Bernhard Nieuwentyt (1654 – 1718)

Niederländischer Mathematiker, Philosoph, Theologe, praktischer Arzt und Bürgermeister von Purmerend in Nordholland.
Nieuwentyt war eine starke, eindrucksvolle, gottgläubige Persönlichkeit, die den Atheismus seiner Zeit argumentativ aufs Schärfste bekämpfte. Seine »Weltbetrachtung«, auf die sich noch Rousseau bezog, gelangte unter den universalen Physikotheologien zu internationaler Berühmtheit. Seine Offenlegung, dass Spinozas sogenannte »mathematische (geometrische) Beweismethode« vernünftigerweise nicht auf wirkliche Dinge nicht angewendet werden darf, entzog dem aufkommenden Spinozoismus seine Beweisgrundlagen. Mit Leibniz hat er in bestechender Form eine scharfsinnige Auseinandersetzung über die Infinitesimalrechnung geführt.

Rechter Gebrauch der Weltbetrachtung
Von den Atheisten
Die vorliegenden Betrachtungen sind in der Absicht geschrieben, die Atheisten [Ongodisten] von der Macht, Weisheit und Güte ihres GOTTES, des anbetungswürdigen Schöpfers und Regierers aller Dinge, und Ire Ungläubigen, die zwar einen Gott, aber nicht die Autorität der Heiligen Schrift anerkennen, von dem übermenschlichen Ursprung dieser Schrift zu überführen und in beidem den rechten Gebrauch der Weltbetrachtung zu zeigen.

Es sind nämlich die Beweise, die wir zu diesem Zweck beibringen, nur auf die Versuche und Erfahrungen gegründet, die uns die neueren Naturforscher an die Hand geben. Denn es ist klar, daß in der Naturlehre nicht anders zur Gewißheit zu gelangen ist, als wenn man die Schlüsse auf dasjenige baut, was uns die Sinne an den Körpern zeigen. Die Beweise aus der sog. Grundlehre [de Metaphysica] aber sind aus diesem Grunde vermieden worden.

Indem ich mit der Anfertigung dieses Werkes beschäftigt bin, kommt mir das Buch des Erzbischofs von Kamerich in die Hand und auch eine Übersetzung des Buches, das Ray in gleicher Absicht schrieb. Ich sehe mit Vergnügen, daß diese großen Männer, zu denen auch Derham zu zählen ist, die gleichen Gründe [bewysmaniere] gewählt haben, um das Sein und die vornehmsten Eigenschaften Gottes zu erweisen, die ich immer für die deutlichsten und sichersten gehalten habe.

Diejenigen, die dieses Buch wegen der in demselben enthaltenen Versuche und einschlägigen naturwissenschaftlichen Abhandlungen lesen werden, sind noch zu ersuchen, sich nicht an den <Glaubens->Überzeugungen zu stoßen, mit denen dieselben öfter unterbrochen sind. Unser Zweck war nicht, eine vollständige Naturlehre zu schreiben, sondern die Irrenden zurecht zu bringen; wiewohl es niemand schaden wird, wenn er sich angewöhnt, seine Gedanken bei der Betrachtung natürlicher Dinge von Zeit zu Zeit auf etwas Höheres zu richten.

Diejenigen, die von GOTT und seinem Wort gegründete Erkenntnis haben, können in diesem Buch neue Beweise dieser Wahrheit finden. Die Schwächeren aber werden hoffentlich in demselben das eine und andere antreffen, mit dem sie sich gegen die ihnen begegnenden Angriffe <der Pantheisten> wehren können.

Ehe ich die Anrede ende, muß ich mich noch an Euch wenden, ihr unglückseligen Zweifler, Ungläubigen und beklagenswerten Philosophen, die Ihr Euch unter die »Starken Geister« [Esprits Forts] zählt — Ihr, für die dieses Werk insbesondere geschrieben ist. Wollt ihr Euch Eures üblichen Witzes bedienen, so können auch die bündigsten Beweise an Euch nichts verfangen; einen lernbegierigen Geist aber, der in der gehörigen Verfassung steht, kann ein einziger Umstand unter Gottes Segen von seinem Irrtum auf bessere Gedanken bringen.

Von Gott
Es ist wohl nicht anzunehmen, daß vernünftige Menschen jemals so zersetzt waren, daß sie ein ewiges, durch seine eigene Kraft bestehendes Wesen gänzlich geleugnet und angenommen haben, es sei einmal ein vollkommenes Nichts und weder Schöpfer und Geschöpf gewesen. Die wichtigsten der alten Gottesleugner und Spinoza unter den neueren haben doch ein gewisses unendliches Wesen anerkannt.
Der große Streit also zwischen diesen Leuten und denjenigen, die eine Gottheit anerkennen und verehren, geht nicht darum, ob es ein Wesen gibt, das von Ewigkeit her durch sich selbst bestand. Dies gestehen beide Teile zu; sondern die Frage ist nur die, ob dieses ewige und selbständige Wesen auch weise, mächtig und gütig ist, und ob es alle Dinge nach seinem Wohlgefallen in gewissen Absichten [sekere einden — d. h. final-kausal, unter End-Ursächlichkeit] gemacht hat und regiert.

Diejenigen, die von Jugend auf so glücklich gewesen sind, daß sie mit inniger Überzeugung angesichts der anbetungswürdigen Vollkommenheit GOttes denselben als ihren mächtigsten HErrn, als ihren Schöpfer und Erhalter erkannt und verehrt haben, wird es vielleicht befremden, daß sich Menschen finden können, die zwar ein ewiges Wesen erkennen, aber demselben keine der erwähnten Eigenschaften zuschreiben. Doch ist es viel zu bekannt, daß sowohl frühere als auch unsere Zeiten eine nicht geringe Zahl solch unglücklicher Vernünftler hervorgebracht haben, ohne daß es nötig wäre, mit ihrer Aufzählung dies Buch zu vergrößern.

Die Urheber atheistischer Bücher haben sich oft der Mathematischen Schreibart <,,Geometrische Methode“> bedient, damit sie das Ansehen haben möchten, als ob alles darin zur vollkommenen Gewißheit gebracht wäre. Ein Beispiel dafür gibt das Buch des Spinoza, das auch deswegen bei vielen dieser Unglücklichen so hoch geachtet wird, weil sie bei ihrer geringen Kenntnis der Mathematik aus dem äußeren Vortrag schließen, daß alles, was hier abgehandelt wird, auf das Richtigste aus unanfechtbaren Sätzen her folgt. Wer nun Spinoza gelesen und verstanden hat, muß bemerkt haben, daß er nur seine Begriffe [denkbeelden en verstand] zur Grundlage alles Übrigen macht. Die Methode, deren sich die Mathematik bedient, um Wahrheiten zu erschließen (solange sie mit reinen Begriffen umgeht), wendet er also ganz unrichtig auf wirkliche Dinge an. Deswegen kann die ganze Reihe der vielen Sätze und sogenannten Beweise in dem Buche des Spinozas, wenn sie auch alle aus den vorausgesetzten Gründen flössen (wovon das Gegenteil vielfältig bewiesen werden kann), nichts anderes zeigen, als lediglich was für Begriffe dieser unglückliche Schriftsteller in sich selbst gebildet hat [verbeeldingen en begrippen, welke desen ongelukkigen Autheur in sigh selfs geformeert heeft]. Man kann daraus auf die Sache so wenig schließen, so wenig ein Sternkundiger die Vorstellung, die er sich nach Belieben von einem Himmel gemacht hat, als Abbildung des wirklichen Baus, den wir über uns sehen, ausgeben kann. Da diese unglücklichen Weltweisen ihrem Verstande soviel zuschreiben, so hat man vor allen Dingen darauf zu sehen, daß man bei ihnen das Vertrauen auf ihre Begriffe vermindert und sie zu überzeugen versucht, wie wenig wir von den Dingen durch den bloßen Gebrauch des Verstandes einsehen können. Ja, diese Art mit ihnen zu verfahren, ist die einzige, bei der ich jemals einigen Nutzen festgestellt habe. Man führe sie dazu in ein Chemisches Laboratorium oder an einen Ort, wo man sich mit neuen Experimenten beschäftigt. Man frage sie, was nach ihren Begriffen herauskommen muß, wenn dieses oder jenes experimentell zugrunde gelegt wird. Versagen sie dabei und erfolgt nach angestellten Versuchen das Gegenteil dessen, was sie angehen, so bleibt ihnen keine Ausflucht übrig und sie müssen bekennen, daß ihr Verstand nicht hinreicht, die Eigenschaften der wirklichen Dinge zu übersehen.

Ich mache hier denjenigen keinen Vorwurf, die behaupten daß in der Naturlehre die Betrachtung der Absichten [Eind-oorsaken — d. h. Final-Kausalität] insofern keinen Platz hat, als man in der Naturlehre zu untersuchen bemüht ist, wie etwas beschaffen ist, wie es wirkt und bewegt wird <d. h. mittels der Effizierenden oder Wirk-Kausalität>. Ich gestehe gern ein, daß man in der Frage w i e etwas geschieht, unangemessen antwortet, wenn man sagt, es geschehe zu diesem oder jenem Endzweck. Richtig ist aber <andererseits> auch, daß, wenn man diese Regel nicht gehörig einschränkt, sie bei manchen Leuten Anlaß zu der primitiven Vorstellung geben kann, als ob gar keine zielgerichteten Vorgänge in der Natur stattfänden und alles von einem reinen Zufall oder anderen unvernünftigen Ursachen herrühre. Zum mindesten ist die Frage, woraufhin etwas geschieht oder wozu es dienen kann, aus der Wissenschaft keineswegs zu verbannen. Sie gehört zwar nicht in d e n Teil der Naturlehre, der sich nur mit der Untersuchung der wirkenden Ursachen [werkende oorsaken] befaßt; jedoch wird m. E. niemand an dem Nutzen zweifeln, der sich jemals an dieser Betrachtung erfreut hat.

Auch das ist wahr, daß man noch kein besonderes Fach in der Wissenschaft hat, in welchem man eigentlich von den Absichten der Dinge <d. h. von der Final Kausalität, z. B. in der Keimentwicklung oder in Instinktabläufen> handelt. Doch glaube ich nicht grundlos, daß wenn jemand sich insbesondere befleißigen wollte, die weisen Absichten des Schöpfers aus den Eigenschaften der Dinge und ihrer Zweckbezogenheit herzuleiten, diese Lehre [dese Scopologia of oogmerkskunde] einen der herrlichsten Teile der Weltweisheit ausmachen und nicht nur viele Menschen an ihre Pflicht und Dankbarkeit gegen ihren großen Schöpfer erinnern, sondern auch den Ruhm des ersten Verfassers auf die Nachwelt bringen würde. Gleich wie Harvey, indem er den besonderen Nutzen <d. h. Zweckbezogenheit> des Herzens und der Adern beim Umlauf des Blutes entdeckte, Malpighi als er den Nutzen (im Bau) verschiedener Tiere und Pflanzen darlegte und Borelli dadurch, daß er die Werkzeuge der Bewegung der Tiere erforschte, ihre Namen verewigt haben.

Wie sehr uns die wirklichen Erfahrungen und Versuche dazu helfen, die üblen Folgen der allzuweit ausgedehnten Regel, die die Betrachtung der Absichten <Final-Kausalität> aus der Naturlehre verbannt, zu vermeiden, zeigen uns die geschicktesten Naturforscher unserer Zeit, insbesondere aufs deutlichste die Zergliederer [Anatomici], die gewohnt sind, bei der Beschreibung der Teile unseres Körpers den Gebrauch derselben mitzubehandeln und dadurch öfter veranlaßt werden, der Weisheit und Güte des Schöpfers ein herzliches Loblied anzustimmen.

Von den Werken und vom Worte Gottes
Aus all diesem erhellt nun hinlänglich, daß ein genaues Achtgeben auf das, was uns in der körperlichen Welt begegnet, ein sicheres Mittel ist, den so mannigfachen Ursachen und Gelegenheiten zum Atheismus zu entgehen und die Vollkommenheiten GOttes in seinen Werken zu erblicken. Endlich werden diese Betrachtungen Wankelmütigen und Zweifelnden von großem Nutzen sein. Dies ist mit desto größerer Zuversicht zu hoffen, je richtiger es ist, daß sich GOtt selbst, in seinem Worte, nicht künstlich ausgedachter und einen geübten Verstand erfordernder philosophischer Schlüsse zum Beweise seiner anbetungswürdigen Vollkommenheiten bedient, sondern meist die Menschen auf diesem, für jedermann offenen und gebahnten Weg zu sich zu führen sucht; welches wir als ein besonderes Zeichen seiner unendlichen Güte anzusehen haben. Obwohl selbst die Scharfsinnigsten bekennen müssen, daß sie nur einen ganz geringen Teil seiner Werke mehr bewundern als erkennen, so sind doch trotzdem diese Beweise hinlänglich, auch den allerschwächsten Verstand von einem anbetungswürdigen Schöpfer und Beherrscher dieses Allen unwidersprechlich zu überzeugen. Denn zu dieser Einsicht wird fast nicht mehr erfordert, als daß man sich seiner Sinne zu bedienen wisse.

