen oft elend?« Weil auch entlaufene Sklaven und verstoßene Söhne ungebunden leben, während das Leben der unter der Zucht des Vaters oder Herrn stehenden mehr an Schranke und Ordnung gebunden ist, Die Tugend wird durch Leiden bewährt und befestigt, das Laster erstarkt durch Vergnügen. Doch darf der Sünder nicht immerwährende Ungestraftheit erwarten, denn es gibt kein irnmerwährendes Glück, sondern:

...... immer müssen die Menschen
Harren des letzten Tags, und niemand darf vor dem Hingang
Glücklich gepriesen werden, und vor dem letzten Geleite,

Ovid Metamorphosen 111 133-137.

wie ein nicht der Anmut ermangelnder Dichter sagt, Der Ausgang ist es, der über das Glück entscheidet, und niemand kann dem Gerichte Gottes weder im Leben noch im Tode entfliehen, Gott hat die Macht, sowohl die Lebenden von der Höhe herabzustürzen, als auch über die Verstorbenen ewige Qualen zu verhängen.

»Im Gegenteil«, erwidert man, »wenn Gott zürnt, so sollte er sogleich einschreiten und jeden nach Verdienst strafen.« Würde Gott dieses tun, so wäre bald niemand mehr übrig; denn es gibt niemand, der gänzlich ohne Fehler ist; und vieles gibt es, was zum Sündigen reizt, wie Jugend, Trunkenheit, Dürftigkeit, Gelegenheit, Gewinn. So sehr ist die Gebrechlichkeit des Fleisches, mit dem wir umkleidet sind, der Sünde ausgesetzt, dass Gott dieser Unvermeidlichkeit Rechnung tragen muss; denn sonst würden vielleicht allzu wenige am Leben bleiben; aus diesem Grunde ist Gott sehr langmütig und hält seinen Zorn zurück. Denn weil in Gott vollkommene Tugend ist, so muss auch seine Geduld vollkommen sein; denn auch sie ist eine Tugend. Wie viele sind später aus Sündern Gerechte geworden, wie viele aus Bösen gut, wie viele aus Unzüchtigen enthaltsam! Wie viele haben sich in der ersten Jugend durch schimpfliches Leben die allgemeine Verurteilung zugezogen und sind nachher preiswürdig geworden! Das wäre ausgeschlossen, wenn jeder Sünde sogleich die Strafe folgte. Die öffentlichen Gesetze verurteilen nur die Schuldigen, die überführt worden sind; aber bei vielen bleiben die Übertretungen verborgen; viele wissen die Angeber durch Bitten oder Belohnung zum Schwei­gen zu bringen; viele durch Gunst oder Macht die Wirksamkeit der Gerichte zu vereiteln. Wenn nun all diese, die der menschlichen Strafe entgehen, vom göttlichen Richteramt verurteilt würden, so würden die Menschen bald spärlich werden auf Erden oder auch ganz - verschwinden. Und außerdem hätte schon die eine Ursache zur Vernichtung des menschlichen Geschlechtes ausreichend sein können, dass die Menschen mit Hintansetzung des lebendigen Gottes irdischen und gebrechlichen Gebilden als himmlischen Wesen göttliche Ehre erweisen und Werke anbeten, die menschliche Kunstfertigkeit geschaffen hat. Und während der Schöpfer die Menschen mit erhabenem Antlitz und in aufrechter Stellung gebildet hat, während er sie zur Betrachtung des Himmels und zur Erkenntnis Gottes emporgerichtet hat, so wollen sie sich lieber zur Erde krümmen und nach Art der Tiere auf dem Boden kriechen. Denn zur Erde gekrümmt und nach abwärts gebeugt ist der Mensch, der sich vom Anblick des Himmels und Gottes seines Vaters abgewandt hat, und die Erde, die er hätte mit Füßen treten sollen, d. h. was aus Erde gebildet und gestaltet ist, göttlich verehrt. Bei solcher Undankbarkeit der Menschen und so großen Versündigungen erreicht die göttliche Langmut dieses Ziel, dass die Menschen sich selbst der Verirrungen des früheren Lebens anklagen und ihre Wege bessern. Endlich gibt es auch viele Gute und Gerechte, die den Dienst der irdischen Gebilde von sich weisen und die Majestät des einzigen Gottes erkennen. Obschon aber die Geduld Gottes sehr groß und sehr zweckdienlich ist, so straft er doch, wenn auch noch so spät, die Schuldigen und lässt sie im Bösen nicht weiter voranschreiten, nachdem er sie als unverbesserlich erkannt hat.
S. 116-118
Bibliothek der Kirchenväter, Lactantius: Vom Zorne Gottes, Ziffer 20, 1919 Kempten & München, Verlag der Jos. Köselschen Buchhandlung

