Rosa(lia) Luxemburg (1871 – 1919 ermordet)

Sozialistische Politikerin jüdischer Herkunft, die in Zamosc/Polen geboren wurde und in Zürich Nationalökonomie studierte. Luxemburg beteiligte sich maßgeblich an der Gründung der »Sozialdemokratischen Partei des Königreiches Polen und Litauen«. 1897 ging sie nach Deutschland und trat dort in die SPD ein. Als Theoretikerin des linken Flügels der SPD wandte sich insbesondere gegen den Revisionismus. Zwischenzeitlich beteiligte sie sich in Warschau an der russischen Revolution von 1905. Zusammen mit Karl Liebknecht gründete sie während des 1. Weltkrieges den Spartakusbund, in dem sich radikale Gegner der »Burgfriedenspolitik« innerhalb der SPD zusammenschlossen und eine radikale Richtung der sozialistischen Demokratie vertraten, die sich nicht nur grundsätzlich gegen die parlamentarische Kompromissbereitschaft der SPD richtete, sondern auch gegen den diktatorischen Parteizentralismus Lenins. Luxemburg konzipierte das Programm der von ihr und den Spartakisten 1918/19 gegründeten KPD. Nach dem Scheitern des Spartakusaufstandes (1919) wurde sie mit Liebknecht von Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützendivision unter nicht eindeutig geklärten Umständen verschleppt, verhört, misshandelt und schließlich ermordet. Ihre Leiche wird am 31.05.1919 im Landwehrkanal gefunden.

Siehe auch Wikipedia
 

Gegen den Verrat der Kirche
So bringen die Sozialdemokraten überall dem Volk die Auferstehung, stärken die Verzweifelten, verbinden die Schwachen zu einer Macht, öffnen den Dumpfen die Augen, zeigen den Weg der Befreiung und rufen das Volk auf, das Königreich der Gleichheit, Freiheit und Nächstenliebe auf der Erde zu errichten. Die Diener der Kirche rufen das Volk dagegen überall nur zu Demut, Verzweiflung und geistigem Tod auf. Wenn Christus heute auf Erden erschiene, so würde er sicher mit diesen Priestern, Bischöfen und Erzbischöfen, die die Reichen schützen und vom blutigen Schweiß von Millionen leben, dasselbe tun wie damals mit jenen Händlern, die er mit dem Stock aus der Vorhalle des Tempels vertrieb, damit sie das Haus Gottes nicht durch ihre Schandtaten befleckten.

Deshalb musste zwischen dem Klerus, der Not und Unfreiheit des Volkes verewigen will, und den Sozialdemokraten, die dem Volk das Evangelium der Befreiung bringen, ein Kampf auf Leben und Tod entstehen wie zwischen der schwarzen Nacht und der aufgehenden Sonne. Wie die nächtlichen Schatten ungern und widerwillig vor der sonnigen Morgenröte weichen, so möchten die Kirchenfledermäuse jetzt mit ihren schwarzen Soutanen dem Volk den Kopf verhüllen, damit seine Augen nicht das aufgehende Licht der sozialistischen Befreiung erblicken. Da sie aber den Sozialismus nicht mit Geist und Wahrheit bekämpfen können, flüchten sie sich zu Gewalt und Unrecht. In der Sprache des Judas verbreiten sie schändliche Verleumdungen derjenigen, die dem Volk die Augen öffnen, durch Lüge und Verleumdung versuchen sie diejenigen zu verunglimpfen, die ihr Blut und Leben dem Volk zum Opfer bringen. Und schließlich heiligen und unterstützen diese Priester, diese Diener des goldenen Kalbes, die Verbrechen der zaristischen Regierung, segnen die Mörder des Volkes, stehen zum Schutz um den Thron des Letzten der Zarendespoten, der das Volk mit Feuer und Schwert unterdrückt, wie jener Nero in Rom die ersten Christen verfolgte!

R. Luxemburg: Kirche und Sozialismus (1905); Stimme-Verlag, Frankfurt, o. J., S. 43 f.
Auch enthalten in: Konfessionen des Marxismus, Quellentexte. Herausgegeben von Gerhard Isermann. Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen S.76f

Der Sozialismus und die Kirchen (leicht gekürzt)
Von dem Augenblick an, da die Arbeiter in unsrem Land und in Rußland entschieden gegen das zaristische Regime und die kapitalistischen Ausbeuter zu kämpfen begannen, ist festzustellen, daß sich die Priester immer häufiger in ihren Predigten gegen die kämpfenden Arbeiter wenden. Mit außergewöhnlichem Einsatz polemisierte der Klerus gegen die Sozialisten und tut alles, um diese im Ansehen der Arbeiter herabzusetzen.

Gläubige, die am Sonntag in die Kirche gehen, werden dort genötigt, sich statt einer Predigt aggressive politische Reden mit einem Verdammungsurteil des Sozialismus anzuhören.

Statt die Leute, die Sorgen haben und von ihren harten Lebensumständen niedergedrückt sind, zu trösten, polemisieren die Priester gegen die streikenden Arbeiter, gegen die Gegner der Regierung, mehr noch, sie rufen dazu auf, Armut und Unterdrückung mit Sanftmut und Geduld zu ertragen. Sie verwandeln die Kirche und die Kanzel in einen Ort der politischen Propaganda.

