Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 - 1716)
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Deutscher Philosoph, Mathematiker, Physiker, Techniker; Jurist, politischer Schriftsteller; Geschichts- und Sprachforscher, der in Leipzig und Jena Jurisprudenz und Philosophie studiert hat. Leibniz war zunächst Rat am Revisionsgericht des Kurfürsten Johann Philipp von Mainz, seit 1676 Rate und Bibliothekar (später auch Hofgeschichtsschreiber) des Herzogs Johann Friedrich v. Braunschweig-Lüneburg in Hannover und regte 1700 die Errichtung der »Sozietät der Wissenschaften«, der späteren »preußischen Akademie der Wissenschaften«, an. Leibniz gilt als einer der letzten Universalgelehrten der Neuzeit. Das Allroundgenie trat auf seinen Reisen mit den bedeutendsten Zeitgenossen in Kontakt (u. a. C. Huygens, A. Arnauld, Nicolas Malebranche, R. Hooke und R. Boyle). |
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Inhaltsverzeichnis
Monadenlehre (Monadologie und Theodizee)
Erläuterungen zum System der prästabilierten Harmonie
Das Uhrengleichnis, Über die Verbindung zwischen Seele und Körper,
Über das System der vorherbestimmten Harmonie, Vorherbestimmung und freier Wille,
Notwendigkeit und Kompensation gewisser natürlicher Übel,
Gedanken über die Unendlichkeit
Christus
Jesus am Kreuze, Der Gottesstaat, Nächstenliebe ist Gottesliebe, Erbsünde und Erlösung,
Monadenlehre (Monadologie und Theodizee)
Monadenbegriff,
(Monadologie 1 - 9) Zustandsveränderung, (Monadologie 10 - 13) Wahrnehmen-Vorstellen-Begehren, (Monadologie 14 - 17) Seelenbegriff, (Monadologie 18 - 25) Gedächtnis, (Monadologie 26 - 28) Vernunftgebrauch, (Monadologie 29 - 36) Gottesbegriff/Gottesbeweis, (Monadologie 37 - 41) Ursprung der Übel, (Monadologie 42 - 46) Ständige Schöpfung, (Monadologie 47 - 48) Unterschiedliche Vollkommenheitsgrade, (Monadologie 49 - 52) Die beste aller möglichen Welten, (Monadologie 53 - 55) |
Perspektivismus,
(Monadologie 56 - 60) Welt-Zusammenhang, (Monadologie 61) Leib und Seele sind göttliche Automaten, (Monadologie 62 - 65) Alles lebt und ist in jedem, (Monadologie 66 - 71) Schein des Todes, (Monadologie 72 - 76) Unsterblichkeit der Seele, (Monadologie 77) Prästabilierte Harmonie, (Monadologie 78 - 81) Unterschiede zwischen Geistern und Seelen, (Monadologie 82 - 84) Das Gottesreich ist eine Universal-Monarchie, (Monadologie 85 - 87) Züchtigung und Strafe. (Monadologie 88 - 90) |
Monadenbegriff
1.) Die Monaden,
von denen meine Schrift handeln wird, sind nichts weiter als einfache
Substanzen, welche in dem Zusammengesetzten enthalten sind. Einfach heißt,
was ohne Teile ist.
2.) Einfache Substanzen muß es geben, weil es Zusammengesetztes gibt;
denn, das Zusammengesetzte ist nichts anderes als eine Anhäufung oder ein
Aggregat von Einfachem.
3.) Nun ist aber da, wo es keine Teile gibt, weder Ausdehnung, noch Figur, noch
Zerlegung möglich. Die Monaden, von denen ich spreche, sind also die wahren
Atome der Natur und mit einem Worte die Elemente der Dinge.
4.) Auch ist ihre Auflösung nicht zu fürchten und es ist undenkbar,
daß eine einfache Substanz auf irgendeine natürliche Weise zugrundegehen
könnte.
5.) Aus dem nämlichen Grunde ist es undenkbar, daß eine einfache
Substanz auf irgendeine natürliche Weise beginnen könnte; da sie ja
nicht durch Zusammensetzung gebildet zu werden vermag.
6.) Man kann also sagen, daß die Monaden nur auf einen
Schlag anfangen und auf einen Schlag aufhören können. Sie können
nur anfangen durch Schöpfung und aufhören durch
Vernichtung, während das Zusammengesetzte aus Teilen entsteht und
in Teile vergeht.
Ergänzungen aus der Theodizee
90. Ich bin der Meinung,
die Seelen oder allgemein die einfachen Substanzen
können nur auf dem Wege der Schöpfung entstehen
und können nur durch Vernichtung aufhören:
und wie die Bildung lebendiger organisierter Körper nur dann nach der Naturordnung
erklärlich scheint, wenn man eine schon organische Praeformation annimmt,
so folgere ich daraus, die sogenannte Erzeugung eines Tieres sei nur eine Umformung
und Vermehrung, da der nämliche Körper bereits organisiert war, so
liegt es nahe, daß er auch schon belebt war und die nämliche Seele
besaß; ebenso wie ich umgekehrt aus der Erhaltung der Seele, wenn sie
einmal erschaffen ist, folgere, daß das Lebewesen auch erhalten wird und
daß uns der sichtbare Tod nur etwas verhüllt; denn in der ganzen
Naturordnung gibt es keine Belege für die Auffassung, die Seelen existierten
völlig getrennt von jedem Körper und das auf nicht natürliche
Weise Entstehende könne durch die Naturkräfte zerstört werden.
7.) Auch gibt es kein Mittel zu erklären, wie eine Monade durch
irgendein anderes Geschöpf in ihrem Innern aufgeregt oder verändert
werden könnte, da man in ihr nichts versetzen und auch keine innere Bewegung
in ihr begreifen kann, die da drinnen veranlaßt, gesteuert, vermehrt oder
vermindert werden könnte —, so wie es im Zusammengesetzten, wo eine
Veränderung unter den Teilen möglich ist, sehr wohl der Fall sein
mag. Die Monaden haben keine Fenster, durch die etwas
hinein- oder heraustreten kann. Die Akzidenzen können sich nicht
von den Substanzen loslösen und außerhalb ihrer herumspazieren, wie
es ehemals die species sensibiles der Scholastiker
taten. Also kann weder Substanz noch Akzidenz von außen in eine Monade
hineinkommen.
8.) Indessen müssen die Monaden gewisse Qualitäten haben; andernfalls
würden sie gar keine Wesen sein, die sind. Auch gäbe es, wenn die
einfachen Substanzen sich nicht durch ihre Qualitäten unterscheiden würden,
gar kein Mittel, irgendeine Veränderung in den Dingen zu bemerken, weil
das, was im Zusammengesetzten vorkommt, nur von seinen einfachen Bestandteilen
herrühren kann. Wenn nun die Monaden ohne Qualitäten
wären, so würden sie nicht voneinander zu unterscheiden sein;
denn quantitative Unterschiede gibt es bei ihnen ja ohnehin nicht. Folglich
würde — unter der Voraussetzung, daß alles voll ist —
jeder Ort bei der Bewegung nur das wieder ersetzt erhalten, was er soeben schon
gehabt hatte, und der eine Zustand der Dinge würde
vom andern ununterscheidbar sein.
9.) Es ist sogar notwendig, daß
jede einzelne Monade von jeder anderen verschieden ist. Denn es gibt
in der Natur niemals zwei Wesen, von welchen das eine so vollkommen ist wie
das andere, und wo es nicht möglich wäre, einen inneren oder auf eine
innere Bestimmung gegründeten Unterschied aufzufinden.
Zustandsveränderung
10.) Ich nehme ferner als ausgemacht an, daß jedes geschaffene
Wesen und folglich auch die geschaffene Monade der Veränderung unterworfen
ist, ja daß diese Veränderung sogar stetig in einer jeden stattfindet.
11.) Aus dem Gesagten folgt, daß die natürlichen
Veränderungen der Monaden von einem inneren Prinzip herrühren,
da eine äußere Ursache auf ihr Inneres keinen Einfluß haben
kann.
Ergänzungen aus der Theodizee
396. … da ich annehme, daß alle Seelen, Entelechien,
primitiven Kräfte, substantiellen Formen, einfachen Substanzen, Monaden,
oder wie auch immer man sie bezeichnen will, auf natürlichem Wege weder
entstehen noch vergehen können. Ich verstehe die Qualitäten oder abgeleiteten
Kräfte oder die sogenannten akzidentiellen Formen als Modifikationen der
ursprünglichen Entelechie genau in dem Sinne, wie die Gestalten Modifikationen
der Materie sind. Aus diesem Grunde befinden sich diese Modifikationen in beständiger
Veränderung, während die einfache Substanz beharrt.
12.) Außer dem Prinzip der Veränderung muß es aber
auch noch eine Besonderheit des Wechselnden geben, die gewissermaßen die
verschiedenen und mannigfaltigen Arten der Monaden ausmacht.
13.) Diese Besonderheit faßt notwendig eine Vielheit
in der Einheit oder in dem Einfachen in sich. Denn da alle natürliche
Veränderung gradweise vor sich geht, so wechselt
immer einiges, während anderes bleibt; folglich muß es
in der Monade eine Mehrheit von Regungen und Beziehungen geben, obwohl sie keineswegs
aus Teilen besteht.
Wahrnehmen-Vorstellen-Begehren
14.) Der vorübergehende Zustand, welcher eine Vielheit in der Einheit
bezw. in der einfachen Substanz in sich faßt und darstellt, ist nichts
anderes als das, was man Perzeption
[»sinnliche Wahrnehmung, Vorstellung«] nennt. Diese Perzeption
muß, wie sich in der Folge zeigen wird, von der Apperzeption
[bewusste Erfassung der äußeren und inneren
Eindrücke] der bewußten Vorstellung unterschieden werden.
Darin haben nämlich die Cartesianer sehr gefehlt, daß sie die Vorstellungen,
deren man sich nicht bewußt wird, für nichts rechneten. Dieser Irrtum
veranlaßte sie zu dem Glauben, daß lediglich die Geister Monaden
seien, und daß es weder Tierseelen noch sonstwelche Entelechien gebe.
So haben sie auch die gang und gäbe Verwechslung mitgemacht und eine langdauernde
Betäubung im Ernst für einen Tod gehalten. Und dieser Fehler schließlich
ließ sie in das scholastische Vorurteil von gänzlich körperlosen
Seelen verfallen und hat sogar verdrehte Köpfe in ihrem Wahn
von der Sterblichkeit der Seelen bestärkt.
15.) Die Tätigkeit des inneren Prinzips, welches
den Wechsel oder den Übergang von einer Perzeption
zur anderen bewirkt, kann als Begehren bezeichnet
werden. Allerdings vermag das Begehren nicht immer vollständig zu der ganzen
Vorstellung zu gelangen, nach der es strebt; aber es erreicht doch allzeit etwas
davon und kommt zu neuen Vorstellungen.
16.) Wir können uns selbst durch Erfahrung von der Vielheit in der einfachen
Substanz überzeugen, wenn uns einmal aufgeht, daß der geringste Gedanke,
dessen wir uns bewußt sind, eine Mannigfaltigkeit im Gegenstande in sich
befaßt. Somit müssen alle diejenigen, welche zugeben, daß die
Seele eine einfache Substanz ist, auch diese Vielheit in der Monade anerkennen
— und Herr Bayle brauchte keine Schwierigkeit darin zu finden, wie er
in seinem Wörterbuch, Artikel Rorarius, getan hat.
17.) Übrigens muß man notwendig zugestehen, daß die Perzeption
und was von ihr abhängt auf mechanische Weise, d. h. mit Hilfe von Figuren
und Bewegungen, unerklärbar ist. Nehmen wir einmal an, es gäbe eine
Maschine, die so eingerichtet wäre, daß sie Gedanken, Empfindungen
und Perzeptionen hervorbrächte, so würde man sich dieselbe gewiß
dermaßen proportional-vergrößert vorstellen können, daß
man in sie hineinzutreten vermöchte, wie in eine Mühle. Dies vorausgesetzt,
wird man bei ihrer inneren Besichtigung nichts weiter finden als einzelne Stücke,
die einander stoßen — und niemals etwas, woraus eine Perzeption
zu erklären wäre. Also muß man die Perzeption doch wohl in der
einfachen Substanz suchen, und nicht in dem Zusammengesetzten oder in der Maschinerie!
Auch läßt sich in der einfachen Substanz nur dieses allein finden:
Perzeptionen und ihre Veränderungen. Darin allein müssen alle inneren
Tätigkeiten der Monaden bestehen.
Seelenbegriff
18.) Man könnte allen einfachen Substanzen oder geschaffenen Monaden
den Namen »Entelechien« [»die
in der Monade wirkende Kraft, die ihre Entwicklung zur Vervollkommnung treibt«]
geben; denn sie haben eine gewisse Vollendung in sich. Es gibt in ihnen eine
Selbstgenügsamkeit, welche sie zu Quellen ihrer inneren Tätigkeiten
und sozusagen zu unkörperlichen Automaten
macht.
Ergänzungen aus der Theodizee
87. Zu diesem Theologenstreit über den Ursprung der menschlichen
Seele ist der philosophische Streit über den Ursprung der Formen hinzugekommen.
Aristoteles und seine Schule verstanden unter Form ein Prinzip der
Tätigkeit, das sich bei jedem Handelnden findet. Dieses innere Prinzip
ist entweder substantiell, dann heißt es Seele, wenn es in einem organischen
Körper angetroffen wird, oder akzidentell, und dann heißt es gewöhnlich
Qualität. Derselbe Philosoph gab der Seele den Gattungsnamen Entelechie
oder Akt. Das Wort Entelechie stammt augenscheinlich von dem griechischen
Worte, welches vollkommen bedeutet, und deswegen übersetzt es der berühmte
Hermolaus Barbarus ins Lateinische wortgetreu mit »pefectihabia«.
Denn der Akt ist eine Vollendung der Möglichkeit: um dies zu erfahren,
hätte er gar nicht den Teufel zu befragen brauchen, wie er es getan haben
soll. Nun nimmt der Stagirite zwei Arten von Akten an, den andauernden und den
sukzessiven Akt. Der ständige oder dauernde Akt ist nichts anderes als
die substantielle oder akzidentelle Form; die substantielle
Form (wie die Seele z. B.) ist nach meiner Auffassung ständig
beharrend, die akzidentelle nur während einer gewissen Zeit. Aber
der vorübergehende Akt, der von Natur aus vergänglich
ist, besteht in der Tätigkeit selbst. A. a. O. habe ich gezeigt,
daß der Begriff der Entelechie nicht ganz zu verwerfen ist, und daß
sie, da sie andauert, nicht bloß ein einfaches aktives Vermögen einschließt,
sondern auch noch etwas, was man als Kraft, Streben,
conatus bezeichnen kann, daß ihre Handlung erfolgen
muß, wenn sie durch nichts gehindert wird. Das Vermögen ist nur ein
Attribut, oder auch zuweilen ein Modus,
die Kraft aber ist, wofern sie nicht ein Bestandteil der Substanz selbst ist,
eine Qualität und als solche unterschieden und trennbar von der Substanz.
Auch habe ich dargetan, warum die Seele als eine ursprüngliche Kraft begriffen
werden kann, die durch objektive Kräfte oder Qualitäten beeinflußt
und verändert wird und in den Handlungen hervortritt.
403. Allein, wir
bilden unsere Vorstellungen nicht, weil wir es wollen; sie bilden sich in uns,
sie bilden sich durch uns, nicht als Folge unseres Willens, sondern gemäß
unserer Natur und der Natur der Dinge. Und wie der Fötus sich in dem Tiere
bildet, wie tausend andere Wunder der Natur durch einen bestimmten, von Gott
eingepflanzten Instinkt erzeugt werden, d. h. vermöge der göttlichen
Praeformation, die diese bewunderungswürdigen, auf mechanische Weise so
schöne Wirkungen hervorbringenden Automaten erschaffen hat; so kann man
ohne Schwierigkeiten schließen, daß die Seele ein geistiger, noch
weit bewunderungswürdigerer Automat ist, und daß sie diese schönen
Vorstellungen, woran unser Wille einen Anteil hat, und die innere Kunst nicht
erreichen kann, durch göttliche Praeformation erzeugt.
19.) Wollen wir alles, was in dem soeben entwickelten allgemeinen Sinne
perzipiert und begehrt, als Seele bezeichnen, so könnten alle einfachen
Substanzen oder geschaffenen Monaden Seelen genannt
werden. Da jedoch die bewußte Empfindung etwas mehr ist als eine
einfache Perzeption, so mag für die einfachen Substanzen, die nur einfache
Perzeptionen haben, der allgemeine Name »Monade« oder »Entelechie«
genügen. Die Bezeichnung »Seele«
dagegen mag jenen Monaden vorbehalten bleiben, deren Perzeption
deutlicher und von Gedächtnis begleitet ist.
20.) Denn wir lernen ja an uns selbst durch Erfahrung einen Zustand
kennen, wo wir uns an nichts erinnern und keine einzige deutliche Perzeption
haben, zum Beispiel wenn wir in Ohnmacht fallen oder von einem tiefen traumlosen
Schlafe überwältigt sind. In diesem Zustand unterscheidet sich die
Seele nicht merklich von einer einfachen Monade. Aber da dieser Zustand nicht
andauert und die Seele sich ihm wieder entzieht, so ist sie etwas Höheres.
Ergänzungen aus der Theodizee
64. Hängt alles Geschehen der Seele diesem System zufolge
nur von ihr selbst ab und stammt ihr nachfolgender Zustand allein aus ihr und
ihrem gegenwärtigen Zustande, wie könnte man ihr da noch eine größere
Unabhängigkeit geben? Allerdings verbleibt noch Unvollkommenheit
in der Beschaffenheit der Seele. Alles Geschehen der Seele hängt von ihr
ab, aber es hängt darum noch nicht immer von ihrem Willen ab; das wäre
zu viel. Ihr Verstand vermag es sogar nicht allemal zu erkennen oder deutlich
wahrzunehmen. Denn sie umfaßt nicht bloß eine Reihe deutlicher Perzeptionen,
die ihre Herrschaft ermöglichen, sondern auch eine Folge verworrener Perzeptionen
oder Passionen, die ihre Sklaverei bedingen: und darüber braucht man gar
nicht erstaunt zu sein; die Seele wäre Gott gleich, wenn sie nur deutliche
Perzeptionen hätte. Jedoch besitzt sie einige Macht über diese verworrenen
Perzeptionen, wenn auch auf indirektem Wege; denn wenn sie auch ihre Leidenschaften
nicht sofort ändern kann, so vermag sie doch allmählich mit Erfolg
daran zu arbeiten, sich neue Leidenschaften und sogar Gewohnheiten zu schaffen.
Sie besitzt sogar über die deutlicheren Perzeptionen eine ähnliche
Macht, sie kann sich indirekt Meinungen und Wünsche geben und diese oder
jene verdrängen, sie kann auch ihr Urteil aufheben oder verbessern. Wir
können nämlich schon vorher nach Mitteln suchen, um gelegentlich auf
dem schlüpfrigen Pfade unbesonnener Meinungen haltzumachen, wir können
uns einen Einwand machen, um unsere Entscheidung zu verschieben; selbst wenn
die Angelegenheit schon spruchreif zu sein scheint, und wenn auch, wie gesagt,
unsere Meinung und unser Willensakt keine Gegenstände unseres Willens sind,
ergreift man doch zuweilen Maßnahmen, um zu wollen, ja sogar gleichzeitig
zu glauben, was man nicht will oder gegenwärtig nicht glaubt. So tief ist
der menschliche Geist.
21.) Daraus folgt jedoch keineswegs, daß die einfache Substanz
in jenem Fall ohne Perzeption sei. Das ist schon aus den oben angeführten
Gründen gar nicht möglich; denn untergehen kann sie nicht; sie kann
aber auch nicht fortbestehen ohne irgendwelche Regung, und diese Regung ist
eben nichts anderes als ihre Perzeption. Wenn jedoch eine große Menge
von kleinen Perzeptionen zusammenkommt, worin sich nichts deutlich unterscheidet,
so ist man betäubt. Dreht man sich zum Beispiel ununterbrochen in der nämlichen
Richtung mehrere Male hintereinander herum, so tritt ein Schwindel ein, der
uns ohnmächtig machen kann und nichts mehr unterscheiden läßt.
In gleicher Weise versetzt der Tod die Lebewesen eine Zeitlang in diesen Zustand.
22.) Jeder gegenwärtige Zustand einer einfachen
Substanz ist natürlicherweise eine Folge ihres vorhergehenden
Zustandes, ebenso wie in ihr das Gegenwärtige
mit dem Zukünftigen schwanger geht.
Ergänzungen aus der Theodizee
360. Wir haben jetzt zur Genüge dargetan, daß alles
aus bestimmten Gründen geschieht, und finden keine weitere Schwierigkeit
in dieser Grundlage der göttlichen Vorsehung; denn wenn auch diese Bestimmtheiten
keineswegs zwingend sind, so sind sie doch gewiß und lassen das zukünftige
Geschehen voraussehen. Zwar erblickt Gott, wenn er dieses Universum erwählt,
mit einem Male die ganze Geschehensfolge und bedarf also keiner Verbindung der
Wirkungen mit den Ursachen, um diese Wirkungen vorauszusehen. Aber in seiner
Weisheit erwählt er eine auf das vollkommenste verbundene Geschehensfolge,
und darum kann er nicht umhin, einen Teil dieser Folge im anderen zu erblicken.
Es bildet eines der Gesetze meines Systems der allgemeinen Harmonie, daß
die Gegenwart die Zukunft in sich enthält, und daß der Alles Sehende
auch in dem Seienden das Werdende erblickt. Noch mehr: ich habe überzeugend
dargetan, daß Gott in jedem Teil des Universums das ganze Universum sieht,
und zwar dank der vollkommenen Verbindung der Dinge. Er sieht unendlich schärfer
als Pythagoras, der aus dem Umfange der Fußspur des Herkules auf seine
Körpergröße schloß. Es läßt sich also nicht
bezweifeln, daß die Wirkungen auf bestimmte Weise aus ihren Ursachen hervorgehen,
ungeachtet der Zufälligkeit, ja selbst der Freiheit, die beide nichtsdestoweniger
mit Gewißheit und Determiniertheit zusammen bestehen.
58. Die ganze Zukunft ist bestimmt; daran besteht kein Zweifel;
aber da wir nicht wissen, wie sie bestimmt, was vorgesehen oder beschlossen
worden ist, so müssen wir unsere Pflicht tun nach der uns von Gott gegebenen
Vernunft und nach den uns von ihm vorgeschriebenen Regeln. Danach dürfen
wir ruhigen Gemütes Gott die Sorge um den Ausgang anheimstellen; denn er
wird immer das tun, was er für das beste hält, nicht nur im allgemeinen,
sondern auch im besonderen für die, welche ihm ihr ganzes Vertrauen schenken,
d. h. ein Vertrauen, das sich in nichts von wahrer Frömmigkeit, lebendigem
Glauben und heißer Liebe unterscheidet und uns nichts von unserer Pflicht
und Dienstbarkeit, die in unseren Händen liegen, versäumen läßt.
Zwar können wir ihm keine Dienste leisten, denn er entbehrt nichts, aber
in unserer Sprache heißt es Dienst, wenn wir seinen mutmaßlichen
Willen zu erfüllen suchen, indem wir, soweit wir es können, an dem
uns bekannten Guten mitwirken. Denn wir sollen stets annehmen, dorthin richte
sich sein Streben, bis wir aus der Tat ersehen, daß er stärkere,
obzwar vielleicht uns unbekannte Gründe hatte, dieses Gut, das wir uns
zum Ziel setzen, zugunsten eines anderen weit größeren Gutes hintanzusetzen,
eines Gutes, das er sich selbst vorgesetzt hat, und nichts unterlassen hat oder
unterlassen wird, um es zu realisieren.
23.) Daraus geht folgendes hervor. Weil man, aus der Betäubung
erwacht, sich seiner Perzeptionen bewußt wird, so muß man doch wohl
auch unmittelbar vorher welche gehabt haben, obwohl man sich ihrer nicht bewußt
war. Denn eine Perzeption kann natürlicherweise
nur aus einer anderen Perzeption entstehen, wie
eine Bewegung natürlicherweise nur aus einer Bewegung
entstehen kann.
Ergänzungen aus der Theodizee
403. Die Tätigkeit der geistigen Automaten, d. h. der
Seelen, ist durchaus nicht mechanisch, aber sie enthält eminenter das Schöne
der Mechanik: die von den Körpern ausgeführten Bewegungen sind durch
die Vorstellung darin zusammengedrängt, wie in einer idealen Welt, welche
die Gesetze der wirklichen Welt und ihre Folgen ausdrückt, nur mit jenem
Unterschiede von der vollkommenen idealen, in Gott vorhandenen Welt, daß
ihre meisten Perzeptionen verworren sind. Jede einfache Substanz enthält
nämlich in ihren verworrenen Vorstellungen oder Gefühlen das Universum,
,und die Reihenfolge dieser Perzeptionen wird durch die besondere Natur jener
Substanz geregelt, aber so, daß sie stets die ganze universelle Natur
ausdrückt: und jede gegenwärtige Perzeption strebt zu einer neuen
Perzeption, wie jede durch sie repräsentierte Bewegung auf eine andere
Bewegung abzielt. Die Seele kann je¬doch unmöglich ihre ganze Natur
deutlich erkennen und es sich zum Bewußtsein bringen, wie jene zahllose
Menge kleiner Perzeptionen, die in ihr angehäuft oder besser konzentriert
ist, in ihr gebildet werden: dazu müßte sie das ganze darin enthaltene
Universum vollkommen erkennen, das heißt sie müßte ein Gott
sein.
24.) Man sieht daraus, daß wir immer im Zustande der Betäubung
sein würden, wenn wir in unseren Perzeptionen nichts Deutliches und gewissermaßen
Hervorgehobenes hätten, von dem ein stärkerer Reiz ausgeht. Tatsächlich
ist das der Zustand der ganz bloßen Monaden.
25.) Daß die Natur auch den Tieren solche hervorgehobene Perzeptionen
gegeben hat, sehen wir aus der vielfältigen Sorge, welche sie auf die Erzeugung
von Organen verwendete, die mehrere Lichtstrahlen oder Luftwellen zusammenfassen,
damit sie durch ihre Vereinigung eine stärkere Wirksamkeit erzielen. Etwas
Ähnliches findet im Geruch, Geschmack, Getast und vielleicht noch in vielen
anderen Sinnen statt, die uns unbekannt sind. Auch werde ich bald erklären,
wie das, was in der Seele vorgeht, das vorstellt, was in den Organen geschieht.
Gedächtnis
26.) Das Gedächtnis liefert den Seelen eine
Art von Verkettung, welche die Vernunft nachahmt, aber von dieser unterschieden
werden muß. So sehen wir, daß die Tiere, wenn sie irgend
etwas perzipieren, das einen lebhaften Eindruck auf sie macht und von dem sie
schon früher eine ähnliche Perzeption gehabt haben, infolge der Vorstellung
ihres Gedächtnisses dasjenige erwarten, was bei jener früheren Perzeption
damit verbunden war, und daß sie zu ähnlichen Gefühlen neigen
wie damals. Zeigt man zum Beispiel den Hunden den Stock, so erinnern sie sich
des Schmerzes, den er ihnen verursacht hat, und heulen und laufen davon.
Ergänzungen aus der Theodizee
65. Um endlich die
Frage nach der Spontaneität zum Abschluß zu bringen, so
muß man sagen, daß die Seele, ganz wörtlich aufgefaßt,
hierin das Prinzip aller Handlungen und sogar aller Leidenschaften besitzt,
und daß das nämliche für alle einfachen Substanzen gilt, die
in der ganzen Natur verbreitet sind, wenn auch Freiheit nur den mit Intelligenz
ausgestatteten Substanzen zukommt. Nach gewöhnlichem Sprachgebrauch und
nach dem Augenschein können wir indessen sagen, die Seele sei in gewisser
Hinsicht vom Körper und von den Sinneneindrücken abhängig: ungefähr
so wie wir nach gewöhnlichem Sprachgebrauch mit Ptolemäus und Tycho
de Brahe reden, aber mit Copernicus denken, wenn es sich um den Aufgang und
Untergang der Sonne handelt.
27.) Die Heftigkeit der Einbildung, die sie dabei überfällt
und in Bewegung bringt, kommt entweder von der Stärke oder von der Menge
der früheren Perzeptionen. Denn oft bringt ein starker Eindruck auf einen
Schlag dieselbe Wirkung hervor wie eine lange Gewohnheit oder viele wiederholte
Perzeptionen von mittelmäßiger Stärke.
28.) Die Menschen handeln wie die unvernünftigen Tiere, insoweit die Verkettungen
ihrer Perzeptionen lediglich nach dem Prinzip des Gedächtnisses erfolgen.
So ähnlich ist es bei den empirischen Ärzten, die einfach Praxis haben,
aber keine Theorie; wir alle sind bei drei Vierteln unserer Tätigkeiten
nur solche Empiriker. Erwartet man zum Beispiel, daß es morgen wieder
Tag werden wird, so verfährt man bei dieser Annahme empirisch: es ist eben
bis jetzt immer so geschehen. Nur der Astronom urteilt darüber nach Vernunftgründen.
Vernunftgebrauch
29.) Die Erkenntnis der notwendigen und ewigen
Wahrheiten aber ist es, was uns von den bloßen Tieren unterscheidet und
in den Besitz der Vernunft und der Wissenschaft setzt, indem sie uns zur Erkenntnis
unsrer selbst und Gottes erhebt. Eben dieses ist es, was man in uns als
vernünftige Seele oder Geist bezeichnet.
30.) Durch die Erkenntnis der notwendigen Wahrheiten und durch ihre Abstraktionen
werden wir auch zu den reflexiven Akten erhoben, die uns den Gedanken »Ich«
fassen und Betrachtungen darüber anstellen lassen, daß dieses
oder jenes »in uns« ist. Indem wir
unsere Gedanken auf uns selbst richten, richten wir sie auch auf das »Sein«,
auf die »Substanz«, auf »Einfaches«
und »Zusammengesetztem«, auf
»Unstoffliches« und selbst auf »Gott«,
insofern wir das, was in uns beschränkt ist, in ihm als unbeschränkt
begreifen. Jene reflexiven Akte liefern somit die Hauptgegenstände unseres
Vernunftgebrauches.
31/32.) Dieser Vernunftgebrauch gründet sich auf zwei große Prinzipien:
Erstens auf das Prinzip
des Widerspruchs, kraft dessen wir für
falsch erklären, was einen Widerspruch in sich enthält, und für
wahr, was dem Falschen entgegengesetzt ist oder ihm widerspricht.
Ergänzungen aus der Theodizee
367. Tatsächlich entspringt die Verwirrung meistenteils
nur aus der Zweideutigkeit der Worte und aus der geringen Sorgfalt, die man
anwendet, um sie auf deutliche Vorstellungen zu bringen. Daraus entstehen diese
ewigen, fast immer mißverstandenen Streitigkeiten über Notwendigkeit
und Zufälligkeit, über Möglichkeit und Unmöglichkeit. Vorausgesetzt
jedoch, man versteht, wie Notwendigkeit und Möglichkeit, im exakt metaphysischen
Sinne genommen, einzig und allein von der Frage abhängen, ob der Gegenstand
an sich oder sein Gegenteil einen Widerspruch involviert oder nicht; und man
erwägt, wie sehr die Zufälligkeit mit den Neigungen oder mit den zur
Willensentscheidung beitragenden Gründen übereinstimmt; vorausgesetzt
weiter, man weiß zwischen der Notwendigkeit und zwischen der Determination
oder Gewißheit, zwischen der metaphysischen, keine Wahl freilassenden
und nur ein einziges mögliches Objekt darbietenden Notwendigkeit und der
moralischen Notwendigkeit, welche die höchste Weisheit zur Wahl des Besten
zwingt, richtig zu unterscheiden …
Zweitens auf das Prinzip
des zureichenden Grundes, kraft dessen wir
erwägen, daß keine Tatsache wahr oder exististent sein kann, keine
Aussage für wahrhaftig befunden werden kann, ohne daß ein Grund vorhanden
ist, warum es gerade so sein muß und nicht anders sein kann- ,
obwohl uns diese Gründe in den meisten Fällen ganz und gar unbekannt
sein mögen.
Ergänzungen aus der Theodizee
44. Indessen macht die objektive Gewißheit oder die Vorherbestimmung
nicht die Notwendigkeit der vorher bestimmten Wahrheit aus. Das geben alle Philosophen
zu, indem sie zwar die Wahrheit kommender Zufälle für bestimmt halten,
sie aber trotzdem zufällig bleiben lassen Auch wenn die Wirkung nicht erfolgt,
schließt die Sache selbst keinen Widerspruch ein; gerade darin besteht
ja die Zufälligkeit. Um dies besser zu verstehen, muß man zwei Grundprinzipien
unseres Vernunftgebrauchs unterscheiden: einmal das Prinzip des Widerspruchs
nach welchem von zwei entgegengesetzten Behauptungen die eine wahr, die andere
falsch sein muß, sodann das Prinzip des zureichenden Grundes: daß
niemals etwas ohne eine Ursache oder wenigstens ohne einen bestimmten Grund
geschieht. d. h. ohne einen gewissen Grund a priori, warum etwas existiert
und nicht lieber nicht existiert und warum es lieber auf diese als auf jede
andere Weise existiert. Dieses wichtige Prinzip gilt für alle Ereignisse,
und es läßt sich kein gegenteiliges Beispiel dafür anführen:
obgleich uns für gewöhnlich diese zureichenden Gründe nicht genügend
bekannt sind, so sehen wir doch ein, daß immer solche Gründe vorhanden
sein müssen. Wir würden ohne dieses große Prinzip niemals die
Existenz Gottes beweisen können und eine Unmenge richtiger und nützlicher
Erwägungen, deren Grundlage es darstellt, verlieren: es duldet keine Ausnahme,
weil damit seine Kraft geschwächt würde. Auch gibt es nichts Schwächeres
als diese Systeme, in denen alles wankt und alles Ausnahmen zuläßt.
Diesen Fehler besitzt das von mir vertretene System nicht, in welchem alles
von allgemeinen Regeln abhängt, die sich untereinander bedingen.
33.) Es gibt auch zwei Arten von Wahrheiten:
Vernunftwahrheiten und Tatsachenwahrheiten.
Die Vernunftwahrheiten sind notwendig und ihr Gegenteil ist unmöglich;
die Tatsachenwahrheiten sind zufällig und ihr Gegenteil
ist möglich.
Wenn eine Wahrheit notwendig ist, so kann man ihren Grund durch Analyse finden,
indem man sie in einfachere Ideen und Wahrheiten auflöst, bis man schließlich
zu den elementaren Grundwahrheiten gelangt.
Ergänzungen aus der Theodizee
189. Um nun auf die Befürchtungen des Herrn Bayle hinsichtlich
der Stratoniker zu kommen, wenn man nämlich von Gottes Willen unabhängige
Wahrheiten annimmt, so fürchtet er scheinbar, daß sie die vollkommene
Regelmäßigkeit der ewigen Wahrheiten gegen uns geltend machen: denn
diese Regelmäßigkeit stammt allein aus der natürlichen Notwendigkeit
der Dinge und wird von keinem Bewußtsein geleitet, und darum befürchtet
Herr Bayle, daß man daraus mit Straton folgern kann, die Welt könne
auch durch eine blinde Notwendigkeit regelmäßig gebildet werden.
Es ist jedoch nicht schwer darauf zu antworten: In der Region der ewigen Wahrheiten
finden sich auch alle Möglichkeiten und infolgedessen das Regelmäßige
wie das Unregelmäßige: eines Grundes bedarf es daher, um Ordnung
und Regelmäßigkeit herauszuheben, und dieser Grund läßt
sich nur in einem Verstande finden. Ja noch mehr, diese Wahrheiten können
gar nicht ohne einen sie wissenden Verstand bestehen; denn es würde sie
nicht geben, wenn es keinen göttlichen Verstand gäbe, in dem sie sich,
sozusagen realisiert finden. Daher kommt Straton nicht zum ersehnten Ziel, das
Bewußtsein vom Ursprung der Dinge auszuschließen.