21. Das göttliche Verbot des Zornes
Es erübrigt uns nur noch eine und die letzte Frage. Man könnte vielleicht einwenden: Gott zürnt so wenig, dass er sogar in seinen Geboten dem Menschen den Zorn verbietet. Ich könnte erwidern: Dies geschah, weil der Zorn des Menschen des Zügels bedurfte; denn der Mensch zürnt oft ungerecht und unterliegt der augenblicklichen Aufwallung, weil er zeitlich ist. Um also Dinge zu verhüten, wie sie im Zorn von Leuten niedrigen und mittleren Standes und auch von großen Königen oft geschehen, so musste der Wut des Menschen Schranke gesetzt werden, damit er nicht etwa, seines Verstandes unmächtig, irgendeine unsühnbare Tat vollbringe. Gott aber zürnt nicht für den Augenblick, weil er ewig und von vollkommener Tugend ist; und er zürnt niemals ohne Gebühr. Aber doch verhält sich die Sache nicht so. Denn würde Gott ganz allgemein das Zürnen verbieten, so wäre er selbst gewissermaßen zum Tadler seines Schöpfungswerkes geworden; denn er hat von Anfang an den Zorn, in den Menschen gelegt; man glaubt ja, dass die Ursache dieser Erregung in der Flüs­sigkeit der Galle zu finden ist. Nicht ganz und gar ver­bietet also Gott das Zürnen; denn dieser Trieb liegt unaustilgbar im Menschen; Gott verbietet nur das Verbleiben im Zorne; denn der Zorn der Sterblichen muss sterblich sein; würde er fortdauern, so würden die Feindschaften sich festsetzen zu immerwährendem Verderben. Und wenn Gott uns wiederum gebietet, zwar zu zürnen, aber nicht zu sündigen (Ps. 4, 5), so wollte er damit sicherlich nicht den Zorn mit der Wurzel ausrotten, sondern nur mäßigen, damit wir bei jeder Züchtigung Maß und Gerechtigkeit einhielten. Wenn uns Gott demnach zu zürnen befiehlt, so zürnt er sicherlich auch selbst; und wenn er uns rasche Versöhnung gebietet, so ist er jedenfalls auch selbst versöhnlich; denn er gebie­tet nur das, was gerecht ist und was zum allgemeinen Besten dient. Wenn ich indes bemerkt habe, dass der Zorn Gottes nicht zeitlich ist wie der Zorn des Menschen, weil der Mensch in augenblicklicher Erregung aufbraust und sich wegen der Gebrechlichkeit nicht leicht beherrschen kann, so müssen wir das so verstehen: Weil Gott ewig ist, bleibt auch sein Zorn für ewig; und wiederum: Weil Gott mit höchster Tugend ausgestattet ist, so hat er auch seinen Zorn in der Gewalt; er wird nicht vom Zorn beherrscht, sondern lenkt den Zorn nach seinem eigenen Wohlgefallen; und dies widerstreitet sicher nicht dem obigen Worte, dass Gottes Zorn nicht zeitlich ist. Denn wäre der Zorn Gottes schlechthin unvergänglich, so gäbe es nach der Versündigung keinen Raum mehr für Genugtuung und Gnade; und doch befiehlt Gott selbst dem Menschen, sich vor Sonnenuntergang zu versöhnen; vielmehr bleibt der Zorn Gottes für immer nur wider die, welche immerdar sündigen. Daher wird Gott nicht durch Weihrauch, nicht durch Opfer, nicht durch kostbare Geschenke besänftigt, lauter Dinge, die vergänglich sind, sondern durch Änderung des Lebens; und wer zu sündigen aufhört, der macht den Zorn Gottes vergänglich. Denn darum straft Gott nicht augenblicklich den Schuldigen, damit der Mensch die Möglichkeit habe, in sich zu gehen und sein Leben zu bessern. S. 118-120
Bibliothek der Kirchenväter, Lactantius: Vom Zorne Gottes, Ziffer 20, 1919 Kempten & München, Verlag der Jos. Köselschen Buchhandlung