Die Arbeiter können versichert sein, daß der Kampf des Klerus gegen die Sozialdemokraten nicht von Letzteren provoziert worden ist. Die Sozialdemokraten haben es sich zu ihrer Aufgabe gemacht, die Arbeiter zum Kampf gegen das Kapital zusammenzuziehen und zu organisieren. Dieser Kampf gilt Ausbeutern, die aus den Arbeitern noch den letzten Blutstropfen herauspressen, er gilt der zaristischen Regierung, die das Volk knebelt. Nie haben die Sozialdemokraten die Arbeiter zum Kampf gegen den Klerus aufgerufen, noch sich in deren religiöse Ansichten eingemischt.

Die Sozialdemokraten, jene in aller Welt, wie jene in diesem Land, betrachten das Gewissen und die persönlichen Ansichten eines Menschen als etwas Heiliges. Jeder Mensch soll glauben dürfen und der Weltanschauung anhängen können, mit der er meint, glücklich zu werden. Niemand hat das Recht, die besonderen religiösen Ansichten eines anderen zu verfolgen oder anzugreifen. So denken Sozialisten. Und dies ist auch ein Grund unter anderen, weswegen sie das zaristische Regime bekämpfen, das Katholiken, Russisch-Katholische, Juden, Sektenmitglieder und Freidenker verfolgt. Es sind genau die Sozialdemokraten, die sich nachdrücklich für Gewissensfreiheit einsetzen. Deswegen, so sollte man eigentlich annehmen, müßte der Klerus die Sozialdemokraten unterstützen, die das sich schindende Volk aufzuklären versuchen.

Wenn wir die Lehren der Sozialisten kennen, ist der Haß des Klerus gegen sie noch unverständlicher.

Die Sozialdemokraten schlagen vor, der Ausbeutung des arbeitenden Volkes durch die Reichen ein Ende zu machen. Man sollte meinen, Diener der Kirche würden alles tun, um den Sozialdemokraten ihre Aufgabe zu erleichtern. Hat nicht Jesus Christus, dessen Diener die Priester doch sind, gelehrt, daß eher ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher ins Himmelreich komme? Die Sozialdemokraten versuchen in allen Ländern ein Regime zu errichten, das auf der Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit aller Bürger beruht.

Wenn es dem Klerus wirklich darum zu tun ist, daß das Gebot »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« im Alltag verwirklicht wird, müßte er die Propaganda der Sozialdemokraten begrüßen. Die Sozialdemokraten versuchen in einem verzweifelten Kampf durch Bildung und Organisation des Volkes, es aus seinem Zustand der Unterdrückung herauszuführen und dafür zu sorgen, daß es der nächsten Generation besser geht. Jeder sollte zugeben, daß zu diesem Zeitpunkt der Klerus den Sozialdemokraten Dankbarkeit schuldet, denn handeln diese nicht genau nach dem Wort Jesus Christus, der da sagte: »Was ihr tut diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan«?

Stattdessen sehen wir, wie einerseits der Klerus die Sozialdemokraten exkommunifiziert und verfolgt und andererseits von den Arbeitern verlangt, sie sollten sich weiter geduldig von den Kapitalisten ausbeuten lassen.

Der Klerus predigt gegen die Sozialdemokraten und will die Arbeiter davon abhalten, sich gegen ihre Herrn zu erheben. Brav sollen die Arbeiter die Unterdrückung durch eine Regierung ertragen, die wehrlose Menschen tötet, die Millionen von Arbeitern in die monströse Schlächterei des Krieges schickt, der Katholiken, Russische Katholiken und Altgläubige verfolgt. Auf diese Weise wird der Klerus, der sich zum Sprachrohr der Reichen, zum Verteidiger der Ausbeutung und Unterdrückung macht, zwangsläufig in flagranten Widerspruch zur christlichen Lehre geraten. Die Bischöfe und Priester sind nicht die Verkünder der christlichen Lehren, vielmehr beten sie das Goldene Kalb und die Knute an, mit der man die Armen und Hilflosen prügelt.

Jeder weiß, wie die Priester dem Arbeiter bei einer Hochzeit, einer Taufe und einem Begräbnis das Geld aus der Tasche ziehen. Wie oft ist es vorgekommen, daß ein Priester, der an das Lager eines Todkranken gerufen wird, um ihm die Sterbesakramente zu spenden, die Wohnung nicht eher verläßt, bis man ihm seine »Gebühr« bezahlt hat. Der Arbeiter muß seine letzte Habe verpfänden, damit seine Angehörigen der Tröstungen durch die Religion teilhaftig werden.

Es ist wahr, daß es auch Männer der Kirche ganz anderer Art gibt. Es gibt Priester voller Güte und Mitgefühl, die sich nicht zu bereichern suchen, sie sind immer bereit, den Armen zu helfen; aber man wird zugeben müssen, daß sie eher die Ausnahme denn die Regel darstellen. [...]

Die Arbeiter wundern sich, daß bei ihrem Kampf um Emanzipation die Diener der Kirche zu ihren Feinden und nicht zu ihren Verbündeten werden. Wie konnte es dahin kommen, daß die Kirche Bereicherung und blutige Unterdrückung verteidigt, statt ein Zufluchtsort der Ausgebeuteten zu sein? Um diesen seltsamen Vorgang zu begreifen, muß man einen Blick auf die Geschichte der Kirche werfen und die Veränderung betrachten, die die Kirche im Laufe der Jahrhunderte durchgemacht hat.

