Nikolaus Lenau, eigtl. Franz Niembsch, Edler von Strehlenau (1802 - 1850)

  Deutschsprachiger Dichter, der in Ungarn geboren und aufgewachsen ist und nach einem wechselhaftem Leben in Österreich nach achtjährigem Zwangsaufenthalt im Irrenhaus starb. Lenau neigte von Natur aus zu einer pessimistischen Lebenseinstellung, was dazu führte, dass sich in seiner Lyrik vor allem Motive wie Einsamkeit, Schwermut, Weltschmerz und Vergänglichkeit des Lebens widerspiegeln. Zur Zeit der Abfassung seines »Savonarola« stand Lenau in einem regen Gedankenaustausch mit dem dänischen Theologen Bischof Martensen, der von Lenau sagte, dass »ein Gespräch mit ihm ein wahres Vernunftbad ist«.

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Inhaltsverzeichnis

Savonarola
Weihnachtspredigt
Der Herr der Welt in Menschenhülle

Wenn Christus nicht gekommen wäre
Das Gebet
Die zwei Rosse der Seele
Der lebensreiche Glaubensbaum
Lenau über Savonarola
 

Faust
Wunsch nach Erkenntnis des schöpferischen Urgeistes
Gottesferne, Trüber Schein? , Unselige Verkettung

Gedichte
Vergänglichkeit (aus »Die Zweifler«)
Veränderte Welt
Einsamkeit

 

Savonarola
Weihnachtspredigt
Was hat den Balsam deiner Wunde,
Und deinem Schmerze Ruh gebracht?
Es ist die süße Friedenskunde
Aus einer längstvergangnen Nacht.

O Nacht des Mitleids und der Güte,
Die auf Judäa niedersank,
Als einst der Menschheit sieche Blüte
Den frischen Tau des Himmels trank!

O Weihnacht! Weihnacht! höchste Feier!
Wir fassen ihre Wonne nicht,
Sie hüllt in ihre heil'gen Schleier
Das seligste Geheimnis dicht.

Denn zöge jene Nacht die Decken
Vom Abgrund uns der Liebe auf,
Wir stürben vor entzücktem Schrecken,
Eh wir vollbracht den Erdenlauf. -

Der Menschheit schmachtendes Begehren
Nach Gott; die Sehnsucht tief und bang,
Die sich ergoß in heißen Zähren,
Die als Gebet zum Himmel rang;

Die Sehnsucht, die zum Himmel lauschte
Nach dem Erlöser je und je;
Die aus Prophetenherzen rauschte
In das verlassne Erdenweh;

Die Sehnsucht, die so lange Tage
Nach Gotte hier auf Erden ging,
Als Träne, Lied, Gebet, und Klage:
Sie ward Maria - und empfing.

Das Paradies war uns verloren,
Uns blieb die Sünde und das Grab;
Da hat die Jungfrau Ihn geboren,
Der das verlorne wiedergab;

Der nur geliebt und nie gesündet,
Versöhnung unsrer Schuld erwarb,
Erloschne Sonnen angezündet,
Als er für uns am Kreuze starb.

Der Hohepriester ist gekommen,
Der lächelnd weiht sein eignes Blut;
Es ist uns der Prophet gekommen;
Der König mit dem Dornenhut. -

Kennt ihr den Strauch im Waldesgrunde?
Kein Blümlein blüht in seiner Näh,
Kein Vogel singt in seiner Runde,
Den Wandrer faßt ein dunkles Weh!?

Wohl stürbe gern in seinem Grame
Der Strauch der jene Dornen trug;
Doch muß in alle Welt sein Same
Fortwandern mit dem Windesflug.

Nach seines Fluches altem Brauche
Geht Ahasver noch auf und ab,
Und bricht sich von dem Dornenstrauche
Alljährlich seinen Wanderstab.