190. Die Schwierigkeit, die Bayle bei Straton fürchtet,
erscheint mir etwas zu subtil und gesucht. Man bezeichnet so etwas als:
timere, ubi non est timor [Furcht
haben, wo nichts zu fürchten ist]. Er stellt noch eine
andere, nicht besser begründete, auf. Gott soll nämlich einer Art
Fatum unterworfen sein. Er äußert sich folgendermaßen: »Gibt
es Sätze von ewiger Wahrheit, die es ihrer Natur nach und nicht durch göttliche
Verfügung sind, beruht ihre Wahrheit also nicht auf einem freien Entschluß
seines Willens, sondern hat er sie im Gegenteil mit Notwendigkeit als wahr anerkannt,
weil sie dies ihrer Natur nach waren, so liegt hier eine Art Fatum vor, dem
er unterworfen ist, eine absolut unübersteigliche natürliche Notwendigkeit.
Daraus resultiert auch, daß der göttliche Verstand in der Unendlichkeit
seiner Ideen immer und beim ersten Blick ihre vollkommene Übereinstimmung
mit ihren Gegenständen erkannt hat, ohne von irgendeinem Wissen hierbei
geleitet zu werden; denn es wäre widersprechend, daß Gott bei seinen
Verstandesakten von irgendeiner zugrunde liegenden vorbildlichen Ursache geleitet
worden sei. Auf diese Weise würde man niemals zu den ewigen Ideen gelangen,
noch zu einer ersten Intelligenz. Also muß man sagen, daß eine mit
Notwendigkeit existierende Natur stets das richtige trifft, ohne daß es
ihr gezeigt worden; und wie soll man dann noch den Trotz eines Stratonikers
brechen?«
191. Aber auch hierauf läßt sich leicht antworten:
dieses angebliche Fatum, das sogar die Gottheit zwingt, ist nichts anderes als
die Natur Gottes selbst, sein eigener, seine Weisheit und Güte regelnder
Verstand; es ist eine glückliche Notwendigkeit, und ohne sie gäbe
es nichts Gutes und Weises. Will man etwa, Gott soll nicht gezwungen sein, vollkommen
und glücklich zu sein? Ist etwa unser dem Irrtum ausgesetzter Zustand beneidenswert?
Und würden wir ihn nicht aus vollem Herzen gegen den Zustand der Sündlosigkeit
eintauschen, wenn es in unserer Macht stände? Man muß sehr mit Bitterkeit
erfüllt sein, wenn man sich die Freiheit, auch ins Verderben stürzen
zu können, wünscht, und es beklagt, daß Gott sie nicht besitzt.
Herr Bayle gebraucht a. a. O. selbst diese Gründe gegen die, welche eine
übertriebene Freiheit in den Himmel erheben und sie in den Willen verlegen,
wenn sie sie von der Vernunft unabhängig machen wollen.
34.) Auf diese Weise werden bei den Mathematikern die theoretischen
Lehrsätze und die praktischen Regeln durch die Analyse auf Definitionen,
Axiome und Postulate zurückgeführt.
35.) Am Ende gibt es einfache Ideen, von denen man keine Definition geben kann.
Ferner gibt es Axiome und Postulate oder mit einem Wort elementare Prinzipien,
die nicht bewiesen werden können und auch gar keines Beweises bedürfen.
Es sind das die identischen Aussagen, deren Gegenteil einen ausdrücklichen
Widerspruch enthält.
36.) Aber der zureichende Grund muß sich
auch bei den zufälligen oder Tatsachenwahrheiten finden, d. h. in der Folge
und im Zusammenhang der erschaffenen Gegenstandswelt. Hier kann die Aufspaltung
in einzelne Gründe wegen der unermeßlichen Verschiedenheit der Naturdinge
und wegen der unendlichen Zerteilung der Körper allerdings in eine Vermannigfaltigung
ohne Grenzen gehen. Es sind unendlich viele Figuren und Bewegungen, gegenwärtige
und vergangene, welche die bewirkende Ursache meiner gegenwärtigen Schrift
ausmachen; und es sind unendlich viele kleine Neigungen und Stimmungen meiner
Seele, gegenwärtige und vergangene, welche ihren Finalgrund bilden.
Ergänzungen aus der Theodizee
367. … Der Weise handelt immer nach Prinzipien, er handelt
immer nach Regeln und niemals nach Ausnahmen, außer wenn Regeln entgegengesetzter
Tendenz aufeinander stoßen und die stärkste den Sieg behält;
sonst würden sie sich gegenseitig hindern oder es würde eine dritte
Entscheidung daraus resultieren. In all diesen Fällen ist die Ausnahme
durch eine andere Regel begründet, und es gibt für den stets regelmäßig
Handelnden keinerlei ursprüngliche Ausnahmen.
Gottesbegriff
und Gottesbeweis
37.) Da nun diese ganze Mannigfaltigkeit voller Zufälligkeiten
steckt, die noch weiter zurückliegen oder noch speziellerer Art sind, und
von denen jede zu ihrer Begründung wieder eine ähnliche Zergliederung
erfordert, so kann man durch die Analyse zu keinem Ende
kommen. Es muß vielmehr der wahrhaft zureichende
oder letzte Grund außerhalb der Folge oder der Folge-Reihen von
mannigfaltigen Zufälligkeiten liegen, so unbegrenzt jener Zusammenhang
auch sein mag.
38.) Somit muß der letzte Grund der Dinge in der
Aktivität einer notwendigen Substanz liegen, in welcher die vielfältigen
Veränderungsmöglichkeiten in der besonderen Erscheinungsweise lediglich
in eminenter Weise als ihrem Quell enthalten ist.
Diese Substanz nennen wir Gott.
Ergänzungen aus der Theodizee
7. Gott ist die erste Ursache aller Dinge: denn die beschränkten
Dinge, wie alles, was wir sehen und erfahren, sind zufällig und besitzen
nichts, was ihnen notwendige Existenz verleiht; ist es doch offenbar, daß
Zeit, Raum und Materie, an sich einheitlich und gleichförmig und gegen
alles gleichgültig, andere Bewegungen und Gestalten in anderer Anordnung,
erhalten konnten. Es gilt also, den Grund für die Existenz der Welt, als
den Zusammenschluß aller zufälligen Dinge, aufzusuchen, und zwar
in der Substanz, die den Grund ihrer Existenz in sich selbst trägt und
die darum notwendig und ewig ist. Diese Ursache muß mit Verstand begabt
sein: denn die existierende Welt ist zufällig, und unendlich viele andere
Welten sind ebenso möglich und streben sozusagen ebenso wie sie nach der
Existenz. Daher muß die Ursache der Welt auf alle Welten Rücksicht
oder Bezug genommen haben, will sie eine von ihnen zur Existenz bestimmen. Diese
Rücksicht oder Beziehung einer existierenden Substanz auf bare Möglichkeiten
kann nichts anderes als der sie vorstellende Verstand, und das Herausgreifen
einer derselben nichts anderes als der sie erwählende Willensakt sein.
Die Macht dieser Substanz gibt dem Willen Wirksamkeit. Die Macht geht auf das
Sein, die Weisheit oder der Verstand auf das Wahre, der Wille auf das Gute.
Diese mit Verstand begabte Ursache muß außerdem in jeder Weise unendlich
sein, ihre Macht, Weisheit und Güte müssen unbedingt vollkommen sein;
denn sie umfaßt jede Möglichkeit. Da alles miteinander in Verbindung
steht, so läßt sich auch nicht mehr als eine Ursache annehmen. Ihrem
Verstande entquillt jede Wesensbeschaffenheit, ihr Wille ist Ursprung jeder
Existenz. Dies ist in wenigen Worten der Beweis für einen einzigen Gott,
für seine Vollkommenheiten und für die Entstehung der Dinge aus ihm.
39.) Da nun diese Substanz ein zureichender Grund für die besonderen
Eigenarten in der gesamten Vielfalt ist, und diese allenthalben in Verbindung
und Zusammenhang stehen, so gibt es nur einen Gott, und
dieser Gott ist zureichend.
40.) Da diese höchste Substanz
einzig, allumfassend und notwendig ist, kann es außerhalb ihrer
nichts geben, das von ihr vollkommen unabhängig möglich wäre,
und weil sie eine einfache Folge des möglichen Seins ist, so kann sie unmöglich
außerhalb ihres Wesens durch Schranken eingeengt werden, sondern sie muß
vielmehr so viel Realität wie überhaupt
nur möglich in sich selbst enthalten.
41.) Daraus folgt dann, daß Gott absolut vollkommen
ist, da Vollkommenheit im strengen Sinne nichts anderes ist als die Größe
der positiven Realität, indem man bei den endlichen Dingen die Grenzen
oder Schranken gedanklich verschwinden läßt. Wo außerhalb
gar keine Schranken existieren, so wie bei Gott, ist die Vollkommenheit absolut
unendlich.
Ursprung
der Übel
42.) Weiter folgt daraus, daß die Geschöpfe
ihre Vollkommenheiten dem Einflusse Gottes
verdanken, ihre Unvollkommenheiten jedoch von ihrer eigenen
Natur haben, die nicht ohne Schranken werden kann. Dadurch
nämlich unterscheiden sie sich von Gott. (Diese ursprüngliche
Unvollkommenheit der Geschöpfe macht sich in der natürlichen Trägheit
der Körper bemerkbar.)
Ergänzungen aus der Theodizee
20. Man muß jedoch noch auf die
mehr spekulativen und metaphysischen Schwierigkeiten eingehen, die es mit der
Ursache des Bösen zu tun haben und von uns schon angedeutet wurden. Zunächst
fragt man, woher das Böse kommt? Si Deus est,
unde malum, si non est, unde bonum [Wenn Gott ist,
woher kommt dann das Übel, und wenn er nicht ist, woher kommt dann das
Gute]. Die Alten verlegten die Ursache des Bösen in die
Materie, die sie für unerschaffen und von Gott unabhängig
hielten; aber wo finden wir, die wir alles Sein von Gott herleiten, die Quelle
des Bösen? Wir antworten, man muß sie in der idealen Natur des Geschöpfes
aufsuchen, soweit diese Natur in den ewigen Wahrheiten des göttlichen Verstandes,
unabhängig von seinem Willen, enthalten ist. Es gibt nämlich
in der Kreatur eine ursprüngliche Unvollkommenheit vor aller
Sünde, weil Begrenzung zum Wesen der Kreatur gehört: daher kann sie
nicht alles wissen - sich täuschen und andere Fehler begehen. Plato sagt
im Timäus, der Verstand im Bunde mit der Notwendigkeit sei der Ursprung
der Welt. Andere haben Gott und Natur verbunden. Hierin liegt etwas Richtiges.
Gott ist Verstand und die Notwendigkeit, d. h. die wesentliche Natur der Dinge,
soweit sie in ewigen Wahrheiten besteht, ist Gegenstand des Verstandes. Aber
dieser Gegenstand ist ein innerer und findet sich im göttlichen Verstande.
Und hier findet sich die ursprüngliche Form des Guten, aber auch der Ursprung
des Bösen: die Region der ewigen Wahrheiten
gilt es an die Stelle der Materie zu setzen, wenn man den Quell aller Dinge
sucht. Diese Region ist (um uns so auszudrücken) der
Idealgrund des Bösen wie des Guten: aber im strengen Sinne
ist die Formalursache des Bösen nicht als wirkende Ursache aufzufassen;
denn wir werden sehen, daß es in der Beraubung, das heißt in dem
von der wirkenden Ursache nicht getanen,
besteht. Darum pflegten die Scholastiker die Ursache des Bösen deficiens
zu nennen.
21. Man kann das Übel im metaphysischen, physischen und
moralischen Sinne auffassen. Das metaphysische
Übel besteht in der einfachen Unvollkommenheit, - das physische
im Leiden und das moralische in der Sünde. Obwohl nun das physische und
moralische Übel nicht notwendig sind, so genügt ihre Möglichkeit
auf Grund der ewigen Wahrheiten. Und da diese ungeheure Region der Wahrheiten
alle Möglichkeiten umschließt, so muß es unendlich viele mögliche
Welten geben, muß das Übel in mehrere von ihnen Eingang finden, und
muß die beste von allen Welten es enthalten: hierdurch ist Gott bestimmt
worden, das Übel zuzulassen.
151. … Der Mensch ist selbst die Quelle der Übel: so wie er ist,
war er in der göttlichen Vorstellung. Bewogen durch unaufhebbare Gründe
seiner Weisheit, hat sich Gott entschieden, daß er so wie er ist zum Dasein
gelangen sollte. Herr Bayle würde vielleicht hierbei auf diesen Ursprung
des Übels gekommen sein, den ich aufgestellt habe, wenn er die göttliche
Weisheit mit seiner Allmacht, Güte und Heiligkeit in Verbindung gebracht
hätte. Im Vorbeigehen will ich hierzu bemerken, daß unter seiner
Heiligkeit nichts anderes zu verstehen ist als der höchste
Grad seiner Güte, wie das ihm entgegentretende Verbrechen den stärksten
Grad des Übels darstellt.
152. Herr Bayle läßt den griechischen Philosophen
Melissos, einen Verfechter des Einheitsprinzips (und vielleicht sogar der Einheit
der Substanz) mit Zoroaster als dem Begründer des Dualismus kämpfen.
Zoroaster gibt zu, daß die Hypothese des Melissos der Ordnung und den
Gründen a priori entsprechender sei, aber er leugnet, daß
sie mit der Erfahrung und den Gründen a posteriori in Einklang stehe. »Ich
bin Dir«, sagt er, »in der Erklärung
der Erscheinungen überlegen, und das ist das Haupterfordernis eines guten
Systems«. Meiner Meinung nach ist es jedoch eine sehr schlechte
Erklärung einer Erscheinung, wenn man für sie ein besonderes Prinzip
benötigt: dem Bösen ein principium maleficum, der Kälte
ein primum frigidum zuerteilt: nichts leichter, nichts platter als
dies! …
153. Von der gleichen
Art ist die Erklärung der Ursache des Übels durch ein besonderes Prinzip,
per principium maleficum. Das Übel bedarf dessen ebensowenig,
ja noch weniger als Kälte und Finsternis: es gibt kein primum frigidum
und kein Prinzip der Finsternis. Das Übel stammt allein aus Privation;
das Positive tritt nur begleitweise auf, wie das wirksame Prinzip der Kälte
begleitweise auftritt. […] Zufällig
also involviert die Beraubung Tätigkeit und Kraft. Schon oben habe ich
nachgewiesen, wie die Beraubung zur Erzeugung des Irrtums und der Bosheit genügt,
und wie Gott genötigt ist, sie zu dulden, ohne dabei selbst bösartig
zu sein. Das Übel stammt aus Beraubung, das Positive und Aktive in ihm
wird zufällig erzeugt, wie die Kraft von der Kälte erzeugt wird.
167. … alle die da bekennen, daß Gott den besten
Plan gefaßt und ihn aus allen möglichen Vorstellungen des Universums
erwählt hat, daß der Mensch zu diesem Plane gehört, Mißbrauch
mit seinem freien Willen treibend und sich ins Elend stürzend, daß
Gott die Sünde und das Elend hindert, soweit es die Vollkommenheit des
Universums, die nur ein Ausfluß seiner Vollkommenheit ist, zuläßt;
alle diese, sage ich, zeigen klar und deutlich, daß die Absicht Gottes
die gerechteste und heiligste ist, die es nur geben kann, daß die Kreatur
allein schuldig ist, daß ihre Beschränkung oder angeborene Unvollkommenheit
Quelle ihrer Bosheit und ihr schlechter Wille alleinige Ursache ihres Elends
ist, daß man nicht zum Heile bestimmt sein kann, ohne auch zur Heiligkeit
der Gotteskinder berufen zu sein, und daß alle Hoffnung darauf, zu den
Erwählten zu gehören, sich nur auf den guten Willen stützen kann,
den man durch Gottes Gnade in sich spürt.
377. Wir haben, wie es scheint, deutlich genug gezeigt, daß
weder das Vorherwissen noch die Vorsehung Gottes seiner Gerechtigkeit und Güte
sowie unserer Freiheit schaden können. Es bleibt nur noch die aus der Mitwirkung
Gottes bei den Handlungen der Kreatur stammende Schwierigkeit, die in bezug
auf unsere schlechten Handlungen seine Güte, in bezug auf unsere guten
wie auch auf alle anderen Handlungen dagegen unsere Freiheit näher zu berühren
scheint. Auch sie hat Herr Bayle mit seinem gewöhnlichen Scharfsinn geltend
gemacht. Wir wollen versuchen, die von ihm vorgebrachten Schwierigkeiten zu
klären, und dann werden wir imstande sein, dieses Werk abzuschließen.
Wie ich schon festgestellt habe, besteht die Mitwirkung Gottes darin, uns dauernd
die in uns und unseren Handlungen enthaltene Realität zu verleihen, soweit
sie Vollkommenheit involviert; das darin enthaltene Begrenzte und Unvollkommene
ist jedoch eine Folge der voraufgehenden Beschränkungen, die der Kreatur
angeboren sind. Und wie jede Handlung der Kreatur ein Wechsel ihrer Modifikationen
ist, so ist es einleuchtend, daß auch die Handlung der Kreatur ihren Begrenzungen
oder Negationen entstammt, die sie enthält und die durch diesen Wechsel
verändert werden.
378. Schon mehr als einmal habe ich in diesem Werke darauf
hingewiesen, daß das Übel eine Folge der Privation ist, und ich glaube
dies deutlich genug entwickelt zu haben. Schon der Heilige Augustin hat diesen
Gedanken vertreten, und der Heilige Basilius sagt ähnliches in seinen Hexaemeron,
Homil. 2: »daß das Laster keine lebendige,
beseelte Substanz sei, sondern eine der Tugend entgegengesetzte Affektion der
Seele, die daher rührt, daß man vom Guten läßt, sodaß
man also durchaus kein ursprüngliches Übel zu suchen braucht.«
Herr Bayle erwähnt diesen Passus in seinem Wörterbuch (Artikel Paulicianer,
Buchstabe D, p. 2325), und die Bemerkung des Herrn Pfanner (den er als einen
deutschen Theologen bezeichnet, er ist aber Rechtsgelehrter von Beruf und Rat
der Herzöge von Sachsen), welcher den Heiligen Basilius deswegen tadelt,
weil er Gott als den Urheber des Bösen nicht anerkennen wollte. Er ist
es zweifelsohne, sowie man das moralische Übel als existierend annimmt:
im absoluten Sinne könnte man jedoch behaupten, Gott habe das physische
Übel als Folge zugelassen, indem er das moralische Übel, seine Quelle,
zuließ. Auch die Stoiker scheinen die geringfügige Wesenheit des
Übels erkannt zu haben, wie aus den Worten Epiktets hervorgeht:
»Sicut aberrandi causa meta non ponitur, sie nec natura mali in mundo
existit« [So wie beim Wettlauf die
Spitzsäule nicht aufgerichtet ist, um sie zu verfehlen, so gibt es auch
in der Welt keine Natur des Bösen]
379. Es war also durchaus nicht nötig, auf ein Prinzip
des Bösen zurückzugreifen, wie der Heilige Basilius nachdrücklich
hervorhebt. Noch weniger braucht man den Ursprung des Bösen in der Materie
zu suchen. Wer da an ein Chaos vor dem göttlichen Wirken glaubt, sucht
darin die Quelle der Unordnung. Diese Ansicht hatte Plato in seinem Timäus
aufgestellt. Aristoteles tadelt ihn deswegen (in seinem dritten Buch vom Himmel,
Kap. 2), da die Unordnung nach dieser Lehre ursprünglich und naturgemäß
sei und die Einführung der Ordnung widernatürlich. Dies hatte Anaxagoras
vermieden, indem er den Stoff solange in Ruhe verharren ließ, bis Gott
ihn in Fluß brachte; und deswegen lobt ihn Aristoteles am nämlichen
Orte. Nach Plutarch (de Iside et Osiride, und Tr. de animae procreatione
ex Timaeo) sprach Plato der Materie eine gewisse bösartige Seele oder
Kraft zu, die sich gegen Gott auflehne: das war eine wirkliche Mangelhaftigkeit,
ein Hindernis der göttlichen Pläne. Wie Justus Lipsius im ersten Buch
der Physiologie der Stoiker gezeigt, hielten auch die Stoiker die Materie für
die Quelle der Unvollkommenheiten.
380. Mit Recht verwirft Aristoteles das Chaos; es ist jedoch
nicht immer leicht, sich über die Ansicht Platos und noch weniger leicht,
sich über die Ansicht einiger anderer Alten, deren Werke verlorengegangen
sind, klar zu werden. Kepler, einer der ausgezeichnetsten modernen Mathematiker,
spricht der Materie eine Art Unvollkommenheit zu, selbst wenn es keine ungeregelte
Bewegung gibt: es ist diese ihre sogenannte natürliche
Trägheit, die ihr ein Widerstreben gegen die Bewegung verleiht
und durch die eine größere Masse bei ein und derselben Kraft eine
geringere Geschwindigkeit erhält. Diese Ansicht ist ganz gut begründet
und ich habe oben mit Vorteil davon Gebrauch gemacht, als ich in einem Vergleiche
zeigte, wie die ursprüngliche Unvollkommenheit der Kreaturen die Handlung
des Schöpfers, die auf das Gute abzielt, beschränkt. Da
jedoch die Materie selbst eine Wirkung Gottes ist, so kann sie nur zum Gleichnis
und Beispiel dienen und nicht selbst die Quelle des Bösen und der Unvollkommenheit
sein. Wie wir schon gezeigt haben, findet sich diese Quelle vielmehr
in den Formen oder Ideen als Möglichkeiten; denn sie muß ewig sein
und das ist die Materie nicht. Indem nun Gott alle positive, nicht ewige Realität
schuf, hätte er auch die Quelle des Bösen erschaffen, wenn sie nicht
eben in der Möglichkeit der Dinge oder Formen bestünde, des einzigen,
was Gott nicht geschaffen hat, da er nicht der Schöpfer seines eigenen
Verstandes ist.
381. Obwohl indessen die Quelle des Bösen in den möglichen
Formen besteht, die den göttlichen Willensakten vorhergehen, so bleibt
es nichtsdestoweniger wahr, daß Gott am Bösen mitwirkt durch die
wirkliche Einpflanzung dieser Formen in die Materie: und eben darin besteht
die Schwierigkeit, um die es sich hier handelt. Durand de St. Partien, der Kardinal
Aureolus, Nicolas Taurellus, der Pater Ludwig de Dole, Herr Bernier und andere,
die von dieser Mitwirkung reden, wollen sie nur allgemein aufgefaßt wissen,
aus Furcht, der menschlichen Freiheit oder der göttlichen Heiligkeit Abbruch
zu tun. Sie scheinen anzunehmen, daß Gott sich, nachdem er den Kreaturen
die Kraft zu handeln verliehen, mit der Erhaltung dieser Kraft begnüge.
Andererseits dehnt Herr Bayle, im Anschluß an mehrere andere moderne Autoren,
die göttliche Mitwirkung zu weit aus; er scheint zu fürchten, die
Abhängigkeit der Kreatur von Gott sei noch nicht groß genug. Er geht
so weit, den Kreaturen das Handeln überhaupt abzusprechen; er erkennt nicht
einmal einen wirklichen Unterschied zwischen Akzidenz und Substanz.
43.) Es ist auch wahr, daß in Gott nicht allein die Quelle der
Existenzen, sondern auch die der Wesenheiten ist, insoweit sie reell sind, d.h.
von demjenigen, was real in der Möglichkeit vorhanden ist. Denn der
Verstand Gottes ist die Region der ewigen Wahrheiten oder der Ideen, von denen
sie abhängen; ohne ihn könnte es nichts Reales in den Möglichkeiten
geben: es wäre somit nicht nur nichts Existierendes vorhanden , sondern
auch nichts Mögliches möglich.
44.) Wenn es eine Realität in den Wesenheiten oder
Möglichkeiten, oder auch in den ewigen Wahrheiten gibt, so muß diese
Realität in etwas Existierendem und Wirklichem gegründet
sein, folglich in der Existenz des notwendigen Wesens, bei welchem die Wesenheit
die Existenz in sich einschließt, oder bei dem es hinreicht, möglich
zu sein, um wirklich zu sein.
Ergänzungen aus der Theodizee
184. … Denn nach meiner Ansicht verschafft der göttliche
Verstand den ewigen Wahrheiten Wirklichkeit: wenn auch sein Wille keinen Anteil
daran hat. Jede Realität muß sich auf irgend etwas Existierendes
gründen. Allerdings kann auch ein Atheist Geometer sein, aber wenn es keinen
Gott gäbe, so gäbe es keinen Gegenstand der Geometrie. Ohne Gott gäbe
es nicht nur nichts Existierendes, sondern auch nichts Mögliches. Das hindert
jedoch nicht, daß diejenigen, die keinen Blick für die Verknüpfung
aller Dinge untereinander und mit Gott haben, bestimmte Wissenschaften nicht
trotzdem begreifen können, ohne ihren Ursprung in Gott zu erkennen. Aristoteles
hat diesen Ursprung zwar auch nicht erkannt, aber er hat trotzdem etwas Ähnliches
sehr Gutes bemerkt, wenn er erkannte, daß die ersten Grundsätze jeder
besonderen Wissenschaft sich von einer höheren Wissenschaft herleiten,
die ihnen eine vernünftige Begründung gibt: und diese höhere
Wissenschaft soll das Sein und infolgedessen Gott als Quelle des Seins zum Gegenstande
haben. …
45.) Somit hat Gott (oder
das notwendige Wesen) allein das Vorrecht, daß er notwendig existieren
muß, wenn er möglich ist. Da nun nichts die
Möglichkeit dessen hindern kann, was keine Schranken, keine Verneinung
und folglich auch keinen Widerspruch in sich schließt, so ist dies allein
schon hinreichend, um die Existenz Gottes a priori
zu erkennen. Wir haben sie auch durch die Realität der ewigen Wahrheiten
bewiesen. Aber auch a posteriori haben wir sie
weiter oben bewiesen, da zufällige Wesen existieren, welche ihren letzten
oder zureichenden Grund nur in dem notwendigen Wesen haben können, welches
den Grund seiner Existenz in sich selbst hat.
46.) Indessen darf man sich nicht mit einigen Philosophen einbilden, daß
die ewigen Wahrheiten, weil sie von Gott abhängen, eben darum auch
willkürlich und dem Willen Gottes unterworfen sind, wie
Descartes und später Herr Poiret angenommen zu haben scheinen. Das
gilt nur von den zufälligen Wahrheiten, deren Prinzip die Angemessenheit
oder die Wahl des Besten ist, während die notwendigen
Wahrheiten einzig und allein von dem Verstande Gottes abhängen und den
inneren Gegenstand desselben bilden.
Ständige
Schöpfung
47.) Somit ist Gott
allein die Ur-Einheit oder die Ur-Monade. Alle geschaffenen oder abgeleiteten
Monaden [»einfache, unteilbare,
nicht zusammengesetzte Ur-Einheiten«]
sind seine Erzeugungen und entstehen sozusagen
durch beständige Ausblitzungen der Gottheit
von Augenblick zu Augenblick - beschränkt durch die Aufnahmefähigkeit
des Geschöpfs, dem es wesentlich ist, begrenzt zu sein.
Ergänzungen aus der Theodizee
382. Im Verfolge der Lehre - nach der die Erhaltung eine ständige
Schöpfung ist – scheint der Kreatur überhaupt niemals Existenz
zuzukommen, sie wird stets geboren und stirbt stets wie die Zeit, die Bewegung
und andere sukzessive Entitäten. Das hat Plato von den materiellen, sinnlich
wahrnehmbaren Wesen geglaubt, wenn er sagt, sie befänden sich in immerwährendem
Flusse, semper fluunt, nun quam sunt. Aber über die immateriellen
Substanzen urteilte er ganz anders, ihnen allein sprach er Wirklichkeit zu:
worin er nicht ganz unrecht hatte. Die ständige Schöpfung betrifft
jedoch alle Kreaturen ohne Unterschied. Mehrere treffliche Philosophen haben
sich diesem Dogma widersetzt, und Herr Bayle berichtet, daß es David de
Rodon, ein unter den Franzosen Genfer Konfession berühmter Philosoph, ausdrücklich
widerlegt habe. Auch die Arminianer billigen es kaum, sie sind für diese
metaphysischen Subtilitäten nicht sehr eingenommen. Von den Sozinianern
will ich ganz schweigen, denn sie gewinnen ihnen noch weniger Geschmack ab.
383. Um die Frage,
ob die Erhaltung eine beständige Schöpfung sei,
gründlich zu prüfen, muß man sich die Gründe vor Augen
halten, auf die sich diese Lehre stützt. Die Cartesianer bedienen sich
nach dem Beispiele ihres Meisters zum Beweise eines nicht ganz schlüssigen
Prinzips. Sie sagen, »daß die Zeitmomente
keine notwendige Verbindung miteinander besitzen, und daß deshalb aus
der Tatsache, daß ich in diesem Augenblicke bin, gar nicht folgt, daß
ich im nächsten Augenblicke noch bestehen werde, wenn nicht die nämliche
Ursache, die mir für diesen Augenblick zum Sein verhilft, es mir nicht
auch im folgenden Augenblicke gibt«. Der Verfasser des »Avis
sur le tableau du Socianisme« bedient sich des gleichen Räsonnements
und Herr Bayle (der vielleicht der Autor dieses Avis ist) führt es an (Antworten
usw., Kap. 141, p. 771, Teil 3). Man kann antworten, in Wahrheit folge daraus,
daß ich jetzt bin, durchaus nicht mit Notwendigkeit,
daß ich sein werde, aber es erfolgt trotzdem natürlicherweise,
sozusagen von selbst, per se; wenn keine Gegengründe vorliegen. Das ist
der Unterschied, den man zwischen dem Wesentlichen und dem Natürlichen
machen kann, so wie z. B. dieselbe Bewegung auf natürliche Weise andauert,
wenn keine neue Ursache sie daran hindert oder sie abändert; denn wäre
der Grund, der sie in diesem Augenblicke zum Stillstand bringt, kein neuer,
dann hätte er sie schon längst zum Stillstand gebracht.
384. Der verstorbene Herr Erhard Weigel, der berühmte
Mathematiker und Philosoph zu Jena, bekannt durch seine Analysis
Euclidea, seine mathematische Philosophie, einige sehr hübsche mechanische
Erfindungen und endlich durch seine Bemühungen, die protestantischen Reichsfürsten
zur letzten Kalenderreform zu veranlassen, wovon er den Erfolg nicht mehr erlebt
hat; Herr Weigel, sage ich, teilte seinen Freunden einen gewissen Beweis für
die Existenz Gottes mit, der auf jene beständige Schöpfung herauskam.
Und da er zwischen Rechnung und Begründung Parallelen zu ziehen pflegte,
wie aus seiner arithmetisch begründeten Moral (rechenschafftliche
Sittenlehre) hervorgeht, so behauptete er, die Grundlage seiner Demonstration
wäre der Anfang der Pythagoräischen Tafel: einmal Eins ist Eins. Diese
wiederholten Einheiten waren die Momente der dinglichen Existenz, wobei jedes
Ding von Gott abhängt, der sozusagen alle Dinge außer ihm in jedem
Momente von neuem belebt. Und da sie in jedem Momente zusammenbrechen, so brauchen
sie immer jemand zu ihrer Wiederherstellung, und dies kann nur Gott allein sein.
Um dies eine Demonstration nennen zu können, bedarf es jedoch eines gründlicheren
Beweises. Man müßte den Beweis dafür antreten, daß die
Kreatur ständig aus dem Nichts hervorgeht und sofort wieder dorthin versinkt,
und vornehmlich muß man aufzeigen, daß das Vorrecht, auf Grund seiner
Natur einen Augenblick zu überdauern, nur dem notwendigen Wesen allein
zukommt. Auch die Schwierigkeiten über die Zusammensetzung des
Kontinuums gehören in diese Materie. Denn dieses Dogma scheint die
Zeit in Momente aufzulösen: während andere die Momente und Punkte
als einfache Modalitäten des Kontinuums betrachten, d. h. als äußerste
Endpunkte der darin bestimmten Teile und nicht als konstituierende Bestandteile.
Doch ist hier nicht die Gelegenheit, jenes Labyrinth zu betreten.
385. Was sich überhaupt Sicheres über den gegenwärtigen
Gegenstand sagen läßt, ist, daß die Kreatur stets und ständig
von der göttlichen Wirksamkeit abhängt, und daß sie nach ihrem
Beginn nicht weniger davon abhängt als bei ihrem Beginne. Aus dieser Abhängigkeit
ergibt sich, daß sie nicht zu existieren fortfahren würde, wenn Gott
nicht ebenfalls in seinen Handlungen fortführe; und schließlich,
daß diese göttliche Handlung frei ist. Denn wäre sie eine notwendige
Emanation, so etwa wie die Eigenschaften des Kreises aus seiner Wesensbeschaffenheit
herfließen, dann müßte man sagen, daß Gott die Kreatur
zuerst mit Notwendigkeit geschaffen oder besser, man müßte aufzeigen,
inwiefern er sich, als er die Kreatur einmal schuf, die Notwendigkeit auferlegte,
sie zu erhalten. Nun. liegt kein Grund vor, warum man die erhaltende Handlung
nicht Erzeugung und, wenn man will, sogar Erschaffung nennen könnte. Denn
da die Abhängigkeit nachher ebenso groß ist wie zu Beginn, so ändert
die äußerliche Bezeichnung, ob sie neu ist oder nicht, nichts an
ihrer Natur.
395. Was nun die angebliche Schöpfung der Akzidentien
anbetrifft, wer sieht da nicht, daß man gar keiner schöpferischen
Kraft bedarf, um den Platz oder die Gestalt zu verändern, um ein Quadrat
oder ein Rechteck, oder irgendeine andere Truppenaufstellung durch die Bewegung
der exerzierenden Soldaten zu bilden, so wie man, um eine Statue zu formen,
nur etliche Stücke eines Marmorblockes zu entfernen oder um eine Relieffigur
zu schaffen, nur ein Stück Wachs zu verändern, zu verkleinern oder
zu vergrößern braucht? Die Erzeugung der Modifikationen ist niemals
als Schöpfung bezeichnet worden: das hieße mit den Worten Mißbrauch
treiben und die Welt in Schrecken setzen. Gott erzeugt Substanzen aus nichts
und die Substanzen erzeugen Akzidentien durch die Veränderung ihrer Grenzen.
396. Was die Seelen oder substantiellen Formen anbetrifft,
so fügt Herr Bayle mit Recht hinzu, daß es für die, welche die
substantiellen Formen zu¬lassen, nichts Unbequemeres gibt, als den Einwand,
den man ihnen macht, daß sie nur auf dem Wege einer wirklichen Schöpfung
erzeugt werden können, und daß die Scholastiker Mitleid erwecken,
wenn sie darauf zu antworten suchen. Aber für mich, für mein System,
gibt es nichts Beque¬meres als diesen Einwand, da ich annehme, daß
alle Seelen, Entelechien, primitiven Kräfte, substantiellen Formen, einfachen
Substanzen, Monaden, oder wie auch immer man sie bezeichnen will, auf natürlichem
Wege weder entstehen noch vergehen können. Ich verstehe die Qualitäten
oder abgeleiteten Kräfte oder die sogenannten akzidentiellen Formen als
Modifikationen der ursprünglichen Entelechie genau in dem Sinne, wie die
Gestalten Modifikationen der Materie sind. Aus diesem Grunde befinden sich diese
Modifikationen in beständiger Veränderung, während die einfache
Substanz beharrt.
398. Ich bin jedoch der Ansicht des Paters
Malebranche, daß die Schöpfung, richtig verstanden, im allgemeinen
gar nicht so schwer annehmbar ist, wie man denken könnte, und daß
sie in gewisser Hinsicht schon in dem Begriff der Abhängigkeit der Kreaturen
enthalten ist. »Was sind die Philosophen doch stumpfsinnig
und lächerlich! (ruft er, Méditat. Chrétienn.