Die Sozialdemokraten streben den Zustand des »Kommunismus« an, genau dies wirft ihnen der Klerus vor allem vor.

Zunächst einmal ist es bestürzend festzustellen, daß die Priester, die gegen den »Kommunismus« kämpfen, damit auch die ersten christlichen Apostel verdammen. Denn diese waren nichts anderes als entschiedene Kommunisten.

Bekanntlich entwickelte sich die christliche Religion im alten Rom in einer Periode der Auflösung des Imperiums, das zuvor reich und mächtig gewesen war und jene Länder umfaßt hatte, die heute Italien und Spanien, Teile von Frankreich, Teile der Türkei, Palästina sind. Rom zur Zeit von Christi Geburt glich in vielem dem zaristischen Rußland. Auf der einen Seite gab es eine Handvoll reicher Leute, die in Müßiggang lebten, sich jeden Luxus und jedes Vergnügen leisten konnten, auf der anderen Seite stand die große Masse des Volkes, die in Armut verkam, über allem stand eine despotische Regierung, die sich durch Gewalt und Korruption an der Macht hielt und grausamste Unterdrückung übte. [...]

Es gibt nur einen Unterschied zwischen Rom und seiner Dekadenz und der des Zarenreiches: Rom kannte keinen Kapitalismus, Schwerindustrie gab es damals noch nicht. Zu dieser Zeit war die Sklaverei eine allgemein akzeptierte Einrichtung. Der Adel, die Reichen und die Finanzleute ließen Sklaven für sich arbeiten, die sie sich durch Kriege beschafften.

Im Laufe der Zeit legten diese reichen Leute ihre Hand auf fast alle Provinzen Italiens und nahmen der römischen Bauernschaft ihren Landbesitz fort.

Da sie sich Getreide kostenlos in Form von Tribut aus all den eroberten Provinzen beschaffen konnten, profitierten sie davon, auf ihren eigenen Besitzungen herrliche Plantagen, Weingärten, Weiden und Obstgärten anlegen zu lassen, die von Armeen von Sklaven, die die Peitsche der Aufseher antrieb, kultiviert wurden.

Die Leute vom Land, die keine Äcker mehr besaßen und kein Brot mehr hatten, strömten in die Hauptstadt. Aber auch dort waren sie nicht besser dran, denn alle Berufe wurden von Sklaven wahrgenommen. So entstand die große Masse derer, die nichts besaßen — das Proletariat. Wer dazugehörte, hatte nicht einmal die Möglichkeit, seine Arbeitskraft zu verkaufen. Das Proletariat, das durch Zuzug vom Land entstand, wurde nicht wie heute von den Industriebetrieben aufgesogen, es wurde das Opfer ärgster Armut, dazu verdammt, vom Betteln zu leben. Diese Massen, die ohne Arbeit waren und die Vororte und offenen Plätze und Straßen in Rom bevölkerten, stellten eine ständige Gefahr für die Regierung und die Besitzenden dar. Deshalb sah sich die Regierung im eigenen Interesse gezwungen, etwas gegen die Armut zu tun. Von Zeit zu Zeit verteilte sie Getreide oder Lebensmittel aus staatlichen Lagerhäusern unter das Proletariat. Um diese Menschen ihre Not vergessen zu machen, bot man ihnen kostenlos Zirkus.

Im Gegensatz zum Proletariat unserer Zeit, das die gesamte Gesellschaft durch seine Arbeit erhält, existierte das Proletariat von Rom von milden Gaben.

Es waren die elenden Sklaven, die man wie Tiere behandelte, die für die römische Gesellschaft arbeiteten. In diesem Chaos von Armut und Erniedrigung verbrachte eine Handvoll römischer Magnaten ihre Zeit mit Orgien und Völlerei. Es gab keinen Ausweg aus diesen sozialen Mißständen. Von Zeit zu Zeit begehrte das Proletariat auf, aber eine Klasse von Bettlern, die von den Bröseln lebt, welche vom Tisch der Herren fallen, kann keine neue soziale Ordnung herbeiführen.

Weiterhin waren auch die Sklaven, von deren Arbeitskraft die Gesellschaft lebte, zu eingeschüchtert, machtlos und isoliert von den anderen Klassen, um die Gesellschaft zu verändern. Oft lehnten sie sich gegen ihre Herren auf und versuchten sich in blutigen Schlachten zu befreien, aber jedesmal warf die römische Armee diese Revolten nieder, richtete Tausende von Sklaven hin oder schlug sie ans Kreuz.

In dieser zerfallenden Gesellschaft, in der es keinen anderen Ausweg, keine Hoffnung auf ein besseres Leben gab, fanden sich die Erniedrigten damit ab, daran zu glauben, die Errettung werde im Himmel kommen. Die christliche Religion erschien diesen unglücklichen Wesen wie ein Rettungsring, ein Trost, eine Ermutigung. So wurde das Christentum die Religion des römischen Proletariats.

In Übereinstimmung mit der materiellen Situation von Menschen, die dieser Klasse angehörten, erhoben die ersten Christen die Forderung nach Gemeineigentum, nach Kommunismus. Was hätte natürlicher sein können? Diese Leute konnten für ihren Lebensunterhalt nicht aufkommen und starben an Armut. Eine Religion, die diese Menschen verteidigte, die verlangte, daß die Reichen mit den Armen teilen, daß die Reichtümer allen, nicht nur einigen wenigen Privilegierten gehören sollten, eine Religion, die die Gleichheit der Menschen verkündete, mußte hier großen Erfolg haben.

Jedoch hatte all dies nichts gemein mit dem Verlangen der Sozialdemokraten, die Instrumente der Arbeit, die Produktionsmittel in Gemeineigentum zu überführen, damit die Menschheit als ein harmonisches Ganzes leben und arbeiten könne.

Wir haben gesehen, daß das römische Proletariat nicht vom Arbeiten lebte, sondern von den Almosen der Regierung. So erstreckte sich die Forde¬rung der Christen nicht auf die Produktionsmittel, sondern nur auf die Konsumgüter. Sie forderten nicht, daß das Land, die Werkstätten und die Werkzeuge kollektiver Besitz werden sollten, sondern nur, daß Häuser, Kleider, Lebensmittel und Fertigprodukte unter ihnen aufzuteilen seien. Die Christen fragten nicht nach dem Ursprung all dieser Güter. Die Produktion lag bei den Sklaven. Die Christen forderten nur, daß all jene, die Reichtümer besaßen, gemäß dem Gebot des Christentums, diese zu Gemeineigentum erklärten, damit sich alle dieser Dinge gleichberechtigt und brüderlich erfreuen könnten.

Auf diese Weise waren tatsächlich die ersten christlichen Gemeinden organisiert. Ein Zeitgenosse schreibt: »Diese Leute hängen nicht am Vermögen. Sie predigen Gemeinbesitz, keiner von ihnen besitzt mehr als der andere. Wer ihrem Orden beitreten will, bringt sein Vermögen als Gemeineigentum ein. Deswegen herrscht unter ihnen weder Armut noch Luxus«. [...]

Das Geld kam in eine Gemeinschaftskasse, und ein Mitglied der Gemeinde, das für dieses Amt ernannt worden war, teilte das kollektive Vermögen unter alle auf. Aber damit nicht genug. Unter den frühen Christen wurde der Kommunismus so weit getrieben, daß auch wirklich alles Gemeineigentum war. Die Familie wurde aufgehoben, alle christlichen Familien in einer Stadt bildeten eine einzige große Familie.

Zum Schluß wollen wir noch erwähnen, daß viele Priester den Sozialdemokraten vorwerfen, sie wollten die Frauen zu Gemeinbesitz erklären. Offensichtlich ist dies eine große Lüge, die sich aus der Dummheit und der Wut des Klerus herleitet. Die Sozialdemokraten würden ein solches Vorgehen als eine schamlose und bestialische Entstellung der Ehe betrachten. Und doch wurde genau dies bei den ersten Christen praktiziert.

III.
So waren also die Christen des 1. und 2. Jahrhunderts eifrige Anhänger des Kommunismus.
Aber dieser Kommunismus basierte auf dem Konsum von Fertigprodukten und nicht auf Arbeit. Deswegen erwies er sich als unfähig, die Gesellschaft zu reformieren, als unfähig, der Ungleichheit zwischen den Menschen ein Ende zu setzen und die Schranken zwischen Arm und Reich zu beseitigen. Denn wie zuvor flossen die Reichtümer, die durch Arbeit geschaffen wurden, zurück zu einer begrenzten Gruppe von Besitzenden, weil die Produktionsmittel (vor allem Grund und Boden) individueller Besitz blieben, weil die Arbeit — in der gesamten Gesellschaft — von Sklaven getan wurde. Die Menschen, die man um ihre Existenzgrundlage gebracht hatte, erhielten nur Almosen nach dem Gutdünken der Reichen.

Solange eine Handvoll Menschen (im Vergleich zur Masse des Volkes) Land, Wald, Weiden, Haustiere, Bauernhöfe, alle Werkstätten, Werkzeuge und Produktionsmaterialien ausschließlich für ihren eigenen Nutzen besitzen, während andere, die überwiegende Mehrheit, nichts von dem haben, was unerläßlich ist, wenn man etwas produzieren will, kann von einer Gleichheit unter den Menschen keine Rede sein. Unter solchen Bedingungen zerfällt die Gesellschaft augenscheinlich in zwei Klassen, in Reiche und Arme, in jene, die im Luxus und jene, die im Elend leben.

Angenommen zum Beispiel, daß reiche Besitzende, beeinflußt von den Lehren des Christentum, sich bereit erklären, alles Geld und alles, was sie an Getreide, Früchten, Kleidern und Tieren besitzen, zu verteilen. Was würde geschehen? Die Armut wäre für ein paar Wochen gebannt, und während dieser Zeit wäre der Pöbel in der Lage, sich selbst zu ernähren und zu kleiden. Aber die Fertigprodukte wären bald aufgebraucht. Bald würden die Armen wieder mit leeren Händen dastehen. Die Eigentümer von Grund und Boden und der Produktionsmittel könnten neue Güter produzieren, dank der Arbeitskraft, über die sie durch die Sklaven verfügen. Nichts hätte sich geändert. […]