Der Strauch - das ist das Finsterkalte
In der Natur, das nur versehrt;
Und Ahasver - das ist der alte
Unglaube, der stets irrefährt. - -

Naturvergöttrer! ihr Geäfften
Des Wahnes, wollt in Sumpf und Riet
Den Irrwisch an den Leuchter heften;
Er leuchtet nur, indem er flieht!

Allgöttler! eures Gottes Glieder
Streift hier vom Baum der Wintersturm;
Dort schießt den Gott ein Jäger nieder;
Hier nagt er selber sich als Wurm.
Aus: Lenaus Werke. 2. Band Herausgegeben von Ernst Lemke. Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig (S. 156-157)

Der Herr der Welt in Menschenhülle
Die Menschheit hat nach Gottes Lichte
Gesehnt sich längst und ehedem;
Doch ist die heilige Geschichte
Entsprungen erst in Bethlehem.

Du nennest Christum eine Quelle,
Die stets zur Menschheit niederfloß,
Und die sich nur an jener Stelle
Mit lauterem Geräusch ergoß?

Der alte Quell war nur ein Sehnen,
Der Menschheit ahnungsvoller Gram,
Ein heißer Strom einsamer Thränen,
Bis endlich der Ersehnte kam.

Dir sind zu eng des Glaubens Schranken,
Dein Christus ist, greif' ich dich recht,
Die Summe göttlicher Gedanken
Im ganzen menschlichen Geschlecht.

Der Herr der Welt in Menschenhülle,
Die Macht des Schöpfers und sein Licht,
Der Gottheit ganze Liebesfülle
Ist dein zerfahrner Christus nicht.

Ich kenne dich und die Genossen,
Ihr zweifelt, deutelt dort und hie,
Ihr habt die Schrift des Herrn verstoßen
Und meint: ein Gottmensch lebte nie.

Ihr möchtet lieber Gott uns schildern,
Wie er die Welt uns ausgeheckt
Nach seinen schönen Musterbildern,
Ein feingeschmackter Architekt.

Und was von göttlichen Ideen
Ein feinbegabter Menschengeist
Auf Menschenweise mag verstehen,
Das wäre, was man Christus heißt. -

Einst werden sagen spätre Toren:
»Wenn sein Bewußtsein Gott gewinnt,
- Das er im Schöpfungsrausch verloren, -
Sich auf sich selbst zurückbesinnt,

Wenn die Idee sich findet wieder:
Das ist der Mensch, soweit er denkt,
Und Gott zugleich, der in die Glieder
Des Menschen sich lebendig senkt.«

Die Menschenhülle Gott umschlingend
Als trauten Gast aus Himmelshöh'n:
Hier ist Idee, so wahr und dringend,
So voll, so tief, so selig schön!

Sie wäre durch die Welt als Schemen
Geirrt? ihr fehlte die Gewalt,
In der Geschichte Raum zu nehmen
Als die lebendigste Gestalt?

Die Hohe sollte sich begnügen,
Nur hinzukümmern trüb und hohl,
In Wahngebilden, Schattenlügen,
Als Märchen, Mythe, und Symbol? -

Nein! nein! Wem je der Menschheit Klagen
Bis auf den Grund das Herz durchbebt,
Kann den Gedanken nicht ertragen,
Der allen Trost ihm untergräbt.

Ist Christus Traum, dann ist das Leben
Ein Gang durch Wüsten in der Nacht,
Wo niemand, Antwort uns zu geben,
Als eine Horde Bestien wacht.

Aus: Lenaus Werke. 2. Band Herausgegeben von Ernst Lemke. Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig (S. 172-173)

Wenn Christus nicht gekommen wäre
Die feindlichen Naturgewalten
Umdroh'n den Wandrer ohne Bahn,
Aus tausend dunklen Hinterhalten
Lieblos und rastlos springend an.

Und wenn er mit geschärften Sinnen
Der Feinde manchen auch bezwang,
Kann er den andern nicht entrinnen
Auf seinem heimathlosen Gang.

An ehernen Gesetzen schleifen
Ringsum die Schmerzen ihr Gebiß;
Der Krieg, der Hunger heulend schweifen,
Die Pest durchtappt die Finsterniß.

Haß, Undank, und gebrochne Treue,
Das Liebste auf der Todtenbahr,
Im öden Herzen Schuld und Reue,
Der Freuden Asche graues Haar,

So zieht in untröstbarer Trauer
Der Wandrer, bis er todesmatt;
Der Glaube an der Seele Dauer
Entfiel ihm wie ein welkes Blatt.

Geh hin, du Armer! frag nach Troste
Bei Kunst und Weisheit überall,
Trink Wein, geh in den Wald und koste
Die Rose und die Nachtigall:

Sie haben nichts für deine Klagen,
Kein Strahl versöhnt die schwarze Kluft,
Sie haben nichts für dein Verzagen,
Und schaudernd sinkst du in die Gruft!

Das ist das Leben und Verscheiden,
Wenn Christus nicht auf Erden kam
Und auf dem Kreuze Schreck und Leiden
Dem Leben und dem Tode nahm.

Gott will uns über alle Leichen
Und alle Schrecken der Natur
Die Vaterhand herüberreichen,
Doch reicht er sie dem Christen nur.

In dieses Lebens Kampfgewühlen
Bis an des Friedens Morgenrot
Ist Schmerz noch unser tiefstes Fühlen,
Der innerste Gedanke - Tod.

Drum ließ in Schmerz und Tod die Armen
Der treue Gott uns nicht allein,
Am Kreuz voll Liebe und Erbarmen
Ging Gott in unsre Weise ein.

Gelöst sind nun die bangen Fragen,
Nun ist dem Herzen Alles kund:
Der Liebe Blütenwelt zu tragen
Sind Schmerz und Tod der dunkle Grund.

Und unerschüttert steht das Hoffen,
Das Auge sieht vom Grabesrand
Den heimathlichen Himmel offen,
In welchen Christus auferstand.

Das Alles aber ist verloren,
Wenn's nicht in euch lebendig lebt,
Wenn nicht die Kirche neugeboren
Von ihrem Pfuhle sich erhebt.
Aus: Lenaus Werke. 2. Band Herausgegeben von Ernst Lemke. Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig (S. 173-175)

Das Gebet
Wie schnell auch die Gedanken rennen,
Kein Forschen und kein Grübeln frommt,
Der Geist kann nur den Geist erkennen,
Wenn ihm der Geist entgegenkommt.

Drum lüfte euer Geist die Flügel,
Und reißet eure Herzen auf
Und nehmet über alle Hügel
Der Sehnsucht nimmermüden Lauf!

Und spähet, lauschet, harret, trauert,
Bis euch Sein heil'ger Hauch durchweht,
Bis Seine Wonne euch durchschauert;
Erkenntnis Gottes ist - Gebet.

Gebet ist Balsam, Trost und Friede,
In Gott ein froher Untergang,
Es ist mit Gottes ew'gem Liede
Tiefinnerster Zusammenklang;

Gebet ist Freiheit, die der Schranke
Der Erdennacht die Seel' entreißt,
Dann steht kein Wort und kein Gedanke
Mehr zwischen ihr und Gottes Geist.

Geheimnisvoll und doch so helle,
Ist es der Seele wunderbar
Ein süßes Schlummern an der Quelle
Und doch ein Wachen seligklar.

O lernet glauben, lernet beten!
Denn bald und schnell kommt Gottes Schwert;
Die Wolken selbst sind die Propheten
Des Blitzes, der herunterfährt.
Aus: Lenaus Werke. 2. Band Herausgegeben von Ernst Lemke. Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig (S. 175-176)

Die zwei Rosse der Seele
Es gilt, den Himmel zu gewinnen,
Die Seele hastet was sie kann
Auf nach des Berges steilen Zinnen
Mit dem gefiederten Gespann.

Der Seelen jede hat zwei Rosse,
Das eine bös, das andre rein;
Sie selbst als Führer und Genosse
Damit verwachsen überein.

Doch göttlich sind der Götter Pferde,
Erklimmen leicht den Himmelshang
Mit schöner, strahlender Gebärde,
Melodisch rauscht ihr Flügelklang.

Leicht schwingt sich über jede Klippe
Ein göttlich Roß, denn es gedenkt:
Dort fällt Ambrosia in die Krippe,
Mit Nektar werd' ich dort getränkt.

Den Himmel rings im weiten Kreise
Umschwingt der Götter hohe Bahn,
Wo sie das Gute, Schöne, Weise
Im Urblick finden aufgetan.

Der Andern Rosse sind im Kampfe;
Das edle strebt zur Höh' empor,
Das böse wiehert mit Gestampfe
Und zieht hinab zu Sumpf und Moor. ...

Den besten Seelen mag's gelingen,
Wenn's edle Lichtroß überwand,
Nach mancher Not hinaufzudringen
Nah zu des Gipfels steilem Rand.
Aus: Lenaus Werke. 2. Band Herausgegeben von Ernst Lemke. Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig (S. 179f)

Der lebensreiche Glaubensbaum
»Prälaten sind allein mit nichten
Die Kirche, und auch nicht zumeist;
Sie soll aus Allen sich errichten,
Bei welchen Glaub' und heil'ger Geist.

Christus, der auf dem Kreuz verschieden,
Ist unser Mittler, Er allein;
Der Klerus soll zum Gottesfrieden
Ein Führer nur, nicht Mittler sein!

Das Evangelium ist das Leben;
Das nur kann gültigen Entscheid
Und Richterspruch im Kampfe geben,
Ob ihr die Kirche Christi seid.

Das ist die Wurzel, ewig bleibend,
Unschütterlich, und ohne Rast
Den Saft des Lebens weiter treibend
Als Tradition von Ast zu Ast.

Der Eiche grünes Leben sprießet
Aus ihrer Wurzel nicht allein,
Sie dorrt, wenn nicht vom Himmel fließet
Der Gnade Tau und Sonnenschein;

Doch was der Wurzel nicht entsprossen,
Ist falsch, wenn's auch sich heilig nennt;
Wem Nebel nicht das Aug umflossen,
Die Mistel von der Eiche trennt.

Der Glaubensbaum, der lebensreiche,
Ist uns gepflanzt von Gottes Sohn;
Die Mistel, wuchernd an der Eiche,
Das ist die falsche Tradition.

Im Eichenlaub als Vöglein singen
Die Seelen, fröhlich und daheim;
Die Mistelbeeren aber bringen
Dem Teufel seinen Vogelleim.
Aus: Lenaus Werke. 2. Band Herausgegeben von Ernst Lemke. Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig (S. 230-231)

Lenau über Savonarola
Die in meinem Savonarola ausgesprochene Weltansicht hat mich noch nicht genug gehoben, gestählt und beruhigt gegen alle feindlichen Anfälle des geistig und sittlich verwilderten Lebens, ich fühle mich manchmal unglücklich und in Stunden düsteren Affekts ist mir die Sache Gottes selbst als eine unsichere, ja fast als ein res derelicta erschienen, quae patet diabolo occupanti (eine herrenlose Sache, die daliegt für den Teufel, sie in Besitz zu nehmen). Wohl fühle ich das Ungeziemende solcher Gedanken, doch meine allzu lebhafte Sensibilität lässt aus ihrem kochenden Kessel zuweilen dergleichen Dämpfe nach meinem Kopf steigen, und es mag oft eine Weile dauern, bis ein frischer Luftzug vom heiligen Gebirge her mir die Nebelkappe zerweht. (Aus einem Brief an Martensen am 24.04. 1838).

Auch habe ich den Savonarol nicht geschrieben, um eine antihegelsche Christologie in Jamben zu geben. Wenn ich mir ingenium zutrauen darf, so war der Ausfall des prophetischen Savonarola gegen die Hegelschule nichts weiter als ein puritus ingenii (Jucken des Geistes).
(Aus einem Brief an Hermann Markgraf) S. 362f.
Aus: Die grössten Geister über die höchsten Fragen. Aussprüche und Charakterzüge erster (nicht-theologischer) Autoritäten des 19. Jahrhunderts. Zusammengestellt von Dr. H. Engel.
Verlag von Carl Hirsch. Konstanz

Faust
Wunsch nach Erkenntnis des schöpferischen Urgeistes
Faust
»So sprich, so sprich, verfluchte Säuselbrut!
Sag an: was ist der Tod? was ist das Leben?
Ich find es nicht; mein Geist will Antwort geben,
Doch sie ersauft sogleich in meinem Blut.
Ihr Bäume haftet an der Mutter Brust,
Woraus hervorquillt der Geheimniswust,
Ihr lauschet mit den Wurzeln in den Grund,
Doch gebt ihr nichts aus seiner Tiefe kund.
Steht ihr im Blätterschmuck, ist euer Rauschen
Ein dummbehaglich Durcheinanderplappern;
Zu Winterszeit vernimmt mein gierig Lauschen
Von euren Ästen nur sinnloses Klappern.
Ihr kommt, den Wachstum in die Luft zu strecken,
Mit eurem stillen Glück mein Herz zu necken;
In Ast und Krone, Rindenriß und Knorren,
In eurem Blühen, Rauschen und Verdorren,
In Weisen mannigfalt, je nach den Zeiten,
Den alten Rätselkram mir auszubreiten.
Schweigsam verstockt ist alle Kreatur,
Sie weiset und verschlingt der Wahrheit Spur;
Den holden Flüchtling selbst, den rätselhaften,
Der leise nur berührt die Erd' im Fluge,
Ihn können auch die Steine nicht verhaften
In dauernd starrender Kristallenfuge;
Und bei dem Tier ein Narr um Kunde wirbt,
Das frißt und sprießt, das zeugt und säugt, und stirbt.
Ich kann mich nicht vom heißen Wunsche trennen,
Den schöpferischen Urgeist zu erkennen,
Mein innerst Wesen ist darauf gestellt,
In meiner ewigen Wurzel mich zu fassen;
Doch ist's versagt und Sehnsucht wird zum Hassen,
Daß mich die Endlichkeit gefangenhält.
Furchtbarer Zwiespalt ist's und tödlich bitter,
Wenn innen tobt von Fragen ein Gewitter,
Und außen antwortlose Totenstille,
Und ein verweigernd ewig starrer Wille.«


Ist diese Welt dadurch entstanden,
Daß Gott sich selber kam abhanden?
Ist Göttliches von Gotte abgefallen,
Um wieder gottwärts heimzuwallen?
Ist aus urdunklen Ahnungstiefen,
Worin die Gotteskeime schliefen,
Das Göttliche zuerst erwacht,
Und stieg es auf zur Geistesmacht?
So daß Natur in Haß und Lieben
Als ihre Blüte Gott getrieben? -
An dieser Frage hängt die Welt,
Doch hab ich immer sie umsonst gestellt.
Ja! ob die Welt mit ihrem Lauf
Zu nennen ein Hinab? Hinauf?
Ist wohl der ernsten Frage wert;
Wie aber wenn es ein Hinaus?
Des vollen Gottes Ausstrom, Überbraus,
Der nie zurück zu seinem Quelle kehrt?
Ob alles Leben ein Verschwenden
Des unerschöpflich Reichen ist,
Das nie mehr wird von ihm vermißt,
Und bald wie ein vergeßnes Spiel muß enden?

Aus: Lenaus Werke. 2. Band Herausgegeben von Ernst Lemke. Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig (S. 38-39, 41)


Gottesferne

Faust
Ich habe Gottes mich entschlagen
Und der Natur, in stolzem Hassen,
Mich in mir selbst wollt' ich zusammenfassen;
O Wahn! ich kann es nicht ertragen.
Mein Ich, das hohle, finstre, karge,
Umschauert mich gleich einem Sarge.
Im Starrkrampf wilder Eigensucht
Warf mich der Teufel in die Schlucht.
Lebendig in den Grabesfinsternissen,
Hab ich, erwacht, die Augen aufgerissen,
Und ich begann mit unermeßnen Klagen
Mich selber anzunagen.
Ich habe nun gesprengt die dumpfe Haft,
Mit doppelt heißer Leidenschaft
Streck ich die Arme wieder aus
Nach Gott und Welt aus meinem Totenhaus.
Nach Gott? - doch nein! - der Kummer ist es nur:
Könnt' ich vergessen, daß ich Kreatur!
Ein unersättliches Verlangen
Ist meinem Innern aufgegangen;
Erst war's ein glühendes Entbrennen,
Die Welt zu fassen im Erkennen;
Nun würde mir, geschöpft in vollsten Zügen,
Erkenntnis nimmermehr genügen.
Wenn ich die Welt auch denken lerne,
So bleibt sie fremd doch meinem Kerne,
In Einzelwesen kalt zertrümmert,

Wo keines sich des andern kümmert.

O welche Qual in dem Gedanken:
Daß die Geschaffnen, Schlingepflanzen,
Den Urstamm ihres Gotts umtanzen,
Von ihm getragen aufwärts ranken!
Betracht ich's scharfen Angesichts,
Ist solch ein Los im Grunde nichts.
Das Schlinggewächs ist Gaukelschein,
Bestand und Kraft der Stamm allein.
Woher ist mir der Stolz gekommen?
Geschöpfen kann nur Demut frommen;
Doch ist mir Stolz ins Mark gefressen.
Abhängigkeit, den Sklavenring,
Der diesseits ehern mich umfing,
Soll ich ihn jenseits nicht vergessen?
Mit ihm all die Entwicklungstreppen
Der Ewigkeit hinan mich schleppen?
Ha! lieber soll mein stolzer Geist,
Der Gott zu sein mich wünschen heißt,
Mit meinem Leib zugleich versiechen,
Und sich als Grabgewürm verkriechen,
Und, dringt er je aus meiner Gruft,
Als fauler Dunst verfahren in die Luft. -
Aus: Lenaus Werke. 2. Band Herausgegeben von Ernst Lemke. Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig (S. 134-135, 136-137)

Trüber Schein?
Faust
Doch - ist das alles nicht ein trüber Schein?
Und daß ich abgeschnitten und allein?
So ist's! Ich bin mit Gott festinniglich
Verbunden und seit immerdar,
Mit ihm derselbe ganz und gar,
Und Faust ist nicht mein wahres Ich.
Der Faust, der sich mit Forschen trieb,
Und der dem Teufel sich verschrieb,
Und sein und alles Menschenleben,
Des Guten und des Bösen Übung,
Der Teufel selbst, dem jener sich ergeben,
Ist nur des Gottbewußtseins Trübung,
Ein Traum von Gott, ein wirrer Traum,
Des tiefen Meers vergänglich bunter Schaum.
Und zeugt der Mensch, wie Faust, ein Kind,
Ein Traum dem andern sich entspinnt;
In jedem Kind, in jedem Morgenrot
Sich Gottes Phantasie erfrischt.
Und schlägt ein Mensch, wie Faust, den andern tot,
Ein Traum den andern nur verwischt.
Ergreift den Menschensohn mit Macht
Des Forschens Trieb und Ungeduld,
Daß er bei Tag und später Nacht
Um einen Blick der Wahrheit buhlt,
So ist's vielleicht, daß Gott im Traume spürt,
Er träume nur, und daß Erwachensdrang
Im Morgenschlaf an seinem Traume rührt?
Und schlummert er vielleicht nun nimmer lang?
Du böser Geist, heran! ich spotte dein!
Du Lügengeist! ich lache unserm Bunde,
Den nur der Schein geschlossen mit dem Schein,
Hörst du? wir sind getrennt von dieser Stunde!
Zu schwarz und bang, als daß ich wesenhaft,
Bin ich ein Traum, entflatternd deiner Haft!
Ich bin ein Traum mit Lust und Schuld und Schmerz,
Und träume mir das Messer in das Herz!

