Origenes (um 185 – 253/254)


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Inhaltsverzeichnis
Weisheit, Demut, Leiden

Weisheit

Durch die unermessliche Fülle der von Gott auf die Menschen ausgebreiteten göttlichen Gnade wird uns nach Gottes Heilsplan manchmal Einsicht in etwas gewahrt, was sonst wegen seiner Größe, seiner übermenschlichen Art, seiner unendlichen Überlegenheit über unsere dem Todesgeschick verfallene Menschennatur dem Verständnis der sterblichen Vernunftwesen ewig entzogen bliebe. Diese unübertreffliche und unendliche Gnade Gottes vermittelt Jesus Christus für uns unter Mitwirkung des Heiligen Geistes. Während z.B. die Menschennatur den Besitz der Weisheit nicht erlangen kann, nicht wissen kann, wie das All geschaffen ist — denn alles hat Gott, nach David, in Weisheit geschaffen —, wird dennoch das Unerreichbare durch unseren Herrn Jesus Christus für uns erreichbar, da Er für uns Weisheit von Gott geworden ist und Gerechtigkeit und Heilung und Erlösung (1. Kor. 1, 30). »Welcher Mensch wird je Gottes Willen erkennen? Wer wird erfassen, was der Herr mit uns beabsichtigt? Die Gedanken der Sterblichen sind ohnmächtig und unsere eigenen Absichten schwankend und unsicher. Der vergängliche Leib bedrängt ja die Seele, und das irdische Zelt lastet schwer auf dem vielsinnenden Geist. Mühsam nur deuten wir das Irdische. Doch das Himmlische — wer hätte es je ausgespürt?« (Weish. 9, 13-16.) Wer möchte wohl leugnen, dass es für den Menschen unerreichbar ist, das »Himmlische auszuspüren«? Und trotzdem wird dies Unmögliche durch die überragende Gnade Gottes möglich...
Enthalten in: Christliche Geisteswelt, Band I, Die Väter der Kirche . Herausgegeben von Walter Tritsch (S.133), Holle Verlag , Darmstadt

Demut
Mir scheint, wenn Jesus solche auserwählt und zu Dienern seiner Lehre gemacht hätte, die nach dem Urteil der Menge weise sind und so denken und reden können, wie es dem Haufen gefällt, er wohl mit Recht in den Verdacht gekommen wäre, einen gleichen Lehrgang einzuschlagen wie irgendein Philosoph, der eine Sekte gegründet hat, und es wohl nicht erscheinen würde, wie göttlich seine Lehre ist. Es wäre ein Wort und eine Verkündigung gewesen in den Überredungskünsten des Stils und schmucken Rede, und der Glaube daran hätte, ähnlich dem Philosophen dieser Welt an ihre Sätze, »in Menschenweisheit, nicht in Gotteskraft« gewurzelt.

Wir lernen von ihm, dass er »sanft und demütig von Herzen« und es nicht verschmäht, über derlei Dinge mit einem wassertragenden Weibe zu verhandeln, die aus großer Armut aus der Stadt gekommen war und sich mit Wasserschöpfen abmühte. Es staunen auch die hinzukommenden Jünger, welche vorher die Größe seiner Gottheit geschaut, und sie wundern sich darüber, wie ein so Großer auf solche Art mit dem Weibe reden kann; wir aber, von eitlem Hochmut und Geringschätzung geleitet, wir verachten die geringeren Seelen und vergessen, dass auf jeden Menschen das Wort geht: »Lasst uns den Menschen machen nach unserem Bilde und nach unserem Gleichnisse.« Und wir denken nicht an den, der »im Mutterleibe bildet« und der »alle Herzen der Menschen einzeln formt« und der »Einsicht hat in alle ihre Werke«, und wir scheinen nicht zu wissen, dass Gott »der Helfer der Verachteten und Kleinen ist, der die Schwachen aufnimmt, den Verzweifelten beisteht, der Retter der Verstoßenen«.

