Meng-Tse bzw. Meng-Tzu oder Meng K’o [lat. Mencius] (372 – 289 v.Chr.)

  Chinesischer Philosoph, der die Ethik des Konfuzianismus weiter entwickelte. Meng glaubte an eine angeborene Güte in der menschlichen Natur, die nur der entsprechenden Belehrung bedarf, um ihre volle Wirksamkeit entfalten zu können. Seine Schriften wurden von den Neukonfuzianern unter die »vier klassischen Bücher« aufgenommen.


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Inhaltsverzeichnis
Der Mensch ist gut
Nicht Vorteil, sondern Güte und Rechtlichkeit
Erst Besserung der Lebensumstände, dann Besserung
Gespräch über die zur Königsherrschaft notwendige Gesinnung


Der Mensch ist gut
Ko-tse sagte: »Die Natur des Menschen gleicht dem Weidenbaum, die Gerechtigkeit aber gleicht einem Becher oder einer Schale. Aus der Natur des Menschen formt man die Menschenliebe und Gerechtigkeit, gleichwie man aus dem Weidenbaume Becher und Schalen formt.«

Meng-tse erwiderte: »Vermagst du etwa der Natur des Weidenbaumes zu folgen, wenn du Becher und Schalen daraus formst? Du musst der Natur des Weidenbaumes Gewalt antun, dann erst kannst du Becher und Schalen daraus formen. Und wenn du nun dem Weidenbaume Gewalt antun musst, um Becher und Schalen daraus zu formen, musst du dann nicht auch dem Menschen Gewalt antun, um Menschenliebe und Gerechtigkeit aus ihm zu formen? Wahrlich, deine Worte sind sicherlich derart, dass sie die Menschen dazu verleiten könnten, Menschenliebe und Gerechtigkeit für ein Unglück zu halten!«

Ko-tse
sagte: »Die menschliche Natur gleicht einem Wasserstrudel; öffnet man ihm einen Ausweg nach Osten, so fließt das Wasser ostwärts, öffnet man ihm einen Weg nach Westen, so fließt es westwärts. Die menschliche Natur macht keinen Unterschied zwischen gut und nicht gut, gleichwie das Wasser keinen Unterschied macht zwischen Ost und West.«

Meng-tse entgegnete: »Das Wasser fürwahr macht keinen Unterschied zwischen Ost und West — macht es aber auch etwa keinen Unterschied zwischen oben und unten? Die Güte der menschlichen Natur gleicht dem Abwärtsströmen des Wassers. Unter den Menschen gibt es niemanden, der nicht gut wäre, gleichwie es kein Wasser gibt, das nicht abwärts fließt. Nun kann man das Wasser, wenn man hineinschlägt, aufspritzen machen, so dass es einem über die Stirn läuft, und man kann es eindämmen und seinen Lauf bestimmen, so dass es bergauf laufen muss— ist das aber etwa die Natur des Wassers? Nur durch Gewalt ist es so. Wenn die Natur des Menschen veranlasst wird, zu tun, was nicht gut ist, so geschieht seiner Natur dasselbe.«

Meng-tse sprach: »Ihrem Triebe folgend, haben die Menschen die Möglichkeit, Gutes zu tun. Das ist es, was ich unter »gut« verstehe. Wenn jemand Nichtgutes tut, so ist es nicht die Schuld seiner Anlagen! Das Gefühl des Mitleids und Erbarmens ist allen Menschen eigen, das Gefühl der Achtung und Ehrerbietung ist allen Menschen eigen, das Gefühl der Billigung und Missbilligung ist allen Menschen eigen, das Gefühl des Mitleids und Erbarmens ist Menschenliebe, das Gefühl der Scham und des Abscheus ist Gerechtigkeit, das Gefühl der Achtung und Ehrerbietung ist Anstand, das Gefühl der Billigung und Missbilligung ist Weisheit.
Menschenliebe, Gerechtigkeit, Anstand und Weisheit sind nicht von außen her in uns hineingegossen, sie sind vielmehr unser fester Besitz — nur denken wir nicht daran. Daher heißt es: Wer sie sucht, bekommt sie; wer sie beiseite lässt, verliert sie

Nicht Vorteil, sondern Güte und Rechtlichkeit
Mencius trat vor den König Hui von Liang. Der sagte:. »Ehrwürdiger Herr, da du, tausend Meilen nicht für weit erachtend, hierhergekommen bist, wirst du wohl auch in der Lage sein, meinem Staat Vorteil (Li) zu bringen?«

Mencius erwiderte: »Warum, o König, musst du von Vorteil reden? Es gibt doch auch Güte und Rechtlichkeit, und die dürften genügen«.

