Christopher Marlowe (1564 – 1593 in einem Wirtshausstreit erstochen)

  Englischer Dramatiker. Marlowe war Sohn eines Schuhmachers. Er studierte in Cambridge (Master of Arts 1587) und war als Agent der Regierung zeitweilig in Frankreich. 1587 kam er nach London, wo er mit leidenschaftlichen Blankvers-Dramen bekannt wurde. Neben Thomas Kyd war er der bedeutendste englische Dramatiker vor Shakespeare. Außer Übersetzungen von Ovids »Amores« und Lukians »Pharsalia« und einer unvollendeten Verserzählung »Hero and Leander« (von Georg Chapman beendet) schrieb er drei Blankverstragödien (»Tamburlaine the Great«, »The Jew of Malta«, »The tragical history of Doctor Faustus«), die das Schicksal von Gewaltmenschen in pathetischer Sprache behandeln.

Siehe auch Wkipedia und Kirchenlexikon

Die tragische Historie vom Doktor Faustus
ZWETER AKT, FÜNFTE SZENE
Faustus betritt sein Studierzimmer.

F a u s t u s.
Nun, Faust, ist‘s klar: Du bist verdammt,
und kannst du nun nicht mehr gerettet werden,
was frommt‘s dann noch, an Gott und Himmel denken?
Weg drum solch eitles Spintisiern! Verzweifle!
An Gott verzweifle und auf Beelzebub vertrau!
Nicht mehr zurück, Faust, sei entschieden!
Du schwankst? — Oh, mir ins Ohr, wie tönt‘s?
»Schwör der Magie ab, kehr zurück zu Gott!«
Ja doch: zu Gott will Faust sich wiedrum wenden!
Zu Gott? — Er liebt dich nicht! — Der Gott,
dem du dienst, ist die eigene Begierde,
die fest an Satan, ihrem Ursprung, hängt.
Ihm will ich Kirche und Altar errichten,
ihm warmes Blut von Neugebornen opfern!

(Die beiden Engel erscheinen.)

B ö s e r E n g e l.
Geh vorwärts, Faust, in dieser Kunst der Künste!

G u t e r E n g e l.
Faust, lieber Freund, lass die verruchte Kunst!

F a u s t u s.
Zerknirschtsein Beten, Buße — mag das helfen?

G u t e r E n g e l.
Oh, Mittel sind‘s, zum Himmel dich zu bringen.

B ö s e r E n g e l.
Nein, Illusionen, Wahnsinnsausgeburten
sie machen jeden, der sie ernst nimmt, närrisch.

G u t e r E n g e l.
Denk du an Gott und Himmel, lieber
Faust!

B ö s e r E n g e l.

Nein, Faust, denk du an Ehre, Macht und Reichtum!
(Die beiden Engel verschwinden.)

F a u s t u s.
An Macht und Ehr‘!
Ei wohl, mein soll die Herrschaft Emden werden!
Was kann, wenn Mephistopheles mir beisteht,
ein Gott mir schaden? Fort mit allem Zweifel!
Faust, du bist sicher! Mephistopheles,
komm, bring die frohe Botschaft Luzifers
Schlug es nicht zwölf? — Komm, Mephistopheles,

veni, veni Mephistophile! [Komm, komm Mephistopheles]
(Mephistopheles tritt auf.)

F a u s t u s.

Wohlan, was sagt mir Luzifer, dein Herr?

M e p h i s t o p h e l e s.
Dass ich dir, Faust, zeitlebens dienen soll,
wenn du den Dienst mit deiner Seel‘ erkaufst.

F a u s t u s.
Die hab ich schon um dich aufs Spiel gesetzt.

M e p h i s t o p h e l e s.
Doch feierlich bekräftigen musst du‘s noch.
Zur Sicherheit will eine Schenkurkunde
mein Herr von dir, mit deinem Blut geschrieben.
Lehnst du dies ab, muss ich zurück zur Hölle.


F a u s t u s.
Bleib, Mephistopheles! Was hat dein Herr von meiner Seele?

M e p h i s t o p h e l e s.
Zuwachs für sein Reich.

F a u s t u s.
Führt er uns darum also in Versuchung?

M e p h i s t o p h e l e s. -.
Solamen miseris socios habuisse doloris.
[Für Unglückliche ist es ein Trost Leidensgefährten zu haben]


F a u s t u s.
Wie? Ihr, die Quäler, müßt auch Qual erdulden?

M e p h i s t o p h e l e s.
Gleich große Qual, wie Menschenseelen leiden.
Nun sag mir, Faust, bekomm ich deine Seele?
So will ich gleich dein Sklave sein, dein warten
und mehr, als du zu fordern weißt, dir geben!

F a u s t u s.
Ja, Mephistopheles, ich geb sie dir.

M e p h i s t o p h e l e s.
Dann, Faust, ritz mutig deinen Arm,
verschreibe mir bindend deine Seele auf ein Datum,
an dem sie Luzifer kann fordern als
sein Eigentum — und, sei so groß wie er!

F a u s t u s (sich in den Arm stechend).
Sieh, Mephistopheles, ich schneide dir
zulieb in meinen Arm, mit meinem Blut
verschreibe meine Seele ich dem Satan,
dem höchsten Fürsten ewiger Finsternis.
Schau hier, von meinem Arme tropft das Blut,
nun laß es meine Wünsche günstig fördern.

M e p h i s t o p h e l e s.
Schön, Faust, doch mußt du‘s ganz juristisch fassen
als klares Dokument der Übereignung.

F a u s t u s.
Das will ich tun. (Schreibt.) Doch, Mephistopheles,
mein Blut gefriert, ich kann nicht weiterschreiben!

M e p h i s t o p h e l e s.
Gleich hol ich Feuer, um es aufzutauen. (Ab.)

F a u s t u s.
Was mag das heißen, daß mein Blut erstarrt?
Es will wohl nicht, daß den Vertrag ich zeichne?!
Warum denn strömt‘s mir nicht zum Weiterschreiben?
„Faust gibt dir seine Seele“ ... da, da stockt‘ es.
Warum wohl? Ist nicht meine Seel‘ mein eigen?
Drum schreib ich‘s neu: Faust gibt dir seine Seele.
(Mephistopheles kehrt zurück mit einem brennenden Kohlenbecken)

M e p h i s t o p h e l e s.
Faust, hier ist Feuer, halte dran den Arm!

F a u s t u s.
So – jetzt: das Blut wird wieder klar und flüssig,
und unverzüglich sei das Werk vollendet. (Schreibt)

M e p h i s t o p h e l e s (beiseite).
Was alles tät‘ ich nicht um diese Seele!

F a u s t u s.
Consummatum est [Es ist vollbracht]; das Dokument ist fertig,
Faust hat dem Teufel seine Seel‘ vermacht.
Doch welche blutige Inschrift zeigt mein Arm?
,,Homo fuge!“ Wohin denn sollt‘ ich fliehen?
Flücht ich zu Gott, so stößt er mich zur Hölle!
Ein Trug der Sinne — nichts steht hier geschrieben...
Nein doch, ganz klar seh ich die Schrift hier steht:
,,Homo fuge!“ [Mensch fliehe] Doch gibt‘s für Faust kein Fliehen.

M e p h i s t o p h e l e s (beiseite).
Hier muß was her, den Geist ihm aufzuheitern!
(Er geht ab und kehrt zurück mit Höllengeistern, die Faustus
mit Kronen und reichen Gewändern begaben, einen Tanz aufführen und dann verschwinden)

F a u s t u s.
Sag, Mephistopheles, was meint der Reigen?

M e p h i s t o p h e l e s.
Nur, daß ich, dein Gemüt, Faust, zu entzücken,
dir zeige, was Magie zuwege bringt.

F a u s t u s.
Doch ich, kann ich, wenn ich will, solche Geister zitieren?
M e p h i s t o p h e l e s.
Sicher, Faust, und Größres tun!

F a u s t u s.
Das wiegt wohl tausend Seelen reichlich auf.
Hier, Mephistopheles, empfang den Schein,
mit dem ich Leib und Seel‘ euch übereigne,
doch ist Bedingung, daß auch deinesteils
du alle Punkte des Vertrags erfüllst.

M e p h i s t o p h e l e s.
Fauste, ich schwör bei Luzifer und Hölle,
daß ich des gegenseitigen Pakts Versprechen genau erfülle.

F a u s t u s. Höre mich sie lesen!
,,Unter den folgenden Bedingungen:
Erstens, daß Faustus die Möglichkeit hat, nach Form und Substanz ein Geist zu sein,
zweitens, daß Mephistopheles sein Diener wird und ihm immer zu Gebote steht,
drittens, daß Mephistopheles alles für ihn tut und ihm verschafft, was auch immer er wünscht,
viertens, daß Mephistopheles unsichtbar in seinem Zimmer oder Hause weilt,
fünftens und letztens, daß er dem obengenannten Johannes Faustus zu jeder Stunde
und in jeder von diesem gewünschten Form oder Gestalt erscheint, verpflichte ich,
Doktor Johannes Faustus von Wittenberg, mich hiermit, meinen Leib sowohl wie meine Seele Luzifern,
dem Fürsten von Aufgang, und seinem Diener Mephistopheles zu eigen zu geben, und spreche ihnen,
wenn vierundzwanzig Jahre verflossen — und während dieser Zeit die Artikel des Paktes genau eingehalten worden sind,
volle Gewalt zu, den besagten Faustus, seinen Leib, Seele, Fleisch und Blut und alle Güter
zu holen oder fortschleppen zu lassen in ihre Behausung, wo und welcher Art sie auch sein mag.
Johannes Faustus
manu propria. [Mit eigener Hand]»

M e p h i s t o p h e l e s.
Sprich, Faust, gibst du mir dies als gült‘gen Pakt?

F a u s t u s.
Ja, nimm es, und der Teufel laß dir‘s frommen!

M e p h i s t o p h e l e s.
Nun, Fauste, fordre, was du willst von mir!

F a u s t u s.
Zuerst will ich dich nach der Hölle fragen.
Sag an, wo liegt das, was wir Hölle nennen?

M e p h i s t o p h e l e s.
Unter dem Himmel.

F a u s t u s.
Freilich! Aber wo?

M e p h i s t o p h e l es.
Im Eingeweide tief der Elemente,
die quälend uns für immerdar umgeben.
Die Höll‘ ist unbegrenzt und nicht gebunden
an einen Raum, denn wo wir sind, ist Hölle,
und wo die Höll‘ ist, müssen stets auch wir sein,
und — letzten Ends — wenn diese Welt vergeht
und alle Kreatur geläutert wird,
wird allerorten, wo nicht Himmel ist,
die Hölle sein.

F a u s t u s.
Ach geh, die Hölle halt ich für eine Fabel.

M e p h i s t o p h e l e s.
Denk nur weiter so,
bis dich Erfahrung lehrt, was richtig ist.

F a u s t u s.
Warum? Meinst du, daß mein Verdammnis wartet?

M e p h i s t o p h e l e s.
Unweigerlich, denn hier laut diesem Blatt
hast du dem Teufel deine Seel‘ vermacht.

F a u s t u s.
Ja, und den Leib dazu — was heißt das schon?
Traust du dem Faust die Torheit zu, zu glauben
an eine ewige Pein nach diesem Leben?
Pah, alles Unsinn und Altweibermärchen!

M e p h i s t o p h e l e s.
Doch, Faust, bin ich des Gegenteils lebendiger Beweis,
ich bin verdammt und bin jetzt in der Hölle!

F a u s t us.
Was?! Jetzt, hier die Hölle?! Wahrlich,
wenn Schlafen, Essen, Wandeln, Disputieren
die Hölle sein soll, will ich gern verdammt sein.
Doch Schluß damit! Verschaff mir eine Frau,
das schönste Mädchen, das in Deutschland wächst,
denn ich bin immer lüstern und verbuhlt
und kann nicht leben ohne Weib.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ein Weib? Nein, Faust, ich bitt dich, rede nicht von Weibern!

F a u s t u s. Ach, Lieber, schaff mir eines, denn ich will eins!

M e p h i s t o p h e l e s.
Schön, schön, du willst eins. Setz dich, bis ich komme!
Ins Teufels Namen schaff ich dir dein Weib.
(Er läßt einen Höllengeist in Weibsgestalt erscheinen, dazu Feuerwerk.)

F a u s t u s.
Was ist das für ein Anblick?

M e p h i s t o p h e l e s.
Sprich, wie gefällt dir nun dein süßes Weibchen?

F a u s t u s.
Die Pest der hitzigen Hure an den Hals!
(Das Weib verschwindet.)

M e p h i s t o p h e l e s.
Ach was, die Ehe, Faust,
ist nur ein läppisch Zeremonienspiel;
wenn du mich liebst, so denk nicht mehr daran.
Die schönsten Kurtisanen such ich dir
und bring sie jeden Morgen dir ans Bett,
welch Mädchen dir gefällt, das sollst du haben,
sei es so keusch auch wie Penelope,
so weise wie die Königin Sabas und
— so schön wie Luzifer strahlte, eh‘ er fiel.
Aus: Christopher Marlowe: Die tragische Historie vom Doktor Faustus
Deutsche Fassung, Nachwort und Anmerkungen von Adolf Seebass
Reclams Universalbibliothek Nr. 1128 (S.19-25)
© 1964 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages