Peter Lippert (1879 – 1936)

Deutscher katholischer Theologe, der 1899 in den Jesuitenorden eintrat, 1909 zum Priester geweiht und durch Vorträge, Veröffentlichung von Artikeln und später auch durch Rundfunkpredigten bekannt wurde. Seine seelsorgerischen Gespräche veröffentlichte er 1924 in dem Buch »Von Seele zu Seele«. Die nachstehende kurze Abhandlung »Die Gemeinschaft der Heiligen« wurde 1932 erstmals publiziert.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon

Die Gemeinschaft der Heiligen

Man kann nie genug den wesentlichen und unüberbrückbaren Unterschied betonen, der zwischen Gemeinschaften und Zweckverbänden ist. Gerade weil wir heute in dem sichtbaren Bereich unserer Kulturwelt von lauter Zweckverbänden umgeben sind, müssen wir uns immer wieder und immer deutlicher bewußt machen, dass die Erfüllung und das Ziel unseres Daseins nicht in Zweckverbänden liegen kann, sondern nur in Gemeinschaften.

Es gibt eine übernatürliche, das heißt von Gottes persönlicher Liebe geschenkte Gemeinschaft: die Kirche. Aber sie wirkt heute in so augenfälliger Weise als Organisation, dass manche, besonders Außenstehende, schon zu glauben beginnen, sie sei überhaupt nichts anderes als etwas Organisiertes, ein Zweckverband, ganz ähnlich unsern staatlichen oder wirtschaftlichen Verbänden. In Wirklichkeit ist die Kirche auch heute noch und für immer eine Gemeinschaft, insofern ihr eine Gemeinschaft zu Grunde liegt, ein heiliger Tempelraum, aus dem sie hervortritt und insofern immer gemeinschaftliches Sein und Leben aus ihr hervorquillt. Beides ist gemeint, wenn wir von der Gemeinschaft der Heiligen sprechen: die Gemeinschaft, aus der die Kirche heraustritt und wirkt, und die Gemeinschaft, die sie selbst wieder ausstrahlt und schafft.

Die Gemeinschaft der Heiligen stellen wir uns oft allzu äußerlich vor: als ob sie nichts anderes wäre, als dass die Heiligen, die schon im Himmel sind, noch gelegentlich an uns denken und für uns Fürbitte einlegen in unsern Anliegen und Nöten. Ja, das tun sie freilich, und das ist bereits eine Äußerung und Betätigung der communio sanctorum, aber doch nicht ihr Wesen, nicht ihre letzte Tiefe und ihr innerstes Geheimnis.

Was ist eigentlich unter Gemeinschaft zu verstehen? Gemeinschaft ist ein in sich selbst schwingendes Zusammensein von zwei oder drei oder vielen Menschen. Wesentlich ist, daß ihre Verbundenheit in sich selbst ruht und schwingt, nicht zu irgendeinem über diese Verbundenheit hinausreichenden Zweck gelenkt und gestreckt wird, wie das im Zweckverband geschieht. In einem solchen verbinden sich mehrere Menschen oder werden verbunden zu einem Zweck, der etwas anderes ist, als das bloße Beisammensein und Verbundensein dieser Menschen, etwa zum organisierten Geldverdienen, wie in einer Aktiengesellschaft, oder zu Arbeitsleistungen, wie in einem Fabrikverband. In einem solchen Verband wird also aus den Menschen und ihrem Beisammensein etwas gemacht, sie werden Mittel zu einem Zweck. Ihr Verbundensein wird nach Art einer Maschine benützt, um einen Effekt hervorzubringen, der mit einem einzigen Menschen allein nicht erreicht werden kann.

In einer Gemeinschaft aber sind die Menschen einfach beisammen. Weder sie selbst noch jemand anders will aus ihrer Verbundenheit irgend etwas machen, will weder Besitz noch Arbeit daraus gewinnen. Die Verbundenheit dieser Menschen ist selbst schon in sich wertvoll und darum ein in sich ruhendes Ziel, braucht nicht als Mittel für etwas anderes zu dienen. Das ist freilich nur möglich, weil und insofern diese Menschen, die eine Gemeinschaft bilden, etwas Persönliches und darum in sich Ruhendes sind. Geistbegabte, also persönliche Wesen, haben, jedes für sich schon, einen in sich abgeschlossenen Wert, der ganz unabhängig ist und besteht von jedem weiteren und besonders von jedem Sachzweck, dem eine solche Persönlichkeit etwa dienstbar gemacht werden könnte.