Auszug aus den göttlichen Unterweisungen (Institutiones divinae)
63. Zweck der Welt
Betrachten wir nun die Bestimmung und Absicht, die dem Bau dieses großartigen und unermesslichen Werkes zugrunde lag. Gott hat die Welt geschaffen, wie Plato glaubte; aber aus welchem Grunde sie Gott geschaffen, hat Plato nicht erklärt. »Weil Gott gut ist«, sagt er, »und gegen niemand missgünstig, so hat er geschaffen, was gut ist.« Nun sehen wir aber im All der Dinge Güter und Übel. Es könnte daher irgendein Verkehrter, wie jener Theodorus, der Gottesleugner (atheus), auftreten und dem Plato erwidern: »Nein, im Gegenteil, weil Gott böse ist, hat er geschaffen, was böse ist.« Wie wird ihn Plato widerlegen? Wenn Gott geschaffen hat, was gut ist, aus welcher Quelle ist denn das viele Böse entsprungen, das meistens das Gute sogar überwiegt? »Im Stoffe«, sagt Plato, »war das Böse enthalten.« Wenn das Böse, dann auch das Gute, so dass Gott entweder nichts geschaffen hat, oder wenn er bloß das Gute geschaffen hat, dann ist das Böse, das nicht geschaffen ist, uranfänglicher als das Gute, das einen Anfang gehabt hat. Es muss also das, was einmal angefangen hat, auch ein Ende haben, und das fortdauern, was immer gewesen ist. Somit hat das Böse den Vorzug; wenn es aber nicht vorzüglicher sein kann, so kann es auch nicht ursprünglicher sein. Demnach ist entweder beides immer gewesen und ist Gott müßig, oder beides ist aus e i n e r Quelle geflossen; denn es ist schicklicher für Gott, dass er lieber alles, als dass er nichts geschaffen hat. Es ist also nach Platos Anschauung derselbe Gott gut, weil er Gutes, und böse, weil er Böses geschaffen hat. Wenn nun dies nicht stattfinden kann, so ist es augenscheinlich, dass Gott nicht aus dem Grunde die Welt geschaffen hat, weil er gut ist; denn er hat alles in ihr eingeschlossen, die Güter und die Übel. Auch hat kein Ding den Grund seines Entstehens in sich selbst, sondern in etwas anderem. Man baut nicht ein Haus bloß zu dem Zweck, damit es ein Haus ist, sondern dass es den Bewohner aufnehme und schütze. Man zimmert nicht ein Schiff in der Absicht, dass lediglich ein Schiff zu sehen ist, sondern dass die Menschen auf ihm das Meer befahren. Ebenso stellt man Gefäße nicht her, damit sie bloß Gefäße sind, sondern damit sie das für den Gebrauch Notwendige aufnehmen. So muss Gott auch die Welt zu irgendeinem Gebrauche geschaffen haben; die Stoiker behaupten, dass die Welt um der Menschen willen geschaffen ist; und das mit Recht, denn die Menschen genießen all die Güter, weiche die Welt in sich schließt. Weshalb aber die Menschen selbst ge­schaffen sind, oder welchen Nutzen an ihnen jene kunst­reiche Schöpferin der Dinge, die Vorsehung, hat, das haben die Stoiker nicht erklärt. Dass die Seelen unsterblich sind, versichert uns der nämliche Plato; aber aus welchem Grunde und auf welche Weise, wann und durch wen sie die Unsterblichkeit erlangen, oder was das überhaupt für ein wunderbares Geheimnis ist, dass die, welche zur Unsterblichkeit bestimmt sind, zuerst als Sterbliche geboren werden, um dann nach Ablauf der irdischen Lebenszeit, und nachdem sie die Hülle des gebrechlichen Leibes abgelegt haben, in jene ewige Glückseligkeit versetzt zu werden, das hat Plato nicht erfasst. So hat er sich auch über die Frage vom Gerichte Gottes und vom verschiedenen Lose der Gerechten und Ungerechten nicht ausgesprochen. Nur von den Seelen, die sich in den Schlamm der Laster versenkt hätten, glaubte er, dass sie zu wiederholter Geburt in den Leibern von Tieren verurteilt würden, um so ihre Sünden abzubüßen, bis sie wieder in die Gestalt der Menschen zurückkehren dürften; und das wiederhole sich immerfort, und es gebe kein Ende der Wanderung. Es ist, als ob uns Plato irgendein traumartiges Phantasiespiel vor Augen führen wollte, dem weder Vernunft noch göttliche Leitung noch irgendein Gedanke zugrunde liegt. S. 208-211
Bibliothek der Kirchenväter, Lactantius: Auszug aus den göttlichen Unterweisungen, Ziffer 63, 1919 Kempten & München, Verlag der Jos. Köselschen Buchhandlung

64. Die Bestimmung des Menschen

Ich will nun jene wichtigste Wahrheit darlegen, die nicht einmal die Philosophen, die Wahres gesprochen haben, zu finden vermochten, weil sie die Folgerungen aus den Gründen nicht abzuleiten verstanden. Die Welt ist von Gott geschaffen, damit Menschen geboren würden; die Menschen werden geboren, damit sie Gott als Vater erkennen, und darin besteht die Weisheit; sie erkennen Gott, um ihn zu ehren, und darin besteht die Gerechtigkeit; sie ehren ihn, um als Lohn die Unsterb­lichkeit zu empfangen; sie empfangen die Unsterblichkeit, um Gott auf ewig zu dienen. Siehst du, wie hier alles miteinander verknüpft ist, das erste mit dem mittleren und das mittlere mit dem letzten? Ziehen wir nun die einzelnen Sätze in Betracht und sehen wir, ob bei ihnen die Begründung standhält. Gott hat die Welt um des Menschen willen gemacht. Wer das nicht ein­sieht, der unterscheidet sich nicht viel vom Tiere. Wer schaut zum Himmel empor außer der Mensch? Wer bewundert die Sonne, die Gestirne, die sämtlichen Werke Gottes außer der Mensch? Wer bebaut die Erde? Wer erntet ihre Früchte? Wer befährt das Meer? Wer hat die Fische, wer die Vögel, wer die vierfüßigen Tiere in der Gewalt außer der Mensch? Alles hat demnach Gott um des Menschen willen gemacht, weil alles dem Menschen zum Gebrauch überlassen ist. Das haben die Philosophen richtig erkannt; aber die Folgerung, die sich daraus ergibt, haben sie nicht durchschaut, dass nämlich Gott den Menschen selbst um Gottes willen ge­schaffen hat. Denn das wäre der folgerichtige, pflichtgemäße und notwendige Schluss gewesen: Nachdem Gott um des Menschen willen so große Werke geschaffen, nachdem er dem Menschen solche Ehre und Macht verliehen hat, dass er Herrscher ist in der Welt, so muss der Mensch in Gott den Urheber so großer Wohltaten erkennen, muss in ihm den Schöpfer erkennen, der den Menschen und die Welt um des Menschen willen geschaffen hat, und muss ihm die gebührende Anbetung und Verehrung erweisen. Hier ist Plato vom Wege abgeirrt, hier hat er die Wahrheit, die er anfänglich ergriffen hatte, aus der Hand gelassen, indem er über die Verehrung dieses Gottes, den er als Gründer und Vater des Alls bekannte, schweigsam geworden ist, indem er nicht erkannt hat, dass der Mensch an Gott durch die Bande der kindlichen Liebe gebunden (religatus) ist, woher die Religion selbst (religio) den Namen hat, und dass dies allein der Grund ist, warum die Seelen unsterblich werden. Plato war von der Unsterblichkeit der Seelen überzeugt, aber er stieg nicht auf Stufen zu dieser Überzeugung hinab. Indem er nämlich die Mittelglieder wegließ, stürzte er vielmehr wie über einen stei­len Abgrund auf die Wahrheit hinab und ging dann keinen Schritt mehr weiter, weil er eben das Wahre durch Zufall, nicht durch Überlegung gefunden hatte. Man muss also Gott verehren, damit der Mensch durch die Religion, die zugleich Gerechtigkeit ist, von Gott die Unsterblichkeit empfange; und es gibt auch keine andere Belohnung für den frommen Geist; wenn dieser unsichtbar ist, so kann er vom unsichtbaren Gott nur mit einem unsichtbaren Lohne beschenkt werden. S. 210f
Bibliothek der Kirchenväter, Lactantius: Auszug aus den göttlichen Unterweisungen, Ziffer 64, 1919 Kempten & München, Verlag der Jos. Köselschen Buchhandlung

