Pascals-Wette
Siehe auch bei Pascal aktuelle Übersetzung Reclams Universalbibliothek Nr. 1622. Hier wurde jedoch die Übersetzung von Heinrich Hesse gewählt, weil in ihr auch die Anmerkungen Voltaires zu Pascals »Pensées« enthalten sind.

Pascals Wette
nach den »Gedanken mit den Anmerkungen Voltaires. Aus dem Französischen von Heinrich Hesse. Eingeleitet von E. Gahlen. Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig«

Dritter Artikel

Es ist schwer die Existenz Gottes aus natürlichen Erkenntnisquellen zu beweisen; aber es ist sehr sicher ihn zu glauben

1.

A. Lasst uns von natürlichen Einsichten sprechen.

Wenn es einen Gott gibt, so ist er doch im höchsten Maße unbegreiflich, da er ohne Teile und Grenzen durchaus keine Beziehung zu uns hat: wir sind also außer Stande zu erkennen was er ist noch ob er ist. Wer wird sich bei solcher Sachlage daran wagen, die Lösung dieser Frage zu unternehmen? Wir gewiss nicht, weil wir keine Beziehung zu ihm haben.

2.
B.
Ich werde es hier nicht unternehmen mit natürlichen Gründen die Existenz Gottes, oder die Dreieinigkeit oder die Unsterblichkeit der Seele oder nur irgendeine Frage dieser Art zu beweisen, nicht nur, weil ich mich nicht stark genug fühle* in der Natur aufzufinden, womit verhärtete Atheisten überführt würden, sondern auch, weil diese Erkenntnis ohne Jesus Christus unnütz und unfruchtbar ist. Wenn ein Mensch überzeugt wäre, dass die Verhältnisse unter den Zahlen immaterielle, ewige, von einer ersten Wahrheit, in der sie begründet sind, abhängige Wahrheiten seien, und wenn man diese »Gott« nennte, ich würde nicht glauben, dass er damit einen großen Fortschritt für sein Heil gemacht habe.

*Anmerkung Voltaires: Noch einmal, ist es möglich, dass sich Pascal sich nicht stark genug fühle die Existenz Gottes zu beweisen?

3.
A.
Es ist bemerkenswert, dass nie ein kanonischer [sich an dem kirchlichen Bibel- und Regelwerk orientierender] Schriftsteller sich der Natur bedient um Gott zu beweisen: alle streben darnach ihn glauben zu lassen; niemals haben sie gesagt, es gibt durchaus keine Leere; also gibt es einen Gott.* Sie hätten viel geschickter sein müssen, als die geschicktesten Leute, die nach ihnen gekommen sind und die sich alle dieses Beweises bedient haben

* Anmerkung Voltaires: Das ist ein spaßhaftes Argument: Nie hat die Bibel gesagt wie Descartes: Alles ist voll, also gibt es einen Gott. S. 363

4.
B. Es ist ein Zeichen der Schwäche, Gott aus der Natur zu beweisen, so achtet die Schrift nicht gering: ist es ein Zeichen der Stärke, diese Gegensätze erkannt zu haben, so achtet darum die Schrift hoch.

5.
A. Die Einheit dem Unendlichen hinzugefügt vermehrt sie um nichts, ebenso wenig wie ein Fuß mehr eine unendliche Länge. Das Endliche vergeht vor dem Unendlichen und wird ein reines Nichts. Also unser Geist vor Gott; als unsere Gerechtigkeit vor der göttlichen Gerechtigkeit. Es ist kein so großes Missverhältnis zwischen der Einheit und dem Unendlichen, wie zwischen unserer Gerechtigkeit und der Gottes.

6.
B. Wir erkennen, dass es ein Unendliches gibt, und wir kennen seine Beschaffenheit nicht. Also wissen wir z. B., es ist falsch, dass die Zahlen endlich seien: folglich ist es wahr, dass es ein Unendliches in den Zahlen gibt. Aber wir wissen nicht, was es ist. Es ist falsch, dass es gerade sei, es ist falsch, dass es ungerade sei; denn durch Hinzufügung der Einheit ändert es seine Natur durchaus nicht: gleichwohl ist es eine Zahl, und jede Zahl ist gerade oder ungerade; es ist wahr, dass das von allen endlichen Zahlen gilt.

