Rudolf Hermann Lotze (1817 - 1881)
Deutscher
Philosoph, ursprünglich Physiologe und Mediziner, war seit
1842 Professor in Leipzig, seit 1844 in Göttingen, 1881 in Berlin. Lotzes System ist ein Versuch, die Tradition des Deutschen Idealismus mit
der Naturwissenschaft in Einklang zu bringen. Von Einfluss war die Einführung der Begriffe der »Werte« und der »Geltung« in die
Ethik. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Der Begriff des persönlichen Gottes
Einwürfe gegen die Möglichkeit der Persönlichkeit des Unendlichen
Der Ursprung der ewigen Wahrheiten und ihr Verhältnis zu Gott
Die Schöpfung als Wille, als Tat, als Emanation
Der Ursprung der Wirklichkeit
Das Übel und das Böse
Summe der Weisheit
Der
Begriff des persönlichen Gottes
Zwei unterschiedene Reihen von Eigenschaften, durch welche man das Wesen Gottes
zu erfassen strebt, erinnern an die beiden Antriebe, aus denen sein Begriff
und der Glaube an ihn entstand. Metaphysische Eigenschaften
der Einheit, Ewigkeit, Allgegenwart und Allmacht bestimmen ihn als den Grund
aller Wirklichkeit des Endlichen, ethische der Weisheit, Gerechtigkeit und Heiligkeit
genügen dem Verlangen, in dem höchsten Wirklichen auch das Höchste
des Wertes wiederzufinden. Wir haben keinen Grund, vollständig diese
Attribute zu erwähnen oder Streitfragen zu berühren, die über
ihre gegenseitige Abgrenzung schweben; von entscheidendem Werte ist für
uns nur dies, eine Überzeugung über die Form der Existenz zu erlangen,
die diesem Inbegriff alles Vollkommenen seine bestimmte Fassung und damit freilich
vielen jener Eigenschaften ihre besondere Bedeutung zu geben hat. Es wäre
leicht möglich, wenn diese zum Ende strebende Betrachtung noch einmal sich
in die Langsamkeit systematischer Vollständigkeit ausbreiten dürfte,
aus den vorangegangenen Untersuchungen über die Natur des Seienden die
Antwort stetig zu entwickeln, welche wir auf diese letzte Frage nach der Natur
jenes Unendlichen, das wir dort gefunden, würden zu geben haben. Aber eben
weil es leicht ist, diesen Übergang in der Stille zu ergänzen, wollen
wir den Zielpunkt, zu dem er führen würde, den Begriff
des persönlichen Gottes, als erreicht ansehen und ihn gegen die
Bedenken, welche seine Möglichkeit bezweifeln, als den einzigen folgerichtigen
Abschluss, der unseren Betrachtungen gegeben werden kann, zu verteidigen
suchen.
Der Sehnsucht des Gemütes, das Höchste, was
ihm zu ahnen gestattet ist, als Wirklichkeit zu fassen, kann keine andere Gestalt
seines Daseins, als die der Persönlichkeit genügen oder nur in Frage
kommen. So sehr ist sie davon überzeugt, daß lebendige sich
selbst besitzende und genießende Ichheit die unabweisliche Vorbedingung
und die einzige mögliche Heimat alles Guten und aller Güter ist, so
sehr von stiller Geringschätzung gegen alles anscheinend leblose Dasein
erfüllt, daß wir stets die beginnende Religion in ihren mythenbildenden
Anfängen beschäftigt finden, die natürliche Wirklichkeit zur
geistigen zu verklären; nie hat sie dagegen ein Bedürfnis empfunden,
geistige Lebendigkeit auf blinde Realität als festeren Grund zurückzudeuten.
Von diesem richtigen Wege lenkte erst die fortschreitende Ausbildung des Nachdenkens
eine Zeitlang ab. Mit der zunehmenden Weltkenntnis wuchsen deutlicher die Forderungen
hervor, die man an den Begriff Gottes stellen musste, wenn er alles Größte
und Wertvollste nicht nur in sich enthalten, sondern so enthalten sollte, dass er zugleich als schöpferischer und gestaltender Grund
aller Wirklichkeit erschien; mit der verfeinerten Beobachtung des geistigen
Lebens anderseits wurden die Bedingungen deutlich, an welche in uns endlichen
Wesen die Entwicklung der Persönlichkeit geknüpft ist; beide Gedankenreihen
schienen sich dahin zu vereinigen, dass mit dem Begriffe des höchsten
Seienden die Form des geistigen Lebens oder mit dem des unendlichen Geistes
die der persönlichen Existenz unverträglich sei. Nun kamen die Versuche
auf, in Vorstellungen einer ewigen Weltordnung, einer
unendlichen Substanz, einer sich entwickelnden Idee genügendere Arten der
Existenz für das Höchste zu suchen und die Form des persönlichen
Seins gering zu schätzen, die dem unbefangenen Gemüte früher
als die einzig würdige gegolten hatte. Aus den unendlich mannigfachen Schattierungen,
welche diese Ansichten erfahren haben, begnügen wir uns, die drei erwähnten
zu kurzer Verdeutlichung der Gründe ihrer Unhaltbarkeit hervorzuheben.
Wie edle Beweggründe und welch sittlicher Ernst dazu führen kann,
im Gegensatz zu roher Vermenschlichung des göttlichen
Wesens seinen Begriff in den einer moralischen Weltordnung aufzulösen,
ist dieser Zeit noch in frischer Erinnerung. Dennoch hat
Fichte nicht recht, wenn er mit begeisterten Worten dem gewöhnlichen,
engherzig entworfenen Bilde des persönlichen Gottes die Erhabenheit seiner
eigenen Auffassung gegenüberstellte; er glaubte das Erhabenste in ihr zu
besitzen, weil er es suchte; er würde es als unerreichbar auf diesem Wege
erkannt haben, wenn er schon damals ihn bis Ende gegangen wäre. Die Frage,
wie denn doch eine Weltordnung als höchstes Prinzip denkbar sei, kann nicht
durch Berufung darauf abgelehnt werden, daß nicht von dem Prinzip selbst
eine Geschichte seiner Entstehung zu verlangen sei; wer der Persönlichkeit
als einer unmöglichen eine andere Fassung der Gottheit vorzieht, wird wenigstens
die Widerspruchslosigkeit der seinigen zu erweisen haben; denn es kann nicht
fördern, eine Unmöglichkeit durch eine andere Annahme von unbewiesener
Möglichkeit zu ersetzen. Nun liegt freilich der zureichende
Grund, der immer verbieten wird, an die Stelle Gottes eine Weltordnung zu setzen,
in der Tat in dem einfachen Gedanken, dass keine Ordnung von dem Geordneten,
das in ihr steht, abtrennbar sein, noch weniger als eine bedingende oder erschaffende
Kraft ihm vorangehen kann; sie bleibt stets ein Verhältnis dessen, was
ist, nachdem es ist, oder indem es ist. Ist sie daher nichts als Ordnung, wie
ihr Name sagt, so ist sie niemals das Ordnende, das wir suchen und das der gewöhnliche
Gottesbegriff, wie unzureichend auch sonst, darin wenigstens richtig bestimmte,
dass er in ihm ein reales Wesen, nicht ein Verhältnis sah.
Aber in Betrachtungen über diese höchsten Dinge, die uns die Mangelhaftigkeit
menschlicher Sprache oft genug fühlbar machen, bedeuten Namen selten das
genau, was sie sagen, meist mehr oder weniger; nur trifft es sich am häufigsten,
daß dasjenige, was wir hinzudenken oder weglassen sollen, ohne Widerspruch
mit dem beibehaltenen Reste ihrer Bedeutung nicht vereinigt oder von ihm abgezogen
werden kann. Aus diesem Grunde werden alle die vielfältigen Ansichten,
die wir hier zusammenfassen, unsere Auslegung ihres Satzes, Gott sei die Weltordnung,
als Mißverständnis anklagen. Denn zuerst: in jene Stellung der Welt
gegenüber, die der gewöhnlichen Meinung der außerweltliche Gott
einnimmt, solle die Weltordnung nicht treten; diese Stelle müsse leer bleiben,
denn sie sei ein unmöglicher Ort, den nichts einnehmen könne. Dann
aber: Ordnung nur als ein durch einen Ordnenden gestiftetes Verhältnis
zu kennen, verrate nur die Unfähigkeit zum Verständnisse der wahren
Wirklichkeit, die durch und durch, ohne Rückstand einer toten Substanz
Lebendigkeit, Geschehen und Werden sei, nicht ein unbestimmtes freilich, sondern
sich selbst in wandelloser Folgerichtigkeit zu dem Zusammenhange eines Sinnes
bestimmendes. Aber dennoch: werden diese enthusiastischen Vorstellungen, wenn
wir deutlicher zergliedern, was sie denken müssen, um das zu denken was
sie meinen, nicht doch wieder zu dem zurückkehren müssen, was sie
fliehen? Wir waren früher veranlasst zu erörtern, wie wenig es
möglich sei, durch den Begriff eines Naturgesetzes bloßer Erscheinungen
die Annahme einer Wechselwirkung der Dinge zu vermeiden oder ihre scheinbaren
Wirkungen zu erklären: wäre es auch klar gewesen, was es heißen
wolle, daß ein Gesetz gebiete, so war doch unbegreiflich, wie Dinge oder
Erscheinungen dazu kommen, ihm zu gehorchen; nur eine wesenhafte Einheit alles
Seienden konnte man machen, dass Zustände des einen wirksame Bedingungen
für Veränderungen des andern wurden. Die allgemeine Weltordnung, die
hier mit dem Anspruche, auch die sittliche Welt mit zu beherrschen, an die Stelle
jenes Gesetzes tritt, unterliegt der gleichen Beurteilung.