Er ersticht sich
Aus: Lenaus Werke. 2. Band Herausgegeben von Ernst Lemke. Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig (S. 137-138)

Unselige Verkettung
Mephistoles
Nicht Du und Ich und unsere Verkettung,
Nur deine Flucht ist Traum und deine Rettung!
Des wirst du bald und schrecklich dich besinnen,
Laß nur des Herzens Wellen erst verrinnen.
Ist erst der Strom des Blutes abgeflossen,
Der brausend das Geheimnis übergossen,
Kannst du hinunterschauen auf den Grund,
Dann wird dein Wesen dir und meines kund.
Mich wird man nicht so leichten Kaufes los.
Du töricht Kind, das sich gerettet glaubt,
Weil's nun mit einmal sein geängstet Haupt
Dem Alten meint zu stecken in den Schoß,
Und ihm den Knäul zu schieben in die Brust,
Den's frech geschürzt, zu lösen nicht gewußt.
Er wird nicht Mein und Dein mit dir vermischen,
Das tote Glück dir wieder aufzufrischen.
Du warst von der Versöhnung nie so weit,
Als da du wolltest mit der fieberheißen
Verzweiflungsglut vertilgen allen Streit,
Dich, Welt, und Gott in eins zusammenschweißen.
Da bist du in die Arme mir gesprungen,
Nun hab ich dich und halte dich umschlungen!
Aus: Lenaus Werke. 2. Band Herausgegeben von Ernst Lemke. Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig (S. 138)

Gedichte
Vergänglichkeit (aus »Die Zweifler«)
Vergänglichkeit! wie rauschen deine Wellen
Dahin durchs Lebenslabyrinth so laut!
In deine Wirbel flüchten alle Quellen,
Kein Damm, kein Schutz sich dir entgegenbaut!
Es wächst dein Strom mit jeglicher Minute,
Stets lauter klagt der dumpfe Wellenschlag;
Doch wie die Flut auch unaufhaltsam flute,
Ist mancher doch, der sie nicht hören mag.
Wenn auch die Wellen ihre Ufer fressen
Und du zum Meer hinwucherst, unermessen;
Doch stehn an deinem Ufer frohe Toren,
In ihrem Traum ›Unsterblichkeit‹ verloren.
Am Ufer? – nein! es ist von deinem Bronnen
Tiefinnerst jede Kreatur durchronnen;
Es braust in meines Herzens wildem Takt,
Vergänglichkeit, dein lauter Katarakt!
Wenn ich dem Strome zu entfliehen meine,
Aufblickend zu der Sterne hellem Scheine,
Aufsehnend mich mit zitterndem Verlangen,
Daß rettend meinen Geist sie einst empfangen:
Ich habe mich getäuscht! ich seh erbleichen
Die Sterne selbst und zitternd rückwärts weichen;
Sie hören, wie die Woge braust, sie ahnen,
Daß sie nicht sicher sind auf ihren Bahnen;
Sie schauen, wie es wächst, das grause Meer,
Und fürchten wohl: – mir sagts ihr zitternd Blinken –
Einst wird vom raschen Flug ihr strahlend Heer,
Ein müdes Schwalbenvolk, heruntersinken.
Dann brütet auf dem Ozean die Nacht,
Dann ist des Todes großes Werk vollbracht;
Dann stockt und starrt zu Eis die grause Flut,
Worin der Wunsch des finstern Gottes ruht;
Er wandelt auf der Fläche und ermißt,
Wie alles nun so still, so dunkel ist;
Er lächelt dann voll selbstzufriedner Freude
In seine Welt, in seine Nacht hinein,
Und es erglänzt des Eises stille Heide
Nur noch von seines Lächelns Widerschein! –