Man kann also gar wohl erkennen, dass ein Gott ist, ohne zu wissen, was er ist: und ihr dürft nicht folgern, dass gar kein Gott existiere, deshalb weil wir sein Wesen nicht vollkommen erkennen

Ich werde mich, um euch von seiner Existenz zu überzeugen, nicht des Glaubens bedienen, durch den wir sie auf das Gewisseste erkennen, noch all' der anderen Beweise, die wir dafür haben, da ihr sie ja nicht annehmen wollt. Ich will mit euch nur nach euren eigenen Prinzipien verfahren; und ich mache mich anheischig, euch auf dieselbe Art, wie ihr täglich über Dinge von geringerer Tragweite urteilt, zu zeigen wie ihr in dieser Angelegenheit urteilen müsst, und welche Partei ihr bei der Entscheidung über diese wichtige Frage nach der Existenz Gottes ergreifen müsst.

A. Gleichwohl ist es sicher, dass Gott ist oder dass er nicht ist; es gibt keinen Mittelweg. Aber auf welche Seite sollen wir uns neigen? Die Vernunft, sagt ihr, kann nichts darüber entscheiden. Es gibt ein unendliches Chaos, das uns trennt. Man spielt auf diese unendliche Entfernung hin ein Spiel, wohin Kopf oder Wappen kommen wird. Was wettet ihr? Mit Vernunft könnt ihr weder das eine noch das andere bejahen; mit Vernunft könnt ihr keins von beiden verneinen.

B. Tadelt also auch nicht den Fehler derjenigen, die eine Wahl getroffen haben; denn ihr wisst nicht, ob sie Unrecht haben, und ob sie schlecht gewählt haben.

A. Ich werde sie tadeln, sondern überhaupt eine Wahl getroffen zu haben; und er welcher Kopf, und der welcher Wappen nimmt, sie haben alle beide Unrecht: das Richtige ist gar nicht zu wetten.

B. Ja, man muss wetten, das ist nicht freiwillig; ihr habt euch einmal darauf eingelassen, und nicht wetten, dass Gott ist, heißt wetten, dass er nicht ist.* Was wollt ihr also wählen? Sehen wir, was euch am wenigsten interessiert: ihr habt zweierlei zu verlieren, das Wahre und das Gute; und zweierlei einzusetzen, eure Vernunft und euren Willen, eure Erkenntnis und euer Glück: und eure Natur hat zweierlei zu fliehen, Irrtum und Elend. Wettet also ohne Zögern, dass er ist; eure Vernunft wird, wenn ihr das eine wählt, nicht mehr verletzt, als wenn ihr das andere wählt; denn zu wählen ist einmal absolut notwendig. Das ist eine abgemachte Sache; aber euer Glück? Wägen wir Gewinn und Verlust: nehmt ihr die Partei des Glaubens gewinnt ihr, wenn ihr gewinnt, alles; wenn ihr verliert, verliert ihr nichts. Glaubt also, wenn ihr es könnt.

*Anmerkung Voltaires: Es ist offenbar falsch zu sagen: Nicht wetten, dass Gott ist, heißt wetten, dass er nicht ist; denn der welcher Zweifel und Aufklärung sucht, wettet gewiss nicht, weder für noch wider. Auch sonst scheint dieser Artikel etwas indezent [nicht feinfühlig, unschicklich, unanständig] und knabenhaft: diese Vorstellung von Spiel, von Verlust und Gewinn, passt gar nicht zu der Wichtigkeit des Gegenstandes. Noch mehr, das Interesse, welches ich daran habe, etwas zu glauben, ist kein Beweis für die Existenz desselben. Ihr versprecht mir die Herrschaft über die Welt, wenn ich glaube, dass ihr Recht habt. Ich wünsche alsdann von ganzem Herzen, dass ihr Recht haben möget; aber ehe ihr es mir nicht bewiesen, kann ich Euch nicht glauben. Beginne, könnte man zu Pascal sagen, damit, meine Vernunft zu überführen: ich habe ohne Zweifel ein Interesse daran, dass ein Gott sei; aber wenn nach deinem System Gott nur für so wenig Menschen gekommen, wenn die Zahl der Erwählten so erschrecklich klein ist, wenn ich ganz und gar nichts aus mir selbst vermag, sag' mir, ich bitte dich, welches Interesse habe ich, dir zu glauben? Habe ich nicht vielmehr ein ersichtliches Interesse daran vom Gegenteil überzeugt zu werden? Mit welcher Stirn wagst du es mir ein unendliches Glück zu zeigen, welches unter einer Million Menschen kaum einer mit Recht ersehnen darf! Wenn du mich überführen willst, versuche es auf andere Weise, nicht indem du mir bald Glücksspiel, Wette, Kopf und Wappen sprichst, bald mich durch die Dornen erschreckst, die du auf den Weg streust, den ich gehen will und muss. Deine Auseinandersetzung würde nur Atheisten machen, wenn nicht die Stimme aller Natur uns zuriefe, dass ein Gott ist, mit ebenso viel Kraft, als die Subtilitäten schwach sind. S.364-365

