Nihilismus , von lat. nihil = Nichts
Unter Nihilismus versteht man den Standpunkt, der die bedingungslose Verneinung und Leugnung bestehender Erkenntnismöglichkeiten der Wahrheit als allgemein verbindliche Erkenntnisquellen, Anschauungen jeglicher Art, Leugnung der Existenz Gottes, religiöser Glaubensrichtungen, Sinnsetzungen, Ideologien, sittlicher Normen, Moralvorstellungen und Werteordnungen etc. vertritt. Er annulliert ihre Wichtigkeit, indem er ihre Nichtigkeit postuliert. Der Name »Nihilist« wurde von Iwan Turgenew in seinem Roman »Väter und Söhne« populär gemacht, wo er die »Anarchisten« als »Nihilisten« bezeichnet und diese den Begriff übernahmen.

Iwan Turgenew
Väter und Söhne
...
»Nanu ... ich habe mich fortwährend gefragt: wo hab ich bloß den Namen Basarow gehört ? Nikolaj, erinnerst du dich nicht, diente nicht in der Division unseres Vaters ein Medikus Basarow

»Ich glaube, ja.«

»Ja, es stimmt. Also dieser Arzt ist sein Vater. Hm!«
Pawel Petrowitsch bewegte seinen Schnurrbart. »Und was ist eigentlich der Herr Basarow selbst?« fragte er gedehnt. »Was Basarow ist?« Arkadij lächelte. »Wenn Sie wollen, lieber Onkel, sag ich Ihnen, was er eigentlich ist.«

»Tu mir den Gefallen, lieber Neffe.« »Er ist Nihilist

»Was« rief Nikolaj Petrowitsch, während Pawel Petrowitsch das Messer mit dem Stückchen Butter an der Spitze hochhob und so verharrte.

»Er ist Nihilist«, wiederholte Arkadij.

»Nihilist!« sprach Nikolaj Petrowitsch. »Das Wort kommt, soweit ich es beurteilen kann, von dem lateinischen nihil, nichts, und bezeichnet also einen Menschen, der . . . nichts gelten lassen will.«

»Oder vielmehr: der nichts achtet«, fiel Pawel Petrowitsch ein und wandte sich wieder der Butter zu.

»Der alles vom Standpunkt der Kritik aus beurteilt«, bemerkte Arkadij.

»Kommt das nicht auf ein und dasselbe hinaus?«
fragte Pawel Petrowitsch.

»Nein, durchaus nicht. Ein Nihilist ist ein Mann, der sich vor keiner Autorität beugt, der kein einziges Prinzip auf Treu und Glauben hinnimmt, gleichviel, in wie hohem Ansehen dieses Prinzip auch stehen mag.«

»Und hältst du das für richtig?« unterbrach ihn Pawel Petrowitsch.

»Je nachdem, lieber Onkel. Dem einen bekommt das gut, dem andern sehr schlecht

»So ist es also? Nun, ich sehe, für uns ist das nichts. Wir Leute der alten Zeit, wir sind der Ansicht, dass man ohne Prinzipien­ (Pawel Petrowitsch sprach das Wort weich aus wie im Französischen, während Arkadij das Wort Prinzip mit der Betonung auf der ersten Silbe aussprach), »dass man ohne Prinzipien, die man, wie du dich ausdrückst, auf Treu und Glauben hinnimmt, nicht einen Schritt tun, nicht atmen kann. Vous avez changé tout cela. Nun, gebe euch Gott Gesundheit und den Generalsrang, und wir wollen uns vergnügen, euch zu bewundern, ihr Herren... wie sagtest du doch?«

»Nihilisten«,
sprach Arkadij akzentuiert.