Auch uns ist es nicht zweifelhaft, »sondern das
Gewisseste, ja der Grund aller andern Gewissheit, dass es diese moralische
Weltordnung gibt, dass jedem vernünftigen Individuum seine bestimmte
Stelle angewiesen und auf seine Arbeit gerechnet ist, dass jedes seiner
Schicksale Resultat ist von diesem Plane, dass ohne ihn kein Haar fällt
von seinem Haupte und in seiner Wirkungssphäre kein Sperling vom Dache,
dass jede gute Handlung gelingt, jede böse sicher mißssingt,
und dass denen, die nur das Gute recht lieben, alle Dinge zum besten dienen
müssen«. (Fichte, 5. W. V. 188.) Aber wie kann doch dies alles gedacht werden? oder richtiger: was denken wir,
indem wir es denken? Könnte jene Weltordnung jemals eine Vielheit zur Einheit
irgendeines bestimmten Verhältnisses zusammenfassen oder in dieser Einheit
erhalten, wenn sie nicht, gegenwärtig in jedem einzelnen der vielen, zugleich
reizbar wäre für jeden Tatbestand, der in allen übrigen einzelnen
stattfindet und zugleich fähig, die gegenseitigen Verhältnisse aller
in die beabsichtigte Form durch eine Verrückung ihrer Lagen zu bringen,
welche ihrer Abweichung von diesem Ziele angemessen ist? Dies ist nicht eine
klügelnde Konstruktion, durch welche wir zu zeigen versuchten, wie jene
Ordnung gemacht wird, sondern es ist die Zergliederung dessen, was wir denken
müssen, um das zu denken, was ihr zugeschrieben wird. Und nun nach allem,
was wir hierüber ausführlich erörtert haben, wüssten
wir nicht zu sagen, wodurch eigentlich dieser Begriff einer Ordnung, die von
den Tatsachen leidet und ihrem Leiden und ihrer Natur gemäß zur Änderung
der Tatsachen zurückwirkt, sich noch von dem wahren Begriffe eines Wesens
unterscheiden könnte. Sie dennoch nur Ordnung zu nennen, ist das Missverständnis
einer Opposition, welche die irrigen Auffassungen des Wesens scheute und die
richtigere, welche sie selbst besaß, nun hartnäckig an einen Begriff
zu knüpfen suchte, mit dessen übrigem Sinne sie gänzlich unvereinbar
ist.
Geht nun formell der Begriff einer tätigen Ordnung überhaupt unaufhaltsam
in den des ordnenden Wesens zurück, so führt der Begriff einer moralischen
Ordnung weiter. Ist es möglich, ein Wesen zu denken, das mit absichtsloser
blindwirkender Tätigkeit dem Weltlaufe, gereizt durch den Tatbestand, dessen
Einwirkung es erfährt, in jedem Augenblicke die verbessernden Antriebe
mitteilte, durch welche jene durchgängige Herrschaft des Guten sichergestellt
würde? ein Wesen, welches nicht mit Bewußtsein jedem seine Stelle
anweisen oder auf seine Arbeit rechnen oder das Gute der guten Handlung von
dem Schlechten der schlechten unterscheiden, nicht mit eigener lebendiger Liebe
das Gute wollen und verwirklichen könnte, aber gleichwohl so verführe,
als ob es dies alles vermöchte? Der Theorie ist es nicht erlaubt,
die Beantwortung dieser Frage abzulehnen, denn die notwendigen Beziehungspunkte
muß jede Ansicht mitdenken, ohne welche ihre eigene Meinung unvollständig
bleibt; wer sie aber dadurch zu beantworten suchte, dass er einen bewusstlosen,
blinden, unpersönlichen Mechanismus ersänne, dessen bewegende Triebfeder
gleichwohl das Gute sei, würde tief in jene undurchführbaren Klügeleien
sich verstricken, zu denen der große Geist, dessen Irrtum wir hier beklagen,
die Überzeugung von der Persönlichkeit, als der einzigen denkbaren
Form des höchsten Weltgrundes, glaubte rechnen zu müssen. Ob dem Leben
die Beantwortung jener Frage gleich notwendig sei, kann zweifelhaft erscheinen;
ich glaube es. Zur Richtschnur unsers Handelns und zum Trost über seine
scheinbare Erfolglosigkeit mag die Überzeugung von der Geltung jener Weltordnung
hinreichen; aber das Höchste in der Gestalt des persönlichen
Gottes zu fassen, dazu wurde das religiöse Gemüt auch durch Bedürfnisse
der Demut und durch die Sehnsucht geführt, verehren und lieben zu können, Beweggründe, denen jene Religion der strengen Pflichterfüllung zu
wenig Gehör geschenkt hat.
Auch nicht die geringe Ausführlichkeit, mit welcher wir dieser Ansichten
hier gedenken konnten, steht uns für die übrigen zu Gebot, die wir
oben erwähnten. Mit der pantheistischen Verehrung der unendlichen Substanz
verbindet uns nur scheinbar das gemeinsame Zugeständnis der substantiellen
Einheit des Weltgrundes; die Begriffe, die wir uns über die Bedeutung des
Realen gebildet haben, entfernen uns übrigens zu weit von den Gedankenkreisen
des Pantheismus, als daß eine kurze Verständigung über unser
Verhältnis zu ihm noch möglich wäre. Ihm gilt als Sein, was uns
nur als Erscheinung denkbar ist: die räumliche Welt mit ihrer Ausdehnung,
ihren Gestalten, ihren unablässigen Bewegungen; ihm ist es denkbar, dass
eine unerschöpfliche Lebenskraft des Unbedingten und Einen sich in diesen
Gebilden und ihren Veränderungen Luft mache, als leiste sie dadurch etwas;
uns war alles dies nur Schatten eines wahren und übersinnlichen Seins und
Geschehens; ihm konnte es daher möglich dünken, die geistige Welt
als eine vereinzelte Blüte an dem starken Stamme materieller, blindwirkender
Realität zu fassen; uns war es undenkbar geworden, Geist aus dem entstehen
zu lassen, was nicht Geist ist, unabweisbar dagegen, alles bewusstlose
Dasein und Geschehen als einen Schein anzusehn, dessen Form und Inhalt aus der
Natur des geistigen Lebens entspringt. Metaphysisch würden wir nur demjenigen
Pantheismus als einer möglichen Auffassung der Welt beistimmen können,
der jeder Neigung entsagte, das unendliche Reale in einer andern Form als der
des Geistigen zu begreifen; religiös aber teilen wir die Stimmung nicht,
welche die pantheistische Phantasie zu beherrschen
pflegt: die Niederdrückung alles Endlichen gegen das Unendliche, die Neigung,
alles was Wert für das lebendige Gemüt hat, nur als vergänglich
nichtig und hinfällig zu betrachten gegenüber der
Majestät des Einen, auf dessen formale Eigenschaften der Größe,
Einheit, Einigkeit und Unerschöpflichkeit sie alle Verehrung konstruiert.
S.124-133
Einwürfe
gegen die Möglichkeit der Persönlichkeit des Unendlichen
Ich sei nicht denkbar außerhalb des Gegensatzes zu einem Nicht-Ich; deshalb
könne persönliches Dasein von Gott nicht behauptet werden, ohne auch
ihn in die ihm widerstreitenden Schranken der Bedingtheit durch anderes herabzuziehen.
Auf diesen Gedanken kommen die Einwürfe zurück, welche von seiten
der theoretischen Erkenntnis gegen die Persönlichkeit Gottes gemacht werden;
um ihr Gewicht zu beurteilen, werden wir den scheinbar klaren Inhalt des Satzes,
den sie zum Ausgangspunkte nehmen, zu prüfen haben. Denn unzweideutig ist
er doch nicht; er kann behaupten wollen, was der Name des Ich bezeichne, sei
der zergliedernden Überlegung nur durch Beziehung auf Nicht-Ich begreiflich;
er kann ebenso meinen, es sei nicht denkbar, daß dieser Inhalt des Ich
erlebt werde, ohne dass mit ihm zugleich jener entgegengesetzte erlebt
werde; er kann endlich Dasein und wirksamen Einfluss eines Nicht-Ich als
die unerlässliche Vorbedingung der Ichheit für dasjenige Wesen
bezeichnen, auf welches dieser Einfluss wirke.
Die Beziehungen, welche unser Vorstellen zur Verdeutlichung seines Gegenstandes
bedarf, entscheiden im allgemeinen nicht über dessen Natur; sie sind nicht
ebenso Bedingungen der Möglichkeit der Sache, wie sie für uns Bedingungen
der Möglichkeit ihrer Vorstellung sind. Aber die besondere Natur des vorliegenden
Falles scheint herbeizuführen, was der allgemeine Fall nicht einschließt:
denn eben in einer Tat des Vorstellens besteht die Ichheit, und was dem Vorstellen
nötig ist, sie auszuführen, ist daher hier zugleich Bedingung der
Sache. Die beiden ersten Auslegungen, die wir jenem Satze gaben, scheinen daher
zu der gemeinsamen Behauptung zu verschmelzen, daß Ich nur im Gegensatze
zu Nicht-Ich etwas bedeute und nur in diesem Gegensatze erlebbar sei. Es wird
zum Teil von der Festsetzung der Wortbedeutungen abhängen, ob wir dieser
Behauptung beizupflichten finden. So viel sehen wir zuerst, daß Ich und
Nicht-Ich nicht zwei Begriffe sein können, deren jeder seinen ganzen Inhalt
nur dem Gegensatze zum andern verdankte; sie würden beide auf diesem Wege
inhaltlos bleiben, und es würde, falls keiner von ihnen, abgesehen von
dem Gegensatze, seinen festen Sinn für sich hätte, nicht bloß jeder Grund zu Entscheidung, sondern selbst jede Bedeutung der Frage verloren
gehen, welcher von beiden innerhalb des Gegensatzes die Stelle des Ich, welcher
die des Nicht-Ich einzunehmen habe. Nur dem Ich hat der
sprachliche Ausdruck seinen eigenen unabhängigen Namen, dem Nicht-Ich nur
die verneinende Bezeichnung gegeben, die das Ich ausschließt, ohne einen
eigenen Inhalt zu nennen. Jenes Wesen daher, dem es bestimmt ist, innerhalb
des entstandenen Gegensatzes Ich zu sein, trägt den Grund dieser Bestimmung
in seiner v o r dem Gegensatze vorhandenen Natur, obgleich, bevor der Gegensatz
vorhanden ist, ihm auch dies Prädikat noch nicht zukommt, das es in ihm
zu erwerben hat. Soll dies nun die Bedeutung des Namens bleiben, soll
das Wesen nur Ich sein im Augenblicke, da es sich selbst vom Nicht-Ich unterscheidet,
so haben wir nichts gegen diesen Sprachgebrauch einzuwenden, aber wir ändern
dann den unserigen.
Denn nicht unsere, sondern nur unserer Gegner Meinung ist es, Persönlichkeit
ausschließlich da zu finden, wo das Selbstbewusstsein sich selbst
als Ich dem Nicht-Ich vorstellend entgegensetzt; uns genügt, um die Selbstheit
zu begründen, die wir zunächst suchen, eben jene Natur, durch die
in dem entstehenden Gegensatze das Wesen zum Ich wird, und sie genügt uns,
noch ehe diese Entgegensetzung geschieht. Jedes Gefühl der Lust oder Unlust,
jede Art des Selbstgenusses enthält für uns den Urgrund der Persönlichkeit,
jenes unmittelbare Fürsichsein, das alle späteren Entwicklungen des
Selbstbewusstseins wohl durch Gegensätze und Vergleichungen dem Denken
verdeutlichen und in seinem Werte durch diese Verdeutlichung steigern mögen,
das aber nicht sie erst durch diese Künste erzeugen. Mag es immerhin sein,
dass Ich zu sich nur der sagen könne, der sich ein Nicht-Ich gegenüber
denkt, von dem er sich unterscheidet, so muß doch, damit er in diesem
Unterscheiden selbst sich nicht vergreife und sich selbst mit dem Nicht-Ich
verwechsle, dieses sein unterscheidendes Denken von einer unmittelbar erlebten
Gewissheit seiner selbst geleitet werden, von einem Fürsichsein, welches
früher ist, als die unterscheidende Beziehung, durch die es dem Nicht-Ich
gegenüber Ich wird.
Zu demselben Ergebnis führt uns auf leichterem Wege eine andere Betrachtung. Alles Selbstbewusstsein ruht auf dem Grunde eines
unmittelbaren Selbstgefühls, welches auf keine Weise aus dem Gewahrwerden
eines Gegensatzes gegen die Außenwelt entstehen kann, sondern seinerseits
die Ursache davon ist, dass dieser Gegensatz als ein beispielloser, keinem
andern Unterschiede zweier Objekte voneinander vergleichbarer empfunden werden
kann. Das Selbstbewußtsein ist nur die später kommende Bemühung,
mit den Mitteln der Erkenntnis diese erlebte Tatsache zu zergliedern, von dem
Ich, das in dieser mit aller Lebendigkeit des Gefühls sich selbst ergreift,
ein Gedankenbild zu gewinnen und es auf diese Weise künstlich für
die Betrachtung in die Reihe der Gegenstände zu versetzen, in die es nicht
gehört. Und so würden wir denn zu den beiden ersten Deutungen des
Satzes, von dem wir sprechen, unsere Stellung so nehmen, dass wir zugäben,
Ich sei denkbar nur in Beziehung auf Nicht-Ich, aber hinzufügten, es sei
vorher außer jeder solchen Beziehung erlebbar, und hierin eben liege die
Möglichkeit, dass es später in jener Form denkbar werde.
Aber nicht diese beiden Auslegungen, sondern die dritte ist dem Glauben an die
Persönlichkeit Gottes, den wir zu begründen suchen, die hinderlichste.
In der einen Form freilich, in welcher sie zuweilen vorkommt, würde sie
für uns nicht Gegenstand erneuter Prüfung zu sein brauchen: dies dürfen
wir vielmehr als endlich für uns feststehend betrachten, dass einem
Wesen, in dessen Natur nicht als ein unableitbar Erstes dies Fürsichsein
gegeben wäre, kein noch so wunderbarer Mechanismus begünstigender
Bedingungen die Selbstheit verleihen würde. Mit völligem Schweigen
können wir daher alle jene Versuche übergehen, welche nach übelgewählten
Analogien der Sinnenwelt zu zeigen denken, wie eine ursprünglich nur nach
außen gerichtete Tätigkeit des noch selbstlosen Wesens durch den
Widerstand, den ihr die Welt des Nicht-Ich wie eine Fläche dem Lichtstrahl
leiste, in sich zurückgelenkt und dadurch in das sich selbst erfassende
Licht des Selbstbewusstseins verwandelt werde. Alles ist willkürlich
an solchen Vorstellungen und kein Zug des gebrauchten Bildes gültig für
das eigentliche Verhalten, das es verdeutlichen soll; bedeutungslose Einbildung
jene nach außen gehende Tätigkeit, unnachweislich der Widerstand,
den sie finden soll, unbegründet die Folgerung, dass sie durch ihn
in ihren eigenen Weg zurückgelenkt werde, ganz unbegreiflich, wie sie durch
diese Reflexion ihre Natur verwandeln und aus blinder
Tätigkeit zur Selbstheit des Fürsichseins werden könnte.
Von diesen Torheiten abgesehen, die mehr als billig den Gedankenkreis unserer
Philosophie beherrscht haben, finden wir eine achtbarere Form der Meinung, die
wir bestreiten, mit dem Nachweis beschäftigt, daß jenes Fürsichsein
dem Wesen freilich, dessen Natur es nicht wäre, durch keine äußere
Bedingung anerzeugt werden, aber auch in demjenigen, dessen Natur zu ihm fähig
wäre, niemals sich entwickeln könne ohne die Mitwirkung einer Außenwelt
und ihrer erziehenden Einflüsse. Denn von Eindrücken der Außenwelt,
die wir erwarten müssen, stammt uns nicht nur aller Inhalt unserer Vorstellungen,
sondern auch die Gelegenheit zu allen jenen Gefühlen, in denen noch ohne
bewußte gegensätzliche Beziehung gegen ein Nicht-Ich das Ich für
sich seiend sich selbst genießen könnte. Es ist kein Gefühl
denkbar, das nicht in einer bestimmten Form der Lust und Unlust eine bestimmte
Lage des Wesens, eine besondere Phase seiner Tätigkeit und seines Leidens
genösse; aber weder Leiden ist möglich ohne einen fremden Eindruck,
der es hervorruft, noch Tätigkeit ohne einen spannenden Punkt außerhalb,
der ihr Ziel und Richtung gibt. Und wie im einzelnen, so im ganzen. In jedem
einzelnen Gefühle besitzt das Fürsichseiende sich nur zum Teil; ob
es in Wahrheit und vollständig für sich sei, hängt von der Mannigfaltigkeit
der äußern Antriebe ab, die den ganzen Reichtum seiner Natur allmählich
anregen und zu Selbstgenuß verwerten: so ist die Ausbildung aller Persönlichkeit an das Dasein und die Einwirkung einer
Außenwelt und an die Mannigfaltigkeit und Reihenfolge dieser Einwirkungen
gebunden; sie würde auch für Gott nur unter gleichen Bedingungen möglich
sein.
Es reicht nicht hin, das Gewicht dieses Einwurfs durch die Behauptung abzuschwächen,
daß nur dem endlichen und veränderlichen Wesen diese erziehende Anregung
nötig sei, nicht der Natur Gottes, die in ewiger Unveränderlichkeit
als sich selbst wissende Idee allen ihren Inhalt unablässig in ungeteilter
Einheit zusammenbesitze. Obwohl das Richtige streifend, würde diese Behauptung
doch in dieser Form unsere Vorstellung von Gott auf andere Weise schädigen,
denn sie wurde sein Wesen einer ewigen Wahrheit gleichsetzen, einer solchen
freilich, die nicht nur gälte, sondern sich selbst ihrer bewusst wäre.
Wie weit jedoch diese Personifikation eines Gedankens von der lebendigen Persönlichkeit entfernt
sei, die wir suchen, fühlen wir unmittelbar; nicht nur die Kunst langweilt
uns, wenn sie uns zumutet, allegorische Statuen der Gerechtigkeit oder der Liebe
zu bewundern, sondern auch die Spekulation regt sofort unsern Widerspruch auf,
wenn sie etwa einen sich selbst wissenden Satz der Identität oder eine
selbstbewusste Idee des Guten uns als den vollständigen Ausdruck einer
Persönlichkeit anbietet. Es fehlt diesem Inhalte offenbar an einer wesentlichen
Bedingung aller wahrhaften Realität: an der Fähigkeit zu leihen.
Jede Idee, durch die wir in unserem nachbildenden Erkennen die Natur eines Wesens
zu erschöpfen suchen, bleibt immer nur die Angabe einer Denkformel, durch
welche wir für unsere Reflexion den inneren Zusammenhang zwischen den lebendigen
Tätigkeiten des Realen fixieren; das Wirkliche selbst ist das, was dieser
Idee sich annimmt, den Widerspruch gegen sie als seine eigene Störung empfindet,
ihre Verwirklichung als sein eigenes Streben unternimmt und will. Nur dieser
in Gedanken unauflösliche Kern, dessen Sinn und Bedeutung wir eben nur
in der unmittelbaren Selbsterfahrung unseres geistigen Daseins erleben und stets
mißverstehen, wenn wir ihn irgendwoher zu konstruieren versuchen, ist
das lebendige Subjekt der Persönlichkeit, die
deshalb nie einer unveränderlich gültigen Wahrheit,
sondern nur dem veränderlich Leidenden und Zurückwirkenden eigen sein
kann. Nur flüchtig deuten wir nebenher auf die unüberwindlichen
Schwierigkeiten hin, die dem Versuche solcher Personifikation
von Ideen entgegentreten würden, wenn es sich weiter darum handelte,
das Verhältnis zu bestimmen, in welchem die so personifizierten zu dem
veränderlichen Weltlaufe ständen; es würde sich sofort zeigen,
dass sie so wenig, als die früher besprochene Weltordnung der Wiederergänzung
zu einem leidenden und wirkenden Wesen würden entbehren können.
Dennoch ist die Übertragung der Bedingungen endlicher Persönlichkeit
auf die des Unendlichen nicht im Recht. Denn davor müssen wir uns doch
hüten, in der Fremdheit der Außenwelt, darin, dass sie nicht
Ich ist, die Quelle der Kraft zu suchen, mit welcher sie die Entwicklung des
Ich hervorlockt; nur dadurch ist sie wirksam, dass sie dem endlichen Geiste
veranlassende Anregungen zur Tätigkeit zuführt, welche dieser aus
seiner eigenen Natur nicht erzeugen kann. In dem Begriffe
des endlichen Wesens liegt es, seine bestimmte Stelle im ganzen zu haben, das
also nicht zu sein, was das andere ist, und doch zugleich als Glied des Ganzen
in seiner ganzen Entwicklung auf dies andere bezogen und zur Übereinstimmung
mit ihm genötigt zu sein. Die Formen seiner Tätigkeit quellen
auch dem endlichen Wesen aus seinem eigenen Innern, und weder der Inhalt seiner
Sinnesempfindungen, noch seine Gefühle, noch die Eigentümlichkeit
irgendeiner andern seiner Äußerungen wird ihm von außen gegeben;
aber die Anreize seines Handelns treten ihm allerdings alle aus jener Außenwelt
entgegen, zu der es durch die Endlichkeit seiner Natur in die Stellung des Teiles
gebracht ist, welcher von dem bestimmenden Ganzen Ort, Zeit und Art seiner Entwicklung
vorgezeichnet erhalten muss.