Denn fragt der König: »Wie bringe ich meinem Staate Vorteil?«, so fragen die Großwürdenträger: »Wie bringen wir unserm Hause Vorteil?« und die niederen Beamten und das Volk: »Wie bringen wir unserer Person Vorteil?« —

Mencius: Wenn Obrigkeit und Untertanen sich gegenseitig den Vorteil streitig machen, möchte der Staat gefährdet werden. Wer in einem Staate von zehntausend Schlachtwagen dessen Fürsten tötet, muss über ein Hauswesen von tausend Schlachtwagen verfügen, und wer in einem Staate von tausend Schlachtwagen dessen Fürsten tötet, muss über ein Hauswesen von hundert Schlachtwagen verfügen. Tausend von zehntausend und hundert von tausend sollte man nicht für gering achten. Wer die Rechtlichkeit hintansetzt und den Vorteil voranstellt, findet ohne Raub kein Genüge. Noch hat es keinen Guten gegeben, der seinen Nächsten im Stich gelassen, keinen Rechtschaffenen, der seinen Fürsten hintangesetzt hätte. Der König sage doch: >Güte und Rechtlichkeit< — und damit ist‘s gut. Warum muss von Vorteil die Rede sein?«


Erst Besserung der Lebensumstände, dann Besserung
Meng-tse sprach: »Ohne festen Lebensunterhalt dennoch ein festes Herz zu behalten, das vermag nur der Gebildete. Was nun das Volk betrifft, so wird es ohne festen Lebensunterhalt auch keine beständige Gesinnung haben. Wenn es aber keine Festigkeit des Herzens hat, ist es schließlich jeder Art von Zuchtlosigkeit, Schlechtigkeit, Gemeinheit und Ausschweifung fähig.

Wenn das Volk nun einmal so den Verbrechen verfallen ist, es hinterdrein noch zu verfolgen und zu züchtigen — das hieße das Volk umgarnen. Wie wäre es aber denkbar, daß, solange ein menschlich gesinnter Mann auf dem Thron sitzt, das Volk umgarnt werden sollte?

Aus diesem Grunde regelt ein erleuchteter Fürst den Lebensunterhalt des Volkes derart, dass es nach oben hin genug hat, um den Eltern zu dienen, und nach unten hin genug hat, um Weib und Kind zu ernähren, also dass es in guten Jahren sein Leben lang satt zu essen hat und in Jahren der Not dem Tode und der Vernichtung entgeht. Danach mag er es zum Guten anspornen, denn dass das Volk ihm jetzt gehorche, ist ein Leichtes.

Jetzt aber regelt ihr den Lebensunterhalt des Volkes derart, dass es nach oben hin nicht genug hat, um den Eltern zu dienen, und nach unten hin nicht genug hat, um Weib und Kind zu ernähren. Selbst in guten Jahren leidet es beständig, und in Jahren der Not entgeht es nicht dem Tode und dem Verderben. Unter solchen Umständen sucht es nur dem Tode zu entrinnen und ist doch in steter Angst, keine Abhilfe schaffen zu können. Wie sollte es da Muße finden, um die Riten und die Gerechtigkeit zu pflegen!

Wenn ihr, o König, nur den Wunsch habt, das durchzuführen, so müsst ihr nur zur wahren Wurzel zurückkehren: Wenn ihr jeden Hof von fünf Morgen mit Maulbeerbäumen bepflanzen lasst, dann werden die Fünfzigjährigen sich in Seide kleiden können; wenn ihr bei der Zucht von Hühnern, Ferkeln, Hunden, Schweinen die rechte Zeit nicht vorübergehen lasset, dann werden die Siebzigjährigen Fleisch essen können. Wenn ihr einem Acker von hundert Morgen die zum Anbau nötige Zeit nicht entzieht, dann werden Familien von acht Köpfen nicht zu hungern brauchen; wenn ihr eure Aufmerksamkeit auf den Unterricht in den Schulen richtet und durch ihn die Pflicht der Kindesliebe und Bruderliebe einschärfen laßt, dann werden die Grauhaarigen auf den Straßen keine Lasten mehr zu schleppen haben. Wenn die Alten in Seide gekleidet gehen und satt zu essen haben und das schwarzhaarige Volk weder Hunger noch Frost leidet — dass unter solchen Umständen die Königswürde nicht erlangt worden wäre, ist noch nicht dagewesen. «