»Ja, früher gab es Hegelisten, jetzt gibt es Nihilisten. Wir wollen zusehen, wie ihr im Nichts, im luftleeren Raum exstieren werdet. Und jetzt, lieber Bruder Nikolaj Petrowitsch, sei so gut und klingle; es ist Zeit, dass ich meinen Kakao trinke.«

Nikolaj Petrowitsch klingelte und rief laut: »Dunjascha!« Aber statt Dunjascha erschien Fenetschka selbst auf der Terrasse. Sie war eine junge Frau von etwa dreiundzwanzig Jahren, weiß und rundlich, mit dunklem Haar und schwarzen Augen, mit roten, kindlich vollen Lippen und zarten Händchen. Sie hatte ein sauberes Kattunkleid an; ein neues blaues Tuch war um ihre rundlichen Schultern geworfen. Sie hielt in der Hand eine große Tasse Kakao, und als sie sie vor Pawel Petrowitsch hinstellte, wurde sie ganz befangen: ihr heißes Blut trieb eine rote Welle unter die feine Haut ihres anmutigen Gesichts. Sie schlug die Augen nieder und blieb, sich leicht auf die Fingerspitzen stützend, neben dem Tische stehen. Es hatte den Anschein, als ob sie sich ihres Kommens schämte, zugleich aber fühlte, dass sie ein Recht hatte zu kommen.

Pawel Petrowitsch runzelte streng die Stirn, während Nikolaj Petrowitsch in Verwirrung geriet.

»Guten Morgen, Fenetschka«,
stieß er durch die Zähne.

»Guten Morgen«, antwortete sie mit einer etwas leisen, aber hellen Stimme, blickte Arkadij, der ihr freundschaftlich zulächelte, von der Seite an und entfernte sich leise. Beim Gehen wiegte sie sich ein wenig in den Hüften, aber auch das stand ihr gut.

Auf der Terrasse herrschte einige Minuten lang Schweigen. Pawel Petrowitsch schlürfte seinen Kakao. Plötzlich richtete er den Kopf empor.

»Da geruht auch der Herr Nihilist zu erscheinen«
, sagte er halblaut.

Tatsächlich erschien im Garten, über die Blumenbeete hinwegschreitend, Basarow. Sein leinener Überrock und seine Beinkleider waren mit Schlamm beschmutzt; um seinen alten runden Hut rankte sich eine sumpfige Schlingpflanze; in der rechten Hand hielt er einen kleinen Sack; in dem Sack bewegte sich etwas Lebendiges. Er näherte sich rasch der Terrasse, nickte und rief:

»Guten Morgen, meine Herren. Verzeihen Sie, dass ich zu spät zum Tee komme; ich bin im Augenblick wieder hier. Zunächst muss ich mich meiner Gefangenen entledigen.«

»Was haben Sie da, Blutegel«
fragte Pawel Petrowitsch.

»Nein, Frösche

»Pflegen Sie sie zu essen oder zu züchten«.


»Ich brauche sie für Experimente«, antwortete Basarow gleichgültig und ging ins Haus.

»Er wird sie sezieren«, bemerkte Pawel Petrowitsch. »An Prinzipien glaubt er nicht, wohl aber an Frösche.«

Arkadij warf einen bedauernden Blick auf seinen Onkel, und Nikolaj Petrowitsch zuckte verstohlen die Achseln. Pawel Petrowitsch selbst fühlte, dass ihm sein Witz misslungen war, und er begann von wirtschaftlichen Dingen und von dem neuen Verwalter zu sprechen, der am Tage vorher zu ihm gekommen war, um sich über den Arbeiter Foma zu beklagen, mit dem nichts anzufangen, der ganz außer Rand und Band geraten wäre.»Er ist ein wahrer Äsop«, sagte der Verwalter unter anderem; » überall ist er als ein übler Bursche verrufen; kaum ist er an einer Stelle, schon muss er wegen einer Dummheit seinen Abschied nehmen.«

Basarow
kam zurück, nahm Platz am Tisch und begann hastig den Tee zu trinken. Die beiden Brüder sahen ihm schweigend zu, während Arkadij verstohlen bald den Vater, bald den Onkel beobachtete. »Sind Sie weit gewesen?« fragte endlich Nikolaj Petrowitsch.

»Wo der kleine Sumpf ist, neben dem Espenwäldchen. Ich habe da fünf Schnepfen aufgescheucht; die kannst du schießen, Arkadij.«


»Sie selbst sind wohl kein Jäger?« fragte Nikolaj Petrowitsch.

»Nein.«

»Sie befassen sich hauptsächlich mit Physik fragte seinerseits Pawel Petrowitsch.

»Ja, mit Physik und mit den Naturwissenschaften überhaupt.«

»Die Germanen sollen in der letzten Zeit große Fortschritte in diesem Wissenszweig gemacht haben.«


»Ja, die Deutschen sind darin unsere Lehrmeister«, warf Basarow nachlässig hin.«

Das Wort »Germanen« anstatt »Deutsche« gebrauchte Pawel Petrowitsch der Ironie halber, die jedoch keiner bemerkte.

»Sie haben wohl eine hohe Meinung von den Deutschen«. fuhr Pawel Petrowitsch mit affektierter Höflichkeit fort. Er fühlte eine geheime Gereiztheit in sich aufsteigen. Seine aristokratische Natur empörte sich über Basarows absolute Ungezwungenheit. Dieser Arztsohn fühlte keine Scheu vor ihm, ja er gab ihm sogar nur ungern knappe Antworten, und im Ton seiner Stimme lag etwas Grobes, fast Freches.

»Die Gelehrten sind dort tüchtige Kerle.«

»Soso. Von den russischen Gelehrten dürften Sie wohl eine so außerordentlich schmeichelhafte Meinung nicht haben?«.

»Wohl möglich.«

»Diese Selbstverleugnung macht Ihnen alle Ehre«, versetzte Pawel Petrowitsch, seinen Oberkörper aufrichtend und den Kopf zurückwerfend. »Aber Arkadij Nikolajewitsch hat uns soeben erzählt, dass Sie keine Autoritäten anerkennen. Glauben Sie ihnen etwa nicht?«.

»Warum sollte ich sie anerkennen? Woran sollte ich glauben? Sagt mir jemänd etwas Vernünftiges, dann pflichte ich ihm bei — und damit ist die Sache abgetan«.

»Also sagen die Deutschen nur Vernünftiges« meinte Pawel Petrowitsch, und sein Gesicht nahm einen so uninteressierten, entrückten Ausdruck an, als wäre er ganz in überirdische Regionen entschwebt.

»Nicht immer«, versetzte mit einem leichten Gähnen Basarow, der offensichtlich das Wortgeplänkel nicht weiterführen wollte.

Pawel Petrowitsch
warf Arkadij einen Blick zu, der zu sagen schien: »Gestehe, höflich ist dein Freund gerade nicht.«

»Was mich betrifft«, fuhr er nicht ohne eine gewisse Überwindung fort, »so muss ich Ärmster eingestehen, dass ich die Deutschen nicht leiden mag. Von den Deutschrussen will ich schon gar nicht sprechen; man weiß, was das für Burschen sind. Aber auch die Deutschen in Deutschland sind nicht mein Geschmack. Früher — da waren sie wohl noch erträglich, damals hatten sie, na, einen Schiller, einen Goethe... Mein Bruder, der ist ihnen ganz besonders gewogen. . . Aber heutzutage findet man unter ihnen bloß Chemiker und Materialisten . . .

»Ein tüchtiger Chemiker ist zwanzigmal so nützlich wie ein beliebiger Dichter«, unterbrach ihn Basarow.

»So ist es also!«
versetzte Pawel Petrowitsch, indem er die Augenbrauen etwas emporzog, als ob er eben im Einschlafen wäre. »Sie halten also nichts von der Kunst?«

»Von der Kunst, Geld zu verdienen, oder der Kunst >Fort mit den Hämorrhoiden<!» rief Basarow mit verächtlichem Lächeln.

»Soso! Wie Sie zu scherzen belieben! Das kommt ja auf eine vollständige Negation heraus. Gut, lassen wir das einmal gelten: Sie glauben also nur an die Wissenschaft

»Ich habe Ihnen bereits erklärt, dass ich an gar nichts glaube. Und was verstehen Sie unter Wissenschaft — Wissenschaft im Allgemeinen? Es gibt Wissenschaften, wie es Handwerke und Berufe gibt; aber eine Wissenschaft im Allgemeinen gibt es nicht.«

»Sehr schön! Und haben Sie auch zu den Maximen, die im Alltag der Menschen Geltung haben, diese negative Einstellung?«

»Soll das ein Verhör sein?«
fragte Basarow.

Pawel Petrowitsch
erblasste leicht . . . Nikolaj Petrowitsch hielt es für seine Pflicht, sich in die Unterhaltung einzumischen.

»Wir wollen uns ein anderes Mal ausführlicher über diesen Gegenstand unterhalten, mein lieber Jewgenij Wassiljitsch, Sie teilen uns dann Ihre Ansichten mit, und wir setzen Ihnen die unseren auseinander. Ich für mein Teil bin sehr froh, dass Sie sich mit den Naturwissenschaften beschäftigen. Wie ich mir habe sagen lassen, hat Liebig in jüngster Zeit wunderbare Entdeckungen in der Bodendüngung gemacht. Sie könnten mir bei meinen agronomischen Arbeiten behilflich sein und mir einen nützlichen Ratschlag geben.«

Iwan Turgenjew, Väter und Söhne, Reclam Bd 718, S. 26-31

»Das alles haben Sie festgestellt und haben den Beschluss gefasst, nichts Ernsthaftes zu unternehmen?«

»Und wir haben den Beschluss gefasst, nichts Ernsthaftes zu unternehmen«
, wiederholte Basarow mürrisch. Er schien sich plötzlich über sich selbst zu ärgern, dass er sich so weit mit diesem Aristokraten eingelassen hatte.

»Und nur zu schimpfen


»Und zu schimpfen


»Und das nennt sich Nihilismus

»Und das nennt sich Nihilismus«,
wiederholte Basarow, aber diesmal in besonders herausforderndem Ton.

Pawel Petrowitsch kniff leicht die Augen zusammen. »Soso«, sagte er mit seltsam ruhiger Stimme. »Der Nihilismus soll der Helfer aus aller Not sein, und Sie, Sie sind unsere Erlöser und Helden. So. Aber warum lästern Sie denn die andern, sagen wir, die Ankläger? Schwatzen Sie nicht ebenso wie alle andern?«

»Wenn wir an etwas kranken, so sicherlich nicht daran«, brachte Basarow zwischen den Zähnen hervor.

»Und? Sie handeln also? Oder schicken sich an zu handeln?«

Basarow
gab keine Antwort. Pawel Petrowitsch zuckte zusammen, aber er bezwang sich sofort.

»Hm! ... Handeln, zerstören ... «‚ fuhr er fort. »Aber wie will man zerstören, wenn man nicht weiß, warum!«

»Wir zerstören, weil wir die Kraft sind«, bemerkte Arkadij. Pawel Petrowitsch sah seinen Neffen an und lächelte mit kaum merkbarer Ironie.

»Ja, die Kraft hat keine Rechenschaft zugeben«, fuhr Arkadij fort und richtete sich auf.

»Du Unglückseliger!«
rief Pawel Petrowitsch, unfähig noch länger an sich zu halten. »Bedenke doch du wenigstens, was du in Russland mit deinen banalen Sentenzen unterstützt! Nein, da kann ja ein Engel die Geduld verlieren! Kraft! Auch in dem wilden Kalmücken und dem Mongolen steckt Kraft! Aber was hilft uns diese Kraft? Uns ist die Zivilisation teuer, ja, jawohl, mein Herr, wir schätzen ihre Früchte. Und kommt mir nicht damit, dass diese Früchte wertlos seien; der elendeste Sudler, un barbouilleur, ein Klavierspieler, dem man fünf Kopeken je Abend zahlt — selbst sie sind nützlicher als ihr, denn sie repräsentieren die Zivilisation und nicht die rohe Mongolenkraft! Ihr bildet euch ein, fortschrittliche Männer zu sein, aber euer Platz wäre im Kalmückenwagen! Kraft! Bedenkt doch schließlich, ihr Herren Kraftmeier, dass ihr ein Bäckerdutzend seid, während die andern nach Millionen zählen, die euch nicht erlauben werden, ihre heiligsten Überzeugungen mit Füßen zu treten, die euch zermalmen werden.«

»Wenn sie uns zermalmen, so geschieht es uns recht«,
erwiderte Basarow. »Aber das bleibt noch dahingestellt. Unser sind nicht so wenige, wie Sie glauben.«

»Wie! Ihr glaubt im Ernst, mit dem Volk, dem ganzen Volk fertig zu werden?«

»Wissen Sie denn nicht, dass, wie man sagt, eine Kerze im Wert einer einzigen Kopeke genügt hat, um Moskau einzuäschern!« antwortete Basarow.