Zu Anfang, als die Anhänger des neuen Erlösers nur eine kleine Gruppe in der römischen Gesellschaft darstellten, ließ sich das Prinzip des Gemeineigentums, das gemeinsame Essen und das Leben unter einem Dach, durchführen. Aber als die Zahl der Christen zunahm, als sie sich über das ganze Imperium ausdehnten, wurde das gemeinschaftliche Leben immer schwieriger. Bald verschwand die Sitte der gemeinsamen Mahlzeiten, und die Aufteilung der Güter bekam einen anderen Aspekt. Die Christen lebten nicht länger als eine Familie, jeder hatte seinen Besitz, nicht alle Güter wurden der Gemeinde zur Verfügung gestellt, nur der Überfluß wurde ihr abgetreten. Die Geschenke der Reichen hatten bald nicht mehr den Charakter von Gemeineigentum, sondern wurden zu Almosen, zumal auch die reichen Christen vom Gemeineigentum der Gemeinde keinen Gebrauch machten.

So setzte sich im christlichen Kommunismus der Unterschied von Arm und Reich fort, ein Unterschied analog dem der Herrschenden im römischen Reich, gegen die die frühen Christen sich ursprünglich gewandt hatten. Bald waren es nur noch die armen Christen — und die Proletarier—, die an den gemeinsamen Mahlzeiten teilnahmen; die Reichen, die einen Teil ihrer Reichtümer abgeführt hatten, hielten sich fern. Die Armen lebten von den Almosen, die die Reichen spendeten, und die gesellschaftlichen Zustände waren wieder wie früher. Die Christen hatten nichts verändert.

Die Kirchenväter kämpften noch lange gegen diese Entwicklung an; mit Leidenschaft predigten sie gegen die Verfestigung der sozialen Ungerechtigkeit in der christlichen Gemeinde, sie geißelten die Reichen und beschworen sie, zum Kommunismus der frühen Apostel zurückzukehren.

Aber solche Mahnungen blieben fruchtlos. Die Schuld daran lag nicht so sehr bei den Christen jener Tage, die weit mehr auf die Worte der Kirchenväter hörten als die Christen heute. Es war nicht das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, daß sich wirtschaftliche Bedingungen als stärker erwiesen als die schönsten Reden.

Der Kommunismus, die Gütergemeinschaft der Konsumgüter, zu der die frühen Christen aufriefen, konnte ohne gemeinsame Arbeit der gesamten Bevölkerung auf Grund und Boden, der Gemeineigentum war und ohne Gemeinschaftswerkstätten nicht funktionieren. Zur Zeit der frühen Christen war es unmöglich, gemeinsame Arbeit bei Gemeinbesitz der Produktionsmittel einzuführen, weil, wie wir schon dargestellt haben, die Arbeit nicht von freien Menschen, sondern von Sklaven getan wurde, die am Rand der Gesellschaft lebten. Das Christentum schaffte weder die Ungleichheit zwischen der Arbeit der verschiedenen Menschen, noch die Ungleichheit ihres Besitzes ab. Und deswegen blieben alle Anstrengungen, der ungleichen Verteilung der Konsumgüter ein Ende zu machen, erfolglos. Die Stimmen der Kirchenväter, die den Kommunismus ausriefen, fanden kein Echo. Außerdem wurden diese Stimmen immer seltener und schließlich schwiegen sie ganz und gar. Die Kirchenväter hörten auf, das Gemeineigentum zu predigen, weil die Größe der christlichen Gemeinde eine grundlegende Veränderung in der Kirche selbst mit sich gebracht hatte.

IV.
Je zahlreicher die christlichen Gemeinden in den Städten des großen römischen Reiches und je mehr die Christen von der Regierung verfolgt wurden, desto mehr wuchs das Bedürfnis nach Stärke. Die verstreuten Gemeinden organisierten sich daher zu einer einzigen Kirche. Diese Einigung war bereits mehr eine Einigung unter dem Klerus als unter dem Kirchenvolk. Vom 4. Jahrhundert an trafen sich die Ecclesiasten der Gemeinden zu Konzilen. Das erste Konzil fand 325 in Nicaea statt. So bildete sich der Klerus und schied sich vom Kirchenvolk. Die Bischöfe der stärkeren und reichen Gemeinden übernahmen die Leitung der Konzile. So erhob sich der Bischof von Rom bald zum Oberhaupt der gesamten Christenheit und wurde Papst. So trennte bald ein Abgrund den Klerus, der in sich eine Hierarchie entwickelte, vom Kirchenvolk.

Zur gleichen Zeit machten die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Volk und dem Klerus eine große Veränderung durch. Bis dahin hatte alles, was die reichen Gemeindemitglieder zum Gemeineigentum gespendet hatten, den armen Leuten gehört. Nun aber wurden immer mehr Mittel zur Besoldung des Klerus und zur Verwaltung der Kirche aufgewendet. Als im 4. Jahrhundert das Christentum römische Staatsreligion wurde und die Verfolgung der Christen endete, fand der Gottesdienst nicht länger in Katakomben oder einfachen Hallen statt; die Kirchenbauten wurden immer großartiger. Diese Aufwendungen gingen ab von den Mitteln, die für die Armen bestimmt waren. Im 5. Jahrhundert bereits wurden die Einkünfte der Kirche in vier Teile aufgeteilt: der erste Teil für den Bischof, der zweite für den niederen Klerus, der dritte für die Unterhaltung der Gebäude, lediglich der vierte Teil war nun für die Bedürftigen bestimmt. Die arme christliche Bevölkerung erhielt eine Summe, die jener gleich war, die der Bischof für sich selbst beanspruchen konnte.

Im Laufe der Zeit wurde die Gewohnheit, im voraus den Armen eine gewisse Summe zuzusprechen, völlig aufgegeben. Als der höhere Klerus an Bedeutung zunahm, hatten die Gemeindemitglieder nun auch nicht mehr die Kontrolle über den Besitz der Kirche. Die Bischöfe gaben für die Armen nach ihrem Gutdünken. Die Leute erhielten Almosen von ihrem Klerus. Aber das war nicht alles. In den Anfangszeiten des Christentums gaben die Gläubigen freiwillig fürs Gemeineigentum. Als das Christentum zur Staatsreligion wurde, verlangte der Klerus solche Geschenke von den Armen und von den Reichen. Vom 6. Jahrhundert an führte der Klerus eine Sondersteuer ein, den Zehnten (den zehnten Teil der Ernten), der an die Kirche zu entrichten war. Diese Steuer belastete die Leute stark. Im Laufe des Mittelalters wurde sie für die vom Frondienst geplagten Bauern zu einem schlimmen Übel. Der Zehnte wurde auf jedes Stück Land, auf jede Form von Eigentum erhoben. Aber es waren die Fronbauern, die ihn mit ihrer Arbeitskraft abzahlten. Auf diese Weise verloren die armen Leute nicht nur die Hilfe und Unterstützung der Kirche, sie sahen, wie die Priester sich mit ihren Ausbeutern verbündeten, mit den Prinzen, dem Adel, den Geldverleihern.

Während im Mittelalter das arbeitende Volk in Armut versank, wurde die Kirche reich und reicher. Außer dem Zehnten und anderen Steuern profitierte die Kirche in dieser Periode von großen Schenkungen reicher Völler beiderlei Geschlechts, die im letzten Augenblick dadurch ein sündiges Leben wettzumachen hofften. Sie vermachten der Kirche Geld, Häuser, ganze Dörfer samt den Leibeigenen und Grundrenten oder der Arbeitsleistung, die ihre Untertanen traditionsgemäß zu erbringen hatten.

Auf diese Weise kam die Kirche zu enormem Reichtum. Gleichzeitig hörte der Klerus auf, der »Verwalter« jener Güter zu sein, die die Kirche ihm anvertraut hatte. Im 12. Jahrhundert wurde als Gesetz verkündet, daß der Reichtum der Kirche nicht den Gläubigen gehöre, sondern individuelles Eigentum des Klerus und vor allem des Papstes sei. Das Gesetz berief sich auf Stellen in der Heiligen Schrift. Kirchliche Würden boten so eine gute Gelegenheit zu großen Einkünften. Jeder Kleriker nahm vom Besitz der Kirche, als handele es sich um seinen eigenen und beschenkte seine Verwandten, Söhne und Enkel. Auf diese Weise wurden die Kirchengüter ausgeplündert und gerieten in den Besitz der Familien des Klerus.

Aus diesem Grund erklärte der Papst sich zum wahren Besitzer aller kirchlichen Vermögen und verfügte das Zölibat. Das Heiratsverbot für den Klerus wurde im 11. Jahrhundert erlassen, aber durch den Widerstand des Klerus dauerte es bis zum 13. Jahrhundert, bis es überall durchgesetzt war.

Um die weitere Verschleuderung des Reichtums der Kirche zu verhindern, verbot Papst Bonifazius VIII. Klerikern, aus ihren Einkommen ohne Erlaubnis des Papstes Geschenke an Laien zu machen. So sammelte die Kirche enormen Besitz an. Besonders gehörte ihr nun immer mehr Ackerland, und der Klerus in den christlichen Ländern wurde zum wichtigsten Großgrundbesitzer. Er besaß oft ein Drittel und mehr des gesamten Grund und Bodens.

Die Bauern zahlten nicht nur mit Arbeit, sondern hatten auch den Zehnten zu entrichten, und das nicht nur für die Ländereien der Prinzen und des Adels, sondern auch für die riesigen Flächen, die sie direkt für Bischöfe, Erzbischöfe, Pfarrer oder Klöster bestellten. Unter den mächtigen Herren der Feudalzeit war die Kirche der größte Ausbeuter von allen. In Frankreich zum Beispiel besaß der Klerus gegen Ende des 18. Jahrhunderts, also kurz vor der Französischen Revolution, ein Fünftel des gesamten Landbesitzes und zog daraus ein jährliches Einkommen von ungefähr 100 Millionen Francs. Der Zehnte belief sich auf 23 Millionen. Diese Summe diente dazu, 2800 Prälaten und Bischöfe, 5600 Superiors und Priors, 60000 Pfarrer und Vikare, 24000 Mönche und 36000 Nonnen zu mästen. Die Armee der Priester zahlte keine Steuern und war vom Militärdienst freigestellt. In Katastrophenzeiten — Krieg, Mißernte, Epidemien — zahlte die Kirche an den Staat eine »freiwillige« Abgabe, die nie 16 Millionen Francs überstieg.