Wir müssen es wagen, dies auszusprechen, dass eine größere und göttlichere und wahrhaft die Güte des Vaters spiegelnde Güte Jesu aufschien, als er »sich erniedrigte, gehorsam geworden bis zum Tode, zum Tode aber des Kreuzes«, ... als wenn er nicht ihr das Heil der Welt sich hätte versklaven wollen.

Er ist derselbe, der den »Himmel mit Finsternis bedecken« und ihn wie »mit einem Sack bekleiden« wird, der vom Vater »das Wort der Rede« erhalten hat und der weiß, wie »man das Wort sagen mu
ss«, das ihm Gott anvertraut, und er »legte sein Ohr an ihn«, um mehr zu hören als alle Hörenden, und die Rede des Vaters eröffnete ihm das Ohr, denn er war »nicht ungläubig« dem Vater gegenüber, der ihn sandte, und »nicht widersprechend«. Mit seinen Werken selbst lehrte er die Lernbegierigen die Milde und die lobwürdige Demut. Es war aber notwendig, dass er dies durch Taten lehre, dass er »seinen Rücken herhalte den Geißelstreichen und seine Wangen den Ohrfeigen, und sein Gesicht nicht abwende vor der Schmach des Speichels«, auf dass er (so denke ich) uns, die es wert waren, all diese Ehrlosigkeiten zu leiden, erlöse, indem er sie selbst für uns litt. Nicht nämlich ist er für uns gestorben, damit wir nicht stürben, sondern damit wir nicht für uns sterben, und er wurde nicht darum ins Gesicht geschlagen und angespien, damit wir, die wir wegen unserer Sünden all dessen würdig waren, es nicht erlitten, sondern damit wir es als gerechte Genugtuung entgegennähmen und dankbar litten.

Leiden
Das Heilsmal des Vaters in der Welt ist der Sohn, das Heilsmal des Sohnes in der Welt ist das Kreuz.

»Daß ihr erstarket, um mir allen Heiligen zu fassen, welches die Breite und Länge ist, die Höhe und Tiefe«. Dies alles aber besitzt das Kreuz Christi, durch welches er
»auffahrend in die Höhe« gefangennahm die Gefangenschaft und »abstieg in das Unterste der Erde«; denn es hatte das Kreuz »Höhe« und »Tiefe«. Und über die ganze Erde breitete es sich aus, indem es ihre »Breite« und »Länge« einholte. Und wer »Christo mitgekreuzigt« ist und mit ihm mitausgespannt, der ist‘s, der »die Breite und Länge und Höhe und Tiefe« fasst.

Nicht alle überlieferten ihn in derselben Absicht: Der Vater überlieferte ihn wegen seiner Liebe zum Menschengeschlecht, er, der »seines Einziggeborenen nicht schonte, sondern ihn für uns alle übelieferte«. Die übrigen aber überlieferten ihn in schlimmer Absicht: Judas aus Habgier, die Priester aus Neid, der Teufel aus Angst, dass ihm durch seine Lehre das Menschengeschlecht aus der Hand entrissen würde ... Und dass doch Jesus nur in die Hände jener Sünder überliefert worden wäre! Nun aber glaube ich, dass Jesus immerdar »in die Hände der Sünder überliefert« wird, wenn solche, die scheinbar an Jesus glauben, Jesus in Händen halten, obwohl sie Sünder sind.

»Aber nicht, wie ich will, sondern wie du.« Denn es ist ja jedem treuen Gläubigen eigentümlich, zuerst etwas Schmerzliches nicht leiden zu wollen, besonders wenn es bis zum Tode führt, denn der Mensch ist fleischlich — wenn es aber Gott will, auch gegen seinen Willen zuzustimmen, damit er nicht mehr in sich zu verzagen scheine, als er auf Gott hofft.