65. Die Unsterblichkeit der Seele

Es gibt eine Menge von Beweisgründen, aus denen man die Unsterblichkeit der Seele erschließen kann. Plato sagt: Was sich immer durch sich selbst bewegt ­ und keinen Anfang der Bewegung hat, das hat auch kein Ende der Bewegung. Der Geist des Menschen aber bewegt sich immer durch sich selbst; und weil die­ser Geist regsam ist im Denken und geschickt im Erfinden, weil er gewandt ist im Auffassen und empfänglich zum Lernen, weil er des Vergangenen sich erinnert, die Gegenwart erfasst und die Zukunft voraussieht und die Wissenschaft vieler Dinge und Künste umschließt, so muss er unsterblich sein, denn nichts haftet ihm vom Verderben irdischer Schwere an. Außerdem ergibt sich aus der Betrachtung von Tugend und Vergnügen die Unsterblichkeit der Seele. Das Vergnügen ist allen Geschöpfen gemeinsam, die Tugend ist Eigentum des Menschen allein; das Vergnügen ist lasterhaft, die Tugend ehrbar; das Vergnügen schmeichelt der Natur, die Tugend ist der Natur entgegen, wenn die Seele nicht unsterblich ist. Denn die Tugend ist es, die für Treue und Gerechtigkeit nicht Mangel fürchtet und nicht Verbannung scheut, die nicht vor Kerker erschauert, nicht vor Schmerz erbebt, nicht gegen den Tod sich sträubt; und da diese Dinge der Natur geradezu entgegen sind, so ist die Tugend entweder Torheit, wenn sie ein Hindernis für die Annehmlichkeiten bildet und ein Nachteil für das Leben ist; oder wenn sie nicht Torheit ist, so ist folglich die Seele unsterblich und verachtet darum die irdischen Güter, weil es höhere Güter gibt, die sie nach Auflösung ihres Leibes zu erlangen hofft. Auch das ist ein sehr wichtiger Beweis für die Unsterblichkeit, dass der Mensch allein Gott erkennt. In den stummen Tieren ist keine Ahnung von Religion; sie sind von der Erde und zur Erde hingebeugt; der Mensch blickt deshalb aufrecht empor zum Himmel, um Gott zu suchen. Es kann also der nicht sterblich sein, der nach dem unsterblichen Gott sich sehnt; es kann der nicht auflösbar sein, der in Antlitz und Geist mit Gott Gemeinschaft hat. Endlich hat nur der Mensch allein das Element des Himmels, das Feuer, in Gebrauch, Wenn nun aus dem Feuer das Licht und aus dem Licht das Leben entstammt, so ist offenbar der, welcher den Gebrauch des Feuers hat, nicht sterblich; denn er ist mit jenem Element verwandt und vertraut, ohne welches Licht und Leben nicht bestehen kann. Doch was suchen wir aus Beweisgründen die Unsterblichkeit der Seelen zu er­schließen, nachdem uns göttliche Zeugnisse zu Gebote stehen? Denn diese Wahrheit lehren uns die heiligen Schriften und die Stimmen der Propheten; und wem dies zu wenig dünkt, der lese die Weissagungen der Sibyllen und ziehe auch die Aussprüche des milesischen Apollo in Erwägung; dann wird er einsehen, dass Demokritus, Epikurus und Dicäarchus von Verstand gewesen sind, die allein von allen Sterblichen die offenkundige Tatsache geleugnet haben.

Nachdem nun der Nachweis der Unsterblichkeit erbracht ist, so obliegt uns noch die Darlegung, von wem sie erteilt wird, wer sie empfängt, auf welche Weise und zu welcher Zeit sie verliehen wird, Wenn die bestimmten und von Gott festgesetzten Zeiten zum Abschluss kommen, so muss der Untergang und die Vollendung der Dinge eintreten, damit die Welt von Gott erneuert werde. Diese Zeit aber ist ganz nahe, soviel sich aus der Zahl der Jahre und aus den Zeichen, die von den Propheten vorausgesagt sind, abnehmen lässt. Weil aber die Aussprüche über das Ende der Welt und den Abschluss der Zeiten unzählige sind, so müssen wir uns auf die bloße Angabe des Inhalts beschränken, da die Anführung der Zeugnisse selbst an kein Ende führen würde. Wer nach diesen Zeugnissen Verlangen trägt und uns selbst weniger glauben will, der wende sich an das Heiligtum der himmlischen Schriften selbst; ihre Zuverlässigkeit wird ihn dann besser unterrichten und vom Irrtum der Philosophen überzeugen, die entweder die Ewigkeit dieser Welt oder endlose Jahrtausende seit ihrer Gründung angenommen haben; denn noch sind sechs Jahrtausende nicht ganz vergangen; ist diese Zahl abgeschlossen, dann erst wird alles Böse verschwinden und die Gerechtigkeit allein herrschen.
S.211-214
Bibliothek der Kirchenväter, Lactantius: Auszug aus den göttlichen Unterweisungen, Ziffer 65, 1919 Kempten & München, Verlag der Jos. Köselschen Buchhandlung

Die Schöpfung Gottes (De opificio dei)

II. Hauptstück

Von der Erschaffung der Tiere und des Menschen
§ 1. Gott Vater, unser großer Schöpfer, hat uns Verstand und Vernunft gegeben, damit wir erkennen konnten, dass wir von ihm geschaffen seien, weil er selbst die Einsicht, der Verstand und die Vernunft ist.

§ 2. Für die übrigen Lebewesen hat er, da er ihnen nun einmal jene Geisteskraft nicht verliehen hat, gleichwohl vorgesorgt, wie ihr Leben große Sicherheit habe.

§ 3. Allen hat er in ihrem eigenen Felle eine schützende Hülle gegeben, damit sie Frost und Kälte ertragen könnten. Den einzelnen Gattungen jedoch hat er zur Abwehr der Angriffe von auswärts entsprechende Schutzmittel gewährt, damit sie mit ihren natürlichen Waffen den Stärkeren entgegentreten, oder damit die Schwächeren durch schnelle Flucht den Gefahren sich entziehen, oder damit diejenigen, welche der Kraft und Schnelligkeit zugleich entbehren, durch List sich schützen oder Schlupfwinkel aufsuchen könnten.

§ 4. Daher schwebt ein Teil von ihnen mit leichtem Gefieder in der Luft oder geht auf Hufen einher oder ist mit Hörnern versehen; ein Teil hat seine Waffen im Munde, nämlich das Gebiss, oder an den Füßen, nämlich Krallen. Ein jedes Tier besitzt seine Schutzmittel.

§ 5. Wenn aber einige zur Nahrung für die größeren dienen, so sind sie doch auf eine Gegend angewiesen, wo die größeren nicht leben können, oder sie besitzen größere Fruchtbarkeit, damit auch für Tiere, welche vom Blute leben, durch jene der Unterhalt vorhanden sei, und auf dass deren Verluste durch die vorhandene große Anzahl wieder ausgeglichen würden.


§ 6. Dem Menschen aber, dem er die Gabe der Vernunft und das Vermögen, zu denken und zu reden gegeben hat, gewährte er keine von diesen den Tieren verliehenen Eigenschaften, weil demselben die Vernunft verschaffen konnte, was ihm etwa die Natur versagt hatte. Er setzte ihn bloß und nackt in die Welt, weil er durch seinen Geist sich bewaffnen und mit Hilfe seiner Vernunft sich kleiden konnte.

§ 7. Wie sehr aber das, was den Tieren gewährt, den Menschen jedoch versagt ist, die Schönheit hebt, lässt sich gar nicht mit Worten ausdrücken. Wenn nämlich der Mensch die Zähne wilder Tiere bekommen hätte oder Hörner oder Krallen oder Hufe, einen Schwanz oder verschieden gefärbte Haare, wer fühlte nicht, wie hässlich ein solches Wesen wäre, gerade wie auch die Tiere hässlich sein würden, wenn sie nackt und waffenlos wären?

§ 8. Nimmst du den Tieren ihr Kleid oder ihre von der Natur ihnen verliehenen Waffen, so werden sie weder schön erscheinen, noch wird es auch um ihre Sicherheit gut bestellt sein. Wie wunderbar scheinen sie dagegen in Wirklichkeit ausgestattet, wenn du den Vorteil in Anschlag bringst, wie herrlich, wenn du auf die Schönheit achtest! So trefflich stehen Vorteil und Schönheit hier im Einklang!