A. Das ist bewunderungswürdig: ja man muss glauben; aber ich wage vielleicht zu viel.

B. Lasst uns sehen, wenn ihr, da die Aussichten auf Gewinn und Verlust gleich sind, nur zwei Leben für eines zu gewinnen hättet, so könntet ihr noch wetten. Und wenn ihrer zehn zu gewinnen wären, so wäret ihr unklug euer Leben nicht zu wagen, um ihrer zehn zu gewinnen in einem Spiel, wobei die Aussichten auf Gewinn und Verlust gleich sind. Aber es gibt hier eine Unendlichkeit von unendlich glücklichen Leben zu gewinnen mit gleicher Aussicht auf Verlust und Gewinn; und was ihr einsetzt ist so wenig wert und von so geringer Dauer, dass es Torheit wäre, es bei dieser Gelegenheit zu sparen.

Denn es nützt nichts zu sagen, es sei ungewiss, ob man gewinnen wird, und es sei gewiss, dass man wage; und dass der unendliche Unterschied zwischen der Sicherheit dessen, was man einsetzt, und der Unsicherheit dessen, was man gewinnen kann, das endliche Gut, welches man sicher einsetzt, dem unendlichen, was ungewiss ist, gleichwertig mache. Das verhält sich nicht so: jeder Spieler wagt mit Sicherheit, um mit Unsicherheit zu gewinnen; und gleichwohl wagt er sicher das Endliche, um unsicher das Endliche zu gewinnen, ohne deshalb wider die Vernunft zu fehlen. Es ist kein unendlicher Unterschied zwischen dieser Sicherheit dessen, was man einsetzt, und der Unsicherheit des Gewinnens; das ist falsch. Es ist in Wahrheit ein unendlicher zwischen der Sicherheit zu gewinnen und der Sicherheit zu verlieren. Aber die Unsicherheit zu gewinnen steht im richtigen Verhältnis der Aussichten auf Gewinn und Verlust; und deshalb steht, wenn auf der einen Seite ebenso so viel Aussicht wie auf der anderen Seite ist, die Partie gleich gegen gleich; und alsdann ist die Sicherheit dessen was man einsetzt gleich der Sicherheit gleich der Unsicherheit des Gewinns, geschweige denn, dass sie ihr unendlich ungleich sei. Und also ist unsere Voraussetzung von unendlicher Kraft, da man nur das Endliche zu wagen hat an ein Spiel, bei dem die Aussichten auf Gewinn und Verlust gleich und das Unendlich zu gewinnen ist. Das ist beweiskräftig; und wenn die Menschen einigen Wahrheiten zugänglich sind, so müssen sie es für diese sein.

A. Ich bekenne es, ich gestehe es. Aber dennoch gäbe es kein Mittel die verdeckte Seite des Spiels zu sehen?

B. Ja, durch das Mittel der Schrift, und durch all' die anderen Beweise der Religion, welche unendlich sind.

A. Die welche ihr Heil hoffen, werdet ihr sagen, sind dadurch glücklich; aber sie haben als Gegengewicht die Furcht vor der Hölle.

 B. Aber wer hat mehr Grund die Hölle zu fürchten, der, welcher in Unwissenheit schwebt, ob es eine Hölle gibt, und in sicherer Verdammung, wenn es eine gibt, wenn es eine gibt; oder der, welcher in sicherer Überzeugung lebt, dass es eine Hölle gibt, und in der Hoffnung gerettet zu werden, wenn es eine gibt.