Da die Gemeinschaft ein Beisammensein von lebendigen und starkbegabten Persönlichkeiten ist, kann sie nicht etwas Untätiges und Totes darstellen, sondern muß mit Bewegung erfüllt sein. Diese Bewegung kann aber nur eine innere, durch die einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft kreisende sein; denn es besteht ja kein außerhalb liegender und genügend wertvoller Zweck, zu dem die Bewegung hinströmen müßte.

Alle Bewegungen in der Gemeinschaft entspringen und münden daher in ihr selbst, verlaufen ausschließlich innerhalb ihres Umkreises, gehen von Person zu Person, von Seele zu Seele. Sie sind also ein Überströmen der einzelnen Persönlichkeit und ein Einströmen in alle Gliedpersonen, sie sind ein gegenseitiges Schenken und Empfangen, ein Austausch von Gütern Diese Güter können, da sie einen ebensolchen abschließenden, in sich ruhenden Wert haben, wie die Personen selbst. auch nur persönlicher, also geistiger und seelischer Art sein, sind folglich im letzten Grunde diese Persönlichkeiten selbst, die sich in der Gemeinschaft einander schenken und voneinander empfangen.

Gemeinschaft ist der lebendige, tätige, schenkende Kreis von Geistwesen.
Ein solch schenkender Strom aber beruht auf Liebe, ist die vollkommene und letzte Äußerung von Liebe. So ergibt sich also auch, daß jede Gemeinschaft auf Liebe beruht und in Liebe besteht. Es gibt nur liebende Gemeinschaften, keine andern. Die Liebe aber ist schließlich nur das Bewußtwerden einer innern, vor allem Bewußtsein schon vorhandenen Verbundenheit.

Die wahrhafte Liebe ist nur dort möglich, wo schon eine Seinsgemeinschaft besteht. Darum ist Gemeinschaft im tiefsten Grunde ein Zusammensein, nicht nur ein Zusammendenken und Zusammenlieben. Dieses Zusammensein kann nicht eine Verschmolzenheit bedeuten, die etwa die Selbständigkeit der Gliedpersonen aufhebt; denn dann wäre eben keine Gemeinschaft mehr vorhanden, sondern es muß eine Einheit begründen, die mit einer Vielheit zusammen bestehen kann, eine Einheit des Seins bei einer Vielheit der Personen. Wir haben also in der Gemeinschaft ein Abbild, das vollkommenste Abbild des dreipersönlichen Gottes, in dem eine völlige Einheit des Seins besteht mit einer Dreiheit der Personen.

Nun können wir ohne weiteres verstehen und beschreiben, inwiefern es eine Gemeinschaft der Heiligen gibt und warum sie die vollkommenste Gemeinschaft ist. die wir kennen. Wenn wir vom erfahrungsmäßig Gegebenen ausgehen und die von der Offenbarung gebotenen Aufschlüsse zu Hilfe nehmen, können wir von den Äußerungen und Betätigungen dieser Gemeinschaft aus vordringen bis zu ihrem innersten Wesen.

Zunächst sind die Heiligen, das heißt, die von Gottes Gnade und Liebe erfüllten Menschen, alle Gotteskinder, ob sie nun auf Erden weilen oder schon in die ewige Vollendung eingegangen sind, miteinander verbunden durch gegenseitiges Schenken und Empfangen, das auch in ihrem Bewußtsein und im Bewußtsein unserer geschichtlichen Beobachtung und Betrachtung sich kundtut, das heißt erfahrbar ist bis zu einem gewissen Grade.