Von dem unendlichen Wesen, das alles Endliche in sich
befasst und ihm der Grund seiner Natur und seiner Wirklichkeit ist, gilt
nicht dieselbe Betrachtung; es bedarf nicht, wie wir zuweilen mit sonderbarer
Verschiebung des richtigen Standpunktes meinen, eines äußeren Antriebes
seines Lebens, sondern von Anfang an liegt in seinem Begriffe der Mangel nicht,
der uns für das endliche Wesen jenen Antrieb notwendig und die Wirksamkeit
desselben denkbar macht. Ohne alle Verpflichtung irgendeiner Übereinstimmung
mit dem, was nicht e s selbst wäre, wird es
vollkommen selbstgenügsam auch die Gründe für jeden Entwicklungsschritt
seines Lebens in seiner eigenen Natur besitzen. Ein schwaches Gleichnis, und
doch nicht ganz unwesentliches Gleichnis, sondern zum Teil Beispiel der Sache
selbst, bietet uns auch der endliche Geist in seinem Erinnerungslaufe. Anfangs
allerdings von äußeren Eindrücken angeregt, breitet sich auch
unsere Vorstellungswelt zu einem Strome aus, der ohne
neue Anregungen der Außenwelt durch die fortwogende Wechselwirkung seiner
eigenen Bewegungen des Neuen genug erzeugt, und in Werken der Phantasie, in
Erfindungen der Überlegung, in Kämpfen der Leidenschaft ein gutes
Teil lebendiger Entwicklung, nämlich ebensoviel zustande bringt, als der
Natur des endlichen Wesens ohne beständig erneuerte Orientierung durch
Wechselwirkung mit dem Ganzen zuteil werden kann, in dem es befasst
ist; mit dem Wegfall dieser Schranken der Endlichkeit fällt daher keine
erzeugende Bedingung der Persönlichkeit hinweg, die nicht in der Selbstgenügsamkeit
des Unendlichen ihren Ersatz fände, sondern das, was dem endlichen Geiste
nur annähernd möglich ist, die Bedingtheit seines Lebens durch ihn
selbst, findet schrankenlos in Gott statt, und
es bedarf keines Gegensatzes zu einer Außenwelt für ihn.
Natürlich bleibt die Frage noch zurück, was nun in Gott dem ersten Anstoße entspreche, den der Vorstellungslauf
des endlichen Geistes von der Außenwelt empfange? Aber die Frage selbst
schließt doch die Antwort ein. Denn wenn durch den von außen empfangenen
Anstoß das innere Leben des Geistes den Anfang seiner Bewegung erhält,
die es später durch eigene Kraft fortsetzt, woher rührt dann die Bewegung
der Außenwelt, durch die sie jenen Anstoß zu geben fähig würde? Eine kurze Überlegung reicht hin, um uns zu überzeugen,
dass unsere Weltansicht, wie sie auch ausfallen möge, irgendwo und
irgendwie die geschehende Bewegung selbst als ursprünglich gegebene Wirklichkeit
anerkennen müsse und nie sie aus Ruhe zu erzeugen vermöge. Und
dieser Hinweis mag hier genügen, wo wir es vermeiden wollen, durch Eingehen
auf die Frage nach der Natur der Zeit die vorhandenen Schwierigkeiten zu vermehren.
Wenn wir das innere Leben des persönlichen Gottes, den Strom seiner Gedanken, seiner Gefühle und seines Willens, als einen
ewigen und anfangslosen, nie in Ruhe gewesenen und aus keinem Stillstand zur
Bewegung angeregten bezeichnen, so muten wir der Einbildungskraft keine andere
und größere Leistung zu, als die, welche ihr von jeder materialistischen
oder pantheistischen Ansicht angesonnen wird. Ohne eine
ewige ursachlose Bewegung der Weltsubstanz oder ohne die Voraussetzung bestimmter
schlechthin anzuerkennender Anfangsbewegungen der unzähligen Weltelemente kann weder diese noch jene zu einer Erklärung des bestehenden Weltlaufs
gelangen, und alle Parteien werden sich überzeugen müssen, dass
die Zersplitterung der Wirklichkeit in ein ruhendes Sein und eine Bewegung,
von der es später ergriffen wird, zu jenen Fiktionen gehört, die nur
für die gewöhnlichen Unternehmungen unserer Reflexion ihre Vorteile
haben, aber ihre völlige Unzulässigkeit verraten, sobald wir über
den Wechselzusammenhang der Welteinzelheiten zu den ersten Anfängen des
Ganzen aufzusteigen versuchen.
Die gewöhnlichen Bedenken gegen die Möglichkeit persönlicher
Existenz des Unendlichen haben uns nicht in unserer Überzeugung wanken
gemacht. Aber ins dem wir sie zu widerlegen suchten, haben wir das Gefühl
gehabt, einen Standpunkt einzunehmen, den überhaupt nur die wunderlichste
Verkehrung aller natürlichen Verhältnisse hervorbringen konnte. Der
Lauf der philosophischen Gedankenentwicklung hat uns in die Lage gebracht, nachweisen
zu müssen, dass dem Unendlichen die Bedingungen der Persönlichkeit
nicht entgehen, die wir in dem Endlichen antreffen; der natürliche Zusammenhang
der Sache müßte uns vielmehr zu dem Nachweis anregen, daß von
der vollen Persönlichkeit, die nur dem Unendlichen möglich ist, ein
schwacher Abglanz auch dem Endlichen gegeben sei; denn nicht erzeugende Bedingungen
des Fürsichseins, sondern Hindernisse seiner unbedingten Entwicklung sind
die Eigentümlichkeiten des Endlichen, auf die wir mit Unrecht seine Befähigung
zu persönlichem Dasein zurückzuführen pflegen.
Das endliche Wesen wirkt überall mit Kräften,
die es sich nicht gegeben, und nach Gesetzen, die es nicht gestiftet hat, mit
den Mitteln einer geistigen Organisation also, die nicht in ihm allein, sondern
in unzähligen seinesgleichen verwirklicht ist. Daher scheint es
ihm in seiner Selbstbetrachtung leicht so, als läge in ihm selbst eine dunkle unbekannte Substanz, etwas, was im Ich doch nicht
Ich selbst ist und woran, als an ihren Träger, die ganze persönliche
Entwicklung geknüpft ist. Daher jene nie ganz zu beschwichtigenden Fragen,
was denn doch wir selbst sind, was unsere Seele, was jenes dunkle, uns selbst
unbegreifliche, in unsern Gefühlen, unsern Leidenschaften sich regende,
nie in vollkommenes Selbstbewußtsein aufgehende Wesen unser selbst. Dass
diese Fragen auftauchen können, beweist, wie wenig in uns Persönlichkeit
in dem Maße entwickelt ist, das ihr Begriff zulässt und verlangt.
Sie kann vollkommen nur sein in dem unendlichen Wesen, das beim Überblick
aller seiner Zustände oder Handlungen nirgends einen Inhalt seines Leidens
oder ein Gesetz seines Wirkens findet, dessen Sinn und Ursprung ihm nicht ganz
durchschaulich und aus seiner eigenen Natur erklärlich wäre.
Die Stellung des endlichen Geistes ferner, die ihn als Glied
des Ganzen an einen bestimmten Ort der Weltordnung fesselt, bringt es
mit sich, dass sein inneres Leben durch allmählich von außen an ihn herantretende Reize geweckt
wird und nach Gesetzen eines psychischen Mechanismus verläuft, der den
einzelnen Vorstellungen, Gefühlen und Strebungen einander zu drängen
und zu verdrängen gebietet. Nie gibt es deshalb eine Zusammenfassung des
ganzen Selbst in einem Augenblick, niemals bietet uns unser Selbstbewußsssein
ein vollendetes Gesamtbild unsers Ich, weder seiner gleichzeitigen Natur, noch
viel weniger der Einheit in seiner zeitlichen Entwicklung. Immer erscheinen
wir uns selbst von einem einseitigen Gesichtspunkte aus, auf den uns die eben
verlaufenden Bewegungen unsers Innern gestellt haben und der nur einen geringen
Teil unsers Wesens übersehen läßt; immer wirken wir auf an uns
kommende Reize nach den einseitigen Antrieben dieses zufälligen
partiellen Selbstbewusstseins zurück; nur in beschränktem
Maße können wir mit Recht sagen, dass wir handeln; meistens
wird in uns gehandelt durch die einzelnen Vorstellungsgruppen oder Gefühle,
welchen der psychische Mechanismus in jedem Augenblicke das Übergewicht
gab. Noch weniger sind wir zeitlich ganz für uns.
Dem Gedächtnis verschwindet vieles, aber am meisten entgehen ihm nach und
nach die individuellen Stimmungen. Viele Gedankenkreise, in denen unsere Jugend
heimisch war, können wir uns im Alter nur noch wie fremde Erscheinungen
vergegenwärtigen; zu Gefühlen, in denen wir einst begeistert schwelgten,
finden wir kaum noch einen Rückweg mehr, kaum einen Nachglanz, der uns
die Macht nachempfinden ließe, die sie einst über uns ausübten;
Bestrebungen, die einst den unveräußerlichsten Kern unsers Ich zu
bilden meinten, erscheinen auf dem andern Wege, den uns das spätere Leben
führte, als undeutbare Verirrungen, zu denen die Antriebe uns längst
nicht mehr begreiflich sind. In der Tat, wir haben wenig
Grund, von der Persönlichkeit endlicher Wesen zu sprechen; sie ist ein
Ideal, das, wie alles Ideale, nur dem Unendlichen eigen ist in seiner Unbedingtheit,
uns aber, wie alles Gute, nur bedingt und darum unvollkommen zuteil wird. S.133-145
Der Ursprung
der ewigen Wahrheiten und ihr Verhältnis zu Gott
Auf einen unbedingten Urgrund führten wir die Mannigfaltigkeit des Wirklichen
zurück; nicht in einem Gesetz, nicht in einer Idee, nicht in einer Weltordnung,
sondern nur in einem Wesen, welches zu wirken und zu leiden fähig ist,
fanden wir dann dieses Eine, das der Vielheit des Endlichen Zusammenhang und
den einzelnen Dingen Möglichkeit der Wechselwirkung gebe; nur in einem
Geiste endlich, der sich selbst besitzt, und für sich ist, nicht in einer
Substanz, die mit blindem Triebe sich entwickelt, entdeckten wir in Wahrheit
die Wesenhaftigkeit, die wir für dies Höchste verlangen mussten.
Der rasche Schritt, mit welchem wir dieses Ziel unserer Gedanken zu erreichen
suchten, hat uns an Schwierigkeiten vorübergeführt, zu denen wir zurückkehren.
Befriedigen können unsere Vorstellungen auch über Gott und göttliche
Dinge nur dann, wenn sie den allgemeinen Gesetzen des Denkens und jenen Wahrheiten
entsprechen, welche unsere Vernunft uns als verpflichtend für jeden Gegenstand
unserer Beurteilung vorhält. Auch das Höchste,
das wir als unbedingten und schöpferischen Grund aller Wirklichkeit verehren,
unterliegt daher, sobald es Gegenstand unserer Untersuchung wird, leicht dem
Scheine, durch allgemeine Wahrheiten und Gesetze bedingt zu sein, die unabhängig
von ihm eine ihm selbst vorausgehende Gültigkeit besäßen.