Wenn jemand, der nur noch acht Tage zu leben hätte, nicht zu der Überzeugung käme, dass es das Sicherste sei zu glauben, all' das sei nicht nur ein Spiel des Zufalls, der würde den Verstand völlig verloren haben. Wenn uns nun aber die Leidenschaften nicht zurückhielten, so wären acht Tage und hundert Jahre ein und dasselbe.

Was wird euch Übles geschehen, wenn ihr diese Partei ergreift? Ihr werdet treu, ehrlich, demütig, erkenntlich, wohltätig, lauter, wahrhaft sein. Ihr werdet in der Tat nicht mehr in jenen vergifteten Freuden, dem Ruhm, der Wollust, leben. Aber werdet ihr gar keine andere haben? Ich sage euch, dass ihr in diesem Leben gewinnen werdet; dass ihr bei jedem Schritte auf dieser Bahn soviel Sicherheit des Gewinns und in dem, was ihr wagt, ein solches Nichts sehen werdet, dass ihr schließlich erkennen werdet, ihr habt auf eine sichere und unendliche Sache gewettet, und ihr habt nichts gegeben um sie erhalten.

A. Ja, aber meine Hände sind gebunden und mein Mund ist stumm; man zwingt mich zu wetten, ich bin nicht frei, man lässt mich nicht los: und ich bin von der Art, dass ich nicht glauben kann. Was wollt ihr also, dass ich tun soll?

B. Erkennt wenigstens eure Ohnmacht zum Glauben, da die Vernunft euch dahin führt, und ihr gleichwohl nicht glauben könnt. Arbeitet also daran euch zu überzeugen, nicht durch Vermehrung der Beweise Gottes, sondern durch Verminderung eurer Leidenschaften. Ihr wollt zum Glauben gehen, und ihr wisst nicht den Weg; ihr wollt euch heilen vom Unglauben und ihr fragt nach den Mitteln: lernt sie von denen, die so gewesen sind, wie ihr, und die jetzt keinen Zweifel mehr haben. Sie kennen den Weg, den ihr gehen wollt; und sie sind geheilt von dem Übel, wovon ihr geheilt sein wollt. Folgt der Weise, womit sie angefangen haben; ahmt ihre äußeren Handlungen nach, wenn ihr noch nicht zu ihren inneren Neigungen gelangen könnt; verlasst jene eitlen Vergnügungen, die euch ganz in Anspruch nehmen.

Ich würde diese Vergnügungen bald verlassen haben, sagt ihr, wenn ich den Glauben hätte. Und ich sage euch, ihr würdet bald den Glauben haben, wenn ihr diese Vergnügungen verlassen hättet. Es ist aber an euch anzufangen. Wenn ich könnte, würde ich euch den Glauben geben: ich kann es nicht, also auch nicht die Wahrheit dessen, was ihr sagt, beweisen; aber ihr könnt gar wohl jene Vergnügungen verlassen und erproben, ob das, was ich sage, wahr ist.

A. Diese Rede bezaubert mich.

B. Wenn diese Rede euch gefällt und mächtig scheint, so wisset, dass sie getan ist von einem Menschen, der vorher und nachher auf den Knien gelegen, um jenes unendliche, teillose Wesen, dem er all' das Seine unterwerft, zu bitten, sich auch das Eure zu unterwerfen zu eurem eigenen Heil und seinem Ruhm; und dass also die Macht sich mit dieser Niedrigkeit vereinigt.

6.
Man muss sich nicht verkennen: wir sind ebenso sehr Körper als Geist; und deshalb ist das Mittel zur Überzeugung nicht einzig und allein die Beweisführung. Wie wenig bewiesene Dinge gibt es? Die Beweise überführen nur den Geist. Die Gewohnheit macht unsere Beweise zu den stärksten.* Sie beugt die Sinne, und diese Ziehen den Geist mit fort, ohne dass er daran denkt. Wer hat bewiesen, dass morgen Tag sein wird, und dass wir sterben werden? Und was gibt es, das allgemeiner geglaubt würde? Also überzeugt uns davon die Gewohnheit; sie ist es, die, soviel Türken und Heiden macht; sie macht die Berufsarten die Soldaten, etc. Es ist wahr, man darf nicht mit ihr beginnen, um die Wahrheit zu finden; aber man muss, wenn der Geist einmal die Wahrheit gesehen, auf sie zurückgreifen, um uns zu tränken und zu färben mit diesem Glauben, der uns stündlich entschlüpft; denn dafür stets die Beweise gegenwärtig zu haben, das wäre zu viel verlangt. Man muss einen leichteren Glauben erwerben, den der Gewohnheit, der ohne Gewalt, Kunst und Beweis uns die Dinge glauben lässt, und all' unsere Kräfte diesem Glauben beugt, so dass unsere Seele ganz natürlich darein verfällt. Es ist nicht genug, nur vermöge der Stärke der Überzeugung zu glauben, wenn die Sinne uns verleiten das Gegenteil zu glauben. Unsere beiden Teile müssen also zusammengehen; der Geist vermöge der Gründe, die einmal in seinem Leben gesehen zu haben genügt; und die Sinne vermöge der Gewohnheit und indem man ihnen nicht gestattet, sich zum Gegenteil hinzuneigen. S.176-182

*Anmerkung Voltaires: Gewohnheit ist hier nicht das rechte Wort. Nicht aus Gewohnheit glaubt man, dass es morgen werden wird. Sondern nach äußerster Wahrscheinlichkeit. Nicht vermöge unserer Sinne, unseres Körpers erwarten wir zu sterben; sondern da unsere Vernunft weiß, dass alle Menschen gestorben sind, so lehrt sie uns, dass auch wir sterben werden. Erziehung und Gewohnheit machen ohne Zweifel, wie auch Pascal sagt, Muselmänner und Christen. Aber die Gewohnheit lässt uns nicht glauben, dass wir sterben werden, wie sie uns an Mahomed oder Paulus glauben lässt, je nachdem wir zu Konstantinopel oder Rom erzogen sind. Das sind Dinge sehr verschiedener Art. S.364

Anmerkungen zur Wette durch den Herausgeber von Philos-Website
heutzutage, das scheint gar keine Frage, mag es manchen schon verlocken um die Existenz Gottes zu zocken. Doch ist es auch opportun dies zu tun angesichts der Bedeutung und Wichtigkeit des Themas, wie Voltaire anmerkt, angemessen oder gar vermessen, dies zu tun. Wir meinen, dass es nicht vermessen, sondern durchaus angemessen ist, dies zu tun, weil Gott, sofern er existiert und nicht bloß blinder Zufall alles regiert, selbst in der der Produktion der Evolution, wie man die Schöpfung auch nennen kann, würfeln lässt. Ist es nicht der aus dem Zufall geborene Irrtum, wie man die fehlerhafte Gen-Übertragung auch heißen kann, in der die Mutation generiert und durch gezielte Selektion (Notwendigkeit) auf dauerhaften Nutzen und harmonische Weiterbewahrung kontrolliert und ggf. akzeptiert wird? Wir wollen hier die originelle Wettidee Pascals kritisch wägen, mit der er höchst verwegen Agnostiker und »verhärtete Atheisten« dazu bewegen wollte, an die Existenz Gottes zu glauben. Ob angemessen oder vermessen: in dieser Wette scheint das helle Licht der wohlwollenden Absicht das mathematische Mittel durchaus zu heiligen. Bei seiner Wette ging Pascal davon aus, dass die Chancen, ob Gott ist oder nicht, gleich groß sind:

» Gleichwohl ist es sicher, dass Gott ist oder dass er nicht ist; es gibt keinen Mittelweg. Aber auf welche Seite sollen wir uns neigen? Die Vernunft, sagt ihr, kann nichts darüber entscheiden. Es gibt ein unendliches Chaos, das uns trennt. Man spielt auf diese unendliche Entfernung hin ein Spiel, wohin Kopf oder Wappen kommen wird. Was wettet ihr? Mit Vernunft könnt ihr weder das eine noch das andere bejahen; mit Vernunft könnt ihr keins von beiden verneinen«.

Dann macht Pascal eine kühne Zuspitzung, indem er behauptet, dass in jedem Fall gewettet werden muss, ob dieses nun gewollt wird oder nicht:

»Ja, man muss wetten, das ist nicht freiwillig; ihr habt euch einmal darauf eingelassen, und nicht wetten, dass Gott ist, heißt wetten, dass er nicht ist«.