Hiervon gibt das Wort GOttes an vielen Stellen zahlreiche Beispiele. Paulus nimmt den Beweis der ewigen Kraft GOttes, durch die er aus sich selbst besteht, von den Geschöpfen, wenn er Röm. 1, 20 spricht: GOttes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und GOttheit wird ersehen, so man das wahrnimmt, an den Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt.

Und nachdem in dem CIVten Psalm die Werke GOttes auf erhabene und herzanrührende Art erzählt worden sind, wird endlich GOttes Weisheit aus denselben im 24ten Vers bewiesen: HErr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weislich geordnet.
Ebenso gebraucht der HErr des Himmels zur Erweisung seiner Macht keine Beweise aus der Tiefe der Philosophie, sondern will wieder nur, daß man die Augen auf seine Werke richte, Jes. XL, 26: Hebet eure Augen in die Höhe und sehet; Wer hat solche Dinge geschaffen, und führet ihr Heer bei der Zahl heraus? Der sie alle mit Namen ruft: Sein Vermögen und starke Kraft ist so groß, daß nicht an Einem fehlen kann.

Ferner wird auch die Güte GOttes in dem CVIIten Psalm an seinen Werken gepriesen — und damit wir nicht mehr anführen, so gebraucht der Allmächtige, um seine unendliche Herrlichkeit zu erkennen zu geben, Hiob XXXVIII, XXXIX, XL und LI keinen anderen Beweis als den, der von den Werken der Schöpfung hergenommen ist, und erinnert uns dadurch auf das Nachdrücklichste, wie viel an dieser Betrachtung der Werke GOttes gelegen ist. Insonderheit wird dies Psalm CVII, 43 auf nachdrückliche Art eingeschärft, indem der Geist GOttes mit diesen Worten schließt: Wer ist weise und behält dies? So werden sie merken, wie viel Wohltat der Herr erzeigt. Ja, es geht GOtt in der Aufmunterung zur Betrachtung seiner Werke so weit, daß diejenigen, die sich dieses Mittels, zu seiner Erkenntnis zu gelangen, nicht bedienen, für unvernünftige und Toren gehalten werden: Psalm XCII, 6.7 HErr, wie sind deine Werke so groß!

Von Schmerzen und Schrecken dieser Welt
Wir sehen täglich viele Leute sterben, die dem Anschein nach mit dem Tode nicht gerechnet haben. Da nun also der Tod einem jeden so gewiß und die Stunde desselben so ungewiß ist; und da derselbe uns des Genusses aller irdischen Dinge plötzlich beraubt, so muß wohl jedermann, der dies betrachtet, von der Vergänglichkeit seiner selbst und alles dessen, was in der Welt ist, insofern es mit ihm in Verbindung steht, überzeugt sein. Nicht einmal ein hohes Alter ist zu wünschen, wenn man alles recht bedenkt, da dieses, als ein zweiter Tod, uns fast alles raubt. Hinzu kommt, daß die, die lange leben, nicht nur der Schwachheit des hohen Alters, sondern oft auch anderen bedrückenden und schmerzhaften, zum großen Teil ganz unheilbaren Krankheiten unterworfen sind. Und nähme man auch an, daß dem einen oder andern die Plagen des Alters das Leben nicht zur Qual machen — wie wenige Staaten haben einige Jahrhunderte nacheinander in Blüte gestanden, deren Einwohner nicht von ihrem Eigentum verjagt oder selbst vernichtet wurden? Und wieviel Staaten sind im Gegenteil zu zählen, die nach herrlicher Größe in der äußersten Vernichtung ihr Ende fanden!

Ist nun selbst ein langes und gesundes Leben etwas so Fragwürdiges, daß kein Mensch dadurch glücklich werden kann, so mögen diejenigen, die an den Vollkommenheiten GOttes zweifeln, erwägen, wie schrecklich auch alles Übrige für sie in dem Fall sein muß, daß sie keinen GOtt zu fürchten haben, wie sie sich dies durch elende Vernunftschlüsse weis zu machen trachten. Ein jeder muß zugestehen, solange er auf solche Schlüsse baut: Was ist wohl in der Welt, von welchem er sich mit einer gegründeten Hoffnung etwas Gutes versprechen oder Zuneigung und Liebe erwarten kann, er mag sich verhalten wie er will? Ohne Liebe aber ist dieses Leben ein vollkommenes Elend!