Der Klerus, derart privilegiert, bildete einen Adel, eine herrschende Klasse, die vom Blut und Schweiß der Leibeigenen lebte.
Die hohen Posten in der Kirche, jene, bei denen man am besten verdiente, fielen an den Adel und blieben in der Hand des Adels. Folglich war in der Zeit der Leibeigenschaft der Klerus der treue Verbündete des Adels. Die Unterdrückten wurden mit Predigten abgespeist, in denen man ihnen sagte, sie hätten sich mit ihrem Schicksal abzufinden. Als das ländliche und das städtische Proletariat sich gegen Unterdrückung und Leibeigenschaft erhob, fand es im Klerus einen wütenden Gegner. Es ist allerdings auch richtig, daß in der Kirche selbst zwei Klassen existierten: der hohe Klerus, der allen Reichtum an sich brachte, und die große Masse der Landpfarrer, die von 500 bis 2000 Francs im Jahr lebten. Deswegen revoltierte diese nichtprivilegierte Gruppe gegen den höheren Klerus und schloß sich 1789, während der Französischen Revolution, dem Volk im Kampf gegen die Macht des weltlichen und geistlichen Adels an.

V.
Auf diese Weise haben sich die Beziehungen zwischen Kirche und Volk im Lauf der Zeit verändert. Das Christentum begann mit einer Botschaft der Tröstung für die Enterbten und Elenden. Es brachte eine Lehre, die gegen soziale Ungleichheit und die Spannung zwischen Reich und Arm ankämpfte, es lehrte den Gemeinbesitz. Bald aber wurde dieser Tempel der Gleichheit und Brüderlichkeit eine neue Quelle sozialer Gegensätze. Indem der Kampf gegen Privateigentum aufgegeben wurde, den die frühen Apostel noch geführt hatten, sammelte der Klerus Reichtümer an und verbündete sich mit den besitzenden Klassen, die von der Ausbeutung der Arbeit des Proletariats lebten. In der Feudalzeit gehörte die Kirche zum Adel, zur herrschenden Klasse. Und sie verteidigte wild die Macht des Adels gegen die Revolution. Am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts schaffte das Volk in Mitteleuropa die Leibeigenschaft und die Privilegien des Adels ab. Zu dieser Zeit verbündete sich die Kirche erneut mit der herrschenden Klasse — mit dem die Industrie und den Handel beherrschenden Bürgertum.

Heute hat sich die Situation geändert, und der Klerus besitzt nicht länger große Güter, aber er besitzt Kapital und versucht es produktiv werden zu lassen, indem er das Volk im Handel und in der Industrie ausbeutet, genau sowie es die Kapitalisten tun. [...]

Fassen wir zusammen: Es ist die Arbeit von Millionen ausgebeuteter Menschen, die die Existenz der Kirche, der Regierung und der Kapitalisten-Klasse sichern hilft. Die Statistiken über die Einnahmen der Kirche in Österreich vermitteln eine Vorstellung vom beträchtlichen Reichtum der Kirche, jener. Kirche, die früher einmal ein Zufluchtsort der Armen gewesen ist. Vor fünf Jahren (also im Jahr 1900) beliefen sich deren jährliche Einnahmen auf 60 Millionen Kronen. Die Ausgaben hingegen überstiegen 35 Millionen Kronen nicht. Im Laufe eines einzigen Jahres kann also die Kirche 25 Millionen auf die Seite legen, bezahlt mit dem Schweiß und Blut von Arbeitern.

Hier noch einige Details zu dieser Summe:

Der Erzbischof von Wien hat Einnahmen von 300000 Kronen und Ausga¬ben in Höhe von nicht mehr als der Hälfte dieser Summe, er kann also 150000 Kronen im Jahr sparen. Das feste Kapital des Erzbischofs beläuft sich auf 7 Millionen Kronen.

Der Erzbischof von Prag erfreut sich der Einkünfte von über einer halben Millionen Kronen und hat Ausgaben von 300000. Sein Kapital beläuft sich auf 11 Millionen Kronen.

Der Erzbischof von Olmütz nimmt im Jahre über eine halbe Million ein und gibt 400000 Kronen aus. Sein Vermögen beläuft sich auf mehr als 14 Millionen. Der niedere Klerus, der sich selbst oft als arm hinstellt, ist an der Ausbeutung nicht weniger beteiligt. Das jährliche Einkommen der Gemeindepriester in Österreich beläuft sich auf mehr als 35 Millionen Kronen, davon werden nur 21 Millionen wieder ausgegeben. 14 Millionen sparen die Pfarrer in einem Jahr. Das Pfarreigentum hat einen Wert von 450 Millionen Kronen. Schließlich erzielten die Klöster vor fünf Jahren, nach Abzug aller Ausgaben, ein Netto-Einkommen in Höhe von 5 Millionen Kronen. Diese Reichtümer wachsen Jahr um Jahr, während die Armut der im Kapitalismus ausgebeuteten Arbeiter von Jahr zu Jahr zunimmt. In unserem Land und überall steht es nicht viel anders als in Österreich.

VI.
Nach einem kurzen Blick in die Geschichte der Kirche kann es uns nicht länger erstaunen, daß der Klerus die zaristische Regierung unterstützt und sich auf die Seite der Kapitalisten gegen die revolutionären Arbeiter stellt, die für eine bessere Zukunft kämpfen. Klassenbewußte Arbeiter, organisiert in der Sozialdemokratischen Partei, verwirklichen die Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit und Brüderlichkeit unter den Menschen, die früher auch ein Ziel der christlichen Kirche war.