§ 9. Weil aber Gott den Menschen für die Unsterblichkeit schuf, so hat er ihm keine äußerlichen Waffen gegeben wie den übrigen Lebewesen, sondern er hat ihn von innen aus geschützt, weil es nämlich, da er ihm das größte Geschenk (Vernunft) gegeben, überflüssig war, ihn mit körperlichen Schutzwaffen zu versehen, zumal diese seiner Schönheit Eintrag getan hätten.

§ 10. Daher pflege ich mich über den Unverstand der Anhänger des Epikurus zu wundern, welche die Schöpfungen der Natur tadeln, um zu zeigen, dass die Welt ohne Vorsehung entstanden sei und ohne eine solche regiert werde. Sie führen nämlich den Ursprung der Welt auf feste, unteilbare Körperchen zurück, durch deren zufälliges Zusammentreffen alles entstehe oder entstanden sei.

§ 11. Ich übergehe, was sie an der Welt selbst zu tadeln haben, ein Unterfangen, wobei sie sich rein lächerlich machen. Ich beschäftige mich also nur mit dem, was zu unserem Gegenstand gehört. S.228-230
Bibliothek der Kirchenväter, Des Luc. Cael. Firm. Lactantius Schriften: Von der Schöpfung Gottes (De opificio dei), 1919 Kempten & München, Verlag der Jos. Köselschen Buchhandlung


XVII. Hauptstück
Von der Seele und den Ansichten der Philosophen über deren Wesen
§ 1. Es erübrigt nun noch, von der Seele zu sprechen, obschon ihr Wesen unbegreiflich ist. Des ungeachtet sehen wir die Unsterblichkeit der Seele gar wohl ein, weil das, was da lebt und sich immer durch sich selbst bewegt und nicht gesehen oder berührt werden kann, notwendigerweise unsterblich sein muss.

§ 2.
Was aber die Seele ist, darüber sind die Philosophen nicht einig, noch dürften sie es jemals werden. Einige haben behauptet, sie bestehe aus Blut, andere, sie bestehe aus Feuer*, andere, sie bestehe aus Luft (Wind), woher das Wort anima oder animus (Seele, Geist) stammt, weil im Griechischen ventus (Wind) anemos heißt. Von diesen Philosophen scheint keiner eine annehmbare Definition gegeben zu haben.
*Nach Cicero soll der Stoiker Zeno die Ansicht gehabt haben, die Seele bestehe aus Feuer; nach Nemesius soll Demokrit dies behauptet haben. Plutarch berichtet ferner, dass Demetrius, Makrobius, dass Hipparch und Hippo die Seele als aus Wasser bestehend angesehen hätten, andere dagegen aus Luft (Wind). Spiritus wird die Seele auch in der Hl. Schrift oft genannt wegen ihrer immateriellen Natur.

§ 3. Wenn auch das Blut entweder durch eine Wunde ausgeflossen oder durch Fieberhitze aufgezehrt worden ist und die Seele daher zu erlöschen scheint, so darf man doch nicht sofort das Wesen der Seele in das Blut verlegen, gerade so, wie wenn gefragt würde, was denn das Licht sei, das wir gebrauchen, und man zur Antwort bekäme, es sei dies das Öl, weil nach Aufzehrung desselben das Licht erlischt, obschon dies selbstverständlich verschiedene Dinge sind und das eine bloß die Nahrung des anderen bildet. Es scheint also die Seele dem Lichte ähnlich zu sein, da sie selbst nicht aus Blut besteht, sondern durch das Blut bloß genährt wird wie das Licht durch das Öl.

§ 4. Diejenigen aber, welche sie für Feuer erklärten, bedienten sich dieses Beweisgrundes: dass nämlich der Leib in Anwesenheit der Seele warm sei, dass er aber erkalte, wenn sie geschwunden sei. Das Feuer jedoch ist ohne Gefühl, ist sichtbar und brennt, wenn man es anrührt, die Seele aber besitzt Gefühl, ist unsichtbar und brennt nicht. Daraus ergibt sich, dass die Seele etwas Gott Ähnliches ist.

§ 5. Diejenigen aber, welche sie für Luft ansehen, lassen sich dadurch täuschen, dass wir, indem wir atmen, zu leben scheinen. Varro nun definiert die Seele also: Die Seele ist Luft, eingeatmet mit dem Munde, erwärmt in der Lunge, abgekühlt im Herzen, verteilt im Körper.

§ 6. Das ist offenbar ganz falsch. Denn nach meiner Meinung ist das Wesen dieser Dinge nicht gar so unklar, dass man nicht einmal einsehen sollte, was nicht der Fall sein könne. — Wenn mir jemand sagte, der Himmel sei aus Erz oder Glas, oder wie Empedokles behauptet, er bestehe aus eisiger Luft, werde ich dem sofort zustimmen, weil ich nicht weiß, aus welchem Stoffe der Himmel besteht? So wie ich dies nicht weiß, so weiß ich das andere.