Voltaire bezweifelt die Richtigkeit dieses Gedankengangs, indem er anmerkt:

»Es ist offenbar falsch zu sagen: Nicht wetten, dass Gott ist, heißt wetten, dass er nicht ist; denn der welcher Zweifel und Aufklärung sucht, wettet gewiss nicht, weder für noch wider. Auch sonst scheint dieser Artikel etwas indezent [nicht feinfühlig, unschicklich, unanständig] und knabenhaft: diese Vorstellung von Spiel, von Verlust und Gewinn, passt gar nicht zu der Wichtigkeit des Gegenstandes. Noch mehr, das Interesse, welches ich daran habe, etwas zu glauben, ist kein Beweis für die Existenz desselben«.

»Wenn wir die berechtigte Einwendung Voltaires ignorieren und Pascals Spekulation folgen, stellt sich die Frage, was wir wählen sollen:

»Was wollt ihr also wählen? Sehen wir, was euch am wenigsten interessiert: ihr habt zweierlei zu verlieren, das Wahre und das Gute; und zweierlei einzusetzen, eure Vernunft und euren Willen, eure Erkenntnis und euer Glück: und eure Natur hat zweierlei zu fliehen, Irrtum und Elend. Wettet also ohne Zögern, dass er ist; eure Vernunft wird, wenn ihr das eine wählt, nicht mehr verletzt, als wenn ihr das andere wählt; denn zu wählen ist einmal absolut notwendig. Das ist eine abgemachte Sache; aber euer Glück? Wägen wir Gewinn und Verlust: nehmt ihr die Partei des Glaubens gewinnt ihr, wenn ihr gewinnt, alles; wenn ihr verliert, verliert ihr nichts. Glaubt also, wenn ihr es könnt«.

Wenn wir auf die Partei des Glaubens wetten, dann gewinnen wir alles, wenn wir gewinnen; sollten wir aber verlieren, dann verlieren wir nichts, sagt Pascal und fügt hinzu: Glaubt also, wenn ihr es könnt!

Was heißt das? - glauben! In Annäherung an Kant: Glauben heißt nicht wissen! Glauben ist subjektiv, denn wenn er für jedermann zu objektivieren wäre, würde er sich mit apodiktischer Gewissheit zum absoluten unwiderlegbaren Wissen generieren. An eine Sache zu glauben - wie z. B. an Gottes unsichtbare Existenz - ist in diesem Sinne die feste subjektive Überzeugung, dass Gott tatsächlich existiert. Kriterium: Um Glauben zu sein, darf der Glaube also weder objektiv belegbar noch widerlegbar sein.

Die Gründe, die uns zu der festen Überzeugung führen, an Gottes Existenz zu glauben, sind vielfältigster Art. Für manche reicht die unwiderlegbare Tatsache aus, dass uns irgendetwas das Glaubenkönnen gegeben hat, an dies oder jenes glauben zu dürfen, das ist die Willensfreiheit, in der wir uns dafür entscheiden können, an Gottes Existenz zu glauben oder nicht, oder wie manche sagen: uns für Gott oder gegen ihn zu entscheiden und für das bisschen Freiheit müssen wir viele Übel bis zu unserem unabwendbaren körperlichen Tode durchleiden. Was wir nach Pascal gewinnen können, ist das unendliche Glück, das im Wahren und Guten zu finden ist, bei vergleichsweise geringem Einsatz:

»Es gibt hier eine Unendlichkeit von unendlich glücklichen Leben zu gewinnen mit gleicher Aussicht auf Verlust und Gewinn; und was ihr einsetzt ist so wenig wert und von so geringer Dauer, dass es Torheit wäre, es bei dieser Gelegenheit zu sparen«.

Es geht also nicht weniger als um die Entscheidung zwischen einem unendlich glücklichen Dasein mit unendlicher Fortdauer im Himmel oder unendlicher Verdammung mit unendlichem Unglücklichsein und Elend in der Hölle, wenn es eine gibt. Aber wenn es eine Hölle gibt, dann gibt es auch die Hoffnung auf Rettung aus dieser Hölle.

»Die welche ihr Heil hoffen, werdet ihr sagen, sind dadurch glücklich; aber sie haben als Gegengewicht die Furcht vor der Hölle«.

»Aber wer hat mehr Grund die Hölle zu fürchten, der, welcher in Unwissenheit schwebt, ob es eine Hölle gibt, und in sicherer Verdammung, wenn es eine gibt, wenn es eine gibt; oder der, welcher in sicherer Überzeugung lebt, dass es eine Hölle gibt, und in der Hoffnung gerettet zu werden, wenn es eine gibt«.

