Lukrez lat. Titus Lucretius Carus (97 – 55 v. Chr.)

  Lateinischer Dichter und Philosoph, der das wohl bedeutendste Lehrgedicht des Altertums, das hexametrische Epos in 6 Büchern, »De rerum natura« (Über die Natur) schrieb. Darin stellt er vom Standpunkt Epikurs aus Kosmologie, Anthropologie und Psychologie dar, um die Menschheit von Götterfurcht und Aberglauben und der Angst vor dem Tod zu befreien. Scheinbare Wunder versucht er mit Hilfe der Vernunft zu deuten. Das unvollendete Werk wurde wahrscheinlich von Cicero aus dem Nachlass herausgegeben.

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Inhaltsverzeichnis
Die Götter haben die Natur nicht geschaffen
Die Götter genießen ihr unsterbliches Leben in tiefstem Frieden
Die Welt wird nicht von den Göttern regiert
Der Wohnsitz der Götter
Die Welt ist kein Götterwerk

Die Götter haben die Natur nicht geschaffen
Aber wenn manche dagegen, da sie des Stoffes nicht kundig,
daß die Natur nicht erklärt werden könne: wie ohne das Walten
sie der Götter so sehr gemäß dem Bedürfnis der Menschen
ändre die Zeiten des Jahres und schaffe die Früchte des Feldes
und das übrige, das zu suchen den Menschen gebietet
göttliche Wonne, selbst sie als Führer des Lebens geleitet
und durch der Venus Lust ihnen schmeichelt, die Art zu vermehren,
daß der Menschen Geschlecht nicht verschwinde: wenn alles die Götter
ihretwegen sie festsetzen lassen, scheinen in allem
sie mir sehr von dem wahren Gedanken sich zu entfernen.
Wüßt‘ ich gleich auch nichts von den Ursprungskörpern der Dinge,
möchte doch dies ich gerad aus des Himmels Plan zu behaupten
wagen und den Beweis dafür aus vielem andrem zu geben:
Keineswegs ist für uns auf göttliche Weise geschaffen worden
das Wesen der Welt: somit Schuld steht da sie beladen.

S.97

Die Götter genießen ihr unsterbliches Leben in tiefstem Frieden
Sein der Götter muß gänzlich nämlich für sich alleine
seines unsterblichen Lebens in tiefstem Frieden genießen,
fern von unseren Dingen, getrennt und weitab geschieden;
denn von jeglichem Schmerz befreit, befreit von Gefahren,
selber durch eigene Macht vermögend, nicht unser bedürftig,
wird von Verdienst es weder gewonnen, vom Zorne berührt nicht.

S.131

Die Welt wird nicht von den Göttern regiert

Hältst du gut das erkannt, so zeigt in der Folge zugleich sich,
daß befreit die Natur, der herrischen Zwingherrn entledigt,
selber, von sich aus, spontan, ohne Götter alles vollführet.
Denn ihr heiligen Herzen im stillen Frieden, ihr Götter,
die ihr friedliche Zeiten durchlebt und heiteres Leben,
wer vermag‘s, des Unermeßlichen All zu regieren,
maßvoll wer zu behandeln die mächtigen Zügel der Tiefe,
wer alle Himmel zugleich zum Kreisen zu bringen und alle
fruchtbaren Erden durch Feuer des Äthers mit Wärme zu füllen,
wer allen Ortes zugleich gewärtig immer zu weilen,
daß er Dunkel breite mit Wolken, das Heitre des Himmels
donnernd erschüttre, zudem die Blitze verschicke und häufig
eigene Tempel zerstöre und fort in die Wüste entweichend
wüte, mit Fleiß das Geschoß bewegend, das häufig die Schuldgen
ausläßt, des Lebens beraubt, die nicht es verdienen und schuldlos?

S.163f.

Der Wohnsitz der Götter
Ebenso kann man auf keinen Fall dies glauben, daß hehre
Sitze der Götter es gibt irgendwo in Teilen des Weltballs.
Weit ist nämlich entfernt von unseren Sinnen der Götter
zarte Natur, und kaum wird erkannt sie mit Sinnen der Seele;
da der Berührung, dem Schlag der Hände sie flüchtig entzieht sich,
darf anrühren sie nichts, was uns sich zeigt als berührbar;
kann doch berühren auch nicht, was selber sich nicht läßt berühren.
Darum muß auch ihr Sitz von unseren Sitzen verschieden
sein, das heißt geformt aus dem zarten Stoffe der Götter.
Das will später ich dir in breiter Rede beweisen.

S.363

Die Welt ist kein Götterwerk
Sagen aber, sie hätten wollen zugunsten der Menschen
rüsten das treffliche Wesen der Welt und es zieme sich darum,
auch das rühmliche Werk der Götter in Worten zu loben,
daß unsterblich es sei, zu glauben, und ewig es daure,
und es sei nicht recht, was in alter Weisheit der Götter
für der Menschen Volk gegründet worden für ewig,
das aus seinem Grund mit Gewalt je lockern zu wollen,
noch mit Worten zu plagen, von unten das Höchste zu stürzen:
übriges solcher Art hinzuzuerfinden ist, Memmius,
Wahnsinn! Was könnte denn auch unsterblichen, seligen Göttern
unsere dürftige Gunst schon reichliche Vorteile schenken,
daß drum unseretwegen etwas sie zu wirken begönnen?
Welches Ereignis konnte so spät die früher so stillen
locken zu einem Wunsche, das vorige Leben zu ändern?
Denn offenbar muß der sich an neuen Dingen erfreuen,
dem die alten sind leid; wenn nichts in verflossenen Zeiten
Schlimmes ihn traf jedoch, als schön er verbrachte das Leben,
was hätte solchem vermocht die Lust zu entzünden zu Neuem?
Oder wär‘ Unglück für uns, nicht geschaffen zu sein, es gewesen?
Lag etwa, denk ich, das Leben in Dunkel und Trauer,
bis der Tag der Geburt der Dinge sich zeigte im Lichte?
Wer auch immer geboren, muß nämlich im Leben zu bleiben
wünschen, solange verlockende Lust ihn zurückhält im Leben;
wer aber nie gar hat gekostet die Liebe zum Leben
noch dazu je gehört: nicht geschaffen zu sein, was verschlägt‘s ihm?

S.363f.
Aus: Titus Lucretius Carus, De rerum natura . Welt aus Atomen . Lateinisch und Deutsch
Übersetzt und mit einem Nachwort herausgegeben von Karl Büchner
Reclams Universalbibliothek Nr. 4257
© 1973 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages