Johann Heinrich Pestalozzi (1746 – 1827)

  Schweizerischer Erzieher und Sozialreformer, der zunächst Landwirt war. Im Jahre 1769 gründete er das Gut Neuhof auf dem Birrfeld im Aargau, wo er bis 1774 eine Versuchswirtschaft leitete. Gemeinsam mit seiner Frau Anna (1738 - 1815) führte er das in eine Erziehungsanstalt für arme Kinder umgewandelte Gut auf gärtnerisch-gewerblicher Grundlage weiter, bis 1779 dieses Unternehmen scheiterte. 1798 wurde er Schriftleiter des »Helvetischen Volksblattes« und des Regierungsorgans der Helvetischen Republik, ging dann nach Stans, wo er eine Anstalt für Kriegswaisen errichtete. Nach kürzeren pädagogischen Versuchen (Burgdorf, Buchsee) baute er im waadtländischen Ifersen (Yverdon) ein Erziehungsinstitut auf, das unter seiner Leitung weltbekannt wurde. Von hier ging eine Erziehungserneuerung aus, die über Europa ausstrahlte und ihn zum geistigen Vater der modernen Volksschule werden ließ Seine Bestrebungen zur Verbesserung des Elementarunterrichts nahmen erstmals in der preußischen Reformzeit Gestalt an. 1825 kehrte er auf den Neuhof zurück. Die Gründung einer neuen Armenanstalt dort gelang nicht. 1914 wurde hier als schweizerische Stiftung ein Musterheim für gefährdete Jugendliche eingerichtet. Pestalozzi verstand Erziehung als Entfaltung der von Gott in die menschliche Natur hineingelegten Kräfte. Vorbild aller Erziehung war ihm die gläubige Familie. »Allgemeine Emporbildung der inneren Kräfte zu stiller, beruhigender Menschenweisheit« das ist das ist für ihn allgemein erstrebenswerte Ziel der Volksbildung, »Übung, Anwendung, Gebrauch der Kraft und Weisheit in den besonderen Lagen und Umständen der Menschheit« ist Berufs- und Standesbildung, die der allgemeinen Volksbildung immer untergeordnet sein muss. Gott ist die »näheste« Beziehung der Menschheit. Er beruhigt, wo das Haus und sein Genuss nicht beruhigen kann; er gibt Ruhe, Ordnung, unverwirrte Kraft, damit Weisheit und Segen. Nicht im Staunen über sein Werk, sondern im Kindergefühl für Vater und Mutter findet man Gott - und in der Gewissheit der Unsterblichkeit aus seinen Vaterhänden. Pestalozzis Bestrebungen fanden schon zu seiner Zeit reichen Widerhall und wurden u. a. von Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Fröbel und Adolf Wilhelm Diesterweg verbreitet oder praktisch verwirklicht. An die späten Schriften knüpfte Georg Kerschensteiner mit seiner Arbeitsschule an.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Ungleiche Verleihung der Gottesgaben
Erkenntnis des verborgenen Gottes durch Selbsterkenntnis
Gott, Vater der Menschheit
Menschenliebe und Gottesliebe

Christus
Blicke auf Christus und seine Lehre


Ungleiche Verleihung der Gottesgaben
Er ist es, Gott ist es selber, der die Ungleichheit der Menschen durch die Ungleichheit der Gaben, die er einem jeden von uns von innen verliehen, gegründet; aber er hat sie mit väterlicher Liebe und Weisheit unter seine Kinder verteilt und wir sollen darin mit menschlicher Liebe und Weisheit benützen und leisten, was er mit göttlicher Liebe und Weisheit also gegründet. Der reine Sinn der unschuldigen Natur tut dieses in jedem Falle gern. Er steht in jedem Falle mit Ehrfurcht vor der heiligen Quelle dieses Unterschiedes und sieht sie mit Dank und Liebe aus der Segenshand seines Vaters fließen, wohin sie will. Wie ihn keine menschliche, keine irdische Größe erhebt, so erhebt ihn der Gedanke, daß alle Kinder der Menschen vor dem Angesichte des Vaters der Menschen gleich sind und daß er, indem er seine Gaben unter sie austeilt, nicht darauf achtet, ob eines derselben eine Handvoll Erdenkot mehr als das andere in seiner Hand habe.