Auf die Frage, ob es kein Mittel gibt, »die verdeckte Seite des Spiels zu sehen« , d. h. Gewissheit zu erlangen, antwortet Pascal großmundig:

»Ja, durch das Mittel der Schrift, und durch all' die anderen Beweise der Religion, welche unendlich sind«.

Da rührt sich ein leichtes Unbehagen im aufbegehrenden Magen, denn die »Schrift und all' die anderen Beweise der Religion« beruht auf bloßem Hörensagen, die dem heutigen Menschen ohne nachvollziehbare Beweiskraft zugetragen werden. Ja, selbst Himmel, unendliche Seligkeit, Hölle, ewige Verdammnis sind Begriffe, die die biblischen Schriften ohne Genieren generieren und dem Menschen ihre Existenz einsuggerieren. Leider ist es der grausame und rachsüchtige monotheistische Judengott Jahwe und sein auserwähltes, dauergeplagtes Volk, dessen Existenz, die Christen als Grundlage ihres Glaubens zum Loben erhoben. Es ist »der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs (2. Mose 3,6), nicht der Philosophen und der Gelehrten«, der Pascal in seiner im »Mémorial« beschriebenen göttlichen Eingebung zur Anbetung erschienen ist.

Und wie sieht es ansonsten mit der Beweiskraft unserer Gottes-Visionäre aus? Man diffamiert sie gerne als Epileptiker (z. B. Paulus, Luther, Mohammed), religiöse Fanatiker oder bestenfalls als harmlose Schwärmer oder Schwärmerinnen mit teilweise erotischen Jesusphantasien.

Kein Mensch kann aus seiner Haut schlüpfen und in eine fremde hüpfen, um diese Phantasiegebilde nachzuempfinden, die möglicherweise vom Unterbewusstsein produziert werden.. Andere können nicht glauben, dass irgendwelche Heilig- und Seligsprechungen gültige Eintrittskarten in den glückseligen ewigen Himmelgarten sein sollen.

Jesus soll gesagt haben, dass der Glaube Berge versetzen kann. Den Beweis blieb er uns schuldig. Eins scheint jedoch gewiss zu sein, dass der Glauben massenhaft Berge errichten kann, deren bitteres Ärgernis er später mitnichten ganz allein aus eigener Kraft wieder vernichten vermag.

Und doch können wir nicht bestreiten, dass die Biblischen Geschichten eine mehr oder weniger gut gelungene Mischung aus Wahrheit und Dichtung zu sein scheinen.. Man muss nur den richtigen Weg beschreiten. Alles, was man von dem ewigen Gottwesen sagen kann, ist das, was der Gott Pascals über sich selbst in 2. Mose 3, 1-20, zu Moses gesagt haben soll: »Ich bin, der ich bin! Und zu den Israeliten sollst du sagen: ich-bin-der-ich-bin hat mich zu euch gesandt. Der Herr, der Gott eurer Väter, Abrahams, Isaaks und Jakobs Gott, hat mich gesandt. Ich-bin lautet mein Name, heute und immer, so soll man mich anrufen von Geschlecht zu Geschlecht«.

Man könnte das auch so ausdrücken, ich bin jetzt und immerdar, der ich immer war, immer bin und von Ewigkeit zu Ewigkeit immer sein werde.

Erinnern wir uns: Das absolute Nichts kann nicht sein, weil es gar nichts an sich hat, in dem es möglicherweise wesenhaft existieren kann. Deshalb war es nie gewesen, ist es jetzt und immerdar ein wesenloses Ding der Unmöglichkeit und wird von Ewigkeit zu Ewigkeit nie und nimmer sein.

Es ist das logische Denken, das uns vernunftgemäß unausweichlich zu diesen Schlüssen zwingt: Es muss so sein, damit nach dem vernünftigen Schluss überhaupt irgendetwas sein kann. Zu dem Muss der immerwährenden Existenz des göttlichen Urwesens passt nach dem vernünftigen Schluss keine unvernünftige Anbetungssucht, Eifersucht, Strafsucht, Rachsucht und restlos übertriebene Selbstsucht Möglicherweise sind ihm diese niederträchtigen Eigenschaften von Moses instrumental angedichtet worden, damit er mit der Qual ihrer Auswahl sein widerspenstiges Volk fatal domestizieren kann. Warum sollte Gott auf einem Glauben an seine Existenz bestehen, wenn auch ohne diesen Glauben Treu und Redlichkeit, Ehrlichkeit, Demut und Nächstenliebe in all unseren Taten aus reinem Herzen, ohne irgendwelche hinterlistige Erwartungen und selbstsüchtigen Absichten auf Erden ausgeübt werden. Darauf zielt Pascal letztlich auch ab, wenn er denen, die nicht ganz allein aus eigener Kraft glauben können, zu selbstlosen Taten durch Verminderung ihrer Leidenschaften und selbstsüchtigen Vergnügungen rät:

»… ich bin von der Art, dass ich nicht glauben kann. Was wollt ihr also, dass ich tun soll«?

»Erkennt wenigstens eure Ohnmacht zum Glauben, da die Vernunft euch dahin führt, und ihr gleichwohl nicht glauben könnt. Arbeitet also daran euch zu überzeugen, nicht durch Vermehrung der Beweise Gottes, sondern durch Verminderung eurer Leidenschaften. Ihr wollt zum Glauben gehen, und ihr wisst nicht den Weg; ihr wollt euch heilen vom Unglauben und ihr fragt nach den Mitteln: lernt sie von denen, die so gewesen sind, wie ihr, und die jetzt keinen Zweifel mehr haben. Sie kennen den Weg, den ihr gehen wollt; und sie sind geheilt von dem Übel, wovon ihr geheilt sein wollt. Folgt der Weise, womit sie angefangen haben; ahmt ihre äußeren Handlungen nach, wenn ihr noch nicht zu ihren inneren Neigungen gelangen könnt; verlasst jene eitlen Vergnügungen, die euch ganz in Anspruch nehmen«.

»Ich würde diese Vergnügungen bald verlassen haben, sagt ihr, wenn ich den Glauben hätte«.

»Und ich sage euch, ihr würdet bald den Glauben haben, wenn ihr diese Vergnügungen verlassen hättet. Es ist aber an euch anzufangen. Wenn ich könnte, würde ich euch den Glauben geben: ich kann es nicht, also auch nicht die Wahrheit dessen, was ihr sagt, beweisen; aber ihr könnt gar wohl jene Vergnügungen verlassen und erproben, ob das, was ich sage, wahr ist«

Danach unterstreicht er die Bedeutung seiner Worte, indem er betont,
»dass diese Rede getan ist von einem Menschen, der vorher und nachher auf den Knien gelegen, um jenes unendliche, teillose Wesen, dem er all' das Seine unterwerft, zu bitten, sich auch das Eure zu unterwerfen zu eurem eigenen Heil und seinem Ruhm; und dass also die Macht sich mit dieser Niedrigkeit vereinigt«.

Man kann den Eindruck gewinnen, dass der Wahrscheinlichkeitstheoretiker Pascal mit seiner Wette nicht zuletzt auch sich selbst zu überzeugen versuchte. Dies wird verständlich, wenn man beachtet, dass Pascal auch ein von den Atheisten Nietzsche und Schopenhauer hoch geachteter Skeptiker war. Seine Klage tritt deutlich in folgender Theodizee-Frage zu Tage:

»Man stelle sich eine Anzahl von Menschen in Ketten vor, die alle zum Tode verurteilt sind und von denen jeden Tag einige vor den Augen der anderen umgebracht werden, so dass die Übrigbleibenden ihre eigene Lage an jener ihrer Schicksalsgefährten erkennen und, einander schmerzerfüllt und hoffnungslos anblickend, erwarten, dass sie an die Reihe kommen. Das ist das Ebenbild der Lage der Menschen. [...]

Dieses schwerwiegende Problem lässt sich mit seinen erhellenden Fragen woher, wozu und wohin sicherlich nur in einer glaubenswerten Mischung aus biblischer Dichtung und wissenschaftlicher Wahrheit in eine logisch widerspruchsfreie glaubenswürdige Klarheit bringen.

http://www.philos-website.de/autoren/pascal_g.htm
http://www.philos-website.de/autoren/pascals_wette_b.htm
http://www.philos-website.de/autoren/moses_g.htm