Die Heiligen wirken aufeinander durch ihre gegenseitigen Beispiele, durch ihre guten Worte und Werke des Beistands und der Hilfeleistung.
Sie erwecken absichtlich und noch öfter unabsichtlich in den andern Mitgliedern ihrer Gemeinschaft gute Gedanken, Anregungen, Entschließungen. Sodann treten sie füreinander ein bei Gott, fürbittend und abbittend.

Dieser Strom gegenseitigen Schenkens dient nicht irgendeinem außerhalb der Gemeinschaft liegenden Zweck, sondern nur den Mitgliedern als solchen und der Gemeinschaft als solcher. Er geht hervor aus reinem Wohlwollen für jeden Bruder und jede Schwester, und er mündet in der Hilfe oder Gabe, die man dem Bruder und der Schwester um ihrer selbst willen hat zukommen lassen.

Die Gemeinschaft der Heiligen
will keine politischen, auch keine kirchenpolitischen, keine kulturellen oder gar wirtschaftlichen Zwecke erreichen. Sie will nur jeder Seele, die der Gemeinschaft verbunden oder dazu berufen ist, als solcher dienen, nicht um aus dieser Seele ein brauchbares Werkzeug für irgendeinen Zweck zu machen, sondern um sie selbst zu beschenken, zu bereichern, zu beglücken und zu heiligen. Der Strom von gegenseitigem Tun und Wohltun, der durch die Scharen der Gotteskinder fließt, wird also ausschließlich von Liebe, von schenkender und dienender Liebe in Bewegung gesetzt und mündet auch wieder endgültig und abschließend in Liebe, nämlich in einer erhöhten und verstärkten Verbundenheit der Seelen. Mehr will da niemand erreichen, als diese Verbundenheit zu mehren.

Der bewußtwerdende, also in gewisser Weise sichtbare Strom gegenseitigen Schenkens ist aber nur die Oberflächenschicht des ganzen, wirklich vorhandenen Strömens, das durch alle Mitglieder geht und das in seiner ganzen Tiefe und Kraft unserem irdischen Bewußtsein unzugänglich bleibt. Wir können auf Erden niemals und nicht völlig genau wissen, wieviel wir ununterbrochen von unsern Geschwistern in der göttlichen Liebe empfangen und wieviel wir ihnen geben. Nur durch die Offenbarung wissen wir oder vielmehr hören wir glaubend, daß ein unaufhörlicher Austausch, also ein Gemeinbesitz aller geistigen und göttlichen Lebensgüter stattfindet, die in uns sind: zunächst ein Ausgleich der Mängel in einem überfließenden Genugtun und Wiedergutmachen, mit dem die einzelnen Mitglieder gleichsam füreinander haften, also auch füreinander leiden; sodann ein Ausgleich des Überflusses, indem alles Beten, Schaffen, Leiden, das an irgendeinem Punkte der Gemeinschaft aufquillt, sofort und ohne weiteres abfließt und weiterfließt und als Erhöhung des gemeinsamen Lebensstromes, als Bereicherung des gemeinsamen Blutumlaufes über alle Mitglieder kommt.

Die Kinder Gottes können tatsächlich nicht in Abgeschlossenheit für sich allein wirken; denn alles, was sie in der belebenden Gnade ihres Gottes tun, das strahlt wieder aus, das strömt über sie hinaus, das teilt sich mit und kommt allen andern irgendwie zugute. Jedes Gotteskind, das ein Kreuz trägt, hilft damit allen andern ihre Kreuze tragen oder nimmt ihnen eine übergroße Last ab; jedes Werk der Liebe, das irgendwo verrichtet wird, und wäre es auch nur ein heimliches und einsames Beten, Wünschen und Weinen, senkt sich irgendwo auf einen Punkt der Gottesgemeinde nieder als belebende, erfrischende und erwärmende Kraft.

Wie es in der Natur keine »geschlossenen Systeme« gibt, das heißt keine Anordnung von Energien, die nicht auf ihre Umgebung abfließen, so auch in der Welt der Gnade. Wie niemand eine Kerze anzünden kann, ohne daß Wärme- und Lichtstrahlen in eine, wenn auch noch so kleine Umgebung fließen, so kann und will kein Gotteskind irgendwo beten oder arbeiten oder leiden, ohne daß Strahlen davon ausgehen, und wäre es auch nur auf den allerkleinsten Umkreis.