9, u. 3) wenn sie sich einbilden, die Schöpfung
sei unmöglich, weil sie nicht begreifen, daß die Allmacht Gottes
groß genug ist, um aus Nichts etwas zu schaffen. Aber begreifen sie etwa
besser, wie die göttliche Allmacht einen Strohhalm zu bewegen vermag?«
Sehr richtig fügt er noch hinzu (Nr. 5): »Wäre
die Materie unerschaffen, dann könnte Gott sie nicht bewegen und nichts
daraus gestalten. Denn Gott kann die Materie nicht bewegen und auch nicht mit
Weisheit ordnen, wenn er sie nicht erkennt. Gott vermag sie nicht zu erkennen,
wenn er ihr nicht Existenz verleiht: seine Erkenntnisse kann er nur aus sich
selbst gewinnen. Nichts kann auf ihn wirken oder ihn erleuchten«.
48.) In Gott ist
die Macht, welche die Quelle von Allem ist; sodann die Erkenntnis, welche die
Mannigfaltigkeit der Ideen enthält; schließlich der Wille, welcher
die Veränderungen oder Erzeugungen gemäß dem Prinzip des Besten
ins Werk setzt. In den geschaffenen Monaden entsprechen diese Attribute
dem individuellen Kern oder Fundament, dem Perzeptionsvermögen
[»Wahrnehmungsvermögen«]
und dem Begehrungsvermögen.
Aber in Gott sind diese Attribute absolut unendlich oder
vollkommen, während sie in den geschaffenen Monaden oder
Entelechien [»die
im Organismus wirkende Kraft, die seine Entwicklung zur Vervollkommnung treibt«]
(oder den Perfectihabies, wie Hermolaus
Barbarus dieses Wort übersetzt hat) nur mehr
oder weniger gelungene Nachahmungen davon sind, je nach dem
Grad ihrer Vollkommenheit.
Ergänzungen aus der Theodizee
149. Es
gibt wirklich zwei Prinzipien, aber sie sind beide in Gott, nämlich sein
Verstand und sein Wille. Der Verstand gibt das böse Prinzip, ohne dabei
seinen Glanz zu verlieren, ohne selbst böse zu werden; er stellt die Naturen
vor, wie sie sich in Gestalt ewiger Wahrheiten vorfinden und enthält den
Grund in sich, durch welchen das Böse zugelassen ist; der Wille jedoch
geht nur auf das Gute. Fügen wir noch ein drittes Prinzip hinzu, die Allmacht;
sie hat sogar den Vorrang vor dem Verstande und dem Willen, aber sie handelt
so wie es jener zeigt und dieser fordert.
150. Bei einigen (z. B. Campanella) heißen diese drei
göttlichen Vollkommenheiten die drei Primordialitäten. Mehrere waren
sogar der Ansicht, hierin läge eine verborgene Beziehung zur Heiligen Dreieinigkeit:
die Macht nämlich beziehe sich auf den Vater, d. h. auf den Quell der Göttlichkeit;
die Weisheit auf das ewige Wort, das bei dem erhabensten der Evangelisten Logos
genannt wird und der Wille oder die Liebe auf den Heiligen Geist. Fast alle
der Natur der intelligenten Substanz entnommenen Ausdrücke oder Vergleiche
kommen auf etwas derartiges hinaus.
Unterschiedliche
Vollkommenheitsgrade
49.) Man sagt von einem Geschöpf: es
wirkt nach außen, insoweit es Vollkommenheit
besitzt, und es leidet von einem anderen,
insoweit es unvollkommen ist. Ebenso spricht man
der Monade tätige Wirksamkeit zu, insoweit
sie deutlich perzipiert, und Leiden,
insoweit ihre Perzeptionen verworren sind.
Ergänzungen aus der Theodizee
31. Es besteht also eine ganz gleiche Beziehung zwischen dieser
und jener Handlung Gottes und diesem und jenem Leiden oder Empfangen der Kreatur,
die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nur so weit vervollkommnet wird,
wie es ihre sog. Rezeptivität gestattet. Sagt man, die Kreatur hänge
nur insofern von Gott ab, als sie existiert oder handelt, ja die Erhaltung sei
eine immerwährende Schöpfung, so heißt das, Gott gibt der Kreatur
und erzeugt dauernd immer nur das Positive, Gute und Vollkommene in ihr, da
jede vollkommene Gabe vom Vater des Lichtes kommt; während Unvollkommenheiten
und Mängel der Handlungen aus der ursprünglichen Begrenzung stammen,
die die Kreatur durch die sie beschränkenden idealen Gründe von Anbeginn
ihrer Existenz erhalten mußte. Gott konnte ihr nicht alles geben,
ohne sie zum Gott zu machen; er mußte also
stufenweise Unterschiede in der Vollkommenheit der Dinge und ebenso Beschränkungen
jeder Art geben.
32. … Zwar ist Gott der einzige dessen Tätigkeit
rein und unvermengt mit dem ist, was man leiden nennt, aber das hindert nicht,
daß auch die Kreatur an den Handlungen partizipiere, da das Handeln der
Kreatur eine Veränderung der Substanz ist, die auf natürliche Weise
aus ihr entsteht und nicht nur eine Änderung der von Gott dem Geschöpfe
erteilten Vollkommenheiten, sondern auch eine Änderung der Beschränkungen
einschließt, die das Geschöpf selbst beibringt, um das zu sein, was
es ist.
66. … Streng genommen stellt ja die Seele die sie umgebenden
Körper durch verworrene Gedanken vor. Dasselbe hat man unter den Handlungen
der einfachen Substanzen zu verstehen. Jede wirkt auf die andere entsprechend
ihrer Vollkommenheit. wenn auch nur ideal und uranfänglich, als Gott eine
Substanz nach der anderen gerichtet hat und dabei der in ihnen vorhandenen Vollkommenheit
oder Unvollkommenheit gefolgt ist; obwohl Handlung und Leiden der Kreaturen
sich immer entsprechen, da sich der eine Teil der Gründe, welche dazu dienen,
das Geschehen deutlich zu entwickeln, und dazu gedient haben, ihm zur Existenz
zu verhelfen, sich in der einen von diesen beiden Substanzen und ein anderer
Teil dieser Gründe in der anderen befindet, und infolgedessen Vollkommenheiten
und Unvollkommenheiten stets vermengt und verteilt sind. Darum erteilen wir
der einen Aktivität, der anderen Passivität zu.
50.) Auch ist ein Geschöpf
vollkommener als ein anderes,
insofern man in ihm den Grund a priori von demjenigen
findet, was in einem anderen vorgeht. Und in dieser
Beziehung sagt man eben, daß es auf das andere
wirke.
51.) Aber bei den einfachen
Substanzen findet nur ein
idealer Einfluß der einen Monade auf die andere statt,
welcher seinen Erfolg nur durch die Dazwischenkunft
Gottes haben kann, insofern nämlich in den
Ideen Gottes jede Monade mit Grund verlangt, daß Gott von Anbeginn der
Dinge bei der Ordnung der anderen Monaden auf sie Rücksicht nimmt. Denn
da eine geschaffene Monade keinen physischen Einfluß
auf das Innere der anderen haben kann, so kann
nur durch dieses Mittel die eine von der anderen abhängig sein.
Ergänzungen
aus der Theodizee
9. …Wissen muß man, daß in jeder möglichen
Welt alles miteinander in Verbindung steht: jedwedes Universum ist ein Ganzes
aus einem Stück, gleich dem Ozean; die geringste Bewegung breitet sich
in beliebige Entfernung aus, wenn sie auch schwächer und schwächer
wird entsprechend dieser Entfernung: so hat Gott ein für allemal alles
im voraus geregelt, er, der die Gebete, die guten und schlechten Handlungen
und alles andere voraussah; und jedes wurde. Darum kann
in der Welt nichts ohne Schaden an seiner Wesensart, oder (wie bei einer Zahl),
wenn man will, an seiner numerischen Individualität verändert werden.
54. Man kann auch sagen, wenn alles derart
bestimmt ist, vermag Gott keine Wunder zu tun. Allein die Wunder welche in der
Welt geschehen, waren schon in derselben Welt, als reine Möglichkeit betrachtet,
enthalten und als möglich vorgestellt; und Gott, der sie tut, hat sich
damals, als er diese Welt erwählte, entschieden, sie zu tun. Man wird auch
einwenden: da nichts geändert werden kann, so hätten Gelübde
und Gebete, Verdienste und Verschuldungen keinen Sinn. Dieser Einwand verursacht
gewöhnlich die größte Verlegenheit und ist dennoch ein reines
Sophisma. Diese Gebete und Gelübde diese guten und schlechten Handlungen,
die heute geschehen, standen Gott schon vor Augen, als er den Entschluß
faßte, die Dinge zu regeln. Was in dieser wirklichen Welt geschieht, war
schon in der Idee dieser Welt als bloßer Möglichkeit mitsamt seinen
Wirkungen und Folgen vorgestellt, wie es die natürliche und übernatürliche
göttliche Gnade empfängt, wie es die Strafe herausfordert und Belohnungen
erheischt, alles wie es in dieser Welt, nachdem sie Gott erwählte, tatsächlich
geschieht. Gebet und gute Handlung war damals eine ideale Ursache oder Bedingung,
d. h. ein Beweggrund für die göttliche Gnade oder zur Belohnung, wie
es jetzt in Wirklichkeit der Fall ist. Und da alles mit
Weisheit in der Welt verknüpft ist, so hat Gott, der das freie Geschehen
voraussah, auch die übrigen Dinge von vornherein dementsprechend geregelt
oder (was auf dasselbe hinausläuft) er hat diese mögliche Welt, in
welcher alles derart geregelt war, ausgewählt.
66. Doch kann man dieser gegenseitigen Abhängigkeit zwischen
Seele und Körper einen richtigen und philosophischen Sinn geben. Es hängt
nämlich die eine dieser Substanzen von der anderen idealiter ab insofern
der Grund für das, was in der einen geschieht, in dem, was in der anderen
geschieht, aufgefunden werden kann. Ebenso wie jener Automat, der die Funktion
des Dieners erfüllt, idealiter von mir abhängig ist, und zwar durch
das Wissen dessen, der meine zukünftigen Befehle voraussieht und ihn instand
gesetzt hat, mich am folgenden Tage pünktlich zu bedienen. Die Voraussicht
meiner zukünftigen Willensentschlüsse hatte diese großen Künstler
bewogen, danach den Automaten anzufertigen: mein Einfluß ist objektiv,
der seinige physisch; denn insofern die Seele vollkommen ist und klare Gedanken
besitzt, hat Gott den Körper der Seele angepaßt und den Körper
von vornherein zur Ausführung ihrer Befehle eingerichtet; sofern aber die
Seele unvollkommen und ihre Vorstellungen verworren sind, hat Gott die Seele
dem Körper angepaßt, so daß die Seele sich von den aus den
körperlichen Vorstellungen stammenden Passionen leiten läßt;
und das hat dieselbe Wirkung und denselben Anschein als wenn die eine vom andern
unmittelbar und vermittels des physischen Einflusses abhängig wäre.
Streng genommen stellt ja die Seele die sie umgebenden Körper durch verworrene
Gedanken vor.
52.) Darum ist unter den Geschöpfen
das Tun und Leiden ein wechselseitiges. Denn indem Gott zwei einfache Substanzen
vergleicht, findet er in einer jeden Gründe, die ihn veranlassen, die andere
ihr anzupassen — und somit ist das in gewisser Hinsicht
Tätige von einem anderen Standpunkt aus betrachtet ein Leidendes. Tätig
ist es insofern, als das, was man deutlich in ihm erkennt, zur Begründung
des Vorgangs in einem anderen dient. Leidend ist es insofern, als der Grund
des Vorgangs in ihm sich in demjenigen findet, was in einem anderen deutlich
erkannt wird.
Die
beste aller möglichen Welten
53.) Da nun die Ideen Gottes unendlich viele mögliche
Welten enthalten und doch nur eine einzige
davon existieren kann, so muß es einen zureichenden
Grund für die Wahl Gottes geben, der ihn zu der einen Welt mehr als zu
der anderen bestimmt.
Ergänzungen aus der Theodizee
10. Zwar kann man sich Welten ohne Sünde und ohne Unglück
vorstellen, und so etwas daraus machen wie die Romane von Utopien und den Sevaramben;
aber diese Welten würden im übrigen der unsrigen erheblich nachstehen.
Ich will das nicht im einzelnen aufzeigen: wie könnte ich wohl diese Unendlichkeiten
erkennen, darstellen und miteinander vergleichen? Aber man muß mir das
ab effectu zugeben, da Gott unsere Welt so erwählt hat. wie sie ist. Wir
wissen außerdem, daß oft ein Übe! ein Gut bewirkt, welches
ohne dieses Übel nicht eingetroffen wäre. Oft haben sogar zwei Übel
ein großes Gut zur Folge gehabt.
Et si fata volunt, bina venena juvant
[Und wenn das Schicksal es will, hilft das
zwiefache Gift].
173. Spinoza … scheint ausdrücklich eine blinde
Notwendigkeit gelehrt zu haben, er dem Schöpfer der Dinge
Verstand und Willen absprach und sich einbildete, das Gute und Vollkommene gäbe
es nur in Beziehung auf uns, nicht auf ihn. Allerdings hat die Ansicht Spinozas
hierüber etwas Dunkles, denn er erteilt Gott das Denken zu, nachdem er
ihm den Verstand genommen; cogitationem, non intellectum concedit Deo.
Es gibt auch Stellen, wo er sich über die Notwendigkeit gemäßigter
ausspricht. Indessen bestreitet er, soweit man ihn verstehen kann, die göttliche
Güte im eigentlichen Sinne und lehrt, alle Dinge existierten allein durch
die Notwendigkeit der göttlichen Natur, ohne daß Gott irgend etwas
gewählt hätte. Wir wollen uns hier nicht damit unterhalten, eine so
schlechte und sogar so unerklärliche Ansicht zu widerlegen. Die unserige
stützt sich auf die Natur des Möglichen, d. h. auf die Natur jener,
keinen Widerspruch involvierenden Dinge. … Alles
einen Widerspruch Involvierende ist unmöglich und alles keinen Widerspruch
Enthaltende ist möglich.
196. … So also muß man die Erschaffung der besten
aller Welten auffassen, um so mehr als Gott sich nicht nur entschieden hat,
ein Universum zu erschaffen, sondern auch den Beschluß gefaßt, das
beste von allem zu erzeugen; denn ohne Kenntnis entscheidet er nichts, und seine
besonderen Beschlüsse sind nur antizipierende Willensakte, wie wir das
schon zur Genüge ausgeführt und von den wirklichen Beschlüssen
unterschieden haben.
225. So groß die unendlichen Möglichkeiten auch
seien, so sind sie doch niemals größer als die unendliche Weisheit
Gottes, der alle Möglichkeiten erkennt. Ja, übertrifft diese Weisheit
auch nicht die Möglichkeiten der Ausdehnung nach, da die Gegenstände
des Verstandes das Mögliche nicht überschreiten können, und dieses
in gewissem Sinne allein begreifbar ist, so übertrifft sie sie dem Grade
nach, auf Grund der unendlichen Verbindungen, die sie aus ihnen herstellt, und
der Reflexionen, die sie darüber anstellt. Gott begnügt sich in seiner
Weisheit nicht damit, alle Möglichkeiten zu umfassen, vielmehr durchdringt
er sie, vergleicht sie und wägt sie gegeneinander ab, um dadurch ihre Vollkommenheit
oder Unvollkommenheit, das Starke und Schwache, das Gute und Böse abzuschätzen:
ja sie geht noch über die begrenzten Kombinationen hinaus, sie errichtet
eine unendlichgroße Unendlichkeit, d. h. eine Unendlichkeit aller möglichen
Folgen des Universums, von denen eine jede unendlich viele Geschöpfe enthält.
Dadurch verteilt die göttliche Weisheit alle Möglichkeiten, die sie
getrennt schon erkannt hatte, zu universellen Systemen, die sie nun ihrerseits
untereinander vergleicht: und das Resultat all dieser Vergleiche und Reflexionen
ist die Auswahl des besten dieser möglichen Systeme, welche die Weisheit
trifft, um ihrer Güte ganz Genüge zu leisten, und dies ist nun der
Plan des wirklichen Universums. Alle diese Operationen des göttlichen Verstandes
besitzen zwar schon an sich natürliche Ordnung und Priorität, bilden
aber zusammen ein Ganzes, in welchem keiner zeitliche Priorität zukommt.
54.)
Dieser Grund kann nur in der Angemessenheit oder in den
Graden der Vollkommenheit gefunden werden, welche diese Welten enthalten,
da jedes Mögliche das Recht hat nach dem Maße der Vollkommenheit,
die es einschließt, auf seine Existenz zu dringen.
Ergänzungen
aus der Theodizee
130. Allerdings hat Gott die Materie und die Geister nach seinem
Willen erschaffen, aber er gleicht hierin einem guten Bildhauer, der aus seinem
Marmorblock nur das bilden will, was er für das Beste hält, und ihn
richtig zu beurteilen versteht. Gott erschafft aus der Materie die schönste
aller möglichen Maschinen, er bildet aus den Geistern die schönste
aller denkbaren Regierungen, und darüber hinaus errichtet er aus ihrer
Verbindung die vollkommenste aller Harmonien, nach dem von mir vorgelegten System.
Da sich nun in diesem vollkommenen Werk das moralische und physische Übel
anfeinden, so muß man (gegen die Versicherung Herrn Bayles) daraus schließen,
daß ohne¬dies ein weit größeres Übel völlig unvermeidlich
gewesen wäre. Dieses so große Übel bestände darin, daß
Gott schlecht gewählt hätte, wenn er anders gewählt hätte
als er es tat. Gottes Allmacht ist zwar unendlich, aber sie ist durch nichts
.bestimmt; erst die Güte im Verein mit der Weisheit bestimmen sie zur Erzeugung
des Besten. An anderer Stelle macht Herr Bayle einen für ihn charakteristischen
Einwand, den er modernen kartesianischen Anschauungen entnimmt. Diese sagen,
Gott konnte den Seelen Gedanken geben wie er wollte, ohne sie irgendwie von
den Körpern abhängig zu machen: hierdurch ersparte man den Seelen
eine große Menge Übel, die nur aus der Zerrüttung der Körper
stammen. Weiter unten wird davon die Rede sein; für jetzt genüge die
Erwägung, daß Gott kein schlecht verbundenes System voller Unstimmigkeiten
errichten konnte. Die Natur der Seelen besteht wenigstens zum Teil darin, daß
sie die Körper vorstellen.
201. Das Beste fällt mit den Wünschen der Tugendhaftesten
und Weisesten zusammen. Könnten wir die Struktur und Ökonomie des
Universums verstehen, dann würden .wir finden, daß es nach dem Wunsche
der Weisesten und Tugendhaftesten erschaffen ist und regiert wird, da Gott es
gerade so erschaffen mußte. Indessen ist diese Notwendigkeit eine
moralische, und ich gebe zu, daß Gott, wenn er von einer
metaphysischen Notwendigkeit gedrängt
worden wäre, entweder alles Mögliche
oder gar nichts erschaffen hätte, und daß in diesem
Sinne die Konsequenz des Herrn Bayle ganz richtig ist. Aber da sich alle Möglichkeiten
untereinander in ein und derselben Weltverknüpfung nicht vertragen, so
kann eben aus dem Grunde nicht alles Mögliche hervorgebracht worden sein,
und Gott kann, metaphysisch gesprochen, zur Erschaffung der Welt unmöglich
gezwungen worden sein. So wie Gott sich entschieden hatte, irgend etwas
zu erschaffen, gerieten alle Möglichkeiten untereinander
in Wettstreit, denn sie alle verlangen nach Wirklichkeit; und dabei siegten
diejenigen, die zusammen die größte Realität, Vollkommenheit
und Vernünftigkeit erzeugen. Zwar kann dieser Kampf nur ideal gewesen
sein, nämlich nur im Streit der Gründe in dem vollkommensten Verstande,
der nicht anders als auf die vollkommenste Weise handeln
kann und darum das Beste erwählen muß. Jedoch ist Gott durch
eine moralische Notwendigkeit gezwungen worden, die Dinge so zu erschaffen wie
sie nicht besser sein können; sonst hätten nicht nur andere Anlaß
zur Kritik seines Werkes, sondern, was weit mehr bedeutet, er selbst würde
mit seinem Werk nicht zufrieden sein; er würde die Unvollkommenheit dieses
Werkes tadeln, und das würde gegen die höchste Glückseligkeit
der göttlichen Natur verstoßen. Dieses dauernde Bewußtsein
seines eigenen Fehlers oder seiner Unvollkommenheit wäre für ihn eine
Quelle unvermeidlichen Kummers, wie Herr Bayle sich bei anderer Gelegenheit
ausdrückt.
350. … Wenn ein böser Mensch existiert, so muß
Gott in der Region der Möglichkeiten die Idee eines solchen Menschen vorgefunden
haben, und dieser muß zu jener Folge von Dingen gehören, deren Wahl
die größte Vollkommenheit des Universums erheischte, deren Fehler
und Sünden nicht nur bestraft, sondern mit Vorteil wieder ausgeglichen
werden und die zu dem größten Gut beitragen.
55.) Das ist die Ursache
für die Existenz des Besten, welches Gott die Weisheit erkennen,
seine Güte ihn wählen und seine
Macht ihn hervorbringen läßt.
Ergänzungen aus der Theodizee
8. Diese überlegene
Weisheit konnte in Verbindung mit einer nicht weniger unendlichen Güte
einzig und allein das Beste erwählen. Denn wie ein geringes Übel
eine Art Gut und ein geringes Gut eine Art übel ist, wenn es ein größeres
Gut verhindert, so hätte man Ursache, die Handlungen Gottes zu tadeln,
wenn es ein Mittel gäbe, es besser zu machen. Und wie in der Mathematik
ohne ein Maximum und Minimum, kurz ohne etwas bestimmt Unterschiedenes, alles
gleichförmig verläuft, oder wenn dies nicht möglich ist, überhaupt
nichts geschieht, so läßt sich dasselbe von der vollkommenen Weisheit
sagen,. die gleichen Regelmäßigkeiten untersteht wie die Mathematik:
gäbe es nicht die beste (optimum) aller möglichen Welten, dann hätte
Gott überhaupt keine erschaffen. »Welt« nenne ich hier
die ganze Folge und das ganze Beieinander aller bestehenden Dinge, damit man
nicht sagen kann, mehrere Welten könnten zu verschiedener Zeit und an verschiedenen
Orten bestehen. Man muß sie insgesamt für eine Welt rechnen, oder,
wie man will, für ein Universum. Erfüllte man jede Zeit und jeden
Ort; es bleibt dennoch wahr, daß man sie auf unendlich viele Arten hätte
erfüllen können und daß es unendlich viel
mögliche Welten gibt, von denen Gott mit Notwendigkeit die beste erwählt
hat, da er nichts ohne höchste Vernunft tut.
9. Kann ein Gegner diesem Argument nicht beikommen, so wird
er vielleicht auf unsere Schlußfolgerung mit einem entgegengesetzten Argument
antworten: er wird sagen, die Welt hätte ja sündlos
und ohne Leiden sein können;
aber was ich bestreite, ist, daß sie dann besser wäre. Wissen
muß man, daß in jeder möglichen Welt alles miteinander in Verbindung
steht: jedwedes Universum ist ein Ganzes aus einem Stück, gleich dem Ozean;
die geringste Bewegung breitet sich in beliebige Entfernung aus, wenn sie auch
schwächer und schwächer wird entsprechend dieser Entfernung: so hat
Gott ein für allemal alles im voraus geregelt, er, der die Gebete, die
guten und schlechten Handlungen und alles andere voraussah; und jedes wurde.
Darum kann in der Welt nichts ohne Schaden an seiner Wesensart, oder (wie bei
einer Zahl), wenn man will, an seiner numerischen Individualität
verändert werden. Wenn somit das geringste Übel, das in der
Welt eintrifft, fehlte, es wäre nicht mehr diese
Welt, die, alles in allem, von dem sie auswählenden Schöpfer
als die beste befunden worden ist.
78. … In Wahrheit beabsichtigte Gott, als er den Plan
zur Schöpfung faßte, einzig und allein seine Vollkommenheiten auf
die wirksamste und seiner Größe, Weisheit und Güte würdigste
Art und Weise offenbar werden zu lassen. Aber deswegen fühlte er sich verpflichtet,
alle Handlungen der Kreaturen im Zustande reiner Möglichkeit zu berücksichtigen,
um den angemessensten Plan zu realisieren. Er gleicht darin einem großen
Architekten, der zu seiner Befriedigung oder zu seinem Ruhme einen schönen
Palast erbauen will und der nun alles, was zu diesem Gebäude gehört,
berücksichtigt: Form und Materialien, den Platz, die Gegend, die Mittel,
die Arbeiter, die Kosten: und dies alles, bevor er einen entscheidenden Schritt
tut. Wenn der Weise seine Pläne faßt, kann er nämlich den Zweck
nicht von den Mitteln trennen: er nimmt sich nichts vor, ohne zu wissen, ob
er auch die dazu notwendigen Mittel besitzt.
119. Alles ist in der Natur miteinander verbunden; und wenn
ein geschickter Handwerker, ein Ingenieur, ein Architekt und ein reiner Politiker
schon ein und dieselbe Sache für verschiedene Zwecke zu gebrauchen wissen,
wenn man, sobald es sich bequem tun läßt, mit einer Klappe zwei Fliegen
schlägt; dann muß man von Gott, dessen Weisheit und Allmacht vollkommen
ist, sagen, daß er stets so handelt. Das heißt Platz, Zeit, Raum
und Stoff ersparen, welche sozusagen seine Unkosten bilden. Gott hat also in
seinen Plänen mehr als eine Absicht. Die Glückseligkeit aller vernunftbegabten
Geschöpfe ist eines der Ziele, nach denen er trachtet, aber sie ist nicht
sein ganzes, ja sogar nicht einmal sein höchstes Ziel. Aus diesem Grunde
kann also das Unglück einiger dieser Kreaturen begleitweise und gleichsam
als Folge anderer weit größerer Übel eintreten. …
208. Man muß daher annehmen, daß Gott unter den
nicht absolut notwendigen allgemeinen Gesetzen die natürlichsten auswählte,
die selbst am leichtesten begründet werden und die auch am ehesten zur
Rechtfertigung anderer Dinge dienen können. Dies ist ohne Zweifel das Schönste
und Angenehmste; und wenn das System der praestabilierten Harmonie nicht schon
aus anderen Gründen, nämlich durch seine Beseitigung der überflüssigen
Wunder, notwendig wäre, würde es Gott schon deshalb erwählt haben,
weil es am harmonischsten ist. Die Wege Gottes sind die
einfachsten und gleichmäßigsten: weil er die Gesetze wählt,
die sich am wenigsten untereinander beschränken. Durch die Einfachheit
des Weges sind sie auch die fruchtbarsten. Das ist ungefähr so,
als wenn man das Haus als das beste bezeichnet, das man mit festem Ausgabenfonds
erbauen konnte. Man kann sogar die beiden Bedingungen, Einfachheit und Fruchtbarkeit,
auf einen einzigen Vorteil reduzieren, nämlich auf die Erzeugung größtmöglicher
Vollkommenheit; und damit läßt sich das System des ehrwürdigen
Paters Malebranche auf das meinige reduzieren. Denn angenommen, die Wirkung
wäre größer, die Wege aber weniger einfach, dann wäre alles
in allem, der Effekt selbst schwächer, wenn man hierbei nicht bloß
die Endwirkung, sondern auch die Mittelwirkung in Betracht zieht. Der Weise
sucht nämlich, so weit es ihm möglich ist, die Mittel auch zu Zwecken
in irgendeiner Hinsicht zu machen, d. h. sie sind ihm wünschenswert nicht
bloß durch das, was sie leisten, sondern auch durch das, was sie sind.
Die verwickelteren Wege beanspruchen zu viel Terrain, zu viel Platz, zu viel
Raum, zu viel Zeit, die man besser hätte anwenden können.
209. Führt man so alles auf die
größte Vollkommenheit zurück, dann kommt man auf unser Gesetz
vom Besten. Denn die Vollkommenheit umfaßt nicht nur das moralische
und physische Wohl der vernünftigen Kreaturen, sondern auch das rein metaphysische
Gut, das auch vernunftlose Kreaturen einschließt. Daraus folgt, daß
das Übel der vernünftigen Kreaturen nur begleitweise geschieht, nicht
aus antizipierendem, sondern aus nachfolgendem Willen, als im bestmöglichen
Plan eingeschlossen; und das alles umfassende metaphysische Gut ist Ursache,
daß das physische und moralische Übel zuweilen statthat, wie ich
schon des öfteren bemerkt habe. …
Perspektivismus
56.) Nun bewirkt diese Verknüpfung oder diese
Anpassung aller geschaffenen Dinge an jedes andere und eines jeden an alle anderen,
daß jede einfache Substanz Beziehungen hat, durch
welche alle übrigen zum Ausdruck gelangen, und daß sie infolgedessen
ein fortwährender lebendiger Spiegel der Welt ist.
Ergänzungen aus der Theodizee
360. … Zwar erblickt Gott, wenn er dieses Universum erwählt, mit
einem Male die ganze Geschehensfolge und bedarf also keiner Verbindung der Wirkungen
mit den Ursachen, um diese Wirkungen vorauszusehen. Aber in seiner Weisheit
erwählt er eine auf das vollkommenste verbundene Geschehensfolge, und darum
kann er nicht umhin, einen Teil dieser Folge im anderen zu erblicken. Es bildet
eines der Gesetze meines Systems der allgemeinen Harmonie, daß die Gegenwart
die Zukunft in sich enthält, und daß der Alles Sehende auch in dem
Seienden das Werdende erblickt. Noch mehr: ich habe überzeugend dargetan,
daß Gott in jedem Teil des Universums das ganze Universum sieht, und zwar
dank der vollkommenen Verbindung der Dinge. Er sieht unendlich schärfer
als Pythagoras, der aus dem Umfange der Fußspur des Herkules auf seine
Körpergröße schloß. Es läßt sich also nicht
bezweifeln, daß die Wirkungen auf bestimmte Weise aus ihren Ursachen hervorgehen,
ungeachtet der Zufälligkeit, ja selbst der Freiheit, die beide nichtsdestoweniger
mit Gewißheit und Determiniertheit zusammen bestehen.
57.) Und wie
eine und dieselbe Stadt, von verschiedenen Seiten
betrachtet, immer wieder anders und gleichsam perspektivisch
vervielfältigt erscheint, geschieht es auch, daß es wegen
der unendlichen Menge der einfachen Substanzen gleichsam ebensoviele verschiedene
Welten gibt, die gleichwohl nichts anderes sind als die
perspektivischen Ansichten des einzigen Universums, je nach den verschiedenen
Gesichtspunkten jeder einzelnen Monade.
Ergänzungen aus der Theodizee
147. … am häufigsten geschieht das Übel, wenn
diese Intelligenzen oder ihre kleinen Welten aneinander geraten. Der Mensch
befindet sich, entsprechend seinem Unrecht, schlecht dabei, Gott aber wendet
mit wunderbarer Kunst alle Mängel dieser kleinen Welten zur Ausschmückung
seiner großen Welt an. Es verhält sich damit wie mit den perspektivischen
Erfindungen, wo gewisse schöne Zeichnungen nur unklar hervortreten, bis
man sie in ihren wahren Gesichtswinkel bringt oder sie durch ein bestimmtes
Glas oder einen Spiegel betrachtet. Wenn man sie richtig stellt und benutzt,
werden sie zur Zierde eines Zimmers. So lassen sich die scheinbaren Unschönheiten
unserer kleinen Welt mit den Schönheiten der großen vereinigen und
nichts mehr steht der Einheit eines unendlich vollkommenen universellen Prinzips
im Wege im Gegenteil, diese Unschönheiten machen seine Weisheit um so bewundernswerter,
jene Weisheit, die das Übel dem größeren Gut dienstbar sein
läßt.
357. Zwar kann dieselbe Sache auf verschiedene Weise repräsentiert
werden, allein es muß stets darin eine genaue Beziehung zwischen Vorstellung
und Sache und infolgedessen auch zwischen den verschiedenen Vorstellungen ein
und derselben Sache enthalten sein. Die perspektivischen Projektionen, welche
beim Kreise Kegelschnitte bilden, zeigen, daß sogar ein Kreis unter Umständen
als Ellipse, als Parabel, als Hyperbel, selbst als ein anderer Kreis, als gerade
Linie und als Punkt vorgestellt werden kann. Nichts erscheint so verschieden
und so unähnlich wie diese Figuren und dennoch stehen alle Punkte untereinander
in genauer Beziehung. Ebenso muß man zugeben, daß jede Seele das
Universum nach ihrem Blickpunkt vorstellt und daß sie in einzigartiger
Beziehung zu ihm steht; allein immer und immer liegt dem eine vollkommene Harmonie
zugrunde.
58.) Durch dieses Mittel wird die
größtmögliche Mannigfaltigkeit erreicht, aber mit der
größtmöglichen Ordnung, das heißt es wird dadurch
so viel Vollkommenheit wie möglich erreicht.
Ergänzungen aus der Theodizee
120. … Gäbe es nur Geister, so brauchten sie in
keiner notwendigen Verbindung zu stehen, und bedürften keiner zeitlichen
und örtlichen Ordnung. Diese Ordnung erheischt die Materie, die Bewegung
und ihre Gesetze; wird sie nach den Geistern auf die bestmögliche
Weise geregelt, nun. so gelangt man eben zu unserer Welt. Betrachtet
man die Dinge nur im Großen, so hält man tausenderlei für möglich,
was in Wirklichkeit gar nicht statthaben kann. Verlangt man von Gott, er solle
den Kreaturen keinen freien Willen geben, so verlangt man, diese Kreaturen sollen
überhaupt nicht existieren: und will man, Gott solle sie an eitler mißbräuchlichen
Benutzung hindern, so will man zugleich, daß diese Geschöpfe allein
existieren sollen und mit ihnen das, was nur für sie geschaffen ist. Hätte
Gott nur diese Geschöpfe vor Augen, dann würde er sie ohne Zweifel
an ihrem Verderben hindern. Man kann jedoch mit einer gewissen Berechtigung
sagen, daß Gott diesen Kreaturen die Fähigkeit mitgegeben habe, sich
stets ihres freien Willens richtig zu bedienen, denn diese Fähigkeit wird
dargestellt durch das natürliche Licht der Vernunft; einzig und allein
der Wille gut zu handeln ist erforderlich, aber oft fehlt den Geschöpfen
das Mittel, sich den nötigen Willen selbst zu geben; ja es fehlt ihnen
sogar oft der Wille, sich der Mittel zu bedienen, die ihnen indirekt zu einem
guten Willen verhelfen könnten, wie ich mehr als einmal gesagt habe. Man
sollte diesen Fehler eingestehen und sollte sogar zugeben, daß Gott die
Kreaturen vielleicht davon hätte entbinden können, da dem Anschein
nach nichts im Wege steht, daß sie von Natur aus immer von einem guten
Willen beseelt seien. Ich antworte jedoch darauf, es sei durchaus nicht notwendig
und tunlich, daß alle vernunftbegabten Geschöpfe eine so hohe Vollkommenheit
besitzen und der Gottheit so nahegerückt sind. Vielleicht wäre dies
sogar nur durch eine besondere göttliche Gnade möglich; würde
es aber in diesem Falle richtig sein, daß Gott sie allen gewährt,
d. h. daß er allen vernünftigen Geschöpfen gegenüber den
Wundertäter spiele? Nichts wäre vernunftloser als diese beständigen
Wunder. Es gibt Abstufungen unter den Kreaturen, so will
es die allgemeine Ordnung. Und es stimmt sehr gut mit der Ordnung
der göttlichen Herrschaft überein, daß das große Vorrecht
der Stärkung im Guten eher denen zuteil wird, die von einem guten Willen
beseelt gewesen sind, solange sie sich noch in einem viel unvollkommeneren
Zustande befanden, im Zustande des Kampfes und der Pilgrimschaft, in Ecclesia
militante, in statu viatorum. Sogar die guten Engel sind nicht der Sünde
unfähig erschaffen worden. Indessen will ich doch nicht zu behaupten wagen,
daß es nicht von. Geburt an glückselige, oder von Natur aus sündlose
und heilige Geschöpfe gebe. Einige sprechen dieses Vorrecht vielleicht
der Heiligen Jungfrau zu, da sie ja auch von der katholischen Kirche heute den
Engeln übergeordnet wird. Uns genügt es jedoch, daß das Universum
sehr groß und mannigfaltig ist: wollte man es in Grenzen einzwängen,
so hätte man nur schwache Vorstellungen davon. …
214. Es gibt eine Geometrie, die Herr Jungius aus Hamburg,
einer der bedeutendsten Männer seiner Zeit, als empirische Geometrie bezeichnete.