Von der Gnade der Gotteserkenntnis
Ehe wir aus den Teilen der Welt, die in unsere Sinne fallen, die Macht, Weisheit und Güte ihres großen Schöpfers mit größerer Deutlichkeit zu zeigen trachten, als aus Kunstwerken von Menschenhand das Geschick des Werkmeisters abgelesen werden kann, so lasse sich niemand befremden, daß wir es für notwendig halten, diesen großen Schöpfer und Erhalter in der tiefsten Demut anzuflehen: Er möge nicht nur unsern an sich finstern Verstand erleuchten, uns seine Vollkommenheiten in den Werken zu beschauen, fähig machen, sondern er wolle uns auch von allen niedrigen Gemütsbewegungen und den aus diesen fließenden ungegründeten Überlegungen reinigen!

Denn es kann niemandem, der die Gnade erlangt hat, in unzähligen Dingen seinen anbetungswürdigen Schöpfer mit vollkommener Überzeugung zu fühlen und zu finden, entfallen sein, wie viele dieser herrlichen Werke ihm früher oftmals begegneten, ohne daß sie ihn wirklich zu der höchsten Ursache aller Dinge geleitet hätten, obwohl er ihre Eigenschaften gar wohl zu verstehen meinte. Hieraus folgt, daß weder ein durchdringender Verstand noch die Beschaffenheit der Sache selbst genügt, um uns auf die rechte Spur zu bringen, solange es uns noch an einer ganz anderen und höheren Hilfe fehlt.

Ein Atheist aber muß, wenn er das Zeugnis derer, welchen er weder Verstand noch Glaubwürdigkeit absprechen kann, auch nur als historische Wahrheit annimmt, wenigstens soviel zugestehen, daß bei einer Sache von äußerster Wichtigkeit, von der eine selige oder unselige Ewigkeit abhängt, es nach seinen eigenen Gründen ihm nicht schaden kann, wenn er den ihm noch unbekannten GOtt, wie die zu Athen, um seinen Beistand mit uns anruft.

Von Gottes Erbarmen über die Gottlosen
Ein Atheist, der alle Erfahrungen und Zeugnisse verwirft und sich nur auf die Begriffe verläßt, die er bei sich selbst gemacht hat, schließe hieraus <d. h. aus dem Trans-rationalen, das in der gesamten Naturerforschung sichtbar wird>, daß seine Art zu denken ihn unmöglich zu einer wahren Gemütsruhe führen kann, solange er sich weigert, die besonderen Dinge selbst zu untersuchen; und er muß es sich zu diesem Zweck angelegen sein lassen, die Kraft der Beweisgründe, auf welche die Christen ihre Lehren bauen, mit Ernst untersuchen.

Diese bestehen nicht in bloßen Gedanken, sondern sind aus den Betrachtungen der Werke GOttes und aus den unverwerflichen Zeugnissen hergenommen, die uns GOtt in seinem Wort gibt. Viele, die der Atheist nicht für unvernünftig halten kann, wenn er selbst den Anschein der Torheit vermeiden will, gründen sich mit einer völligen Überzeugung und Freudigkeit Leben und Tod auf dieselben.

Vielleicht erbarmt sich der anbetungswürdige Schöpfer und Wohltäter über den Atheisten und gibt ihm, unter anderem auch durch die Betrachtung der vielen unbekannten Dinge, die sich in der Welt zutragen, erkennen, daß seine Philosophie keineswegs hinreicht um über dergleichen Dinge ein richtiges Urteil zu fällen. Und vielleicht gefällt es GOtt, seine Augen und seinen Verstand zu erleuchten, daß er des großen Schöpfers wunderbare und unerforschliche Weisheit, seine herrliche, freie und nach eigenem Wohlgefallen wirkende Macht und seine unverdiente Güte aus dem vortrefflichen Bau dieser schönen Welt und aus all dem Wunderbaren, das darin vorkommt, mit einer völligen Überzeugung einsehen kann und daß er die Wunder seiner Gnade aus den festen und unbeweglichen Gründen seines heiligen Wortes mit der gläubigen Christenheit erkennen lernt.
Dieses teure Wort GOttes ist gegeben worden, um die Sünder zu einer ewigen Glückseligkeit zu leiten; und ein Verleugner und Lästerer des ewigen Wesens, der sich von seinem Irrtum bekehrt, darf sich aus deren Zahl keineswegs ausschließen, noch an der Gnade GOttes verzweifeln.
Aus: Das Zeitalter der Aufklärung. Herausgegeben von Wolfgang Philipp (S.69f.)
In der Reihe: Klassiker des Protestantismus. Herausgegeben von Christel Matthias Schröder Band VII, Sammlung Dieteric Carl Schünemann Verlag Bremen