Giacomo Leopardi (1798 – 1837)

  Italienischer Dichter, der in einer streng katholischen konservativen Familie aufwuchs. Leopardi verließ 1822 trotz seiner Kränklichkeit das Elternhaus und lebte zuerst in Rom, dann in Mailand, Bologna, Florenz und Pisa. Er blieb zumeist auf die Hilfe von Freunden angewiesen. Schwer leidend folgte er 1833 der Einladung seines Freundes Antonio Ranieri nach Neapel und blieb dort bis zu seinem Tod. Leopardi, der als der bedeutendste italienische Dichter seit Petrarca gilt, wurde 1818 mit den patriotischen Gesängen »Sopra un monumento di Dante« und »All’ Italia« bekannt; später erreichen seine Gedichte, die von einer pessimistisch-nihilistischen Grundstimmung geprägt sind, ein hohes Maß von Reinheit und Klarheit der Form. Grundlegend für das Verständnis seiner Dichtung sind die »Pensieri di varia filosofia e di bella letteratura« (bekannt auch unter dem Titel »Zibaldone di pensieri«, 1837—32, deutsch: Gedanken aus dem Zibaldone). Friedrich Nietzsche bezeichnete Leopardi u. a. als »das moderne Ideal eines Philologen«, als »vielleicht der größte Stilist des Jahrhunderts«, und sah ihn neben Prosper Mérimée, Ralph Waldo Emerson und Walter Savage Landor als würdig an »Meister der Prosa« zu heißen.

Siehe auch Wikipedia
 

Liebe und Tod
Wen die Götter lieben,
der stirbt jung.
MENANDER


Als Zwillinge schuf das Schicksal den Gott der Liebe
und die Todesgöttin.
Anderes derart Schönes
besitzen die Sterne nicht, besitzt nicht die Welt.
Der eine schafft das Gute,
die innigste Freude der Herzen
im Meere unseres Daseins. Die andre befreit
von allen bitteren Schmerzen,
von jedem tiefen Leid.
Der bildschönen Göttin gefällt,
ihr, die so liebreich ist,
wie es das feige Volk wohl niemals ermißt,
dem jungen Gotte der Liebe
Gefährtin zu sein auf der Reise.
Gemeinsam schweben sie über dem sterblichen Leben
als stärkster Trost für alle weisen Herzen.
Und nie war ein Herz so weise
wie dann, wenn Liebe es traf und verachtete nie
tapfrer das elende Leben.
Für keinen anderen Herrn
als diesen bestand es Gefahren willig und gern.
Durch deine hilfreiche Macht,
göttliche Liebe, erwacht
oder wächst unser Mut, und nicht das Denken
pflegt dem Menschengeschlecht, sondern mutiges Handeln
wahre Weisheit zu schenken.
Wenn in des Herzens Tiefe
erwachender Liebe Lust
neues Empfinden entfacht,
spürt man zugleich, erschöpft und matt, in der Brust
Sehnsucht nach dem Tode.
Ich weiß nicht, warum, doch das
ist wahrer und starker Liebe erste Wirkung.
Mag sein, daß das Auge dann scheu
die Einsamkeit fürchtet. Mag sein,
der Sterbliche erkennt, daß für ihn nun die Erde
unbewohnbar werde,
wenn, grenzenlos, einzig und neu,
das Glück ihm versagt bliebe, das sein Denken bestimmt.
Er spürt, wie im Herzen wild
Sturm heraufzieht, und wünscht sich sehnlich zu schlafen,
wünscht sich Zuflucht im Hafen
vor jenem Begehren, das schwillt
und tosend alles ringsum in Finsternis hüllt.

Wenn schließlich die Allgewalt
des Gottes vollends das Herz
bezwingt, die flammenden, unbesiegbaren Sorgen,
wie oft ersehnt und erhofft
der bange Liebende dann,
Göttin des Todes, dich und fleht dich an!
Wie oft am Abend, wie oft
würde er auch sich glücklich preisen am Morgen,
wenn er den müden Körper verlassen könnte,
sich nie mehr erhöbe und nicht
wiedererblickte das bittere Tageslicht.
Und häufig bei der Totenglocke Klang,
beim klagenden Grabgesang,
der die Verstorbenen ins ewige Vergessen geleitet,
seufzt er tief und beneidet
im Innersten seines Herzens jenen dort,
jenen, der fortging, um bei den Toten zu wohnen.
Selbst das sorglose Volk,
der Mann vom Lande, dem fremd
alle Tapferkeit ist, die dem Wissen entspringt,
selbst das einfache Mädchen, scheu und gehemmt,
mag es auch schon bei dem Worte
Tod ein Grauen empfinden,
hat den Mut, auf das Grab, auf die Trauerbinden
den Blick zu heften voller Standhaftigkeit,
den Mut, über Eisen und Gift
zu grübeln lange Zeit,
und sein schlichter Sinn
begreift, wie gnädig und freundlich der Tod uns trifft.
So sehr neigt zum Tode hin
das, was die Macht der Liebe uns lehrt. Und wächst
die bittere Qual des Herzens so unsäglich an,
daß Menschenkraft sie nicht mehr ertragen kann,
gibt oft der gebrechliche Körper
dem schrecklichen Drängen nach, und über die Macht
so des Bruders siegt die Göttin der ewigen Nacht.
Oder der Gott der Liebe bestürmt die Brust
so heftig, daß der einfache Bauernbursche,
das zarte Mädchen bewußt
mit gewaltsamer Hand
die jungen Glieder dem dunklen Grabe vermachen.
Darüber lachen auf Erden
die, denen vergönnt ist, in Frieden alt zu werden.

Den Menschen voll Schaffenskraft,
voll Mut, voller Leidenschaft
gewähre das Schicksal die Liebe oder den Tod.
Ihr süßen Gebieter, ihr Freunde
der menschlichen Gemeinde,
eurer Gewalt kommt keine andere gleich
in der unendlichen Weite des Alls, und euch
übertrifft keine, es sei denn des Schicksals Macht.
Und du, schöne Göttin des Todes, die ich als Kind
schon in Ehrfurcht beschwor
und rief und die auf der Welt
als einzige sich auf die irdischen Nöte besinnt,
wenn ich dich jemals pries,
wenn ich jemals den undankbaren Pöbel,
der deine Göttlichkeit schmäht,
in seine Schranken verwies,
säume nicht länger, erhöre
das ungewohnte Gebet!
Befreie vom Tagesschimmer,
Herrin des Lebens, diese traurigen Augen!
Sei sicher, wann immer du um mich, wie ich‘s erflehe,
deine Fittiche breitest, du wirst mich finden
erhobenen Hauptes, gerüstet.
Ich trotze des Schicksals Wut.
Die Hand, die mich grausam geißelt und die sich rötet
mir meinem schuldlosen Blut,
ich werd sie nicht küssen und preisen,
nicht segnen, wie man‘s wohl tut
aus uralter feiger Gewohnheit in Menschenkreisen,
werde die eide Hoffnung weit von mir weisen,
mir der sich die Welt wie die Kinder
zufrieden gibt, und nicht minder
jeden törichten Trost, werde nie etwas andres
als einzig dich ersehnen,
einzig warten auf jenen
heiteren Tag, an deine jungfräuliche Brust
das schläfrige Haupt zu lehnen.