Nicht anders scheinen wir von der Weisheit Gottes sprechen zu können, als
so, dass wir auch ihr gegenüber eine Wahrheit denken, deren für
sich gültiger Inhalt von Gott erkannt, also vorgefunden wird; nicht anders
von seiner Gerechtigkeit ober irgendeiner seiner ethischn Vollkommenheiten als
so, dass auch sie nur die unwandelbare und ausnahmslose Angemessenheit
seines Wesens zu einem Ideal alles Guten ausdrücke, dessen ewiger Wert
für sich feststeht; selbst die schöpferische Tätigkeit, indem
sie die Gestalten des Wirklichen hervorbringt, wird uns verständlich fast
nur als eine überlegende Wahl, die aus der Fülle an sich denkbarer
und durch sich möglicher Formen des künftig Seienden, wie aus einem
ihr dargebotenen Schatze, die, welche sie will, zur Wirklichkeit beruft. Vereinbar
ist dies alles mit jener Unbedingtheit nicht, die dem höchsten Wirklichen
nicht nur in bezug auf sein Dasein, sondern auch so zukommen muß, dass
es Form und Gegenstand seiner Tätigkeit nur durch sich selbst bestimmt.
Wir spalten die Erörterung dieser Schwierigkeiten und vereinigen in einer
Frage nach dem Ursprung der ewigen Wahrheiten die Erläuterung des Verhältnisses, in welchem zu dem Wesen
Gottes die Gesetze des Erkennens und des Geschehens einerseits, die der sittlichen
Wertbestimmung anderseits stehen; erst später wenden wir uns der
Überlegung zu, in welcher Weise die Formen der Wirklichkeit in derselben
göttlichen Natur begründet zu denken sind.
Die unbefangene Betrachtung der Welt pflegt arglos so zu verfahren, als bewegte
sich selbstverständlich auch Gottes Wirken innerhalb der Grenzen, welche
die allgemeinen Gesetze alles Seins und Geschehens überhaupt als Spielraum
jeder denkbaren Tätigkeit freilassen.
Ausdrücklich hierüber befragt, mag der religiöse Glaube zuweilen
etwas zögern; aber meist gibt er doch diese stillschweigende Voraussetzung
zu und erkennt die ewigen Wahrheiten als ein unbedingt Erstes an, als eine schlechthin
gültige Notwendigkeit, der auch die lebendige Wirklichkeit Gottes unterworfen
sei. Sehen wir jetzt ab von dem Widerspruch, den diese Meinung offenbar gegen
die Unbedingtheit Gottes einschließt, so ist sie nicht minder unmöglich
um des andern willen, den sie gegen das Wesen der Wahrheit enthält. Nur dem einzelnen endlichen Dinge gegenüber kann ein
einzelnes Gesetz, noch ehe es in ihm verwirklicht ist als eine außer ihm
bestehende Macht erscheinen; denn seine Wirklichkeit hat dann dies Gesetz in
der Gesamtheit der übrigen Dinge, in deren Zuständen es verkörpert
vorliegt, und durch deren zusammenhängendes Wirken es ihm möglich wird, auch das sich zu unterwerfen, was augenblicklich seiner
Botmäßigkeit sich noch entzieht.
Dem Ganzen der Wirklichkeit dagegen oder dem höchsten
Einen, aus dem sie fließt, kann nicht die Gesamtheit der Wahrheit
als eine dann im Leeren für sich bestehende Macht vorangehen; denn Wahrheiten
sind nicht, sondern gelten nur. Sie schweben nicht zwischen, außer
oder über dem Seienden; als Zusammenhangsformen mannigfaltiger Zustände
sind sie vorhanden nur in dem Denken eines Denkenden, indem es denkt, oder in
dem Wirken eines Seienden in dem Augenblick seines Wirkens. Beherrschen sie
nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft mit, so vermögen sie
doch auch dies nicht, weil sie über und außer allem Wirklichen und
allem Zeitverlauf in ewiger Glorie thronten, sondern nur, weil sie, in dem Wirklichen
wirklich, durch dessen Wirken jeden Augenblick neu entstehen. In unabgebrochener
Stetigkeit erhält durch sein Wirken das Seiende, und überliefert gleichsam
sich selbst von Augenblick zu Augenblick, dieselben Formen seines Seins, seiner
Zustände und des Zusammenhanges derselben, und erzeugt so in jedem Moment
die Bedingungen der Macht wieder, welche die Wahrheit auf es selbst ausübt.
Wäre es denkbar, daß der Weltlauf in einem Augenblick die bewirkenden
Ursachen dessen nicht enthielte, was die Wahrheit geböte, so wäre diese Wahrheit nicht mehr in der Welt, und gewiss, wer sie auch
dann noch außer der Welt, in ihrer stillen Gültigkeit bestehend denken
wollte, würde nicht zu sagen wissen, wie es geschehen könnte, das
die Wirklichkeit ihr wieder unterworfen würde.
Unmöglich ist es daher, dass in irgendeiner Weise ein Reich ewiger
Wahrheiten außer Gott als Gegenstand seiner Anerkennung, oder
vor ihm als Richtschnur seines Wirkens bestehe, und diese Unmöglichkeit
verschwindet nicht, wenn wir die beiden räumlich-zeitlichen Ausdrücke
vermeiden, deren bildlichen Gebrauch wir uns eben verstatteten. Nur ein nutzloser
Wechsel der Bezeichnung würde es sein, wenn wir jene Wahrheiten nicht außer
und vor Gott, sondern in und mit ihm sein ließen; als allgemeine Notwendigkeiten
gedacht, denen das göttliche Wesen nur als ein Beispiel neben anderen unterläge,
würden sie auch dann noch jene unmögliche über alle Wirklichkeit
hinausreichende und ihr vorangehende Geltung beanspruchen, die wir ihnen absprechen
mußten, und würden ebendeshalb zugleich fremde beschränkende
Bedingungen für das sein, wodurch das Wesen Gottes sich von allen anderen
Beispielen ihrer Macht unterschiede.S.146-150
Die Schöpfung
als Wille, als Tat, als Emanation
In Schöpfung, Erhaltung und Regierung zerlegt das religiöse Nachdenken die Beziehung Gottes
zur Wirklichkeit, und diese drei Begriffe von göttlichem Walten
machen wir zunächst zum Gegenstand einer Frage nach dem Formellen des Verhältnisses,
welches sie zwischen Gott und der Welt bezeichnen; noch unberührt lassen
wir den Ursprung des erfinderischen Gedankens, durch den Gott
dem Geschaffenen Inhalt, dem Bestehenden Ordnung, dem Geschehen Plan und Richtung
gegeben hat.
Die Schöpfung kann nicht in dem Sinne Gegenstand der Forschung sein, daß
wir einen Hergang ihres Zustandekommens suchten; es gibt solche Hergänge
nur innerhalb einer schon bestehenden Welt, deren wirkungsfähige Elemente
gesetzlich zur Erzeugung eines Erfolges verbindbar sind. Aber Schöpfung,
als geschehen gedacht, begründet auch ein bleibendes
Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf, dessen Sinn
und religiösen Wert wir um so mehr zu überlegen haben, als er nicht
übereinstimmend von allen gedeutet wird. Ist die
Wirklichkeit ein Erzeugnis des göttlichen Willens allein? oder ist sie
eine Tat Gottes? oder endlich ein willenloser Ausfluss seiner Natur? Indem wir die erste dieser Fragen bejahen, haben wir die Bestimmung des religiösen
Gefühls nur teilweise für uns; in der Gegenwart namentlich dürfte
sie geneigter sein, nur in einer Tat Gottes das zu finden, was sie mit dem Begriffe
des Schaffens überhaupt will. Denn einen lebendigen Gott, nach dem es sich
sehnt, glaubt das Gemüt nur dann zu besitzen, wenn ihm erlaubt ist, von
einer Schöpferarbeit zu sprechen, in welcher Gott jeden kleinsten Teil
der entstehenden Wirklichkeit mit seinem lebendigen Wesen durchdringend, erst
in Wahrheit erzeugen würde, was nach unserer Auffassung nur bei Gelegenheit
seines Willens wie aus sich selbst entstehen würde.
Wenn eine Bewegung unserer Glieder auf unsern Willen nur zu folgen schiene,
so würden wir sie kaum mehr für unsere ansehen; sie würden unserem
eignen Wesen so fremd sein, wie uns in der Tat die weiteren Erfolge erscheinen,
die unser Tun in der Außenwelt fortwirkend hervorbringt: sie rühren
zwar von uns her, aber wir sind nicht mehr in ihnen gegenwärtig. Nun ist
es nicht so; ganz unmittelbar glauben wir vielmehr im Augenblicke der Bewegung
zu fühlen, wie unser Wille selbstarbeitend in die Glieder übergeht;
ganz unmittelbar meinen wir jeden kleinsten Nachlass oder Zuwachs der Spannung
mitzuempfinden, den er von Moment zu Moment wechselnd in den lebendigen Gliedern
hervorbringt; und alles dies geschieht nicht wie fern von uns, so dass
wir es mittelbar erführen, sondern wir selbst glauben an jedem Punkte gegenwärtig
zu sein, an welchem sich diese Vorgänge ereignen; ja es scheint uns, als
fühlten wir deutlich, wie unsere tätige Kraft auch in den behandelten
fremden Gegenstand wirksam übergeht und das Nicht-Ich gleichsam in seiner
eigenen Heimat durchdringt und bändigt. Dieser Selbstgenuss der eigenen
lebendigen Wirksamkeit ist es, was die Ansicht, welche Schöpfung nur als
Tat betrachten möchte, in dem Begriffe Gottes nichts missen will, und man
wird dies religiöse Bedürfnis in seinem Werte anerkennen können;
obgleich man diese Weise seiner Befriedigung irrig finden muss.
Denn eine bekannte psychologische Täuschung hat hier verleitet, den Unterschied
zwischen der Tat und dem, was nur aus uns folgt, da zu suchen, wo er nicht liegen
kann. Das Gefühl, welches unsere Bewegungen begleitet, ist eben nicht die
Empfindung unsers Willens in dem Schwunge seiner den Erfolg erzwingenden Tätigkeit,
sondern die Wahrnehmung der Effekte des Willens, nachdem sie auf völlig
unwahrnehmbare Weise hervorgebracht sind. Unser Wille erzeugt nicht eigentlich
die Bewegung in dem Sinne, welchen jene Ansicht beständig meint; sondern
an jeden augenblicklichen Willen, sofern derselbe ein bestimmter Zustand der
Seele ist, knüpft sich gemäß einem Zusammenhange der Naturwirkungen,
der unserer Einsicht ebensosehr wie unserer Willkür entzogen ist, als unvermeidliche
Folge eine bestimmte Bewegung an. Indem diese Bewegung geschieht oder nachdem
sie geschehen, erhalten wir von dem veränderten Zustande der Glieder, den
sie herbeigeführt oder in dem sie besteht, zu uns zurückkehrende Empfindungen,
die uns wohl verraten, was als Folge des Willens in uns entstanden ist, aber
nicht die mindeste Andeutung über die Art und Weise geben, in welcher diese
Folge zustande gebracht worden ist.