§ 7. Die Seele ist nicht die mit dem Munde eingesogene Luft, da die Seele viel früher da ist, als sie Luft schnappen kann. Denn nicht nach der Geburt kommt die Seele in den Körper, sondern gleich nach der Empfängnis, wenn die göttliche Vorsehung die Frucht im Leibe gestaltet, da diese solche Lebensäußerungen im Leibe der Mutter macht, dass sie sowohl wächst als auch mit häufigen Stößen aufzuspringen sucht. Schließlich muss es zu einem Abortus kommen, wenn das Wesen drinnen tot ist.

§ 8. Die andere Definition aber geht mit ihrer Behauptung darauf hinaus, dass wir die neun Monate im Mutterleibe tot gewesen seien. Keine von diesen drei Meinungen ist also die richtige.

§ 9. Das jedoch darf man nicht behaupten, dass diejenigen, die diesen verschiedenen Ansichten gehuldigt haben, ganz Unrecht hätten; denn wir leben zugleich durch das Blut, durch die Wärme und durch den Atem. Wenn aber die Seele auch durch Vereinigung aller dieser drei Dinge im Körper besteht, so haben sie doch nicht definiert, was sie ist, weil ihr Wesen ebenso wenig definiert als gesehen werden kann. S. 275-277
Bibliothek der Kirchenväter, Des Luc. Cael. Firm. Lactantius Schriften: Von der Schöpfung Gottes (De opificio dei), 1919 Kempten & München, Verlag der Jos. Köselschen Buchhandlung


XVIII. Hauptstück
Über die Seele und den Geist und deren Affekte
§ 1. Es folgt eine andere, und zwar unlösbare Frage, ob Seele und Geist ein und dasselbe sind oder ob etwas anderes das sei, wodurch wir leben, etwas anderes aber das, womit wir fühlen oder denken. Beweisgründe gibt es für beide Ansichten.

§ 2. Die, welche die Identität beider behaupten, gehen von dem Grundsatze aus, dass weder das Leben ohne Fühlen noch das Fühlen ohne Leben möglich sei; daher könne das nicht verschieden sein, was nicht getrennt werden könne, sondern was immer jenes sein möge, es bilde sowohl das Prinzip des Lebens als des Denkens. Demnach gebrauchen die beiden epikureischen Dichter animus (Geist) und anima (Seele, Lebensprinzip) ohne Unterschied.

§ 3. Diejenigen aber, die beide als verschieden erklären, führen den Beweis also: Dass der Geist etwas anderes sei als die Seele (bloß vegetatives Lebensprinzip), könne man daraus erkennen, dass der Geist verloren gehen könne, während die Seele wohlbehalten sei, was ja bei den Wahnsinnigen zutreffe, ferner daraus, dass die Seele durch den Tod zur Ruhe komme, der Geist aber durch den Schlaf, und zwar so, dass er nicht wisse, was er tue oder wo er sei, sondern dass er auch durch eingebildete Vorstellungen getäuscht werde.

§ 4. Man kann zwar das »Wie« dieses Vorganges nicht erklären, wohl aber das »Warum«. Wir können nämlich nicht schlafen, wenn der Geist nicht mit Vorstellungen beschäftigt ist. Vom Schlafe überwältigt, ist der Geist verborgen wie das Feuer unter der Asche. Entfernt man diese, so flackert es wieder auf und erwacht sozusagen.

§ 5. Der Geist wird also durch Bilder abgelenkt (avocatur), bis die Glieder, durch den Schlummer erfrischt, zu neuem Leben erwachen. Wenn aber der Geist wacht, so ist der Körper, mag er auch unbeweglich daliegen, noch nicht ruhig, da der Geist wie eine Flamme in ihm flackert und schwirrt und alle Organe in Spannung erhält.

§ 6.
Sobald aber der Geist (Verstand) von dieser Anspannung zur Betrachtung der Bilder sich wendet, dann erst gibt sich der Leib vollständig der Ruhe hin.

§ 7.
Veranlasst aber wird der Geist dazu durch unklare (Phantasie-) Vorstellungen, wenn er nämlich beim Herannahen der Finsternis mit sich allein zu sein anfängt. Während er auf seine Gedanken achtet, kommt der Schlaf, und die Vorstellung zieht allmählich das am nächsten damit Verwandte in ihren Kreis.

§ 8. So fängt er auch an, das zu sehen, was er sich vorgestellt hatte. Dann geht er weiter und sucht sich Erholung, um nicht die so notwendige Ruhe des Körpers zu stören. Denn wie der Geist tagsüber mit wirklichen Vorstellungen sich abgibt, um nicht in Schlaf zu verfallen, so des Nachts mit imaginären, um nicht zu erwachen. Wenn er nämlich keine Bilder sähe, müsste er entweder wachen oder tot sein.

§ 9. Des Schlafes wegen ist also der Traum von Gott geschenkt, und zwar allen Lebewesen gemeinsam, dem Menschen aber in der Weise noch ganz besonders, dass Gott, während er den übrigen Lebewesen diese psychische Tätigkeit der nötigen Ruhe wegen schenkte, sich die Möglichkeit vorbehielt, den Menschen über Zukünftiges im Traume zu belehren.

§ 10. Denn auch die Geschichte bezeugt oftmals, dass es Träume gegeben hat, deren Erfolg augenblicklich und wunderbar gewesen ist, und die Aussprüche unserer Seher haben zum Teile aus Träumen bestanden.