Diese Art gegenseitiger Einwirkung ist die wichtigste. die es gibt, weil sie ein unmittelbares Überströmen von einer Seele zur andern bedeutet. Unsere sichtbaren und äußerlichen Apparate gegenseitiger Beeinflussung, Worte und Wortzeichen und alle Anordnungen, die wir aus Dingen und Menschen aufbauen, oft in verwickelter Maschinerie, um Gedanken und Entschlüsse auf unsere Mitmenschen zu übertragen, können nur indirekt ihren Zweck erreichen. Sie sind eine vielfache Übersetzung ursprünglicher innerer Bewegungen in maschinelle Hilfsmittel und werden veranstaltet in der Hoffnung, daß diese maschinellen Einrichtungen auch wieder durch ihren Anstoß, mit dem sie an fremde Seelen prallen, die ursprüngliche Bewegung, aus der sie hervorgingen, oder etwas Ähnliches dort auslösen oder erzeugen.

So unwahrscheinlich dieser Versuch zunächst auch aussieht, er ist doch nicht unmöglich, wie die Erfahrung zeigt. Wie wir aus den Schallplatten wieder etwas von der seelischen Haltung heraushören, in der sie besprochen oder besungen worden sind eigentlich ein ganz unglaublicher Vorgang —, so leiten wir seelische Ströme durch gesprochene Worte, durch bedrucktes Papier, durch gesellschaftliche Einrichtungen und Abmachungen hinüber in andere Seelen. Aber die Gemeinschaft der Heiligen ist nicht zunächst und nicht ausschließlich auf solche vielfache und mechanische Übersetzungen angewiesen. Sie besitzt die Möglichkeit, auch unmittelbar die Menschenseelen in Berührung miteinander und zu gegenseitigem Austausch ihrer Inhalte zu bringen, so daß der Besitz und die Errungenschaften der einen Seele ohne weiteres und im gleichen Augenblick zum Anteil einer anderen Seele werden können, so wie in kommunizierenden Röhren jede Niveau-Erhöhung in der einen eine entsprechende Erhöhung in der andern zur Folge hat, ja sogar unmittelbar bedeutet.

Eine derartige Verbundenheit des Wirkens ist selbstverständlich nur möglich auf Grund einer entsprechenden Verbundenheit des Seins. Die Seelen aller Heiligen müssen schon vor dem Bewußtwerden, ja vor dem Wirksamwerden ihrer Verbundenheit in einem gemeinsamen Sein stehen, das freilich ihre persönliche Unterschiedenheit nicht aufheben darf. Welches dieses gemeinsame Sein ist, wird uns nahegelegt von der besonderen Verbindung, in der alle Heiligen mit Christus stehen als ihrem Haupt, so daß man sie als den Leib bezeichnen kann, dem Christus als beseelende Kraft, als lenkendes und führendes Haupt dient.

Diese Verbindung mit Christus ist aber eine gnadenvolle, das heißt, sie wurzelt in der gemeinsamen Kindschaftsgnade, die wir durch Christus und in ihm besitzen und die uns allen ein gemeinsames Leben mitteilt, aus dem wir geboren werden, aus dem wir herausströmen in ein neues, höheres, gottinwendiges Sein. Diese Verbindung mit Christus erklärt und ermöglicht auch die Einflüsse, die von ihm auf alle Glieder seines Leibes übergehen: die stellvertretende Kraft seines Leidens, die belebende Kraft seines Gebetes, die gnadenvolle Macht seiner Sakramente. Weil nun die Verbundenheit aller Heiligen unter sich im letzten Grunde eine Verbundenheit mit Christus ist, darum ist auch ihr gegenseitiges Schenken und Empfangen von gleicher Art wie das Schenken und Empfangen, das zwischen Christus und ihren Seelen ist, Auch in ihrer gegenseitigen Verbindung werden Kräfte wirksam, die sich als Hilfen zur Erlösung, als stellvertretende Sühne, als wirksames Beten und als Gnadenvermittlung äußern.