Was unsere Tat zu unserer Tat macht und sie von dem unterscheidet, was aus uns,
wäre es auch aus unserem Willen, nur folgt, das besteht nicht in einem
solchen Herausgehen des tätigen Wesens über die Grenzen seines eigenen
Selbst, daß es in dem fremden Objekt seiner Wirksamkeit, worein es sich
arbeitend ergösse, noch es selbst bliebe; Folgen des Willens, unvermeidliche
und eines besonderen Verwirklichungsanstoßes unbedürftige Konsequenzen
desselben, sobald er selbst einmal bestimmt vorhanden ist, sind alle Taten,
und sie gleichen in dieser Art ihrer Entstehung dem vollkommen, was aus anderen
Zuständen unseres Innern willenlos oder aus einem auf andere Ziele gerichteten
Willen nebenbei entspringt. Das Wesentliche der Tat ist
nur, dass sie Folge eines Willens ist, der sie und keine andere wollte,
nicht Folge eines Gefühls, einer Vorstellung oder irgendeines anderen inneren
Zustandes, welcher nicht Wille ist. An der wirklichen Erzeugung seines
Erfolgs kann der Wille verhindert werden; aber mehr als den festen und durch
keine andere Neigung gehinderten Willen kann niemand beitragen, um den Erfolg
zu seiner Tat zu machen; sie gehört uns dadurch zu, dass wir sie wollen
und nicht durch zweideutiges Wollen selbst dem Mechanismus Hindernisse bereiten,
der sie als notwendigen Erfolg aus unserm Willen hervorgehen lässt;
nirgends aber gibt es eine Arbeit, durch welche wir noch einmal tätig unserem
Willen seinen Erfolg zu verschaffen vermöchten oder nötig hätten.
Arbeit ist für das endliche Wesen die Summe aller der vermittelnden Wirkungen,
die es anregen muss, weil sein Wille nicht unmittelbaren Einfluss
auf die fremden Objekte hat, welche seine Absicht umzuformen strebt; es fühlt
sich aber das endliche Wesen arbeitend in dem Maße und so weit, als der
Zusammenhang der Naturwirkungen ihm unmittelbare Empfindungen von den Folgen
seines Tuns zuführt; daher scheinen die Bewegungen unsers eigenen Leibes
uns ausschließlich als unsere Arbeit am Erfolge, die erzielten Veränderungen
der Außenwelt nicht, weil wir sie nur mittelbar als geschehene Tatsachen,
nicht durch ein direktes Gefühl als unsere Anstrengung wahrnehmen. Für
Gott aber kann Arbeit in diesem Sinne nicht stattfinden, denn sein Wille findet
nicht an einer Fremdartigkeit der Objekte seines Handelns dieselbe Schranke,
wie der unsere; jener Selbstgenuß der eigenen Lebendigkeit und Wirksamkeit
aber kommt aus demselben Grunde dem göttlichen Wesen schrankenlos zu; denn
in unabgestufter und gleich inniger Beziehung zu allen Teilen der vorhandenen
oder der beginnenden Wirklichkeit stehend, wird es j e d e Folge, die aus seinem
Willen entspringt, unmittelbar als das inne werden, was sie ist, und nirgends
ist für Gott ein aus seinem Willen fließendes Ereignis denkbar, welches
für ihn eine so fremde Entwicklung eines Äußeren wäre,
wie es für uns allerdings die letzten Verzweigungen einer von uns angeregten
Reihe von Ereignissen sein müssen.
Abschließend können wir daher behaupten: lebendiger wird Gott dadurch
nicht gefasst, dass man sein Schaffen als Arbeit bezeichnet, denn
alle Arbeit, sofern sie mittelbares Wirken ist, gehört nur dem Endlichen;
der göttliche Wille erarbeitet nicht den Erfolg, sondern ist dieser Erfolg;
lebendiger wird er auch dadurch nicht gefasst, dass man die Schöpfung
als seine Tat, nicht als bloße Folge seines Willens bezeichnet, denn dieser
Unterschied besteht nicht, sondern jede Tat ist nur die Folge des Willens; eben
dann aber, wenn man jeden Begriff eines vermittelnden Wirkens oder einer Arbeit
oder einer aus sich herausgehenden Tat fallen lässt und göttliches
Wollen und Vollbringen gleichsetzt, ist die lebendige Durchdringung des Geschöpfes
durch den Schöpfer und jener Selbstgenuss der eignen Wirksamkeit schrankenlos
in Gott mitgedacht, der uns endlichen Wesen nur auf dem Umwege der freundlichen
psychologischen Täuschung, deren wir gedachten, teil wird.
Fassen wir nun die Schöpfung nicht als Tat, wie verhalten wir uns dann
zu jener andern Ansicht, welche sie als Ausfluss
der göttlichen Natur oder in der bestimmteren Form, die uns allein noch
interessieren könnte, als Emanation aus der göttlichen Intelligenz
betrachtet?
War es unsere Absicht, der Meinung beizutreten, welche die Phantasie
Gottes zwar als Erfinderin und Vorzeichnerin des möglichen Weltinhaltes
ansieht, aber die Verwirklichung desselben von dem Willen erwartet, der aus
vielen vorschwebenden möglichen Welten nur eine, die beste, zum Dasein
berufe? Auch diese Spaltung der göttlichen Tätigkeit müssen
wir im Gegenteil als einen Irrtum bezeichnen.
Vor allem würde es doch nicht der Wille, sondern
wieder die Einsicht Gottes sein, welche unter vielen möglichen Welten die
beste auffände; nicht die Wahl, sondern nur die Verwirklichung der gewählten
würde das Werk des Willens sein. Aber ich fürchte, dass
für dieses Werk nur derjenige einen eigentümlichen Inhalt angeben
könnte, der Wirklichkeit in einem für uns vollständig unbegreiflichen
Hinaustreten oder Hinaussetzen der Welt aus Gott sucht. Lassen wir dies unmögliche
räumliche Bild fallen, wodurch unterscheiden wir dann die verwirklichten
Gedanken Gottes von denen, die unverwirklicht nur seiner Phantasie vorschweben?
Doch wohl nur nach Analogie derselben Weise, in welcher wir auch unsere eigenen
Vorstellungen leerer Möglichkeiten von Wahrnehmungen des Wirklichen, unausgeführte
Entwürfe von wirksam gewordenen Beweggründen unsers Handelns unterscheiden.
Auch alle diese leeren Möglichkeiten haben die Wirklichkeit, deren sie
ihrer Natur, der Natur ihres Inhalts nach, fähig sind; sie bestehen als
unsere Gedanken, als Bewegungen unsers Gemüts und wirken in uns so viel,
als ihnen ihr Inhalt und diese Form ihrer Existenz, unsere Zustände zu
sein, gestattet. Aber es zeigt sich später, dass sie als Beweggründe
unsers Handelns gedacht die zureichenden Gründe eines wünschenswerten
Erfolges nicht sein würden und deswegen werden sie wirksame Beweggründe
unsers Handelns nicht; oder es zeigt sich, daß sie, als Wahrnehmungen
betrachtet, Gründe der Folgen in der Erscheinungswelt nicht sind, die wir
ihnen zutrauten, und so erscheinen sie uns als Täuschungen; nicht, weil
sie überhaupt nichts wären oder nicht wären, sondern weil sie
in dem Zusammenhange der Dinge außer uns wirkungslos sind.
Auch in Gott unterscheiden wir die unverwirklichten Gedanken
nicht anders von den verwirklichten; nicht dadurch, dass viele gleich mögliche
Welten ihm vorschwebten und der Wille eine von ihnen durch eine Tat, deren Inhalt
ganz unangebbar bleiben müßte, zur Wirklichkeit machte. Denn
als gleich mögliche hätten sie alle schon Wirklichkeit gehabt, und
es gäbe nichts Denkbares mehr, wodurch der wählende Wille als durch
eine nun erst zu erzeugende Wirklichkeit eine von ihnen noch hätte bevorzugen
können. Was unverwirklicht geblieben ist, das stand, wenn überhaupt
hiervon in menschlicher Weise zu reden erlaubt ist, von Anfang an vor dem Wissen
Gottes deutlich in seiner Folgenlosigkeit, in seinem Mangel an Konsequenz, durch
die es Grund einer fortwirkenden Weltordnung hätte
werden können, in seiner Unvereinbarkeit mit dem, was Gottes Wille zum
Inhalt der Schöpfung bestimmte. In uns endlichen Wesen kann es dauernde
Täuschungen und unausführbare Entwürfe geben, denen wir dennoch
nachhängen; denn uns werden die Zielpunkte unsers Handelns mit unvollständiger
Übersicht ihrer Ersprießlichkeit durch den Lauf äußerer
Umstände dargeboten, unsere Kenntnis der Wirklichkeit aber nicht durch
unmittelbar die Sache durchdringendes Wissen, sondern durch Ausdeutung subjektiver
Erregungen erworben. Nicht so in Gott; und nicht von gleicher Möglichkeit,
sondern von ursprünglich erkannter Unmöglichkeit dessen, was nicht
geschaffen ist, müssen deshalb unsere Gedanken über sein schöpferisches
Walten ausgehen.
Aber sie bedürfen, so ausgedrückt, noch einiger Berichtigung und Erläuterung.
Nicht dies können wir vor allem meinen, daß vor Gottes Wissen die
Bilder verschiedener Welten als an sich mögliche oder unmögliche ebenso
gestanden haben, wie uns, kraft unseres Bewußtseins von den Gesetzen einer
von uns unabhängigen Welt, manche Kombinationen unserer Vorstellungen als
an sich unmögliche oder in dieser Wirklichkeit unausführbare erscheinen.