Gespräch über die zur Königsherrschaft notwendige Gesinnung
Der König sprach: »Welcher Art muß die Tugend sein, um König der Welt sein zu können?«

Meng-tse
antwortete: »Wer sein Volk beschützt, wird König der Welt, und niemand kann ihn daran hindern.«

Der König sagte: »Wäre denn ein Mann wie ich imstande, sein Volk zu beschützen?«

Meng-tse
antwortete: »Ja, er wäre dazu imstande.«

Der König sprach: »Woher weißt du, daß ich dazu imstande wäre?«

Meng-tse sprach: »Ich habe einmal erzählen hören, der König habe in seiner Halle gesessen, als unten ein Mann, der einen Ochsen führte, vorbeigegangen sei. Der König habe ihn gesehen und gefragt, wohin er mit dem Ochsen gehe. Da habe jener erwidert: >Ich will mit seinem Blute eine Glocke weihen.< Da habe der König gesagt: >Laß ihn frei; ich kann es nicht ertragen, wie er so ängstlich zittert, gleich einem, der unschuldig zum Richtplatz geführt wird.< Da habe jener erwidert: >Soll dann also die Glockenweihe unterbleiben?< Darauf habe der König gesagt: >Wie könnte sie unterbleiben? Nehmt ein Schaf statt seiner.< — Ich weiß nicht, ob sich das so zugetragen hat.«

Der König sprach: »Es ist so gewesen.«

Meng-tse sprach: »Diese Gesinnung genügt, um die Königswürde zu erlangen. Die hundert Familien glaubten alle, ihr seiet geizig gewesen, o König; ich weiß aber bestimmt, daß ihr es nicht habt ertragen können.«

Der König sprach: »So ist es, und doch liegt in Wirklichkeit etwas Wahres in der Meinung der hundert Familien. Wenn aber auch der Staat Tsi, mein Reich, unbedeutend und klein ist — wie hätte ich wegen eines Ochsen geizen können? Ich konnte eben nicht ertragen, zu sehen, wie er zitterte, gleich einem, der unschuldig auf den Richtplatz geführt wird. Und aus diesem Grunde wollte ich ihn gegen ein Schaf umgetauscht haben.«

Meng-tse sagte: O König, wundert euch nicht darüber, dass die hundert Familien euch für geizig hielten. Ihr wolltet Großes gegen Kleines vertauscht haben: wie hätten jene das verstehen sollen? Wenn ihr, o König, Mitleid hattet mit der Unschuld, die zum Richtplatz geführt wurde — was war da zwischen Ochs und Schaf zu wählen?«

Der König lachte und sprach: »Wahrhaftig! Was hatte ich bloß für eine Absicht dabei! Ich geizte nicht mit seinem Werte und wollte ihn dennoch gegen ein Schaf vertauschen. War es nicht ganz richtig, daß die hundert Familien mich geizig nannten?«

Meng-tse sagte: »Es sollte keine Beleidigung sein. Die Menschlichkeit hatte euch eben einen Streich gespielt; den Ochsen hattet ihr zwar gesehen, aber das Schaf hattet ihr noch nicht gesehen. So ist nun einmal der Edle in seinem Verhalten gegen die Tiere, dass er, hat er sie lebend gesehen, es nicht erträgt, sie sterben zu sehen, und nachdem er ihre Stimme gehört hat, es nicht erträgt, ihr Fleisch zu essen, daher hält der Edle sich fern von Schlachthof und Küche.«

Der König sprach: ». . . Wie kommt es nun, dass dieses Herz zur Erlangung der Königswürde geeignet ist?«

Meng-tse sagte: ..... »Wer Güte übt, ist imstande, alles Land innerhalb der vier Meere zu beschirmen, wer aber nicht Güte übt, vermag nicht einmal Weib und Kind zu beschirmen. . . Nun aber reicht eure Güte aus, um sich bis auf die Tiere zu erstrecken.«
S.139ff.
Enthalten in: Die Söhne Gottes, Aus den heiligen Schriften der Menschheit, Auswahl und Einleitungen von Gustav Mensching, R. Löwit . Wiesbaden