Diese Geometrie bedient sich solcher Beweise, die der Erfahrung entnom¬men
sind und beweist mehrere Sätze des Euklid, und zwar besonders die von der
Gleichheit zweier Figuren han¬delnden; indem eine Figur zerlegt wird und
die einzelnen Stücke zu einer anderen zusammengefügt werden. Zerlegt
man auf diese Weise die Quadrate über den Seiten des rechtwinkligen Dreiecks
in die entsprechenden Teile und vereinigt diese Teile richtig, dann erhält
man daraus das Quadrat über der Hypothenuse, und man hat damit den 47.
Satz aus dem 1. Buch des Euklid bewiesen. Gesetzt den Fall, einige der Teilstücke
der beiden kleineren Qua¬drate gingen verloren, so würde auch dem großen
Quadrat, das man daraus bilden soll, etwas fehlen; und dieses verstümmelte
Gebilde würde anstatt zu gefallen, abstoßend häßlich sein.
Und wenn die übriggebliebenen Stücke, die das mangelhafte Gebilde
zusammensetzen, für sich, ohne Rücksicht auf das Quadrat, zu dessen
Erzeugung sie dienen sollen, betrachtet würden, so müßte man
sie ganz anders anordnen, um ein erträglich zusammengesetztes Gebilde herzustellen.
Sobald jedoch die beiseite gelegten Stücke sich wieder anfinden, und man
die leeren Stellen in dem mangelhaften Gebilde ergänzt, so entsteht eine
schöne und regelmäßige Figur, nämlich das gesamte große
Quadrat. Und dies vollständige Gebilde wird viel schöner sein als
jenes erträgliche, das aus den einzelnen, nicht verlorengegangenen Stücken
gebildet worden war. Das vollständige Gebilde entspricht dem ganzen Universum,
und das mangelhafte Gebilde, als Teil des vollständigen, entspricht einem
Teile des Universums, worin wir Fehler finden, die der Schöpfer der Dinge
darin geduldet hat, weil somit, wenn er diesen mangelhaften Teil verbessern
und etwas Erträgliches daraus hätte machen wollen, das Ganze an Schönheit
verloren hätte; denn die Teile des mangelhaften Gebildes zu einem erträglichen
umgestellt, hätten nicht so verwandt werden können, wie es die Bildung
des ganzen, vollkommenen Gebildes erheischte. …
242. Man erstaune nicht, wenn ich diese Dinge durch Vergleiche mit
der reinen Mathematik aufzuklären suche, in
der alles ordnungsgemäß verläuft
und in der man Mittel und Wege hat, sie durch eine genaue
Untersuchung zu entwirren, aus der wir sozusagen einen erfreulichen
Einblick in die göttlichen Ideen gewinnen. Man kann eine
Folge oder Serie von Zahlen annehmen, die augenscheinlich ganz unregelmäßig
ist und in der die Zahlen ganz verschieden zu- und abnehmen,
ohne daß sich irgendeine Ordnung darin zeigt; und trotzdem wird
derjenige, welcher den Schlüssel zu dem Rätsel besitzt und den Ursprung
und Aufbau dieser Zahlenfolge kennt, ein Gesetz aufstellen
können, das richtig aufgefaßt, die Serie als durchaus regelmäßig
und sogar wohlproportioniert zeigt. Man kann dies durch Linien noch besser
zeigen: eine Linie kann vorwärts oder rückwärts gehen, auf- und
absteigen, Durchschnittspunkte, Wendepunkte, Unterbrechungen und andere Verschiedenheiten
besitzen, so daß man durchaus nicht daraus schlau werden kann, zumal wenn
man nur einen Teil der Linie betrachtet. Und dennoch kann man ihre Gleichung
und Konstruktion aufstellen, in der ein Geometer den Grund und die Übereinstimmung
all dieser angeblichen Unregelmäßigkeiten finden würde: so muß
man auch Mißgeburten und andere angebliche Mängel des Universums
beurteilen.
243. In diesem Sinne kann man von dem schönen Ausspruch
des Heiligen Bernhard Gebrauch machen (Ep. 276, an Eugenius 1111): »Ordinatissimum
est, minus interdum ordinate fieri aliquid« (Es
gehört durchaus zur Ordnung im großen, dass im kleinen Unordnungen
vorkommen): in der großen Ordnung herrscht stellenweis auch etwas
Unordnung, und diese kleine Unordnung bedeutet für das Ganze nur Schein;
sie ist sogar nur scheinbar im Hinblick auf die Glückseligkeit der diesen
Weg der Ordnung Beschreitenden.
59.) Auch wird nur durch diese Hypothese
(die ich bewiesen zu nennen wage), die Größe
Gottes, so wie es sich gehört, herausgestellt. Das hat auch Herr
Bayle anerkannt, als er in seinem Wörterbuch (Artikel Rorarius) dagegen
Einwendungen machte, wobei er sogar versucht war zu glauben, daß ich Gott
zuviel zuschriebe, und mehr als möglich ist. Er vermochte jedoch keinen
Grund für die Unmöglichkeit dieser Welt-Harmonie anzuführen,
kraft welcher jede Substanz durch die Beziehungen, in
welchen sie allenthalben steht, alle übrigen Substanzen genau ausdrückt.
60.) Außerdem ersieht man aus dem soeben
Vorgetragenen die Gründe a priori, warum
die Dinge keinen anderen Verlauf nehmen können. Weil nämlich
Gott bei der Ordnung des Ganzen auf jeden Teil und im besonderen auf jede Monade
— die von Natur ein vorstellendes Wesen ist Rücksicht genommen hat,
so ist nichts imstande, eine Monade dergestalt einzuschränken, daß
sie nur einen Teil der Dinge vorstellen würde. Allerdings
kann diese ihre Vorstellung nicht die ganze Mannigfaltigkeit der Welt deutlich
zum Ausdruck bringen, sondern sie bleibt bis auf einen kleinen Teil der Dinge
verworren. Und zwar ist sie nur in jenen Dingen deutlich, welche in bezug auf
jedwede Monade entweder die nächsten oder die größten sind;
andernfalls würde jede Monade eine Gottheit sein. Es ist also nicht
der Gegenstand, sondern die Abstufung der Erkenntnis des
Gegenstands, worin die Monaden beschränkt sind.
Sie gehen alle in verworrener Weise auf das Unendliche, das Ganze aus. Aber
sie sind begrenzt und voneinander verschieden nach den
Graden der deutlichen Perzeptionen.
Ergänzungen aus der Theodizee
124. …
Die Natur brauchte Tiere, Pflanzen, unbeseelte Körper; Wunder gibt es unter
diesen nicht mit Vernunft begabten Geschöpfen, die der Vernunft zur Übung
dienen. Was täte eine intelligente Kreatur, wenn es keine vernunftlosen
Dinge gäbe? an was dächte sie, gäbe es keine Bewegung, keine
Materie, keine Sinne? Hätte sie nur deutliche Gedanken, dann wäre
sie ein Gott, und ihre Weisheit hätte keine Grenzen; das geht aus meinen
Erwägungen hervor. Sobald es eine Mischung verworrener Gedanken gibt, gibt
es Sinne, gibt es Materie. Denn diese verworrenen Gedanken entstammen dem Zusammenhang
der Dinge unter sich nach Dauer und Ausdehnung. Daher gibt es in meiner Philosophie
keine vernünftige Kreatur ohne einen organisierten Körper und keinen
geschaffenen Geist, der völlig frei wäre von Materie. Aber diese organisierten
Körper unterscheiden sich nicht minder an Vollkommenheit wie die Geister,
denen sie angehören. Da aber die göttliche Weisheit eine körperliche
Welt, da sie eine Welt perzeptionsunfähiger und vernunftloser Substanzen
brauchte, da sie endlich unter allen möglichen Dingen das erwählen
mußte, was den besten Zusammenklang ergab und das Laster durch diese Pforte
eingetreten ist: so wäre Gott nicht vollkommen gut, nicht vollkommen weise
gewesen, wenn er es ausgeschlossen hätte.
Welt-Zusammenhang
61.) Das Zusammengesetzte steht dabei mit dem
Einfachen in einem sinnbildlichen Zusammenhang. Denn da alles voll und
somit die gesamte Materie in sich verbunden ist, und da in dem Erfüllten
jede Bewegung auf die entfernten Körper im Verhältnis der Entfernung
etliche Wirkung ausübt — dergestalt, daß jeder Körper
nicht allein von den ihn berührenden erregt wird und gewissermaßen
alles, was in ihnen geschieht, selbst verspürt, sondern vermittels derselben
auch die Einwirkung derer verspürt, welche an die ihn unmittelbar berührenden
anstoßen —, so folgt daraus, daß sich diese Kommunikation
auf jede beliebige Entfernung erstreckt. Somit verspürt jeder Körper
alles, was in der Welt geschieht, so daß jemand, der alles sieht, in einem
jeden einzelnen lesen könnte, was überall geschieht und sogar, was
geschehen ist oder geschehen wird, indem er in dem Gegenwärtigen das nach
Zeit und Ort Entfernte bemerkt. »Alles webt sich
zum Ganzen«, wie Hippokrates sagte Aber eine Seele kann in sich
selbst nur das deutlich Vorgestellte lesen; sie kann nicht auf einen Schlag
ausseinanderlegen, was in ihr zusammengefaltet ist; denn diese
Fältelung geht ins Unendliche.
Leib
und Seele sind göttliche Automaten
62.) Obgleich also jede geschaffene Monade die
ganze Welt vorstellt, so stellt sie doch mit besonderer
Deutlichkeit den Leib vor, der ihr speziell angewiesen ist und dessen
Entelechie sie ausmacht. Und da dieser Körper infolge des Zusammenhangs
der gesamten Materie in dem Erfüllten die ganze Welt ausdrückt, so
stellt auch die Seele die ganze Welt vor, indem sie diesen
Körper vorstellt, der ihr auf eine eigentümliche Weise zugehört.
63.) Der Leib, welcher einer Monade zugehört, die seine Entelechie oder
Seele ist, bildet mit der Entelechie das, was man ein Lebendiges nennen kann,
und mit der Seele das, was man Tier nennt. Nun
ist aber dieser Körper eines Lebendigen oder eines Tieres immer organisch;
denn da jede Monade nach ihrer Weise ein Spiegel der Welt
und die Welt nach einer vollkommenen Ordnung geregelt ist, so muß
es auch eine Ordnung in dem Vorstellenden geben, d. h.
in den Perzeptionen der Seele und folglich auch in dem Körper, gemäß
welchem die Welt in der Seele vorgestellt wird.
Ergänzungen aus der Theodizee
403. ... Allein, wir bilden unsere Vorstellungen nicht, weil
wir es wollen; sie bilden sich in uns, sie bilden sich durch uns, nicht als
Folge unseres Willens, sondern gemäß unserer Natur und der Natur
der Dinge. Und wie der Fötus sich in dem Tiere bildet, wie tausend andere
Wunder der Natur durch einen bestimmten, von Gott eingepflanzten Instinkt erzeugt
werden, d. h. vermöge der göttlichen Praeformation, die diese bewunderungswürdigen,
auf mechanische Weise so schöne Wirkungen hervorbringenden Automaten erschaffen
hat; so kann man ohne Schwierigkeiten schließen, daß die
Seele ein geistiger, noch weit bewunderungswürdigerer Automat ist,
und daß sie diese schönen Vorstellungen, woran unser Wille keinen
Anteil hat, und die innere Kunst nicht erreichen kann, durch göttliche
Praeformation erzeugt. Die Tätigkeit der geistigen Automaten, d. h. der
Seelen, ist durchaus nicht mechanisch, aber sie enthält eminenter das Schöne
der Mechanik: die von den Körpern ausgeführten Bewegungen sind durch
die Vorstellung darin zusammengedrängt, wie in einer idealen Welt, welche
die Gesetze der wirklichen Welt und ihre Folgen ausdrückt, nur mit jenem
Unterschiede von der vollkommenen idealen, in Gott vorhandenen Welt, daß
ihre meisten Perzeptionen verworren sind. Jede
einfache Substanz enthält nämlich in ihren verworrenen
Vorstellungen oder Gefühlen das Universum, und die Reihenfolge dieser
Perzeptionen wird durch die besondere Natur jener Substanz geregelt, aber so,
daß sie stets die ganze universelle Natur ausdrückt: und jede gegenwärtige
Perzeption strebt zu einer neuen Perzeption, wie jede durch sie repräsentierte
Bewegung auf eine andere Bewegung abzielt. Die Seele kann jedoch unmöglich
ihre ganze Natur deutlich erkennen und es sich zum Bewußtsein bringen,
wie jene zahllose Menge kleiner Perzeptionen, die in ihr angehäuft oder
besser konzentriert ist, in ihr gebildet werden: dazu müßte sie das
ganze darin enthaltene Universum vollkommen erkennen,
das heißt sie müßte ein Gott sein.
64.) Daher ist jeder
organische Körper (Leib) eines Lebendigen eine Art von göttlicher
Maschine oder natürlichem Automaten, der alle künstlichen Automaten
unendlich übertrifft.
Eine durch menschliche Kunst verfertigte Maschine ist nämlich nicht in
jedem ihrer Teile Maschine. So hat zum Beispiel der Zahn eines Messingrades
Teile oder Bruchteile, die für uns nichts Künstliches mehr sind und
die nicht mehr an sich haben, was in bezug auf den Gebrauch, zu dem das Rad
bestimmt war, etwas Maschinenartiges verrät. Aber die Maschinen der Natur,
d. h. die lebendigen Körper, sind noch Maschinen in ihren kleinsten Teilen
bis ins Unendliche. Das ist der Unterschied zwischen der Natur und der Technik,
d. h. zwischen der göttlichen Kunstfertigkeit und der unsrigen.
Ergänzungen aus der Theodizee
134. … Allerdings haben wir davon schon Beweise und Proben
vor unseren Augen, wenn wir auf eine völlig in sich geschlossene Sache,
auf irgendein in sich vollendetes Ganzes und sozusagen unter den Werken Gottes
Abgesondertes blicken. Ein solches Ganzheitsgebilde aus der Hand Gottes ist
eine Pflanze, ein Tier, ein Mensch. Seine Schönheit und kunstvolle Struktur
können wir nicht genug bewundern. Erblicken wir aber einen zerbrochenen
Knochen, ein Stück Fleisch von einem Tiere, einen Pflanzenzweig, so sehen
wir darin nur Unordnung, wofern nicht gerade ein hervorragender Anatom all dieses
betrachtete: und selbst dieser würde nichts erkennen, hätte er nicht
zuvor ähnliche Stücke zu einem Ganzen verbunden gesehen. Genau so
verhält es sich mit der göttlichen Regierung: was wir davon erblicken,
ist kein genügend großes Gebiet, um aus ihm schon die Schönheit
und Ordnung des Ganzen zu erkennen. Also nötigt uns sogar die Natur der
Dinge, diese Ordnung des göttlichen Staates, die wir hinieden noch nicht
vor uns sehen, zum Gegenstand unseres Glaubens, unserer Hoffnung und unseres
Gottvertrauens zu machen. Wollen einige anders darüber denken, um so schlimmer
für sie; sie sind Mißvergnügte im Reiche des größten
und besten aller Monarchen und haben unrecht, wenn sie die Proben von seiner
unendlichen Weisheit und Güte, die er ihnen gegeben, nicht benutzen. Denn
er wollte sich nicht nur bewundern lassen, sondern sich auch über alle
Maßen liebenswert zu erkennen geben.
146. … allemal wenn wir ein solches Werk Gottes erblicken,
finden wir es so vollendet, daß wir seine Kunstfertigkeit und Schönheit
bewundern müssen; erblickt man aber kein in sich geschlossenes Werk, sieht
man nur Fetzen und Bruchstücke, dann ist es kein Wunder, wenn die gute
Ordnung daraus nicht hervortritt.
Das System unserer Planeten bildet solch ein abgesondertes und vollkommenes
Werk, wenn man es für sich betrachtet; jede Pflanze, jedes Tier, jeder
Mensch enthält ein solches bis zu einem gewissen Grade vollkommenes System,
an ihnen erkennt man die wunderbare Geschicklichkeit ihres Schöpfers, aber
das Menschengeschlecht stellt, so weit es uns bekannt ist, nur ein Fragment
dar, nur einen kleinen Teil des göttlichen Reiches
oder der geistigen Republik. Für uns ist dieses Reich zu ausgedehnt,
und wir kennen zu wenig davon, um die darin herrschende wunderbare Ordnung bemerken
zu können. …
65.) Der Urheber der Natur konnte dieses
göttliche und unendlich wunderbare Kunstwerk ausführen, weil jedes
Stück Materie nicht nur, wie die Alten erkannt haben, ins Unendliche
teilbar, sondern auch jedes Stück tatsächlich
ohne Ende in Teile weitergeteilt ist, von denen jedes eine eigene Bewegung hat.
Andernfalls würde es nämlich unmöglich sein, daß jeder
Teil der Materie die Welt auszudrücken vermag.
Ergänzungen aus der Theodizee
70. (Einleitung zur Theodizee) An einer Stelle seiner Prinzipien
gesteht Herr Descartes auch, es sei unmöglich, die Schwierigkeiten
einer unendlichen Teilung der Materie, an der er trotzdem festhält,
zu beheben. Arriaga und andere Scholastiker bekennen sich zur gleichen Ansicht,
hätten sie sich jedoch Mühe gegeben, die Einwände der Form entsprechend
zu gestalten, so würden sie gesehen haben, daß die Verlegenheit aus
fehlerhaften Folgerungen und mitunter aus unklaren Voraussetzungen entsteht.
Ich gebe hierfür ein Beispiel: ein tüchtiger Mann stellte mir eines
Tages das folgende Problem: die Gerade BA werde durch
den Punkt C in zwei gleiche Teile geteilt, der Teil CA durch den Punkt D, DA
durch E und so fort ad infinitum; alle die Hälften BC, CD, DE usw. bilden
zusammen die ganze Gerade BA; da die Gerade in A endigt, muß es also eine
letzte Hälfte geben. Aber eine solche letzte Hälfte ist Unsinn; denn
da sie eine Linie ist, so ließe sie sich immer wieder zerschneiden. Deshalb
läßt sich eine Teilung ins Unendliche nicht annehmen. Ich wies ihn
jedoch darauf hin, daß man nicht schließen darf, es müsse eine
letzte Hälfte geben, weil es einen letzten Punkt A gibt; denn dieser letzte
Punkt hat ja teil an allen Hälften auf seiner Seite. Das hat mein
Freund sogar selbst erkannt, als er diesen Schluß durch ein Argument in
streng logischer Form zu beweisen suchte: im Gegenteil, gerade weil die Teilung
ins Unendliche geht, gibt es keine letzte Hälfte.
Obgleich die Gerade AB begrenzt ist, folgt daraus doch
nicht, daß ihre Teilung jemals ein Ende finde. In die nämliche
Verlegenheit bringt man sich mit den ins Unendliche gehenden Zahlenreihen. Man
ersinnt ein Endglied, eine unendlich große oder eine unendlich kleine
Zahl: aber das sind alles nur Fiktionen. Jede Zahl ist endlich und bestimmbar,
jede Linie ebenfalls, und das Unendlichgroße oder Unendlichkleine
bezieht sich nur auf die Größen, die so klein und groß angenommen
werden können wie man will, um zu zeigen, daß ein Irrtum kleiner
ist als man annahm, d. h. daß es gar kein Irrtum ist; oder aber
man meint mit dem Unendlichkleinen den
Zustand einer Größe bei ihrem Dahinschwinden oder bei ihrem Entstehen,
verglichen mit den schon gebildeten Größen.
195. … in dem kleinsten Teilchen der Materie sind schon
unendlich viele Kreaturen enthalten auf Grund der unendlichen Teilbarkeit des
Kontinuums. Und das Unendliche, d. h. die Anhäufung unendlich vieler Substanzen
im eigentlichen Sinne ist kein größeres Ganzes als die unendliche
Zahl selbst, die man weder als gerade noch als ungerade bezeichnen kann. Damit
können wir alle widerlegen, die aus der Welt einen Gott machen oder Gott
als Weltseele auffassen; denn die Welt oder das Universum kann nicht als Tier
oder als Substanz betrachtet.
Alles
lebt und ist in jedem
66.) Daraus ersieht man, daß es in dem kleinsten
Teil der Materie eine Welt von Geschöpfen, von Lebendigem, von Tieren,
Entelechien, Seelen gibt.
67.) Jedes Stück Natur kann als ein Garten voller Pflanzen und als ein
Teich voller Fische aufgefaßt werden. Aber jeder Zweig der Pflanze, jedes
Glied des Tiers, jeder Tropfen seiner Säfte ist wiederum ein solcher Garten
oder ein solcher Teich.
68.) Und obwohl die zwischen den Pflanzen des Gartens befindliche Erde und Luft
oder das zwischen den Fischen des Teichs befindliche Wasser weder Pflanze noch
Fisch ist, so enthalten sie deren doch wieder, aber meistens von einer uns unerfaßbaren
Subtilität.
69.) Daher gibt es nichts Ödes, nichts Unfruchtbares, nichts Totes in der
Welt; kein Chaos, keine Verwirrung, außer nur scheinbare; ungefähr
wie eine solche scheinbar auch in dem Teiche sein würde, wenn man aus einiger
Entfernung eine verworrene Bewegung und sozusagen ein Gewimmel von Fischen sähe,
ohne die Fische selbst zu unterscheiden.
Vorrede zur Theodizee
Im Innern der Dinge gibt es überhaupt nichts Chaotisches und die Organisation
ist in einer Materie, deren Anlagen von Gott bestimmt sind, eine durchgängige.
Ja, man würde den organischen Kern um so besser darin entdecken, je weiter
man in der Zerlegung der Körper gehen würde, und würde die Anlagen
immer wieder entdecken, wenn man auch bis ins Unendliche fortschritte, wie die
Natur und die Weiterteilung in unserem Erkennen so fortsetzen würde, wie
die Natur sie in Wirklichkeit fortgesetzt hat.
70.) Man sieht hieraus, daß jeder
lebendige Körper eine herrschende Entelechie hat, welche in dem Tiere die
Seele ist. Aber die Glieder dieses lebendigen Körpers sind voll von anderem
Lebendigen, von Pflanzen, von Tieren, deren jedes wiederum seine Entelechie
oder seine herrschende Seele hat.
71.) Indessen darf man sich nicht einbilden, wie einige infolge eines Mißverständnisses
meiner Lehre getan haben, daß jede Seele eine Masse oder ein Stück
Materie habe, welche ihr für immer zu eigen gehöre oder zugewiesen
sei, und daß sie infolgedessen andere niedere Lebewesen besitze, die stets
zu ihrem Dienste bestimmt sind. Vielmehr befinden sich alle Körper in einem
immerwährenden Ab- und Zuflusse wie die Ströme, und es treten fortwährend
Teile ein und aus.
Schein
des Todes
72.) Daher wechselt die Seele den Körper
nur allmählich und stufenweise, dergestalt, daß sie niemals
auf einen Schlag aller ihrer Organe beraubt ist. Metamorphosen gibt es oft bei
den Tieren, aber niemals eine Metempsychose oder Seelenwanderung. Auch gibt
es keine ganz und gar für
sich bestehende Seelen oder Genien ohne
Körper. Gott allein ist vom Körper völlig
frei.
Ergänzungen aus der Theodizee
90. Da ich in sich gefestigte Sätze liebe, die möglichst
wenig Ausnahmen zulassen, so will ich hier das anführen, was mir bei dieser
wichtigen Frage in jeder Hinsicht am triftigsten erscheint. Ich bin der Meinung,
die Seelen oder allgemein die einfachen Substanzen können nur auf dem Wege
der Schöpfung entstehen und können nur durch Vernichtung aufhören:
und wie die Bildung lebendiger organisierter Körper nur dann nach
der Naturordnung erklärlich scheint, wenn man eine schon organische Praeformation
annimmt, so folgere ich daraus, die sogenannte Erzeugung eines Tieres sei nur
eine Umformung und Vermehrung, da der nämliche Körper bereits organisiert
war, so liegt es nahe, daß er auch schon belebt war und die nämliche
Seele besaß; ebenso wie ich umgekehrt aus der Erhaltung der Seele, wenn
sie einmal erschaffen ist, folgere, daß das Lebewesen auch erhalten wird
und daß uns der sichtbare Tod nur etwas verhüllt;
denn in der ganzen Naturordnung gibt es keine Belege für die Auffassung,
die Seelen existierten völlig getrennt von jedem Körper und das auf
nicht natürliche Weise Entstehende könne durch die Naturkräfte
zerstört werden.
91. Nachdem wir eine so herrliche Ordnung und so allgemein
anwendbare Regeln für die Lebewesen aufgestellt, erschiene es unvernünftig,
wenn der Mensch ganz davon ausgeschlossen sein sollte und bei ihm alles Seelische
durch ein Wunder geschähe. Schon mehr als einmal habe ich hervorgehoben,
wie sehr es für die Weisheit Gottes spricht, daß alle seine Werke
voller Harmonie sind und daß Natur und Gnade einander entsprechen. Deshalb
glaube ich auch, daß die Seelen, die dazu berufen waren, eines Tages Mensch
zu werden, gleich den Seelen jeder anderen Art, im Samen und in den Vorfahren
bis auf Adam enthalten waren und infolgedessen seit Beginn der Welt immer in
einer Art organischem Körper existiert haben … Aus mehreren Gründen
aber erscheint es mir noch wahrscheinlicher, daß die
Seelen damals nur in sensitivem oder animalischem Zustand, mit Vorstellungsvermögen
und Empfindung begabt, aber ohne Vernunft, existierten; und daß
sie in diesem Zustande bis auf die Zeit verblieben, wo der Mensch, dem sie angehören
sollten, erzeugt wurde, daß sie aber auch dann erst Vernunft erhielten,
entweder dadurch, daß eine sensitive Seele auf natürlichem Wege zur
vernünftigen Seele werden kann (was ich aber schwer begreife), oder dadurch,
daß Gott dieser Seele auf eine besondere Weise Vernunft einpflanzte, oder
endlich durch eine Art Transkreation (übertragende
Schöpfung). Dem kann man sich um so leichter anschließen,
als uns die Offenbarung von einer Reihe anderer unmittelbarer Einwirkungen Gottes
auf unsere Seelen Kunde gibt. Diese Erklärung dürfte geeignet sein,
die hierbei in der Philosophie oder Theologie auftretenden Bedenken zu heben,
da der Ursprung der Formen ganz aufhört, schwer begreiflich zu sein, und
es mit der göttlichen Gerechtigkeit weit eher im Einklang steht, wenn er
der durch Adams Sünde bereits physisch oder animalisch verdorbenen Seele
eine neue Vollkommenheit verleiht, nämlich die Vernunft, anstatt daß
er durch Schöpfung oder auf andere Weise eine vernünftige Seele in
einen Körper versetzt, wo sie moralisch zugrunde gerichtet werden muß.
73.) Aus diesem Grunde gibt es auch streng
genommen niemals eine völlige Neuerzeugung und niemals
einen vollkommenen, in der Trennung der Seele vom Körper bestehenden Tod.
Was wir Zeugung nennen, ist in Wahrheit Entwicklung und Wachstum. So ist auch,
was wir Tod nennen, Einziehung
und Verminderung.
74.) Die Philosophen sind über den Ursprung der Formen, Entelechien oder
Seelen sehr in Verlegenheit gewesen. Nachdem man aber heutzutage durch genaue
Untersuchungen an Pflanzen, Insekten und anderen Lebewesen beobachtet hat, daß
die organischen Naturkörper niemals aus einem Chaos oder aus einer Fäulnis
hervorgehen, sondern immer aus Samen, in welchen ohne Zweifel irgendeine Präformation
bestand, ist man zu der Ansicht gekommen, daß nicht allein der organische
Körper schon vor der Empfängnis im Samen vorhanden war, sondern auch
eine Seele in diesem Körper und mit einem Wort das Lebewesen selbst. Vermittelst
der Empfängnis wird dieses Lebewesen lediglich zu einer großen Umbildung
befähigt; es wird dadurch ein Geschöpf anderer Art. Etwas ähnliches
bemerkt man selbst ohne Zeugung, wenn zum Beispiel die Maden
zu Fliegen und die Raupen zu Schmetterlingen werden.
Ergänzungen aus der Theodizee
86. Die erste Schwierigkeit ist die, wie
die Seele von der Erbsünde, der Wurzel aller tätigen Sünden,
angesteckt werden konnte, ohne daß Gott ungerecht handelte. als
er sie in diese Lage brachte. Aus dieser Schwierigkeit sind drei Ansichten über
den Ursprung der Seele selbst entstanden: die der Praeexistenz
der menschlichen Seelen in einer anderen Welt oder in einem anderen Leben, wo
sie gesündigt hätten und deswegen zur Gefangenschaft im Menschenleibe
verdammt worden wären. Das ist die Ansicht der Platoniker, der auch
Origenes zuneigte und die man noch heute bei Sektierern antrifft. Henry Morus,
ein englischer Gelehrter, hat in einem besonderen Buche etwas derartiges behauptet.
Einige, die diese Praeexistenz behaupteten, sind bis zur Metempsychose gegangen.
Auch Herr Helmont der Jüngere war dieser Ansicht und der scharfsinnige
Verfasser »metaphysischer Meditationen« (1678 veröffentlicht),
namens Wilhelm Wander, scheint eine Neigung dazu zu haben. Die zweite
Meinung ist die der Traduktion, nach der die kindliche
Seele per Traducem von der Seele oder von den Seelen derer hervorgebracht
wäre, die den Körper erzeugt hätten. Augustin
vertrat sie, um die Erbsünde besser sichern zu können. Auch die meisten
Theologen Augsburgischer Konfession lehren sie. Sie ist jedoch nicht ganz und
gar bei ihnen anerkannt, da die Universitäten von Jena, Helmstädt
und andere ihr schon seit langem feindlich gegenüberstehen. Die
dritte und heute am meisten angenommene Meinung ist die der
Kreation. Sie wird in den meisten christlichen Schulen gelehrt, enthält
aber auch die größten Schwierigkeiten in bezug auf die Erbsünde.
89. Will man den Ursprung der menschlichen
Seele feststellen, so sind jedoch Traduktion und
Eduktion in gleicher Weise unbrauchbar.
Mit den substantiellen Formen verhält es sich nicht so; denn diese sind
nur Modifikationen der Substanz und ihr Ursprung läßt sich durch
die Eduktion erklären, d. h. wie bei dem Ursprung der Figuren durch eine
veränderte Begrenzung. Ganz anders verhält es sich jedoch mit dem
Ursprung einer Substanz, deren Beginn und Vernichtung gleich schwierig dargetan
werden kann. Sennert und Sperling haben es beide nicht gewagt, den Seelen der
Tiere oder anderen ursprünglichen Formen Subsistenz und Unzerstörbarkeit
zuzuschreiben, obwohl sie diese als unteilbar und immateriell anerkennen. Sie
vermengen jedoch hierbei Unzerstörbarkeit
und Unsterblichkeit, worunter man beim Menschen
versteht, daß nicht nur die Seele, sondern auch die Individualität
subsistiere: d. h. indem man sagt, die Seele des Menschen
ist unsterblich, läßt man das fortbestehen, was die Identität
der Person ausmacht, die dadurch ihre moralische Qualität erhält,
daß sie das Bewußtsein oder das innere reflexive Wissen um ihre
Beschaffenheit bewahrt: nur deshalb kann sie bestraft und belohnt werden.
Für die Tierseele gibt es keine solche Erhaltung der Individualität,
und darum halte ich es für richtiger zu sagen, die Tierseelen seien unvergänglich
als sie seien unsterblich. Indessen scheint dieses Mißverständnis
eine große Inkonsequenz in der Lehre der Thomisten und anderer tüchtiger
Philosophen verschuldet zu haben, die allen Seelen Immaterialität und Unteilbarkeit
zusprechen, ohne ihre Unzerstörbarkeit anzuerkennen, zum großen
Nachteil der Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Johannes Scotus,
d.h. der Schotte (was früher Iberier oder »in
Irland geboren« Erigena — bedeutete),
der berühmte Schriftsteller aus der Zeit Ludwigs des Frommen und seiner
Söhne, entschied sich für die Erhaltung aller Seelen; und ich vermag
nicht einzusehen, warum es weniger unpassend sein sollte, den Atomen Epicurs
oder Gassendis dauernde Existenz beizulegen als
die wirklich einfachen und unteilbaren Substanzen, die einzigen und wahren Atome
der Natur, subsistieren zu lassen. Pythagoras sagt mit Recht bei Ovid (Met.
XV, 158): Morte carent animae.
[Die Seelen sind vom Tode frei].
397. Wie ich oben (Teil 1, § 86ff.) gezeigt habe, können
die Seelen auf natürlichem Wege weder entstehen noch aus einander erschaffen
werden, und muß auch die unserige entweder geschaffen oder präexistierend
sein. Ich habe sogar auf einen gewissen Mittelzustand zwischen Schöpfung
und völliger Präexistenz hingewiesen, als ich die Behauptung aufstellte,
die im Samen seit Anbeginn der Dinge präexistierende Seele sei nur mit
Empfindungen begabt, sie werde aber zu höherem Grade, zur Vernunft, emporgehoben,
wenn der Mensch, dem diese Seele zu eigen sein soll, geschaffen worden und der
organisierte Körper, der unter vielen Veränderungen von Anfang an
ständige Begleiter dieser Seele, zur Bildung des menschlichen Körpers
bestimmt worden ist. Ich habe auch vermutet, man könne diese Erhebung der
sensitiven Seele (wodurch sie zu einem wesentlich höheren Grade, d. h.
zur Vernunft, gelangt) der außerordentlichen göttlichen Wirksamkeit
zuschreiben. Doch sei lieber hinzugefügt, daß ich bei der Erzeugung
des Menschen und der übrigen Tiere besser auf ein Wunder verzichten möchte,
und zwar auf die Weise, daß man annimmt, unter vielen Seelen und Tieren,
oder wenigstens unter den vielen im Samen enthaltenen lebenden organisierten
Körpern, schließen nur jene Seelen, die da eines Tages Menschengestalt
annehmen sollen, die Vernunft, die dereinst in ihnen erscheinen wird, in sich,
und nur die organisierten Körper dieser Seelen sind praeformiert empfänglich
gemacht, dereinst Menschengestalt anzunehmen, während sich die übrigen
kleinen Lebewesen oder Samentierchen, die nicht derartig bestimmt sind, wesentlich
von ihnen unterscheiden und nur Geringeres in sich bergen. Diese Erzeugung ist
eine Art Traduktion, doch ist sie annehmbarer als die gewöhnlich gelehrte:
sie läßt nicht die Seelen, sondern nur die Lebewesen auseinander
hervorgehen und vermeidet die häufigen Wunder einer neuen Schöpfung,
durch die eine neue Seele einem Körper ein. verleibt wird, der sie zugrunde
richten muß.
75.) Die Lebewesen, von denen einige vermittels
der Empfängnis auf die Stufe größerer Tiere erhoben werden,
kann man spermatische nennen. Diejenigen unter ihnen, welche in ihrer Art verbleiben
— und das ist die Mehrzahl —, werden geboren, vermehren sich und
verfallen wie die großen Tiere. Nur eine kleine
Anzahl von Auserwählten geht auf einen größeren Schauplatz über.
76.) Dies wäre jedoch erst die Hälfte der Wahrheit: Ich folgerte daher,
daß, wenn das Tier niemals auf natürlichem
Wege beginnt, es auch niemals auf natürlichem Wege endet, und daß
es nicht nur keine völlige Neuerzeugung geben wird,
sondern auch weder gänzliche Zerstörung noch Tod im strengen Sinne.
Die a posteriori gemachten und aus der Erfahrung
gezogenen Schlüsse stimmen auch hier vollkommen mit meinen a priori abgeleiteten
Prinzipien überein.
Unsterblichkeit
der Seele
77.) Man kann also sagen, daß nicht allein
die Seele (als Spiegel einer unzerstörbaren Welt) unzerstörbar ist,
sondern auch das Tier selbst, obwohl seine Maschine oft teilweise untergeht
und organische Hüllen abwirft oder annimmt.
Prästabilierte
Harmonie
78.) Diese Prinzipien haben mir ein Mittel an die Hand gegeben, durch
welches man die Vereinigung oder vielmehr die Übereinstimmung
der Seele mit dem organischen Leib auf natürliche Weise erklären
kann. Die Seele folgt ihren eigenen Gesetzen und ebenso
der Leib den seinigen; sie treffen zusammen kraft der Harmonie, welche unter
allen Substanzen prästabiliert ist, da sie sämtlich Vorstellungen
einer und derselben Welt sind.
Ergänzungen aus der Theodizee
Vorrede. Es wird vielleicht zweckmäßig sein, darauf
aufmerksam zu machen, bevor ich dieses Vorwort schließe, daß ich,
obgleich ich den physischen Einfluß der Seele auf
den Körper oder umgekehrt bestreite, das heißt einen solchen
Einfluß, der zur Folge hat, daß ein Teil die Gesetze des anderen
stört, ich darum nicht die an ihre Stelle tretende Vereinigung des einen
mit dem anderen bestreite; diese Vereinigung aber ist etwas Metaphysisches,
wodurch an den Erscheinungen selbst sich nichts ändert. …. So kann
man denn auch, wenn man dies im metaphysischen Sinne versteht, behaupten. die
Seele wirke auf den Körper ein und umgekehrt. Es ist auch durchaus richtig,
daß die Seele die Entelechie oder das aktive Prinzip bildet, während
das Körperliche rein für sich oder das bloß Materielle nur das
Passive enthält, so daß also in den Seelen das Prinzip der Tätigkeit
zu suchen ist.
355. Das wahre Mittel, wodurch Gott es bewerkstelligt, daß
die Seele Empfindung von körperlichen Vorgängen besitzt, entstammt
der Natur der Seele: sie repräsentiert die Körper und ist von vornherein
so eingerichtet, daß die in ihr durch eine natürliche Gedankenfolge
auseinander entstehenden Repräsentationen der Veränderung in den Körpern
entsprechen.
400. Ich gebe zu, daß die Seele
die Organe durch einen physischen Einfluß nicht bewegen kann, denn meiner
Meinung nach muß der Körper von vornherein derartig geschaffen sein,
daß er zur richtigen Zeit und am richtigen Ort tut, was dem Willen der
Seele entspricht, obgleich trotzdem die Seele das wirkende Prinzip ist.
Für die Behauptung jedoch, die Seele erzeuge weder ihre Gedanken noch ihre
Sinnesempfindungen, Schmerz- und Lustgefühle, sehe ich nicht den mindesten
Grund. Für mich muß jede einfache Substanz (d. h. jede wirkliche
Substanz) die wirkliche, unmittelbare Ursache ihres gesamten inneren Handelns
und Leidens sein; und im ganz streng metaphysischen Sinne besitzt sie überhaupt
nur das, was sie selbst hervorbringt. Diejenigen, welche anderer Ansicht sind
und Gott allein handeln lassen, geraten ohne Grund bei Ausdrücken in Verlegenheit,
denen sie sich nur mit Mühe entwinden können, ohne gegen die Religion
zu verstoßen: abgesehen davon, daß sie ganz und gar gegen die Vernunft
verstoßen.
79.) Die Seelen wirken
nach den Gesetzen der Finalgründe durch Begehrungen,
Zwecke und Mittel. Die Körper wirken
nach den Gesetzen der bewirkenden Ursachen oder der Bewegungen.
Und diese beiden Reiche, das der bewirkenden Ursachen und das der Finalgründe,
harmonieren miteinander.
80.) Descartes hat erkannt, daß die Seelen den Körpern keine Kraft
geben können, weil die Größe der Kraft in der Materie immer
dieselbe ist. Indessen meinte er, daß die Seele die Richtung des Körpers
ändern könne. Das war aber nur eine Folge davon, daß man zu
seiner Zeit das Naturgesetz noch nicht kannte, nach welchem in der Materie auch
die nämliche Gesamtrichtung erhalten wird. Wenn Descartes das gewußt
hätte, so würde er auf mein System der prästabilierten
Harmonie verfallen sein.
Ergänzungen aus der Theodizee
59. Ich habe soeben gezeigt, wie die Willenshandlung von diesen
Ursachen abhängt, daß nichts der menschlichen Natur so sehr entspricht,
wie diese Abhängigkeit unserer Handlungen, und daß man sonst einer
absurden und unerträglichen sklavischen Notwendigkeit, d. h. dem Fatum
Mahometanum verfiele: und dies ist das schlimmste von allem, da es Voraussicht
und Überlegung zuschanden macht. Indessen wäre es gut, nun auch zu
zeigen, wie diese Abhängigkeit der Handlungen es nicht hindert, daß
in allem eine uns wunderbar erscheinende Spontaneität
steckt, die gewissermaßen die Seele in ihren Entschlüssen
von dem physischen Einfluß aller anderen Geschöpfe unabhängig
macht. Diese bis jetzt wenig bekannte Spontaneität, die unsere Herrschaft
über unsere Handlungen soweit wie möglich ausdehnt, ist eine Folge
des Systems der praestabilierten Harmonie, auf das ich jetzt etwas näher
eingehen muß. Die Schulphilosophen glaubten, es bestände ein wechselseitiger
physischer Einfluß zwischen Körper und Seele, aber seit man erkannte,
daß das Denken und die Materie nichts miteinander gemeinsam haben, sondern
daß es toto genere verschiedene Schöpfungen sind, sahen mehrere
Moderne ein, daß es keine physische Verbindung zwischen der Seele und
dem Körper gäbe, obgleich die metaphysische Verbindung ständig
vorhanden ist und es bewirkt, daß Seele und Körper ein Substrat bilden,
das man eine Person nennt. Gäbe es nämlich eine solche physische Verbindung,
dann könnte die Seele die Geschwindigkeit und Richtung irgendwelcher Bewegungen
in dem Körper und der Körper umgekehrt die Gedankenfolge in der Seele
ändern. Man kann jedoch diese Wirkung aus keiner Vorstellung herleiten,
die man im Körperlichen oder Seelischen antrifft; obwohl wir nichts genauer
kennen als die Seele, da sie uns, d. h. sich selbst innig vertraut ist.
60. Herr Descartes wollte nachgeben und einen Teil der Seele
von der körperlichen Tätigkeit abhängig machen. Er glaubte im
Besitz einer Naturgesetzmäßigkeit zu sein, wonach sich im Körper
die gleiche Bewegungsquantität erhält. Er hielt es für unmöglich,
daß der Einfluß der Seele jenes Gesetz der Körper verletzen
könne, aber er glaubte, die Seele habe dennoch die Macht, die Richtung
der Bewegungen im Körper zu verändern; ungefähr wie ein Reiter
dem Pferde keine Kraft erteilt, aber es trotzdem leitet und jene Kraft nach
seinem Gutdünken lenkt. Aber da dies durch Zügel, Gebiß, Sporen
und andere körperliche Hilfsmittel geschieht, so versteht man es; die Seele
hat jedoch keine Werkzeuge, deren sie sich zu diesem Zwecke bedienen kann; weder
in der Seele noch im Körper, d. h. weder im Denken noch in der Materie
findet sich irgend etwas, das diese gegenseitige Veränderung erklärlich
machen könnte. Kurz und gut, daß die Seele die Menge der Kraft und
daß sie die Richtung der Kraftlinie verändert, dies sind zwei gleich
unerklärliche Vorgänge.
61. Außerdem hat man seit Descartes zwei bedeutende sich
hierauf beziehende Wahrheiten gefunden: die erste besagt, daß die absolute
Kraftmenge in der Wirkung erhalten bleibt und von der Bewegungsgröße
unterschieden ist, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe. Die zweite Entdeckung
geht dahin, daß sich in allen Körpern, deren Wechselwirkung man annimmt,
die gleiche Bewegungsrichtung erhält, wie
sie auch aufeinander treffen mögen. Hätte Herr Descartes diese Regel
gekannt, so würde er die Richtung der Körper ebenso unabhängig
von der Seele gemacht haben wie ihre Kraft; und ich glaube, dies hätte
ihn geradewegs auf die Hypothese von der prästabilierten Harmonie geführt,
worauf mich diese Regel geführt hat. Abgesehen davon, daß der physische
Einfluß dieser beiden Substanzen aufeinander unerklärlich ist, bin
ich mir klar geworden, daß ohne eine völlige Aufhebung der Naturgesetze
die Seele auf den Körper physisch nicht wirken kann. Hier kann man auch
nicht auf sonst tüchtige Philosophen hören, die einen Gott wie eine
Theatermaschine figurieren lassen, um das Stück zu beenden, indem sie behaupten,
Gott beschäftige sich ausgerechnet damit, die Körper nach dem Wunsch
der Seele zu bewegen und der Seele die Vorstellungen zu geben, nach denen der
Körper gelüstet, um so weniger als dieses sogenannte System der Gelegenheitsursachen
(weil es lehrt, Gott richte seine Tätigkeit auf den Körper bei der
Gelegenheit, welche die Seele ihm gibt und vice versa nicht nur mit ständigen
Wundem operiert, um die Verbindung zwischen diesen beiden Substanzen zu bewerkstelligen,
sondern auch die Aufhebung der Naturgesetze nicht verhütet, welche in jeder
von diesen Substanzen begründet sind: diese Störung würde nämlich
der nach allgemeiner Ansicht bestehende Einfluß zur Folge haben.
62. So war ich außerdem im allgemeinen von jenem Prinzip
der Harmonie überzeugt und dadurch auch von der Praeformation
und der praestabilierten Harmonie zwischen allen Dingen, zwischen der Natur
und der Gnade, den göttlichen Entschlüssen und unseren vorhergesehenen
Handlungen, zwischen allen Teilen der Materie und sogar zwischen Zukunft und
Vergangenheit — alles in Übereinstimmung mit der höchsten Weisheit
Gottes, dessen Werke die denkbar harmonischsten sind. Daher mußte
ich auf dieses System kommen, nach welchem Gott die Seele uranfänglich
so erschaffen hat, daß sie alles in ihrem Körper Geschehende ordnungsgemäß
erzeugen und vorstellen muß, und den Körper so, daß er seinerseits
tun muß, was die Seele befiehlt. So müssen
die Gesetze, die die Gedanken der Seele in der Ordnung der Endursachen und nach
der Aufeinanderfolge der Perzeptionen verbinden, Bilder hervorrufen, die mit
den Eindrücken der Körper auf unsere Organe zusammentreffen und übereinstimmen;
und ebenso müssen die Bewegungsgesetze der Körper, die in der Ordnung
der bewirkenden Ursachen voneinander abhängen, mit den Gedanken der Seele
derart zusammentreffen und in Übereinstimmung sein, daß der Körper
zu handeln genötigt wird in demselben Augenblick, wo die Seele es wünscht.
63. Diese Ansicht ist der Freiheit keineswegs nachteilig, sondern
ist für sie im Gegenteil sehr günstig. Herr Jaquelot hat in seinem
Buche über den Einklang zwischen Vernunft und Glauben sehr gut gezeigt,
daß dies gerade so ist als wenn jemand, der genau weiß, was ich
einem Diener am folgenden Tage befehlen werde, einen Automaten herstellte, der
diesem Diener genau gliche und morgen alle meine Befehle genau ausführte:
das würde mich nicht hindern, alles was mir gefällt aus freiem Ermessen
kundzutun, obgleich die Tätigkeit des mir dienenden Automaten nichts Freies
enthält.
345. Im übrigen scheint mir der Grund, aus dem mehrere
die Bewegungsgesetze für willkürlich halten, einfach daher zu stammen,
daß nur wenige sie richtig untersucht haben. Man weiß jetzt, daß
Herr Descartes sich bei ihrer Aufstellung in großer Täuschung befand.
Ich habe deutlich bewiesen, daß die Erhaltung ein
und derselben Bewegungsquantität nicht statthaben kann, sondern finde,
daß sich dieselbe absolute Kraftmenge der Richtung und Beziehung, im Ganzen
wie im Teil, erhält. Meine Prinzipien, durch die dieser Gegenstand
so weit entwickelt wird, wie er entwickelt werden kann, sind noch nicht vollständig
veröffentlicht, ich habe sie aber urteilsfähigen Freunden mitgeteilt,
die von ihnen sehr eingenommen waren und andere Personen von anerkannter Gelehrsamkeit
und Verdienst bekehrten. Gleichzeitig entdeckte ich, daß die in der Natur
wirklich vorhandenen, durch Erfahrungen verifizierten
Bewegungsgesetze nicht so absolut beweisbar sind wie ein geometrischer Lehrsatz
- aber das brauchen sie auch gar nicht. Sie stammen ihrem ganzen Umfange
nach nicht aus der Notwendigkeit, sondern aus dem Prinzip
der Vollkommenheit und Ordnung; sie sind eine Wirkung der göttlichen Auswahl
und Weisheit. Diese Gesetze kann ich auf verschiedene Art beweisen, es
muß dabei aber immer etwas vorausgesetzt werden, das keinerlei absolute
geometrische Notwendigkeit enthält. So sind diese schönen Gesetze
ein wunderbarer Beweis für ein intelligentes, freies Wesen und zeugen gegen
das System Stratons oder Spinozas, gegen die absolute
blinde Notwendigkeit.
346. Man kann diese Gesetze, wie ich gefunden habe, dadurch begründen,
daß man annimmt, die Wirkung sei an Kraft stets der Ursache gleich oder,
was dasselbe ist, es bleibe stets dieselbe Kraft erhalten: doch kann dieses
Axiom einer höheren Philosophie nicht geometrisch bewiesen werden. Man
kann noch andere Prinzipien ähnlicher Natur anwenden, wie z. B. das Prinzip,
Wirkung und Rückwirkung sind stets gleich, welches den Dingen einen Widerstand
gegen äußere Veränderungen beilegt und sich weder aus der Ausdehnung
noch aus der Undurchdringlichkeit ergibt, sowie jenes andere, wonach eine einfache
Bewegung denselben Charakter hat, den eine zusammengesetzte Bewegung haben würde,
welche dieselben Übertragungserscheinungen erzeugte. - Diese Annahmen sind
sehr einleuchtend und zu einer befriedigenden Darstellung der Bewegungsgesetze
sehr geeignet: es gibt nichts Passenderes, besonders weil sie alle auf dasselbe
hinaus¬kommen, und dennoch findet man in ihnen keinerlei absolute Notwendigkeit,
die uns zu ihrer Annahme zwingt, wie wir zur Annahme der logischen, arithmetischen
und geo¬metrischen Gesetze gezwungen werden.
347. Betrachtet man die Gleichgültigkeit der Materie gegen
Bewegung und Ruhe, so gewinnt es den Anschein, als könne ein größerer
ruhender Körper ohne den mindesten Widerstand von einem kleineren bewegten
Körper mitgerissen werden, wobei dann eine Wirkung ohne Gegenwirkung sowie
eine die Ursache übersteigende Wirkung vorläge. Es besteht auch keine
Notwendigkeit, zu behaupten, die Bewegung einer mit einer gewissen Geschwindigkeit
A über eine horizontale Ebene frei rollenden Kugel müsse die gleichen
Eigenschaften haben als wenn sich die Kugel mit geringerer Geschwindigkeit in
einem Schiffe bewegte, das seinerseits mit der übrigbleibenden Geschwindigkeit
in der nämlichen Richtung fährt, um zu bewirken, daß die vom
Ufer gesehene Kugel mit derselben Geschwindigkeit A vorwärts rollt. Denn
obzwar durch das Schiff dieselbe Geschwindigkeit und Richtung zu resultieren
scheint, liegt hier sachlich nicht der gleiche Fall vor. Indessen findet man,
daß die Wirkung des Zusammenpralls von Kugeln im Schiffe, von denen die
Bewegung einer jeden, zusammen mit der Bewegung des Schiffes das außerhalb
des Schiffes Gesehene resultieren läßt, daß diese Wirkung auch
die scheinbare Wirkung erzeugt, welche dieselben Kugeln außerhalb des
Schiffes bei ihrem Zusammenstoß erzeugen wurden. Das ist schön, doch
sieht man seine absolute Notwendigkeit nicht ein. Eine Bewegung in Richtung
der beiden Katheten eines rechtwinkligen Dreiecks bildet eine zusammengesetzte
Bewegung auf der Hypothenuse, daraus aber folgt durchaus nicht, daß eine
sich auf der Hypothenuse bewegende Kugel dieselbe Wirkung haben muß wie
zwei gleichgroße, auf den Katheten bewegte Kugeln: und trotzdem
findet sich dies in der Tat. Es gibt nichts Passenderes als diese Tatsache,
deren Gesetze Gott erzeugt hat: allein eine geometrische
Notwendigkeit kann man darin nicht erblicken. Indessen wird gerade durch diese
fehlende Notwendigkeit die Schönheit der von Gott erwählten Gesetze
erhöht, in denen sich mehrere schöne Axiome vereint finden, ohne daß
man sagen könnte, welches das ursprünglichere unter ihnen ist.
348. Des ferneren habe ich gezeigt, daß sich hierin das
schöne Gesetz der Kontinuität ausspricht, das ich vielleicht als erster
aufgestellt habe und das eine Art Prüfstein darstellt, an welchem die Gesetze
des Herrn Descartes, des Pater Fabry, des Pater Pardies, des Pater Malebranche
und anderer zuschanden werden: wie ich zum Teil früher in den »Neuigkeiten
aus der Gelehrten-Republik«, herausgegeben von Herrn Bayle, ausgeführt
habe. Nach diesem Gesetze kann man die Ruhe als eine nach steter Verminderung
verlöschende Bewegung und die Gleichheit in derselben Weise als eine ebenfalls
verlöschende Ungleichheit ansehen, wie sie bei zwei ungleichen Körpern
eintritt, wenn der größere ständig abnimmt und der kleinere
währenddessen seine Größe beibehält, und auf Grund dieser
Betrachtung ist das allgemeine Gesetz ungleicher oder bewegter Körper auf
gleiche Körper oder auf solche, von denen der eine in Ruhe ist, als Sonderfall
anwendbar. Das gelingt mit den wirklichen Bewegungsgesetzen, während es
mit gewissen, von Herrn Descartes und anderen geschickten Leuten ausgeklügelten
nicht gelingt, woraus sich allein schon ergibt, wie schlecht sie abgefaßt
sind, denn man kann von vornherein sagen, daß die Erfahrung ihnen nicht
günstig sein werde.
349. Diese Betrachtungen zeigen deutlich, daß die Naturgesetze,
welche die Bewegung regeln, weder ganz und gar notwendig noch völlig willkürlich
sind. Der Mittelweg, den es hier einzuschlagen gilt, besteht darin, sie zu einer
Wahl der vollkommensten Weisheit zu machen. Und aus diesem großen Beispiel
der Bewegungsgesetze erkennt man aufs allerdeutlichste, wie groß der Unterschied
zwischen folgenden drei Fällen ist: nämlich erstens einer absoluten,
metaphysischen oder geometrischen Notwendigkeit, die man auch als blinde Notwendigkeit
bezeichnen kann, weil sie nur von bewirkenden Ursachen abhängt; zweitens
einer moralischen Notwendigkeit, welche aus der freien Wahl der Weisheit im
Hinblick auf die Zweckursachen entspringt, und endlich, drittens, einer absolut
willkürlichen Sache, die von einem erdichteten indifferenten Gleichgewicht
abhängt, das nicht existieren kann und für das es weder unter den
bewirkenden noch unter den Endursachen einen zureichenden Grund gibt. Daraus
kann man schließen, wie unrecht man tut, wenn man das absolut Notwendige
mit dem durch den Grund des Besten Bestimmten verwechselt oder die durch Vernunft
bestimmte Freiheit mit einer vagen Indifferenz zusammenwirft.
81.) Nach diesem
System wirken die Körper so, als ob es (das Unmögliche angenommen!
keine Seelen gäbe, und die Seelen so, als ob es keine Körper gäbe;
beide zusammen wirken so, als ob eine auf das andere Einfluß ausübte.
Unterschiede
zwischen Geistern und Seelen
82.) Was die Geister oder vernünftigen Seelen anbelangt, so finde
ich zwar, daß es sich im Grunde bei allem Lebendigen und bei allen Tieren
ebenso verhält, wie eben dargelegt worden ist (daß nämlich
das Tier und die Seele nur mit der Welt entstehen und nicht eher als die Welt
enden). Immerhin gibt es bei den vernünftigen Lebewesen das Besondere,
daß ihre Samentierchen solange sie eben nichts weiter als solche sind,
nur gewöhnliche oder sensitive Seelen haben; sobald aber diejenigen, welche
sozusagen auserwählt sind, durch eine wirkliche Empfängnis zur menschlichen
Natur gelangen, werden auch ihre sensitiven Seelen auf
die Stufe der Vernunft und zum Vorrecht der Geister erhoben.
Ergänzungen aus der Theodizee
91. Nachdem wir eine so herrliche Ordnung und so allgemein
anwendbare Regeln für die Lebewesen aufgestellt. erschiene es unvernünftig,
wenn der Mensch ganz davon ausgeschlossen sein sollte und bei ihm alles Seelische
durch ein Wunder geschähe. Schon mehr als einmal habe ich hervorgehoben,
wie sehr es für die Weisheit Gottes spricht, daß alle seine Werke
voller Harmonie sind und daß Natur und Gnade einander entsprechen. Deshalb
glaube ich auch, daß die Seelen, die dazu berufen waren, eines Tages Mensch
zu werden, gleich den Seelen jeder anderen Art, im Samen und in den Vorfahren
bis auf Adam enthalten waren und infolgedessen seit Beginn der Welt immer in
einer Art organischem Körper existiert haben … Aus mehreren Gründen
aber erscheint es mir noch wahrscheinlicher, daß die
Seelen damals nur in sensitivem oder animalischem Zustand, mit Vorstellungsvermögen
und Empfindung begabt, aber ohne Vernunft, existierten; und daß
sie in diesem Zustande bis auf die Zeit verblieben, wo der Mensch, dem sie angehören
sollten, erzeugt wurde, daß sie aber auch dann erst Vernunft erhielten,
entweder dadurch, daß eine sensitive Seele auf natürlichem Wege zur
vernünftigen Seele werden kann (was ich aber schwer begreife), oder dadurch,
daß Gott dieser Seele auf eine besondere Weise Vernunft einpflanzte, oder
endlich durch eine Art Transkreation (übertragende Schöpfung). Dem
kann man sich um so leichter anschließen, als uns die Offenbarung von
einer Reihe anderer unmittelbarer Einwirkungen Gottes
auf unsere Seelen Kunde gibt. Diese Erklärung dürfte geeignet
sein, die hierbei in der Philosophie oder Theologie auftretenden Bedenken zu
heben, da der Ursprung der Formen ganz aufhört, schwer begreiflich zu sein,
und es mit der göttlichen Gerechtigkeit weit eher im Einklang steht, wenn
er der durch Adams Sünde bereits physisch oder animalisch verdorbenen Seele
eine neue Vollkommenheit verleiht, nämlich die Vernunft, anstatt daß
er durch Schöpfung oder auf andere Weise eine vernünftige Seele in
einen Körper versetzt, wo sie moralisch zugrunde gerichtet werden muß.
83.) Neben anderen Unterschieden zwischen
den gewöhnlichen Seelen und den Geistern, von denen ich schon einen Teil
angegeben habe, findet sich auch noch der, daß die
Seelen im allgemeinen lebende Spiegel oder Abbilder der Kreaturen-Welt sind,
die Geister dagegen auch noch Abbilder der Gottheit selbst
oder des Urhebers der Natur. Sie sind fähig, das System
des Weltgebäudes zu erkennen und etwas davon in architektonischen Probestücken
nachzuahmen, da jeder Geist in seinem Bezirk gleichsam eine kleine Gottheit
ist.
Ergänzungen aus der Theodizee
147. Es folge noch ein besonderer Grund für die scheinbare
Unordnung beim Menschen: Als Gott ihm Intelligenz verlieh, gab er ihm gleichsam
ein Bild der Gottheit zum Geschenk. Er läßt
ihn gewissermaßen in seinem kleinen Bereich arbeiten, ut
Spartam quam nactus est, ornet, und hilft selbst nur auf
verborgene Weise; denn er sorgt für Existenz, Kraft, Leben und Vernunft,
ohne sich dabei sehen zu lassen. Hier nun treibt
der freie Wille sein Spiel: Gott scherzt sozusagen mit
diesen kleinen Göttern, die er zu erzeugen beliebte, wie wir mit den Kindern
scherzen, deren Beschäftigungen wir unter der Hand nach unserem Belieben
fördern oder hindern. Der Mensch ist also in seiner Welt einem Gotte gleich,
er regiert sie, den Mikrokosmos, nach seiner Laune: hier erzeugt er zuweilen
Wunder und seine Kunst ahmt oft die Natur nach.
84.) Dies hat zur Folge, daß
die Geister fällig sind, in eine gewisse
Gemeinschaft mit Gott zu treten, und daß Gott zu ihnen nicht bloß
in dem Verhältnis eines Erfinders zu seiner Maschine steht (wie das bei
den übrigen Geschöpfen der Fall ist), sondern auch im Verhältnis
eines Fürsten zu seinen Untertanen und sogar eines
Vaters zu seinen Kindern.
Das
Gottesreich ist eine Universal-Monarchie
85.) Hieraus schließt man leicht, daß die Versammlung
aller Geister das Reich Gottes bilden muß, d. h. den vollkommensten
Staat, der unter dem vollkommensten aller Monarchen möglich ist.
86.) Dieses Reich Gottes, diese wahrhafte Universal-Monarchie,
ist eine moralische Welt in der natürlichen Welt und das erhabenste und
himmlischste unter den Werken Gottes. In ihr besteht die wahre
Ehre Gottes, die er ja nicht haben würde, wenn seine Größe und
seine Güte nicht von den Geistern erkannt und bewundert wären.
Auch übt er seine Güte ganz eigentlich in bezug auf diesen Gottes-Staat,
während sich seine Weisheit und seine Macht
allenthalben zeigen.
87.) Wie wir oben eine vollkommene Harmonie zwischen zwei natürlichen Bereichen,
dem der bewirkenden Ursachen und dem der Finalgründe, aufgestellt haben,
so müssen wir hier noch eine zweite Harmonie bemerklich
machen: zwischen dem physischen Bereiche der Natur und
dem moralischen Bereiche der Gnade, d. h. zwischen Gott, dem Baumeister der
Weltmaschine, und Gott, dem Monarchen des göttlichen Geister—Staats.
Ergänzungen aus der Theodizee
118. … Das Reich der Natur soll allerdings dem Reich
der Gnade dienen, aber da alles in dem großen Plane Gottes verbunden ist,
so muß man vermuten, daß auch das Reich der Gnade in gewisser Hinsicht
dem Reiche der Natur angepaßt ist, so daß dieses die größte
Ordnung und Schönheit in sich enthält, damit die Verbindung zwischen
beiden so vollkommen wie nur möglich ist. Man hat nicht die geringste Veranlassung
anzunehmen, Gott stürze um einiger moralischer Übel willen die ganze
Naturordnung um. Jede Vollkommenheit oder Unvollkommenheit der Kreatur hat ihren
Wert, aber einen unendlichen Wert hat keine. Daher übersteigt das Wohl
der vernünftigen Kreaturen oder ihr moralisches und physisches Übel
keineswegs unbegrenzt das bloß metaphysische Gut oder Übel, d. h.
dasjenige, das in der Vollkommenheit anderer Kreaturen besteht: was man doch
sagen müßte, wenn der vorliegende Grundsatz buchstäblich wahr
wäre….
Züchtigung
und Strafe
88.) Diese Harmonie macht, daß die Dinge selbst auf den Wegen
der Natur zur Gnade führen, und daß zum Beispiel dieser Erdball auf
natürlichen Wegen in den Augenblicken zerstört und wiederhergestellt
werden muß, wo es die Regierung der Geister verlangt:
zur Züchtigung der einen und zur Entschädigung
der anderen.
Ergänzungen aus der Theodizee
18. Ein geistvoller Mann, der mein Prinzip der Harmonie bis
zu willkürlichen Annahmen, die ich durchaus nicht billigen kann, fortführte,
hat daraus eine beinahe astronomische Theologie konstruiert. Er glaubt, die
gegenwärtige Unordnung dieser Welt hier unten habe begonnen, als der dem
Erdball vorstehende Engel, während dieser Erdball noch eine Sonne war (d.
h. ein selbstleuchtender Fixstern) zusammen mit mehreren niederen Engeln seines
Bezirks eine Sünde beging, vielleicht durch eine unangebrachte Auflehnung
gegen den Engel einer größeren Sonne; und daß unsere Erde gleichzeitig
infolge der praestabilierten Harmonie zwischen den Reichen der Natur und der
Gnade, somit aus natürlichen, sich daraus herleitenden Gründen, mit
Flecken bedeckt, verdunkelt und voll ihrem Platze vertrieben worden sei, was
zur Folge hatte, daß sie zu einem herumirrenden Stern oder Planeten, d.
h. zum Satelliten einer anderen Sonne wurde, vielleicht gerade der Sonne, deren
Vorrang der Engel nicht anerkennen wollte; und daß hierin der Sturz Luzifers
besteht. Das Oberhaupt der bösen Engel, in der Schrift der Fürst oder
Gott dieser Welt genannt, und mit ihm die Engel seines Gefolges beneide jetzt
jenes vernünftige Tier auf der Oberfläche dieser Erdkugel, das Gott
vielleicht erschaffen hat, um sich für seinen Abfall zu rächen, und
arbeite daran, es zum Mitschuldigen seines Verbrechens zu machen und es an seinem
Unglück teilnehmen zu lassen. Da sei Jesus Christus zur Rettung der Menschen
erschienen. Er ist der ewige und einzige Sohn Gottes, der sich aber (nach Ansicht
älterer Christen und nach Ansicht des Erfinders dieser Hypothese) seit
Anbeginn der Dinge in die vollendetste Gestalt aller Kreaturen gekleidet und
sich, um sie zur Vollkommenheit zu bringen, unter sie begeben hat; und dieses
sei die zweite Gottessohnschaft, durch die er die erstgeborene Kreatur ward.
Das ist dasselbe, was die Kabbalisten Adam Kadmon nannten. Vielleicht hatte
er seinen Sitz in der uns allen leuchtenden großen Sonne; aber er kam
schließlich auf die Erdkugel, wo wir uns befinden, wurde von einer Jungfrau
geboren und nahm menschliche Gestalt an, um die Menschen den Händen ihres
und seines Feindes zu entreißen. Wenn die Zeit des Gerichts naht, wenn
die Gestalt unserer Erde zugrunde gehen wird, dann wird er wieder vor unsere
Augen treten, die Guten erretten und sie vielleicht auf die Sonne führen;
die Bösen aber wird er mit den Dämonen, die sie verführten, strafen.
Dann wird die Erde von einem Brande ergriffen und vielleicht zu einem Kometen
werden. Dieses Feuer wird wer weiß wie viele Äonen hindurch brennen,
den Schwanz des Kometen kennzeichnet ein unaufhörlich — wie es die
Apokalypse lehrt — aufsteigender Rauch, und diese Feuersbrunst ist die
Hölle oder der »zweite Tod« der
Heiligen Schrift. Zuletzt aber wird das Feuer seine Toten zurückgeben,
der Tod selbst wird zunichte, Vernunft und Friede beginnen wieder über
die verführten Geister zu herrschen. Sie fühlen jetzt ihr Unrecht,
sie beten ihren Schöpfer an und beginnen ihn um so stärker zu lieben,
als sie die Größe des Abgrundes ermessen, dem sie entronnen sind.
Gleichzeitig wird (vermöge des harmonischen Parallelismus
zwischen den Reichen der Natur und der Gnade) der Erdkreis durch diese
lange und gewaltige Feuersbrunst von seinen Flecken gereinigt. Er wird wieder
zur Sonne; der ihm gebietende Engel nimmt mit den Engeln seines Gefolges wieder
seinen alten Platz ein; die verdammten Menschen gehören mit ihnen zur Schar
der guten Engel und dieses Oberhaupt unserer Erde huldigt dem Messias, dem Oberhaupte
aller Kreaturen! Der Ruhm dieses verwöhnten Engels ist jetzt weit größer
als vor seinem Falle:
Inque Deos iterum fatorum lege receptus
Aureus aeternum noster regnabit Apollo.
Und unter die Götter nach des Schicksals Gesetz aufgenommen,
Wird unser goldener Apollo in Ewigkeit regieren.
Diese eines Anhängers des Origenes
würdige Phantasie hat mir gefallen; aber wir brauchen
dergleichen Hypothesen oder Fiktionen gar nicht, an denen der geistvolle Einfall
mehr teilhat als die Offenbarung, und bei denen die Vernunft nicht ganz auf
ihre Rechnung kommt. Denn es scheint in dem bekannten Teil des Universums keinen
Ort zu geben, der es vor allen anderen verdiente, zum Sitz der erstgeborenen
Kreatur erkoren zu werden: die Sonne unseres Planetensystems wenigstens nicht.
89.) Man kann auch sagen, daß
Gott als Baumeister Gott als Gesetzgeber in allem zufriedenstellt,
und daß also die Sünden nach der Ordnung der
Natur und kraft des mechanischen Gefüges der Dinge selbst ihre Strafe mit
sich führen müssen — und daß sich ebenso die schönen
Handlungen in bezug auf die Körper auf mechanischen Wegen ihre Belohnungen
zuziehen werden, obwohl das nicht immer auf der Stelle geschehen kann und darf.
Ergänzungen aus der Theodizee
74. So dauern die Strafen für die Verdammten an, selbst
wenn sie nicht mehr zur Abschreckung des Bösen
dienen, genau so wie die Belohnungen für die Seligen andauern, wenn sie
auch dadurch nicht mehr in der Ausübung des Guten gestärkt werden.
Allein die Verdammten ziehen sich durch neue Sünden immer von neuem Schmerz
zu und die Seligen schöpfen neue Freuden aus weiterem Fortgang im Guten:
beides ist im Prinzip der Billigkeit begründet, durch das die Dinge derart
geregelt worden sind, daß die schlechte Tat sich
Strafe zuziehen muß. Denn nach dem Parallelismus beider Reiche,
dem Reich der Endursachen und dem der wirkenden Ursachen
hat Gott im Universum eine Verbindung zwischen Strafe oder Belohnung
und zwischen der schlechten oder guten Tat hergestellt, derart, daß
die erste die zweite nach sich zieht und Tugend und Laster sich selbst ihre
Belohnung und ihre Strafe verschaffen zufolge des natürlichen Verlaufs
der Dinge, der noch eine andere Art prästabilierter Harmonie einschließt,
als jene im Verkehr zwischen Körper und Seele hervortretende. Und
schließlich ist, wie ich schon gesagt habe, alles, was Gott tut, von vollendeter
Harmonie. Für die ohne wahre, der absoluten Notwendigkeit enthobene Freiheit
Handelnden würde diese Billigkeit vielleicht allen Sinn verlieren; für
sie gäbe es nur eine bessernde, keine rächende Gerechtigkeit mehr.
Das ist die Ansicht des berühmten Conring in einer Abhandlung über
das Gerechte. Und wirklich haben es die Gründe, von denen Pomponatius in
seinem Buche über das Schicksal Gebrauch macht, um die Nützlichkeit
der Strafen und Belohnungen darzutun, selbst wenn alle unsere Handlungen mit
Schicksalsnotwendigkeit einträten, nur mit einer Besserung, nicht mit einer
Genugtuung zu tun. Die Züchtigung, nicht die Strafe.
Es geschieht doch auch nur des Scheines wegen, wenn man die an gewissen
Verbrechen mitschuldigen Tiere tötet, wie man die Häuser der Rebellen
vernichtet, um Schrecken zu verbreiten.
112. … Es reicht aus, daß Gott etwas Schädliches
verboten hat. Auch braucht man sich gar nicht vorzustellen, Gott habe hier bloß
die Rolle eines Gesetzgebers gespielt, der da ein rein positives Gesetz gibt,
oder die eines Richters, der Strafen auferlegt und zuerteilt ohne inneren Zusammenhang
zwischen dem Übel der Schuld und dem der Strafe, rein aus Willkür
heraus. Ebenfalls hat man nicht nötig zu denken, da Gott mit Recht erzürnt
sei, so habe er zum Zwecke der Bestrafung auf außergewöhnliche Weise
ganz ausdrücklich eine Verwirrung in der Seele und dem Körper des
Menschen her¬vorgebracht; ungefähr wie die Athener ihren Verbrechern
den Schierlingsbecher zu trinken gaben.