Es gab für Gott nicht eine Wirklichkeit in welcher
er seine Schöpfung zu verwirklichen hatte, noch Gesetze, die vor ihm Mögliches
und Unmögliches an sich bestimmten. Sondern indem Gott den Gedanken seiner
Welt dachte und wollte, schuf er in ihm die Konsequenz mit, durch die es geschehen
konnte, dass leere Bilder anderer Wirklichkeiten als unvereinbar mit dieser
Welt mitentstanden; der Grund und Boden, auf dem es einen Unterschied des Möglichen
vom Unmöglichen und vom Wirklichen gibt, ist ein Späteres als die
Wirklichkeit des ersten Wirklichen. Und ferner meinen wir nicht, zwischen
diesen beiden Gedankenkreisen des Gewollten und des ihm Fremden habe Gott so
unterschieden, dass er den Inhalt des ersten verwirklicht, den des zweiten
durch Vorenthaltung seiner verwirklichenden Tätigkeit in der ewigen Nichtigkeit
eines leeren, eines bloßen Gedankens zurückgehalten habe; wir wiederholen:
es ist schlechthin unsagbar, worin der Unterschied beider Lose bestehen könnte,
wenn man ihn durch eine Tat Gottes gestiftet denkt und nicht seine Bedeutung
in dem Unterschiede dessen sucht, was das Verwirklichte und das Nichtverwirklichte
ist.
Gottes Gedanken sind sie beide; aber die Gedanken des Nichtseienden sind die,
die um ihres Inhalts, um ihrer eigenen Folgelosigkeit, ihres Unzusammenhangs
und der Fortgangslosigkeit ihrer Bestandteile willen weder Welten bilden, noch
mit den Gedanken des Seienden, welche die des Zusammenhanges und der Konsequenz
sind, in Verknüpfung treten können. So erscheinen sie vor Gottes Bewusstsein
als unverbunden mit der Welt, die er will und in die ihr eigener Inhalt wirksam
einzugreifen sie unfähig macht, und dem endlichen Wesen erscheinen sie
als nichtseiend. Denn sein Denken zwar kann die leeren Bilder derselben ebenfalls
erzeugen, aber nirgend entdeckt es eine Spur ihres wirksamen Zusammenhanges
mit der Ordnung der Dinge, welche ihm, dem endlichen, von seinem Standpunkt
aus die Wirklichkeit heißt, weil sie der Gedanke Gottes ist, in dem es
selbst seinen Ort hat und der auf es mit der Fülle seiner Konsequenz wirkt.
Ihm erst entsteht nun die Täuschung, als sei diese Wirklichkeit, d. h.
die Wirksamkeit des Wirklichen, welche die Folge seines Inhalts ist, durch einen
stets undefinierbar bleibenden Akt der Verwirklichung des an sich nur Möglichen
herbeigeführt.
Und endlich dürfen wir wohl nicht mehr befürchten, dahin missverstanden
zu werden, als hätten wir jetzt eben die Welt als Emanation aus der göttlichen
Intelligenz dargestellt, nicht sie aus seinem Willen stammend gedacht. Als Erzeugnis
seines Willens freilich möchten wir sie nicht bezeichnen, um nicht von
neuem den zurückgewiesenen Gedanken einer besondern Verwirklichungstat
zu wecken. Gewollt aber nennen wir die Welt dennoch durch Gott, und eben erst
haben wir mehrmals diesen Ausdruck vorgreifend gebraucht. Nur für das endliche
Wesen ist der Wille vorzugsweise Trieb zur Veränderung, zur Herstellung
dessen, was nicht war; seine eigentliche Natur aber ist doch nur jene Billigung,
durch welche der Wollende das Gewollte sich selbst zurechnet, gleichviel ob
es ein in Zukunft erst zu Verwirklichendes oder ein in ewiger Wirklichkeit Seiendes
ist.
Dem endlichen Geiste führt ein von ihm unabhängiger
Weltlauf die Objekte seines Tuns nacheinander zu; um so mehr sucht er sein Wollen
in der Beweglichkeit, die Nichtseiendes erzeugt, Seiendes ändert oder aufhebt
und wenigstens durch ihr Benehmen sich selbständig gegen die Veranlassungen
beweist, welche sie nicht ebenso selbständig herbeiführen konnte.
Und doch liegt am Ende auch für den menschlichen Geist das Bedeutsamste
des Willens nicht in dieser Beweglichkeit des veränderungerzeugenden Triebes,
sondern in der Billigung oder Missbilligung, mit welcher der ganze Mensch
sich selbst will oder nicht will, sich selbst annimmt oder verwirft.
Diesen gleichförmigen und wandellosen Willen haben
wir mit dem göttlichen Gedanken der Welt verbunden oder ewig auf ihm ruhend
gedacht; als bloßes Schlussglied einer Überlegung, die
nur die willenlose Einsicht Gottes in sich durchgeführt hätte, konnten
wir ihn nicht fassen, ohne das göttliche Wesen dem Bilde des endlichen
Geistes ungehörig zu verähnlichen. Und nicht unmöglich wäre
der Nachweis, dass überhaupt willenlose Intelligenz so wenig, als
einsichtsloser Wille denkbar ist; ihn hier zu führen hält uns die
Erinnerung daran ab, wie weit wir bereits in ein Gebiet uns eingelassen haben,
auf welchem zahllose Missverständnisse sich an jeden der unvollkommenen
Ausdrücke knüpfen können, die wir hier anwenden mussten,
um die nicht zu vermeidenden äußersten Grenzen des menschlich Vorstellbaren
überhaupt nur zu bezeichnen. S.161-171
Der
Ursprung der Wirklichkeit
Die Unableitbarkeit des erfinderischen Gedankens, aus
welchem die Formen der natürlichen Wirklichkeit, und wir können
jetzt hinzufügen, auch die des geschichtlichen Weltlaufs
entspringen, geben wir vollständig zu, um einen erneuten Versuch
in dieser Richtung zu wagen.
Aber von den Motiven, die überhaupt zu solchen Bestrebungen drängen,
ist das eine für uns unwirksam geworden. Ein Reich ewiger Wahrheiten, formeller
Notwendigkeiten, abstrakter Grundlinien aller spätern Wirklichkeit, geht
uns nicht mehr als ein absolutes Prius in dem göttlichen Wesen so voran,
dass die bunte farbenreiche Formenwelt des Wirklichen ihm gegenüber als
ein gänzlich Neues, eine Tat der Freiheit erscheinen müsste, die in unberechenbaren Gestalten spielend sich diesem
Fremden unterwürfe.
Die ewigen Wahrheiten sind für uns nur die Verfahrensweisen des Schaffens
selbst; nicht vor ihm, sondern nach ihm bestehen sie als Gesetze, denen die
Erzeugnisse der schöpferischen Tätigkeit untertan scheinen. Und zwar
holen wir jetzt im Vorbeigehen eine genauere Bestimmung nach, die wir oben der
Deutlichkeit opferten. Nicht unmittelbar kann eigentlich ein Gesetz oder kann
die Summe der ewigen Wahrheiten als Verfahrensweise irgendeiner Macht gelten;
denn Wahrheiten und Gesetze bestimmen nur das gegenseitige Verhalten der verschiedenen
Taten einer Kraft, aber sie geben den Inhalt selbst nicht, der in diese Verschiedenheiten
zerfallen kann. Erst wenn die Macht dadurch, dass
sie Bestimmtes, dies und kein anderes erzeugt, einen konkreten Inhalt hat, nennen
die Gesetze die Bedingungen der Abänderung dieser ihrer lebendigen Tätigkeit.
Ist daher allerdings aus den allgemeinen notwendigen Wahrheiten der Grund
nicht ableitbar, warum diese, nicht eine andere
Wirklichkeit besteht, so ist anderseits dieser Versuch für uns auch
keine Aufgabe mehr: die Richtung der ewigen Macht, welche zu dieser bestehenden
Formenwelt führte, ist vielmehr die ursprüngliche
erste und einzige Wirklichkeit, und indem oder
nachdem sie wirkt, erscheint sie dem Denken, das selbst als ihr Erzeugnis in
sie eingeschlossen ist, unter dem doppelten Gesichtspunkte eines lebendigen
Schaffens nach bestimmter Richtung und einer Tätigkeit, die in ihrem Verfahren
allgemeinen Gesetzen folgt; nun erst ist dem Denken die Veranlassung
gegeben, auch von anderen Richtungen jenes Schaffens zu träumen, die nicht
sind, und welche überhaupt nur denken zu können bereits auf der Wirklichkeit
der Richtung, welche ist, und auf der inneren Gesetzlichkeit beruht, welche
die schaffende Kraft in ihr befolgt.
Vollkommenen Abschluss gewährt jedoch diese Betrachtung nicht. Selbst
unter der Voraussetzung, dass es sich nur um eine natürliche
Weltordnung handelte und von einer Welt der Werte und des Guten keine Rechenschaft
zu geben wäre, würde sie doch nur befriedigen, wenn einleuchtend
zu machen wäre, wie aus dem Inhalt, den die schaffende Kraft zu verwirklichen
strebt, die Summe der ewigen Wahrheiten als eine Abstraktion folgt, welche das
allgemeine, in Erzeugung aller Teile dieses Inhalts selbstverständliche
Verfahren der Kraft aussondert.
Es ist keine Hoffnung auf eine solche Leistung vorhanden. Zwar wird man mit
Recht eine Schwierigkeit hervorheben, welche sie für uns unmöglich
machte, auch wenn der nachzuweisende Zusammenhang an sich bestände: wir
kennen nur einen sehr geringen Teil der Wirklichkeit, nur die irdische Natur;
nicht die Formen des Daseins und Geschehens, welche anderswo bestehen, nicht
den Zusammenhang zwischen ihnen und unserem Erfahrenskreise; wir können
also die Tendenz der schöpferischen Kraft, den erfinderisch
gestaltenden Gedanken, dem sie folgt, gar nicht in einem Begriffe fassen, welcher ihn vollständig, erschöpfend und ohne Einseitigkeit bezeichnete;
unmöglich ist es uns deshalb, aus der fragmentarischen Ansicht, die uns
allein von dem Zusammenhang und dem Sinn der Natur gegeben ist, die allgemeinen
Gesetze ihres Verfahrens ebenso abzuleiten, wie sie aus dem vollständigen
Inhalte der schaffenden Idee für den, welcher diese kännte, als abstrakter
Ausdruck ihres Wirkens hervorgehen würden. Ich zweifle nun nicht daran,
dass eine so alles umfassende Kenntnis des Naturzusammenhanges eine Menge unsere
gewöhnlich eingenommenen Gesichtspunkte zu verlassen nötigen, viele
Rätsel zum Verschwinden bringen, manche Fragen ganz umgestalten würde;
allein die schwierige Überlegung, ob sie auch jene ihr zugetraute Leistung
ermöglichen werde, darf ich mir ersparen, weil ich mit dem Leser die Überzeugung
zu teilen hoffe, dass eben diese schrankenlose Einsicht in die Natur die Ungültigkeit
jener Voraussetzung zeigen würde, es würde sich finden, dass eine
bloße Gestaltungskraft in der Welt nicht wirkt, sondern dass der erfinderische
Gedanke, der ihr Formen bestimmt, in unauflöslicher Verkettung mit dem
Reiche der Wertbestimmungen und des Guten steht. Die geringere Frage,
wie die allgemeinen Gesetze mit dem formgebenden Gedanken zusammenhängen,
geht daher in der höheren unter, in welcher Beziehung beide zu dem ewig
Wertvollen stehen.