Gleichheit kann nicht hergestellt werden in einer Gesellschaft, die auf Sklaverei beruht, auch nicht in einer Gesellschaft, deren Grundlage die Leibeigenschaft ist. Sie wird möglich in unserer gegenwärtigen Periode, zu einer Zeit der Herrschaft des Industriekapitalismus. Was christliche Apostel mit feurigen Reden gegen den Egoismus der Reichen nicht vollbracht haben, können moderne Proletarier, klassenbewußte Arbeiter in naher Zukunft erreichen, indem sie die Fabriken, den Grundbesitz und die Produktionsmittel den Kapitalisten fortnehmen und zum Gemeinbesitz der Arbeiter machen.

Der Kommunismus, den die Sozialdemokraten anstreben, besteht nicht in einem Aufteilen zwischen Bettlern und Reichen und Faulen, er beruht nicht auf Reichtümern, die Sklaven oder Leibeigene produzieren, sondern in ehrlicher gemeinsamer Arbeit und in ehrlicher Freude über die Früchte dieser gemeinsamen Arbeit. Sozialismus besteht nicht in großzügigen Geschenken, die die Reichen den Armen machen, sondern in der völligen Abschaffung jedes Unterschieds zwischen Reich und Arm, indem man alle veranlaßt, nach ihrer Fähigkeit an der Aufhebung der Unterdrückung des Menschen durch den Menschen mitzuarbeiten. [...]

Die Kapitalisten haben mit Hammerschlägen aus den Leibern der Menschen Ketten der Armut und Sklaverei gemacht. Entsprechend verfuhr der Klerus, indem er den Kapitalisten half. Er schlug das Bewußtsein der Menschen in Ketten, hielt die Menschen in krasser Ignoranz, denn es war ihm klar, daß allgemeine Bildung seiner Macht bald ein Ende gesetzt hätte. Nun, der Klerus verfälscht die frühen Lehren des Christentums, die auf irdisches Glück für die Niederen abzielten. Er versucht, die Geschundenen davon zu überzeugen, daß die Leiden und die Erniedrigung, die sie ertragen, nicht von einem fehlerhaften Sozialsystem herrühren, sondern gottgewollt seien. So tötet die Kirche im Arbeiter die Stärke und die Hoffnung und den Willen auf eine bessere Zukunft ab; sie tötet den Glauben des Arbeiters an sich selbst, seine Selbstachtung. Die Priester von heute mit ihren falschen und vergiftenden Lehren tragen beständig zur Ignoranz und Erniedrigung des Volkes bei. […].

VII.
Ein paar Worte zum Schluß.

Der Klerus verfügt im Kampf gegen die Sozialdemokratie über zwei Mittel. Wo die Bewegung der Arbeiterklasse erst Anerkennung gewinnt, wie das in Polen der Fall ist, wo die besitzenden Klassen noch hoffen können, sie zu zerschlagen, bekämpft er die Sozialisten durch drohende Predigten, schmäht sie und verdammt die »Begehrlichkeit« der Arbeiter. In den Ländern, in denen die politischen Freiheiten eingeführt und die Arbeiter machtvoll sind, so zum Beispiel in Deutschland, Frankreich und Holland, versucht es der Klerus mit anderen Mitteln.

Er verbirgt seine wahren Absichten, er tritt den Arbeitern nicht mehr als offener Feind entgegen, sondern als falscher Freund.
In diesen Ländern versuchen die Priester, die Arbeiter zu organisieren. Sie gründen »christliche« Gewerkschaften. Auf diese Weise versucht der Klerus, den Fisch in sein Netz zu locken, die Arbeiter in die Falle falscher Gewerkschaften einzusperren, wo ihnen Milde gepredigt wird, im Gegensatz zu den Organisationen der Sozialdemokratie, die zu kämpfen entschlossen sind und den Arbeiter gegen Mißhandlungen in Schutz nehmen. [...]

Um sich gegen die Feindschaft des Klerus heute während der Revolution und gegen seine falsche Freundschaft morgen zu verteidigen, ist es notwendig, daß sich die Arbeiter in der Sozialdemokratischen Partei organisieren.

Und hier ist die Antwort auf alle Angriffe der Geistlichkeit: Die Sozialdemokratie kämpft in keiner Weise gegen religiöse Überzeugungen. Im Gegenteil, sie verlangt völlige Gewissensfreiheit für jedes Individuum und die größtmöglichste Toleranz für jeden Glauben und jede Weltanschauung. Wenn aber Priester die Kanzel als Mittel des politischen Kampfes gegen die Arbeiterschaft benutzen, muß der Arbeiter gegen die Feinde seiner Rechte und seiner Befreiung kämpfen. Denn wer immer die Ausbeuter verteidigt, wer immer mithilft, das gegenwärtige Regime des Elends zu verlängern, ist ein Todfeind des Proletariats, ob er nun den Talar oder die Uniform der Polizei trägt. S.145-155
Aus: Rosa Luxemburg, Ein Leben für die Freiheit. Reden, Schriften, Briefe. Ein Lesebuch. Herausgegeben von Frederik Hetmann, Fischer Taschenbuch Verlag