Auch der gute Mensch achtet die höheren Gaben des Geistes und des Herzens mehr als alle irdischen Gaben des Glücks und hält sie seiner heiligsten, seiner treuesten Pflege mehr wert, als die andern. Oder wäre er ein guter Mensch, wenn er das nicht täte? Der niedere, der der Selbstsucht hingegebene Mensch, wenn er den Namen Eigentum hört, erhebt sich in aller Lebendigkeit seines beschränkten Sinnes. Ja, das Eigentum muß man achten, schützen und bauen, in wessen Hand es sich auch immer befindet, sonst geht die Erde zugrunde. Armer Mensch, du hast freilich Recht; aber Gottes höhere Gaben sind der Menschen höheres Eigentum und man muß sie achten, schützen und bauen, in wessen Hand sie sich immer befinden, sonst geht die Menschheit zugrunde. Und doch, dächte ich, das Eigentum ist um des Menschen, und der Mensch nicht um des Eigentums willen da. Und wenn Erziehung und Staatskunst Hand in Hand schlagen, daß dieses letzte nicht zugrunde gehe, sondern Zins trage, in wessen Hand es sich immer befindet, so soll doch ob Gott will, auch das Herz der Bessern beim Gefühl der Verwahrlosung unseres Geschlechts in Rücksicht auf das erste, auf das höhere Eigentum unserer Natur, sich in seinem Innersten zum hohen menschlichen Bestreben erheben, dass auch Gottes höhere Gaben des Geistes, des Herzens und der Kunst in ihrer Mitte allgemein die Pflege und Achtung finden, die der Erdenkot so wesentlich bedarf und so allgemein findet
. Rede über die Idee der Elementarbildung. 1809
Aus: Gedanken von Pestalozzi, ausgewählt von Martin Hürlimann (S.29-30)
Atlantis Verlag, Zürich

Erkenntnis des verborgenen Gottes durch Selbsterkenntnis
Gott hat sich den Menschen verborgen, und die Geheimnisse der Zukunft für ihn in undurchdringliche Schatten gelegt, damit der Raupe in ihrer Hülle wohl sei.

Er hat den Menschen geschaffen, daß er Gott nicht erkennen mag; niemand hat Gott jemals erkannt; der Nebel, der um uns ist, ist von ihm selbst, und Segen unserer Natur, wenn wir darin ruhen. Wir verheeren unser Inneres, wenn wir dem Schatten entweichen wollen, den Gott um uns gelegt hat.

Gott hat die Nacht gemacht, wie den Tag; warum willst du nicht ruhen in Gottes Nacht, bis er seine Sonne dir zeiget, die ewig keine Träume hinter den Wolken, hinter denen er sie verborgen, hervorrufen wird.

Gott ist für die Menschen, nur durch die Menschen der Gott der Menschen.

Der Mensch kennet Gott nur, insofern er den Menschen, das ist, sich selbst, kennet, und ehret Gott nur, insofern er die Menschheit, das ist sich selbst, ehrt, und an sich selbst und an seinen Nebenmenschen nach den besten Trieben handelt, die in ihm liegen. Daher kann auch der Mensch seinen Nebenmenschen nicht durch Bilder und Worte, sondern allein durch sein Tun zum wahren Dienst des Unsichtbaren erheben.
Es ist vergebens, daß du zum Menschen sagest: Es ist ein Gott, wenn du für ihn kein Mensch bist.

Es ist vergebens, daß du zum Armen sagest: Du hast einen Gott! und zum Waisen: Du hast einen Vater im Himmel!

Wenn du machst, daß dein Armer wie ein Mensch vor dir leben kann, dann zeigst du ihm Gott; wenn du den Waisen als Vater erziehest, dann zeigst du ihm seinen Vater im Himmel.

So weit, als du immer an dir selbst, und an deinem Nebenmenschen ein Mensch bist, so weit zeigest du ihnen Gott, als sie den Unsichtbaren in ihrer Hülle erkennen können.

Warum will doch der Mensch so viel von Gott wissen? und wie kommt er dahin, in der Angelegenheit des menschlichen Glaubens an Gott und der Bildung eines reinen Kinderherzens zum Glauben an den Vater im Himmel ganz anders zu handeln, als in allen übrigen Angelegenheiten seines Lebens?

Wo er immer sonst zu einem Ziel kommen will, seine erste Regel: Nicht viel Worte und keine Predigen.

Mich jammert der Menschen, daß sie den Mißklang der tausend nicht richtig gestimmten Saiten nicht fühlen, und des Predigens nicht weniger machen.

Kommet mit mir in die Hütte des Armen, und zu den Tränen der Waisen, da lernet ihr Gott kennen, und gut sein, und Menschen werden.
Lienhard und Gertrud 2. Fassung 11. Teil. 1790
Aus: Gedanken von Pestalozzi, ausgewählt von Martin Hürlimann (S.45-47)
Atlantis Verlag, Zürich

Gott, Vater der Menschheit
Gott ist die näheste Beziehung der Menschheit. [...]

Glauben an Gott, Stimmung des Menschengefühls in dem obersten Verhältnis seiner Natur, vertrauender Kindersinn der Menschheit gegen den Vatersinn der Gottheit.

Glauben an Gott — Quelle der Ruhe des Lebens — Ruhe des Lebens, Quelle innerer Ordnung — innere Ordnung, Quelle der unverwirrten Anwendung unserer Kräfte — Ordnung in der Anwendung unserer Kräfte, Quelle ihres Wachstumes und Bildung zur Weisheit — Weisheit, Quelle alles Menschensegens.

Glauben an Gott, du bist der Menschheit in ihrem Wesen eingegraben, wie der Sinn vom Guten und Bösen, wie das unauslöschliche Gefühl von Recht und Unrecht, so unwandelbar fest liegst du als Grundlage der Menschenbildung im Innern unserer Natur.
Glauben an Gott, du bist nicht Folge und Resultat gebildeter Weisheit, du bist reiner Sinn der Einfalt, horchendes Ohr der Unschuld auf den Ruf der Natur — daß Gott — der Vater ist.

Kindersinn und Gehorsam ist nicht Resultat und späte Folge einer vollendeten Erziehung, sie müssen frühe und erste Grundlagen der Menschenbildung sein. Das Staunen des Weisen in den Tiefen der Schöpfung und sein Forschen in den Abgründen des Schöpfers ist nicht Bildung der Menschheit zu diesem Glauben. In den Abgründen der Schöpfung kann sich der Forscher verlieren und in ihren Wassern kann er irre umhertreiben, ferne von der Quelle der unergründlichen Meere.

Gott, Vater (sein) Dasein in der Hütte der Menschen — Gott im innersten meines Wesens — Gott — Geber seiner Gaben und meiner Lebensgenießungen, das ist die Bildung der Menschheit zu diesem Glauben, das ist die Kraft der Natur, die allen Glauben auf Genuß und Erfahrung gründet. Oder rühren dich, Mensch! — ich rufe ins Volk — rühren dich, Mensch, die Lehrsätze von überwiegendem Guten? Tröstet oder beruhigt dich das, daß Glück oder Unglück im ganzen überwiege? Wenn Flammen des Jammers über deinem Scheitel brennen und dich zerstören, tröstet dich dieses Gerede der Weisen?

Aber wenn dein Vater dein Wesen in deinem Innern stärkt, dir deine Tage erheitert, deine Kraft zum Leiden emporhebt und das Übergewicht der Segensgenießungen dir selbst in meinem Innern enthüllt, dann genießest du die Bildung der
Natur zum Glauben an Gott.

Das Brot, das mein Kind aus meiner Hand ißt, bildet sein Kindergefühl, und nicht sein Staunen über meine Nachtwachen und mein Sorgen für seine späten Jahre. Viel Urteil über mein Tun ist Unbesonnenheit, die sein Herz verführen und von mir ablenken kann.
Einfalt und Unschuld, reines menschliches Gefühl für Dank und Liebe ist Quelle des Glaubens.

Im reinen Kindersinn der Menschheit erhebt sich die Hoffnung des ewigen Lebens, und reiner Glaube der Menschheit en Gott lebt nicht in seiner Kraft ohne diese Hoffnung.

Der Fußtritt des T y r a n n e n über seine Brüder, über die Kinder seines Gottes erschüttert im Innersten die Menschheit. Die Reihen seiner Erschlagenen, ihre Witwen und ihre Waisen heulen, zittern, hungern, glauben und sterben.

Ist Gott Vater der Menschen, so ist der Tag ihres Todes nicht der Tag der Vollendung ihres Wesens.
Ist ein Sinn für Wahrheit in dir, Mensch? Rede! Streitet es nicht wider den Sinn deines Innersten, zu glauben, daß Gott Vater der Menschen ist — und daß doch also das Wesen dieser Elenden vollendet sei?

Gott ist nicht Vater der Menschen, oder der Tod ist nicht die Vollendung unsers Wesens.
Mensch, dein innerer Sinn ist dir sicherer Leitstern der Wahrheit und deiner Pflicht: und du zweifelst, da dieser Sinn so mächtig Unsterblichkeit dir zuruft?

Glaube an dich selbst, Mensch, glaube an den inneren Sinn deines Wesens, so glaubst du an Gott und an die Unsterblichkeit.
Gott ist Vater der Menschheit, Kinder Gottes sind unsterblich.

Im Innersten deiner Natur, Mensch, liegt das, was Wahrheit, Unschuld und Einfalt mit Glauben und Anbetung hört. Aber Einfalt und Unschuld ist nicht das Teil aller Menschen. Vielen ist innerer Sinn der Menschennatur Spiel des Traumes, und Glaube an Gott und Unsterblichkeit, auf diesen inneren Sinn gebaut, verachteter Vorwurf ihrer Kunst. Gott, der in meinem Wesen mit Kraft und Stärke Wahrheit, Weisheit und Seligkeit, Glauben und Unsterblichkeit lehrt, Gott, den alle Kinder Gottes hören, Gott, den die ganze sanfte, liebende, reine Menschheit versteht und ganz gleich versteht; Gott — sollt‘ ich nicht Gehör geben der Lehre, die im innersten meines Wesens mir und meiner Natur wahr ist und wahr sein muß — sollt‘ ich nicht glauben, was wär‘ ich, was tät‘ ich?

Glaube an Gott, Scheidung der Menschheit in die Kinder Gottes und die Kinder der Welt. Glaube an die Vatergüte Gottes, Glaube an die Unsterblichkeit.