Der religiöse Glaube pflegt ein höchstes Gut
als den leitenden Zweck, eine freie schöpferische
Phantasie Gottes als das Mittel, dem Zwecke Wirklichkeit zu geben, die ewige
Wahrheit als das Gesetz zu betrachten, nach welchem diese Phantasie und die
von ihr geschaffenen Erzeugnisse wirken. Böte uns nun die Welt den
unzweideutigen Anblick einer mangellosen Übereinstimmung dieser drei Prinzipien,
so könnte man den Versuch ihrer Vereinigung für ausführbar halten.
Zwar die schöpferische Phantasie würde man nie eigentlich aus dem
höchsten Gut ableiten können; denn kein Zweck, abgesondert für
sich betrachtet, bestimmt mehr als gewisse allgemeine Forderungen, die durch
mancherlei Mittel erfüllbar erscheinen; und ebenso wenig möchte die
Ableitung der Gesetze aus der Richtung gelingen, welche jene Phantasie genommen
hätte. Aber es wäre vielleicht erweisbar, dass ebenso wie die Macht
nicht an sich, sondern nur als wirksam nach bestimmter Richtung denkbar ist,
so auch das Gute, in seiner Allgemeinheit gedacht, nur eine spätere Abstraktion
aus einem bestimmten geformten Guten sei, welches dann nicht als ein gestaltloser,
die Art seiner Ausführung noch erwartender Zweck der kommenden Wirklichkeit
gegenüberstände, sondern unmittelbar identisch wäre mit dem,
was wir die Richtung der schöpferischen Phantasie nannten. Nur eines wäre
dann: nur die eine wirkliche Macht, die uns unter dem
dreigestaltigen Bilde eines zu verwirklichenden Zweckes erschiene: zuerst ein
gewollter bestimmter Wert, um dieser Bestimmtheit willen eine geformte und sich
formende Wirklichkeit, endlich in diesem Wirken eine ewige Gesetzlichkeit zu
sein. S.179ff.
Das Übel
und das Böse
Ehe ich dieser Auffassung, in welcher ich meinen philosophischen Glauben ausdrücke,
die letzte Erläuterung gebe, die ich ihr geben kann, hebe ich das entscheidende
vollkommen unübersteigliche Hindernis hervor, welches ihre wissenschaftliche
Durchführung hindert: das Dasein des Übels und
des Bösen in der Natur und in der Geschichte. Es ist ganz nutzlos,
die verschiedenen Versuche zur Lösung dieser Frage zu zergliedern: den rettenden Gedanken hat hier niemand gefunden, und
ich weiß ihn auch nicht. Man mag sagen, dass nur im Kleinen das Übel
sich zeige, für die Ansicht des großen Ganzen verschwinde; aber was
hilft ein Trost, dessen Kraft von der Anordnung der Periode abhängt? Denn
was wird aus ihm, wenn wir ihn umkehren: im Großen ist zwar Harmonie,
aber näher betrachtet die Welt voll Elend?
Wer das Übel als Mittel göttlicher Erziehung rechtfertigt, denkt nicht an die Leiden der Tierwelt, nicht an die unbegreifliche
Verkümmerung so vieles geistigen Lebens in der Geschichte, und beschränkt
Gottes Allmacht; denn jede Erziehung wendet Übel
nur an, weil es nicht anders geht.
Wer endlich diese Beschränkung nicht verstohlen, sondern offen zugibt,
mit Leibniz in jedem unvermeidlichen Zwiespalt zwischen
der Allmacht Gottes und seiner Güte für die letztere sich entscheiden
zu müssen glaubt, und das Übel aus den Schranken erklärt, welche
die unvordenkliche Notwendigkeit der ewigen Wahrheiten auch der freien Schöpfertätigkeit
entgegensetze, auch der befriedigt uns nicht. Denn es ist die unerweislichste
aller Behauptungen, dass an dem Übel in der Welt
die Gültigkeit der ewigen Wahrheiten Schuld sei; für jeden
unbefangenen Blick auf die Natur hängt es im Gegenteil von den bestimmten
Einrichtungen der Wirklichkeit ab, neben denen auf Grund derselben ewigen Wahrheiten
auch andere Einrichtungen denkbar sind. Hält man
jene Trennung, die wir nicht zugeben, zwischen den notwendigen Gesetzen und
der schöpferischen Freiheit Gottes fest, so gehört für uns zweifellos
das Übel zu demjenigen, was nicht sein musste, sondern durch die Freiheit
geschaffen ist.
Ändern wir daher jenen Leibnizschen Kanon ein wenig: wo
ein unvereinbarer Widerspruch zwischen Gottes Güte und seiner Allmacht
vorliegt, entscheiden wir uns dafür, dass unsere menschliche Weisheit zu
Ende ist, und dass wir die Lösung nicht begreifen, an die wir glauben.
S.183ff.
Summe der
Weisheit
Selten haben wir nach langer Wanderung die Genugtuung, uns sagen zu dürfen,
dass wir keinem Gipfel vorbeigegangen sind, der eine Aussicht versprach,
jeden von seiner günstigsten Seite betreten, und nie durch kleine Reize
an eine Stelle länger als billig gefesselt, die bedeutungsvollere Fernsicht
einer benachbarten aufzusuchen versäumt haben. Noch weniger wird es uns
gelingen, die mannigfachen Stimmungen und Gedanken, die uns im Laufe des Wegs
entstanden, zu einem einfachen Erinnerungsbilde zusammenzufassen, ohne in ihm
vieles von dem wieder aufgeben zu müssen, was in seiner lebendigen individuellen
Färbung uns anzog und fesselte. Ich fühle jene Selbstvorwürfe
und diese Schwierigkeit, indem ich von einer Arbeit scheide, deren wesentlichen
Sinn ich gern noch einmal ausdrücken zu können wünschte. Es würde
vergebens sein, dies anders als dadurch zu versuchen, daß ich die leitende
wissenschaftliche Gesinnung noch einmal hervorhebe, die dem Ganzen zugrunde
lag: den Streit einerseits gegen alle Verehrung leerer Formen und gegen die
Wertüberhöhung dessen, was nur Voraussetzung
oder Folge, Mittel oder Erscheinungsweise des wahrhaft Wertvollen, Lebendigen
und Wesenhaften ist; und damit verschwistert den andern Streit gegen jede Schwärmerei,
welche das Höchste in anderer Weise lieber wirksam sehen möchte, als
in der, die es sich selbst gewählt oder die es auf kürzerem Wege erreichbar
glaubt als auf dem Umwege formaler Gesetzlichkeit, in welche es selbst sich
dahingegeben hat.
Aus dieser Gesinnung entsprang die Achtung vor dem wissenschaftlichen Wert mechanischer
Forschung in Natur und Geschichte, aus ihr zugleich die hartnäckige Ablehnung,
in allem Mechanismus mehr zu sehen als die im Denken isolierbare Form des Verfahrens,
die das höchste Wirkliche der lebendigen Entwicklung seines durch sie allein
nie erschöpfbaren Inhaltes gibt. Und nicht gegen die materialistischen
Ansichten allein galt uns dieser Kampf, sondern ebenso sehr
gegen jeden Idealismus, der ihnen gegenüber die bessere Sache zu verfechten
glaubt. Es schien uns völlig gleichgültig, ob
der wesentlichste Kern der Wirklichkeit, aus dem alles andere wie selbstverständliches
Nebenwerk hervorsprießen soll, in seelenlosen Atomen blinden Kräften
und mathematischen Gesetzen des Wirkens, oder ob er in denknotwendigen Begriffen
irgendwelcher Art, in relativen oder absoluten Ideen und den Gaukeleien ihrer
dialektischen Bewegungen, gesucht wird. Alle diese Ansichten würdigen ganz
gleichmäßig die Natur und die Geschichte dazu herab, Darstellungen
des unbedingt Gleichgültigen und Wertlosen zu sein, dessen Vorhandensein
in der Welt des Denkbaren nur begreiflich ist, wenn es als der letzte formelle
Widerschein des lebendigen Geistes und seiner lebendigen Tätigkeit gedacht
wird.
Und wie in der Erkenntnis, so schien es uns im Leben die Summe der Weisheit,
das Geringe nicht zu vernachlässigen, aber es nicht für groß
auszugeben; nur für das Große sich zu begeistern, aber im kleinen
getreu zu sein. Beistimmung haften wir weder für Bestrebungen, welche ohne
Achtung vor dem allgemeinen geistigen Mechanismus des Rechtes die menschlichen
Verhältnisse nach geistvollen Eingebungen ordnen möchten, noch für
jene, die in dem Dienste dieses Mechanismus erstarrt nur die Herstellung gesetzlicher
Tatbestände fordern. Als das Geringere erschien uns überall dem Besondern
gegenüber das Allgemeine, mit dem Einzelnen verglichen die Gattung, jeder
Tatbestand geringfügig gegen das Gut, das durch seinen Genuß entsteht.
Denn jene alle gehören zu dem Mechanismus, in den
sich das Höchste zur Erreichung seiner Zwecke gliedert; das wahrhaft Wirkliche,
das ist und sein soll, ist nicht der Stoff und noch weniger die Idee, sondern
der lebendige persönliche Geist Gottes und die Welt persönlicher Geister, die er geschaffen hat. Sie allein sind der Ort, in welchem es Gutes und
Güter gibt; für sie allein besteht die Erscheinung einer ausgedehnten
Stoffwelt, durch deren Formen und Bewegungen sich der Gedanke des Weltganzen
der Anschauung jedes endlichen Geistes zu seinem Teile verständlich macht.
Man mag dies Ende schwärmerisch finden; wir aber wiederholen ein früheres
Geständnis: der Anblick des Weltganzen ist überall
Wunder und Poesie, Prosa sind nur die beschränkten und einseitigen Auffassungen
kleiner Gebiete des Endlichen. Aber hinzufügen wollen wir das andere: es
ist nicht die Aufgabe des Menschen, den Namen dieses Wunders unnützlich
zu führen und in seiner beständigen Anschauung zu schwelgen, sondern
vor allem das bescheidenere Gebiet jenes Wissens zu pflegen, dessen Kraft uns
zwar nie bis zum Besitze des Gelobten Landes führen, aber die Richtung
nach ihm vor allzu weiter Abirrung behüten kann. S.199ff.
Aus: Hermann Lotze: Zusammenhang der Dinge, Für die Deutsche Bibliothek
herausgegeben von Max Frischeisen-Köhler Deutsche Bibliothek in Berlin