90.) Endlich wird es unter dieser vollkommenen
Regierung keine gute Tat ohne Vergeltung, keine schlechte ohne Züchtigung
geben. Alles muß zum Wohle der Guten ausschlagen, d. h. derer, die in
diesem großen Staat nicht zu den Mißvergnügten gehören,
die sich der Vorsehung anvertrauen, nachdem sie ihre Pflicht getan haben, die
den Urheber alles Guten nach Gebühr lieben und nachahmen, indem sie sich
an der Betrachtung seiner Vollkommenheit freuen. Es liegt nämlich in der
Natur der wahrhaften reinen Liebe, daß sie uns an
der Glückseligkeit des Geliebten Freude finden läßt.
Solches bewirkt, daß die Weisen und Tugendhaften an alledem arbeiten,
was mit dem mutmaßlichen oder vorhergehenden göttlichen Willen übereinzustimmen
scheint — und gleichwohl mit dem zufrieden sind, was Gott vermöge
seines geheimen, nachfolgenden oder entscheidenden Willens wirklich eintreten
läßt. Sie anerkennen nämlich, daß wir, wenn wir die Weltordnung
hinreichend zu verstehen imstande wären, finden würden, wie sie alle
Wünsche der Weisesten übertrifft, und wie es unmöglich ist, sie
besser zu machen als sie ist. Und zwar nicht bloß für das Ganze im
allgemeinen, sondern auch für uns selbst im besonderen, wenn wir nämlich
dem Urheber des Ganzen nach Gebühr ergeben sind: sowohl als dem Baumeister
und der bewirkenden Ursache unseres Seins, wie auch als unserem
Herrn und Endzweck, der das ganze Ziel unseres Willens ausmachen muß und
allein unser Glück bewirken kann.
Ergänzungen aus der Theodizee
134. … Gott will alle Menschen erretten; das besagt,
daß er sie erretten wird, wenn die Menschen ihn nicht selbst daran hinderten
und die Annahme seiner Gnaden verweigerten; er wird keineswegs durch Vernunftgründe
gezwungen oder bewogen, ständig ihren schlechten Willen zu überwinden.
Trotzdem tut er es zuweilen, wenn nämlich höhere Gründe es zulassen
und wenn sein nachfolgender, beschlußkräftiger Wille, das Resultat
aller seiner Gründe, ihn zu der Auswahl einer bestimmten Anzahl Menschen
bestimmt. Er hilft allen zur Bekehrung und zum Ausharren, und diese Hilfe ist
ausreichend für diejenigen, welche guten Willens sind, sie ist aber nicht
immer ausreichend, diesen guten \Villen selbst zu erteilen. Die Menschen erlangen
ihn teils durch besondere Hilfe, teils durch Umstände, welche die allgemeine
Hilfe gelingen lassen. Er kann sich nicht enthalten, auch dann noch Heilmittel
anzubieten, wenn er weiß, man wird sie verweigern, und man wird sich dadurch
nur noch schuldiger machen: aber wünscht man denn etwa, daß Gott
ungerecht ist, damit der Mensch weniger strafbar wird? Abgesehen davon, daß
die Gnaden, die dem einen nichts nützen, dem anderen um so dienlicher sein
können, tragen sie nicht sogar ständig zur Integrität des göttliches
Planes bei, des besten aller möglichen Pläne? Sollte Gott keinen Regen
spenden, weil es tiefgelegene Orte gibt, die darunter zu leiden haben? Sollte
die Sonne nicht scheinen, wie es das allgemeine Beste erheischt, weil gewisse
Gegenden zu sehr dadurch ausgetrocknet werden? … Der Gegenstand Gottes
hat etwas Unendliches an sich; seine Sorge erstreckt sich auf das ganze Universum:
was wir davon kennen, ist beinah nichts; und da wollen wir seine Weisheit und
Güte an unseren Erfahrungen messen? Welche Vermessenheit oder besser, welche
Absurdität! Den Einwürfen liegen falsche Voraussetzungen zugrunde;
lächerlich ist es, Recht sprechen zu wollen, wenn man den Tatbestand nicht
kennt. Mit dem Heiligen Paulus in den Ruf einstimmen O
Altitudo Divitiarum et Sapientiae, das heißt durchaus nicht der
Vernunft entsagen, sondern weit eher die Gründe anführen, die uns
bekannt sind; denn sie gerade zeigen uns jene Unermeßlichkeit Gottes,
von der der Apostel spricht. Wohl aber heißt das unsere Unwissenheit hinsichtlich
des Tatbestandes eingestehen und dennoch vor aller näheren Kenntnis anerkennen,
daß Gott alles auf die bestmögliche Weise nach der unendlichen Weisheit,
die seine Handlungen leitet, erschaffen hat. Allerdings haben wir davon schon
Beweise und Proben vor unseren Augen, wenn wir auf eine völlig in sich
geschlossene Sache, auf irgendein in sich vollendetes Ganzes und sozusagen unter
den Werken Gottes Abgesondertes blicken. Ein solches Ganzheitsgebilde aus der
Hand Gottes ist eine Pflanze, ein Tier, ein Mensch. Seine Schönheit und
kunstvolle Struktur können wir nicht genug bewundern. Erblicken wir aber
einen zerbrochenen Knochen, ein Stück Fleisch von einem Tiere, einen Pflanzenzweig,
so sehen wir darin nur Unordnung, wofern nicht gerade ein hervorragender Anatom
all dieses betrachtete: und selbst dieser würde nichts erkennen, hätte
er nicht zuvor ähnliche Stücke zu einem Ganzen verbunden gesehen.
Genau so verhält es sich mit der göttlichen Regierung: was wir davon
erblicken, ist kein genügend großes Gebiet, um aus ihm schon die
Schönheit und Ordnung des Ganzen zu erkennen. Also nötigt uns sogar
die Natur der Dinge, diese Ordnung des göttlichen Staates, die wir hinieden
noch nicht vor uns sehen, zum Gegenstand unseres Glaubens, unserer Hoffnung
und unseres Gottvertrauens zu machen. Wollen einige anders darüber denken,
um so schlimmer für sie; sie sind Mißvergnügte im Reiche des
größten und besten aller Monarchen und haben unrecht, wenn sie die
Proben von seiner unendlichen Weisheit und Güte, die er ihnen gegeben,
nicht benutzen. Denn er wollte sich nicht nur bewundern lassen, sondern sich
auch über alle Maßen liebenswert zu erkennen geben.
278. Niemand sage, wenn er versucht wird, daß er von
Gott versucht werde, sondern ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner
eignen Lust gereizt und gelockt wird (Jak. 1, 14). Dabei wirkt der Satan mit;
»er verblendet den Verstand der Ungläubigen
(2. Cor. IV, 4).« Der Mensch aber hat sich durch seine Lüsternheit
dem Dämon überliefert: das Wohlgefallen, das er am Bösen findet;
ist der Angelhaken an dem er sich fangen läßt. Schon Plato sagt und
Cicero wiederholt es: Plato voluptatem dicebat escam malorum.[Plato
nannte die Wollust die Lockspeise des Bösen]. Dem stellt die Gnade
ein größeres Vergnügen gegenüber, wie der Hl. Augustin
hervorhebt. Jedes Vergnügen ist das Gefühl einer gewissen Vollkommenheit.
Man liebt ein Objekt nach Maßgabe der Vollkommenheiten, die man an ihm
fühlt: nichts übersteigt die göttlichen Vollkommenheiten: und
daraus folgt, daß die göttliche Barmherzigkeit und Liebe das denkbar
größte Vergnügen gewähren, und zwar soweit man von diesen
Gefühlen durchdrungen ist, die den Menschen nicht geläufig sind, weil
sie nur mit Dingen erfüllt und beschäftigt sind, die in Beziehung
zu ihren Leidenschaften stehen
1) Aus: Gottfried Wilhelm
Leibniz, Monadologie. Neu übersetzt, eingeleitet und erläutert von
Hermann Glockner (S.11-35)
Reclams Universalbibliothek Nr. 7853. © 1954 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlages
2) Aus: Gottfried Wilhelm Leibniz, Die Theodizee, Übersetzung von Artur
Buchenau, Philosophische Bibliothek Band 71, Verlag von Felix Meiner Verlag
Erläuterungen zum System der prästabilierten Harmonie
Das
Uhrengleichnis
Aus einem Leibnizischen Briefe an den Herausgeber
der Zeitschrift »Gelehrtenwerke« (Histoire
des Ouvrages des Savants)
Stellen Sie sich zwei Pendeluhren
oder Taschenuhren vor, die vollkommen gleich gehen.
Das kann auf dreierlei Arten geschehen.
Die erste besteht
im wechselseitigen Einfluß;
die zweite darin, daß man
einen geschickten Handwerker dazusetzt, der sie
jeden Augenblick stellt und gleichrichtet;
die dritte darin, daß man
diese zwei Uhren so kunstvoll und genau baut, daß
man ihrer weiteren Übereinstimmung sicher
sein kann.
Setzen Sie jetzt die Seele und den Körper an die Stelle der beiden Uhren,
dann kann ihre Übereinstimmung auf eine dieser drei Arten zustande kommen.
Der Weg des Einflusses ist der der landläufigen
Philosophie; aber da man sich materielle Teilchen, die von einer dieser Substanzen
in die andere übergehen könnten, nicht vorstellen kann, muß
man diese Ansicht fallen lassen.
Der Weg des ständigen Beistandes
(assistance) des
Schöpfers ist der des Systems der Gelegenheitsursachen;
aber ich meine, das heißt, den Deus ex machina
in einer natürlichen und gewöhnlichen Sache eingreifen
lassen, bei der er vernünftigerweise nur in der Weise mitwirken soll, bei
der er bei allen anderen natürlichen Dingen mitwirkt.
So bleibt nur meine Hypothese übrig, d. h. der Weg
der Harmonie. Gott hat jede der
beiden Substanzen von Anfang an so geschaffen, daß
sie nur ihren eigenen Gesetzen folgt, die sie mit ihrem Sein empfangen hat,
aber dennoch mit den anderen übereinstimmt, ganz als bestünde ein
wechselseitiger Einfluß, oder als legte Gott
ständig, über seine allgemeine Mitwirkung hinaus, Hand an. Hiernach
brauche ich nichts zu beweisen, es sei denn, man wolle von mir den Beweis fordern,
daß Gott geschickt genug ist, um sich dieser vorsorgenden kunstvollen
Einrichtung zu bedienen, von der wir doch sogar Beispiele unter den Menschen
finden. Vorausgesetzt aber, daß er es kann, sehen Sie wohl selbst, daß
dieser Weg der schönste und seiner würdigste ist. Sie haben den Verdacht
geäußert, daß meine Erklärung zu der so verschiedenen
Idee, die wir vom Geist und vom Körper haben, in Gegensatz geraten würde;
aber Sie sehen wohl jetzt, daß niemand ihre Unabhängigkeit besser
gesichert hat. Denn solange man genötigt gewesen ist, ihre Verbindung durch
eine Art Wunder zu erklären, hat man immer sehr vielen Leuten Grund zu
der Befürchtung gegeben, der Unterschied zwischen Körper und Seele
sei gar nicht so real, wie man glaube, da man, um diese Behauptung machen zu
können, so weit ausgreifen muß. Es wird mir nicht unlieb sein, über
die damit entwickelten Gedanken mit aufgeklärten Personen Fühlung
zu nehmen. S.105f.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe
Band 112, Leibniz. Die Hauptwerke. Zusammengefaßt und übertragen
von Gerhard Krüger
© 1967 by Alfred Kröner Verlag in Stuttgart. Veröffentlichung
auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlages,
Stuttgart
>>Geulincx
Über
die Verbindung zwischen Seele und Körper
Brief an Basnage zur
Aufklärung der von Bayle im Neuen System über die Verbindung zwischen
Seele und Körper bemerkten Schwierigkeiten
Ich nehme mir die Freiheit, mein Herr, Ihnen die vorliegende Erläuterung
über die Schwierigkeiten zu übersenden, die Herr
Bayle in der Hypothese aufgefunden hat, die von mir zur Erklärung
der Verbindung zwischen Körper und Seele aufgestellt worden ist. Nichts
kann verbindlicher sein als die Art und Weise, in der er sich in bezug auf mich
geäußert hat, und ich fühle mich durch die Einwürfe geehrt,
die von ihm
im Artikel Rorarius seines Wörterbuchs
aufgestellt sind. Zudem konnte ein so tiefer und gründlicher Geist,
wie der seine, dies nicht tun, ohne zugleich zu belehren, und ich werde die
lichtvollen Bemerkungen zu benutzen suchen, die er an dieser Stelle wie an andern
Orten seines Werkes über den berührten Gegenstand ausgesprochen hat.
Er verwirft nicht, was ich über die Erhaltung der Seele und selbst des
Tieres gesagt hatte, ist aber, wie es scheint, noch nicht mit der Weise zufrieden,
in der ich im Journal des Savans vom 27. Juni und 4. Juli 1695 und in der Histoire
des Ouvrages des Savans vom Februar 1696 die Verbindung und den Verkehr zwischen
Seele und Körper zu erklären suchte.
Hier seine eigenen Worte, die den Punkt zu bezeichnen scheinen, wo ihm Schwierigkeiten
aufgestoßen sind: Ich kann nicht begreifen,
sagt er, wie die Verknüpfung innerer, freiwilliger Handlungen
es zustande bringen sollte, daß die Seele eines Hundes, unmittelbar nachdem
sie
Freude empfunden hat, Schmerz empfände, selbst wenn sie ganz allein im
Universum wäre.
Darauf erwidere ich, daß ich, als ich sagte, die Seele würde alles
empfinden, was sie jetzt empfindet, selbst wenn nur Gott
und sie in der Welt wären, mich eben nur einer Fiktion bediente,
indem ich etwas annahm, was auf natürliche Weise niemals eintreten kann,
um dadurch anzudeuten, daß die Empfindungen und Gedanken der Seele nur
eine Folge von dem sind, was bereits in ihr ist. Ich weiß nicht, ob der
Beweis für die Unbegreiflichkeit, die Herr Bayle in jener Verknüpfung
findet, einzig in dem gesucht werden soll, was er weiter unten sagt, oder ob
er denselben gleich von vornherein durch das Beispiel des freiwilligen Übergangs
von der Freude zum Schmerz hat andeuten wollen, indem er vielleicht zu verstehen
geben wollte, daß dieser Übergang dem Axiome widerspricht, demzufolge
ein Ding immer in dem Zustande verharrt, in welchem es sich einmal befindet,
wenn nicht ein Umstand eintritt, der es zum Wechsel nötigt, und daß
also das Tier, wenn es einmal Lust empfindet, dieselbe immer empfinden wird,
sofern es allein ist oder nichts Äußeres das Übergehen zum Schmerze
bewirkt.
Wie dem aber auch sein mag, auf jeden Fall stimme ich jenem Axiome bei und behaupte
sogar, daß es zu meinen Gunsten spricht, wie es denn in der Tat eine meiner
Hauptstützen bildet. Schließen wir in der Tat nicht nach diesem Axiome,
nicht bloß, daß ein ruhender Körper immer im Zustande der Ruhe
bleiben, sondern auch, daß ein sich bewegender Körper immer diese
Bewegung oder diese Veränderung, d. h. dieselbe Geschwindigkeit und dieselbe
Richtung beibehalten wird, wenn kein Umstand eintritt, der ihn hindert?
Demnach bleibt also ein Ding, soweit das von ihm abhängt, nicht bloß
in dem Zustande, in welchem es sich befindet, sondern fährt auch, wenn
dieser Zustand ein Zustand der Veränderung ist, immer demselben Gesetze
gemäß in der Veränderung fort. Nun liegt es dabei meines Erachtens
in der Natur der geschaffenen Substanz, sich stetig zu verändern, und zwar
nach einer gewissen Ordnung, durch welche sie selbsttätigerweise
(wenn ich mich dieses Wortes bedienen darf) durch alle die
Zustände geführt wird, die ihr begegnen sollen, so daß der,
welcher alles sieht, in ihrem gegenwärtigen Zustande alle ihre vergangenen
und künftigen Zustände sieht.
Dieses Gesetz der Ordnung aber, welches die Individualität jeder
besondern Substanz begründet, steht in genauer Beziehung zu dem, was in
jeder andern Substanz und im gesamten Universum geschieht. Vielleicht ist es
keine zu kühne Behauptung von mir, wenn ich sage, daß ich alles das
zu beweisen vermag, für jetzt aber handelt es sich nur darum, es als eine
mögliche und zur Erklärung der Erscheinungen geeignete Hypothese aufrechtzuerhalten.
Danach führt nun das Gesetz für die Veränderung der Substanz
des Geschöpfes dasselbe in obiger Weise in dem Augenblicke, wo eine Unterbrechung
der Stetigkeit in seinem Körper erfolgt, von der Freude zum Schmerz, weil
es in dem Gesetze der unteilbaren Substanz dieses Geschöpfes liegt, alles
vorzustellen, was in seinem Körper in der Weise vorgeht, daß wir
es empfinden, ja sogar in gewisser Weise und in bezug auf diesen Körper
alles vorzustellen, was in der Welt geschieht, da die substantiellen Einheiten
nichts anderes sind als verschiedene Konzentrationen des Universums, das nach
den verschiedenen Gesichtspunkten vorgestellt wird, durch welche sich jene Einheiten
voneinander unterscheiden.
Ich begreife wohl, fährt Herr Bayle
fort, warum ein Hund unmittelbar von der Lust zum Schmerze übergeht, sobald
man dem ausgehungerten, der eben ein Stück Brot verzehrt, plötzlich
einen Stockstreich versetzt.
Ich weiß nicht, ob man das hinlänglich begreift. Niemand weiß
besser als Herr Bayle selbst, daß die große Schwierigkeit, die es
zu erklären gilt, eben darin besteht, weshalb das, was im Körper vorgeht,
eine Veränderung in der Seele bewirkt, und daß gerade diese Tatsache
die Verteidiger der Gelegenheitsursachen gezwungen hat, die Sorgwaltung zu Hilfe
zu rufen, mit der Gott sich nach ihrer Ansicht bemühen soll, der Seele
beständig die Veränderungen vorzustellen, die sich in ihrem Körper
vollziehen, während ich dagegen glaube, daß es in der ihr von Gott
verliehenen Natur der Seele selbst liegt, sich vermöge ihrer eigenen Gesetze
das vorzustellen, was in den Organen geschieht. Herr Bayle fährt dann fort:
Aber daß seine Seele derart eingerichtet sei,
daß er in dem Augenblicke, wo er geschlagen wird, Schmerz empfinden würde,
selbst wenn man ihn nicht schlüge, selbst wenn er ohne Störung und
Behinderung an seinem Brote weiterfräße, das vermag ich durchaus
nicht zu begreifen.
Das entsinne ich mich auch nicht behauptet zu haben, und man kann es auch nur
in metaphysischer Fiktion sagen, wie wenn man annimmt, daß Gott irgendeinen
Körper vernichte, um ein Leeres zu schaffen, da das eine wie das andere
der Ordnung der Dinge widerstreitet. Denn da die Natur der Seele bei Anbeginn
in einer zur aufeinanderfolgenden Vorstellung der Veränderungen des Stoffes
geeigneten Weise gebildet worden ist, so kann der angenommene Fall in der natürlichen
Ordnung nicht eintreten. Gott konnte jeder Substanz ihre Erscheinungen unabhängig
von denen jeder andern Substanz geben, allein auf diese Weise würde er
sozusagen eben so viele Welten ohne Zusammenhang geschaffen haben, als es Substanzen
gibt, ungefähr wie gesagt wird, daß man, wenn man träumt, in
seiner besondern Welt sei, und daß man in die gemeinsame Welt eintrete,
wenn man erwacht. Allerdings haben auch die Träume eine Beziehung zu den
Organen und den andern Teilen des Körpers, aber in einer weniger deutlichen
Weise. Fahren wir mit Herrn Bayle fort.
Ich finde auch, sagt er, die
Selbstbestimmung dieser Seele mit den Schmerzgefühlen und überhaupt
allen Vorstellungen, die ihr mißbehagen, sehr wenig verträglich.
Diese Unverträglichkeit würde unzweifelhaft vorhanden sein, wenn selbstbestimmt
und freiwillig ein und dasselbe wäre. Alles Freiwillige ist selbstbestimmt,
aber es gibt selbstbestimmte Handlungen, bei denen keine Wahl besteht und die
folglich nicht freiwillig sind. Es hängt nicht von der Seele ab, sich immer
die Empfindungen zu geben, die ihr behagen, weil die Empfindungen, welche sie
haben wird, abhängig sind von denen, die sie gehabt hat.
Übrigens, fährt Herr Bayle fort,
scheint mir der Grund, weshalb dieser tüchtige
Mann nicht dem Systeme der Cartesianer beipflichtet, auf einer falschen Voraussetzung
zu beruhen, denn man kann durchaus nicht behaupten, daß das System der
Gelegenheitsursachen die göttliche Tätigkeit au! dem Wege des Wunders
(Deus ex machina) bei der wechselseitigen Abhängigkeit des Körpers
und der Seele eingreifen lasse: denn da Gott nur den allgemeinen Gesetzen gemäß
eingreift, so wirkt er hier durchaus nicht auf außergewöhnlichem
Wege.
Es ist dies nicht der einzige Grund, weshalb ich nicht dem cartesianischen
Systeme beipflichte, und wenn man das meine ein wenig näher ins Auge faßt,
so sieht man wohl, daß ich in ihm selbst das finde, was mich bestimmt,
mich zu ihm zu bekennen. Wenn übrigens auch die Hypothese der Gelegenheitsursachen
keine Wunder erforderte, so scheint mir doch meine eigene Hypothese noch andere
Vorzüge zu besitzen. Ich habe gesagt, man könne zur Erklärung
des Verkehrs, den man zwischen der Seele und dem Körper wahrzunehmen glaubt,
drei Systeme aufstellen, nämlich
1. das System
der Einwirkung beider Substanzen auf einander, das in den Schulen gelehrt
wird und das ich, im gewöhnlichen Sinne genommen, mit den Cartesianern
für unmöglich halte;
2. das System
eines beständigen Überwachers, der in der einen Substanz vorstellt,
was in der andern geschieht, ungefähr wie wenn ein Mensch immerfort
zwei schlechte Uhren, die von selbst nie imstande wären, die Übereinstimmung
miteinander zu erreichen, in Übereinstimmung zu erhalten hätte —
das ist das System der Gelegenheitsursachen; und
3. das System
der natürlichen Übereinstimmung beider Substanzen, so wie dieselbe
zwischen zwei mit größter Sorgfalt gearbeiteten Uhren bestehen würde;
und eben dies finde ich ebenso möglich wie das System des beständigen
Überwachers und dabei des Urhebers jener Substanzen, Uhren oder Automaten
würdiger. Sehen wir indessen einmal nach, ob das System der Gelegenheitsursachen
in der Tat kein beständiges Wunder voraussetzt.
Man verneint dies, weil Gott diesem Systeme zufolge nur nach allgemeinen Gesetzen
handeln würde. Das gebe ich zu, allein meiner Meinung nach genügt
das nicht, um die Wunder zu beseitigen: Wenn Gott deren auch fortwährend
verrichtete, so würden es nichtsdestoweniger Wunder bleiben, sobald man
nur das Wort nicht im volkstümlichen Sinne als Bezeichnung für eine
seltene und Verwunderung erregende Sache, sondern im philosophischen Sinne als
Bezeichnung für das nimmt, was die Kräfte der Geschöpfe übersteigt.
Es reicht nicht hin, wenn man sagt, daß Gott ein allgemeines Gesetz für
dies oder jenes aufgestellt habe, denn neben dem Beschlusse bedarf es noch eines
natürlichen Mittels zur Ausführung desselben, d. h. das, was geschieht,
muß aus der von Gott den Dingen verliehenen Natur erklärt werden
können.
Die Naturgesetze sind nicht so willkürlich
und gleichgültig, wie verschiedene Leute meinen. Wenn Gott z. B. bestimmte,
alle Körper sollten sich im Kreise bewegen und die Radien der Kreise sollten
im Verhältnis zu der Größe der Körper stehen, so würde
man angeben müssen, daß es ein Mittel gäbe, dies durch einfachere
Gesetze zu bewirken, oder man wird einräumen müssen, daß Gott
es durch Wunder oder wenigstens durch Engel bewirken wird, die ausdrücklich
mit dieser Mühewaltung beauftragt sind, ungefähr wie jene, die man
ehemals für die Bewegung der Himmelssphären annahm. Ganz das nämliche
würde der Fall sein, wenn jemand behauptete, Gott habe den Körpern
eine natürliche und ursprüngliche Schwere verliehen, vermöge
deren jeder nach dem Mittelpunkte seines Weltballs strebe, ohne von andern Körpern
getrieben zu werden, denn meines Erachtens würde dieses System eines ununterbrochenen
Wunders oder wenigstens der Beihilfe der Engel bedürfen.
Kennt die innere tätige Kraft, welche den Formen
der Körper mitgeteilt worden, die Folge der Handlungen, welche sie hervorbringen
soll? Durchaus nicht, denn wir wissen aus Erfahrung, daß wir nicht wissen,
ob wir binnen einer Stunde diese oder jene Vorstellung haben werden.
Darauf erwidere ich, daß diese Kraft oder vielmehr diese Seele
oder Form dieselben zwar nicht deutlich kennt, aber sie doch verworren wahrnimmt.
In jeder Substanz gibt es Spuren alles dessen, was ihr geschehen ist und geschehen
wird. Die unendliche Menge dieser Vorstellungen aber hindert uns, dieselben
deutlich zu unterscheiden, so wie man beim Anhören des lauten, verworrenen
Lärms einer großen Volksmenge keine Stimme von der andern zu unterscheiden
vermag.
Die Formen, fährt Herr Bayle fort,
müßten also durch irgendein äußeres
Prinzip bei der Hervorbringung ihrer Handlungen geleitet werden. Würde
das aber nicht der Deus ex machina sein, ganz wie im System der Gelegenheitsursachen?
Die eben gegebene Antwort beseitigt diese Folgerung. Im Gegenteil ist der gegenwärtige
Zustand jeder Substanz die natürliche Folge ihres vorhergehenden Zustandes,
aber nur ein unendlicher Verstand vermag diese Folge zu erkennen, denn dieselbe
umfaßt das Universum sowohl in den Seelen wie in jedem Teile der Materie.
Herr Bayle schließt mit folgenden Worten: Endlich
kann man, da Herr Leibniz die Seelen mit vielem Rechte für einfach und
unteilbar hält, nicht begreifen, wie dieselben mit einer Uhr verglichen
werden können, d. h., wie sie vermöge ihrer ursprünglichen Beschaffenheit
ihre Verrichtungen auf mannigfache Art verändern können, indem sie
sich der selbstbestimmten Tätigkeit bedienen, die sie von ihrem Schöpfer
empfangen haben. Man sieht klar und deutlich ein, daß ein einfaches Wesen
immer gleichförmig handeln wird, wenn keine fremde Ursache es von seiner
Bahn ablenkt. Wäre es aus mehreren Stücken zusammengesetzt wie eine
Maschine, so würde es auf mannigfache Weise handeln, weil die besondere
Tätigkeit jedes einzelnen Teils in jedem Augenblicke den Gang der Tätigkeit
der andern Teile verändern könnte — worin aber soll man bei
einer einfachen Substanz die Ursache für die Veränderung der Verrichtung
suchen?
Dieser Einwurf ist des Herrn Bayle würdig und gehört zu denen, welche
eine Erläuterung am meisten verdienen. Allein ich meine, hätte ich
dem nicht gleich von vornherein vorgesehen, so würde mein System gar nicht
der Prüfung wert sein. Ich habe die Seele mit einer Uhr nur hinsichtlich
der geregelten Genauigkeit der Veränderungen verglichen, die selbst bei
den besten Uhren nur unvollkommen, bei den Werken Gottes aber vollkommen ist;
und man darf sagen, daß die Seele ein höchst
genau gefertigter, unkörperlicher Automat ist. Wenn oben gesagt
wird, ein einfaches Wesen werde immer gleichförmig handeln, so ist dabei
ein Unterschied zu machen: wenn gleichförmig
handeln soviel bedeutet als beständig ein und demselben Gesetze
der Ordnung oder Fortsetzung folgen wie bei einer gewissen Zahlenreihe oder
-folge, so räume ich ein, daß jedes einfache und sogar jedes zusammengesetzte
Wesen von selbst gleichförmig handelt; soll gleichförmig
aber soviel heißen wie ähnlich,
so lasse ich jene Behauptung nicht gelten. Hier ein Beispiel zur Erläuterung
dieses Unterschiedes:
eine parabolische Bewegung ist gleichförmig im ersten Sinne, nicht aber
im zweiten, da die Teile der parabolischen Linie nicht unter sich ähnlich
sind wie die Teile der geraden Linie. Allerdings beschreibt (im
Vorbeigehen gesagt) ein einfacher, sich selbst überlassener Körper
immer nur gerade Linien, wenn man nur das Zentrum ins Auge faßt, das die
Bewegung des ganzen Körpers vorstellt; da aber ein einfacher und starrer
Körper, wenn er einmal eine Wirbelung oder Drehung um seinen Mittelpunkt
empfangen hat, dieselbe in demselben Sinne und mit derselben Geschwindigkeit
beibehält, so erhellt, daß ein sich selbst überlassener Körper
vermittelst seiner vom Zentrum entfernten Punkte kreisförmige Linien, wenn
das Zentrum ruht, und sogar gewisse Vierungslinien, wenn das Zentrum sich in
Bewegung befindet, beschreiben kann, Vierungslinien, die zur Ordinate die Linie
haben werden, welche sich aus der vom Zentrum durchlaufenen Geraden und dem
Sinus zusammensetzt, dessen Sinus versus die Abszisse
ist, indem der sich drehende Punkt an der Peripherie
liegt, da jene Gerade eine gegebene ist.
Auch muß beachtet werden, daß die Seele, so einfach sie ist, doch
immer eine gleichzeitig aus mehreren Vorstellungen zusammengesetzte Empfindung
hat, was für unsern Zweck dieselbe Wirkung tut, als wenn sie aus Stücken
zusammengesetzt wäre wie eine Maschine. Denn jede vorhergehende Vorstellung
hat gemäß einem Gesetze der Ordnung, das für die Vorstellungen
wie für die Bewegungen gilt, Einfluß auf die folgenden. Auch geben
seit mehreren Jahrhunderten die meisten Philosophen, die den Seelen und den
Engeln, die sie für völlig körperlos halten, Gedanken zuschreiben
(der rein geistigen Wesen des Aristoteles gar nicht zu gedenken), eine selbstbestimmte
Veränderung in einem einfachen Wesen zu. Ich füge noch hinzu, daß
die Vorstellungen, welche sich gleichzeitig zusammen in ein und derselben Seele
befinden, eine wahrhaft unendliche Menge von kleinen, ununterscheidbaren Empfindungen
enthalten, welche die Folge zur Entwicklung bringen soll, und daß man
sich daher nicht über die unendliche Mannigfaltigkeit dessen wundern darf,
was mit der Zeit daraus entstehen soll. Alles das ist nur eine Folge der vorstellenden
Natur der Seele, die infolge des Zusammenhangs oder der Verbindung aller Teile
der Welt das, was in ihrem Körper und in gewisser Weise in allen andern
Körpern vorgeht, und sogar das, was vorgehen wird, abspiegeln muß.
Vielleicht hätte die Bemerkung hingereicht, daß Gott, da er körperliche
Atome geschaffen habe, auch wohl unkörperliche geschaffen haben könne,
welche die erstem vorstellen, aber ich meinte, es würde gut sein, etwas
näher auf die Sache einzugehen.
Übrigens habe ich mit Vergnügen gelesen, was Herr Bayle im Artikel
Zenon sagt. Vielleicht wird er innewerden,
daß die Folgerungen daraus besser mit meinem Systeme harmonieren als mit
jedem andern, denn das Wirkliche an der Ausdehnung und an der Bewegung besteht
nur in der Begründung der Ordnung und der geregelten Folge der Erscheinungen
und der Vorstellungen. Sowohl die Akademiker und Skeptiker wie ihre Gegner scheinen
hauptsächlich nur deshalb in Verlegenheit geraten zu sein, weil sie in
den sinnlichen Außendingen eine größere Wirklichkeit als die
geregelter Erscheinungen suchten. Wir machen uns einen Begriff von der Ausdehnung,
indem wir uns einen Begriff von einer Ordnung bei den gleichzeitig bestehenden
Dingen machen; in der Weise einer Substanz aber dürfen wir sie uns so wenig
vorstellen wie den Raum. Es verhält sich damit gerade wie mit der Zeit,
die dem Geiste nur eine Ordnung in den Veränderungen vorstellt. Und was
die Bewegung anlangt, so ist das darin enthaltene Wirkliche nur die Kraft oder
das Vermögen, d. h. etwas, das im gegenwärtigen Zustande enthalten
ist, der eine Veränderung für die Zukunft in sich trägt. Alles
übrige ist nur Erscheinung und Beziehung.
Die nähere Erwägung meines Systems zeigt auch, daß sich, wenn
man den Dingen auf den Grund geht, bei der Mehrzahl der philosophischen Sekten
mehr Vernunft findet, als man glaubte. Die geringe substantielle Wirklichkeit
der sinnlichen Dinge bei den Skeptikern, die Zurückführung aller Dinge
auf Harmonien oder Zahlen, Ideen oder Vorstellungen bei den Pythagoräern
und Platonikern, das eine und zugleich alles ohne jeden Spinozismus bei Parmenides
und Plotin, die mit der Selbstbestimmung der andern verträgliche Verknüpfung
der Stoiker, die Philosophie des Lebendigen der Kabbalisten und Hermetiker,
die allen Dingen Empfindung beilegen, die Formen und Entelechien des Aristoteles
und der Scholastiker und im Gegensatze dazu die mechanische Erklärung aller
einzelnen Erscheinungen nach Demokrit und den Neuem usw. — alles dies
findet sich gleichsam in ein perspektivisches Zentrum vereinigt, von wo aus
der Gegenstand, der beim Anblick von jedem andern Orte aus verworren erscheint,
seine Regelmäßigkeit und die Angemessenheit seiner Teile erkennen
läßt.
Man hat aus Sektengeist gefehlt, indem man sich durch Verwerfung der übrigen
Systeme Schranken setzte. Die formalistischen Philosophen tadeln die materialistischen
oder Korpuskularphilosophen, und umgekehrt. Man zieht sowohl der Einteilung
und Feinheit wie dem Reichtum und der Schönheit der Natur übel angebrachte
Grenzen, wenn man Atome und Leeres annimmt, wenn man — wie selbst die
Cartesianer — sich gewisse erste Elemente statt der wahrhaften Einheiten
vorstellt und wenn man nicht in allem das Unendliche und im Kleinsten den genauen
Ausdruck des Größten in Verbindung mit dem Streben eines jeden Dinges
anerkennt, sich in einer vollkommenen Stufenfolge zu entwickeln, was die bewunderungswürdigste
und schönste Wirkung des höchsten Prinzips ist, dessen Weisheit denen,
welche die Einrichtung des Ganzen zu erfassen vermöchten, nichts Besseres
zu wünschen übriglassen würde. S.48ff.
Aus: Gottfried Wilhelm Leibniz, Kleinere philosophische
Schriften. Herausgegeben und übersetzt von Robert Habs (1884), Verlag Philipp
Reclam jun. Leipzig
Über
das System der vorherbestimmten Harmonie
Entgegnung auf die in der zweiten
Auflage des Bayleschen Wörterbuchs enthaltenen Bemerkungen über das
System der vorherbestimmten Harmonie
Im Juni und Juli 1695 hatte ich in das Pariser Journal des Savans
einige Abhandlungen über ein neues System einrücken lassen, die mir
zur Erklärung der Verbindung zwischen Seele und Körper
geeignet schienen und in denen ich statt des Weges der
Einwirkung der Scholastiker und des Weges
der Beihilfe der Cartesianer den
Weg der vorherbestimmten Harmonie
gebraucht hatte. Herr Bayle, der den abstraktesten Betrachtungen die
Annehmlichkeit zu geben weiß, deren sie bedürfen, um den Leser zu
fesseln, und ihnen zugleich auf den Grund geht, indem er sie in das richtige
Licht setzt, hatte die Güte gehabt, dies System durch seine Bemerkungen
im Artikel Rorarius seines Wörterbuchs
zu bereichern; da er aber darin gleichzeitig Schwierigkeiten vorbrachte, hinsichtlich
derer er einige Erläuterungen für notwendig erachtete, so suchte ich
ihm in der Histoire des Ouvrages des Savans vom Juli 1698 in dieser Beziehung
Genüge zu tun.
Darauf hat nun Herr Bayle soeben in der zweiten Auflage seines Wörterbuchs
im nämlichen Artikel Rorarius geantwortet. Er besitzt die Artigkeit, zu
sagen, daß meine Erwiderungen den Gegenstand
besser entwickelt haben und daß er, wenn die Möglichkeit
der Hypothese der vorherbestimmten Harmonie gehörig
dargetan wäre, keinen Anstand nehmen würde, dieselbe der Hypothese
der Cartesianer vorzuziehen, da sie eine
hohe Vorstellung von dem Urheber der Dinge gibt und (beim
gewöhnlichen Laufe der Natur) jeden Gedanken an ein Verfahren auf dem
Wege des Wunders ausschließt. Indessen scheint ihm noch schwer
begreiflich, daß diese vorherbestimmte Harmonie möglich sei, und
um dies darzutun, beginnt er mit etwas seiner Ansicht nach Leichterm, das man
dessenungeachtet wenig ausführbar findet: er vergleicht nämlich meine
Hypothese mit der Annahme, daß ein Schiff,
ohne jemand gelenkt zu werden, sich von selbst in den gewünschten Hafen
begebe. Man wird zugeben, sagt er,
daß die Unendlichkeit Gottes für die Mitteilung einer solchen Fähigkeit
an ein Schiff nicht zu groß ist.
Er spricht sich also nicht unbedingt für die Unmöglichkeit der Sache
aus, meint aber, daß andere sie für unmöglich halten werden,
denn, fügt er hinzu, man wird sogar behaupten,
daß die dem Schiffe eigene Natur gar nicht imstande sei, diese Fähigkeit
von Gott zu empfangen. Vielleicht meinte er, nach der in Rede stehenden
Hypothese müsse angenommen werden, daß Gott dem Schiffe zu diesem
Zwecke eine Fähigkeit im scholastischen Sinne verliehen habe, wie man eine
solche in den Schulen den schweren Körpern beilegt, die dadurch dem Mittelpunkte
zugeführt werden sollen.
Ist das seine Meinung, so bin ich der erste, der die Annahme verwirft; meint
er aber eine aus den Regeln der Mechanik und aus den innern Triebkräften
wie aus den äußern Umständen erklärbare Fähigkeit
des Schiffes und verwirft er dessenungeachtet meine Hypothese als unmöglich,
so möchte ich doch, daß er Gründe für dies Urteil angeführt
hätte. Denn obgleich ich der Möglichkeit eines Dinges, das diesem
Schiffe gleicht, wie Herr Bayle sich dasselbe vorzustellen scheint, gar nicht
bedarf, glaube ich doch, daß es bei gehöriger Erwägung der Sache,
anstatt daß sich dabei eine Schwierigkeit für Gott ergeben sollte,
vielmehr den Anschein hat, daß sogar ein endlicher Geist Geschick genug
besitzen könnte, um dergleichen zustande zu bringen. Es leidet keinen Zweifel,
daß ein Mensch eine Maschine herstellen könnte, die imstande wäre,
sich eine Zeitlang durch eine Stadt umherzubewegen und genau um bestimmte Straßenecken
zu biegen. Ein unvergleichlich vollkommenerer, wenn auch immer noch beschränkter
Geist würde in gleicher Weise eine unvergleichlich größere Anzahl
von Hindernissen vorhersehen und vermeiden können. Das ist so wahr, daß
sicher, wenn diese Welt der Hypothese einiger Philosophen gemäß nur
ein Gebilde aus einer endlichen Anzahl von Atomen wäre, die sich nach den
Gesetzen der Mechanik bewegen, auch ein endlicher Geist erhaben genug sein könnte,
um in überzeugender Weise alles zu begreifen und vorherzusehen, was in
einem bestimmten Zeitraume darin vorgehen muß, so daß dieser Geist
nicht bloß ein Schiff herstellen könnte, das dadurch, daß er
ihm von vornherein den Gang, die Richtung und die Triebkräfte gibt, deren
es dazu bedarf, imstande wäre, ganz allein einem bestimmten Hafen zuzusteuern,
sondern daß er auch einen Körper bilden könnte, der fähig
wäre, einen Menschen nachzuahmen. Denn es handelt sich hier nur um das
Mehr und das Weniger, die im Gebiete der Möglichkeiten keine Veränderung
bewirken: so groß auch die Menge der Verrichtungen einer Maschine sei,
das Können und das Geschick des Herstellers können im Verhältnis
dazu wachsen, so daß es die Stufenleiter der Dinge nicht hinlänglich
beachten hieße, wenn man die Möglichkeit derselben nicht einsähe.
Allerdings ist die Welt kein Gebilde aus einer endlichen Anzahl von Atomen,
sondern eine Maschine, die in jedem ihrer Teile aus einer wahrhaft unendlichen
Anzahl von Federn zusammengesetzt ist, aber dafür ist auch der, welcher
sie gemacht hat und sie regiert, von einer noch unendlichem Vollkommenheit,
da dieselbe sich auf eine unendliche Anzahl möglicher Welten erstreckt,
von denen er die gewählt hat, die ihm gefiel. Um jedoch auf die endlichen
Geister zurückzukommen, so kann man aus den kleinen Proben, welche sich
zuweilen unter den Menschen finden, schließen, wie weit die zu gelangen
vermögen, welche wir nicht kennen. So gibt es z. B. Menschen, die fähig
sind, verwickelte arithmetische Rechnungen auf das schnellste rein im Kopfe
auszuführen. Herr de Monconis gedenkt eines solchen Menschen, der sich
zu seiner Zeit in Italien fand, und heute lebt ein solcher in Schweden, der
nicht einmal die gewöhnliche Arithmetik gelernt hat, und ich wünschte,
daß man nicht verabsäumte, ihn über sein Verfahren auszuforschen.
Denn was ist der Mensch, so vortrefflich er auch sein mag, im Vergleiche zu
so vielen möglichen und sogar seienden Geschöpfen, wie die Engel oder
Genien, die uns in jeder Art von Fassungskraft und Folgerungsvermögen in
unvergleichlich höherm Grade übertreffen können, als jene unvergleichlichen
Besitzer einer natürlichen Arithmetik uns in betreff der Zahlen übertreffen?
Ich räume ein, daß die Menge nicht auf diese eingeht: man betäubt
sie durch Einwürfe, bei denen an das gedacht werden muß, was nicht
gewöhnlich oder auch was ohne Beispiel unter uns ist; denkt man aber an
die Größe und die Mannigfaltigkeit des Weltalls, so urteilt man ganz
anders darüber. Herr Bayle besonders kann nicht verfehlen, die Richtigkeit
dieser Folgerungen einzusehen. Allerdings hängt meine Hypothese gar nicht
davon ab, wie ich sogleich zeigen werde, aber wenn sie auch davon abhinge und
wenn man auch mit Recht sagte, sie wäre überraschender
als die der Automaten (von der sie jedoch
nur die guten Seiten und das, was wohlbegründet ist, weiterverfolgt, wie
ich unten zeigen werde), so würde ich mir doch darüber keine
Sorge machen, wenn es nur kein ander Mittel gibt, die Dinge in Übereinstimmung
mit den Naturgesetzen zu erklären. Denn man darf sich bei vielen Dingen
durchaus nicht zum Schaden der unzweifelhaften Folgerungen nach den im Volke
verbreiteten Begriffen richten. Überdies wurzelt der Einwurf, den ein Philosoph
gegen die Automaten vorzubringen hat, nicht im Staunenswerten dieser Hypothese,
sondern in dem Verstoß gegen die Prinzipien, da es überall Entelechien
geben muß, und es heißt eine geringe Vorstellung vom Urheber der
Natur haben, der deren kleine Welten oder tätige
unteilbare Spiegel soviel als möglich vervielfältigt,
wenn man solche nur den menschlichen Körpern beilegt. Es ist sogar unmöglich,
daß es nicht überall Entelechien gebe.
Bis jetzt haben wir nur von dem gesprochen, was eine beschränkte Substanz
vermag, in bezug auf Gott ist jedoch die Sache eine völlig andere, und
anstatt daß das, was zunächst unmöglich
schien, dies in der Tat sei, muß vielmehr gesagt werden, es
sei unmöglich, daß Gott anders verfahre, da er, wie er ist, unendlich
mächtig und weise ist und bei allem die Ordnung
und die Harmonie beobachtet, soweit es möglich ist. Aber noch mehr:
was so befremdend erscheint, wenn man es abgesondert betrachtet, ist eine unzweifelhafte
Folge der Beschaffenheit der Dinge, so daß das allumfassende Wunder die
besondern Wunder sozusagen beseitigt und absorbiert, da es Rechenschaft darüber
gibt. Denn alles ist so geregelt und verknüpft, daß jene nie versagenden
natürlichen Maschinen, die man mit Schiffen vergleicht,
welche trotz der Umwege und Stürme von selbst in den Hafen gelangen würden,
nicht befremdender erscheinen können als eine Rakete, die an einer Schnur
entlangläuft, oder eine Flüssigkeit, die sich in einer Röhre
bewegt. Da ferner die Körper nicht
Atome, sondern ins Unendliche teilbar
und sogar wirklich geteilt sind und alles damit angefüllt ist, so erhellt,
daß der geringfügigste kleine Körper von
der geringsten Veränderung aller übrigen, so entfernt und so klein
dieselben auch sein mögen, einen Eindruck empfängt und daher ein genauer
Spiegel des Universums sein muß, was zur Folge hat, daß ein
hinlänglich scharfblickender Geist nach Maßgabe seines Scharfblicks
in jedem Körperchen sehen und vorhersehen könnte,
was in und außer diesem Körperchen vorgeht und vorgehen wird.
Demzufolge tritt nichts ein, nicht einmal durch den Anprall der umgebenden Körper,
das nicht aus dem folgt, was bereits in dem Körperchen liegt, und das die
Ordnung stören könnte. Noch unzweideutiger ist das bei den einfachen
Substanzen oder den tätigen Prinzipien selbst, die ich mit Aristoteles
ursprüngliche Entelechien nenne und
die mir zufolge nichts stören kann. Ich sage dies zur Beantwortung einer
Randnote des Herrn Bayle, in der er mir einwirft, daß, da ein organischer
Körper »aus mehreren
Substanzen zusammengesetzt ist, von der jede ein Prinzip der Tätigkeit
besitzt, das in Wirklichkeit von dem Tätigkeitsprinzipe jeder einzelnen
andern verschieden ist, und da ferner die Tätigkeit jedes Prinzips eine
selbstbestimmte ist, dies die Wirkungen ins Unendliche vermannigfachen und überdies
der Anprall der umgebenden Körper der natürlichen Selbstbestimmung
jedes einzelnen einigen Zwang antun muß«.
Man muß jedoch beachten, daß zu jeder Zeit das eine schon jedem
andern angepaßt ist und sich zu dem bestimmt, was das andere von ihm fordern
wird. Es besteht daher bei den Substanzen nur im Äußern und dem Anscheine
nach ein Zwang. Dies ist so wahr, daß die Bewegung irgendeines beliebig
in der Welt angenommenen Punktes sich in einer Linie von bestimmter Beschaffenheit
vollzieht, die dieser Punkt ein für Allemal eingeschlagen hat und von der
abzuweichen ihn nie etwas veranlassen wird. Das ist das Genaueste und Klarste,
was ich für geometrische Geister sagen zu können glaube, obgleich
diese Art Linien unendlich über diejenigen hinausgehen, welche ein endlicher
Geist begreifen kann. Allerdings würde diese Linie eine Gerade sein, wenn
jener Punkt allein in der Welt sein könnte, während sie jetzt vermöge
der Gesetze der Mechanik ein Erzeugnis der Mitwirkung aller Körper ist:
gerade durch diese Mitwirkung ist sie aber vorherbestimmt. Daher räume
ich auch ein, daß die Selbstbestimmung nicht eigentlich in der Masse befindlich
ist (man müßte denn das gesamte Universum darunter
verstehen, in welchem Falle jener Ausdruck durchaus statthaft ist), denn
wenn jener Punkt anfangen könnte, allein zu sein, so würde er seine
Bewegung nicht in der vorherbestimmten Linie, sondern in der geraden Tangente
fortsetzen. Die Selbstbestimmung befindet sich daher eigentlich in der Entelechie
(deren Gesichtspunkt jener Punkt ist), und während
der Punkt von selbst nur die Richtung der Bewegung in der geraden Tangente haben
kann, weil er sozusagen weder Erinnerung noch Vorgefühl besitzt, drückt
die Entelechie die vorherbestimmte Kurve selbst aus, so daß in diesem
Sinne in bezug auf sie nichts durch Zwang herbeigeführt ist.
Daraus erhellt, wie alle die Wunder des Schiffes,
das sich von selbst in den Hafen lenkt, oder der Maschine,
die die Verrichtungen des von Verstand entblößten Menschen ausführt,
oder wer weiß wie vieler anderer Fiktionen, die man mir noch einwerfen
könnte und die meine Annahme unglaublich machen, wenn man sie aufhören,
Schwierigkeiten zu bereiten, und wie alles, was man befremdend gefunden hatte,
sich völlig verliert, sobald man erwägt, daß die Dinge zu dem
bestimmt sind, was sie tun sollen. Alles, was der Ehrgeiz oder eine andere Leidenschaft
die Seele Cäsars tun läßt,
ist auch in ihrem Körper dargestellt: Alle Bewegungen dieser Leidenschaften
rühren von den Einwirkungen der Gegenstände in Verbindung mit den
innern Bewegungen her, und der Körper ist derart gebildet, daß die
Seele nie einen Entschluß faßt, mit dem nicht die Bewegungen des
Körpers übereinstimmten, da selbst die abstraktesten Schlußreihen
vermittelst der Zeichen, durch welche sie der Einbildungskraft vorgestellt werden,
dabei ihren Spielraum finden.
Kurzum, hinsichtlich der Einzelheiten der Erscheinungen vollzieht sich im Körper
alles, als ob die schlimme Lehre derer, welche nach Epikur und Hobbes die Seele
für stofflich ansehen, der Wahrheit gemäß wäre oder als
ob der Mensch selbst nur Körper oder Automat wäre. Daher haben jene
auch das, was die Cartesianer bezüglich aller andern Tiere zugestehen,
bis auf den Menschen ausgedehnt, indem sie tatsächlich zeigten, daß
nichts vom Menschen mit seiner ganzen Vernunft vollführt wird, die im Körper
nur ein Beispiel von Bildern, Leidenschaften und Bewegungen sei. Indem man das
Gegenteil beweisen wollte, hat man sich bloßgestellt, und dadurch, daß
man sich mit dieser schiefen Ansicht in einen Streit einließ, nur dem
Irrtume Gelegenheit zu einem Triumphe geboten. Die Cartesianer haben, ungefähr
wie Epikur mit seiner Abweichung der Atome,
über die sich Cicero so weidlich lustig macht, wenig Glück gehabt,
als sie behaupteten, die Seele könne zwar dem Körper keine Bewegung
verleihen, sie ändere jedoch die Richtung derselben: Weder das eine noch
das andere kann und soll geschehen, und die Materialisten brauchen sich gar
nicht auf diesen Umstand zu berufen, denn nichts von dem, was äußerlich
am Menschen zum Vorschein kommt, ist imstande, ihre Lehre zu widerlegen —
und das genügt, um einen Teil meinet Hypothese zu begründen.
Diejenigen, welche den Cartesianern zeigen, daß ihr Beweisverfahren dafür,
daß die Tiere nur Automaten sind, auch sogar den rechtfertigt, der behaupten
würde, alle Menschen außer ihm seien ebenfalls einfache Automaten,
haben genau und zutreffend das entwickelt, was ich für diese Hälfte
meiner Hypothese, die den Körper betrifft, brauche. Aber von den Prinzipien
abgesehen, welche die Monaden außer Zweifel
stellen, von denen die zusammengesetzten Dinge nur die Resultate sind, widerlegt
auch die innere Erfahrung die Lehre Epikurs: das Bewußtsein, das in uns
vom Ich lebt, gewahrt die Dinge, die im
Körper vorgehen, und da die Wahrnehmung nicht aus den Gestalten und Bewegungen
erklärt werden kann, so begründet sie die andere Hälfte meiner
Hypothese und nötigt uns, eine unteilbare Substanz
in uns anzunehmen, die selbst die Quelle ihrer Erscheinungen
sein muß. Demgemäß geschieht diesem zweiten Teile meiner
Hypothese zufolge alles in der Seele gerade so, wie wenn
es keinen Körper gäbe, ganz wie nach dem ersten Teile derselben im
Körper alles so geschieht, als ob es keine Seele gäbe.
Überdem habe ich oft gezeigt, daß bei den Körpern selbst, obgleich
das einzelne der Erscheinungen mechanische Gründe hat, die letzte Analyse
der mechanischen Gesetze und die Natur der Substanzen uns schließlich
nötigt, die tätigen unteilbaren Prinzipien zu Hilfe zu nehmen, und
wie die bewunderungswürdige Ordnung, die sich darin findet, uns dartut,
daß es ein allumfassendes Prinzip gibt, dessen
Einsicht wie Macht vollkommen und unübertrefflich
ist. Und da aus dem, was die falsche und gottlose Lehre Epikurs Gutes
und Begründetes enthält, hervorgeht, daß es nicht nötig
ist, zu behaupten, daß die Seele die Richtung der Bewegungen ändere,
welche im Körper sind, so ist leicht zu schließen, daß es ebensowenig
nötig ist, daß die stoffliche Masse vermittelst der Einwirkung unbekannter
chimärischer Eigenschaften der Seele Gedanken zusende, noch daß Gott
beständig der Dolmetscher des Körpers bei der Seele sei, so
wenig wie er den Willen der Seele dem Körper zu verdolmetschen
braucht, da die vorherbestimmte Harmonie
ein anderer Mittelsmann für beide Teile ist.
Daraus erhellt, daß das Gute an den Hypothesen Epikurs und Platons, des
größten Materialisten und des größten Idealisten, hier
vereinigt ist und daß sich in meiner Hypothese nichts Überraschendes
mehr findet als bloß die alles überragende
Vollkommenheit des höchsten Prinzips, die nun an seinem Werke über
alles hinaus, was man bis jetzt davon glaubte, nachgewiesen worden ist. Welch
Wunder also, daß alles sich gehörig und mit Genauigkeit vollzieht,
da alle Dinge verbunden sind und sich bei der Hand führen, sobald man voraussetzt,
daß alles vollkommen gut erdacht sei? Es würde vielmehr das größte
Wunder oder die befremdlichste Widersinnigkeit sein, wenn dies zur richtigen
Fahrt bestimmte Schiff, diese Maschine, der ihr Weg von jeher vorgezeichnet
worden ist, trotz der von Gott getroffenen Maßregeln versagen könnte.
Daher darf auch meine Hypothese in bezug auf die körperliche Masse
nicht mit einem Schiffe, das sich selbst zum Hafen lenkt, sondern sie
muß mit jenen Fährbooten verglichen
werden, die, an einem Seile befestigt, quer den Strom
durchschneiden. Es ist hier wie bei den Theatermaschinen und den Feuerwerken,
deren treffende Genauigkeit man nicht mehr befremdlich findet, sobald man weiß,
wie alles geleitet wird. Allerdings überträgt man dann die Bewunderung
für das Werk auf den Erfinder, geradeso wie wenn man jetzt einsieht, daß
die Planeten nicht der Leitung durch geistige Wesen bedürfen.
Bis jetzt haben wir fast nur Einwürfe besprochen, die sich auf den Körper
oder den Stoff beziehen, und es ist dabei keine andere Schwierigkeit beigebracht
worden als die des Wunderhaften (aber schönen, geregelten
und allumfassenden Wunderhaften), das sich bei den Körpern finden
muß, damit sie unter sich und mit den Seelen übereinstimmen; das
muß aber meines Erachtens bei Personen, die, um mit Herrn Bayle zu reden,
über »das Vermögen und die Geschicklichkeit
der göttlichen Kunst« ein richtiges Urteil haben, eher
für einen Beweis als für einen Einwurf gelten, und Herr Bayle räumt
auch ein, daß »sich nichts ersinnen läßt,
was eine höhere Vorstellung von der Einsicht und der Macht des Urhebers
aller Dinge gäbe«. Jetzt nun kommen wir zur Seele,
hinsichtlich derer Herr Bayle noch andere Schwierigkeiten findet, nachdem ich
die ersten gelöst habe. Er beginnt damit, daß er diese Seele, an
sich und abgesondert genommen, ohne daß sie etwas von außen empfängt,
mit einem Atome Epikurs vergleicht, das
vom leeren Raume umgeben ist, und in der Tat betrachte ich die Seelen oder vielmehr
die Monaden als substantielle
Atome, weil es meines Erachtens keine stofflichen
Atome in der Natur gibt, da das kleinste Stückchen des Stoffs
immer noch Teile hat.
Da nun ein Atom, wie Epikur es sich dachte, eine bewegende
Kraft besitzt, die ihm eine gewisse Richtung gibt, so wird es diese Kraft
unbehindert und gleichmäßig ausüben, sofern es nicht einem andern
Atome begegnet. Hat nun die Seele, gesetzt daß sie sich in diesem Zustande
befinde, wo nichts Äußeres sie beeinflußt, zu Anfang eine Empfindung
der Lust empfangen, so scheint es, nach Herrn Bayle, daß sie gleicherweise
immer an dieser Empfindung festhalten müsse; denn wenn die Gesamtursache
bleibt, so muß auch immer die Wirkung bleiben. Auf meinen Einwand, daß
die Seele als in einem Zustande der Veränderung befindlich
betrachtet werden muß, erwidert Herr Bayle, daß diese Veränderung
der Veränderung eines Atoms ähnlich
sein muß, das sich beständig und mit gleichmäßiger Geschwindigkeit
in derselben (geraden) Richtung bewegt. Und wenn er, sagt er, auch die Umwandlung
der Gedanken zugäbe, so müßte wenigstens der Übergang,
den ich von einem Gedanken zum andern annehme, einen auf der Verwandtschaft
beruhenden Grund enthalten. Ich stimme den Grundlagen dieses Einwurfs bei und
gebrauche sie meinerseits, um mein System zu erläutern.
Der Zustand der Seele wie des Atoms
ist ein Zustand der Veränderung, ein Streben: das
Atom strebt nach Ortsveränderung, die Seele nach Gedankenveränderung,
beide wechseln von selbst in der einfachsten und gleichmäßigsten
Weise, die ihr Zustand erlaubt. Woher kommt es also, fragt man nun, daß
in der Veränderung des Atoms so viel Einfachheit,
in den Veränderungen der Seele aber so viel
Mannigfaltigkeit herrscht? Daher, daß das Atom
(so wie man sich dasselbe denkt, obschon es nichts Derartiges in der Natur gibt),
wenngleich es Teile hat, doch nichts besitzt, was Mannigfaltigkeit in seinem
Streben verursacht, da man annimmt, daß diese Teile nie ihre Beziehungen
zueinander ändern; während die Seele, so unteilbar
sie ist, ein zusammengesetztes Streben enthält, d. h. eine Menge
von gegenwärtigen Gedanken, von denen jeder seinem Inhalte gemäß
nach einer Sonderveränderung strebt und die sich gleichzeitig in der Seele
befinden vermöge der wesentlichen Beziehung derselben zu allen andern Dingen
der Welt.
Auch ist es gerade der Mangel dieser Beziehung, der die Atome Epikurs von der
Natur ausschließt. Denn es besteht kein individuelles Ding, das nicht
alle übrigen ausdrücken soll, so daß die Seele im Hinblick auf
die Mannigfaltigkeit ihrer Veränderungen
mit dem Universum, das sie ihrem Gesichtspunkte
gemäß vorstellt, und gewissermaßen sogar mit Gott,
dessen Unendlichkeit sie wegen ihrer verworrenen
und unvollkommenen Vorstellung des Unendlichen in
endlicher Weise vorstellt, weit eher verglichen werden muß
als mit einem stofflichen Atom.
Auch ist der Grund für die Veränderung der Gedanken in der Seele der
nämliche wie für die Veränderung der Dinge im Universum, das
die Seele vorstellt. Denn die mechanischen Gründe, die in den Körpern
auseinander gebreitet sind, sind in den Seelen oder Entelechien
zusammengezogen und sozusagen konzentriert und haben sogar ihre
Quelle darin. Allerdings sind nicht alle Entelechien Abbilder
Gottes wie unsere Seele, da nicht alle geschaffen sind, um Glieder
einer Genossenschaft oder eines Staates zu werden, dessen Oberhaupt er ist —
aber sie sind immer Abbilder des Universums.
Es sind Welten im verkleinerten Maßstabe,
nach ihrer Weise, reichhaltige Einfachheiten, Einheiten
von Substanzen, die jedoch infolge der Menge ihrer Veränderungen
dem Vermögen nach unendlich sind,
Mittelpunkte, die eine unendliche Peripherie abspiegeln.
Und sie müssen es notwendigerweise sein, wie ich früher in Briefen
auseinandergesetzt habe, die ich mit Herrn Arnauld wechselte. An ihrer Dauer
darf niemand Anstoß nehmen, so wenig wie an der Dauer der Atome der Gassendisten.
Überdies ist, wie Sokrates im Phädon
Platons anläßlich eines Menschen bemerkt, der sich kratzt, oft von
der Lust zum Schmerze nur ein Schritt: extrema gaudii
luctus occupat [Die höchste Stufe der Lust
hält das Leid besetzt]. Demgemäß darf man sich nicht
über jenen Übergang wundern; es scheint bisweilen, daß das Vergnügen
nur eine Zusammensetzung von kleinen Vorstellungen ist, von denen jede ein Schmerz
sein würde, wenn sie groß wäre.
Herr Bayle anerkennt bereits, daß ich auf einen guten Teil seiner Einwürfe
zu antworten versucht habe; er berücksichtigt auch, daß im Systeme
der Gelegenheitsursachen Gott der Vollstrecker seiner eigenen Gesetze sein muß,
während es nach dem meinen die Seele ist, aber er wendet ein, daß
die Seele keine Werkzeuge zu einer derartigen Vollstreckung
habe. Ich antworte und habe geantwortet, daß sie deren hat: es sind das
ihre gegenwärtigen Gedanken, aus denen die folgenden
entstehen, und man darf sagen, daß in ihr wie überall die Gegenwart
mit der Zukunft schwanger geht.
Ich glaube, Herr Bayle und alle Philosophen mit ihm werden zugeben, daß
unsere Gedanken niemals einfach sind und daß die Seele in bezug auf gewisse
Gedanken die Macht hat, von selbst von dem einen zum andern überzugehen,
wie wenn sie z. B. von den Prämissen zum Schlusse oder vom Zwecke zu den
Mitteln übergeht. Selbst der ehrwürdige Pater Malebranche räumt
ein, daß die Seele innere freiwillige Kraftäußerungen hat.
Welcher Grund ist nun vorhanden, welcher hinderte, daß dies bei allen
Gedanken statthabe? Vielleicht glaubte man, die verworrenen Gedanken seien toto
genere [der Art nach] von den deutlichen
verschieden, während sie doch nur weniger unterschieden und wegen ihrer
Vielfältigkeit weniger entwickelt sind. Das hat zur Folge gehabt, daß
man dem Körper gewisse Bewegungen zuschrieb, die man mit Recht unwillkürliche
nennt und von denen man glaubte, daß es nichts ihnen Entsprechendes in
der Seele gäbe, wie man umgekehrt glaubte, daß gewisse abstrakte
Gedanken nicht im Körper vorgestellt werden.
Beide Annahmen sind falsch, wie das gewöhnlich bei dieser Art von Unterscheidungen
der Fall ist, da man immer nur das beachtet, was am meisten in die Augen fällt.
Die abstraktesten Gedanken bedürfen immer irgendeiner Vorstellung, und
wenn man erwägt, was die verworrenen Gedanken sind, die nie verfehlen,
die deutlichsten Vorstellungen, die wir nur haben können, zu begleiten,
so erkennt man, daß dieselben immer das Unendliche, und nicht nur das,
was in unserm Körper vorgeht, sondern vermittelst seiner auch das, was
anderswo geschieht, umschließen und demgemäß für unsern
Zweck weit dienlicher sind als jene Legion von Substanzen, von der Herr Bayle
als von einem Instrumente spricht, das anscheinend für die von mir der
Seele beigelegten Verrichtungen unentbehrlich ist.
Allerdings hat die Seele diese Legionen zu ihrem Dienste, aber nicht in ihrem
eigenen Innern. Jene Tabulatur, die ihre
Aufgabe ausmacht, bildet sich also aus den gegenwärtigen Vorstellungen
mit dem geregelten Streben zur Veränderung. Aber, sagt Herr Bayle, müßte
sie nicht die Folge der Noten (deutlich) kennen
und (auf diese Weise) tatsächlich daran denken?
Nein, sage ich: es reicht hin, daß sie dieselben in ihre verworrenen Gedanken
eingeschlossen besitzt — andernfalls würde
jede Entelechie Gott sein. Denn Gott drückt gleichzeitig deutlich und vollkommen
Mögliches und Seiendes, Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges
aus: er ist die umfassende Quelle von allem, und die geschaffenen Monaden
ahmen ihn nach, soweit eben Geschöpfe dies vermögen. Er
hat sie als Quellen ihrer Erscheinungen geschaffen, welche Beziehungen zu allem
enthalten, die jedoch je nach dem Grade der Vollkommenheit
jeder einzelnen von diesen Substanzen mehr oder weniger deutlich sind.
Wo liegt da die Unmöglichkeit? Ich möchte irgendeinen tatsächlichen
Beweisgrund sehen, der zu einem Widerspruche oder zum Widerstreit mit irgendwelcher
bewiesenen Wahrheit führte.
Die Behauptung, das sei wunderbar, würde kein Einwurf sein. Im Gegenteil,
alle diejenigen, welche unteilbare unstoffliche Substanzen anerkennen, sprechen
denselben eine Menge gleichzeitiger Vorstellungen und eine Selbstbestimmung
bei ihren Vernunftschlüssen und freiwilligen Handlungen zu. Ich dehne also
nur die Selbstbestimmung auf die verworrenen
und unfreiwilligen Gedanken aus und zeige, daß es in deren Natur liegt,
Beziehungen zu allem, was außer der Seele ist, zu enthalten. Wie will
man nun beweisen, daß das unmöglich sei oder daß notwendigerweise
alles, was in uns ist, uns deutlich bekannt sein müsse? Ist es nicht Tatsache,
daß wir uns nicht einmal immer dessen zu erinnern vermögen, was wir
wissen und auf was wir plötzlich bei einem kleinen rückerinnernden
Anlaß wieder verfallen? Und wieviel Mannigfaltigkeiten
können wir nicht noch in der Seele haben, auf die so schnell zu verfallen
uns nicht gestattet ist?
Die Seele würde andernfalls ein Gott sein,
während es für sie hinreicht, eine kleine Welt zu sein, die man ebenso
der Störung
unzugänglich findet wie die große,
wenn man erwägt, daß beim Verworrenen wie beim Deutlichen Selbstbestimmung
herrscht. Mit Recht jedoch nennt man mit den Alten in einem andern Sinne das,
was in den verworrenen Gedanken besteht, wo sich Unwillkürliches und Unbekanntes
findet, Störungen oder Leidenschaften,
und eben dies schreibt man in der gewöhnlichen Redeweise nicht uneben dem
Kampfe zwischen dem Geiste und dem Leibe zu, weil unsere verworrenen Gedanken
den Körper oder das Fleisch vorstellen und unsere Unvollkommenheit ausmachen.
Ich hatte diese Antwort, daß nämlich die verworrenen Vorstellungen
alles Äußere umfassen und unendliche Beziehungen in sich schließen,
der Hauptsache nach bereits gegeben, und Herr Bayle verwirft dieselbe, nachdem
er sie angeführt hat, nicht nur nicht, sondern sagt vielmehr, daß
diese Hypothese, sobald sie gehörig entwickelt sein wird, das richtige
Mittel ist, um alle Schwierigkeiten zu lösen, und tut mir die
Ehre an, zu bemerken, er hoffe, daß ich die von ihm erhobenen Bedenken
stichhaltig lösen würde. Wenn er das auch nur aus Höflichkeit
gesagt hätte, so würde ich mich doch nichtsdestoweniger darum bemüht
haben, und ich glaube auch keinen seiner Einwürfe übergangen zu haben
Habe ich aber etwas beiseite gelassen, ohne eine Lösung zu versuchen, so
werde ich eben nicht haben einsehen können, worin eigentlich die Schwierigkeit
bestand, die man mir entgegenhalten wollte, ein Umstand, der mir bisweilen bei
der Antwort die meiste Mühe bereitet. Es wäre mir lieb gewesen, wenn
ich hätte erkennen können, warum man glaubt, daß jene Menge
von Vorstellungen, die ich in einer unteilbaren Substanz
annehme, nicht darin vorhanden sein könne; denn ich bin der Meinung, es
würde gestattet sein, dieselbe anzunehmen, selbst wenn die Erfahrung und
das gemeinsame Gefühl uns nicht eine große Mannigfaltigkeit in unserer
Seele erkennen ließen. Die einfache Bemerkung, man könne diese oder
jene Sache nicht begreifen, ist noch kein Beweis für deren Unmöglichkeit,
wenn man nicht bestimmt angibt, worin sie gegen die Vernunft verstößt,
und wenn die Schwierigkeit nur in der Einbildungskraft ist, ohne daß eine
solche im Verstande besteht.
Es ist ein Vergnügen, mit einem so billig denkenden und gleichzeitig so
scharfsinnigen Gegner wie Herr Bayle zu tun zu haben, der einem in solchem Grade
Gerechtigkeit widerfahren läßt, daß er oft den Antworten zuvorkommt,
wie er es tut, indem er, auf meine Anschauung eingehend, bemerkt, daß,
wenn die ursprüngliche Verfassung jedes Geistes
von der jedes andern verschieden sei, dies nicht ungewöhnlicher
sei als das, was die Thomisten im Anschluß an ihren Meister von der spezifischen
Verschiedenheit aller einzelnen geistigen Wesen behaupten. Ich bin erfreut,
in diesem Punkte mit ihm übereinzustimmen, denn ich habe an anderer Stelle
selbst diese nämliche Autorität angeführt. Allerdings nenne ich
diesen Unterschied meiner Definition der Art gemäß nicht spezifisch,
denn da sich meines Erachtens nie zwei Individuen vollkommen gleichen, so müßte
man sagen, daß nie zwei Individuen derselben Art angehören, was nicht
zutreffend gesprochen sein würde.
Es tut mir leid, daß ich die Einwürfe des Dominus
Franois Lami noch nicht habe einsehen können, die, wie Herr
Bayle mich belehrt, in dessen zweiter Abhandlung über die Erkenntnis seiner
selbst (Ausg. 1699) enthalten sind, denn sonst würde ich meine Antworten
auch dagegen gerichtet haben. Herr Bayle hat mir ausdrücklich die Einwürfe
ersparen wollen, die auch andern Systemen gemacht werden können, und dies
ist eine weitere Verpflichtung, die ich gegen ihn habe. Ich bemerke daher nur,
daß ich, wie ich glaube, in bezug auf die den Geschöpfen verliehene
Kraft im Septemberhefte der Leipziger Zeitschrift 1698 auf alle die Einwürfe
der Denkschrift eines gelehrten Mannes geantwortet habe, die im Jahre 1697 in
der genannten Zeitschrift erschienen war und die Herr Bayle am Rande anführt
, und daß ich sogar bewiesen zu haben glaube, daß es ohne die tätige
Kraft in den Körpern keine Mannigfaltigkeit in den Erscheinungen geben
würde, was ebenso viel wäre, als ob es gar nichts gäbe.