Gott, Vater der Menschheit; Mensch, Kind der Gottheit: das der reine Vorwurf des Glaubens.

Dieser Glaube an Gott ist Stimmung der Menschheit in ihren Verhältnissen zu ihrem Segen.

Vatersinn und Kindersinn, dieser Segen deines Hauses, Mensch, ist Folge des Glaubens.

Der Genuß deiner Rechte, Hausvater, die wonnevolle Ergebung deines Weibes und das innige, seelerhebende Dankgefühl deiner Kinder ist Folge deines Glaubens an Gott.

Glaube an meinen Vater, der Gottes Kind ist, ist Bildung meines Glaubens an Gott,
Mein Glaube an Gott ist Sicherstellung meines Glaubens an meinen Vater und an jede Pflicht meines Hauses.
Die Abendstunde eines Einsiedlers. 1779/80
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 49, Pestalozzi, Grundlehren über Mensch und Erziehung
Seine Schriften in Auswahl, herausgegeben von Prof. Hermann Schneider (S.27-30)
Alfred Kröner Verlag in Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlages, Stuttgart

Menschenliebe und Gottesliebe
Freund! Es hätte mich, wie gesagt, für jetzt zu weit geführt, in das Umständliche der Grundsätze und Maßregeln einzutreten, auf denen die Bildung zu den wesentlichsten Fertigkeiten des Lebens beruht; hingegen will ich meine Briefe doch nicht enden, ohne die Frage zu berühren. Wie hängt das Wesen der Gottesverehrung mit den Grundsätzen zusammen, die ich in Rücksicht auf die Entwicklung des Menschengesch1echts im allgemeinen für wahr angenommen habe? —

Ich suche auch hier den Aufschluß meiner Aufgabe in mir selbst, und frage mich: Wie entkeimt der Begriff von Gott in meiner Seele? Wie kommt es, daß ich an einen Gott glaube, daß ich mich in seine Arme werfe und mich selig fühle, wenn ich ihn liebe, wenn ich ihm vertraue, wenn ich ihm danke, wenn ich ihm folge? —

Das sehe ich bald, die Gefühle der Liebe, des Vertrauens, des Dankes und die Fertigkeiten des Gehorsams müssen in mir entwickelt sein, ehe ich sie auf Gott anwenden kann. Ich muß Menschen lieben, ich muß Menschen trauen, ich muß Menschen danken, ich muß Menschen gehorsamen, ehe ich mich dahin erheben kann, Gott zu lieben, Gott zu danken, Gott zu vertrauen, Gott zu gehorsamen: »denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie will der seinen Vater im Himmel lieben, den er nicht sieht?«

Ich frage mich also: Wie komme ich dahin, Menschen zu lieben, Menschen zu vertrauen, Menschen zu danken, Menschen zu gehorsamen? — Wie kommen die Gefühle, auf denen Menschenliebe, Menschendank und Menschen vertrauen wesentlich ruhen, und die Fertigkeiten, durch welche sich der menschliche Gehorsam bildet, in meine Natur? — und ich finde: daß sie hauptsächlich von dem Verhältnisse ausgehen, das zwischen dem unmündigen Kinde und seiner Mutter statt hat.

Die Mutter muß, sie kann nicht anders, sie wird von der Kraft eines ganz sinnlichen Instinktes dazu genötigt, das Kind pflegen, nähren, es sicher stellen und es erfreuen. Sie tut es, sie befriedigt seine Bedürfnisse, sie entfernt von ihm, was ihm unangenehm ist, sie kommt seiner Unbehilflichkeit zu Hilfe — das Kind ist versorgt, es ist erfreut, der Keim der Liebe ist in ihm entfaltet.

Jetzt steht ein Gegenstand, den es noch nie sah, vor seinen Augen, es staunt, es fürchtet, es weint; die Mutter drückt es fester an ihre Brust, sie tändelt mit ihm, sie zerstreut es, sein Weinen nimmt ab, aber seine Augen bleiben gleichwohl noch lange naß; der Gegenstand erscheint wieder — die Mutter nimmt es wieder in den schützenden Arm und lacht ihm wieder, — jetzt weint es nicht mehr, es erwidert das Lächeln der Mutter mir heiterm, unumwölktem Auge, — der Keim des Vertrauens ist in ihm entfaltet.

Die Mutter eilt bei jedem Bedürfnisse zu seiner Wiege; sie ist in der Stunde des Hungers da, sie hat es in der Stunde des Durstes getränkt; wenn es ihren Fußtritt hörte, so schwieg es, wenn es sie sieht, so streckt es die Hand aus; sein Auge strahlt an ihrer Brust, es ist gesättigt, Mutter und satt werden, ist ihm ein und eben derselbe Gedanke, — es dankt.

Die Keime der Liebe, des Vertrauens, des Dankes erweitern sich bald. Das Kind kennt den Fußtritt der Mutter, es lächelt ihrem Schatten; wer ihr gleich sieht, den liebt es; ein Geschöpf, das der Mutter gleich sieht, ist ihm ein gutes Geschöpf. Es lächelt der Gestalt seiner Mutter, es lächelt der Menschengestalt; wer der Mutter lieb ist, der ist ihm auch lieb; wer der Mutter in die Arme fällt, dem fällt es auch in die Arme; wen die Mutter küßt, den küßt es auch. Der Keim der Menschenliebe, der Keim der Bruderliebe ist in ihm entfaltet.

Der Gehorsam ist in seinem Ursprunge eine Fertigkeit, deren Triebe den ersten Neigungen der sinnlichen Natur entgegen stehen. Seine Bildung ruht auf Kunst. Er ist nicht eine einfache Folge der Naturtriebe, aber dennoch nimmt seine Entfaltung den nämlichen Gang. So wie der Liebe Bedürfnis, dem Danke Gewährung, dem Vertrauen Besorgnis vorhergeht, so geht auch dem Gehorsam eine stürmische Begierde vorher. Das Kind schreit, ehe es wartet, es ist ungeduldig, ehe es gehorcht; die Geduld entfaltet sich vor dem Ungehorsam, es wird eigentlich nur die Geduld gehorsam; die ersten Fertigkeiten dieser Tugend sind bloß leidend, sie entspringen hauptsächlich durch das Gefühl der harten Notwendigkeit. Aber auch dieses entwickelt sich zuerst auf dem Schoße der Mutter, — das Kind muß warten, bis sie ihm die Brust öffnet, es muß warten, bis sie es aufnimmt. Viel später entwickelt sich in ihm der tätige Gehorsam, und noch viel später das wirkliche Bewußtsein, daß es ihm gut sei, der Mutter zu gehorchen.

Die Entwicklung des Menschengeschlechtes geht von einer starken, gewaltsamen Begierde nach Befriedigung sinnlicher Bedürfnisse aus. Die Mutterbrust stillt den ersten Sturm sinnlicher Begierden, und erzeugt Liebe, bald darauf entfaltet sich Furcht, der Mutterarm stillt die Furcht, diese Handlungsweise erzeugt die Vereinigung der Gefühle der Liebe und des Vertrauens, und entfaltet die ersten Keime des Dankes.

Die Natur zeigt sich unbiegsam gegen das stürmende Kind — es schlägt auf Holz und Steine, die Natur bleibt unbiegsam, und das Kind schlägt nicht mehr auf Holz und Steine. Jetzt ist die Mutter unbiegsam gegen die Unordnungen seiner Begierden; es tobt und schreit, — sie ist forthin unbiegsam — es schreit nicht mehr, es gewöhnt sich, seinen Willen dem ihrigen zu unterwerfen — die ersten Keime der Geduld, die ersten Keime des Gehorsams sind entfaltet.

Gehorsam und Liebe, Dank und Vertrauen vereinigt sich, entfaltet den ersten Keim des Gewissens, den ersten leichten Schatten des Gefühls, daß es nicht recht sei, gegen die liebende Mutter zu toben, — den ersten leichten Schatten des Gefühls, daß die Mutter nicht allein um seinetwillen in der Welt sei: den ersten Schatten des Gefühls, daß nicht alles um seinetwillen in der Welt sei; und mit ihm entkeimt noch das zweite Gefühl, daß auch es selbst nicht um seinetwillen allein in der Welt sei — der erste Schatten der Pflicht und des Rechts ist an seinem Entkeimen.

Dieses sind die ersten Grundzüge der sittlichen Selbstentwicklung, welche das Naturverhältnis zwischen dem Säuglinge und seiner Mutter entfaltet. In ihnen liegt aber auch ganz und in seinem ganzen Umfange das Wesen des sinnlichen Keimes von derjenigen Gemütsstimmung, welche der menschlichen Anhänglichkeit an den Urheber unserer Natur eigen ist; das heißt, der Keim aller Gefühle der Anhänglichkeit an Gott durch den Glauben ist in seinem Wesen der nämliche Keim, welcher die Anhänglichkeit des Unmündigen an seine Mutter erzeugte. Auch ist die Art, wie sich diese Gefühle entfalten, auf beiden Wegen eine und eben dieselbe.

Auf beiden Wegen hört das unmündige Kind, glaubt und folgt, aber es weiß in diesem Zeitpunkte in beiden Rücksichten nicht, was es glaubt und was es tut. Indessen fangen die ersten Gründe seines Glaubens und seines Tuns in diesem Zeitpunkte bald an zu schwinden. Die entkeimende Selbstkraft macht jetzt das Kind die Hand der Mutter verlassen, es fängt an, sich selbst zu fühlen, und es entfaltet sich in seiner Brust ein stilles Ahnen: Ich bedarf der Mutter nicht mehr. Diese liest den keimenden Gedanken in seinen Augen, sie drückt ihr Geliebtes fester als je an ihr Herz und sagt ihm mit einer Stimme, die es noch nie hörte: Kind! Es ist ein Gott, dessen du bedarfst, wenn du meiner nicht mehr bedarfst, es ist ein Gott, der dich in seine Arme nimmt, wenn ich dich nicht mehr zu schützen vermag, es ist ein Gott, der dir Glück und Freuden bereitet, wenn ich dir nicht mehr Glück und Freuden zu bereiten vermag, — dann wallet im Busen des Kindes ein unaussprechliches Etwas, es wallet im Busen des Kindes ein heiliges Wesen, es wallet im Busen des Kindes eine Glaubensneigung, die es über sich selbst erhebt; es freut sich des Namens seines Gottes, sobald die Mutter ihn spricht. Die Gefühle der Liebe, des Dankes, des Vertrauens, die sich an ihrer Brust entfaltet hatten, erweitern sich und umfassen von nun an Gott wie den Vater, Gott wie die Mutter. Die Fertigkeiten des Gehorsams erhalten einen weiteren Spielraum, — das Kind, das von nun an an das Auge Gottes glaubt, wie an das Auge der Mutter, tut jetzt um Gottes willen recht, wie es bisher um der Mutter willen recht tat.

Hier bei diesem ersten Versuche der Mutterunschuld und des Mutterherzens, das erste Fühlen der Selbstkraft durch die Neigung des Glaubens an Gott mit den eben entwickelten Gefühlen der Sittlichkeit zu vereinigen, öffnen sich die Fundamtalgesichtspunkte, auf welche Unterricht und Erziehung wesentlich ihr Auge hinwerfen müssen, wenn sie unsre Veredelung mit Sicherheit erzielen wollen.

Gleichwie das erste Entkeimen der Liebe, des Dankes, des Vertrauens und des Gehorsams eine bloße Folge des Zusammentreffens instinktartiger Gefühle zwischen Mutter und Kind war, so ist jetzt das weitere Entfalten dieser entkeimten Gefühle eine hohe menschliche Kunst, aber eine Kunst, deren Faden sich sogleich unter deinen Händen verliert, wenn du die Anfangspunkte, von denen ihr feines Gewebe ausgeht, auch nur einen Augenblick aus den Augen verlierst; die Gefahr dieses Verlierens ist für dein Kind groß und kommt früh; es lallet den Mutternamen, es liebet, es danket, es trauet, es folget. Aber die Beweggründe des Dankes, der Liebe, des Vertrauens schwinden beim ersten Entkeimen, — es bedarf der Mutter nicht mehr, die Welt, die dasselbe jetzt umgibt, ruft ihm mit dem ganzen Sinnenreiz ihrer neuen Erscheinung zu: Du bist jetzt mein.

Das Kind höret die Stimme der neuen Erscheinung, es muß. Der Instinkt des Unmündigen ist in ihm erloschen, der Instinkt der wachsenden Kräfte nimmt seinen Platz ein, und der Keim der Sittlichkeit, insofern er von Gefühlen, die der Unmündigkeit eigen sind, ausgehet, verödet sich plötzlich, und er muß sich veröden, wenn in diesem Augenblicke niemand das erste Schlagen der höhern Gefühle seiner sittlichen Natur, wie den Faden des Lebens an die goldene Spindel der Schöpfung ankettet. Mutter, Mutter! die Welt beginnt jetzt dein Kind von deinem Herzen zu trennen, und wenn in diesem Augenblick niemand die Gefühle seiner edlern Natur ihm an die neue Erscheinung der Sinnenwelt ankettet, so ist es geschehen! Mutter! Mutter! dein Kind ist deinem Herzen entrissen, die neue Welt wird ihm Mutter die neue Welt wird ihm Gott. Sinnengenuß wird ihm Gott. Eigengewalt wird ihm Gott.

Mutter! Mutter! Es hat dich, es hat Gott es hat sich selbst verloren, der Docht der Liebe ist in ihm erloschen; Gott ist nicht mehr in ihm, der Keim der Selbstachtung in ihm erstorben; es geht dem Verderben eines unbedingten Strebens nach Sinnengenuß entgegen.

Menschheit! Menschheit! Hier beim Übergange der hinschwindenden Unmündigkeitsgefühle zum ersten Fühlen der von der Mutter unabhängenden Reize der Welt; hier, wo der Boden, dem die edleren Gefühle unserer Natur entkeimen, das erstemal unter den Füßen des Kindes zu weichen anfängt; hier, wo die Mutter beginnt, ihrem Kinde das nicht mehr zu sein, was sie ihm vorher war, und dann im Gegenteil der Keim des Vertrauens auf die neue belebte Erscheinung der Welt sich ihm entfaltet und der Reiz dieser neuen Erscheinung, das Vertrauen auf die Mutter, die ihm nicht mehr ist, was sie ihm vorher war, und mit ihm das Vertrauen auf den ungesehenen und ungekannten Gott zu ersticken und zu verschlingen beginnt, wie das wilde Gewebe harter sich tief ineinander schlingenden Wurzeln des Unkrauts das feinere Wurzelgewebe der edelsten Pflanzen erstickt und verschlingt. Menschheit! Menschheit! hier in dem Zeitpunkte des Voneinanderscheidens der Gefühle des Vertrauens auf Mutter und auf Gott, und derjenigen des Vertrauens auf die neue Erscheinung der Welt und alles, was darinnen ist, hier an diesem Scheidewege solltest du deine ganze Kunst und deine ganze Kraft anwenden, die Gefühle des Dankes, der Liebe, des Vertrauens und des Gehorsams in deinem Kinde rein zu erhalten.

Gott ist in diesen Gefühlen und die ganze Kraft deines sittlichen Lebens hanget innig mit der Erhaltung derselben zusammen.

Menschheit! Deine Kunst sollte alles tun, beim Stillstehen der physischen Ursachen, aus welchen diese Gefühle bei dem unmündigen Kinde entkeimt sind, neue Belebungsmittel derselben zur Hand zu bringen und die Reize der neuen Erscheinung der Welt deinen, wachsenden Kinde nicht anders, als in Verbindung mit diesen Gefühlen vor die Sinne kommen zulassen.

Es ist hier, wo du es das erste Mal nicht der Natur anvertrauen, sondern alles tun musst, die Leitung desselben ihrer Blindheit aus der Hand zu reißen und in die Hand von Maßregeln und Kräften zu legen, die die Erfahrung von Jahrtausenden angegeben hat. Die Welt, die dem Kinde jetzt vor seinen Augen erscheint, ist nicht Gottes erste Schöpfung, es ist eine Welt, die beides, für die Unschuld seines Sinnengenusses und für die Gefühle seiner innern Natur gleich verdorben ist, eine Welt voll Krieg für die Mittel der Selbstsucht, voll Widersinnigkeit, voll Gewalt, voll Anmaßung, Lug und Trug.

Nicht Gottes erste Schöpfung, sondern diese Welt locket dein Kind zum Wellentanz des wirbelnden Schlundes, in dessen Abgründen Lieblosigkeit und sittlicher Tod hausen. — Nicht Gottes Schöpfung, sondern der Zwang und die Kunst ihres eigenen Verderbens ist das, was diese Welt deinem Kinde vor Augen stellt.

Armes Kind! Dein Wohnzimmer ist deine Welt, aber dein Vater ist an seine Werkstatt gebunden, deine Mutter hat heute Verdruß, morgen Besuch, übermorgen ihre Launen; du hast Langeweile; du frägst, deine Magd antwortet dir nicht; du willst auf die Straße, du darfst nicht; jetzt reißest du dich mit deiner Schwester um Spielzeug — armes Kind, welch ein elendes, herzloses und herzverderbendes Ding ist deine Welt! Aber ist sie dir etwa mehr, wenn du im goldgezierten Wagen unter Schattenbäumen umherfährst? Deine Führerin betrügt deine Mutter, du leidest weniger, aber du wirst schlechter als die Leidenden alle. Was hast du gewonnen? Deine Welt ist dir noch mehr zur Last, als den Leidenden allen.

Diese Welt ist in das Verderben ihrer unnatürlichen Kunst und ihres unnatürlichen Zwanges so eingewiegt, daß sie für die Mittel, Reinheit des Herzens in der Brust des Menschen zu erhalten, keinen Sinn mehr hat, und im Gegenteil die Unschuld unseres Geschlechts in dem mißlichsten Augenblicke, wie das herzloseste Nachweib ihr Stiefkind, einer Sorglosigkeit preisgibt, die, in hundert Fällen gegen einen, über das Scheitern der letzten Zwecke der menschlichen Veredelung entscheidet und entscheiden muß, weil die neue Erscheinung der Welt dem Kinde in diesem Zeitpunkte ganz ohne ein Gegengewicht für das Einseitige und das Einseitigreizende ihrer sinnlichen Eindrücke vor die Augen gestellt wird, und also ihre Vorstellung, beides, durch ihre Einseitigkeit und durch ihre Lebhaftigkeit, bei demselben ein entscheidendes Übergewicht über den Eindruck der Erfahrungen und Gefühle, welche der geistigen und sittlichen Ausbildung unseres Geschlechtes zugrunde liegen, erhält; wodurch denn auch die Bahn seiner Selbstsucht und seiner Entwürdigung von nun an einen unermeßlichen und unermeßlich belebten Spielraum erhält, hingegen die Gemütsstimmung, auf deren sinnlicher Anbahnung die vorzüglichsten Kräfte seiner Sittlichkeit und seiner Erleuchtung beruhen, sich ebenso verlieren, die an sich enge Pforte seiner Sittlichkeit gleichsam verrammelt werden und die ganze Sinnlichkeit seiner Natur eine Richtung nehmen muß, die die Bahn der Vernunft von derjenigen der Liebe, die Ausbildung des Geistes von der Glaubensneigung an Gott trennt, eine mehr oder weniger feine Selbstsucht zum einzigen Treibrad seiner Kraftanwendung macht, und dadurch über die Folgen seiner Ausbildung zu seinem eigenen Verderben entscheidet.