»Soso! Erst ein fast satanischer Hochmut, dann die Verhöhnung! Dafür begeistert sich also die Jugend, so gewinnt man die unerfahrenen Herzen der Knaben! Schauen Sie, da sitzt so einer neben Ihnen — er betet Sie fast an, ergötzen Sie sich an seinem Anblick.« (Arkadij wandte sich ab und runzelte die Stirn.) »Und diese Seuche hat sich schon weit ausgebreitet. Man hat mir versichert, unsere Maler setzten in Rom keinen Fuß mehr in den Vatikan. Raffael halten sie schier für einen Stümper, lediglich weil er eine Autorität ist, aber sie selber sind ohnmächtig und unfruchtbar zum Erbrechen; ihre eigene Phantasie geht über das >Mädchen am Brunnen< nicht hinaus; weiter bringen sie es nicht! Und wie scheußlich gemalt ist dieses Mädchen. Ihr meint, sie seien famose Kerle, nicht wahr?«

»Meiner Meinung nach«,
erwiderte Basarow, »ist auch Raffael keinen roten Heller wert, und die andern sind nicht viel besser als er.«

»Bravo! Bravo! Da hast du‘s, Arkadij ... so haben sich die jungen Leute von heute auszudrücken! Und warum sollen sie auch nicht in euren Fußtapfen wandeln! Früher mussten die jungen Leute etwas lernen; wenn sie nicht als Ignoranten angesehen werden wollten, mussten sie wohl oder übel arbeiten. Jetzt aber brauchen sie nur zu sagen: »Alles auf dieser Welt ist Blödsinn!«‚ und fertig ist der Lack! Die jungen Leute lachen sich ins Fäustchen. In der Tat, früher waren sie einfach Dummköpfe, jetzt sind sie im Handumdrehen Nihilisten geworden.«
Iwan Turgenjew, Väter und Söhne, Reclam Bd 718, S. 62-64

Friedrich Wilhem Nietzsche

war wohl der radikalste Verfechter eines antichristlichen, antijüdischen, antiklerikalen, durch und durch atheistischen, morbiden Nihilismus:

»Der Mensch muss besser und böser werden«
- so lehre ich. Das Böseste ist nötig zu des des Übermenschen Bestem. Das mochte gut sein für jenen Prediger der kleinen Leute, dass er litt und trug an des Menschen Sünde. Ich aber erfreue mich der großen Sünde als meines großen Trostes. - Denn das Böse ist des Menschen beste Kraft.« (1)

Was ist gut? - Alles, was das Gefühl der Macht, den Willen zur Macht, die Macht selbst im Menschen steigert.


Was ist schlecht? - Alles, was aus der Schwäche stammt.

Was ist Glück? - Das Gefühl davon, dass die Macht wächst, - dass ein Widerstand überwunden wird.

Nicht
Zufriedenheit, sondern mehr Macht, nicht Frieden überhaupt, sondern
Krieg; nicht Tugend, sondern Tüchtigkeit (Tugend im Renaissance-Stil, virtù, moralinfreie Tugend«

Die Schwachen und Missratenen sollen zu Grunde gehen: erster Satz der Gesellschaft. Und man soll ihnen dazu noch helfen.
Was ist schädlicher als irgendein Laster? – Das Mitleiden der Tat mit allen Missratenen und Schwachen, - das »Christentum«
. . .
(2)

»Ihr höchsten Menschen, denen mein Auge begegnete, das ist mein Zweifel an euch und mein heimliches Lachen: ich rate, ihr würdet meinen Übermenschen - Teufel heißen!

So fremd seid ihr dem Großen mit euerer Seele, dass euch der Übermensch furchtbar sein würde in seiner Güte . . .
(3)

»Meine Philosophie ist umgedrehter Platonismus: je weiter ab vom wahrhaft Seienden, umso reiner, schöner, besser ist es. Das Leben im Schein als Ziel.«
(4)

(1) Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Kröner, Bd 75, S.320
(2) Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1887-1889, dtv/ de Gruyter Bd 2233, S.192
(3) Nietzsche, Ecce homo, Kröner, Bd 77, S. 405
(4) Nietzsche, Die Unschuld des Werdens, Der Nachlass 1.Teil, Kröner, Bd 77, S.38