  Amore e Morte
Muor giovane colui
ch‘al cielo è caro.
MENANDRO

Fratelli, a un tempo stesso, Amore e Morte
Ingenero la sorte.
Cose quaggiù si belle
Altre il mondo nun ha, nun han le stelle.
Nasce dall‘uno il bene,
Nasce il piacer maggiore
Che per lo mar dell‘essere si trova;
L‘altra ogni gran dolore,
Ogni gran male annulla.
Bellissima fanciulla,
Dolce a veder, non quale
La si dipinge la codarda gente,
Gode il fanciullo Amore
Accompagnar sovente;
E sorvolano insiem la via mortale,
Primi conforti d‘ogni saggio core.
Nè cor fu mai più saggio
Che percosso d‘amor, nè mai più forte
Sprezzò l‘infausta vita,
Nè per altro signore
Come per questo a perigliar fu pronto:
Ch‘ove tu porgi aita,
Amor, nasce il coraggio,
O il ridesta; e sapiente in opre,
Non in pensiero invan, siccome suole,
Divien l‘umana prole.
Quando novellamente
Nasce nel cor profondo
Un amoroso affetto,
Languido e stanco insiem con esso in petto
Un desiderio di morir si sente:
Come, non so: ma tale
D‘amor vero e possente è il primo effetto.
Forse gli occhi spaura
Allor questo deserto: a se la terra
Forse il mortale inabitabil fatta
Vede omai senza quella
Nova, sola, infinita
Felicità che il suo pensier figura:
Ma per cagion di lei grave procella
Presentendo in suo cor, brama quiete,
Brama raccorsi in porto
Dinanzi al fier disio,
Che già, rugghiando, intorno intorno oscura.

Poi, quando tutto avvolge
La formidabil possa,
E fulmina nel cor l‘invitta cura,
Quante volte implorata
Con desiderio intenso,
Morte, sei tu daIl‘affannoso amante!
Quante la sera, e quante
Abbandonando all‘alba il corpo stanco,
Se beato chiamò s‘indi giammai
Non rilevasse il fianco,
Nè tornasse a veder l‘amara luce!
E spesso al suon delta funebre squilla,
Al canto che conduce
La gente morta al sempiterno obblio,
Con più sospiri ardenti
Dall‘imo petto invidiò colui
Che tra gli spenti ad abitar sen giva.
Fin la negletta plebe,
L‘uom della villa, ignaro
D‘ogni virtù che da saper deriva,
Fin la donzella timidetta e schiva,
Che già di morte al nome
Sentì rizzar le chiome,
Osa alla tomba, alle funeree bende
Fermar lo sguardo di costanza pieno,
Osa ferro e veleno
Meditar lungamente,
E nell‘indotta mente
La gentilezza del morir comprende.
Tanto alla morte inclina
D‘amor la disciplina. Anco sovente,
A tal venuto il gran travaglio interno
Che sostener nol può forza mortale,
O cede il corpo frale
Ai terribili moti, e in questa forma
Pel fraterno poter Morte prevale;
O così sprona Amor là nel profondo,
Che da se stessi il villanello ignaro,
La tenera donzella
Con la man violenta
Pongon le membra giovanili in terra.
Ride ai lor casi il mondo,
A cui pace e vecchiezza il ciel consenta.

Ai fervidi, ai felici,
Agli animosi ingegni
L‘uno o l‘altro di voi conceda il fato.
Dolci signori, amici
All‘umana famiglia;
Al cui poter nessun poter somiglia
Nell‘immenso universo, e non l‘avanza,
Se non quella dcl fato, altra possanza.
E tu, cui già dal cominciar degli anni
Sempre onorata invoco,
Bella Morte, pietosa
Tu sola al mondo dei terreni affanni,
Se celebrata mai
Fosti da me, s‘al tuo divino stato
L‘onte del volgo ingrato
Ricompensar tentai,
Non tardar più, t‘inchina
A disusati preghi,
Chiudi alla luce omai
Questi occhi tristi, o dell‘età reina.
Me certo troverai, qual si sia l‘ora
Che tu le penne al mio pregar dispieghi,
Erta la fronte, armato,
E renitente al fato,
La man che flagellando si colora
Nel mio sangue innocente
Non ricolmar di lode,
Non benedir, com‘usa
Per antica viltà l‘umana gente;
Ogni vana speranza onde consola
Se coi fanciulli il mondo,
Ogni confono stolle
Gittar da mc; null‘altro in alcun tempo
Sperar, se non te sola;
Solo aspettar sereno
Quel dì ch‘io pieghi addormentato il volto
Nel tuo virgineo seno.

Aus: Giacomo Leopardio, Canti e Frammenti, Gesänge und Fragmente, Italienisch/Deutsch Übersetzt von Helmut Endrulat. Herausgegeben von Helmut Endrulat und Gero Alfred Schwab
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