Es ist unbegreiflich, daß die Menschheit diese allgemeine Quelle ihres Verderbens nicht kennet; unbegreiflich, daß es nicht die allgemeine Angelegenheit ihrer Kunst ist, dieselbe zu stopfen und die Erziehung unseres Geschlechts Grundsätzen zu unterwerfen, die das Werk Gottes, das die Gefühle der Liebe, des Dankes und des Vertrauens schon im Unmündigen entfaltet, nicht zerstören, sondern dahin wirken mußten, die von Gott selbst in unsere Natur gelegten Vereinigungsmittel unserer geistigen und sittlichen Veredelung in diesem beide gefährdenden Zeitpunkte vorzüglich zu pflegen, und Unterricht und Erziehung allgemein, einerseits mit den Gesetzen des physischen Mechanismus, nach welchem sich unser Geist von dunklen Anschauungen zu deutlichen Begriffen erhebt, andererseits mit den Gefühlen meiner inneren. Natur, durch deren allmähliche Entfaltung mein Geist sich zur Anerkennung und Verehrung des sittlichen Gesetzes emporhebt, in Übereinstimmung zu bringen. Es ist unbegreiflich, daß die Menschheit sich nicht dahin erhebt, eine lückenlose Stufenfolge aller Entwicklungsmittel meines Geistes und meiner Gefühle zu eröffnen, deren wesentlicher Zweck dieser sein müßte, die Vorteile des Unterrichtes und seines Mechanismus auf die Erhaltung der sittlichen Vollkommenheit zu bauen, die Selbstsucht der Vernunft durch die Erhaltung der Reinheit des Herzens vor der Verirrung ihres einseitigen Verderbens zu bewahren und überall die sinnlichen Eindrücke meiner Überzeugung, meine Begierlichkeit meinem Wohlwollen, und mein Wohlwollen meinem berichtigten Willen unterzuordnen.

Die Ursachen, die diese Unterordnung erheischen, liegen tief in meiner Natur. So wie meine sinnlichen Kräfte sich ausbilden, so muß ihr Übergewicht vermöge der wesentlichen Bedürfnisse meiner Veredelung wieder verschwinden, das heißt, ihre Unterordnung unter ein höheres Gesetz muß eintreten. Aber ebenso muß auch jede Stufe meiner Entwicklung vollendet sein, ehe der Fall ihrer Unterordnung unter höhere Zwecke eintreten kann, und diese Unterordnung des Vollendeten unter das zu Vollendende fordert ebenso vor allem auch reine Festhaltung der Anfangspunkte aller Erkenntnisse und die bestimmteste Lückenlosigkeit im allmählichen Fortschritte von diesen Anfangspunkten zum letzten zu vollendenden Zwecke. Das erste Gesetz dieser Lückenlosigkeit aber ist dieses: Der erste Unterricht des Kindes sei nie die Sache des Kopfes, er sei nie die Sache der Vernunft, — er sei ewig die Sache der Sinne, er sei ewig die Sache des Herzens, die Sache der Mutter.

Das zweite Gesetz, das ihm folgt, ist dieses: Der menschliche Unterricht gehe nur langsam von der Übung der Sinne zur Übung des Urteils, er bleibe lange die Sache des Herzens, ehe er die Sache der Vernunft, er bleibe lange die Sache des Weibes, ehe er die Sache des Mannes zu werden beginnt.

Was soll ich mehr sagen? — Mit diesen Worten führen mich die ewigen Gesetze der Natur selbst wieder an deine Hand, Mutter! Mutter! — Ich kann meine Unschuld, meine Liebe, meinen Gehorsam, ich kann die Vorzüge meiner edlern Natur beim neuen Eindrucke der Welt alle, alle nur an deiner Seite erhalten. Mutter! Mutter! hast du noch eine Hand, hast du noch ein Herz für mich, so laß mich nicht von dir weichen, und hat dich niemand die Welt kennen gelehrt, wie ich sie kennen lernen muß, so komm, wir wollen sie miteinander kennen lernen, wie du sie hättest kennen sollen und wie ich sie kennen lernen muß. Mutter! Mutter! wir wollen in dem Augenblicke, in dem ich Gefahr laufe, durch die neue Erscheinung der Welt von dir, von Gott und von mir selbst abgezogen zu werden, nicht voneinander scheiden. — Mutter! Mutter! heilige du mir den Übergang von deinem Herzen zu dieser Welt durch die Erhaltung deines Herzens! —

Lieber Freund! ich muß schweigen, mein Herz ist gerührt und ich sehe Tränen in deinen Augen. Lebe wohl!

Aus: Deutsche Geisteswelt . Herausgegeben von Hermann Noack
Band I, Von Luther bis Hegel (S.220-229)
Verlag Werner Dausien