Nietzsche war ein Verdreher ersten Ranges, der die Kehrseite aller Werte predigt, indem er ihre Sinn- und Wertsetzung ganz einfach umdreht: Diesseitiger irdischer Schein statt wahrhaftes jenseitiges Sein. Bösesein statt Gutsein, Fernstenliebe statt Nächstenliebe, Krieg statt Frieden, Sünde statt Wohlverhalten, Tüchtigkeit statt Tugend, Instinkt statt Vernunft, Hass statt Feindesliebe, Macht statt Pflicht, mehr Macht statt Zufriedenheit, Rücksichtslosigkeit statt Rücksichtnahme, Immoralität statt Moral, Teufel statt Gott, Wahnsinn statt Vernunft

Wo ist doch der Blitz, der euch mit seiner Zunge lecke? Wo ist der Wahnsinn, mit dem ihr geimpft werden müsstet? Seht, ich lehre euch den Übermenschen: der ist dieser Blitz, der ist dieser Wahnsinn! - (5)

»Sich an eine Vernunft halten, wäre schön, wenn es eine gäbe. (6)

O Himmel über mir, du Reiner! Hoher! Das ist mir nun deine Reinheit, dass es keine ewige Vernunft-Spinne und -Spinnennetze gibt:
- dass du mir ein Göttertisch bist für göttliche Würfel und Würfelspieler! - . . . « (7)

»Das Du ist ist älter als das Ich; das Du ist heilig gesprochen, aber noch nicht das Ich: so drängt sich der Mensch hin zum Nächsten.
Rate ich euch zur Nächstenliebe? Lieber noch rate ich euch zur Nächsten-Flucht und zur Fernsten-Liebe!
Höher als die Liebe zum Nächsten steht die Liebe zum Fernsten und Künftigen; höher noch als die Liebe zum Menschen gilt mir die Liebe zur Sache und Gespenstern .« (8)

»Gott ist ein Gedanke, der macht alles gerade krumm, und alles, was steht, drehend. Wie? Die Zeit wäre hinweg, und alles Vergängliche nur Lüge? Dies zu denken ist Wirbel und Schwindel menschlichen Gebeinen, und dem Magen noch ein Gebrechen: wahrlich, die drehende Krankheit heiße ich's, solches zu mutmaßen. Böse heiße ich's und menschen-feindlich: all dies Lehren vom Einen und Vollen und Unbewegten und Satten und Unvergänglichen!« (9)

»Gott ist widerlegt, aber der Teufel nicht: und alle seine göttlichen Funktionen gehören mit hinein in sein Wesen: Das Umgekehrte ging nicht!« (10)

Die Zeit ist da, in der der Teufel der Advokat Gottes sein muss: wenn anders er selbst fortbestehen will. (11)

Ich bin der Antiesel par excellence und damit ein welthistorisches Untier - ich bin , auf griechisch und nicht nur auf griechisch, der Antichrist . . . (12)

(5) Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Kröner, Bd 75, S.10
(6) Nietzsche, Die Unschuld des Werdens, Der Nachlass 2.Teil, Kröner Bd 83, S.335
(7) Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Kröner, Bd 75, S.183
(8) Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Kröner, Bd 75, S.64
(9) Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Kröner, Bd 75, S.91
(10) Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1884-1885, dtv/ de Gruyter Bd 2231, S.625
(11) Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1882-1884, dtv/ de Gruyter Bd 2230, S.55
(12) Nietzsche, Ecce homo, Kröner, Bd 77, S. 340


Mit seiner These von der »
ewigen Wiederkunft« schuf Nietzsche die extremste Form des Nihilismus:

Ich will den Gedanken lehren, welcher vielen das Recht gibt, sich durchzustreichen, - den großen züchtenden Gedanken... Alles wird und kehrt ewig wieder, - entschlüpfen ist nicht möglich ! - Gesetzt, wir könnten den Wert beurteilen, was folgt daraus? Der Gedanke der Wiederkunft als auswählendes Prinzip, im Dienste der Kraft (und Barbarei!!). Mittel, ihn zu ertragen : die Umwertung aller Werte . . . (13)

(13) Nietzsche, Der Wille zur Macht, Kröner, Bd 78, S. 690f.