Der andre sprach: mir gilt es gleich,
Ob Leben – Tod – im Schattenreich!
Strahlt jenseits auch ein mildes Licht,
So fehlt gewiß der Donner nicht,
Der, was das Licht in Liebe hegt,
Mit seinem Zorne niederschlägt.
Denn glauben kann ich nimmermehr,
Es habe sich das ganze Heer
Von Qualen, die gebar Natur,
Gelagert auf die Erde nur;
Daß sie von dieser Welt nicht wandern
Mit uns hinüber in die andern,
Die doch in unsrer Brust voll Wunden
So traute Herberg stets gefunden. –
Solang dies Herz auf Erden schlug,
Hab ich erlebt genug, genug,
Um ein Vergehen, ein Verschwinden –
Ein Los der Sehnsucht wert zu finden.
Und schlaf ich einst im Grab so tief,
Und tiefer, denn als Kind ich schlief,
So mag der Tod sich immerhin
Davor als Wächter stellen hin:
Er steht am stillen Grabverlies,
Ein Engel vor dem Paradies. –
Doch ist es anders mir beschlossen,
Soll drüben neu mein Leben sprossen:
Werd ich gelassen, ohne Zagen,
Auch meine Ewigkeit ertragen.
S. 16-18
Aus: Nikolaus Lenau, Gedichte. Herausgegeben von Hartmut Steinecke. Reclams Universalbibliothek Nr. 1449
© 1993 Philipp Reclam jun., Stuttgart

Veränderte Welt
Die Menschheit ist dahinter kommen,
Trotz aller Gaukelei der Frommen,
Daß mit dem Leben vor dem Grabe
Man endlich Ernst zu machen habe.

Zerbrochen ist des Wahnes Kette,
Die Erde sei nur Übungsstätte,
Nur Voltigierbock sei das Leben,
Aufs Roß werd uns der Himmel heben.

Auf freiem grünem Erdengrunde
Wird jeder bald schon hier, zur Stunde,
Bevor das Grab ihn deckt mit Schollen,
Sein Rößlein weiden, tummeln wollen.
S. 123f.
Aus: Nikolaus Lenau, Gedichte. Herausgegeben von Hartmut Steinecke. Reclams Universalbibliothek Nr. 1449 . © 1993 Philipp Reclam jun., Stuttgart


Einsamkeit
1.
Hast du schon je dich ganz allein gefunden,
Lieblos und ohne Gott auf einer Heide,
Die Wunden schnöden Mißgeschicks verbunden
Mit stolzer Stille, zornig dumpfem Leide?

War jede frohe Hoffnung dir entschwunden,
Wie einem Jäger an der Bergesscheide
Stirbt das Gebell von den verlornen Hunden,
Wie's Vöglein zieht, daß es den Winter meide?

Warst du auf einer Heide so allein,
So weißt du auch, wie's einen dann bezwingt,
Daß er umarmend stürzt an einen Stein;

Daß er, von seiner Einsamkeit erschreckt,
Entsetzt empor vom starren Felsen springt
Und bang dem Winde nach die Arme streckt.

2.
Der Wind ist fremd, du kannst ihn nicht umfassen,
Der Stein ist tot, du wirst beim kalten, derben
Umsonst um eine Trosteskunde werben,
So fühlst du auch bei Rosen dich verlassen;

Bald siehst du sie, dein ungewahr, erblassen,
Beschäftigt nur mit ihrem eignen Sterben.
Geh weiter: überall grüßt dich Verderben
In der Geschöpfe langen dunklen Gassen;

Siehst hier und dort sie aus den Hütten schauen,
Dann schlagen sie vor dir die Fenster zu,
Die Hütten stürzen, und du fühlst ein Grauen.

Lieblos und ohne Gott! der Weg ist schaurig,
Der Zugwind in den Gassen kalt; und du? -
Die ganze Welt ist zum Verzweifeln traurig. S. 101-102
Aus: Nikolaus Lenau, Gedichte. Herausgegeben von Hartmut Steinecke. Reclams Universalbibliothek Nr. 1449 . © 1993 Philipp Reclam jun., Stuttgart