§ 11. Daher sind sie weder immer wahr noch immer unwahr nach dem Ausspruche des Vergil, der zwei Tore für die Träume annahm. Die, welche unwahr sind, scheinen des Schlafes wegen zu kommen, die wahren Träume aber werden von Gott gesandt, damit wir ein bevorstehendes Glück oder Unglück durch diese Offenbarung erfahren.
S. 277-280
Bibliothek der Kirchenväter, Des Luc. Cael. Firm. Lactantius Schriften: Von der Schöpfung Gottes (De opificio dei), 1919 Kempten & München, Verlag der Jos. Köselschen Buchhandlung


XIX. Hauptstück
Die Seele, ein Geschenk Gottes
§ 1. Auch das kann in Frage kommen, ob die Seele vom Vater oder in höherem Grade von der Mutter oder von beiden ihren Ursprung habe. Gegen diese Behauptungen muss ich mit vollem Rechte in doppelter Hinsicht Verwahrung einlegen.

§ 2. Keiner von diesen drei Fällen trifft zu, weil weder von beiden noch von einem der beiden Teile der Same stammt. Der Körper kann wohl von einem Körper stammen, weil beide Teile etwas dazu beitragen; von den Seelen aber kann die Seele nicht stammen, da von etwas Immateriellem und Unbegreiflichem sich nichts abscheiden kann.

§ 3. Demnach kommt die Bildung der Seelen Gott allein zu.

»Endlich stammen wir alle vom himmlisch göttlichen Samen,
Alle besitzen den nämlichen Vater«,

so lauten Lukrezens Worte. Denn von Sterblichen kann nur Sterbliches gezeugt werden, und es darf derjenige durchaus nicht für den Vater angesehen werden, der nicht merkt, dass er von seiner Seele die Seele ergossen oder eingehaucht habe und der es dennoch nicht begreift, auch wenn er es merkte, wann und wie das geschieht.

§ 4. Daraus ergibt sich, dass nicht die Eltern die Seele geben, sondern Gott, der eine und, derselbe Vater aller, der da Herr ist über die Zeugung, da er allein sie bewirkt. Denn dem irdischen Erzeuger kommt bloß die von Wollust begleitete Begattung zu. Dabei bleibt der Mensch stehen, sein Wirken geht nicht weiter, und darum wünschen sie die Geburt von Kindern, da sie dieselben nicht selbst schaffen.

§ 5. Alles Übrige kommt Gott zu, nämlich die Empfängnis selber, die Bildung des Körpers, das Einhauchen der Seele, die glückliche Geburt und dann alles, was zur Erhaltung des Menschen dient. Sein Geschenk ist es, dass wir atmen, leben und gesund sind.

§ 6. Denn außerdem, dass wir durch seine Güte gesund sind und dass er uns den Lebensunterhalt aus den verschiedensten Dingen gewährt, hat er dem Menschen auch Verstand verliehen, was der irdische Vater ganz und gar nicht kann; daher stammen oft von Weisen Schwachsinnige und von Schwachsinnigen Weise. Einige schreiben diesen Umstand dem Schicksal und den Gestirnen zu.

§ 7.
Hier jedoch ist nicht der Ort, um vom Schicksal zu sprechen; es genügt, zu sagen, dass auch die Gestirne einen Einfluss auf die Dinge ausüben, dass aber nichtsdestoweniger Gott alles dieses tut, der die Gestirne selber geschaffen und ihnen ihre Bestimmung angewiesen hat. Toren also sind die, welche die Macht Gott nehmen und den Gestirnen zuweisen.

§ 8. Ob wir nun dieses herrliche Geschenk (die Vernunft) recht gebrauchen, das hat er uns überlassen. Nachdem er dies gegeben, hat er den Menschen durch die von Christus geoffenbarte Religion verpflichtet, damit er das ewige Leben erlange.

§ 9. Groß ist die Macht des Menschen, groß das Erlösungs werk, groß das Geheimnis der Gnade. Wer hiervon nicht abweicht, seinen Glauben und seine Gottergebenheit nicht preisgibt, der ist glücklich, der muss, um mich kurz zu fassen, Gott ähnlich sein.

§ 10. Es irrt, wer den Menschen nur nach dem Fleische beurteilt; denn dieser Leib bildet bloß die Wohnung des Menschen. Denn der Mensch selber kann weder betastet, noch geschaut, noch begriffen werden, da er hinter der sichtbaren Hülle verborgen ist. Wenn er in diesem Leben, das seine Natur erfordert, üppig und wollüstig gewesen ist, wenn er mit Geringschätzung der Tugend den Lüsten des Fleisches sich hingegeben hat, so fällt er und sinkt er zur Erde; wenn er aber an seiner wahren Bestimmung herzhaft und unverrückt festhält, wenn er nicht ein Sklave der Welt, die er mit Füßen treten und besiegen soll, gewesen ist, so wird er das ewige Leben erlangen.
S. 280-283
Bibliothek der Kirchenväter, Des Luc. Cael. Firm. Lactantius Schriften: Von der Schöpfung Gottes (De opificio dei), 1919 Kempten & München, Verlag der Jos. Köselschen Buchhandlung