Allerdings hat mein gelehrter Gegner (im Mai 1699) darauf geantwortet, aber
im eigentlichen Sinne nur eine Auseinandersetzung seiner Ansicht ohne hinlängliche
Berücksichtigung meiner Gegengründe gegeben, so daß es ihm gar
nicht in den Sinn gekommen ist, auf jenen Beweis zu antworten, da er noch dazu
den Gegenstand als unbrauchbar zur Überzeugung und weitern Erläuterung
und sogar als für das gute Einvernehmen gefährlich betrachtete. Ich
räume ein, daß dies das gewöhnliche Schicksal der gelehrten
Streitereien ist, es gibt jedoch Ausnahmen, und das, was sich zwischen Herrn
Bayle und mir abgesponnen hat, scheint anderer Art zu sein. Ich meinerseits
bestrebe mich immer, geeignete Maßnahmen zur Bewahrung der Mäßigung
und Beförderung der Aufklärung der Sache zu treffen, damit der Streit
nicht nur nicht schädlich sei, sondern auch nützlich werden könne.
Ich weiß nicht, ob ich diesmal diesen letztern Zweck erreicht habe, aber
obgleich ich mir nicht schmeicheln darf, bei einem so schwierigen Gegenstande
wie dem vorliegenden einem so gründlichen Geiste wie dem des Herrn Bayle
volle Befriedigung zu geben, so werde ich doch immer schon zufrieden sein, wenn
er findet, da ich in einer so wichtigen Untersuchung einige Fortschritte gemacht
habe.
Ich habe nicht umhingekonnt, das Vergnügen zu erneuern, das mir früher
die mit besonderer Aufmerksamkeit vorgenommene Lektüre mehrerer Artikel
seines ausgezeichneten und reichhaltigen Wörterbuchs gewährte, unter
andern namentlich der auf die Philosophie bezüglichen Artikel wie Pauliciens,
Origene, Pereira, Rorarjus, Spinoza, Zenon. Ich bin über die
Reichhaltigkeit, die Kraft und die Schönheit der Gedanken von neuem überrascht
gewesen. Nie wird ein Akademiker, Karneades nicht ausgenommen, die Schwierigkeiten
einleuchtender dargelegt haben. Selbst Herr Foucher, so äußerst gewandt
er in dergleichen Betrachtungen war, kam dem nicht nahe, und ich für mein
Teil finde, daß nichts auf der Welt für die Überwindung eben
dieser Schwierigkeiten ersprießlicher sein kann. Eben deshalb finde ich
Gefallen an den Einwürfen gescheiter und billig denkender Leute, denn ich
fühle, daß das mir neue Kräfte gibt, etwa wie in der Fabel vom
zu Boden geworfenen Antäus. Und was mich veranlaßt, mit ein wenig
Selbstvertrauen zu reden, ist der Umstand, daß ich mich erst entschieden
habe, nachdem ich die Sache von allen Seiten betrachtet und gehörig erwogen
hatte, so daß ich vielleicht ohne Anmaßung sagen kann: Omnia
percepi, atque animo mecum ante peregi [Alles hab‘
ich gemerkt und vorher im Geiste erwogen].
Die Einwürfe aber leiten mich auf den richtigen Weg und ersparen mir viel
Mühe, denn diese letztere ist nicht gering, wenn man alle Abschweifungen
von neuem durchgehen will, um die etwaigen Ausstellungen anderer zu erraten
und denselben im voraus zu begegnen, da die Vorurteile und die Neigungen so
verschieden sind, daß sich sehr gründlich denkende Personen gefunden
haben, die sich sogleich meine Hypothese zu eigen gemacht und sich sogar die
Mühe gegeben haben, sie andern zu empfehlen. Andere ebenfalls sehr tüchtige
Leute haben mir zu erkennen gegeben, daß sie in der Tat schon im Besitze
derselben waren, und einige haben sogar behauptet, daß sie ebenso die
Hypothese der Gelegenheitsursachen auffassen und keinen Unterschied zwischen
dieser und der meinigen machen, was mir sehr lieb ist. Nicht weniger lieb aber
ist es mir, wenn ich sehe, daß man sich bemüht, sie gehörig
und eingehend zu prüfen.
Um noch etwas über die eben erwähnten Artikel des Herrn Bayle zu sagen,
die vielen Zusammenhang mit dem vorliegenden Gegenstande haben, so scheint mir,
daß der Grund für die Zulassung des Übels
in den ewigen Möglichkeiten liegt, denen zufolge die Art von Universum,
welche das Übel zuläßt, und die zum tatsächlichen Sein
zugelassen worden ist, sich unter allen möglichen Arten als die im ganzen
vollkommenste ergibt. Man gerät jedoch auf Abwege, wenn man mit
den Stoikern im einzelnen diese Nützlichkeit des
Übels dartun will, das das Gute hervorhebt, wie St. Augustinus im
allgemeinen richtig erkannt hat, und das sozusagen ein Schritt zurück ist,
um besser vorwärts springen zu können; denn wer vermag auf die unendlichen
Einzelheiten der allumfassenden Harmonie
einzugehen? Wenn indessen der Vernunft gemäß zwischen zweien gewählt
werden müßte, so würde ich eher für den Origenisten und
nie für den Manichäer sein. Es scheint mir nicht notwendig, daß
man unter dem Vorwande, sie würden erschaffen, wenn sie Modalitäten
hervorbrächten, den Geschöpfen die Tätigkeit oder die Kraft abspricht.
Denn es ist Gott, der beständig ihre Kräfte
erschafft und erhält, d. h. eine Quelle
von Modifikationen, die im Geschöpfe liegt, oder auch einen
Zustand, aus welchem man schließen kann, daß es einen Wechsel der
Modifikationen geben wird, weil sonst meines Dafürhaltens, wie ich an anderer
Stelle gezeigt zu haben erwähnte, Gott nichts hervorbringen und es keine
Substanzen außer der seinen geben würde; das würde uns aber
alle Widersinnigkeiten des Gottes Spinozas wieder auf den Plan bringen. Auch
hat es den Anschein, als ob der Irrtum dieses Autors nur daher rühre, daß
er die Konsequenzen der Lehre, welche den Geschöpfen die Kraft und die
Tätigkeit abspricht, bis aufs Äußerste getrieben hat.
Ich anerkenne, daß die Zeit, die Ausdehnung, die Bewegung und das Stetige
im allgemeinen in der Weise, wie diese Dinge in der Mathematik aufgefaßt
werden, nur ideale Dinge sind, d. h. Dinge, welche die Möglichkeiten ausdrücken,
ganz wie das die Zahlen tun. Sogar Hobbes hat den Raum als phantasma
existentis [Vorstellung des Seienden] definiert.
Um mich jedoch genauer auszudrücken: der Raum ist die Ordnung der
möglichen gleichzeitigen Dinge, wie die Zeit die Ordnung der
unbeständigen Möglichkeiten
ist, die indessen im Zusammenhang miteinander stehen, so daß diese Ordnungen
nicht nur für das passen, was tatsächlich ist, sondern auch für
das, was an dessen Stelle gesetzt werden könnte, wie die Zahlen gleichgültig
sind für alles, was res numerata [ein
gezähltes Ding] sein kann. Und obgleich sich in der Natur niemals
völlig gleichförmige Veränderungen finden, so wie die Vorstellung,
welche die Mathematik uns von der Bewegung gibt, sie fordert, und ebensowenig,
strenggenommen, wirkliche Figuren von der Art jener gibt, welche die Geometrie
uns lehrt, so sind doch nichtsdestoweniger die wirklichen Erscheinungen der
Natur mit Umsicht eingerichtet und müssen es in der Weise sein, daß
nie etwas geschieht, wobei das Gesetz der Stetigkeit (das
ich aufgestellt und zuerst. in den Nouvelles de la République des
Lettres des Herrn Bayle erwähnt habe) und all die andern äußerst
genauen Regeln der Mathematik verletzt würden. Vielmehr können die
Dinge nur durch diese Regeln begreiflich gemacht werden, die in Verbindung mit
den Regeln der Harmonie oder der Vollkommenheit,
welche die wahre Metaphysik hergibt, allein imstande sind, uns in die Gründe
und Absichten des Urhebers der Dinge eindringen zu lassen.
Die zu große Menge der unendlichen Zusammensetzungen hat allerdings zur
Folge, daß wir uns verlieren und genötigt sind, uns bei der Anwendung
der Regeln der Metaphysik wie auch der Mathematik auf die Physik Schranken zu
setzen; indessen täuscht diese Anwendung niemals, und wenn sich nach einer
genauen Schlußreihe eine Verrechnung ergibt, so kommt das daher, daß
man das Tatsächliche nicht hinlänglich erforschen kann und daß
die Voraussetzung eine Unvollkommenheit enthält. Man kann bei dieser Anwendung
auch um so weiter gehen, je mehr man imstande ist, die Berücksichtigung
des Unendlichen mit Umsicht zu gebrauchen, wie meine letzten Rechnungsmethoden
gezeigt haben. Obgleich daher die mathematischen Betrachtungen ideal sind, raubt
ihnen dieser Umstand doch nichts von ihrer Nützlichkeit, weil die wirklichen
Dinge nicht von ihren Regeln abweichen können, und man darf mit Grund sagen,
daß eben hierin die Wirklichkeit der Erscheinungen besteht, die sie von
den Träumen unterscheidet. Indessen bedürfen die Mathematiker durchaus
keiner metaphysischen Untersuchungen, noch brauchen sie sich um das wirkliche
Dasein der Punkte, der unteilbaren Dinge, der unendlich
kleinen Größen und
der im buchstäblichen Sinne unendlichen Größen
Sorge zu machen.
Ich habe das bereits in meiner Antwort an die Mémoires
de Trevoux vom Mai und Juni 1701 bemerkt, die Herr Bayle im Artikel
Zenon zitiert hat, und habe dort noch im nämlichen Jahre zu erwägen
gegeben , daß es bei den Mathematikern für die Schärfe der Beweisführungen
hinreicht, wenn sie statt der unendlich kleinen Größen
so kleine annehmen, wie nötig sind, um zu zeigen, daß der Irrtum
geringer ist als der, welchen ein Gegner bestimmen wollte, und daß folglich
überhaupt kein solcher festzustellen ist, so daß, wenn die buchstäblichen
unendlich kleinen Größen, welche bei der Verminderung der Feststellungen
des Irrtums den Beschluß machen, nur gleich imaginären Wurzeln wären,
dieser Umstand die Infinitesimalrechnung oder Rechnung mit den Differenzen und
Summen durchaus nicht schädigen würde. Ich habe diese Rechnung vorgeschlagen,
und sie ist von ausgezeichneten Mathematikern mit großem Nutzen angewandt
worden, da man dabei nur aus Mangel an Verständnis oder Übung irren
kann, denn sie trägt den Beweis für ihre Richtigkeit in sich selbst.
Auch ist nachdem im Journal de Trevoux
an nämlicher Stelle anerkannt worden, daß das früher Gesagte
nicht gegen meine Auseinandersetzung gerichtet wäre. Allerdings behauptet
man immer noch, es gehe gegen die des Herrn Marquis de l‘Hôpital,
aber ich glaube, er wird sowenig wie ich die Geometrie mit metaphysischen Fragen
beschweren wollen.
Ich habe beinahe über das Ansehen lachen müssen, das der Herr Chevalier
de Mére sich in seinem Briefe an Herrn Pascal gegeben hat, den Herr Bayle
im nämlichen Artikel anführt. Ich sehe jedoch, der Chevalier wußte,
daß dies große Genie seine Unebenheiten hatte, die es bisweilen
für die Einwirkungen der überstrengen Spiritualisten zu empfänglich
machten und ihm zeitweise sogar die wahren und wohlbegründeten Kenntnisse
verleideten, wie man dies später, aber unwiderruflich, auch den Herren
Stenonis und Swammerdam hat geschehen sehen, weil dieselben nicht die wahrhafte
Metaphysik mit der Physik und Mathematik verbunden hatten. Herr de Mére
benutzte dies, um mit Herrn Pascal von oben herab zu reden.
Wie es scheint, spottet er ein wenig, wie die Leute von Welt zu tun pflegen,
die viel Geist und ein mittelmäßiges Wissen besitzen. Sie möchten
uns einreden, das, was sie nicht zur Genüge verstehen, sei von geringer
Wichtigkeit. Man hätte ihn zu Herrn Roberval in die Schule schicken sollen.
Indessen hatte der Chevalier in der Tat ein außergewöhnliches Genie,
sogar für die Mathematik, und von Herrn Des Billettes, einem Freunde des
Herrn Pascal und ausgezeichnetem Mechaniker, habe ich erfahren, worin die Entdeckung
besteht, deren der Chevalier sich in seinem Briefe rühmt. Da er nämlich
ein großer Spieler war, so gab er die ersten Enthüllungen über
die Berechnung der Wetten, was die schönen Gedanken
de Alea [über das Glücksspiel] der
Herren Fermat, Pascal und Huygens veranlaßte, wovon Herr Roberval nichts
begreifen wollte oder konnte. Der Herr Großpensionär de Witt hat
dies noch weiter verfolgt und wendet es zu wichtigem Zwecken bei der Rentenberechnung
an, und Herr Huygens sagte mir, daß auch Herr Hudde vortreffliche Gedanken
darüber gehabt habe und daß es schade sei, daß er sie samt
so vielen andern unterdrückt habe.
Also auch die Spiele verdienten näher untersucht zu werden, und wenn ein
gründlicher Mathematiker eingehend darüber nachdächte, so würde
er dabei auf viel wichtige Betrachtungen stoßen, denn nie haben die Menschen
mehr Geist entwickelt als beim bloßen Getändel. Im Vorbeigehen will
ich noch hinzufügen, daß nicht Cavallieri und Torricelli, von denen
Gassendi in einer von Herrn Bayle an genanntem Orte zitierten Stelle spricht,
sondern ich selbst und noch viele andere Figuren von unendlicher Länge
aufgefunden haben, die endlichen Flächen gleich sind. Es ist dabei nichts
Ungewöhnlicheres als bei den unendlichen Reihen, wo man zeigt, daß
1/2 + 1/4 + 1/8, + 1/16 + 1/32 . . . = 1 ist.
Indessen ist auch möglich, daß der Chevalier eine gute Verzückung
gehabt hat, die ihn in jene unsichtbare Welt und in jenen unendlichen Raum versetzte,
von denen er spricht, und den ich für den Raum der Ideen oder der Formen
halte, von dem auch einige Scholastiker gesprochen haben, indem sie die Frage
aufwarfen, utrum detur vacuum formarum [ob
es eine Lücke zwischen den Formen gäbe]. Er sagt nämlich,
»daß man dort die Gründe und die Prinzipien
der Dinge, die verborgensten Wahrheiten, die Übereinstimmungen, die Angemessenheiten,
die Verhältnisse, die wahren Urbilder und die vollkommensten Vorstellungen
alles dessen entdecken kann, was man sucht«.
Diese geistige Welt, von der die Alten viel gesprochen
haben, liegt in Gott und gewissermaßen auch in uns.
Was aber der Brief gegen die Teilung ins Unendliche sagt, zeigt deutlich,
daß der Schreiber desselben in dieser höhern Welt noch allzu fremd
war und daß die Annehmlichkeiten der sichtbaren Welt, über die er
geschrieben hat , ihm nicht die erforderliche Zeit gelassen haben, um das Bürgerrecht
in der andern zu erwerben. Herr Bayle hat recht, wenn er mit den Alten sagt,
daß Gott die Geometrie ausübe und daß
die Mathematik einen Teil der intellektuellen Welt ausmache und am meisten geeignet
sei, Zutritt zu derselben zu gewähren. Ich selbst aber bin der Ansicht,
daß ihr Inneres etwas mehr ist. Ich habe schon anderwärts angedeutet,
daß es eine wichtigere Rechnung als die der Arithmetik und der Geometrie
gibt, eine Rechnung, die von der Analyse der Ideen abhängt. Es würde
dies eine allgemeine Stammsprache sein, deren Herstellung
mich eine der wichtigsten Sachen dünkt, die man unternehmen könnte.
S.72ff.
Aus: Gottfried Wilhelm Leibniz, Kleinere philosophische Schriften. Herausgegeben
und übersetzt von Robert Habs (1884), Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig
Vorherbestimmung
und freier Wille
51. Von
dem Wollen selbst kann man nun nicht recht sagen, es sei
ein Gegenstand des freien Willens. Richtig gesprochen wollen wir handeln
und nicht wollen, sonst könnten wir ja weiter sagen, wir wollen den Willen
haben zu wollen und so weiter in infinitum. Wir
folgen auch nicht immer dem letzten Urteil des praktischen Verstandes, wenn
wir uns zum Wollen entschließen; aber beim Wollen folgen wir immer dem
Endergebnis aller Neigungen, die ebenso der Vernunft wie den Leidenschaften
entstammen, und dies geschieht häufig ohne ein ausdrückliches Urteil
des Verstandes.
52. Beim
Menschen wie auch sonst überall ist also alles gewiß und im voraus
bestimmt und die menschliche Seele ist eine Art geistiger Automat,
wenn auch die zufälligen Handlungen im allgemeinen und die freien Handlungen
im besonderen nicht im Sinne einer absoluten Notwendigkeit notwendig sind, denn
das wäre mit der Zufälligkeit ganz unvereinbar. So wird diese
Zufälligkeit und Freiheit weder durch die Zukünftigkeit selbst, so
gewiß sie auch ist, noch durch die unfehlbare göttliche
Voraussicht, noch durch die Prädetermination der Ursachen und die
göttlichen Entschlüsse zerstört.
Bei der Zukünftigkeit und der Voraussicht gibt
man dies, wie gesagt, zu, und da der göttliche Beschluß
einzig und allein in dem Entschlusse besteht, nach einem Vergleiche aller möglichen
Welten die beste von ihnen auszuwählen und ihr mitsamt allem Inhalt
Existenz zu geben durch jenes allmächtige »Fiat«,
so liegt es auf der Hand, daß dieser Beschluß nichts an der Beschaffenheit
der Dinge ändert und daß er sie in dem Zustande beläßt,
in dem sie sich schon als reine Möglichkeiten befanden; d. h. daß
er nichts an ihrer Essenz oder Natur und sogar nichts an ihren, schon vollkommen
in der Vorstellung dieser möglichen Welt enthaltenen Akzidenzen ändert.
Das Zufällige und Freie verbleibt demnach in seinem Zustande angesichts
der göttlichen Beschlüsse wie auch angesichts der Vorsehung.
53. Könnte dann etwa Gott
selbst (sagt man) nichts mehr in der Welt verändern?
Sicherlich könnte er, seiner Weisheit ungeachtet, im Augenblicke nichts
verändern, da er ja die Existenz der Welt und ihres Inhaltes vorausgesehen
und jenen Entschluß, ihr zur Existenz zu verhelfen, selbst gefaßt
hat: vermag er sich doch nicht zu täuschen oder Reue zu empfinden; außerdem
steht es ihm nicht zu, einen unvollkommenen Entschluß, der nur auf einen
Teil und nicht auf das Ganze geht, zu fassen. Ist so alles von
Urbeginn an geregelt, so ist es diese hypothetische Notwendigkeit allein,
über die man sich ganz und gar einig ist, welche dafür sorgt, daß
nach göttlicher Vorsehung oder nach seinem Entschlusse
nichts mehr geändert wird: und trotzdem bleiben dabei die Geschehnisse
selbst zufällig. Denn (stellen wir einmal jene Annahme von der Zukünftigkeit
der Sache, von der Vorsehung oder von dem göttlichen Beschluß beiseite,
eine Annahme, welche das Eintreffen der Sache schon antizipiert und nach der
man sagen muß: Unumquodque quando est, oportet
esse, aut unumquodque siquidem erit, oportet futurum esse
[Ein jedes muß sein, wenn es ist, aber auch: ein jedes muß, wenn
es sein wird, ein Zukünftiges sein] das Geschehnis enthält
selbst kein Moment der Notwendigkeit, demzufolge keine andere Sache an seiner
Stelle geschehen könnte. Und was die Verbindung der Ursachen mit den Wirkungen
anbelangt, so haben wir ja eben dargetan, wie sie den frei Handelnden nur anspornt,
ohne ihn zu zwingen; auf diese Weise erzeugt sie nicht einmal eine hypothetische
Notwendigkeit, sofern sie nicht etwas Äußerliches damit in Verbindung
bringt, nämlich jene Maxime, daß die vorherrschende
Neigung sich immer durchsetzt.
54. Man kann auch sagen, wenn
alles derart bestimmt ist, vermag Gott keine Wunder zu tun. Allein die
Wunder, welche in der Welt geschehen, waren schon in derselben
Welt, als reine Möglichkeit betrachtet, enthalten und als möglich
vorgestellt; und Gott, der sie tut, hat sich damals, als
er diese Welt erwählte, entschieden, sie zu tun. Man wird auch einwenden:
da nichts geändert werden kann, so hätten Gelübde und Gebete,
Verdienste und Verschuldungen keinen Sinn. Dieser Einwand verursacht gewöhnlich
die größte Verlegenheit und ist dennoch ein reines Sophisma. Diese
Gebete und Gelübde, diese guten und schlechten
Handlungen, die heute geschehen, standen Gott schon vor
Augen, als er den Entschluß faßte, die Dinge zu regeln. Was
in dieser wirklichen Welt geschieht, war schon in der Idee dieser Welt als bloßer
Möglichkeit mitsamt seinen Wirkungen und Folgen vorgestellt, wie es die
natürliche und übernatürliche göttliche Gnade empfängt,
wie es die Strafe herausfordert und Belohnungen erheischt,
alles wie es in dieser Welt, nachdem sie Gott erwählte, tatsächlich
geschieht. Gebet und gute Handlung war damals eine ideale
Ursache oder Bedingung, d.
h. ein Beweggrund für die göttliche Gnade oder zur Belohnung, wie
es jetzt in Wirklichkeit der Fall ist. Und da alles mit Weisheit in der Welt
verknüpft ist, so hat Gott, der das freie Geschehen
voraussah, auch die übrigen Dinge von vornherein dementsprechend geregelt
oder (was auf dasselbe hinausläuft) er hat diese mögliche Welt, in
welcher alles derart geregelt war, ausgewählt.
55. Durch diese Erwägung
wird zugleich das sog. faule Sophisma der
Alten hinfällig, demzufolge man überhaupt nichts tun soll: wenn das,
sagte man, was ich erflehe, geschehen soll, so wird es auch geschehen, wenn
ich nichts tue; und wenn es nicht geschehen soll, so wird es niemals geschehen,
trotz aller Mühe, die ich mir gebe. Diese Notwendigkeit, die man sich,
losgelöst von ihren Ursachen, in den Ereignissen vorstellt, konnte man,
wie schon oben bemerkt, Fatum Mahometanum
nennen, da die Türken, wie man sagt, auf Grund eines ähnlichen Argumentes
den Orten, wo die Pest wütet, nicht entfliehen. Aber die Antwort hierauf
ist leicht: so gewiß die Wirkung ist, so gewiß ist auch die Ursache,
die sie erzeugen wird; und wenn die Wirkung geschieht, so tritt sie auf Grund
einer ihr entsprechenden Ursache ein. So ist deine Trägheit vielleicht
daran schuld, daß du nichts von dem erhältst, was du dir wünschst,
und daß du Übel erleidest, die du durch sorgsames Handeln hättest
vermeiden können. Die Verbindung der Ursachen
mit den Wirkungen hat also durchaus keine
unerträgliche sklavische Notwendigkeit zur Folge, sie gibt uns vielmehr
ein Mittel zu ihrer Beseitigung. Ein deutsches Sprichwort sagt, der Tod
will immer eine Ursache haben; und nichts ist wahrer. Du wirst an dem und dem
Tage sterben (angenommen, es verhielte sich so und Gott hätte es vorausgesehen),
richtig! aber das wird geschehen, weil du etwas tun wirst, das zum Tode führt.
Genau so verhält es sich mit den göttlichen Strafen, die auch von
ihren Ursachen abhängen. Bei dieser Gelegenheit wollen wir
den berühmten Ausspruch des heiligen Ambrosius
(in Kap. 1. Lucae) anführen: Novit
Dominus mutare sententiam, si tu noveris mutare delictum [Der
Herr weiß seinen Ausspruch zu ändern, wenn Du Dein Vergehen zu ändern
weißt] , den man nicht als Verdammung, sondern als Drohung
deuten soll, wie die, welche Jonas an die Bewohner
von Ninive im Auftrage Gottes ergehen läßt. Auch die gewöhnliche
Redewendung: Si non es praedestinatus, fac ut praedestineris
[Wenn es Dir nicht vorherbestimmt ist, so mache, daß
es Dir voherbestimmt werde] darf nicht buchstäblich aufgefaßt
werden; ihr wahrer Sinn liegt darin, daß derjenige, welcher zweifelt,
ob er prädestiniert ist, nur das tun soll, was nötig ist, um es durch
Gottes Gnade zu werden. Das Sophisma, man solle sich um nichts bekümmern,
mag vielleicht zuweilen nützlich sein, um gewisse Leute anzustacheln, sich
blindlings in Gefahr zu begeben, was man besonders von den türkischen Soldaten
gesagt hat: mir aber scheint der Maslach mehr Anteil daran zu haben als dieses
Sophisma, ganz abgesehen davon, daß sich dieser entschlossene Geist der
Türken in unseren Tagen sehr versteckt hält.
58. Die
ganze Zukunft ist bestimmt; daran besteht kein Zweifel; aber da wir nicht
wissen, wie sie bestimmt, was vorgesehen oder beschlossen worden ist, so müssen
wir unsere Pflicht tun nach der uns von Gott gegebenen Vernunft und nach
den uns von ihm vorgeschriebenen Regeln. Danach dürfen wir ruhigen Gemütes
Gott die Sorge um den Ausgang anheimstellen; denn
er wird immer das tun, was er für das beste hält,
nicht nur im allgemeinen, sondern auch im besonderen für die, welche
ihm ihr ganzes Vertrauen schenken, d. h. ein Vertrauen, das sich in nichts von
wahrer Frömmigkeit, lebendigem Glauben und heißer Liebe unterscheidet
und uns nichts von unserer Pflicht und Dienstbarkeit, die in unseren Händen
liegen, versäumen läßt. Zwar können wir ihm keine Dienste
leisten, denn er entbehrt nichts, aber in unserer Sprache heißt es Dienst,
wenn wir seinen mutmaßlichen Willen zu erfüllen
suchen, indem wir, soweit wir es können, an dem uns bekannten Guten
mitwirken. Denn wir sollen stets annehmen, dorthin richte sich sein Streben,
bis wir aus der Tat ersehen, daß er stärkere, obzwar vielleicht uns
unbekannte Gründe hatte, dieses Gut, das wir uns zum Ziel setzen,
zugunsten eines anderen weit größeren Gutes hintanzusetzen, eines
Gutes, das er sich selbst vorgesetzt hat, und nichts unterlassen hat oder unterlassen
wird, um es zu realisieren.
59. Ich habe soeben gezeigt, wie
die Willenshandlung von diesen Ursachen
abhängt, daß nichts der menschlichen Natur so sehr entspricht, wie
diese Abhängigkeit unserer Handlungen, und daß man sonst einer
absurden und unerträglichen sklavischen Notwendigkeit, d. h. dem
Fatum Mahometanum verfiele: und dies ist
das schlimmste von allem, da es Voraussicht und Überlegung
zuschanden macht. Indessen wäre es gut, nun auch zu zeigen, wie diese Abhängigkeit
der Handlungen es nicht hindert, daß in allem eine uns wunderbar erscheinende
Spontaneität steckt, die gewissermaßen die Seele in ihren Entschlüssen
von dem physischen Einfluß aller anderen Geschöpfe unabhängig
macht. Diese bis jetzt wenig bekannte Spontaneität,
die unsere Herrschaft über unsere Handlungen
soweit wie möglich ausdehnt, ist eine Folge des Systems der praestabilierten
Harmonie, auf das ich jetzt etwas näher eingehen muß. Die
Schulphilosophen glaubten. es bestände ein wechselseitiger
physischer Einfluß zwischen Körper und Seele, aber seit man
erkannte, daß das Denken und die Materie nichts miteinander gemeinsam
haben, sondern daß es toto genere verschiedene Schöpfungen sind,
sahen mehrere Moderne ein, daß es keine physische Verbindung zwischen
der Seele und dem Körper gäbe, obgleich die metaphysische Verbindung
ständig vorhanden ist und es bewirkt, daß Seele und Körper ein
Substrat bilden, das man eine Person nennt. Gäbe
es nämlich eine solche physische Verbindung, dann könnte die Seele
die Geschwindigkeit und Richtung irgendwelcher Bewegungen in dem Körper
und der Körper umgekehrt die Gedankenfolge in der Seele ändern. Man
kann jedoch diese Wirkung aus keiner Vorstellung herleiten, die man im Körperlichen
oder Seelischen antrifft obwohl wir nichts genauer kennen als die Seele, da
sie uns, d. h. sich selbst innig vertraut ist.
Aus:
Gottfried Wilhelm Leibniz, Die Theodizee, Übersetzung von Artur Buchenau,
Philosophische Bibliothek Band 71, Verlag von Felix Meiner Verlag
Notwendigkeit und Kompensation gewisser natürlicher Übel
Aus: Bemerkungen über
das vor kurzem in England veröffentlichte Buch über den Ursprung des
Übels
Nun war es zur Erhaltung der dem Verderben ausgesetzten
Lebewesen nötig, daß sie Zeichen besaßen, aus denen sie eine
gegenwärtige Gefahr zu erkennen vermochten
und die ihnen die Neigung gaben, sie zu fliehen. Aus diesem
Grunde muß dasjenige, was eine große Verletzung beizubringen droht,
vorher Schmerz verursachen der das Lebewesen zu Anstrengungen
zwingen kann, welche imstande sind, die Ursache jener Unbequemlichkeit zu beseitigen
oder ihr zu entgehen und einem größeren Übel zuvorzukommen.
Die Furcht vor dem Tode dient auch dazu, ihn zu vermeiden: denn wäre er
nicht so häßlich und wäre die Auflösung des Zusammenhangs
nicht so schmerzhaft, dann würden sich die Lebewesen sehr oft nicht um
ihren Untergang bekümmern oder die Teile ihres Körpers zugrunde gehen
lassen -und die kräftigsten unter ihnen würden kaum einen ganzen Tag
lang bestehen.
Auch Hunger und Durst gab Gott den Lebewesen, um
sie zu zwingen, sich zu ernähren und für
ihren Unterhalt zu sorgen, indem sie den Verbrauch und das unmerklich Dahinschwindende
ersetzen. Diese Triebe dienen auch dazu, sie zur Arbeit zu nötigen, um
eine ihrer Beschaffenheit entsprechende, ihnen Kraft verleihende Nahrung zu
erwerben. Der Urheber der Dinge hat es sogar für nötig befunden, daß
häufig das eine Tier zur Nahrung des anderen dient,
wodurch es kaum unglücklicher wird, da ein durch Krankheiten hervorgerufener
Tod ebenso, ja noch schmerzhafter zu sein pflegt als ein gewaltsamer;
und die Tiere, welche zur Beute für andere bestimmt sind, haben keinerlei
Voraussicht, machen sich über die Zukunft keine Sorge und leben, wenn sie
außer Gefahr sind, nicht weniger ruhig. Genau so verhält es sich
mit Überschwemmungen, Erdbeben, Blitzschlägen und anderen Unordnungen,
welche die vernunftlosen Tiere nicht fürchten und welche die Menschen für
gewöhnlich nicht zu fürchten brauchen, da sie wenig darunter zu leiden
haben.
Durch tausend gewöhnliche und beständige Bequemlichkeiten
hat der Urheber der Natur diese und andere nur selten eintreffende Übel
kompensiert. Hunger und Durst erhöhen das
Wohlgefallen, das man bei der Nahrungsaufnahme verspürt. Mäßige
Arbeit ist eine angenehme Kraftübung des Tieres, und der Schlaf ist auf
eine gerade entgegengesetzte Art angenehm, indem er die Kräfte durch Ruhe
wiederherstellt. Eine der stärksten Annehmlichkeiten
aber ist der Fortpflanzungstrieb der Tiere. Indessen
Gott Sorge für die Unsterblichkeit der Arten getragen
hat, da die Individuen hinieden es nicht sind, war es auch seine Absicht, den
Tieren eine große Zärtlichkeit für ihre Jungen einzupflanzen,
die bis zur Aufopferung für deren Erhaltung geht. Aus Schmerz und Wollust
entstehen Furcht, Begierde und die anderen Leidenschaften, die für gewöhnlich
nützlich sind, wenn sie auch mitunter durch Zufall böse auslaufen:
das nämliche gilt von den Giften, den ansteckenden Krankheiten und anderen
Schädlichkeiten, d. h. es sind dies unaufhebbare
Folgen eines guten Systems. Was Unwissenheit und Irrtum anbelangt, so
muß man in Betracht ziehen, daß die vollkommensten Kreaturen ohne
Zweifel vieles nicht wissen, und daß die Kenntnis den Bedürfnissen
zu entsprechen pflegen. Doch ist es notwendig, daß man unvorhergesehenen
Zufällen unterworfen ist, und diese Unfälle lassen sich nicht vermeiden.
Häufig kann man nicht umhin, sich in seinem Urteile zu täuschen, weil
man es keineswegs immer bis zu einer gründlichen Erörterung aufschieben
darf. Diese Unzuträglichkeiten sind von dem System der Dinge untrennbar:
da sich diese Dinge sehr häufig in bestimmten Verhältnissen ähneln
müssen, so kann man sie miteinander verwechseln. Allein die unvermeidlichen
Irrtümer sind nicht an der Tagesordnung und nicht am gefährlichsten.
Diejenigen, die uns weit mehr Übel verursachen, pflegen
aus unseren Fehlern zu folgen; und darum täte man Unrecht, wenn
man sich auf Grund der natürlichen Übel das Leben nähme, sieht
man doch, daß diejenigen, welche es taten, für gewöhnlich durch
selbst gewollte Übel dazu getrieben worden sind.
Aus alledem ergibt sich, daß diese ganzen Übel,
von denen wir soeben sprachen, zufälligerweise aus guten
Ursachen entspringen, und aus allem, was wir kennen, dürfen wir
über das uns Unbekannte urteilen, daß man sie nicht ausmerzen konnte,
ohne zu viel größeren Nachteilen zu gelangen. S.451ff.
Aus: Gottfried
Wilhelm Leibniz, Die Theodizee, Übersetzung von Artur Buchenau, Philosophische
Bibliothek Band 71, Verlag von Felix Meiner Verlag
Gedanken
über die Unendlichkeit
Infinité L‘infini actuel dans les choses materielles tant en augmentant qu‘en diminuant, c‘est à dire la division actuelle de chaque partie de la matiere l‘infini, et en même temps l‘infinité de l‘etendue de la Matiere, a esté soutenue par M. Pascal, et il est visible que ceux qui ont recueilli ses Pensées, aussi bien que les Evesques et docteurs qui les ont approuvées, y ont donné les mains. Voilà un des passages qui le fait connoistre: c‘est au nombre 22 intitulé Connoissance generale de l‘homme: »La premiere chose qui s‘offre à l‘homme quand il se regarde, c‘est son corps ... jusqu‘aux abismes»‘ Jusqu‘icy M.
Pascal. |
Unendlichkeit Das gegenwärtige Unendliche in den körperlichen Dingen ist - wie Ms. Pascal behauptet - sozusagen die ins Unendliche fortgesetzte Teilung eines jeden Materieteils (Verkleinerung ins Unendliche), und zur selben Zeit aber auch die Ausdehnung der Materie in die Unendlichkeit (Vergrößerung ins Unendliche). Es ist einsichtig, dass diejenigen, die seine »Gedanken« gesammelt haben, ebenso wie die Bischöfe und Doktoren, die sie für richtig befunden haben, ihm darin beipflichten. Eine der Stellen, die dies erkennen lässt, ist Nr. 22 »Allgemeine Erkenntnis des Menschen«: »Die erste Sache, die sich dem Menschen darbietet, wenn er sich selbst betrachtet, ist sein Körper … bis in die Tiefen.« Soweit M. Pascal |
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