»Nicht wie ich will, sondern wie du.« Als der »Sohn der Liebe« Gottes liebt er in seinem Vorherwissen zwar jene, die aus den Heiden später glauben sollten; die Juden aber, den Samen der heiligen Väter, »welchen Annahme an Kindesstart und Herrlichkeit und Bundesschluß und Verheißungen gehören«, liebte er wie die Zweige des guten Ölbaums. Und indem er sie liebte, sah er auch voraus, was sie leiden würden dafür, dass sie um seinen Tod bitten und Barabbas zum Leben erwählen würden. Und darum sprach er, leidend für sie: »Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber.« Wiederum aber seine Begierde zurückrufend und sehend, welch großen Nutzen die ganze Welt aus seinem Tode ziehen würde, sprach er: »Aber nicht wie ich will, sondern wie du.« Und wiederum sah er, dass auch Judas, einer der Zwölf, wegen dieses Leidenskelches der »Sohn des Verderbens« sein würde und begriff weiterhin, dass durch jenen Leidenskelch die »Fürsten und Mächte« in seinem [mystischen] Leibe triumphieren würden, und so sprach er uns derentwillen, deren Verderben infolge seines Leidens er abwenden wollte, das Wort: »Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber.« Dann aber besinnt er sich und sagt im Gedenken des ganzen Menschengeschlechts, das durch seinen Tod für Gott erworben werden sollte: »Aber nicht wie ich will, sondern wie du.« Das heißt: Wenn es möglich ist, dass ohne mein Leiden all dies Gute geschehe, das durch mein Leiden gewirkt werden soll, so »gehe« dies Leiden »an mir vorüber«, damit sowohl die Welt gerettet werde, als auch die Juden nicht durch mein Leiden zugrunde gehen. Wenn aber das Heil der Vielen nicht ohne das Unheil einiger gewirkt werden kann, weil es deine Gerechtigkeit so will, so gehe er »nicht« vorbei, »wie ich will, sondern wie du«. Also sagte er: Ich will mehr deinen Willen tun, als den meinen. [...]

Indem Christus geschlagen und ans Kreuz gehängt wurde, brachte er die Quellen des Neuen Bundes hervor, und darum steht von ihm geschrieben
: »Ich werde den Hirten schlagen und die Schafe werden zerstreut werden.« Es war also notwendig, dass jener geschlagen wurde. Denn wäre er nicht durchstoßen worden, so wäre nicht »Wasser und Blut aus seiner Seite« geflossen, so würden wir alle noch den »Durst nach dem WORTE Gottes erleiden.«

Denn Christus hat den Erdkreis mit heiligen und göttlichen Wasseradern überschwemmt, er strömt den Dürstenden den göttlichen Quell und lässt das
»Wasser«
aus der Seitenwunde fließen, die ihm das Schwert wie einen Mund aufriss.

Die Kirche ist es ... die aus der Seitenwunde Christi entsprang und als seine Braut erfunden ward.


Indem der Herr das Scharlachgewand auf sich nahm, nahm er das Blut der Welt auf sich, und in der Dornenkrone nahm er die Dornen unserer Sünden auf sich, die in sein Haupt eingeflochten sind. Von dem Gewande steht geschrieben, dass sie ihm zuletzt »das Scharlachgewand« auszogen. Über die Dornenkrone aber haben die Evangelisten nichts Ähnliches berichtet, denn sie wollten, dass wir uns selber die Frage stellten, wie es mit der Dornenkrone stehe, die ihm einmal aufgesetzt wurde und niemals wieder abgenommen. Es will mir also scheinen, dass jene Dornenkrone vom Haupte Jesu übernommen worden ist, damit unsere alten Dornen nicht mehr wären, nachdem sie Jesus einmal von uns auf sein ehrwürdiges Haupt übertragen hat. Wem aber auch über das Rohr, das sie ihm in die Rechte gaben, etwa gesagt werden soll, so wollen wir dies erwähnen: Jenes Rohr war das Geheimnis des eiteln und zerbrechlichen Zepters, auf das wir uns alle stützten, bevor wir zum Glauben kamen ... Er übernahm dieses Rohr, ... und gab uns dafür das Zepter des himmlischen Reiches.

Aus: Origenes, Geist und Feuer, Ein Aufbau aus seinen Schriften von Hans Urs von Balthasar (S.154-159), Christliche Meister 43
© Johannes Verlag Einsiedeln, Freiburg 1991, Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Johannes Verlages Einsiedeln