Die Gemeinschaft der Heiligen ist also wesentlich übernatürlich, das heißt, sie hat ihren Grund und Bestand in dem gnadenvollen persönlichen Verhältnis, in das Gott zu ihren Seelen treten wollte durch die Vermittlung Christi, unseres Erlösers. Die Gemeinschaft der Heiligen gibt es nur um Christi willen und in Christus. Und die Seelen, die an ihm keinen Anteil haben, können auch nicht in die Gemeinschaft der Gotteskinder treten.

Es ergibt sich nun die Frage, in welchem Verhältnis die rein natürlichen Gemeinschaften, soweit es solche überhaupt gibt, zur communio sanctorum stehen. Für diese, die Gemeinschaft der Heiligen, finden sich im Bereiche des Naturhaften gewisse Ähnlichkeiten und Gleichnisse, so wie alle geschaffenen Dinge Gleichnisse des Göttlichen sind. Es finden sich ferner gewisse Vorstufen und sogar auch Ausstrahlungen und Auswirkungen, die tief in den Bereich des natürlichen Menschenlebens hineinragen und für den organischen Zusammenhang von Natur und Übernatur Zeugnis ablegen.

Zunächst gibt es auf dem naturhaften Gebiete, ja sogar im Bereiche der unbelebten Natur gewisse Gleich¬nisse, die wir geradezu als Bilder gebrauchen können, um die übernatürliche, die göttliche Gemeinschaft zu beschreiben: das ganze naturhafte Geschehen beruht nämlich auf dem unaufhörlich vor sich gehenden Ausgleich der vorhandenen Energieunterschiede.

An gewissen Punkten erscheint die Energiespannung erhöht, sie quillt und steigt auf wie ein Springquell, aber nur, um ohne weiteres abzufließen auf die Stellen einer geringeren Energiespannung. Das ganze Weltgeschehen ist ein unaufhörliches Strömen von einem Punkt zum andern, ein Ausgleich und ein Austausch, ein Ausstrahlen und ein Einstrahlen.

Käme dieses beständige Schenken und Empfangen an irgendeinem Punkt oder im ganzen Kosmos zum Stillstand, dann wäre das der Weltentod, die ewige Erstarrung. So bildet das Weltall tatsächlich eine Einheit, alle Dinge sind etwas Zusammengehöriges und Zusammenwirkendes, sind aufeinander angewiesen und füreinander da. In diesem innersten Charakter des physikalischen Weltgeschehens sehen wir bereits die tiefste Eigenart auch des geistigen Geschehens vorgebildet: auch dieses ist ein beständiges Geben und Empfangen, eine Hingabe und ein Austausch, so daß dieses Strömen von Geist zu Geist eben das Leben dieser Geistwesen selbst bedeutet, also die letzte und in sich ruhende Form ihres Daseins überhaupt ist. Es ist ein Gemeinschaftsgeschehen.

Sodann gibt es eine Vorstufe, ein Vorspiel der communio sanctorum, eine Art Vorläufer, der die naturbefangenen Sinne des Menschen auf die im Höchsten und Göttlichen waltenden Gesetze aufmerksam macht. Gerade heute wird uns ja die Tatsache überwältigend und beinahe erschreckend zum Bewußtsein gebracht, wie eng alle menschlichen Dinge, Geschehnisse und Interessen miteinander verflochten sind und voneinander abhängen.

Selbst das Mareriellste an unserem Dasein, die wirtschaftlichen Güter und ihr Wertmesser, das Geld und das Gold, sind in einem ständigen Strömen begriffen von einem Menschen zum andern, von einem Land zum andern. Und wir begreifen, daß sie nur um dieses Strömens willen einen Wert haben und behalten, daß die bloße Anhäufung des Goldes zu ruhenden, in eisernen Truhen verwahrten Schätzen wertlos ist und das Gold selbst entwertet, ja sogar zu einer Belastung und zu einer Ursache wirtschaftlicher Verarmung macht.

Und wie die wirtschaftlichen, so müssen auch die höheren Dinge, nationale Werte, geistige Errungenschaften, sittliche Leistungen, ständig den innern und organischen Zusammenhang der Seelen, der Völker, der Staaten zum Ausdruck bringen, indem sie immerfort mitgeteilt und aufgenommen werden. Jede Art von geistiger oder materieller Habsucht, die irgendwelche Werte, auch die höchsten des geistigen Lebens und der Kultur, für einen Menschen oder für ein Volk verwahren und aus dem Zusammenhang aller herausnehmen wollte, würde zu einer Verarmung und Verkümmerung des Habsüchtigen, aber auch zu einer Beraubung des Ganzen führen; denn alles, was der einzelne tut oder erleidet, Besitz oder Mangel, Glück oder Leid, Leistung oder Schuld, das strahlt unwiderstehlich aus auf die ganze übrige Welt, so wie Wellenkreise, die von jedem erregenden Punkt aus weitergehen und sich nicht aufhalten lassen.

Es gibt sodann im Bereiche des Natürlichen, ja in den Grundlagen und Grundkräften der Natur auch eine wirkliche Gemeinschaft, wenigstens theoretisch und grundsätzlich: die Ehe und die Familie. Der Begriff und das Ideal, das wir von Ehe und Familie haben, ist sogar unser wichtigstes Hilfsmittel, um den Begriff der Gemeinschaft überhaupt zu bilden. Nun ist freilich in der Wirklichkeit dieser Begriff und dieses Ideal von Familiengemeinschaft höchst selten und höchst unvollkommen erfüllt worden durch die ganze Dauer der bekannten Menschheitsgeschichte hindurch.

Und heute haben wir fast den erschreckenden Eindruck, als ob diese Gemeinschaft überhaupt aus der Welt verschwinden wolle. Aber gerade diese einzige, von der Natur selbst angestrebte und mit naturhaften Kräften ermöglichte Gemeinschaft hat Christus in nächste Nähe zu der übernatürlichen Gemeinschaft, der den Namen Gemeinschaft verdient, nur dort möglich ist, wo die Seelen der verbundenen Menschen auch zugleich hineingehören oder hineinstreben in die Tiefen der Gottesgemeinschaft, und daß überall, wo das Menschenleben sich dieser Gemeinschaft nähert, auch die ersten Keime der natürlichen Gemeinschaftsbildung sich nicht nur zu regen, sondern auch zu erhalten und durchzusetzen vermögen.

Diese Gottesgemeinschaft braucht ja nicht gerade in jedem Fall in der sichtbaren Zugehörigkeit zu ihrer organisierten Erscheinungsform, in der sichtbaren Mitgliedschaft der Kirche zu bestehen; aber sie muß doch vorhanden sein als eine tatsächliche oder doch mögliche Gotteskindschaft und als eine ihr entsprechende religiössittliche Haltung der Seelen. Es würde sich somit ergeben, daß tatsächlich alle Gemeinschaften, die es auf Erden gibt, irgendwie ausstrahlen aus den Kräften und Anlagen der communio sanctorum. Es gibt auf unserer Erde nur darum Liebesgemeinschaften, durch freundschaftliche, bräutliche oder geschwisterliche Bande begründet und gefestigt, weil es das alles im Himmel gibt, in der Gemeinschaft des menschgewordenen Sohnes und seiner Brüder und Schwestern im Vater aller. Und diese Gemeinschaft selbst hat wieder ihren tiefsten Grund und ihre letzte Möglichkeit in der Gemeinschaft des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, im dreipersönlichen Gott. Nur weil es in Gott diese Gemeinschaft gibt und weil es eine Anteilnahme an ihr gibt, darum gibt es auch in der Menschenwelt jene fruchtbare und selige Verbundenheit, die wir Gemeinschaft nennen.

Die Möglichkeit von Gemeinschaftsbildungen hängt also schließlich ab von der Empfänglichkeit der einzelnen Seele für die göttliche Begnadung.
Je stärker diese Empfänglichkeit ist, je geneigter und bereitwilliger und vorbereiteter die Seelen dafür sind, Gottes Kindschaftsgnade in sich aufzunehmen und diesem neuen höheren Zustand auch in ihrem bewußten Leben zu entsprechen, um so leichter werden sich zunächst die Gemeinschaft der Kirche und alle in der Kirche wurzelnden oder von ihr getragenen und geführten Gemeinschaften bilden.

Aber auch alle dem naturhaften Bereich angehörigen Gemeinschaften, wie Familie und Freundschaft, und freundschaftliche Bewegungen aller Art werden sich nur unter dem geheimnisvollen Walten der göttlichen Verbundenheit und der zu ihr geneigten Seelenhaltung bilden, erhalten und entfalten. Da die göttliche Kindschaftsgnade allen Zeiten und Geschlechtern in gleicher Weise angeboten ist, so rühren also die zeitweiligen geschichtlichen Unterschiede in der gemeinschaftsbildenden Kraft der Menschheit ausschließlich her von dem wechselnden Stand der innern Gesinnung, die für jene Gnade Vorbedingung, Vorbereitung oder Entsprechung ist: von der Gesinnung eines vergeistigten und seelisch verinnerlichten, eines sittlich gehobenen und geläuterten Menschentums. In einer Menschheit, in der Gott keine Kinder mehr zu finden vermöchte, würde die Menschheit auch keine Brüder und Schwestern mehr finden.

Wie diese Gesinnung in den verschiedenen Menschen und Zeitaltern wechseln kann, so auch ihre Kraft zu sichtbarem Ausdruck. Es könnte sein, daß sie in einer bestimmten Zeitperiode wohl vorhanden, aber mehr nach innen, in das Innere der Einzelseele gewandt, nicht auf äußerlich sichtbare Weltgeltung gerichtet ist. In diesem Falle würden die sich bildenden und blühenden Gemeinschaften auch mehr im Verborgenen leben, in der Tiefe der einzelnen Seelen, die in gemeinschaftswidrige und gemeinschaftsfremde Volksmassen eingesprengt sind wie in eine große einsame Diaspora. In diesem Fall würde die Menschheit in ihrem sichtbaren Leben fast ausschließlich beherrscht erscheinen von dem lauten und mechanischen Wesen der Zweckverbände, und der Gemeinschaftsgeist erschiene in ihrem Kulturleben wie zurückgedrängt und im Verschwinden begriffen. Aber in Wirklichkeit kann er nie ganz verschwinden, gerade weil er im Tiefsten eine Lebensäußerung der Gemeinschaft der Heiligen ist.

Auch wenn er nicht sichtbare und fühlbare Bewegungen im Völkerleben zu erzeugen vermag, ist er doch da und verbindet die empfänglichen Seelen gleichsam auf unterirdischen Bahnen, schafft selbst über weite Grenzen von Ländern und Nationen hinweg ein gemeinsames Suchen, Verstehen und Vollbringen. Da kann es dann geschehen, daß zwei Menschen, die durch weite Räume und durch nationale Klüfte getrennt erscheinen, doch miteinander, wenn auch unwissend, ein gemeinsames Werk schaffen und bei ihrem gegenseitigen Begegnen sich plötzlich erkennen, als wären sie schon lange nebeneinander gewandelt, ja, als wären ihre Hände verbunden gewesen durch ein Segenswort von Anbeginn. Da kann es geschehen, daß plötzlich in ganz verschiedenen Ländern und Verhältnissen ein ganz gleiches oder ähnliches Schaffen und Wirken sichtbar wird, gerade als wäre ein zündender Funke weithin über Länder und Meere geflogen und hätte überall den gleichen Feuerbrand erweckt.

Vielleicht hat unsere heutige Lage etwas von dieser Beschaffenheit. Jedenfalls wird die Ahnung immer stärker in uns, daß alle äußern Zurüstungen versagen oder unzulänglich bleiben, wenn nicht starke, reiche und lebendige Einzelpersönlichkeiten ihre Wurzeln hinabsenken bis in jene Tiefen, wo die Seelen selbst sich berühren und finden, wo sie jenseits aller irdischen Klüfte oder Brücken eins werden im Leben aus Gott
. S.196ff.
Aus: Peter Lippert, Aufstiege zum Ewigen, Herder & Co.GmbH./Verlagsbuchhandlung, Freiburg im Breisgau